Jaroslav Hašek

Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk


Roman

Aus dem Tschechischen von Grete Reiner

 

Impressum

Titel der Originalausgabe

Osudy dobrého vojáka Švejka za světové války

 

ISBN 978-3-8412-0072-3

 

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2010

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Bei Aufbau erstmals 1964 erschienen

 

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Einbandgestaltung morgen, unter Verwendung eines Fotos von Kai Dieterich/bobsairport

 

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Inhaltsübersicht

Vorwort

Erster Teil: Im Hinterlande

1. Das Eingreifen des braven Soldaten Schwejk in den Weltkrieg

2. Der brave Soldat Schwejk auf der Polizeidirektion

3. Schwejk vor den Gerichtsärzten

4. Schwejks Hinauswurf aus dem Irrenhaus

5. Schwejk auf dem Polizeikommissariat in der Salmgasse

6. Schwejk kehrt nach Durchbrechung des Zauberkreises wieder nach Hause zurück

7. Schwejk zieht in den Krieg

8. Schwejk als Simulant

9. Schwejk im Garnisonsarrest

10. Schwejk als Offiziersdiener beim Feldkuraten

11. Schwejk zelebriert mit dem Feldkuraten die Feldmesse

12. Eine religiöse Debatte

13. Schwejk geht versehen

14. Schwejk als Offiziersdiener bei Oberleutnant Lukasch

15. Die Katastrophe

Epilog des Verfassers zum ersten Teil »Im Hinterlande«

Zweiter Teil: An der Front

1. Schwejks Mißgeschick im Zug

2. Schwejks Budweiser Anabasis

3. Schwejks Erlebnisse in Királyhida

4. Neue Leiden

Dritter Teil: Der glorreiche Zusammenbruch

1. Aus Brück an der Leitha nach Sokal

2. Quer durch Ungarn

3. In Budapest

4. Aus Hatvan an die galizische Grenze

5. Marschieren, marsch!

Vierter Teil: Fortsetzung des glorreichen Debakels

1. Schwejk als russischer Kriegsgefangener

2. Die geistliche Tröstung

3. Schwejk wiederum bei seiner Marschkompanie

Egon Erwin Kisch: Auf den Tod eines tschechischen Humoristen

Kurt Tucholsky: Herr Schwejk

F. C. Weiskopf: Der brave Soldat Schwejk

Jaroslav Hašek

Vorwort

Eine große Zeit erfordert große Menschen. Es gibt verkannte, bescheidene Helden, ohne den Ruhm und die Geschichte eines Napoleon. Eine Analyse ihres Charakters würde selbst den Ruhm eines Alexander von Mazedonien in den Schatten stellen. Heute könnt ihr in den Prager Straßen einem schäbigen Mann begegnen, der selbst nicht weiß, was er eigentlich in der Geschichte der neuen großen Zeit bedeutet. Er geht bescheiden seines Wegs, belästigt niemanden und wird auch nicht von Journalisten belästigt, die ihn um ein Interview bitten. Wenn ihr ihn fragen wolltet, wie er heißt, würde er euch schlicht und bescheiden antworten: »Ich heiße Schwejk …«

Und dieser stille, bescheidene, schäbige Mann ist wirklich der alte, brave, heldenmütige, tapfere Soldat Schwejk, der einst unter Österreich im Munde aller Bürger des Königreichs Böhmen war und dessen Ruhm auch in der Republik nicht verblassen wird.

Ich habe diesen braven Soldaten Schwejk sehr lieb und bin bei der Niederschrift seiner Abenteuer im Weltkrieg überzeugt, daß ihr alle für diesen bescheidenen, verkannten Helden Sympathie empfinden werdet. Er hat nicht den Tempel der Göttin von Ephesus in Brand gesteckt wie jener Dummkopf Herostrates, um in die Zeitungen und Schulbücher zu kommen.

Und das genügt.

Der Verfasser

Erster Teil

Im Hinterlande

1

Das Eingreifen des braven Soldaten Schwejk in den Weltkrieg

»Also sie ham uns den Ferdinand erschlagen«, sagte die Bedienerin zu Herrn Schwejk, der vor Jahren den Militärdienst quittiert hatte, nachdem er von der militärärztlichen Kommission endgültig für blöd erklärt worden war, und der sich nun durch den Verkauf von Hunden, häßlichen, schlechtrassigen Scheusälern, ernährte, deren Stammbäume er fälschte.

Neben dieser Beschäftigung war er vom Rheumatismus heimgesucht und rieb sich gerade die Knie mit Opodeldok ein.

»Was für einen Ferdinand, Frau Müller?« fragte Schwejk, ohne aufzuhören, sich die Knie zu massieren. »Ich kenn zwei Ferdinande. Einen, der is Diener beim Drogisten Pruscha und hat dort mal aus Versehn eine Flasche mit irgendeiner Haartinktur ausgetrunken, und dann kenn ich noch den Ferdinand Kokoschka, der, was den Hundedreck sammelt. Um beide is kein Schad.«

»Aber gnä’ Herr, den Herrn Erzherzog Ferdinand, den aus Konopischt, den dicken frommen.«

»Jesus Maria«, schrie Schwejk auf. »Das is aber gelungen. Und wo is ihm denn das passiert, dem Herrn Erzherzog?«

»In Sarajevo ham sie ihn mit einem Revolver niedergeschossen, gnä’ Herr. Er ist dort mit seiner Erzherzogin im Automobil gefahren.«

»Da schau her, im Automobil, Frau Müller, ja, so ein Herr kann sich das erlauben und denkt gar nicht dran, wie so eine Fahrt im Automobil unglücklich ausgehn kann. Und noch dazu in Sarajevo, das is in Bosnien, Frau Müller. Das ham sicher die Türken gemacht. Wir hätten ihnen halt dieses Bosnien und Herzegowina nich nehmen solln. No also, Frau Müller. Der Herr Erzherzog ruht also schon in Gottes Schoß. Hat er sich lang geplagt?«

»Der Herr Erzherzog war gleich weg, gnä’ Herr, Sie wissen ja, so ein Revolver is kein Spaß. Unlängst hat auch ein Herr bei uns in Nusle mit einem Revolver gespielt und die ganze Familie erschossen, mitsamt dem Hausmeister, der nachschaun gekommen is, wer dort im dritten Stock schießt.«

