Joseph von Görres

Hinter
der Welt
ist Magie

Herausgegeben
von
Helmut Werner

INHALT

Vorwort

von Helmut Werner

HIMMLISCHE MAGIE

Die Pauluslegende

Die Heiligen und die Tiere

Die Geschichte der Perpetua

Andreas von Sali in Byzanz

Die Wunder des heiligen Bernhard

Die Weissagungen der Hildegardis

Der Blinde

Die Nachtigall

Columba von Rieti und Alexander VI.

Johannes von Gott

Philippo Neri

Das Dreikönigsfest

Katharina von Bologna

Gesang von oben

Das beschmutzte Gesicht

Die Unsichtbaren

Ferngesicht

Wunder der Weissagung

Sprachschöpferische Ekstase

Künstler und Mystiker:

Maler

 

Musiker

 

Dichter

Der Volksprediger

Die Gabe der Heilung

Der Wundergarten

Der Vogelheilige

Der »spanische Zauberer«

Das unschädliche Feuer

Der Engel der Franziska

Die Stigmatisation des Franz von Assisi

Maria von Mörl

Ekstatisches Schweben

Der fliegende Heilige

DÄMONISCHE MAGIE

Der Zauberer Heliodorus

Maria Goffe von Rochester

Doppelexistenz

Der Spuk von Münchhof

Der Trommler von Tedworth

Der Kobold in der Druckerei

Der Spuk von Woodstock

Danteske Vision

Die Zukunft im Kristall

Der ägyptische Magier

Tassos Genius

Perroneta

Der Besessene von Valumbrosa

Der verhaßte Ehemann

Der zauberkundige Schmied

Der Zankteufel

Der Armenier

Satans Masken

Fata morgana

Das Zauberland Labourt

Die drei Brüder

Der Aufruhr in den Cevennen

Das Bacchanal

Der gestohlene Becher

Der Zauberer Goffredy

Die Zauberhaare

Der Marschall de Laval

Der Werwolf

Jakob von Schottland und die Wettermacher

Die Tragödie Urban Grandiers

Benutzte Literatur und Auswahlbibliographie

VORWORT

Im Jahre 1836 erschien der erste Band der 3000 Seiten umfangreichen »Christlichen Mystik« von Joseph Görres (1776-1848); 1842 der vierte und letzte. Bis heute hat die Görresforschung zu diesem »hieratischen Block« mit seinen über 1500 Zitaten aus anderen Werken keinen rechten Zugang gefunden. Wie die Bibliographie zeigt, gibt es einige mehr oder weniger ausführliche Charakteristiken und Gesamturteile, die auch den nur einigermaßen mit der ganzen »Christlichen Mystik« vertrauten Leser nicht davon überzeugen können, daß die betreffenden Verfasser dieses Werk sehr genau kennen. Dies muß um so mehr Erstaunen hervorrufen, weil die Analyse der »Christlichen Mystik« durch den Umstand, daß sie keine Vorläufer und Nachfolger hat, erleichtert wird. Das Verständnis liegt ausschließlich in ihr selbst begründet. Am Vorabend von Görres 200. Geburtstag im Jahre 1976 hat Gerd Klaus Kaltenbrunner die Frage gestellt: »Wer kennt den Mystiker Görres, von dessen Christlicher Mystik< Ludwig Klages einst gesagt hat, daß ihr aus dem ganzen katholischen Schrifttum an Großartigkeit und Tiefe allenfalls nur noch die Dichtung Dantes an die Seite zu stellen wäre?«

Da die Entstehungsgeschichte dieses umfangreichen Werkes das Verständnis selbst nicht fördert und nur für die Biographie von J. Görres von Interesse ist, so will ich mich mit einigen Hinweisen bei der Beschreibung der Gliederung und des Aufbaus begnügen.

Die vier Bände der »Christlichen Mystik« gliedern sich in neun Büchern. Das erste Buch, mit dessen Niederschrift Görres 1836 begonnen hat, behandelt die »natürlichen Unterlagen der Mystik«. Der Autor bietet hier eine Art religiöse Anthropologie, eine typische Mischung von naturphilosophischer Psychologie und Physiologie, die mit einer mystischen Allegorie des Kreuzes verbunden ist. Aufgrund seines vorwiegend medizinischen Inhaltes verhält es sich neutral zur eigentlichen Mystik, die mit dem zweiten Buch beginnt. Die Bücher 2 bis 9 zerfallen in zwei große Abteilungen, deren erste - die Bücher 2 bis 5 - die christliche Mystik, und deren zweite - die Bücher 6 bis 9 - die dämonische Mystik behandeln. Die zweite Abteilung ist mehr als doppelt so groß wie die erste. Doch dieses gewaltige Werk ist unvollendet geblieben, denn Görres plante noch mehrere Bände, die sich mit der »höchsten und einigenden Mystik« beschäftigen. Nach diesem Plan wäre die christliche Mystik durch die dämonische unterbrochen worden. Diesem Aufbau der »Christlichen Mystik« - christliche und dämonische - liegt das Schema der menschlichen Persönlichkeit: Leib, Seele und Geist zugrunde.

Noch im Erscheinungsjahr des ersten Bandes veröffentlichte er den zweiten. Im folgenden Jahr hinderte ihn die Tagespolitik - Kölner kirchenpolitische Wirren -, an der er sich mit großer Leidenschaft und Anteilnahme beteiligte, an der Fertigstellung der restlichen Bände. Der dritte Band konnte deshalb erst 1840 erscheinen. Der vierte Band, ein Doppelband über Zauberei und Besessenheit, wurde 1842 veröffentlicht, nachdem sich Görres von seiner Universitätstätigkeit beurlauben ließ und zusammen mit seinem Sohn sich einem eingehenden Quellenstudium in italienischen Bibliotheken widmete. Aus Äußerungen des alternden Görres weiß man, daß ihm Zeit und Energie für den Abschluß dieses Riesenwerkes fehlten.

Den Inhalt des zweiten Buches bildet »der religiöse und kirchliche Grund der Mystik«. Dieses Buch enthält eine historische Betrachtung über die Entwicklung der Mystik bis ins hohe Mittelalter hinein. Im dritten Buch, mit dem der erste Band abgeschlossen wird, beginnt die eigentliche Theorie der Mystik. Zunächst erwähnt er die besondere göttliche Berufung der Männer und Frauen und erörtert dann die reinigende Askese im unteren, mittleren und höheren Menschen, den er gemäß der anthropologischen Dreiheit: Leib, Seele und Geist formt. Auch bei dieser Vorstufe der Mystik führt Görres zahlreiche Berichte über die »höchst wunderbare, mystische Einigung und Vermählung« an.

Der zweite Band behandelt die Mystik selber, und das vierte Buch die höhere Erleuchtung, d.h. die mystischen Phänomene niedriger Ordnung am unteren, mittleren und höheren Menschen. Das fünfte beginnt mit einem Kapitel über die Ekstase, die in drei Stufen abgehandelt wird: im geistigen, leiblichen und seelischen Menschen. Diese Art der Darstellung zeigt, daß Görres gemäß seinem anthropologischen Schema von den niederen Formen zu den höheren fortschreitet.

