Roman
Ins Deutsche übertragen
von Beate Bauer
Titel
Prolog
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Epilog
Impressum
Roman
Ins Deutsche übertragen
von Beate Bauer
Prolog
England im Jahre 1562
Elizabeth lachte schallend, und der Klang hallte, obwohl sie offensichtlich ganz außer Atem war, bis zu der riesigen gewölbten Decke des Ballsaals empor. Sie presste eine Hand in die Seite, genau dahin, wo das Korsett ihre Lunge zusammenzupressen schien. Trotzdem bemerkten nur ihre engsten Vertrauten diese verräterische Geste. Für jeden anderen bei Hofe gab Königin Bess einfach eine bemerkenswert elegante Figur ab, wenn sie tanzte.
Ihr Partner war gnadenlos und hielt ihre Finger fest umklammert, während er sie ein ums andere Mal im Kreis drehte. Es gab nur wenige an Königin Elizabeths Hof, die die Leidenschaft der Monarchin für das Tanzen teilten und die dabei mithalten konnten. Anscheinend war der rumänische Prinz, der Bess führte, sehr wohl dazu in der Lage, mitzuhalten und sie sogar an ihre Grenzen zu bringen.
Robert Dudley beobachtete das Schauspiel mit dunklen, gierigen Augen und mit einem heftigen Zucken seines Kiefers. Lord Cecil Burghley konnte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, den vernachlässigten Liebling der Königin zu verspotten. „Sieht so aus, mein lieber Dudley, als wäre unsere gute Bess recht angetan von Prinz Damien. Ich habe noch nie erlebt, dass sie sich mit einem hohen Besuch so schnell angefreundet hat.“
Dudley antwortete nicht sofort. Er hatte mit ansehen müssen, wie Bewerber aus verschiedenen Ländern gekommen waren und seiner Bess den Hof gemacht hatten, und dieser rumänische Prinz würde, falls er dies vorhatte, genauso wenig Erfolg damit haben, um die Hand der launenhaften Königin von England anzuhalten.
Ihr Herz gehört mir, dachte er grimmig.
Egal, wie viele attraktive Würdenträger Cecil als mögliche Heiratskandidaten aufmarschieren lassen würde, Bess würde ihre Liebe niemals verraten … und seine auch nicht.
Damien drehte Elizabeth ein letztes Mal im Kreis und funkelte sie mit seinen atemberaubenden mitternachtsblauen Augen übermütig an.
„Ihr übertrefft mich heute Abend!“, erklärte die englische Königin atemlos, während sie seinen dargebotenen Arm nahm und sich zu ihrem Thron geleiten ließ. Sie setzte sich mit nicht gerade damenhafter Haltung und kickte mit den Füßen ihre ausladenden Röcke hoch, nachdem sie einem Händepaar ein dargebotenes Glas Wein entrissen hatte. „Mein Herr, Ihr müsst mir verraten, wie Ihr unsere neuesten Tänze mit solchem Geschick und mit solcher Ausdauer tanzen gelernt habt!“
Der Prinz schenkte ihr ein verführerisches Lächeln und strich sich über den exakt gestutzten Bart, so als würde er eingehend darüber nachdenken.
„Wahrscheinlich, weil mir zugetragen wurde, dass Tanzen der einzige Weg ist, die Aufmerksamkeit der englischen Herrscherin zu gewinnen.“ Er seufzte dramatisch. „Und jetzt sind meine Tricksereien aufgeflogen, und Ihr werdet mich gewiss fortschicken, damit ich nie wieder einen Fuß auf den Boden Eurer wunderschönen Heimat setze.“
„Das kommt darauf an“, erwiderte sie listig, „aus welchem Grund jemand Unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen sucht.“
„Ich könnte irgendetwas vorschützen, wenn Ihr es wünscht. Ansonsten muss ich gestehen, dass reine Neugier mich getrieben hat.“
Elizabeth warf den Kopf zurück und lachte. Sein Charme und sein unverblümter Humor waren in den wachsamen Augen der englischen Hofgesellschaft ein Skandal, doch das schien Prinz Damien nicht im Geringsten zu kümmern. Elizabeth gefiel das. Sie war gleich angetan gewesen von Damien, als er vor vier Tagen zum ersten Mal vorgesprochen hatte. Er hatte es mit der respektlosen Bemerkung getan, dass er nicht gekommen sei, um ihr den Hof zu machen oder sie zu umwerben, und dass von ihm auch kein Heiratsantrag zu erwarten sei, da er wisse, dass sie viel zu gut für ihn war und dass sie ohne ihn besser dran sei.
