António Lobo Antunes
Guten Abend
ihr Dinge hier unten
Roman in drei Büchern
mit Prolog & Epilog
Aus dem Portugiesischen von
Maralde Meyer-Minnemann
Weil wir für die erste Portugiesischstunde nach den großen Ferien einen Aufsatz über den Ort schreiben sollten an dem wir waren erzähle ich davon daß ich mit meinen Eltern nach Luanda gefahren bin und es hat mir sehr gut gefallen denn man kann den ganzen Tag am Strand sein und gegenüber vom Hotel ist da auch eine sehr schöne Insel voller Kokospalmen und ich hatte noch nie Kokospalmen gesehen dazu noch am Meer und meine Mutter hat sich meinetwegen keine Sorgen gemacht weil die Wellen ruhig sind und einen nicht ertrinken lassen und einem auch nichts tun und wir eigentlich die meiste Zeit überhaupt nicht am Strand waren wir waren auf dem Schiff von dem ausländischen Herrn für den mein Vater arbeitet und das Schiff hat eine ganz kleine Küche und ein ganz kleines Badezimmer und sechs Kojen übereinander auf den Seiten und alles und der ausländische Herr hat zu meiner Muter gesagt wenn sie wollte könnte ich meine Siesta in der Kajüte halten aber ich habe nicht geschlafen weil das kleine runde Fenster vom Schiff immer rauf und runter ging denn die Schiffe gehen immer rauf und runter ich habe Vögel und andere Schiffe und Bäume und Leute im Badeanzug gesehen fast alles Weiße und auch ein paar Neger allerdings nicht viele die sind nämlich noch arm und die Frau vom ausländischen Herrn sagt es ist eine Frage der Zeit und meine Mutter findet die Babys von den Negern zum Fressen süß und findet es schade daß die größer werden meine Mutter sagt wenn sie größer werden werden sie häßlich und kriegen einen komischen Geruch und zu meinem Vater hat sie gesagt wir könnten einen dieser niedlichen Jungs mit nach Lissabon nehmen und ihn später bei Tisch servieren lassen man muß sie aber von Anfang an erziehen sonst wissen die nämlich nicht wie man sich benimmt und die Frau vom ausländischen Herrn hat gesagt daß sie einen richtig guten schwarzen Koch hat der sogar französisches Essen macht und mit einem starken Deo würde man diesen komischen Geruch gar nicht merken und mein Vater und der ausländische Herr haben das nicht mitbekommen weil sie über Erdöl gesprochen haben und meine Mutter ganz interessiert zur Frau des ausländischen Herrn und wo haben Sie den denn her und die Frau des ausländischen Herrn hat gesagt wir haben ihn während des Krieges aus dem Landesinnern kommen lassen man muß sie so früh wie möglich von der Familie trennen damit sie keine Laster bekommen und ich zur Frau des ausländischen Herrn was für ein Krieg und meine Mutter habe ich dir nicht gesagt du sollst den Mund halten wenn die Erwachsenen miteinander reden und die Frau des ausländischen Herrn hat mich gestreichelt und zu meiner Mutter gesagt was für schönes Haar hat Ihre Tochter und dazu noch so kräftig und zu mir hat sie gesagt das war kein richtiger Krieg das waren ein paar Probleme mit ein paar bösen Leuten aber dann haben Gott sei Dank die Leute begriffen daß sie böse waren und sind gut geworden und alles war gut und meine Mutter sagte zum Glück ist Schluß mit den Komplikationen mein Mann ärgert sich schrecklich damit herum und ich sage ihm ständig er soll sich nicht so schrecklich ärgern und er sagt ich kann nichts dafür ich bin nun mal so er war der Direktor eines Dienstes worum es da ging weiß ich nicht so genau und er in seiner verschlossenen Art hat es mir auch nie erzählt deshalb habe ich auch nie verstanden wohin der Minister ihn immer schickte aber dann haben meine Mutter und die Frau des ausländischen Herrn auf französisch über etwas anderes geredet damit ich es nicht verstand aber ich bin nicht böse gewesen und habe auch nicht gefragt worüber redet ihr jetzt ich war davon abgelenkt weil ich sah wie meine Mutter an der Stelle wo die Träger des Badeanzuges von der Schulter heruntergerutscht waren einen Sonnenbrand bekam und der Bedienstete brachte meinem Vater und dem ausländischen Herrn ich glaube Whisky auf einem Tablett und ich habe meinen Vater gefragt ob ich einen ganz kleinen Schluck probieren darf und mein Vater hat mich neben sich gesetzt und gesagt ein winziger Schluck ist in Ordnung und der ausländische Herr hat in dem Augenblick in dem meine Mutter protestieren wollte gesagt nur ein winziger Schluck und es hat weder süß noch gut ganz merkwürdig geschmeckt und machte daß das runde Fenster noch schneller rauf und runter ging und mein Vater hat gesagt wie drollig die