Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

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© 2018 Jan Hennemann

Illustration: Jan Hennemann

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783752857443

Inhaltsverzeichnis

Die Personen und die Handlung des Buchs sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Prolog

Seit wir nicht mehr bei der Volkspolizei beschäftigt sind, hatten wir uns immer wieder aus den Augen verloren. Fast 27 Jahre ist es bei mir jetzt schon her, dass ich einen neuen Lebensweg einschlagen musste.

Meinem damaligen Kollegen, Leutnant Bauer, erging es nicht viel anders. Inzwischen sind wir beide schon jenseits der 60 und schauen auf die Fragmente unserer letzten Verzahnung.

Am Vormittag des 11. Juli 2018 stehen wir gemeinsam auf dem Parkplatz des Gerichtsgebäudes in Zwickau. Bauer hat, genau wie ich, ganz schöne Furchen im Gesicht bekommen. Er sah jedoch mit seinen grauen Haaren besser aus denn je. Unweit von uns sind Polizei und Notarzt. Sie stehen vor einem Auto, dessen Tür weit geöffnet ist. Offensichtlich wollte der Halter des sündhaft teuren Sportwagens gerade einsteigen, konnte aber dem abrupt auf ihn zurasenden, schwarzen Geländewagen nicht mehr ausweichen und wurde mit einem dumpfen Schlag überfahren.

„Nichts zu machen, hier kommt jede Hilfe zu spät“, sagte der Notarzt, der neben dem Toten auf der Straße kniete und noch im selben Moment aufstand. Das Blut des Getöteten ergoss sich langsam, aber stetig im Umkreis von gut drei Metern auf den Boden. Erst bildeten sich kleine Bächlein, dann vereinten sie sich zu einer einzige Blutlache.

Zu den Augenzeugen gesellten sich viele Schaulustige, die mit ihren Handys Fotos vom Auto und der Leiche machten. Manche verrenkten sich nahezu, um ein Selfie von sich und des Toten zu ergattern.

Menschen, die nicht weit weg von uns standen, konnten wir ganz gut hören. Ringsum tuschelten sie, dass der Geländewagen mit quietschenden Reifen auf mindestens 60 km/h beschleunigt haben musste und dass dies keinesfalls ein Unfall gewesen sein kann.

Der Mann sei erst mit dem Kopf auf die Motorhaube geprallt, dann bremste der Fahrer, so dass der bereits Verletzte regungslos vor dem Auto zu liegen kam. Fast im selben Moment nahm er wieder Tempo auf und überfuhr ihn kaltblütig.

„Man konnte hören und sehen, wie seine Knochen unter der Last des Autos brachen“, berichtete einer der Augenzeugen mit zittriger Stimme einem Polizisten, der kurz nach uns eingetroffen war und direkt vor uns stand.

Bei der Vorstellung wie er überfahren wurde und dem Anblick der Leiche wurde mir unwohl. Nicht etwa, weil ich zum ersten Mal mit dem Tod konfrontiert wurde - nein, Leichen hatten wir schon mehr als genug gesehen - sondern viel mehr kam das Gefühl einer mittelbaren Schuld beim Betrachten dieses Ortes auf.

Zu Bauer flüsterte ich ratlos „Warum?“. Konfus schaute mich Bauer an, konnte oder wollte aber nichts sagen.

Der Tag, der alles änderte

Donnerstag, 6. April 1989, kurz vor 7 Uhr. Die Sonne bot eben noch ein blutrotes Himmelsschauspiel. Es versprach ein wunderschöner Morgen zu werden, ganz im Gegenteil zu den letzten Tagen dieses Monats. Mit meinem grauen Trabant fuhr ich zur Dienststelle der Volkspolizei in Werdau um meiner Arbeit als Kriminalpolizist nachzugehen. Gerade angekommen, brachte mir Frau Matthes einen Kaffee und die allmorgendliche Zeitung in mein Dienstzimmer.

Frau Matthes ist mit ihrem kurzen lockigen Haaren und der dünnen Hornbrille die gute Seele unserer Dienststelle. Sie ist schon etwas älter und hat den Krieg noch miterlebt. Die Frau kennt alle Vorschriften und Ablageorte, von ihren Erfahrungen profitiert unser gesamtes Kollektiv.