Es war eine unverschämte Art gewesen, das Eis zu brechen, indem er der belustigten Monarchin rasch versicherte, dass ihr Gast einzig und allein da war, um sich zu amüsieren, und nicht, um mit den zahlreichen anderen Gästen fremder Fürstentümer um sie zu buhlen. Seitdem waren sie dicke Freunde. Elizabeth sah in Damien eine ebenbürtige Person, einen möglichen Vertrauten, der ihre einzigartige Stellung im Weltgeschehen verstand.
„Kommt, begleitet Uns ein Stück, Damien“, sagte sie und erhob sich, jetzt, da sie zu Atem gekommen war, und nahm wieder seinen dargebotenen Arm.
Elizabeth führte Damien zu den Gemächern des großen Londoner Palastes. Natürlich gefolgt von der kleinen Gruppe Frauen, die Elizabeth als Hofdamen dienten, doch beide Herrscher beachteten ihre Anwesenheit nicht.
„Scherz und Charme beiseite, Damien“, sagte sie beiläufig, „was ist der eigentliche Zweck Eurer Anwesenheit?“
„Es gibt keinen. Ich bin nur auf Reisen, um mir die Welt anzuschauen.“
„Und was ist mit Eurem Volk? Mit Eurer Heimat? Brauchen Eure Untertanen ihren Prinzen nicht?“
„Natürlich“, antwortete er leichthin. „Doch mein Reich ist nicht wie das Eure. Meine Kultur … nun, sie unterscheidet sich sehr von der Euren. Ich kann es mir erlauben, hin und wieder nicht da zu sein.“
„Da habt Ihr großes Glück“, bemerkte sie und versuchte, sich den Neid, den sie tatsächlich empfand, nicht anmerken zu lassen.
Damien, der sehr hochgewachsen war, blickte auf die Königin herunter, ein leichtes Lächeln im Mundwinkel. Er begab sich nicht allzu oft in solche Gesellschaft, aber manchmal hörte er interessante Dinge über das Geschehen in dieser Welt und fühlte sich dazu angeregt, sie selbst in Augenschein zu nehmen.
Die junge englische Königin gehörte dazu. Ihre Zukunft war vielversprechend und hielt einiges bereit, das selbst ihre eigenen Erwartungen übertreffen konnte. Es wäre eine Schande, diese Frau außer Acht zu lassen und sich nicht ein genaues Bild von ihr zu machen. Auch hatte er nicht gelogen, als er den Wunsch nach Vergnügungen geäußert hatte. Langeweile brach sich manchmal zu leicht Bahn. Dieses kleine Fleckchen Erde übte einen großen Reiz aus. Allein schon die finsteren politischen Machenschaften am englischen Hof hielten einen in Atem. Es gab so viele Intrigen und Verschwörungen, dass es einer ziemlichen geistigen Anstrengung bedurfte, um mitzuhalten.
Damien liebte gut inszenierte Intrigen, und es war stets ein großer Spaß, darüber zu spekulieren, wie sie ausgehen würden. Manchmal war es ein noch größerer Spaß, den Ausgang selbst zu beeinflussen.
„Nun, meine Dame, ich fürchte, ich muss Euch um Verzeihung bitten“, sagte er, und seine dunklen Augen und seine Lippen lächelten klug und übten eine große Anziehungskraft aus.