»Mancher Revolver geht nicht los, Frau Müller, wenn Sie sich aufn Kopf stelln. Solche Systeme gibts viel. Aber auf den Herrn Erzherzog ham sie sich gewiß was Besseres gekauft, und ich möcht wetten, Frau Müller, daß sich der Mann, der das getan hat, dazu schön angezogen hat. Nämlich auf einen Herrn Erzherzog schießen is eine sehr schwere Arbeit. Das is nicht so, wie wenn ein Wilddieb auf einen Förster schießt. Da handelt sichs darum, wie man an ihn herankommt, auf so einen Herrn kann man nicht in Hadern kommen. Da müssen Sie im Zylinder kommen, damit Sie nicht ein Polizist schon vorher abfaßt.«

»Es waren ihrer herich mehr, gnä’ Herr.«

»No, das versteht sich doch von selbst, Frau Müller«, sagte Schwejk, seine Kniemassage beendend. »Wenn Sie einen Erzherzog oder den Kaiser erschlagen wollten, möchten Sie sich sicher auch mit jemandem beraten. Mehr Leute haben mehr Verstand. Der eine rät das, der andere wieder was anderes, und so wird das Schwerste leicht vollbracht, wies in unsrer Volkshymne heißt. Die Hauptsache is, den Moment abpassen, wenn so ein hoher Herr vorübergeht. Wie zum Beispiel, wenn Sie sich noch an den Herrn Luccheni erinnern, der, was unsre selige Elisabeth mit der Feile erstochen hat. Er is mit ihr spazierengegangen. Dann traun Sie noch jemandem. Seit der Zeit geht keine Kaiserin mehr spazieren. Und dasselbe Schicksal wartet noch auf viele Leute. Sie wern sehn, Frau Müller, daß auch noch der Zar und die Zarin an die Reihe kommen und, was Gott verhüten mög, auch unser Kaiser, wenn sie schon mit seinem Onkel angefangen ham. Er hat viele Feinde, der alte Herr. Noch mehr als der Ferdinand. Wies da unlängs ein Herr im Wirtshaus gesagt hat, daß eine Zeit kommen wird, wo die Kaiser einer nach dem andern abdampfen wern und wo sie nicht einmal die Staatsanwaltschaft herausreißen wird. Dann hat er die Zeche nicht bezahlen können, und der Wirt hat ihn hopnehmen lassen müssen. Und er hat ihm eine Watschen hinuntergehaut und dem Wachmann zwei. Dann ham sie ihn in der Gemeindetruhe abgeführt, damit er zu sich kommt. Ja, Frau Müller, heutzutag geschehn Dinge! Das is wieder ein Verlust für Österreich. Wie ich noch beim Militär war, hat dort ein Infanterist einen Hauptmann erschossen. Er hat seine Flinte geladen und is in die Kanzlei gegangen. Dort hat man ihm gesagt, daß er dort nichts zu suchen hat, aber er is fort drauf bestanden, daß er mit dem Herrn Hauptmann sprechen muß. Der Hauptmann is hinausgegangen und hat ihm gleich einen Kasernarrest aufgebrummt. Er hat die Flinte genommen und hat ihn direkt ins Herz getroffen. Die Kugel is dem Herrn Hauptmann durch den Rücken hinausgefahren und hat noch in der Kanzlei Schaden angerichtet. Sie hat eine Flasche Tinte zerschlagen, und die hat die Amtsakten begossen.

»Und was is mit dem Soldaten geschehn?« fragte nach einer Weile Frau Müller, während Schwejk sich ankleidete.

»Er hat sich an den Hosenträgern aufgehängt«, sagte Schwejk, seinen harten Hut putzend. »Und die Hosenträger waren nicht mal sein. Die hat er sich vom Profosen ausgeborgt, weil ihm herich die Hosen rutschten. Hätt er warten solln, bis sie ihn erschießen? Das wissen Sie, Frau Müller, in so einer Situation geht einem der Kopf herum wie ein Mühlrad. Den Profosen haben sie dafür degradiert und ihm sechs Monate aufgepelzt. Aber er hat sie sich nicht abgesessen. Er is nach der Schweiz durchgebrannt und is dort heut Prediger in irgendeiner Kirchengemeinde. Heutzutage gibts wenig anständige Leute, Frau Müller. Ich stell mir halt vor, daß sich der Herr Erzherzog Ferdinand in Sarajevo auch in dem Mann getäuscht hat, der ihn erschossen hat. Er hat irgendeinen Herrn gesehn und sich gedacht: Das is sicher ein anständiger Mensch, wenn er mir ›Heil‹ zuruft. Und dabei knallt ihn der Herr nieder. Hat er nur einmal oder öfter geschossen?«

»Die Zeitungen schreiben, gnä’ Herr, daß der Herr Erzherzog wie ein Sieb war. Er hat alle Patronen auf ihn verschossen.«

»Ja, das geht ungeheuer rasch, Frau Müller, furchtbar rasch. Ich möcht mir für so was einen Browning kaufen. Der schaut aus wie ein Spielzeug, aber Sie können damit in zwei Minuten zwanzig Erzherzöge niederschießen, magere oder dicke. Obgleich man, unter uns gesagt, Frau Müller, einen dicken Erzherzog besser trifft als einen magern. Erinnern Sie sich noch, wie sie damals in Portugal ihren König erschossen ham? Der war auch so dick. No, selbstverständlich wird ein König nicht mager sein. – Also ich geh jetzt ins Wirtshaus ›Zum Kelch‹, und wenn jemand herkäm um den Rattler, auf den ich mir die Anzahlung genommen hab, dann sagen Sie ihm, daß ich ihn in meinem Hundezwinger am Land hab, daß ich ihm unlängs die Ohren kupiert hab und daß man ihn jetzt nicht transportieren kann, solang die Ohren nicht zuheiln, damit er sie sich nicht verkühlt. Den Schlüssel geben Sie zur Hausmeisterin.«

 

Im Wirtshaus »Zum Kelch« saß ein einsamer Gast. Es war der Zivilpolizist Bretschneider, der im Dienste der Staatspolizei stand. Der Wirt Palivec spülte die Bieruntersätze ab, und Bretschneider bemühte sich vergeblich, mit ihm ein ernstes Gespräch anzuknüpfen.

Palivec war als ordinärer Mensch bekannt, jedes zweite Wort von ihm war ›Dreck‹ oder ›Hinterer‹. Dabei war er aber belesen und verwies jedermann darauf, was Victor Hugo in seiner Schilderung der Antwort der alten Garde Napoleons an die Engländer in der Schlacht von Waterloo über diesen Gegenstand schreibt.