Mein Blick schweifte noch kurz aus dem Fenster. Mit einem kleinen Seufzer nippte ich an meinem Kaffee. Im Spiegelbild des Fensters sah ich mich, Mitte 30, die ersten grauen Haare sind schon zu entdecken und meine Geheimratsecken werden auch immer größer.

Ich zog den Stuhl vom Schreibtisch meines gut 12 m2 großen Zimmers zurück und setzte mich.

Wie in fast jedem Dienstzimmer stand dieser unter dem obligatorischen Bild des Vorsitzenden des Staatsrats und Generalsekretärs des ZK der SED, des Genossen Erich Honecker.

Es stand nicht viel Interessantes in der Zeitung, weswegen ich sie auch bald wieder zur Seite legte. Gerade wollte ich noch einen Schluck zu mir nehmen, als das graue Telefon auf der rechten Seite meines Schreibtischs schrill klingelte. Zweimal ließ ich es klingeln, dann nahm ich den Hörer ab. Frau Matthes stellte mir mit den Worten: „Es ist wichtig, Genosse Baumann“, einen Teilnehmer durch.

„Kommissar Baumann, am Apparat“.

Am anderen Ende der Telefonverbindung stellte sich Reichsbahnsekretär Engel vom Hauptbahnhof Werdau vor und fuhr ohne Umschweife fort.

„Genosse Baumann, hier hat sich eine Frau vor den Zug geworfen“.

Kurz war es still, nur ein leises Knacken war in der Leitung zu hören.

„Lebt sie noch?“

„Nein, ich kann’s mir jedenfalls nicht vorstellen.

Die hat es schwer erwischt, viel ist nicht übrig. Wurde von `ner E94 mitgenommen“.

Mir kamen sofort Bilder von vor ein paar Monaten, als sich in der Stadt ein Mann mittleren Alters vom Dach eines Wohnhauses stürzte in den Sinn. Er wartete erst bis sich genug Schaulustige versammelt hatten, um sich dann lauthals mit wirren Parolen hinunterzustürzen. Das sahen auch viele Kinder und ich hoffte, dass auf dem Bahnhof weniger Schaulustige anwesend sein werden. Mit den Bildern dieses Unglücks im Kopf, beendete ich das Telefonat.

„Gut! Verstanden. Sind auf dem Weg“.

Mit einer Rundumleuchte, die bei Bedarf auf das Dach unseres Dienstfahrzeugs vom Typ Lada gestellt werden kann und eingeschaltetem Licht, hetzten mein Kollege, Genosse Leutnant Bauer und ich die Straßen entlang.

Die Reifen quietschten während wir als Linksabbieger über eine Kreuzung jagten. Das Auto ächzte in jeder weiteren Kurve. So fahrend, brauchten wir keine 5 Minuten um die 3,5 Kilometer zurückzulegen, die es bis zum Bahnhof sind.

Ich parkte den Wagen vor dem Haupteingang des Bahnhofgebäudes.

Wissend, dass es noch einen Bahnsteig 1 für eine Zugverbindung gibt, die durch den Wald nach Langenbernsdorf–Trünzig führt, auf der so früh am Morgen aber noch keine Züge fahren, eilte ich wie selbstverständlich durch die Unterführung im Gebäude in Richtung Bahnsteig 2 und 3.

Als es die Treppe nach oben ging und man mit jedem Schritt mehr und mehr vom Bahnsteig einsehen konnte, wurden meine Bedenken, dass ausgerechnet wieder Kinder diesen schrecklichen Anblick mit ansehen mussten, bestätigt.

Lange suchen musste ich nicht bis ich den Ort des Geschehens ausfindig machen konnte.

Irritierte Blicke, Menschen, die mit der Hand vor dem Mund ihr Entsetzen zum Ausdruck brachten, standen in einem Halbkreis gute 60 Meter hinter dem Ende des Bahnsteigs. Ein Jugendlicher, ein Kind fast noch, allem Anschein nach ca. 11–14 Jahre alt, stützte sich an einer Laterne ab und übergab sich.

Auf dem groben Schotterbett der Gleise lag leblos eine Frau.

Sie musste, nach Händen, Gesicht und der Frisur zu urteilen, ca. 28–35 Jahre alt sein.

Reichsbahnsekretär Engel hatte Recht, zwar hatte er sich unbedacht ausgedrückt, aber er hatte Recht. Der Körper der Frau sah wirklich schlimm zugerichtet aus.