Elizabeth musste zugeben, dass der Mann ausgesprochen schön war. So wie man eine Frau als hübsch bezeichnen konnte, war er auf jeden Fall schön. Er war groß, bestimmt über einen Meter dreiundachtzig, hatte schwarze Haare und einen ebenmäßigen blassen Hautton, der weder Schminke noch Puder benötigte, um so durchscheinend zu wirken, wie es gerade Mode war. Weder Schnauzer noch Bart waren fettig, und er trug beides nicht lang oder zwirbelte die Enden, wie es üblich war. Stattdessen waren sie genauso sauber wie sein Haar, das er im Nacken mit einem blauen Band zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, das zu dem blauschwarzen Schimmer seiner Adern passte.
Welche Stellung er auch einnehmen mochte in seiner Welt, er war anscheinend kein Monarch, der faul auf seinem Thron saß. Sein Körper war gestählt wie bei einem Kämpfer, der ein mächtiges Schwert zu führen gewohnt war. Einen so kraftvollen Oberkörper bekam man nicht von Natur aus mit, und seine breiten Schultern konnten wohl das Gewicht der Welt tragen. Der Oberkörper lief zu den schmalen Hüften hin zusammen, nirgendwo war überflüssiges Fett, und er hatte lange, geschmeidige Beinmuskeln, die unter dem edlen Stoff seiner eng anliegenden Kniehosen gut zu erkennen waren. Das brachte selbst eine Königin dazu, sich in andächtiger Bewunderung über die Lippen zu lecken. Elizabeth lachte über sich selbst; zum Glück konnte der Mann neben ihr ihre Gedanken nicht lesen.
„Ich verbiete Euch zu gehen“, hörte sie sich selbst sagen, weil sie ungern auf die Gesellschaft des einzigen Mannes in England verzichten wollte, der nichts anderes von ihr erwartete als ihre unterhaltsame Gesellschaft. Es war ein ungeheurer Luxus, wie sie zugeben musste, doch sie war die Königin, und sie konnte jeden Luxus haben, den sie sich wünschte.
Unglücklicherweise war sie nicht seine Königin.
„Normalerweise, liebste Dame, würde ich es mir selbst nicht gestatten zu gehen. Allerdings muss ich heute Abend auf die Gesellschaft Eurer Majestät verzichten, um mich, wie es das Schicksal will, um Staatsangelegenheiten zu kümmern. Ich entschuldige mich untertänigst.“
„Nein, Damien, dazu besteht kein Anlass. Wir Staatslenker sind häufig eher die Sklaven unseres Volkes als dessen Anführer. Geht! Doch Ihr müsst mir versprechen, dass Ihr morgen Abend zurückkehren werdet. Wir haben eine unterhaltsame Darbietung geplant, die Euch sicher entzücken wird.“
„Gewiss. Euer Geschmack in diesen Dingen hat sich als unfehlbar erwiesen.“
Damien zog ihre beringte Hand an die Lippen und küsste die blasse Haut über dem rasch schlagenden Puls auf der Innenseite ihres Handgelenks. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging mit einem Lächeln auf den Lippen und mit einer leichten Verbeugung unter den bewundernden Blicken und den geflüsterten Worten der Hofdamen davon.
„Damien“, begrüßte ihn Dawn, als er das Schloss betrat, das sie ein gutes Stück außerhalb Londons als Schlupfwinkel bewohnten.
Wegen ihrer scharfen Sinne zogen Vampire es vor, außerhalb der Stadt zu leben. Die hygienischen Verhältnisse und die Abfallbeseitigung bei den Menschen waren miserabel. Die Straßen rochen wie Abwasserkanäle, die Themse stank unerträglich nach Fäulnis, und auch Unmengen von französischem Parfüm konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Menschen aus Aberglauben kein Bad mehr nahmen, wie es früher üblich war. Sie dachten tatsächlich, es würde sie krank machen, wo doch genau das Gegenteil der Fall war.
„Meine Süße“, erwiderte Damien den Gruß und gab ein sanftes Knurren von sich, als der junge weibliche Vampir mit dem feuerroten Haar sich an ihn schmiegte. Sie schnappte nach seinem Hals, und er lachte, als ihre Zunge ganz langsam über seine Schlagader leckte.