Der Inhalt des sechsten Buches, mit dem die zweite Abteilung über die dämonische Mystik beginnt, beschäftigt sich zunächst mit der Erbsünde, dann folgt ein Überblick über die Entwicklungsstufen der Dämonie vom Sündenfall bis zur Gegenwart, der weitgehend identisch ist mit der Geschichte der Häresien. Ein Kapitel des sechsten Buches ist den dämonischen Sagen und Legenden gewidmet, um die Existenz des Dämonischen in der Welt der Rationalität aufzuzeigen. In demselben Buch behandelt Görres unter dem Titel »physische und psychische Begründung der dämonischen Mystik« die natürliche Mystik, die er auch als »Physiologie der Mystik«, »natürliche Magie« oder »Naturmagie« bezeichnet. Sie gliedert sich in einen niederen und höheren psychischen Zweig, je nachdem der Mensch zu physischen Elementen oder den psychischen Elementargeistern in eine engere Beziehung tritt. Diese Form der Mystik bildet nach seiner Auffassung die »irdische Unterlage« sowohl der dämonischen und der christlichen Mystik. Auf der einen Seite hat er die natürliche Mystik als neutrale und selbständige Disziplin neben der eigentlichen - der christlichen und dämonischen - Mystik anerkannt, andererseits ist sie aber eine Vorstufe der dämonischen Mystik. Dies zeigt, daß er sich bezüglich des Begriffes und des Wesens der natürlichen Mystik noch nicht endgültig klar war. Am Schluß des sechsten Buches wird auf das wechselseitige Verhältnis zwischen versuchenden Geistern und den Heiligen eingegangen.

Am Anfang des siebten Buches gibt der Autor eine gedrängte Übersicht über den Ursprung und die beiden grundlegenden Arten der dämonischen Mystik im strengen Sinn. Ausführlich wird die »dämonische Verbreitung und Askese« beschrieben, wobei das anthropologische Ordnungsschema nicht mehr genau eingehalten wird. Das Buch endet mit dem Teufelspakt, der den Abschluß und das Ziel der dämonischen Askese bildet. Das achte und neunte Buch ist ganz dem Zauber- und Hexenwesen, also der Dämonie im eigentlichen Sinn des Wortes, gewidmet. Nachdem Görres zu Beginn des achten Buches die schwache Form von Besessenheit, die Umsessenheit, kurz gestreift hat, kommt er zu den Ursachen der Besessenheit, als deren wichtigste er die Temperamente ansieht. Sodann folgt die Beschreibung der Besessenheit am unteren, mittleren und höheren Menschen. Den Abschluß des Buches widmet er der Heilung durch die Kirche und Medizin. Im neunten Buch wird ein historischer Überblick über die Entwicklung des Hexen- und Zauberwesens und besonders der jüdischen Kabbala gegeben. Weiten Raum nimmt in diesem Buch die Schilderung des Hexensabbats ein, an dem die Ausstrahlungskraft der Zauberer und Hexen auf ihre Mitmenschen demonstriert werden kann. Eine ausführliche Abhandlung über die Hexenprozesse beschließt dieses Buch.

Trotz seines gewaltigen Umfanges kann die »Christliche Mystik« eine imposante und eindrucksvolle Architektonik nicht verleugnen. Das erste Buch, das neutral gehalten ist, bildet gleichsam eine Art Vorstufe und ist auf die christliche Mystik hingeordnet. Dieselbe Funktion bezüglich der dämonischen Mystik hat das sechste Buch, in welchem die natürliche Mystik begründet wird. Die christliche Mystik ist ansteigende, die dämonische Mystik ist absteigende Mystik. Görres entfaltet seine Gedanken in beiden Fällen von der mittleren Natur, die er im ersten Buch christlich und im sechsten dämonisch deutet. Von da wird der Leser stufenweise zum Geist, zum Geist Gottes in der christlichen und zum Geist des Bösen in der dämonischen Mystik hingeführt. Von Görres wird die Mystik folgendermaßen definiert: »Die Mystik ist ein Schauen und Erkennen unter Vermittlung eines höheren Lichtes, und ein Wirken und Tun unter Vermittlung einer höheren Freiheit; wie das gewöhnliche Wissen und Tun durch das dem Geist eingegebene geistige Licht, und die ihm eingepflanzte persönliche Freiheit sich vermittelt findet.«

Die Mystik ist also mit anderen Worten »die höhere Potenz des Natürlichen«. Übrigens gebraucht Görres das Wort auch von anderen Wissenszweigen wie beispielsweise »mystische Botanik«, »mystische Diätetik«, »mystischer Naturprozeß« etc. Der Mensch kann sich aus den »Niederungen gewöhnlicher Verhältnisse« auf dreierlei Weise erheben, indem er die Kräfte und Fähigkeiten der menschlichen Natur steigert und intensiviert; entweder seitwärts in den Grenzen seiner Möglichkeiten zur Naturmystik oder aber nach oben zur christlichen oder nach unten zur dämonischen Mystik. Auf diese Weise umfaßt Görres die Totalität des Christentums: Himmel und Hölle, die beim Mystiker wie in einem Brennpunkt zusammengefaßt werden.

Schon ein flüchtiger Überblick über die große Zahl der benutzten Quellen und wörtlichen Zitate muß beim Leser Zweifel an der Realisierbarkeit von Görres Vorhaben wecken. Denn auch selbst eine übermenschliche Arbeitskraft könnte diese Viten, Legenden, Ordensgeschichten, Heiligenregister, Prozeßakten, Gespenstererzählungen, Hexenfrevel und dämonische Verbrechen nicht textkritisch und inhaltlich überprüfen. Schon nachdem die ersten beiden Bände erschienen waren, warf man Görres Nachlässigkeit und leichtfertigen Umgang mit den Vorlagen vor. Joseph Bernhart, der sich die Mühe machte, 220 Quellenangaben genau zu überprüfen, korrigierte dieses Bild, das man seither von dem Alterswerk Görres’ hatte. Er kommt nämlich zu dem Ergebnis, daß es mit der präzisen Angabe über Verfasser, Titel ihrer Werke und den betreffenden Passagen nicht gut bestellt ist. Was aber die Wiedergabe der Texte anbelangt, so kann man Görres keine Vorwürfe machen. Er gibt den Inhalt seiner Vorlagen auch dann sinngemäß getreu, manchmal sogar wörtlich, wieder, wenn er unvollständig oder ungenau zitiert. Übrigens ist er sich der Schwierigkeiten des Übersetzens durchaus bewußt und fügt daher freiübertragene oder wichtige Ausdrücke im Original bei. Gelegentlich bemüht er sich um Worterklärungen und nennt sogar die Hilfsmittel, derer er sich dabei bedient hat. Daß er hin und wieder auch die Irrtümer seiner Quellen übernimmt, ist bei dieser Unmasse verständlich.