Kleine und meine Mutter hat nicht in der fremden sondern in unserer Sprache gesagt ich finde das überhaupt nicht witzig und mein Vater der gerade lachte riß die Augen mit einem Ausdruck auf der halt den Mund sagte und meine Mutter schwieg ich muß auch lernen die Augen so aufzureißen und ein Gesicht zu haben das halten Sie den Mund zu meiner Mutter sagt wenn sie mit mir schimpft und ich fand es nur schade daß ich nicht häufiger mit den Söhnen eines Negers spielen konnte der so alt wie mein Vater und der ausländische Herr war und in einem Auto mit Chauffeur und einem Fähnchen am Kotflügel kam und den mein Vater und der ausländische Herr mit mein teurer Herr Admiral anredeten und meine Mutter sagte zur Frau des ausländischen Herrn daß der teure Herr Admiral für einen Neger gar nicht schlecht war und die Frau des ausländischen Herrn sagte was das betrifft bin ich derselben Meinung und dann wieder Französisch und sie lachten beide und der teure Admiral hat seine Kinder mitgebracht der ältere war ein Jahr und vier Monater älter als ich und der jüngere zwei Jahre und acht Monate jünger und wir sind nach unten gegangen und haben uns auf die Kojen gesetzt und nachdem wir es langweilig fanden uns gegenseitig anzugucken hat mich der ältere gefragt soll ich dir mal was zeigen und ich bin auf einem Bein herumgehüpft und habe gesagt wenn du willst und der der älter war als ich hat die Hose aufgemacht und ich sah was und der der jünger war als ich hat gesagt das werde ich dem Vater sagen und der der älter war als ich hat die Hose wieder zugemacht und den der jünger war als ich so lange geschubst bis er versprochen hat nichts zu sagen und dann ist der der jünger war als ich mit dem Finger im Mund in einer Koje eingeschlafen und der der älter war als ich hat gesagt daß sein Bruder noch ins Bett pinkelt und er nicht und ich zu dem der älter war als ich zeig noch mal und dann hatte ich genug und bin dahin zurückgegangen wo mein Vater mit dem ausländischen Herrn und dem teuren Admiral zusammensaß und auf der Insel wedelten die Kokospalmen ein bißchen obwohl es keinen Wind gab und ich merkte wie meine Mutter nicht aufhörte den teuren Admiral anzugucken und als sie merkte daß ich es gemerkt hatte daß sie nicht aufhörte den teuren Admiral anzugucken wurde sie ganz rot und ich hatte das Gefühl sie würde mir gleich den Hals umdrehen nur hat sie ihn mir nicht umgedreht sie hat gesagt ich soll den Strohhut aufsetzen wegen der Sonne mit einer eigenartigen Stimme die bewirkte daß mein Vater sich über sie wunderte während er mit dem teuren Admiral und dem ausländischen Herrn mit komplizierten Worten diskutierte die ich nicht verstand und mitten in dem was ich nicht verstand habe ich Diamanten verstanden aber Provisionen nicht und ich habe meinen Vater gefragt was sind Provisionen und mein Vater hat zwischen den komplizierten Worten eine Pause gemacht und gesagt geh mit den Söhnen vom Herrn Admiral spielen und ich habe das gemacht und nachmittags haben sie uns Mangoeis gegeben und ich habe noch einen winzigen Schluck probiert diesmal ging nicht das Schiff rauf und runter sondern ich hatte Lust mich auf den Schoß meiner Mutter zu legen und die Augen zuzumachen und deshalb habe ich mich auf den Schoß meiner Mutter gelegt und die Augen zugemacht und meine Mutter hat gesagt also wirklich du wiegst Tonnen und zur Frau des ausländischen Herrn sagte sie diese Kinder und die Frau des ausländischen Herrn sagte sie sind trotzdem das Beste was man im Leben hat und meine Mutter die immer wenn sie konnte den teuren Admiral anguckte sagte wenn sie das Beste sind was wir im Leben haben ist das Leben nichts Tolles und dann sagte sie ich habe nur Spaß gemacht und dann hat sie mich so geküßt daß mir so war als wäre der Kuß nicht für mich bestimmt und der Kuß fühlte sich größer als die Küsse an die sie mir sonst gab und ihre Hände waren auf meinem Rücken und taten mir weh und ich habe gesagt Sie tun mir weh und die Hände und der Kuß hörten auf und es blieben nur die Insel und das Meer und ich fühlte mich wie eines dieser kleinen Insekten die über den Kokospalmen fliegen und die Frau des ausländischen Herrn sagte zu meiner Mutter jetzt haben die Schwierigkeiten in Angola ein Ende das Leben hier ist kein Vergleich zu dem in Europa dieses großartige Klima und wenn der Sohn vom teuren Admiral das nächste Mal die Hose aufmacht schwöre ich daß ich ihn anfassen werde um sicherzugehen daß das was er mir gezeigt hat wirklich wahr ist.