»Einen feinen Sommer ham wir«, knüpfte Bretschneider sein ernstes Gespräch an.

»Steht alles für einen Dreck«, antwortete Palivec, die Untersätze in die Kredenz einordnend.

»Die haben uns in Sarajevo was Schönes eingebrockt«, ließ sich mit schwacher Hoffnung wieder Bretschneider vernehmen.

»In welchem Sarajevo?« fragte Palivec. »In der Nusler Weinstube? Dort rauft man sich jeden Tag. Sie wissen ja, Nusle!«

»Im bosnischen Sarajevo, Herr Wirt. Man hat dort den Herrn Erzherzog Ferdinand erschossen. Was sagen Sie dazu?«

»Ich misch mich in solche Sachen nicht hinein. Damit kann mich jeder im Arsch lecken«, antwortete höflich Herr Palivec und zündete sich seine Pfeife an. »Sich heutzutage in so was hineinmischen, das kann jeden den Kopf kosten. Ich bin Gewerbetreibender, wenn jemand kommt und sich ein Bier bestellt, schenk ichs ihm ein. Aber so ein Sarajevo, Politik oder der selige Erzherzog, das is nix für uns. Draus schaut nix heraus als Pankrác1.«

Bretschneider verstummte und blickte enttäuscht in der leeren Gaststube umher.

»Da ist mal ein Bild vom Kaiser gehangen«, ließ er sich nach einer Weile von neuem vernehmen. »Gerade dort, wo jetzt der Spiegel hängt.«

»Ja, da ham Sie recht«, antwortete Herr Palivec. »Er is dort gehangen, und die Fliegen ham auf ihn geschissen, so hab ich ihn auf den Boden gegeben. Sie wissen ja, jemand könnt sich irgendeine Bemerkung erlauben, und man könnt davon noch Unannehmlichkeiten haben. Hab ich das nötig?«

»In Sarajevo hat es aber bös aussehn müssen, Herr Wirt.«

Auf diese heimtückisch direkte Frage antwortete Herr Palivec ungewöhnlich vorsichtig: »Um diese Zeit is es in Bosnien verflucht heiß. Wie ich gedient hab, mußten wir unserm Oberlajtnant Eis aufn Kopf geben.«

»Bei welchem Regiment haben Sie gedient, Herr Wirt?«

»An solche Kleinigkeiten erinner ich mich nicht, ich hab mich nie um so einen Dreck gekümmert und war auch nie drauf neugierig«, antwortete Herr Palivec, »allzu große Neugier schadet.«

Der Zivilpolizist Bretschneider verstummte endgültig, und sein betrübter Ausdruck heiterte sich erst bei der Ankunft Schwejks auf, der bei seinem Eintritt in das Wirtshaus ein schwarzes Bier mit folgender Bemerkung bestellte: »In Wien ham sie heut auch Trauer.«

Bretschneiders Augen leuchteten voller Hoffnung auf. Er sagte kurz: »Auf Konopischt hängen zehn schwarze Fahnen.«

»Es sollten zwölf dort sein«, sagte Schwejk nach einem Schluck.

»Warum meinen Sie zwölf?« fragte Bretschneider.

»Damits eine runde Zahl gibt. Aufs Dutzend rechnet sichs besser, und im Dutzend kommt auch alles billiger«, antwortete Schwejk.

Es herrschte Schweigen, das Schwejk selbst durch folgenden Stoßseufzer unterbrach: »Also er ruht schon in Gottes Schoß. Gott geb ihm ewigen Frieden. Er hats nicht mal erlebt, daß er Kaiser worden is. Wie ich beim Militär gedient hab, is einmal ein General vom Pferd gefalln und hat sich in aller Seelenruh erschlagen. Man wollte ihm wieder aufs Pferd helfen, ihn hinaufheben, da sieht man zu seiner Verwunderung, daß er mausetot is. Und er hat auch zum Feldmarschall avancieren solln. Das is bei einer Parade geschehn. Diese Paraden führen nie zu was Gutem. In Sarajevo war auch so eine Parade. Ich erinner mich, daß mir bei so einer Parade einmal zwanzig Knöpfe bei der Montur gefehlt ham und daß ich dafür vierzehn Tage Einzel gefaßt hab. Zwei Tage bin ich krummgeschlossen gelegen wie Lazarus. Aber Disziplin muß beim Militär sein. Sonst möcht sich niemand aus jemandem was machen. Unser Oberlajtnant Makovec hat uns immer gesagt: ›Disziplin, ihr Heuochsen, muß sein, sonst möchtet ihr wie die Affen auf den Bäumen klettern. Aber das Militär wird aus euch Menschen machen, ihr Trotteln.‹ Und is das nicht wahr? Stellen Sie sich einen Park vor, sag mr aufm Karlsplatz, und auf jedem Baum einen Soldaten ohne Disziplin. Davor hab ich immer die größte Angst gehabt.«

»Das in Sarajevo«, knüpfte Bretschneider an, »haben die Serben gemacht.«

»Da irren Sie sich aber sehr«, antwortete Schwejk. »Das ham die Türken gemacht, wegen Bosnien und Herzegowina.«

Und Schwejk legte seine Ansichten über die internationale Politik Österreichs auf dem Balkan dar. Die Türken hätten im Jahre 1912 den Krieg mit Serbien, Bulgarien und Griechenland verloren. Sie hatten damals wollen, Österreich solle ihnen helfen, und als dies nicht geschah, schossen sie Ferdinand nieder.

»Hast du die Türken gern?« wandte sich Schwejk an Palivec. »Hast du diese heidnischen Hunde gern? Nicht wahr, das nicht.«

»Ein Gast wie der andere«, sagte Palivec, »und wenns auch ein Türke is. Für uns Gewerbetreibende gibts keine Politik. Bezahl dein Bier und setz dich hin und quatsch, was du willst. Das is mein Grundsatz. Ob unsern Ferdinand ein Türke oder Serbe, ein Katholik oder Mohammedaner, ein Anarchist oder Jungtscheche umgebracht hat, is mir ganz powidel.«

»Gut, Herr Wirt«, ließ sich Bretschneider vernehmen, der wiederum die Hoffnung aufgab, einen von den beiden in die Enge treiben zu können. »Aber Sie werden zugeben, daß das ein großer Verlust für Österreich ist.«

Statt des Wirtes antwortete Schwejk: »Ein Verlust is es, das läßt sich nicht leugnen. Ein furchtbarer Verlust. Der Ferdinand läßt sich nicht durch jeden beliebigen Trottel ersetzen. Nur noch dicker hätt er sein solln.«

»Wie meinen Sie das?« fragte Bretschneider lebhaft.