Wenngleich man vom heutigen Standpunkt aus vieles an der Arbeitsweise Görres’ bemängeln müßte, so muß aber auch festgestellt werden, daß der 60jährige Görres mit staunenswertem Fleiß ein ausgedehntes, zum Teil entlegenes und sehr schwer zugängliches Material vor der vielleicht endgültigen Vergessenheit bewahrt hat. Selbst ein flüchtiger Blick in die Quellensammlungen und Anthologien der okkulten Literatur verrät, wieviel Material wir heute dem Sammlerfleiß J. Görres’ verdanken. Solange die Görresforschung noch keine eingehende und subtile Quellenkritik der »Christlichen Mystik« leistet, muß man sich vor einem abschließenden Urteil hüten. Mit Einschränkungen kann man aber sagen, daß die meisten Tatsachenberichte, die ja den größten Teil des Werkes ausmachen, selbst für heutige Vorstellungen unanfechtbar sind.

Helmut Werner

HIMMLISCHE MAGIE

DIE PAULUSLEGENDE

Aus dem Leben des heiligen Paulus, den die Einsiedler als den ersten ihrer Genossenschaft verehren, erzählt der heilige Hieronymus:

Als im Jahre 253 die große Christenverfolgung des Decius auch in der Thebais wütete, entwich Paulus, damals 23 Jahre alt, aus der unteren Thebais in die Wüste. Allmählich mehr und mehr sich in ihr vertiefend, gelangte er endlich zu einem bedeutenden Berge und fand an dessen Fuße eine ziemlich geräumige Höhle, in ihrem tiefen Grunde mit einem Stein geschlossen. Er wurde dieses Steines, neugierig, was er verberge, endlich Meister, und als er ihn hinweggewälzt, fand er inwendig einen ziemlich geräumigen Platz, oben gegen den Himmel offen, und nur von dem weit ausgebreiteten Blätterschirme eines alten Palmenbaumes überschattet, an dessen Fuße ein kristallheller Brunnen aufquoll, dessen Wasser aber gleich daneben durch eine kleine Öffnung wieder in der Erde versiegte. An den Wänden umher aber fanden sich verschiedene im Steine ausgehöhlte Wohnungen, und darin waren noch Grabstichel, Amboß, Hammer und anderes Gerät aufbewahrt, das zum Geldmünzen gedient, denn dort hatten, wie in ägyptischen Schriften sich aufgezeichnet gefunden, falsche Münzer ihre Werkstätte aufgeschlagen, zu der Zeit, als Antonius bei der Kleopatra verweilte.

An dieser Stätte nun verbrachte Paulus seine ganze übrige Lebenszeit im Gebete und unter frommen Betrachtungen. Trank gab ihm die Quelle, Nahrung und Kleidung aber der Palmenbaum. Und so lebte er neunzig Jahre in dieser Einsamkeit, ohne eines Menschen ansichtig zu werden. Als er aber das 113. Jahr erreicht, da wurde dem heiligen Antonius, der auch schon 90 Jahre in einer anderen Wildnis gewohnt, in einer Nacht offenbart, wie in der innersten Wüste noch ein anderer Mann lebe, vollkommener denn er, und ihm wurde geboten, diesen aufzusuchen.

Mit Anbruch des Tages gibt sich der Heilige auf die Reise, ohne zu wissen, in welcher Richtung er ziehen müsse. Aber nach einer halben Tagfahrt in großer Sonnenhitze begegnet er einem Wundertier, halb Mensch, halb Pferd, das, um den Weg zur Wohnung des Gottesmannes befragt, mit der rechten Hand nach der Gegend deutet und dann die Flucht ergreift. Antonius setzt nun in dieser Richtung die Reise fort. Bald sieht er eine durstige Wölfin daherkommen und vor ihm in eine Höhle schlüpfen. Er wartet, bis sie wieder von dannen gegangen, betritt dann die Höhle und schleicht in ihr furchtsam fort, bis er ein fernes Licht bemerkt, und, als er schnell darauf losgegangen, an einen Stein anstößt.

Als Paulus das Geräusch vernommen, schließt er die Türe, und Antonius betet so lange vor ihr, bis der Alte sie öffnet. Sie umarmen sich nun, nennen sich freudig beim Namen, obgleich sie sich nie gesehen, und preisen Gott, der sie also zusammengeführt. Paulus befragt den Gast um der Welt Händel, ob man in alten Städten noch neue Häuser baue, wer die Welt regiere, und ob die Götter noch Verehrer hätten. Ein Rabe bringt ihnen Brot zur Nahrung. Sie essen und trinken, und nachdem sie die ganze Nacht gebetet, eröffnet Paulus dem Mitgesellen, daß seine Todesstunde nahe, und wie bitterlich dieser auch weint, läßt er sich nicht abhalten, alle Anstalten zu seinem Hinscheiden zu treffen.

Er stirbt dann wirklich. Antonius begräbt ihn mit Hilfe zweier Löwen und nimmt seinen Rock, aus Palmenblättern geflochten, als die einzige Erbschaft zu sich. Als er aber in seine Zelle zurückgekehrt, erzählt er seinen Jüngern den ganzen Verlauf der Sache.

DIE HEILIGEN UND DIE TIERE

In vielen wunderbaren Geschichten aus den ersten Jahrhunderten des Christentums offenbart sich die Macht einer reinen Seele über die reißende Natur. Der heilige Pachomius war, wie er selbst dem Palladius erzählte, um Versuchungen zu entgehen, nackt in eine Höhle hineingekrochen, wo, wie er wußte, ein paar Hyänen ihr Lager hatten. Als die Tiere am Abend zum Raub ausgingen, da berochen und beleckten sie ihn vom Haupte zu den Füßen. Er erwartete jeden Augenblick, daß sie ihn zerreißen würden, aber sie gingen, ohne ihn versehrt zu haben, davon, und er wurde die ganze Nacht nicht weiter beunruhigt.

Vom Altvater Theon ging die Rede, wenn er nächtlicherweile in der Wüste gehe, sei er von vielen wilden Tieren begleitet. Um ihnen das Geleite zu vergelten, pflege er dann wieder die Durstenden aus seinem Brunnen zu tränken. Dessen zum Zeugnis hat man jederzeit viele Fußtritte der Büffel, Gazellen und Waldesel um seine Zelle her gefunden.

Sulpicius und Cassianus hatten zwölf Meilen vom Nil in tiefster Wildnis an einem Berge einen Einsiedler besucht, dem ein Ochse mit einem Zugwerke aus einem ungemein tiefen Brunnen das Wasser zur Bewässerung seines Gartens schöpfte, der beide ernährte. Der Altvater führte am Morgen seine Gäste zu einigen entfernten Palmenbäumen, und da sie darunter einen Löwen fanden und deswegen erschraken, pflückte der Einsiedler eine Hand voll Früchte vom Baum, und das Tier kam, sie aus seiner Hand zu fressen und ging dann ruhig seiner Wege.