Sie lag seitlich zwischen den Schienen und hatte offenbar ein gepflegtes Äußeres, was sich selbst vom noch ausströmenden und auf dem Kleid verteilenden Blut nicht trüben ließ. Das Kleid war ein pastellblaues, mit Blümchenmuster versehenes Kleidungsstück, welches sie mit einer dunklen, gemusterten Strickjacke wohl stimmig kombiniert hatte.

Aus ihrem Mund floss noch Blut und es bildete sich ein kleines Rinnsal. Unterhalb der Brust fehlten ungefähr 30 cm des Körpers. Wie anhand der Verletzungen zu schlussfolgern war, wurde die Frau wohl rechts von der Lok erfasst und hatte vielleicht noch versucht sich festzuhalten. Das würde das Schmierfett an der rechten Hand, welches eventuell vom Puffer der Lok stammte, erklären. Sie musste ein oder mehrere Male gedreht worden sein und geriet dann zwischen Schiene und Räder der tonnenschweren Güterzuglokomotive. Neben mir fand sich Reichsbahnsekretär Engel ein.

„Kommissar Baumann?“

„Ja.“

„Wir haben telefoniert. Bevor ich Sie anrief, habe ich die SMH verständigt.

Die jungen Dinger eben - das ging bestimmt nicht schnell, die Lok is ja nur mit 20 km/h gefahren“, fügte er noch hinzu.

Die Augen der Frau auf dem Gleis waren weit geöffnet, so als hätte sie sich erschrocken.

Mein Kollege Bauer war schneeweiß im Gesicht und man merkte, dass es ihm sehr nahe ging. Mit erhobener Stimme bat er alsbald die immer größer werdende Menschenmenge um Zurückhaltung. Zunächst ging sein Ruf im heulenden Getöse der Sirene des Notarztwagens und des einfahrenden Zuges auf dem Nachbargleis unter. Nur mühsam verschaffte er sich Autorität, griff aber bestimmt durch, indem er wieder und wieder betonte: „Es gibt hier nichts zu sehen, nehmen Sie Rücksicht!“.

Der herbeieilende Notarzt und sein Assistent durchquerten die nur widerwillig zur Seite weichende Menschenmenge. Am Ort des Geschehens angekommen knieten sie sich neben die junge Frau. Sie untersuchten die Frau, ohne auch nur ein Wort zu sagen, konnten aber schon kurze Zeit später nur noch den Tod feststellen. Das hatte ich zwar bereits geahnt, doch glaubte ich erst daran, wenn es sozusagen von Amtswegen bestätigt wird. Der Arzt legte langsam und vorsichtig seine Hand auf die Stirn der toten Frau und schloss pietätvoll, als wolle er die Frau erlösen, ihre Augen. Endlich ist sie nicht mehr erschrocken, dachte ich bei diesem Vorgang.

In der Zwischenzeit, es waren etwa 8–12 Minuten vergangen, traf die Schutzpolizei ein. Zwei Genossen begannen sofort den Bereich des Geschehens abzusperren und brachten die Menschen auf Abstand. Trotzdem war noch immer ein aufgebrachtes Spekulieren zu hören. Die ebenfalls eingetroffenen Kollegen der Spurensicherung ließen sich davon nicht stören und verrichteten ihre Arbeit. Weitere zwei Kollegen der Schutzpolizei nahmen die Personalien der anwesenden Bürger auf und befragten sie nach dem Hergang.

Jemand hat es gesehen

Da kein Zug mehr weder ein- noch ausfuhr, wollten einige Bürger den Bahnsteig verlassen. Sie wurden aber am Ausgang in Empfang genommen, denn rings um das Gelände postierten sich ebenfalls Genossen der Schutzpolizei, so dass jeder Weg nach draußen hermetisch abgeriegelt wurde.

Ein älterer Mann, mit grauem Haar und eingefallenen Gesicht wollte sich der Maßnahme entziehen, indem er versuchte, sich auf der Toilette des Bahnhofgebäudes zu verstecken. Da das nicht ungesehen blieb, wurde er sehr schnell aufgespürt und gefragt, weswegen er seine Personalien nicht aufnehmen lassen wolle. Es stellte sich dann aber bald heraus, dass er eigentlich hätte bereits auf Arbeit sein müssen und es ihm unangenehm sei, „mit einer Fahne“, wie er sich selber ausdrückte, aufgegriffen worden zu sein.

