Die drei ???® Kids

Band 67

Der goldene Drache

Erzählt von Boris Pfeiffer

Mit Illustrationen von Kim Schmidt

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KOSMOS

Umschlag- und Innenillustrationen von Kim Schmidt, Dollerup

Umschlaggestaltung: Walter Typografie und Grafik, Würzburg

Grundlayout: Friedhelm Steinen-Broo, eStudio Calamar

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© 2016, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-14967-6

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Sturm über Rocky Beach

Misstrauisch sah Justus Jonas in den Himmel. Dann wandte sich der Anführer der drei ??? seufzend seinen beiden Freunden Bob Andrews und Peter Shaw zu: »Ich fürchte, dass unsere Arbeit für die Katz war!«

»Was?« Peter, der halb unter einer alten Motorhaube steckte, die er gerade auf dem Rücken quer über den Schrottplatz schleppte, blieb stehen. »Was soll das bedeuten, Just? Wir schuften hier schon den halben Tag! Außerdem hat uns Tante Mathilda Kirschkuchen versprochen, wenn wir den Schrottplatz aufräumen, und dazu jedem einen Dollar. Nach dieser Motorhaube müssen wir nur noch ein paar Reifen und die alten Militärzelte wegräumen. Dann sind wir fertig!«

»Richtig«, erwiderte Justus. »Aber ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist schwarz.«

Peter stöhnte theatralisch. »Also wirklich, Just, fang jetzt nicht an, Schwarzmalerei zu betreiben. Deine Tante hat noch nie einen Kuchen anbrennen lassen!«

Bob, der gemeinsam mit Justus einen zusammengerollten Teppich trug, kicherte. »Das tut er nicht. Just sieht nur in den Himmel. Was dir in deiner Schildkrötenposition natürlich schwerfällt.«

Mit einem lauten Scheppern ließ Peter die Motorhaube von seinen Schultern gleiten und sah seine Freunde an. »Mich lasst ihr schleppen, und ihr spielt derweil Hans-guck-in-die-Luft?!«

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Brummelnd legte Peter den Kopf in den Nacken – und erstarrte. Über ihm hingen mächtige schwarze Sturmwolken am Himmel, die sich vom Ozean her schnell näher schoben. »Uh!«, ächzte er.

»Du sagst es«, kicherte Justus. »Wenngleich du es sehr schlicht ausdrückst. Aber es sieht tatsächlich aus, als würde Rocky Beach in den nächsten Minuten einen heftigen Sturm erleben.«

Das kleine kalifornische Küstenstädtchen war die Heimat der drei ???. Hier betrieb Justus’ Onkel einen Schrottplatz, das Titus Jonas Gebrauchtwarencenter, wo er seine Wertstoffe, wie er seine Altwaren gerne nannte, verkaufte. In letzter Zeit hatte Titus Jonas allerdings deutlich mehr Wertstoffe angekauft als verkauft. Dies verdross seine Frau Mathilda, die deswegen Justus und seine beiden Freunde zum Aufräumen des Schrottplatzes verpflichtet hatte. »Wo keine Ordnung herrscht, kaufen die Leute nichts«, hatte sie verkündet, »und hier sieht es aus wie Kraut und Rüben, weil Titus jeden Tag neues Zeug anschleppt.«

»Aber das waren alles Sonderangebote!«, hatte sich ihr Mann verteidigt. »Papperlapapp!«, hatte Tante Mathilda gewettert. »Billig eingekauft heißt noch lange nicht teuer verkauft. Manchmal denke ich, es wäre gut, wenn mal ein Sturm käme und hier kräftig durchbliese!«

Peter sah Justus jetzt mit schreckgeweiteten Augen an. »Das sind ja Riesenwolken! Und sie hängen verdammt tief! Deine Tante scheint eine Gewitterhexe zu sein! Sie hat doch neulich erst zu deinem Onkel gesagt, sie wünsche sich einen Sturm, der hier mal durchbläst!«

Justus griff nach einem Seil. »Lasst uns alles festzurren. Wir werfen die Militärzelte über die Waren, binden sie zusammen und beschweren das Ganze mit den Autoreifen.«

