Es war einmal ein Schlossergeselle, der war so hübsch, daß alle Frauen sich in ihn verliebten. Auch war er so geschickt in seinem Handwerk, daß es keinen Schlüssel gab, den er nicht nachzubilden, kein Schloß, das er nicht zu öffnen vermochte. Nachdem er sein Meisterstück gemacht, begab er sich auf die Wanderschaft. Eines Abends kam er in eine große Stadt am Meer, die von einem düstern Gebäude überragt war. Es glich mehr einem Kloster als einem Palast. Mit einem Kruzifix wurde die Glocke gezogen, ein großes Kreuz hing an der Schloßmauer, Bilder von Heiligen und Märtyrern waren in die Wände eingemeißelt. In der Herberge, wo er übernachtete, erkundigte sich der Schlossergeselle, ob er in der Stadt oder im Schlosse Arbeit finden würde.
»Für Schlosser gibt es keine Arbeit,« war die Antwort des Wirtes. »Macht, daß ihr fortkommt, es könnte sein, daß der König euch selbst schließen ließe, nämlich krummschließen und in das Gefängnis werfen.«
»Sagt einmal,« erwiderte der Geselle, indem er nach der Stirn deutete, »euer König ist wohl hier nicht ganz richtig?«
Der Wirt zuckte mit den Achseln. Er rückte dem Gast etwas näher.
»Jedenfalls ist er sehr fromm,« sagte er geheimnisvoll, »und hat nur einen Wunsch, den, in den Himmel zu kommen. Und weil er einmal gehört hat, daß geschrieben steht, es gehe eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher in den Himmel komme, so beschloß er, sich seines Reichtums ein für allemal zu entäußern und seine Schätze und Kostbarkeiten in das Meer zu versenken, wo es am tiefsten ist. Aber die Königin war damit nicht einverstanden, und als sie sah, daß sie den Entschluß ihres Gemahls, in Armut dem Herrn zu dienen, nicht zu erschüttern vermöchte, so flehte sie ihn auf den Knien an, alle die Kostbarkeiten nicht entgültig von sich zu werfen, sondern sie in eine eiserne Truhe zu verschließen und den Schlüssel abzuziehen. Da ließ der König von dem tüchtigsten Schlossermeister des Landes ein Schloß von so kunstvoller Mechanik herstellen und einen so seltsamen verschnörkelten Schlüssel, daß niemand ihn nachzubilden vermochte. Diesen Schlüssel aber warf er in das Meer.«
»Und was wurde aus dem Schlosser?« fragte der Jüngling.
»Verrückt wurde er über seine Erfindung. Er hat nämlich nach diesem Schloß noch ein anderes anfertigen müssen, das ist aber so geheimnisvoll, daß man überhaupt nicht davon reden darf. Und als der König auch den Schlüssel zu diesem Schloß ins Meer warf, wo es am tiefsten ist, da sprang der Schlosser nach und ertrank.«
Die drei Schlüssel
»Ich wäre ein trauriger Schlossergeselle,« rief der Jüngling, »wenn ich mich für diese Wunderwerke meiner Zunft nicht interessierte! Ich muß sie sehen und wärs mit Gefahr meines« Lebens.«
Am nächsten Morgen begab er sich in den Palast. Keck, wie er war, fragte er den nächsten besten, ob es für einen Schlosser Arbeit gebe. Der nächste beste aber war der König selbst.
»Aus den Augen!« herrschte der König ihn an. »Wenn ich nicht ein Heiliger wäre, würde ich dir den Kopf abschlagen lassen.«
»Ein sonderbarer Heiliger,« dachte der Geselle und drückte sich. »Aber den Kopf kostets nicht, wie es scheint, und ich darf mich wohl ein wenig umschauen.«
Und während er St. Petrus mit dem Himmelschlüssel betrachtete, dessen Porträt die Wand des Korridors zierte, fühlte er die Berührung einer sanften Frauenhand. Als er sich umwandte, stand die Königin vor ihm. Er erkannte sie sogleich an der kleinen Krone auf ihren Silberlocken. Die Locken waren auch das einzige an ihr, das wie Edelmetall aussah, denn die Krone selbst war von Messing.
»Wenn es wahr ist,« sagte die hohe Frau, »daß ihr ein Schlosser seid, wie ich höre, so kommt ihr mir wie gerufen. Ist es nicht eine Schande für eine Königin, einen geflickten Rock zu tragen, da mein Gemahl doch reich genug wäre, mich in Samt und Seide, Zobel und Hermelin zu kleiden!«
Mit diesen Worten ergriff sie die Hand des Jünglings und führte ihn, vorsichtig um sich blickend, auf einer Hintertreppe in ein unterirdisches Gemach, in dessen Mitte eine eiserne Truhe stand, die einem großen Sarkophag ähnlich war.