„Hat jemand den Unfall gesehen?“ fragte ich in die Menschenmenge und wandte meinen Blick von der toten Frau, in Richtung der anwesenden Bürger, ab. In dem Moment, als ich meinen Fokus auf einen jungen Mann gerichtet war, meldete sich eine ältere Dame ganz leise und mit deutlich geschockter Stimme.

„Iihja hier. … Ich habe alles mit angesehen“, sagte sie zögerlich.

Erneut murmelte sie, aber noch zaghafter:

„Ich habe alles gesehen. …“

In ihren Augen standen Tränen und ihr Gesicht war kalkweiß. Ihre Ergriffenheit war ansteckend und sie zitterte am ganzen Körper.

„Kommen Sie bitte zu mir.“

Die Floskel „Beruhigen Sie sich bitte“ zu ihr zu sagen, sparte ich mir.

„Bitte lassen Sie uns gemeinsam in den Warteraum gehen, da sind wir unter uns, wenn Sie damit einverstanden sind?“

„Ja, sehr gerne“, erwiderte die Dame.

„Da werden wir ungestört reden können“, fügte ich mit ruhiger Stimme an.

Gut 150 Meter gingen wir dann gemeinsam, um in den Warteraum für die Reisenden zu gelangen. Etwa auf halber Strecke sprach ich einen Schutzpolizisten an, er solle sich bitte vor den Warteraum postieren und aufpassen, dass wir nicht gestört werden.

Im Warteraum angekommen, vergewisserte ich mich, dass wir alleine waren und bat die Dame sich zu setzen.

„Ich bin Hauptmann Baumann, Kriminalpolizei. Können Sie sich ausweisen Frau …“

„… Roit, Elisabet Roit“, gab sie ohne zu zögern an und kramte währenddessen in einer kleinen braunen Umhängetasche.

„Hier ist auch mein Personalausweis, bitte schön Herr Genosse Hauptmann.“

„Danke, ich nehme an, sie wollten den Zug nach Zwickau nehmen?“

Die Frau blickte mir in die Augen und bejahte lautlos meine Frage.

„Sagen Sie bitte, kannten Sie denn die junge Frau?“ fragte ich und beobachtete ihren Gesichtsausdruck.

„Nein, sie ist, also, sie war mir nicht bekannt.“

„Können Sie sich erinnern, wo Sie standen als es passierte?“

„Vorne am Bahnsteig, gleich hinter dem Aufgang. Ich warte immer ganz vorne, da muss ich nicht soweit laufen, wissen Sie, die Knie. Ich kann nicht mehr so wie vor 30 Jahren.“

„Verstehe ich gut“ und nickte verständnisvoll.

„Frau Roit, das wird jetzt sicher nicht leicht für Sie, aber können Sie mir bitte so gut wie möglich beschreiben was Sie gesehen haben? Und lassen Sie bitte nichts aus, die kleinste Kleinigkeit kann von Bedeutung sein.“

Nur ganz zögerlich fing sie an zu reden.

„Gegenüber stand der Leipziger, gerammelte voll, ja und von weiter weg kam die Lok. Da dachte ich erst, das ist mein Zug, sah dann aber, dass keine Waggons dran waren. Ziemlich langsam war sie auch, es hat gedauert bis die Lok an mir vorbei war.

Und dann, ganz plötzlich, wie aus dem Nichts rannte die junge Frau auf die Gleise vor die Lok.“

„Was meinen Sie mit: ‚Wie aus dem Nichts‘?“.

„Sie muss zwischen der Mitropa und dem Aufenthaltsraum gestanden haben. Ich habe sie erst gesehen als sie genau vor die Lokomotive rannte. Es war so schrecklich, Herr Genosse.“

„Gut, Frau Roit. Sie haben also die Frau erst gesehen als sie zwischen den beiden Gebäuden hervorkam?“

„Ja, es war ungefähr noch etwas weiter weg, ungefähr eine Loklänge, als ich die Rücklichter sah, rannte die Frau los. Sie hat mich noch angeschaut, dann schaute die junge Frau nach vorn auf die Lok. Es ging alles so schnell.“

Frau Roit fing schluchzend an zu weinen.

„Weitere Menschen haben Sie nicht gesehen? War denn niemand in der Nähe?“

„Die standen alle ganz hinten auf dem Bahnsteig und ein paar standen hinter mir und in der Unterführung hörte ich schon weitere Reisende, aber neben der Frau, da habe ich niemanden gesehen.“ antwortete sie ganz aufgelöst.