»Wie ich das mein?« antwortete Schwejk friedlich, »no, nur so: wenn er dicker gewesen wär, dann hätt ihn sicher schon früher der Schlag getroffen, wie er die alten Weiber in Konopischt gejagt hat, wenn sie in seinem Revier Reisig und Schwämme gesammelt ham, und er hätt nicht eines so schmählichen Todes sterben müssen. Wenn ich mir das so überleg, ein Onkel Seiner Majestät des Kaisers, und sie erschießen ihn! Das is ja ein Schkandal, die ganzen Zeitungen sind voll damit. Bei uns in Budweis hat man vor Jahren auf dem Markt bei irgendeinem kleinen Streit einen Viehhändler erstochen, einen gewissen Břetislav Ludwig, der hatte einen Sohn namens Bohuslav, und wenn der seine Schweine verkaufen kam, wollt niemand was von ihm kaufen, und jeder hat gesagt: ›Das ist der Sohn von diesem Erstochenen. Das wird gewiß auch ein feiner Lump sein.‹ Er hat in Krummau von der Brücke in die Moldau springen müssen, und man hat ihn wieder zu Bewußtsein bringen müssen, und man hat aus ihm das Wasser herauspumpen müssen, und er hat in den Armen des Arztes seinen Geist aufgeben müssen, wie der ihm irgendeine Injektion gemacht hat.«

»Sie ziehen aber merkwürdige Vergleiche«, sagte Bretschneider bedeutungsvoll, »zuerst sprechen Sie von Ferdinand und dann von einem Viehhändler.«

»I wo«, verteidigte sich Schwejk. »Gott bewahre, daß ich jemand mit jemandem vergleichen möcht. Der Herr Wirt kennt mich. Nicht wahr, ich hab nie jemanden mit jemandem verglichen? Ich möcht nur nicht in der Haut der Frau Erzherzogin stecken. Was wird die jetzt machen? Die Kinder sind Waisen, die Herrschaft in Konopischt ohne Herrn. Soll sie sich wieder mit irgendeinem Erzherzog verheiraten? Was hätt sie davon? Sie wird mit ihm wieder nach Sarajevo fahren und zum zweitenmal Witwe wern. Da hat vor Jahren in Zliw bei Hluboká ein Heger gelebt, der hat den häßlichen Namen Pinscher gehabt. Die Wilddiebe ham ihn erschossen, und er hat eine Witwe mit zwei Kindern hinterlassen, und sie hat nach einem Jahr wieder einen Heger genommen, den Schewla-Pepi aus Mydlowar. Und den ham sie ihr auch erschossen. Dann hat sie sich zum drittenmal verheiratet und hat wieder einen Heger genommen und hat gesagt: ›Aller guten Dinge sind drei. Wenns diesmal nicht glückt, dann weiß ich schon nicht, was ich machen soll.‹ Natürlich hat man ihr ihn wieder erschossen, und da hat sie mit diesen Hegern zusammen schon sechs Kinder gehabt. Sie is bis in die Kanzlei vom Herrn Fürsten in Hluboká gegangen und hat sich beschwert, daß sie mit diesen Hegern so ein Malör hat. Dort hat man ihr den Teichwächter Jaresch vom Ražitzer Teich empfohlen. Und was sagen Sie dazu: den ham sie ihr wieder beim Fischfang im Teich ertränkt, und dabei hat sie mit ihm schon zwei Kinder gehabt. Da hat sie sich einen Schweinschneider aus Vodňany genommen, und er hat sie eines Abends mit der Hacke erschlagen und is sich dann freiwillig anzeigen gegangen. Wie man ihn dann beim Kreisgericht in Pisek gehängt hat, hat er dem Priester die Nase abgebissen und hat gesagt, daß er überhaupt nichts bereut, und hat auch noch was sehr Häßliches über unsern Kaiser gesagt.«

»Und wissen Sie nicht, was er gesagt hat?« fragte mit hoffnungsvoller Stimme Bretschneider.

»Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil sich niemand getraut hat, es zu wiederholen. Aber es war herich etwas so Furchtbares und Schreckliches, daß ein Rat vom Gericht, der dabei war, davon verrückt geworn is, und noch heut hält man ihn in der Isolierzelle, damit nix ans Licht kommt. Es war nicht nur eine gewöhnliche Majestätsbeleidigung, wie man sie begeht, wenn man betrunken is.«

»Und welche Majestätsbeleidigung begeht man denn da?« fragte Bretschneider.

»Meine Herren, ich bitt Sie, sprechen Sie von was andrem«, ließ sich der Wirt Palivec vernehmen. »Wissen Sie, ich hab so was nicht gern. Man läßt was fallen, und das kann einen manchmal verdrießen.«

»Welche Majestätsbeleidigungen man begeht, wenn man betrunken ist?« wiederholte Schwejk. »Verschiedene. Betrinken Sie sich, lassen Sie sich die österreichische Hymne aufspieln, und Sie wern sehn, was Sie anfangen wern zu sprechen. Sie wern sich so viel über Seine Majestät ausdenken, daß es, wenn nur die Hälfte davon wahr wär, genügen möcht, um ihn für sein ganzes Leben unmöglich zu machen. Aber der alte Herr verdient sichs wirklich nicht. Bedenken Sie: Seinen Sohn Rudolf hat er im zarten Alter in voller Manneskraft verloren. Seine Gemahlin Elisabeth hat man mit einem Dolch durchbohrt, dann is ihm der Johann Orth verlorengegangen; seinen Bruder, den Kaiser von Mexiko, hat man ihm in irgendeiner Festung, an irgendeiner Mauer erschossen. Jetzt ham sie ihm wieder auf seine alten Tage den Onkel abgemurkst. Da müßte man wirklich eiserne Nerven haben. Und dann fängt irgendein besoffener Kerl an, ihm aufzuheißen. Wenns heute zum Krieg kommt, geh ich freiwillig und wer unserm Kaiser dienen, bis man mich in Stücke reißt.«

Schwejk tat einen tüchtigen Schluck und fuhr fort: »Sie glauben, unser Kaiser wird das so lassen? Da kennen Sie ihn schlecht. Krieg mit den Türken muß sein. Ihr habt meinen Onkel erschlagen, da habt ihr dafür eins über die Kuschen. Es gibt bestimmt Krieg. Serbien und Rußland wern uns in diesem Krieg helfen. Sakra, wird man sich dreschen!«

Schwejk sah in diesem prophetischen Augenblick herrlich aus. Sein einfältiges Gesicht, das lächelte wie der Vollmond, glänzte vor Begeisterung. Ihm war alles so klar.