»Die Truhe enthält unsern Reichtum,« erklärte die Königin: »Das größte Stück Goldes, das sich darin findet, soll euer sein, wenn es euch gelingt, sie zu öffnen.«
Der Geselle untersuchte das Schloß auf das genaueste.
»Das ist ein seltsames Machwerk,« sagte er dann. Er nahm aus seinem Felleisen ein Stück Wachs, erwärmte es zwischen den Fingern und drückte es in das Schlüsselloch. »Ein verzwicktes Schloß,« fuhr er fort, indem er den Abdruck sinnend betrachtete. »Es ist nur mit einem Schlüssel aus Silber zu öffnen.«
»Welches Glück!« rief die Königin und warf dem Gesellen ihre letzte Silbermünze zu. »Wäre Gold zu dem Schlüssel erforderlich, so müßte ich auf mein neues Kleid verzichten.«
Der Geselle nahm die Münze und ließ sich von der hohen Frau durch eine Reihe dunkler Korridore in die verborgenste Kammer des Palastes führen, in ein unterirdisches Gemach, zu dessen vergittertem Fenster die Meeresbrandung schäumend und tosend emporschlug. Bald hatte der Geselle den Raum in eine Schlosserwerkstätte umgewandelt. Hier schmolz er das Silber, goß es, bohrte, schmiedete und feilte, bis ein silberner Schlüssel zustande kam, so seltsam verschnörkelt, wie ihn noch kein menschliches Auge geschaut.
Ein Freudenschrei entrang sich den Lippen der Königin, als sie sah, daß auf eine einzige Umdrehung des Schlüssels die Truhe aufsprang und deren Schätze im Lichte funkelten.
»Gebt mir den Schlüssel!« rief sie bebend, »und nehmt dafür Gold, so viel ihr zu tragen vermögt.«
Das ließ sich der Geselle nicht zweimal sagen. Er ergriff einen Barren, so groß wie eine Nudelwalze, dann eilte er in seine unterirdische Werkstätte, um sein Felleisen zu holen und sich so rasch wie möglich aus dem Staube zu machen.
Aber der Duft eines Atems, so süß wie der Hauch des Zephirs, der über Rosen weht, hatte inzwischen die Moderluft dieses Kellerraumes verdrängt und das Knistern eines Frauenkleides strich (ähnlich dem Flügelschlage Kupidos und der Grazien) über die feuchten, steinernen Fliesen. Und ein Flüstern kam aus dem Halbdunkel wie das Zwitschern einer Schwalbe aus blumenumrankten Ruinen. Schön wie ein Engel, aber bleich wie eine Märtyrin stand die jugendliche Prinzessin des königlichen Hauses vor dem erstaunten Gesellen und bat ihn um seine Dienste. Dabei flog eine dunkle Röte über ihr sanftes Gesicht und eine Träne blitzte auf in dem entzückenden Schatten ihrer langen Wimpern.
In seligem Betrachten stand der Jüngling vor ihr, den Goldbarren in der Hand, der durch den Glanz ihres langen goldenen Haares überstrahlt wurde. Er zermarterte sich den Kopf, welcher Art die Dienste sein könnten, die sie von ihm begehrte. Und er dachte an das Schloß, das so geheimnisvoll ist, daß man überhaupt nicht davon, sprechen dürfe ...
Mit niedergeschlagenen Augen, glühend vor Scham, tat sie ihm kund, daß ihr Vater, der König, von ihr erwarte, daß sie ihm den Himmel verdienen helfe, indem sie ihr Fleisch abtöte. In seinem frommen Wahn habe er sie zu ewiger Keuschheit verurteilt.
Dabei warf sie ihr Gewand ab und enthüllte vor den geblendeten Augen des Jünglings einen jungfräulichen Körper von vollendeten Formen, schneeweiß wie ein Staubbach.
Aber ein Staubbach, über den eine goldene Brücke führt! Sie trug einen Keuschheitsgürtel!
Ein Band aus Goldgeflecht, gediegen wie Stahl und biegsam wie eine Schlänge umschloß ihre schlanke Taille. Unter der rosigen Papillazee des perlmutterweißen Bauches war eine breite Schärpe angeschmiedet, ähnlich einer metallenen Schürze. In der Mitte des Gürtels, anstatt einer Schnalle oder Spange, befand sich ein zierliches Schloß und dieses bot die einzige Möglichkeit, das prächtige Folterwerkzeug abzulegen, das ein untrennbares Ganzes bildete wie das Geschirr eines Pferdes.
»Ein verzwicktes Schloß,« sagte der Geselle. »Es ist nur mit einem goldenen Schlüssel zu öffnen.«
Die Jungfrau erbleichte. Woher sollte sie Gold nehmen?
Der Geselle tröstete sie, indem er auf den Goldbarren wies. »Aber was wird mein Lohn sein,« fragte er zärtlich, »wenn ich dieses Schloß öffne?«
»Alles, was es verschließt,« hauchte die Jungfrau, verschämt zu Boden blickend.