So rasch die drei ??? konnten, schnürten sie die alten Militärzelte um die Schrottberge herum zu einem großen Schutzschild. »Wenn jetzt noch irgendetwas wegfliegt«, meinte Bob schließlich, »wird es alles andere mit sich reißen.«

Peter lachte auf. »Dann fliegt aus dem Titus Jonas Gebrauchtwarencenter ein Schrottdrache in die Luft. Das wäre mal ein Anblick!«

»Diese Idee finde ich nicht besonders komisch, Jungs!«, erscholl in diesem Moment Tante Mathildas Stimme von der Veranda des Wohnhauses. Einen frisch gebackenen Kirschkuchen in den Händen stand sie dort und sah mit gerunzelter Stirn zuerst in den Himmel und anschließend auf das Werk der drei ???. Doch dann nickte sie beifällig. »Ihr habt großartige Arbeit geleistet, Jungs! Dass ihr auf die Idee mit den Militärplanen gekommen seid, rechne ich euch hoch an. So fliegt bestimmt nichts weg. Denn auch wenn ich immer sage, das Zeug, das Titus antransportiert, gehe mir auf die Nerven, in Wirklichkeit sichert uns der Schrottplatz unseren Lebensunterhalt. Und es wäre wirklich schade, wenn irgendetwas davon in einem Sturm abhandenkäme.«

In diesem Moment fegte der erste heftige Windstoß über den Platz. Und unmittelbar darauf wurde es bitterkalt. »Der Sturm kommt!« Bob wies auf die mittlerweile turmartig zusammengeballten Wolken.

»Das sieht ja aus wie eine schwarze Stadt am Himmel«, ächzte Peter. »So ein Wahnsinnswolkengebilde habe ich noch nie gesehen.«

»Die Natur übersteigt die menschliche Fantasie um einiges«, nickte Justus. »Aber ich muss zugeben, dass auch ich solche Wolkenformationen in meinem Leben eher selten –«

Der Anführer der drei ??? kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden, denn in diesem Moment geschah etwas, was keiner der drei ??? und auch Tante Mathilda je zuvor gesehen hatte: Aus den schwarzen Wolken zuckte zuerst ein mächtiger Blitz und tauchte den Horizont in gleißendes Licht. Kaum war er wieder erloschen, schob sich eine noch dunklere Wolke aus der Gewitterfront hervor, bis sie nur noch wenige Meter über der Erde zu hängen schien. Und diese Wolke hatte die Form eines riesigen Drachen, der sich mit aufgerissenem Maul und weit ausgebreiteten Schwingen drohend über Rocky Beach beugte.

»Was ist das denn?«, würgte Peter entsetzt hervor.

»Eine Wolke in Form eines Drachen«, entgegnete Justus ruhig. »Es ist ja bekannt, dass Wolken die erstaunlichsten Formen annehmen können.«

»Aber das ist keine Wolke – das ist ein richtiger Drache«, rief Bob. »Seht doch, er fliegt direkt auf uns zu!«

Und das war noch nicht alles. Mit ausgestreckten Armen deutete Tante Mathilda auf das Maul des Wolkendrachen. Aus diesem schien es nämlich auf einmal Gold zu regnen, das sich am Himmel ausbreitete. »Sensationell! Ein goldener Drache!«, keuchte Tante Mathilda.

In diesem Moment zuckte ein zweiter Blitz am Himmel auf. Und diesmal kam er direkt aus der Drachenwolke, die sich kurz darauf in einer gleißenden Explosion auflöste.

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Sterntaler

»Sterntaler!«, rief Tante Mathilda. »Lauter Sterntaler!«

Peter sah die anderen bibbernd an. »Was soll das alles bedeuten?«

»Na, seht ihr es denn nicht?«, lachte Tante Mathilda. »Gold liegt in der Luft!« Tatsächlich flirrte dort, wo eben noch der Drache gewesen war, eine riesige goldene Wolke am Himmel. Staunend sahen die drei ??? dem Funkeln zu. »Juhu, Gold!«, rief Justus’ Tante begeistert.