„Mmm“, schnurrte sie neckisch an seinem Ohr.
„Freches kleines Biest“, sagte er zu ihr, als er dem scherzhaft gemeinten Kratzen ihrer nadelspitzen Reißzähne auswich. Er packte sie bei den Schultern, drehte sie herum und schickte sie mit einem kräftigen Klaps auf den Po fort. „Ich habe noch etwas zu erledigen, bevor ich mich um deine Gelüste kümmern kann.“
Der freche Rotschopf blickte ihn über die Schulter hinweg an, während der Schlag sie davonstolpern ließ. Die Gier in ihren Augen zeigte, dass sie nicht sehr lange Ruhe geben würde. Wenn sie dieser Zuwendung unbedingt bedurfte, würde Dawn nicht zögern, sich einen anderen Freiwilligen zu suchen. Er hatte keine Macht über sie und sie nicht über ihn, abgesehen von ihrem Appetit aufeinander.
Damien zog seine Handschuhe aus und legte das Schwert an seiner Hüfte ab und den Dolch, der im Stiefel versteckt war.
Er übergab beides Racine, die wie immer bereitstand. Voller Zuneigung zog er an einer der langen Locken ihres staubfarbenen Haars, bevor er sie ihrer Aufgabe überließ, seine Sachen wegzuräumen.
Er ging durch das Foyer, den vorderen Aufenthaltsraum und in den Hauptsalon. Dort hatten es sich die Mitglieder des Hofes, die ihm nach England gefolgt waren, auf Sesseln bequem gemacht, die in einem behaglichen Kreis aufgestellt waren, der den ganzen Raum einnahm. Simone hatte Feuer gemacht. Sie war süchtig nach dieser besonderen Annehmlichkeit und rekelte sich direkt vor den Flammen in einem Sessel.
„Damien“, sagte sie, und ihre Stimme klang so gereizt, dass er wusste, sie würde sich gleich beklagen. „Es ist überaus öde hier. Wann reisen wir weiter?“
„Wir sind gerade erst angekommen, Liebling“, rief er ihr in Erinnerung.
„Na ja, es ist eben langweilig“, beschwerte sie sich und richtete sich auf. „Diese Leute … riechen übel. Und sie sind schrecklich öde. Können wir nicht zurück nach Byzanz?“
„Immer willst du zurück nach Byzanz“, erwiderte Lind trocken und hob seinen Blondschopf von Jessicas üppigen Brüsten, wo er ein wenig gedöst hatte.
Damien blendete für einen Moment das Wortgeplänkel und die Beschwerden aus und warf einen Blick auf die zehn Personen, die sich als seine engsten Freunde betrachteten. Elizabeth Tudors Hof zu verlassen und zu diesem Gelage von Männern und Frauen zurückzukehren, für die Kleidung nur eine Nebensache war, daran musste er sich jedes Mal erst wieder gewöhnen.
Anders als die Menschen dieses Jahrzehnts, die sich in ein Korsett zwängten und sich in Schichten überflüssiger Unterröcke hüllten, hatten die Vampire in seiner nächsten Umgebung so wenig wie möglich an. Ein paar Frauen trugen Kniehosen, ein paar Männer Kilts. Der Geschmack hätte anachronistischer nicht sein können. Obwohl solche Wesen wie er normalerweise aus seiner rumänischen Heimat stammten, war jeder hier in einem anderen Jahrhundert und an einem anderen Ort geboren worden, und Damien sammelte ihre Freundschaft wie andere vielleicht Jahrgangsweine. Ihre Art, sich zu kleiden, spiegelte die Epoche und die Kultur wider, in die sie hineingeboren worden waren, oder zeigte nur, worin sie sich am wohlsten fühlten.
Nicht, dass es Damien gestört hätte, wie seine Gefolgsleute aussahen. Es kümmerte ihn auch nicht, was sie taten, solange es nicht gegen die Gesetze verstieß und keiner dabei zu Tode kam. Trotzdem war es ein leichter Kulturschock, sich zwischen Menschenwelt und Vampirwelt zu bewegen.