»Kann sein«, fuhr er in seiner Schilderung der Zukunft Österreichs fort, »daß uns, wenn wir mit den Türken Krieg führen, die Deutschen in den Rücken falln, weil die Deutschen und die Türken zusammenhalten. Wir können uns aber mit Frankreich verbünden, das seit dem Jahr einundsiebzig auf Deutschland schlecht zu sprechen is. Und schon wirds gehn. Es wird Krieg geben, mehr sag ich euch nicht.«

Bretschneider stand auf und sagte feierlich: »Mehr müssen Sie auch nicht sagen. Kommen Sie mit mir auf den Gang, dort werde ich Ihnen etwas sagen.«

Schwejk folgte dem Zivilpolizisten auf den Gang, wo seiner eine kleine Überraschung harrte, als ihm sein Biernachbar den Adler2 zeigte und erklärte, daß er ihn verhafte und sofort zur Polizeidirektion führen werde. Schwejk bemühte sich, ihm klarzumachen, daß der Herr sich vielleicht irre, er sei vollständig unschuldig und habe nicht ein Wort gesagt, das jemanden beleidigen könne.

Bretschneider sagte ihm jedoch, er habe sich einer Reihe strafbarer Handlungen schuldig gemacht, unter denen auch das Verbrechen des Hochverrats eine Rolle spiele.

Dann kehrten sie in die Gaststube zurück, und Schwejk sagte zu Herrn Palivec: »Ich hab fünf Biere und ein Kipfel mit einem Würstl. Jetzt gib mir noch einen Sliwowitz, und dann muß ich schon gehn, weil ich verhaftet bin.«

Bretschneider zeigte Herrn Palivec den Adler, blickte Herrn Palivec eine Weile an und fragte dann: »Sind Sie verheiratet?«

»Ja.«

»Und kann Ihre Frau während Ihrer Abwesenheit das Geschäft führen?«

»Ja.«

»Dann ist alles in Ordnung, Herr Wirt«, sagte Bretschneider heiter, »rufen Sie Ihre Frau herein, übergeben Sie ihr alles, und abends werden wir Sie abholen.«

»Mach dir nichts draus«, tröstete ihn Schwejk, »ich geh nur wegen Hochverrat hin.«

»Aber wofür ich?« stöhnte Herr Palivec. »Ich war doch so vorsichtig.«

Bretschneider lächelte und sagte siegesfroh: »Dafür, daß Sie gesagt haben, daß die Fliegen auf unsern Kaiser geschissen haben. Man wird Ihnen schon unsern Kaiser aus dem Kopf treiben.«

Und Schwejk verließ das Gasthaus »Zum Kelch« in Begleitung des Zivilpolizisten, den er mit seinem freundlichen Lächeln fragte, als sie auf die Straße traten: »Soll ich vom Trottoir heruntergehn?«

»Warum?«

»Ich denk, wenn ich verhaftet bin, hab ich kein Recht mehr, auf dem Trottoir zu gehn.«

Als sie in das Tor der Polizeidirektion traten, sagte Schwejk: »Wie rasch uns die Zeit verlaufen is! Gehn Sie oft zum ›Kelch‹?«

Und während man Schwejk in die Aufnahmekanzlei führte, übergab Herr Palivec beim »Kelch« die Gastwirtschaft seiner weinenden Frau, wobei er sie in seiner sonderbaren Art tröstete: »Wein nicht, heul nicht, was können sie mir wegen einem beschissenen Kaiserbild machen?«

Und so griff der brave Soldat Schwejk in seiner freundlichen, liebenswürdigen Weise in den Weltkrieg ein.

Die Historiker wird es interessieren, daß er weit in die Zukunft voraussah. Wenn sich die Situation später anders entwickelte, als er beim »Kelch« auseinandergesetzt hatte, dann müssen wir berücksichtigen, daß er keine diplomatische Vorbildung besaß.

2

Der brave Soldat Schwejk auf der Polizeidirektion

Das Attentat in Sarajevo füllte die Polizeidirektion mit zahlreichen Opfern. Man brachte eins nach dem andern, und der alte Inspektor in der Aufnahmekanzlei sagte mit seiner gutmütigen Stimme: »Dieser Ferdinand wird sich euch nicht auszahlen!«

Als man Schwejk in eine der vielen Zellen des ersten Stockwerks sperrte, fand er dort eine Gesellschaft von sechs Männern vor. Fünf saßen rings um den Tisch, und in der Ecke auf dem Kavallett1 saß, als wollte er sich von ihnen absondern, ein Mann in mittleren Jahren.

Schwejk begann einen nach dem andern auszufragen, warum man ihn eingesperrt habe.

Von den fünfen, die am Tisch saßen, erhielt er nahezu die gleiche Antwort: »Wegen Sarajevo!« – »Wegen Ferdinand!« – »Wegen diesem Mord am Herrn Erzherzog!« – »Wegen Ferdinand!« – »Dafür, daß man den Herrn Erzherzog in Sarajevo umgebracht hat!«

Der sechste, der sich von diesen fünf absonderte, sagte, daß er mit ihnen nichts zu tun haben wolle, damit auf ihn kein Verdacht falle, denn er sitze hier nur wegen versuchten Raubmordes an einem Bauer aus Holitz.

Schwejk setzte sich an den Tisch in die Gesellschaft der Verschwörer, die einander bereits zum zehntenmal erzählten, wie sie in diese Affäre hineingeraten waren.

Alle, bis auf einen, hatte es entweder im Wirtshaus, in der Weinstube oder im Kaffeehaus ereilt. Eine Ausnahme bildete ein ungewöhnlich dicker Herr mit einer Brille und verweinten Augen, der zu Hause in seiner Wohnung verhaftet worden war, weil er zwei Tage vor dem Attentat in Sarajevo für zwei serbische Studenten, Techniker, im Gasthaus die Zeche bezahlt hatte und vom Detektiv Brixi in ihrer Gesellschaft betrunken im »Montmartre« in der Kettengasse gesehen worden war, wo er, wie er im Protokoll bereits durch seine Unterschrift bestätigt hatte, ebenfalls für sie gezahlt hatte.