Peter sah sie ungläubig an. »Macht Ihnen denn dieses Ungeheuer keine Angst?«

Tante Mathilda warf ihm aus blitzenden Augen einen Blick zu. »Aber nein! Nur weil eine Sturmwolke aussieht wie ein Drache, fürchte ich mich doch nicht. Und dass es aus einer Wolke Gold regnet, finde ich zwar ausgesprochen merkwürdig, aber keinesfalls zum Fürchten. Im Gegenteil, ich finde das –«

Weiter kam Tante Mathilda nicht, denn in diesem Moment erschütterte ein gewaltiger Donnerschlag die Umgebung. Peter fuhr erschrocken zusammen. »Das klang wie eine Explosion!«

»Das war der Donner nach dem Blitz!«, lachte Tante Mathilda.

Wieder sah Peter sie erstaunt an. Doch da klingelte im Haus das Telefon. Rasch stürzte Tante Mathilda an den Apparat. Dann rief sie laut: »Mrs Cameron! Sie haben es auch gesehen? Ja natürlich, ich auch! Das ist wirklich sensationell! Ja, holen Sie mich sofort ab! Das ist eine hervorragende Idee!«

»Wir sind offenbar nicht die Einzigen, die dieses seltsame Wetterphänomen beobachtet haben.« Justus wandte sich seinen Freunden zu. »Wobei man zugeben muss, dass es auch schwierig sein dürfte, eine Gold spuckende Wolke zu übersehen.«

»So etwas gibt es doch gar nicht«, murmelte Bob. »Bestimmt waren das nur Hagelkörner oder große Regentropfen, die irgendwie im Sonnenlicht geglänzt haben.«

»Ich sehe aber kein Sonnenlicht, nur Gewitterlicht«, widersprach Peter. »Vielleicht sind das ja wirklich solche Sterntaler, von denen deine Tante eben gesprochen hat?« Fragend sah er Justus an.

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Doch dieser schüttelte den Kopf. »Niemals! Sterntaler ist ein altes Märchen, in dem die Sterne wie Goldstücke vom Himmel regnen. Sie fallen einem sehr armen Mädchen in den Schoß, welches das Geld dringend braucht.«

»Das Märchen kenne ich«, nickte Bob. »Aber eine Wolke in Drachenform, die über Rocky Beach Gold ausspuckt, das finde ich dann doch etwas sehr märchenhaft.«

Hinter den drei ??? kam Tante Mathilda wieder aus dem Haus. Sie warf sich ein Regencape über und lief mit großen Schritten auf den Haupteingang des Schrottplatzes zu. »Jungs, Mrs Cameron und ich werden alles genauestens untersuchen. Schade, dass Titus in Los Angeles auf Stöbertour ist. Das hätte er bestimmt auch gern gesehen. Sollte es wirklich Gold vom Himmel regnen, dürfen wir uns das keinesfalls entgehen lassen. Ich hätte auch nichts dagegen, das eine oder andere Goldstückchen einzustecken. Was vom Himmel fällt, gehört schließlich allen!« Strahlend eilte sie davon.

Justus sah Peter und Bob an. »Ich finde auch, dass hier alles ein wenig zu märchenhaft zugeht«, sagte er. »Aber da mehrere Leute dasselbe gesehen haben, müssen wir die Geschichte ernst nehmen.«

»Natürlich untersuchen wir das«, sagte Bob. »Ich will auch wissen, warum plötzlich Gold vom Himmel fällt. So etwas habe ich noch nie im Leben gesehen. Wenn es richtiges Gold ist …«

»Das ist niemals richtiges Gold!« Justus sah Bob empört an. »Hier muss es sich um einen Werbegag oder etwas Ähnliches handeln. Du glaubst doch nicht, dass ein Drache am Himmel erscheint und von einem Moment auf den anderen Gold ausspuckt?!«

»Na ja«, Bob sah in den Himmel, »wenn es mir jemand erzählt hätte, würde ich das nicht glauben. Aber was ich mit eigenen Augen gesehen habe, hat seine eigene Wahrheit.«