Von António Lobo Antunes
sind beim Luchterhand Literaturverlag
bisher folgende Romane erschienen:
Das Handbuch der Inquisitoren (1997)
Portugals strahlende Größe (1998)
Anweisungen an die Krokodile (1999)
Der Tod des Carlos Gardel (2000)
Die Rückkehr der Karavellen (2000)
Geh nicht so schnell in diese dunkle Nacht (2001)
Fado Alexandrino (2002)
Einblick in die Hölle (2003)
Was werd ich tun, wenn alles brennt? (2003)
Elefantengedächtnis (2004)
Außerdem erschien in der
Sammlung Luchterhand der Band:
Maria Luisa Blanco
Gespräche mit António Lobo Antunes (2003)
Verbessere ich das hier nun mit Worten, oder rede ich von dem, was wirklich, nicht hier, in Lissabon und in Luanda vor fünf Jahren geschehen ist? Fünf Jahre sind eine lange Zeit
ich weiß
aber manchmal, am Ende des Tages auf dieser Fazenda, um die ich mich nicht kümmere
(niemand kümmert sich um sie, die Vögel kümmern sich um sie, die, während sie mich von der Seite anstarren, gemächlich schlucken, was von den Sonnenblumen und der Baumwolle übriggeblieben ist)
fünfzig oder sechzig Kilometer von dem Ort entfernt, an dem alles geschehen ist, in diesem kolonialen Gebäude, das einmal dem Postenchef gehört hat
irgendeinem Postenchef, den ich nicht kennengelernt habe und der voller Angst auf der Flucht
(Flucht wohin, denn man flieht nicht aus Angola, ich habe viel zu spät begriffen, daß man aus Angola nicht flieht, Europa ist zu weit, und dann die Gleichgültigkeit, die Müdigkeit, das Alter, wir verbrauchen uns so schnell in Afrika, ein Schulterzucken, ein resignierendes
– Was soll’s?)
in diesem Kolonialgebäude, in dem irgendein Postenchef das Foto der Kinder zurückgelassen hat, die man in dem Rahmen aus schwarzem Gewebeband kaum erkennen kann und von denen ich mir nachts, nach der zweiten Flasche, vorstelle, sie seien meine Kinder, von denen ich denke, sie gehörten mir, denke, sie gehörten mir so wie das Haus, das niemandem gehört, ein Wohnzimmer, eine Küche, eine Dusche im Freien, will heißen, ein Eimer, der an einem Nagel von einem krummen Draht baumelt, und ein Dorf mit alten Leuten
(übriggeblieben sind nur alte Leute)
die in den Pfützen nach Fröschen suchen, die Erde in der Hoffnung auf eine Schlange durchwühlen, welche sie in einem Topf braten, die den Vögeln und mir Sonnenblumen und Baumwolle stehlen, manchmal, wenn der Tag endet, wenn die erste Flasche ihre Arbeit zugunsten der Gleichgültigkeit noch nicht begonnen hat und Erinnerung und schlechtes Gewissen weiterhin schmerzen
(denn die Hölle besteht darin, daß wir uns die ganze Ewigkeit lang erinnern
so ist es doch, oder?
in einen riesigen Kessel von Erinnerungen getaucht sind, aus denen Gesichterbläschen, verblichene Ereignisse, Sie, Mutter, an die Oberfläche der kochenden Masse kommen)
erscheint in meinem Kopf, nein, nicht im Kopf, direkt vor mir, was ich mit Worten verbessere oder was wirklich geschehen ist
wirklich geschehen ist
und die Baumwollblüten schließen sich, die Sonnenblumen richten sich ein wenig zur Dämmerung hin auf, die Flasche versucht, mich dem Frieden oder dem Schlaf näher zu bringen, was ihr nicht gelingt, die Flüssigkeit läuft mir weder aus dem Mund, noch vermischt sie sich mit den Flecken auf dem Hemd, sie brennt an meinem Gaumen, läßt die Wunde nicht vernarben, die beim ersten Schritt, einstweilen noch nicht pochend
(ich könnte schwören, daß Mäuse, vielleicht einer der Hunde der Alten im Wohnzimmer die Kinder des Postenchefs anstarren
oder meine Kinder?