Auf alle Fragen bei der Voruntersuchung auf der Polizeidirektion jammerte er stereotyp: »Ich habe ein Papiergeschäft.«

Worauf ihm ebenfalls die stereotype Antwort zuteil wurde: »Das entlastet Sie nicht.«

Der kleine Herr, den es in einer Weinstube erwischt hatte, war Geschichtsprofessor und hatte dem Weinstubenbesitzer die Geschichte verschiedener Attentate erklärt. Er wurde gerade in dem Augenblick verhaftet, als er die psychologische Analyse aller Attentate mit den Worten beendete: »Der Gedanke des Attentates ist so einfach wie das Ei des Kolumbus.«

»Genauso einfach, wie Sie Pankrác erwartet«, wurde sein Ausspruch während des Verhörs von dem Polizeikommissär ergänzt.

Der dritte Verschwörer war der Vorsitzende des Wohltätigkeitsvereins »Dobromil« in Hodkowitschka. An dem Tage, an dem das Attentat verübt worden war, veranstaltete der »Dobromil« ein Gartenfest mit anschließendem Konzert. Der Gendarmeriewachtmeister kam, um die Teilnehmer aufzufordern, das Fest zu beenden, denn Österreich habe Trauer, worauf der Vorsitzende des »Dobromil« gutmütig entgegnete: »Warten Sie ein Weilchen, bis man das ›Hej, Slowane‹2 zu Ende gespielt haben wird.«

Jetzt saß er da mit gesenktem Kopf und lamentierte: »Im August haben wir neue Vorstandswahlen, wenn ich bis zu der Zeit nicht zu Hause bin, kann es geschehen, daß man mich nicht wählt. Und ich bin schon zum zehntenmal Vorsitzender. Ich überleb diese Schande nicht.«

Seltsam hatte der selige Ferdinand dem vierten Verhafteten mitgespielt, einem Mann von lauterem Charakter und makellosem Schild. Er war volle zwei Tage jeglichem Gespräch über Ferdinand ausgewichen, bis er abends im Café beim Mariagespiel den Eichelkönig mit der Schellsieben trumpfte: »Sieben Kugeln wie in Sarajevo.«

Haar und Bart des fünften Mannes, der, wie er selbst sagte, »wegen diesem Mord am Herrn Erzherzog in Sarajevo« saß, waren noch vor Schreck gesträubt, so daß sein Kopf an einen Stallpinscher gemahnte.

Dieser Mann hatte in dem Restaurant, wo er verhaftet worden war, überhaupt kein Wort gesprochen, ja nicht einmal die Zeitungsberichte über die Ermordung Ferdinands gelesen. Er war ganz allein an einem Tisch gesessen, als irgendein Herr zu ihm kam, sich ihm gegenübersetzte und rasch zu ihm sagte: »Haben Sie davon gelesen?«

»Nein.«

»Wissen Sie davon?«

»Nein.«

»Und wissen Sie, worum es sich handelt?«

»Nein, ich kümmer mich nicht drum.«

»Aber es sollte Sie doch interessieren.«

»Ich weiß nicht, was mich interessieren sollt! Ich rauch meine Zigarre, trink meine paar Glas Bier, eß mein Abendbrot und les keine Zeitung. Die Zeitungen lügen. Wozu soll ich mich aufregen?«

»Sie interessiert also nicht einmal der Mord in Sarajevo?«

»Mich interessiert überhaupt kein Mord, obs nun in Prag, in Wien, in Sarajevo oder in London is. Dafür sind die Behörden, die Gerichte und die Polizei da. Wenn man jemanden irgendwo erschlägt, recht geschieht ihm, warum is der Trottel so unvorsichtig und läßt sich erschlagen.«

Das waren seine letzten Worte in dieser Unterredung.

Seit dieser Zeit wiederholte er nur laut in Intervallen von fünf Minuten: »Ich bin unschuldig.«

Diese Worte rief er auch im Tor der Polizeidirektion, diese Worte wird er auch während der Überprüfung zum Strafgericht in Prag wiederholen, und mit diesen Worten wird er auch seine Kerkerzelle betreten.

Als Schwejk alle diese schrecklichen Verschwörergeschichten angehört hatte, hielt er es für angezeigt, den Arrestanten die vollständige Hoffnungslosigkeit ihrer Situation zu erklären.

»Ja, mit uns allen stehts sehr schlecht«, begann er seine Trostesworte. »Das is nicht wahr, was ihr sagt, daß euch, uns allen, nix geschehn kann. Wofür ham wir eine Polizei, als dafür, daß sie uns für unsere losen Mäuler straft. Wenn eine so gefährliche Zeit kommt, daß man auf Erzherzoge schießt, so darf sich niemand wundern, daß man ihn auf die Polizeidirektion bringt. Das geschieht alles von wegen der Aufmachung, damit der Ferdinand Reklam hat vor seinem Begräbnis. Je mehr unser hier sein wern, desto besser wirds für uns sein, denn um so lustiger wern wirs haben. Wie ich beim Militär gedient hab, war manchmal unsere halbe Kompanie eingesperrt. Und wieviel unschuldige Leute sind schon verurteilt worn. Und nicht nur beim Militär, sondern auch von den Gerichten. Einmal is, ich erinner mich noch gut, eine Frau verurteilt worn, weil sie ihre neugeborenen Zwillinge erwürgt hat. Obgleich sie steif und fest geschworen hat, daß sie die Zwillinge nicht hat erwürgen können, weil sie nur ein Mäderl zur Welt gebracht hat und es ihr gelungen war, es ganz schmerzlos zu erwürgen, is sie trotzdem wegen Doppelmord verurteilt worn. Oder dieser unschuldige Zigeuner in Zabéhlitz, was am Christtag in der Nacht in einen Bäckerladen eingebrochen is. Er hat geschworen, daß er sich nur anwärmen gegangen is, aber es hat ihm nichts genützt. Wie das Gericht mal was in die Hand nimmt, stehts schlimm. Aber das muß sein. Vielleicht sind nicht alle Leute solche Lumpen, wie man es von ihnen voraussetzen kann: aber wie unterscheidest du heutzutage einen anständigen Menschen von einem Lumpen, besonders heut, in einer so ernsten Zeit, wo sie diesen Ferdinand abgemurkst ham. Da hat man bei uns, wie ich beim Militär in Budweis gedient hab, im Wald hinterm Exerzierplatz den Hund von unserem Hauptmann erschossen. Wie er davon erfahren hat, hat er uns alle rufen lassen, hat uns antreten lassen und hat gesagt, daß jeder zehnte Mann vortreten soll. Selbstverständlich war ich auch der zehnte, und so sind wir Habtacht gestanden und ham nicht mal gezwinkert. Der Hauptmann geht um uns herum und sagt: ›Ihr Lumpen, Schurken, Kanaillen, gefleckte Hyänen, ich möcht euch allen wegen dem Hund Einzel aufpelzen, euch zu Nudeln zerhacken, erschießen und blauen Karpfen aus euch machen. Damit ihrs aber wißt, daß ich euch nicht schonen wer, geb ich euch allen zehn Tage Kasernarrest.‹ Also seht ihr, damals hat sichs um ein Hunterl gehandelt, und jetzt handelt sichs sogar um einen Erzherzog. Und deshalb muß Schrecken sein, damit die Trauer für was steht.«