Er ließ den Blick zu Jasmine wandern, die nicht so dalag, als wäre sie total gelangweilt. Stattdessen stand sie breitbeinig und in wachsamer Haltung da, sodass ihre Muskeln angespannt waren, was durch die eng anliegenden Kniehosen und die Stiefel noch betont wurde, und blickte aus dem Fenster. Er ging zu ihr, wobei er über ein paar ausgestreckte Beine steigen musste.
„Jas“, sagte er und stellte sich dicht hinter sie, sodass er an ihrem wallenden schwarzen Haar vorbei ihrem Blick folgen konnte. Er sog den Duft nach Aloe und Persimone von ihrem Shampoo ein.
„Mein Herr“, grüßte sie zurück und krauste die Nase, als sie ebenfalls seinen Duft einsog. „Du brauchst ein Bad“, bemerkte sie.
„Jetzt, wo wir doch heute Nacht noch auf die Jagd gehen?“, fragte er.
„Das stimmt“, erwiderte sie abwesend.
„Worauf haben wir es heute Nacht abgesehen, Jasmine?“
„Neben Faulenzen, Sinneslust und anderen Todsünden?“, fragte sie spöttisch mit einer Kopfbewegung in Richtung der anderen im Raum.
„Da schaust du jedenfalls in die falsche Richtung“, stichelte er. Er wusste nur zu gut, dass Jasmine ihre Langeweile nicht auf dieselbe Weise ausdrückte wie die anderen. Sie war eine Denkerin. Sie suchte immer tiefergehende Dinge als die unmittelbare Befriedigung. Genau wie ihr Bruder Horatio, von dem sie aufgezogen worden war. Er hatte die Einladung, sie nach England zu begleiten, ausgeschlagen. Damien war wirklich überrascht gewesen, dass Jasmine an seiner Stelle zugesagt hatte.
„Ich schaue in die Zukunft, Damien“, sagte sie sanft, und ihr Tonfall löste einen Schauder in ihm aus, während er ihrem Blick aus dem Fenster folgte. „Dabei wird mir klar, warum sich ein paar von uns jahrzehntelang dem Schlaf hingeben.“
„Warum, Jasmine?“, fragte er, obwohl er mit seinen ungefähr vierhundert Jahren lang genug gelebt hatte, um es zu wissen.
„Damit wir nicht verrückt werden, denke ich. Vor Langeweile oder weil das Gewirr der Völker, die sich auf dem Planeten tummeln, manchmal so kompliziert ist. Es laugt mich aus, und ich möchte sofort schlafen, wenn ich nur daran denke.“
„Puss, du bist erst vierundfünfzig. Ein richtiges Kind noch, ohne dich kränken zu wollen. Zu jung, um über das Bedürfnis nach Zerstreuung im hohen Alter nachzudenken, und erst recht zu jung, um dir über das Schicksal der Völker auf dem Planeten Sorgen zu machen.“ Er strich ihr das Haar zurück, küsste sie zärtlich auf ihre babyzarte Wange und fuhr mit dem Finger über ihr makelloses jugendliches Gesicht. Wie alle Vampire war sie nach der Geschlechtsreife mit Mitte zwanzig um keinen Tag gealtert. „Wenn es dich zufriedener macht, kann ich dir, glaube ich, ein gutes Unterhaltungsprogramm versprechen, falls du eins brauchen solltest. Du musst es nur sagen.“
„Dieser hässlichen sommersprossigen Frau dabei zuzuschauen, wie sie Männern und Mördern entkommt, ist nicht meine Vorstellung von guter Unterhaltung“, erwiderte sie ironisch.
„Aber mein Wahnsinn hat Methode, Süße.“
Damien lächelte und wandte sich zu den anderen um. Er räusperte sich und zog so ihre Aufmerksamkeit auf sich. Ein paar setzten sich sogar in gespannter Erwartung auf.