Dieselben fanden einen anderen, den eine Wölfin jedesmal zur Essenszeit besuchte, um die übrigen Brosamen seines Mahles zu erhalten, wofür sie ihm dann die Hand geleckt. Als aber einst die Wölfin den abwesenden Bruder um die gewöhnliche Zeit nicht gefunden, stahl sie in der Zelle von fünf Broten eines und ließ sich nun erst wieder am siebenten Tage sehen, sichtlich ihres Schelmenstückes bewußt und darum sich fernhaltend, bis der Einsiedler sie rief, sie mit den Händen streichelte und ihr doppelte Ration gewährte, wo sie dann ihre Besuche wieder fortsetzte.

Der Abt Paulus Helladius gibt einem Löwen sieben Monate lang täglich zweimal Brot und Erbsen zu essen, auf die Bedingung, daß er keinen Raub übe. Da er aber einmal mit blutigem Maule kommt, jagt er ihn mit einem Stricke fort, damit der Fleischfresser nicht auch noch das Brot der Väter verzehre. Der Abt Pardus, von Gewissensbissen geängstigt, legt sich einem Löwen in den Weg, der zur Tränke ging. Aber das Tier springt über ihn hin, ohne ihm Leids zu tun, gleichwie ein anderer, bei Tapsa wohnend, die Tiere in seiner Höhle bei sich hat, die das Fressen aus seinem Schoße nehmen.

Vom Vater Helenius aber wird erzählt, wie er einst ausgegangen, die Brüder in der Wildnis zu besuchen, und einige Lebensmittel mit auf den Weg genommen. Da ihm aber unterwegs die Last zu schwer werden wollte und er von ferne einige Waldesel sah, rief er einen herbei, belud ihn mit seiner Last, setzte sich selbst obenauf und ritt also zu den Zellen, die er heimsuchte. Bisweilen bedienen sich die Einsiedler der Instinkte ihrer wilden Nachbarn, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, so jener, der bei Syene gesessen und nun in Kräutern und Wurzeln, die dort im Sande süß und wohlschmeckend gedeihen, sich mehr als einmal beinahe vergiftete. Bis er zuletzt einen Steinbock bemerkte, dem er ein Bündel derselben hingeworfen und der nun die heilsamen leicht herauszufinden wußte.

Die wildesten Ausbrüche tierischer Wut können dabei auch wieder den Männern der Wüste kein Erschrecken abgewinnen.

So führen 30 aus dem Volke ein wütend gewordenes baktrisches Kamel, das schon viele zertreten, an Stricken mit großem Geschrei vor den heiligen Hilarion. Die Augen des Tieres sind blutrot, sein Maul schäumt ohne Unterlaß, die Zunge ist ihm aufgeschwollen, und schrecklich ist sein Brüllen und Schreien anzuhören. Der heilige Mann befiehlt, das Tier loszulassen, worauf die, so es gebracht, mit allen Anwesenden davonlaufen. Hilarion aber geht ihm allein entgegen und steht mit ausgestreckter Hand unerschrocken vor ihm da. Das Tier nun läuft auf ihn los, als ob es ihn verschlingen wollte, fällt aber jählings nieder und läßt den Kopf hängen, zum Erstaunen aller, die von ferne zusahen.

Der heilige Didymus tritt, ohne Schaden zu nehmen, auf Schlangen und Nattern, die der Hitze des Landes wegen überaus giftig sind, und Pachomius hält sogar eine der giftigsten an sich, ohne daß sie ihn gebissen hätte: Erzählungen, die an jene Psylli erinnern, denen, wie ehemals, so auch jetzt, eine geheimnisvolle Herrschaft über jene Tiere innewohnt.

DIE GESICHTE DER PERPETUA

Vor vielen anderen merkwürdig sind die Gesichte der heiligen Perpetua, die von ihr selbst umständlich im Kerker aufgeschrieben wurden.

Geboren gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts in einer der Vorstädte Karthagos, von edlem Geschlechte, war sie im Jahre 202, etwa 22 Jahre alt, verheiratet, und hatte, als unter Geta die Verfolgung ausbrach, ein säugendes Kind. Die Eltern und ein Bruder lebten noch, ein anderer war gestorben. Der Vater hatte alles aufgeboten, um sie von der Taufe abzuhalten, sie aber läßt sich nicht abwendig machen, wird in die Christengemeinde aufgenommen, sofort ergriffen und mit einigen anderen in den Kerker geworfen. Hier steht sie furchtbare Hitze aus, das Kind verschmachtet beinahe an ihrer Brust, bis endlich der Bruder ihr größere Freiheit erkauft.

Darauf sagt der Bruder zu ihr: »Du bist schon in großer Gnade, so daß du eine Offenbarung erbitten kannst und dir gezeigt werde, ob wir zum Leiden kommen oder frei werden.«

Sie verspricht es ihm treulich, begibt sich ins Gebet und sieht nun eine goldene Leiter von wunderbarer Höhe, bis zum Himmel reichend, aber so schmal, daß nur immer einer allein hinaufsteigen konnte, an ihrer Seite aber sind Schwerter, Lanzen, Angeln, Haken befestigt, so daß, wenn einer saumselig im Steigen, nicht immer zur Höhe blickt, er davon zerrissen und verwundet wurde. Unter der Leiter aber liegt ein ungeheuerer Drache, der den Aufsteigenden Fallstricke legt und sie von ihr wegzuschrecken sucht. Es stieg aber Saturus zuerst herauf, der damals noch nicht gefangen lag, aber dieses Vorzugs genoß, weil er später sich freiwillig überlieferte. Er kam bis zur Höhe, und, gewendet gegen die Schauenden, spricht er sofort: »Perpetua, ich warte deiner, aber sieh zu, daß der Drache dich nicht versehre!«

»Er wird nicht schaden im Namen des Herrn«, erwiderte sie. Das Untier, als ob es die Heranschreitende fürchte, erhob sich langsam, sie aber, die erste Stufe der Leiter betretend, trat ihm auf das Haupt und stieg nun mutig weiter. Oben tut sich der Staunenden die unermeßliche Weite eines Gartens auf, und in der Mitte desselben sieht sie einen eisgrauen Mann sitzen im Gewande eines Hirten, der war groß und melkte die Schafe, und um ihn her standen viele Tausende Weißgekleideter.