„Sie haben mir sehr geholfen, Frau Roit! Möchten Sie nach Hause gefahren werden?“, fragte ich sie gerade, als es an der Tür klopfte.

„Einen Moment! - Bitte warten Sie hier, ein Kollege wird sich um Sie kümmern“.

Tröstend gab ich ihr meine Hand und stand ich auf um die Tür zu öffnen. Der Schupo, Wachtmeister Dost meldete mir, dass die Kollegen der Spurensicherung die Identität der Frau zweifelsfrei geklärt hatten.

„Es handelt sich bei der toten Person um Annemarie Elsner, geboren am 13. Februar 1959, gemeldet in Zwickau und Krankenschwester. Sie wollte sicher nach Hause fahren.“

„Sind Familienangehörige da?“

„Nein, wir haben ihre Umhängetasche gefunden“, antwortete Genosse Dost. Ich ertappte mich in diesem Augenblick dabei nicht umsichtig genug gewesen zu sein, denn da wo und wie eine Umhängetasche getragen wird, schaue ich nicht gezielt hin. Sie hätte an der Stelle sein müssen, an der die Frau vom Radreifen der Lok überrollt wurden war.

„So? Wo wurde denn die Tasche gefunden?“, fragte ich Wachtmeister Dost, während wir zurück an den Ort des Geschehens liefen.

„Sie lag auf dem Gleis etwa in Höhe der Mitropa.“

Mittlerweile mussten seit dem Unglück ca. 25 Minuten vergangen sein. Die Leiche der Frau wurde gerade von zwei Männern auf eine Bahre gelegt.

„Sie wird im Gerichtsmedizinnischen Institut in Zwickau untersucht?“, vergewisserte ich mich fragend, um sicher zu gehen und um den Vorgang zu beschleunigen.

„Es wurde bereits alles in die Wege geleitet.“

Beruhigt, ob der Tatsache, dass es auf Fragen wie: „Hat sie unter Einfluss von Alkohol gehandelt“, oder „gibt es Spuren von Gewalt“, bald Antworten geben wird, lief ich den Bahnsteig entlang. Vom Platz aus, an dem die Frau lag, bis zu dem Punkt, an dem sie gestanden haben soll, waren es ungefähr 40 Meter. Entlang des Gleises haben die Kollegen der Spurensicherung alle Asservate mit Nummern gekennzeichnet. Es waren einige herausgerissene Fetzen ihres Kleides, das Glas ihrer Armbanduhr und eine Halskette. Als ich an der Mitropa angekommen war, traf ich meinen Kollegen, Genosse Bauer wieder.

„Hier muss die Frau gestanden haben, dann rannte sie zwischen den beiden Gebäuden hervor auf das Gleis. Dabei hat sie ihre Umhängetasche verloren.“ sagte Genosse Bauer mit nachdenklicher Stimme. Bei der Tasche handelt es sich um eine kleine ca. 30cm x 15cm große Umhängetasche mit einem schmalen Riemchen und dünnen Ösen, sehr filigran gearbeitet.

„Mich stört dieses Riemchen an der Tasche, hätte es nicht reißen müssen?“

fragte ich Genosse Bauer und gab gleich selber Antwort.

„Oder sie hatte die Tasche in der Hand als es passierte und ließ sie dann fallen.“

Eine Weile war es ruhig, bis ich fortfuhr.

„Wir müssen ihre Angehörigen benachrichtigen“. Genosse Bauer hatte sich alle relevanten Informationen aus der Tasche der Frau bereits notiert.

„Wissen Sie was seltsam ist?“, fragte ich Genosse Bauer auf dem Weg zurück zum Auto.

„Das die Tasche unversehrt blieb und genau dort lag, wo die Frau von der Lok erfasst wurde?“

„Genau! Hätte sie die Tasche in der Hand gehabt, müsste sie doch wenigstens ein bis zwei Meter weiter weg gelegen haben, oder? Hätte sie die Tasche über der Schulter getragen, müsste dann nicht der dünne Träger aus der Öse gerissen sein?“

„Also kein Suizid?“

„Sicher bin ich mir nicht, aber wenn da mehr dahinter steckt, dann sollten wir uns das auf keinen Fall anmerken lassen.“

Der Ehemann