„Meine Zeit bei Hofe war ausgesprochen fruchtbar. In Frankreich gibt es so etwas wie einen religiösen Aufstand. Protestanten und Katholiken und der übliche Unfug.“
„Oh! Schicken Sie junge Männer?“, fragte Jessica aufgeregt.
„Ist es eine Armee oder nur ein Haufen Rebellen?“
„Ja. Was genau meinst du mit ‚so etwas wie‘, Damien“, wollte Lind beharrlich wissen.
„Sagen wir, es genügt, dass wir eine ganze Weile versorgt sind“, sagte er kichernd. „Wir brechen in einer Woche auf.“
Als Damien am folgenden Abend in den Palast kam, erfuhr er, dass die Königin erkrankt war und diesen Abend nicht Hof halten würde. Der Prinz war besorgt. London war selbst im Winter eine Brutstätte schrecklicher Plagen und heimtückischer Krankheiten. Elizabeth Tudor machte nicht gerade den Eindruck auf ihn, dass sie anfällig war oder sich wegen einer Krankheit ins Bett legte. Sie war ein lebhaftes und zähes Ding; genau das war der Grund, weshalb Damien so viel Spaß mit ihr hatte.
Der Prinz wollte sich selbst Zugang zu den Räumlichkeiten der Königin verschaffen, nachdem Robert Dudley allzu großes Vergnügen daran gefunden hatte, ihn abzuweisen. Damien hätte ihn leicht dazu bringen können, genau das Gegenteil zu tun, doch er war gelangweilt von Dudleys Machtspielchen.
Zielstrebig machte er sich auf den Weg in den Flügel, wo sich Elizabeths Gemächer befanden. Es gelang ihm, nah genug heranzukommen, um das besorgte Flüstern und die huschenden Schritte in den Räumen der Königin zu vernehmen und sich aus dem, was gesagt wurde, und aus den Gedanken ein umfassendes Bild von der Lage zu machen. Sobald er sicher wüsste, dass Elizabeths Krankheit nicht bedrohlich war und sie bald wieder wohlauf wäre, würde er gehen, seinen Hofstaat um sich versammeln und sich auf die Schlachtfelder in Frankreich begeben, wo zahlreiche Vergnügungen auf sie warteten.
Es dauerte nicht lange, bis er herausgefunden hatte, dass es Elizabeth überhaupt nicht gut ging. Es war sogar sehr wahrscheinlich, dass sie die Nacht nicht überleben würde.
Sie hatte sich mit den tödlichen Pocken angesteckt.
Diese verdammte Krankheit!, dachte Damien wütend.
Er löste sich von der Wand, an die er sich gelehnt hatte, und durchquerte eilig den Raum. Niemand hielt ihn auf, weil niemand überhaupt bemerkte, dass er da war. Er ging sofort in Bess’ Schlafzimmer, trat an ihr Bett und riss ungeduldig die Vorhänge auf. Sie war geschwächt und totenbleich … fast so, als wäre das nicht die Frau, die noch am Vorabend mit ihm gelacht, getanzt und geflirtet hatte.
Zwei Frauen hielten am Bett Wache, und Damien wandte sich ihnen zu. Er fasste jede kurz unterm Kinn und sah ihr so lange fest in die Augen, bis er ihre Gedanken und ihre Wahrnehmung genügend manipuliert hatte. Dann wandte er sich wieder zu Bess hin, kniete sich mit einem Bein auf ihr Bett und zog sie an seine Brust. Sie hing an ihm wie eine schlaffe Porzellanpuppe, während er die roten Locken zurückstrich, die ihren Hals bedeckten.
Dann legte er einen Moment lang den Kopf zurück, gebogene Reißzähne wuchsen mit einem kurzen, gefährlichen Gleißen aus seinem Mund, bevor er sie in die Kehle der jungen englischen Königin grub.
Der Vampirprinz spürte, wie ihr vom Fieber erhitztes Blut über seine Zunge rann. Er war vorher nicht auf der Jagd gewesen, weshalb er ein unwillkürliches Behagen empfand, als er seinen Hunger stillte, wie immer beim ersten Tropfen Blut.