»Ich bin unschuldig, ich bin unschuldig«, wiederholte der Mann mit dem gesträubten Haar.

»Jesus Christus war auch unschuldig«, sagte Schwejk, »und sie ham ihn auch gekreuzigt. Nirgendwo is jemals jemandem etwas an einem unschuldigen Menschen gelegen gewesen. ›Maulhalten und weiterdienen!‹ – wie mans uns beim Militär gesagt hat. Das is das Beste und Schönste.«

Schwejk legte sich auf das Kavallett und schlief friedlich ein.

Inzwischen brachte man zwei Neue. Einer von ihnen war ein Bosniake. Er schritt in der Zelle auf und ab, knirschte mit den Zähnen und jedes zweite Wort von ihm war: »Jeben ti duschu.«3 Ihn quälte der Gedanke, daß ihm auf der Polizeidirektion sein Gottscheerkorb4verlorengehen könnte.

Der zweite neue Gast war der Wirt Palivec, der seinen Bekannten Schwejk, als er ihn bemerkte, weckte und mit einer Stimme voller Tragik rief: »Ich bin auch schon hier!«

Schwejk schüttelte ihm herzlich die Hand und sagte: »Da bin ich wirklich froh. Ich hab gewußt, daß jener Herr Wort halten wird, wie er Ihnen gesagt hat, daß man Sie abholen wird. So eine Pünktlichkeit is eine schöne Sache.«

Herr Palivec bemerkte jedoch, daß so eine Pünktlichkeit einen Dreck wert sei, und fragte Schwejk leise, ob die andern eingesperrten Herren nicht Diebe seien, weil ihm das als Gewerbetreibendem schaden könne.

Schwejk erklärte ihm, daß alle, bis auf einen, der wegen versuchten Raubmordes an einem Bauer aus Holitz hier sei, zu ihrer Gesellschaft wegen des Erzherzogs gehören.

Herr Palivec war beleidigt und sagte, daß er nicht wegen irgendeines dummen Erzherzogs hier sei, sondern wegen Seiner Majestät des Kaisers. Und weil dies die andern zu interessieren begann, erzählte er ihnen, wie die Fliegen ihm Seine Majestät den Kaiser verunreinigt hatten.

»Sie ham mir ihn verschweint, die Biester«, schloß er die Schilderung seines Abenteuers, »und zum Schluß ham sie mich ins Kriminal gebracht. Ich wer das diesen Fliegen nicht verzeihn«, fügte er drohend hinzu.

Schwejk legte sich abermals schlafen, aber er schlief nicht lange, denn man holte ihn ab, um ihn zum Verhör zu führen.

Und so trug Schwejk, während er über die Treppe in die 3. Abteilung zum Verhör schritt, sein Kreuz auf den Gipfel Golgathas, ohne etwas von seinem Martyrium zu merken.

Als er die Aufschrift erblickte, daß das Spucken auf den Gängen verboten sei, bat er den Polizisten, ihm zu erlauben, in den Spucknapf zu spucken, und strahlend in seiner Einfalt betrat er die Kanzlei mit den Worten: »Winsch einen guten Abend, meine Herren, allen miteinand.«

Statt einer Antwort puffte ihn jemand in die Rippen und stellte ihn vor den Tisch, hinter dem ein Herr mit einem kühlen Beamtengesicht von so tierischer Grausamkeit saß, als wäre er gerade aus Lombrosos Buch »Verbrechertypen« herausgefallen.

Er schaute blutdürstig auf Schwejk und sagte: »Machen Sie nicht so ein blödes Gesicht!«

»Ich kann mir nicht helfen«, antwortete Schwejk ernst, »man hat mich beim Militär wegen Blödheit superarbitriert. Ich bin amtlich von der Superarbitrierungskommission für einen Idioten erklärt worn. Ich bin ein behördlicher Idiot.«

Der Herr mit dem Verbrechertypus knirschte mit den Zähnen. »Das, wessen Sie beschuldigt sind und wessen Sie sich schuldig gemacht haben, zeugt davon, daß Sie alle fünf Sinne beisammen haben.«

Und er zählte Schwejk eine ganze Reihe verschiedener Verbrechen auf, angefangen vom Hochverrat und endend mit Majestätsbeleidigung und Beleidigung der Mitglieder des kaiserlichen Hauses. Inmitten dieser Gruppe glänzte die Billigung der Ermordung Erzherzog Ferdinands. Davon ging ein Zweig mit neuen Verbrechen aus, unter denen das Verbrechen der Aufwiegelung strahlte, weil sich alles in einem öffentlichen Lokal abgespielt hatte.

»Was sagen Sie dazu?« fragte der Herr mit den Zügen tierischer Grausamkeit siegesbewußt.

»Es is viel«, erwiderte Schwejk unschuldig, »allzuviel is ungesund.«

»Na also, daß Sie das wenigstens einsehen.«

»Ich seh alles ein, Strenge muß sein, ohne Strenge möcht niemand nirgends hinkommen. Das is so wie einmal, wie ich beim Militär gedient hab …«

»Halten Sies Maul!« schrie der Polizeirat Schwejk an, »und sprechen Sie erst, bis ich Sie etwas fragen werde! Verstehn Sie?«

»Wie sollt ich nicht verstehn«, sagte Schwejk, »melde gehorsamst, daß ich versteh und daß ich mich in allem, was Sie sagen, zurechtfinden kann.«

»Mit wem verkehren Sie denn?«

»Mit meiner Bedienerin, Euer Gnaden.«

»Und in den hiesigen politischen Kreisen haben Sie keine Bekannten?«

»Das schon, Euer Gnaden, ich pfleg mir das Mittagsblatt der ›Národni Politika‹, die Tschubitschka5, zu kaufen.«

»Hinaus!« brüllte der Herr mit dem tierischen Aussehen Schwejk an.