Er erhebt das Haupt, und sie ansehend, sagt er: »Sei willkommen, Tochter!«, ruft sie zu sich und gibt ihr von dem Käse, den er gemolken, ein kleines Stück. Sie nimmt es mit zusammengefügten Händen und ißt, und alle, die herumstanden, sprechen: »Amen!« Auf den Laut dieser Stimmen erwacht sie sofort, noch essend an dieser, sie weiß nicht welcher, Art von Süßigkeit. Und wie sie dem Bruder erzählt, was sie gesehen, erkennen beide, daß ihnen Leiden bevorstehe. Sie haben in dieser Auslegung nicht geirrt, denn sie werden nach wenig Tagen verhört und verurteilt, den wilden Tieren vorgeworfen zu werden. Im Kerker hat sie darauf nach wenig Tagen das zweite Gesicht. Im Gebete kommt ihr plötzlich das Andenken ihres verstorbenen Bruders Dinokrates in den Sinn, und sie seufzt um ihn zu dem Herrn.

In der Nacht sieht sie darauf diesen Bruder aus einem finsteren Ort, wo viele beisammen waren, herausgehen, ganz erhitzt und lechzend vor Durst, mit schmutzigem Angesicht und bleich, mit der Wunde, die er hatte, als er, sieben Jahre alt, am Gesichtskrebs elend gestorben, allen Menschen ein Entsetzen. Zwischen ihr und ihm befand sich ein großer Zwischenraum, so daß die Geschwister nicht zueinander konnten. An dem Orte aber, wo Dinokrates weilte, stand ein Teich voll Wasser, der jedoch einen höheren Rand hatte, als der Knabe groß war. Dieser streckt sich aus, als ob er trinken wolle. Sie erwacht und erkennt nun, daß ihr Bruder leide, vertraut aber auch, daß ihr Gebet seinen Leiden abhelfen werde, und sie betet nun Tag und Nacht für ihn mit Seufzern und Tränen. Nun wird sie wieder hellsehend, und der Ort, den sie zuvor finster gesehen, ist ihr jetzt erleuchtet, der Bruder aber mit reinem Leibe, gut gekleidet und behaglich. Wo die Wunde gewesen, ist nur noch eine Narbe zurück. Der Teich hat jetzt einen niederen Rand, daß er nur bis zur Mitte des Knaben reicht. Es stand auf ihm eine Schale, mit Wasser gefüllt, und der Knabe fing an zu trinken, und die Schale nahm nicht ab. Er ging dann gesättigt vom Wasser weg, um nach Art der Kinder fröhlich zu spielen, und da sie erwacht, erkennt sie, daß er aus der Strafe entlassen war.

Am Tage vor dem Kampfe wird ihr nun das dritte Gesicht erhellt. Sie sieht den Diakon Pomponius im weißen Kleide mit Glöckchen behängen, der heftig an die Kerkertüre klopft, und als sie herausgeht, zu ihr sagt: »Komm, wir erwarten dich!« An seiner Hand geht sie durch rauhe, unebene Wege. Beim Amphitheater angekommen, führt er die Atemlose mitten auf den Kampfplatz, und sagt: »Fürchte dich nicht, ich bin bei dir und helfe dir streiten«, worauf er von dannen geht. Sie aber, aufsehend, gewahrt eine ungeheuere versammelte Volksmenge und wundert sich, daß immer noch kein Tier auf sie losgelassen wird. Da geht aber ein Ägypter von wilder Gestalt gegen sie heraus, um mit seinen Helfern gegen sie zu kämpfen; sie ihrerseits hat auch Hilfe: zwei Jünglinge kommen, ihr beizustehen. Sie nun, zum Kampfe entkleidet und mit Öl gesalbt, wird wie ein Mann, während der Ägypter seinerseits sich im Sande wälzt.

Bald findet sich eine Gestalt hinzu solcher Größe, daß sie über die Höhe des Amphitheaters hinausreicht. Ihr Kleid ist schön, unter der Brust der Purpur zwischen zwei Gürteln, mit Glöckchen von Gold und Silber besetzt. Der Kommende trägt einen Stab, wie ein Kampfherold, und einen Zweig, mit goldenen Äpfeln besetzt, und nachdem er Stille geboten, sagt er: »Dieser Ägypter, wenn er diese überwindet, wird sie mit dem Schwerte töten. Wenn sie aber ihn besiegt, wird sie diesen Zweig erhalten.«

Er tritt darauf ab, und der Faustkampf beginnt. Der Gegner sucht ihr die Füße zu fassen, sie aber schlägt ihm mit den Fersen das Angesicht, wird in die Luft gehoben und schlägt ihn immer so, als ob sie die Erde stampfte. Sie ersieht darauf ihre Gelegenheit, schlingt, Finger in Finger fügend, die Hände zusammen und faßt sein Haupt, daß er auf sein Angesicht fällt, worauf sie ihm den Kopf zertritt. Das Volk beginnt zu rufen und ihre Beschützer zu preisen. Sie aber geht zum Kampfherold und empfängt den Zweig, und er küßt sie und sagt: »Tochter, der Friede sei mit dir!« Sie geht nun im Triumph zu dem sanavirarischen Tore, erwacht und erkennt bald, daß sie nicht gegen Tiere, sondern gegen den Teufel streiten, der Sieg aber ihr zuteil werden würde.

ANDREAS VON SALI IN BYZANZ

Der heilige Andreas von Sali, der wahrscheinlich um 880 geboren, bis gegen 940 gelebt hat, wird in der Lebensbeschreibung, die Nikephorus von ihm hinterlassen, als ein Skythe bezeichnet, das heißt, als ein Angehöriger jener nordischen Völker, die über dem byzantinischen Gebiete in Europa oder Asien wohnten. Er diente als Sklave, und weil er in diesem Stande unmöglich dem Triebe nach einem ruhig abgeschlossenen, kontemplativen Leben, der sich seiner bemeistert hatte, nachhängen konnte, hatte Nikephorus ihm geraten, sich töricht zu stellen, ob er etwa auf diese Weise die Freiheit gewinnen möge.

Es gelang. Sein Herr hatte ihn ein Vierteljahr lang in einer Kirche an die Ketten legen lassen und ihn alsdann freigegeben. Nun zu seinem Ziele gekommen, beharrte er auf dem Wege, den er eingeschlagen, und ging fortdauernd als ein Tor in den Straßen von Byzanz um. Mißhandelt, gehöhnt, geschlagen, zertreten, im Kote geschleift, ließ er sich nicht abwendig machen, alles in Geduld und ohne ein Wort zu reden hinnehmend. Dadurch und durch die anderen Übungen, die er im Stillen sich auferlegt, fand er sich bald in seinem inneren Leben gefördert und trat in den ekstatischen Zustand ein. Nikephorus erzählt, wie er ihn einst betend gefunden, hoch über der Erde schwebend, und berichtet viele der Gesichte, die ihm in solchen Zuständen erhellt geworden. Manche derselben erinnern an jene der heiligen Perpetua, die sich in ihm nun fortgesetzt zu haben scheinen. Wie sie, empfängt auch er die Weihe zu seinem Kampfe, als er im Amphitheater zwei Reihen von Männern schaut, die einen schwarz-, die anderen weißgekleidet.