Obwohl sie krank war und Fieber hatte, reagierte Elizabeth auf seinen Angriff. Sie stöhnte leise auf und griff blind nach seinem Arm, der fest um die Rippen unter ihrer Brust geschlungen war. Er konnte nicht so tun, als bemerkte er nicht, wie ihre Finger über die feinen Härchen an seinem Arm strichen und wie ihr Körper sich an seiner Brust und an seinen Schenkeln wand. Das steigerte den Genuss seiner Mahlzeit, so wie der Akt des Saugens stets instinktiv die Sinnlichkeit des Opfers weckte. Das Einzige, was ihm den Genuss noch mehr hätte versüßen können, wäre Furcht gewesen oder Zorn, etwas, was den Menschen mit Adrenalin vollgepumpt hätte, kurz bevor die Haut durchbohrt wurde.
Sie war bereits geschwächt, daher hielt er sich zurück. Doch er ließ seinen Mund auf der Wunde, die er ihr zugefügt hatte. Ihre Halsschlagader pochte heftig gegen seine Zunge und schwemmte die Wirkstoffe seines zweiten Bisses in ihre Kehle, während seine Reißzähne ihr die Gerinnungssubstanz einflößten, so wie das Gift einer Schlange durch deren Fangzähne in den Körper gespritzt wird.
Doch anders als Gift würde dies Elizabeth nicht im Geringsten schaden.
Nein. In dem Gerinnungsmittel, das die Blutung schnell zum Stillstand bringen würde, sobald er sich von ihrem Hals löste, befanden sich die Antikörper, die sie brauchen würde, um den Eindringling zu bekämpfen, der ihr Leben bedrohte.
Es gab nur wenige Vampire, die so alt oder so robust waren, dass sie eine Ansteckung mit einer so schweren Krankheit wie den Pocken überstehen konnten. Doch solche Wesen wie Damien, der stark genug war, hatten die Fähigkeit, den Erreger zu erkennen und auszumachen, indem sie ihn aus den befallenen Zellen herauslösten und eine eigene chemische Substanz dort einschleusten, um die notwendigen Antikörper herzustellen. Es war kein einfacher Trick, und Vampire, die der Aufgabe nicht gewachsen waren, konnten sich selbst mit der Krankheit anstecken. Zum Glück konnten sie das bei ihrem Opfer spüren, noch bevor sie bei ihm waren.
Die Belohnung für das Risiko bei dieser Umwandlung von Krankheit in Heilungsprozess war, dass die Antikörper eine Art Krankheitsgedächtnis entwickelten und sich mit Hunderten anderen zusammentaten und dem Gerinnungsmittel zugesetzt wurden, das dem Opfer am Ende der Nahrungsaufnahme eingespritzt wurde. Damien hatte schon einmal einen Pockenkranken als Beute gehabt, was es seinem Körper ermöglicht hatte, die Antikörper herzustellen, die Elizabeth jetzt helfen würden. Er hatte ihr zuliebe seinen Hunger nicht ganz gestillt. Das war eine kleine Dreingabe.
Er hatte ihr Blut gesaugt, um sie gesund zu machen.
Damien löste sich von der Königin und bettete sie sanft auf einen Berg von Federkissen. Er entdeckte einen Blutspritzer an seinem Daumen und hielt kurz inne, um ihn abzulecken.
Sein Biss war keine Wunderkur. Es war nur ein Hilfsmittel, das ihrem Immunsystem half, sich schneller wieder aufzubauen. Elizabeth war stark, und sie war eine Kämpferin. Diese zwei Eigenschaften würden ihr helfen, sich zu erholen. Es würde nur eine Weile dauern.
Damien würde inzwischen nach Frankreich reisen, mit seinen Leuten auf den Schlachtfeldern schlemmen und dann wieder zurückkehren, um sie hoffentlich lebendig und gesund und erfreut über das Wiedersehen mit ihm vorzufinden.