Als man Schwejk aus der Kanzlei führte, sagte er: »Gute Nacht, Euer Gnaden.«

In seine Zelle zurückgekehrt, verkündete Schwejk allen Arrestanten, daß so ein Verhör eine Hetz sei. »Bißl schreit man euch dort an, und zum Schluß wirft man euch heraus.

Früher«, fuhr Schwejk fort, »da wars ärger. Ich hab mal ein Buch gelesen, daß der Angeklagte auf glühendem Eisen gehn und geschmolzenes Blei trinken mußte, damit man erkennt, ob er unschuldig ist. Oder hat man ihm die Füße in spanische Stiefel gesteckt und hat ihn auf eine Leiter gespannt, wenn er nicht gestehn wollt, oder man hat ihm die Hüften mit einer Feuerwehrfackel gebrannt, wie mans dem heiligen Johann von Nepomuk gemacht hat. Der hat herich dabei geschrien, wie wenn man ihn gespießt hätt und hat nicht aufgehört, bis man ihn von der Elisabethbrücke in einem wasserdichten Sack hinuntergeworfen hat. Solche Fälle hats viel gegeben, und nachher ham sie den Betreffenden noch gevierteilt oder irgendwo beim Museum an den Pfahl geschlagen. Und wenn man ihn nur in den Hungerturm geworfen hat, war so ein Mensch wie neu geboren.

Heutzutag ist es eine Hetz, eingesperrt zu sein«, fuhr Schwejk wohlgefällig fort, »kein Vierteilen, keine spanischen Stiefel, Kavalletts hamr, einen Tisch hamr, Bänke hamr, wir drängen uns nicht einer auf den andern, Suppe kriegen wir, Brot geben sie uns, einen Krug mit Wasser bringen sie uns, den Abort hamr direkt vorm Mund. In allem sieht man den Fortschritt. Bisserl weit is es zum Verhör, das is wahr, über drei Gänge und ein Stockwerk höher, aber dafür is es auf den Gängen sauber und lebhaft. Da führt man einen her, den andern hin, Junge, Alte, Männer und Weibsbilder. Man is froh, daß man hier nicht allein is. Jeder geht zufrieden seines Wegs und muß sich nicht fürchten, daß man ihm in der Kanzlei sagt: ›Also wir ham uns beraten, und morgen wern Sie gevierteilt oder verbrannt, je nach Wunsch.‹ Das war sicher ein schwerer Entschluß, und ich denk, meine Herren, daß mancher von uns in einem solchen Moment ganz getepscht war. Ja, heutzutag ham sich die Verhältnisse zu unsern Gunsten gebessert.«

Er beendete gerade die Verteidigung des modernen Gefängniswesens, als der Aufseher die Türe öffnete und rief: »Schwejk, ziehn Sie sich an, Sie gehn zum Verhör.«

»Ich zieh mich an«, antwortete Schwejk, »ich hab nichts dagegen, aber ich fürcht mich, daß es ein Irrtum is, ich bin schon einmal beim Verhör herausgeworfen worn. Und dann fürcht ich mich, daß sich die übrigen Herren, die hier mit mir sind, nicht auf mich ärgern, weil ich zweimal hintereinander geh und sie heut noch nicht einmal dort waren. Sie könnten auf mich eifersüchtig wern.«

»Kommen Sie heraus, und quatschen Sie nicht«, lautete die Antwort auf die kavaliermäßige Kundgebung Schwejks.

Schwejk befand sich abermals vor dem Herrn mit dem Verbrechertypus, der ihn ohne jede Einleitung hart und unabweisbar fragte: »Gestehn Sie alles?«

Schwejk heftete seine guten, blauen Augen auf den unerbittlichen Menschen und sagte weich: »Wenn Sie wünschen, Euer Gnaden, daß ich gesteh, so gesteh ich, mir kanns nicht schaden. Wenn Sie aber sagen: ›Schwejk, gestehn Sie nichts ein‹, wer ich mich herausdrehn, bis man mich in Stücke reißt.«

Der gestrenge Herr schrieb etwas in die Akten, und während er Schwejk die Feder reichte, forderte er ihn auf, zu unterschreiben.

Und Schwejk unterschrieb die Angaben Bretschneiders sowie folgenden Zusatz:

 

Alle oben angeführten Beschuldigungen gegen mich beruhen auf Wahrheit.

Josef Schwejk

 

Nachdem er unterschrieben hatte, wandte er sich an den gestrengen Herrn: »Soll ich noch was unterschreiben? Oder soll ich erst früh kommen?«

»Früh wird man Sie ins Strafgericht überführen«, lautete die Antwort.

»Um wieviel Uhr, Euer Gnaden? Damit ich um Himmels willen nicht verschlaf.«

»Hinaus!« wurde Schwejk an diesem Tage schon zum zweitenmal von hinter dem Tische angeschrien, vor welchem er stand.

Als er in sein neues vergittertes Heim zurückkehrte, sagte Schwejk dem Polizisten, der ihn begleitete: »Alles geht hier wie am Schnürl.«

Sobald die Türe hinter ihm geschlossen war, überschütteten ihn seine Gefängniskollegen mit verschiedenen Fragen, auf die Schwejk klar entgegnete: »Soeben hab ich gestanden, daß ich herich den Erzherzog Ferdinand erschlagen hab.«

Sechs Männer duckten sich entsetzt unter die verlausten Decken, nur der Bosniake sagte: »Herzlich willkommen!« Während er sich auf das Kavallett legte, sagte Schwejk: »Das is dumm, daß wir hier keinen Wecker ham.«

Am Morgen weckte man ihn aber auch ohne Wecker, und Punkt sechs Uhr führte man Schwejk im »grünen Anton« zum Landesstrafgericht.

»Morgenstunde hat Gold im Munde«, sagte Schwejk zu seinen Mitreisenden, als der »grüne Anton« aus dem Tor der Polizeidirektion fuhr.