Ein riesenhafter Schwarzer fordert die Weißen zum Streite, und ein Engel erscheint sofort, drei Kronen tragend. Andreas wünscht sich eine solche und fragt, um welchen Preis sie feil sei. »Nicht um alle Schätze der Erde magst du auch nur eine erlangen«, ist die Erwiderung, »sie sind der Preis des Sieges.« Er tritt nun heraus und fordert die Kämpfer vor. Sie fassen sich, der Schwarze wirft ihn im Wirbel herum. Schon zagen alle, da erinnert er sich dessen, was der Kronentragende ihm gesagt, macht das Kreuzeszeichen und überwindet. Nikephorus erzählt weiter: Es sei eines Tages ein fürchterliches Unwetter, mit entsetzlicher Kälte und verwüstendem Hagelschlage, über Byzanz ausgebrochen, also, daß die Dächer unter der Last erdrückt worden. Wie er nun, als der Sturm vorüber, mit Teilnahme bei sich überlegt, welches Schicksal den Andreas möge betroffen haben, sei dieser morgens ganz fröhlich zu ihm gekommen, und da er ihn befragt, wo er die lange furchtbare Zeit zugebracht, habe er ihm erzählt, wie er ohne Obdach, Kleidung und Nahrung sich des Todes für gewiß gehalten. Zuerst habe er in die Zufluchtsstätte der armen Leute sich geflüchtet, die ihn aber wie einen Hund fortgejagt. Dann sei er unter den Portikus gegangen, zur Lagerstätte eines Hundes, ob er etwa dort einigen Schutz gegen den Frost finden möge. Der Hund habe ihn scharf eine Zeitlang angeschaut, dann von seinem Lager sich erhoben und sei fortgegangen, als wolle auch er ihn seiner Gesellschaft nicht würdig finden. Da habe er in Verzweiflung betend sich niedergeworfen, und sofort sei ein Engel im Lichtglanze ihm erschienen, der mit einem Lilienstengel ihn berührt, mit den Worten: »Weil du nicht von Gott gelassen, will auch er von dir nicht lassen; diese Berührung soll dir das Leben wiedergewinnen.«

Er habe sich darauf in einen schönen Garten versetzt gesehen, mit Bäumen und Blumen ohne Zahl, unaussprechlich schöner als alles, was die Erde besitze. Vögel in allen Farben hätten darauf gesessen, mit vielen Gesängen sein Ohr ergötzend, und er sei nicht satt geworden, einen nach dem anderen zu betrachten. Durch die Mitte des Gartens sei ein Strom geflossen, an den Ufern habe ein Weinstock sich so reich ausgebreitet, daß er alle Bäume wie mit einem Kranz umschlungen. Da habe nun, wie er ihn angeschaut, ein Windeswehen sich erhoben und die Bäume erschüttert, daß die Vögel hellauf zu singen angefangen. Andere Winde, vom Niedergange und von Mitternacht und Mittag hätten dann diesem, vom Ausgange, sich beigesellt. Ihm aber sei die Lust gekommen, auch die Gegend jenseits des Wassers zu besehen, und dort habe nun eine große Ebene ihn aufgenommen. Auf ihr hinwandelnd, sei eine überirdische Gestalt zu ihm getreten, die ihn auf die Höhe des ersten Himmels geführt auf der er ein großes Kreuz, von betenden Engeln umgeben, gesehen. Als er nun tief unter sich das Wasser erblickt, da habe ein Zagen ihn ergriffen, der Engel aber habe ihn zum zweiten Himmel hingeführt und sei dort anbetend zu einem zweiten Kreuz getreten. So geht der Zug vom Feuerhimmel zum Lichthimmel weiter, wie in der Comoedia divina, bis die Wandernden endlich den Höchsten, mit einem Schleier umhüllt, erreicht. Die Hülle habe sich aufgetan und er habe im unaussprechlichen Glanze den Herrn gesehen, aber nur einen Augenblick, so lange er sein Licht an sich gehalten. Drei Worte aber habe er in dem Augenblicke zu ihm geredet. Da er darauf zurückgeführt worden, habe er, zu sich gekommen, in demselben Winkel des Portikus sich wiedergefunden. Das Unwetter aber sei unterdessen vorübergegangen und heiterer Sonnenschein habe ihn begrüßt.

DIE WUNDER DES HEILIGEN BERNHARD

Als Aleth, die Mutter Bernhards von Clairvaux, diesen großen Heiligen des Burgunderlandes dem Vater Thesselin 1091 geboren, da hatte es ihr zuvor im Traume gedäucht, sie trage einen jungen, bellenden Welpen, weiß von Farbe, braun über dem Rücken. Als nun ein frommer Mann ihr dies Gesicht gedeutet: Der Kirche werde ein Wächter und Hüter, dazu ein beredter Verkündiger des Wortes geboren werden, hatte sie den Knaben ihr sofort geweiht. Ein Gesicht, das er in jungen Jahren in der Christmette gesehen, hatte ihn selbst früher in diese Bahn hineingewiesen, und an dem gutgearteten, blonden, zartgebauten Jüngling bewährte sich bald, daß die Deutung wahr gewesen.

Die erstaunungswürdige Macht, die ihm über seine Zeit gegeben worden, tat sich zum ersten Male kund, als er zum Eintritt in einen Orden den Entschluß gefaßt und die Seinigen darum getrauert, er aber erst den Onkel, dann nacheinander die Brüder, die Schwester, zuletzt selbst den Vater demselben Entschluß gewonnen, bald auch andere und andere, so daß zuletzt die Mütter ihre Kinder vor seinem beredten Mund verbargen, die Frauen ihre Männer von ihm abhielten und Freunde die Freunde, damit er sie ihnen nicht abwendig mache. Mit mehr als dreißig, die er also um sich versammelt, war er darauf 1113 in den strengen Orden der Zisterzienserreformation unter dem Gehorsam des Abts Stephan eingetreten, und die Eingetretenen insgesamt, er aber allen voran, hatten mit Mut den großen Kampf um die Ordensreform begonnen. Schnell war in dem jungen Manne der Geist stark geworden, was aber sonst zu herrschen pflegt, in die Dienstbarkeit hineingezwungen.

Die Sinne fanden sich so gebunden, daß er sehend nicht sah, hörend nicht hörte, noch auch schmeckend einigen Geschmack empfand. Was er von Nahrung zu sich nahm, was er sich von Ruhe im Schlaf gestattete, schien weniger genommen, um das Leben zu erhalten, als zugelassen, um den Tod abzuhalten. Unter Wachen und Fasten, Kälte und Arbeit war die Macht des Leibes bald gebrochen, ja, wie er später wohl bisweilen beklagte, in allzu großem Eifer zerrüttet, aber der Geist war um so lichter in ihm aufgeflammt, so daß er, indem er vom Höheren nehmend ersetzte, was das Untere versagte, selbst keiner leiblichen Anstrengung neben den anderen sich versagen durfte, obgleich es die Brüder um ihn dann bedünkte, als wolle ein Lamm im Pfluge gehen. So frühreif war dieser Geist, daß Stephan, schon in dem auf seinen Eintritt folgenden Jahre, den Vierundzwanzigjährigen selbst als Abt einer neuen Kolonie in das Wermuttal hinübersenden konnte, das er bald in jenes weltberühmte Lichttal umgewandelt. Dort mit den Brüdern in größter Armut lebend, so daß sie oft mit Suppe aus Buchenblättern sich begnügten, setzte er in sich und ihnen das Werk fort, das er in Zisterz angefangen. Immer abgezogener, einfältiger, ruhiger, milder gegen andere, wurde der Geist im Verhältnis, wie die Strenge gegen sich zugenommen, in ihm mächtiger. Worte der Weisheit wurden in seinen Mund gelegt. Die Wundergabe der Heilung und der Weissagung wurde ihm zugeteilt.

Die Lieblichkeit in all seinem Tun und Reden war wie ein Zauber, der seine ganze Person umgab, dem niemand zu widerstehen vermochte, so daß man Kinder auf dem Arm der Mütter nach seinen Händen reichen und sie zum Munde führen sah und junges, wildes Kriegsvolk, das zum Turniere eilend, bei ihm eingekehrt, sich in seine Genossenschaft aufnehmen lassen. Und er wucherte für diese mit seiner Gabe also, daß, nachdem Hütte an Hütte im einsamen Tale sich erbaut, es bald siebenhundert der Genossen in sich faßte, darunter Heinrich, der Bruder Ludwigs von Frankreich, der aus bloßer Neugierde hingekommen und sich nicht wieder loszureißen vermochte, mit ihm ein anderes Königskind aus Sardinien, viele Fürstensöhne aus Deutschland, Ritter und Zahllose aus allen Ständen. Von da zogen nun bald junge Schwärme aus in alle Welt, so daß unter seiner unmittelbaren Leitung sich achtundsechzig, unter der seiner Schüler mittelbar zweiundneunzig, andere gründeten. Und also fruchtbar war die Rebe, die er in die Erde eingesenkt, daß sie bis zur Reformation achthundert Ableger getrieben. Er selbst blieb mit allen Brüdern, die er ausgesendet, in einem fortdauernden geistigen Verkehr und schien um alles, was sich mit ihnen begab, ihre Bedürfnisse, ihre Anliegen, ihre Versuchungen und Beschwerden, sowie um ihr Leben und Sterben zu wissen. Seine Führungen hatten ihn aber keineswegs aufs beschauliche Leben be- schränkt, er war auch mehr denn einer seiner Zeitgenossen aufs tätige angewiesen. In dies wurde er zuerst bei Gelegenheit der streitigen Papstwahl zwischen Innozenz II. und Peter Leonis eingedrängt.

Es war nicht schwer, bei diesem Schisma auszufinden, auf welcher Seite das Recht stehe. Bernhard hatte ohne Bedenken sich für Innozenz entschieden, und die Synode von Estampes war ihm beigetreten. Auf das Konzilium in Pisa berufen, wurde er von dort, auf den Wunsch der Mailänder, in ihre Stadt gesendet, um sie vom Schisma zu reinigen und zur Kirchengemeinschaft zurückzuführen. Auf sieben Meilen war alles Volk dem Kommenden entgegengeeilt, und es begann nun eine Reihe von Wunderwirkungen, die ihn durch diese Stadt über Pavia, Cremona auf allen Wegen begleiteten, die er durchzog, Kranken aller Art Gesundheit, Blinden ihr Gesicht, Lahmen den Gebrauch ihrer Glieder, Besessenen die Freiheit gebend. Als er heimkehrend die Alpen überstieg, kamen die Hirten von ihren Sennhütten, von fern und nahe, in Haufen zu seiner Straße hinabgestiegen, sich erfreuend, daß sie den heiligen Mann gesehen und seinen Segen erlangt. Gleiches geschah, als er, nach Aquitanien wandernd, dem dortigen Grafen, um ihn vom Schisma abzuziehen, in feierlicher Beschwörung den Leib des Herrn entgegengetragen.

Nochmals wiederholte sich das Gedränge von Wunderzeichen um ihn her, als er nach Deutschland gegangen, um dort auf Befehl des Papstes das Kreuz zu predigen. Von der Diözese von Konstanz an, die sein Fuß zuerst betreten, von Schaffhausen bis gegen Basel, Straßburg und den Rhein hinunter auf den Reichstag in Worms, nach Speyer, dann über Oppenheim hinüber nach Kreuznach, über den Hunsrücken gegen Koblenz, über Bonn nach Köln, von da nach Jülich, Aachen, Maastricht, weiter durch Belgien, Hennegau gegen Cambray, Reims, durch die ganze Champagne bis in sein Kloster zurück war es eine aneinanderhängende Kette von Wunderzeichen. Überall umdrängte ihn das Volk in ungeheuren Massen, in der Kirche, auf den Straßen, im Hause fand er sich von ihm umlagert. Von fern her wurden alle Kranken ihm zugeführt, daß er sie berühre, das Kreuzeszeichen über sie mache und den Segen über sie spreche. Oft war das Gedränge so groß, daß man ihm an ein Fenster hinauf die Kranken hob, die dann bisweilen, wenn sie nur den Saum seines Gewandes berührt, genasen, oft in solcher Menge, daß seine Reisegefährten, die ein Tagebuch darüber führten, mit der Feder der Wirkung des Segens nicht nachzukommen vermochten.

Bei jeder Heilung sang dann das Volk jauchzend auf: »Christ uns Gnade, Kyrie Eleison, die Heiligen alle helfen uns!« Wurden ihm Lahme, Verwachsene und Gekrümmte gebracht und er richtete sie auf, dann war es, als ob er weichen Ton in jede beliebige Form dehne, alles Gebundene löste sich wie von seinem Hauch geschmolzen. Bisweilen ging ein kalter Schweiß der Heilung voraus. Doch war es nicht immer notwendig, daß er zugegen sei, um sie zu erwirken. Er selber schien jedesmal zu wissen, wenn sie geschehen und die Kraft von dem Worte oder der Bezeichnung ausgegangen. Keiner war mehr denn er verwundert über diese Ereignisse, und er erwog bei sich in seinen Gedanken, was doch alle diese Wunder bedeuten wollten, und warum Gott solches durch solchen wirke. Alles, was er zuletzt ergründen konnte, war, sie seien nicht zur Heilung des einen, sondern zum Heile der vielen gewährt, und nicht für die, welche sie wirkten, sondern für die, welche sie sähen und wüßten.

So war die ausnehmende Versuchung, ohne ihn zu berühren, an ihm vorübergegangen, und so vermochte denn auch anderes, sonst Gefahrdrohendes ihm nichts anzuhaben: nicht, daß man vielfältig zu kirchlichen Ehren ihn berufen wollte, nicht, daß auf den Synoden die geistreichsten Männer der Zeit, wie Peter Abaelard, Gilbert Porretanus, Peter von Pisa vor der Einfalt seines Wortes erlagen, nicht, daß die wütendsten Leidenschaften sich unter seinem Zuspruch zähmten, als er noch einmal von seinem Sterbebette sich erhoben, um die tödliche Fehde zwischen der Stadt Metz und dem benachbarten Adel auszutragen. Er blieb demütig, geduldig, liebreich bis zum Tode, und Liebe, Demut, Geduld war, was er in seinem letzten Willen seinen Klosterbrüdern als ihr Erbe zurückgelassen.

DIE WEISSAGUNGEN DER HILDEGARDIS

Die heilige Hildegardis, 1098 geboren, war mit acht Jahren im Kloster des Dysibodusberges beschlossen worden, wo sie unter der Zucht der frommen Jutta erwuchs. Schon in ihrer frühesten Jugend hatte, wie sie später dem Priester Vibert selbst erzählt, eine solche Fülle des inneren Lichtes sie durchgossen, daß sie bei seinem Anblicke in ihrem Herzen erzitterte; sie hatte damals aber keine Worte gefunden, um, was ihr begegnet, auszusprechen. Vom achten Jahre bis zum fünfzehnten mehrten sich die Gesichte, und sie sprach sich darüber in ihrer Einfalt aus, so daß die, welche sie reden hörten, sich wunderten, woher ihr das gekommen und wer es ihr in den Mund gelegt. Sie wurde nun ihrerseits gleichfalls aufmerksam und wunderte sich, daß, während sie innen in der Seele schaue, doch auch das Äußerliche ihr sichtbar bleibe und daß nichts Ähnliches von anderen ihr zu Ohren komme, weswegen sie denn ihre Gesichte vor den Menschen sorgfältig zu verbergen anfing. Viel Äußeres blieb ihr dabei unbekannt, der häufigen Krankheiten wegen, denen sie von der Mutterbrust her unterworfen gewesen und die sie zerrütteten und entkräfteten. Von ihren Zweifeln beunruhigt, hatte sie sich einst an ihre Pflegerin mit der Frage gewendet, ob auch s i e neben den äußerlichen Dingen sonst noch etwas erblicke; die aber wußte nichts zu sagen, weil sie nicht sehend war. Darüber wurde Hildegard von Furcht befallen und wagte nicht, ihren inneren Zustand kundzugeben, doch fuhr sie fort, von Zukünftigem manches mitzuteilen, wenn die Gesichte in Fülle über sie gekommen. Ließen sie aber wieder in etwas nach, dann kam ihr Scham an, weil sie sich wie ein Kind verhalten, sie brach wohl auch in Tränen aus und hätte lieber ganz geschwiegen, aber Jutta hatte manches aufgeschrieben und es einer anderen Schwester mitgeteilt.

Im Buche Scivias setzt sie diesen Aufschlüssen hinzu: Als sie zweiundvierzig Jahre und sieben Monate alt gewesen, habe vom offenen Himmel ein feuriges Licht ihr Gehirn, Brust und Herz durchfahren, einer Flamme gleich, nicht brennend, sondern erwärmend, wie die Sonne zu tun pflegt, wenn sie einen Gegenstand erleuchtet. Von dem Augenblicke an habe sie das Verständnis und die Auslegung der Bücher, nämlich des Psalters, der Evangelien und anderer Abteilungen der heiligen Schriften alten und neuen Testaments, erlangt, ohne jedoch darum die Bedeutung der einzelnen Worte darin, die Teilung der Silben oder die Kenntnis der Beugfälle oder die sonstigen Regeln der Grammatik zu besitzen. Auch der Gesang und die Melodie zum Lobe Gottes und der Heiligen war ihr nun, ohne eines Menschen Unterricht, gegeben, denn Jutta hatte sie nur notdürftig die Psalmen singen gelehrt, und sie kannte kaum die Buchstaben.

Die Gesichte dauern fort. Ihre Seele, von Gott getragen, wie eine leichte Feder von der Luft, wird nach seinem Willen zur Höhe des Firmamentes erhoben, steigt in verschiedene Regionen der Atmosphäre auf und breitet sich auch im Raume über ihr in die fernsten Gegenden und Völker aus, und sie sieht das alles nun, je nach seinen Unterschieden, nicht mit äußeren Augen und hört es nicht mit ihrem äußeren Ohre, sondern tief in der Seele zu jeder Tageszeit wie in der Nacht, bei vollkommen wachen Sinnen, ohne alle Verzückung, bei ganzem Bewußtsein. Nun aber wird auch eine Stimme in ihr laut, die ihr gebietet, was sie sehe und höre, niederzuschreiben. Sie, aus weiblicher Geschämigkeit und Furcht vor dem Urteile der Menschen, zögert und wird dann von einer heftigen Krankheit niedergeworfen, so lange, bis sie ihrem Beichtvater sich entdeckt, worauf, als dieser ihr Gehorsam rät und sie, zu schreiben angefangen, Kräfte und Gesundheit wiederkehren. Ebenso wird ihr im Gesichte der Rupertsberg bei Bingen gezeigt, und es ergeht ein Gebot an sie, mit den Schwestern, die das Kloster auf dem Dysibodusberge nicht länger fassen will, dahin auszuwandern: wie sie aber auch hier vor den Schwierigkeiten und dem Widerspruche der Menschen erschrickt, wird die Geißel der Krankheit abermals über sie geschwungen. Der Augen Licht schwand ihr dahin, und solche Schwere überfiel ihre Glieder, daß sie sich nicht aufrecht zu erhalten vermochte und in großen Schmerzen niederlag, so lange, bis sie den bisher verschwiegenen Namen des neuen Aufenthalts genannt, worauf sie ihr Gesicht, aber keineswegs die volle Gesundheit wiedererhielt. Dreißig Tage lag sie einst anhaltend danieder. In der Glut verdorrte ihr das Blut in den Adern und das Mark in den Gebeinen. Die Schwestern harrten ihres Todes. Sie aber sah im Gesichte eine Schar Engel, von denen, die mit dem Drachen gestritten. Einer aus dieser redete zu ihr: »Eia Adelar! Warum schläfst du in der Weisheit? Entringe dich dem Zweifel, und du wirst schauen! O Gestirn, scheinend im Glanze, alle Adler werden dich sehen! Die Welt wird trauern, die Ewigkeit aber jubeln. Darum, Morgenröte, erhebe dich zur Sonne!« Die Schar fiel bald mit lieblicher Stimme ein: »Botschaft der Freude! Noch ist die Zeit des Hingangs nicht gekommen, darum, Jungfrau, stehe auf!« Sogleich kam sie zu Sinnen, ihre Kräfte kehrten wieder, und sie gewann wieder leidliche Gesundheit. Es fügte sich nun alles mit der Einwanderung. Sie schrieb ihre Gesichte auf, wie sie dieselben gesehen, und in den Worten, die sie gehört.