die Kinder des Postenchefs an der Wand anstarren, zum Teufel mit dem Hund)
nur drei Stockwerke
das fünfte, sechste und achte
in einem Gebäude mit Arztpraxen und Firmen fast im Zentrum Lissabons
(der Dienst ist auch eine Firma
– Wir dürfen nicht auffallen
erklärte der Oberstleutnant
und wir exportierten Marmeladen, die Dossiers müssen hier irgendwo sein, es sei denn, bei der vierten Flasche Aufbegehren, verzweifeltes Stolpern, Hände, die in der Tasche zittern, ein Streichholz, und keine Dossiers, Herr Direktor, ich habe sie verbrannt)
im achten Stockwerk das Büro des Direktors und im Fenster die Stierkampfarena
(der Hund
nicht Mäuse
den die Kinder des Postenchefs langweilen, die ich Margarida und Pedro getauft habe, obwohl es mir bei näherem Hinsehen so vorkommt, als sei Margarida auch ein Pedro, der Hund schnieft moosige Freundschaft an meinen Schenkel)
was von der Stierkampfarena im Fenster zwischen den Bäumen wächst, Stierkampfplakate, die nie vollständig auf den Ziegelsteinen haften, da ist immer eine Ecke locker, ich an der Ecke interessiert
(ich habe einmal im Zirkus einen Zauberer gesehen, der mit der Kraft seines Geistes Löffel geradegebogen hat)
und der Direktor, ohne sich um den Hund zu kümmern
– Die Bewertungen die man Ihnen gegeben hat haben mir durchaus gefallen Seabra
merkte nicht einmal, daß ich das Tier immer mit dem Knie abschüttelte und es wieder herbeirief, es gibt eben Zeiten, in denen ein Hund hilft, der Direktor, der Oberstleutnant
(gibt es die Stierkampfarena noch, Mutter?)
und der für das achte Stockwerk Verantwortliche entfaltete Landkarten mit Kreuzen und Bleistiftbuchstaben eilfertig bis zum letzten, sie ausstreichenden Klaps mit der Handfläche wie ein Verkäufer
(mein Stiefvater war so, stolz auf seine Geschicklichkeit am Ladentisch, wenn er uns anderthalb Meter Cretonne feilbot
– Hier haben wir einen wirklich schönen Stoff Madame)
Pläne mit Gebäuden, Plätzen, Straßen, roten und blauen Pfeilen, und der für das achte Stockwerk Verantwortliche zog ohne den Ring mit dem grünen Stein, ohne Angestellte, ohne Regale hinter sich mit dem Zeigefinger auf der Karte einen Kreis
– Also hier haben wir Luanda meine Herren
geometrische Formen, die der Finger
(weil nur der Finger existierte, riesig, mit einer Riefe im Nagel)
Kaserne, Ministerium, Polizei nannte, von einer Stierkampfarena keine Spur
(sie brachten die Tiere in einem geschlossenen Lastwagen, ich erkannte einen Schwanz, ein Auge, ein Horn)
der Nagel auf einem nichtssagenden Quadrat an einem Ende der Karte
– Unser toter Briefkasten
oder, besser besagt, eine Lücke zwischen Ziegelsteinen in der Nähe der Festung, die ich ewig lange gesucht habe
(und links von uns das Meer, unten immer links von uns das Meer)
wo Informationen hinterlassen wurden und man Befehle erhielt, wo mir eine Woche nach meiner Ankunft gesagt wurde
– Auf einem Papier das Sie verbrennen müssen Seabra
(und der Direktor zum Oberstleutnant, während er mir die Schulter mit dem Händchen tätschelte
– Er weiß das)
wie der Gehilfe der Zielperson zu finden sei
jeder Stier trug ein Schleifchen auf der Kruppe, der Direktor befestigte, meine Schulter tätschelnd, das Schleifchen an mir, als ich meinen Knochen abtastete, als ich muhte, der Verantwortliche für das achte Stockwerk
– Juckt es sie Seabra?
während der Direktor und der Oberstleutnant mit Lanzen auf mich einstachen, ihre Stimmen erstickt im Atem der Tiere, meinem Atem
– Ihr Name wurde uns von oben empfohlen Seabra
und die Sonnenblumen und die Baumwolle waren jetzt unsichtbar, manchmal hört man vom Dorf herüber die Wildhunde, die die Alten verfolgen, oder aber es sind die Kinder des Postenchefs, die bellen, oder ich bin es, der bellt
(nicht immer gibt mir die Flasche, um was ich sie bitte, Mutter)
oder der Direktor reckt seine Schnauze über einen Erdkamm
(verbessere ich das hier nun mit Worten, oder rede ich von dem, was wirklich geschehen ist?)
– Ein netter kleiner Urlaub in Angola stellen Sie sich mal vor wie neidisch Ihre Kollegen sein werden Seabra
ich rede von dem, was wirklich geschehen ist, irgendwo im Haus sind die Dossiers, die Anweisungen, die Telegramme, Marina, wenn ich sie zerreißen, meinen Namen ändern, zurückkehren könnte, wenn sie nach dem Kampf die Stiere nicht töten würden, ihnen die Banderillas herausziehen und sie in Frieden lassen würden, hätte ich eine neue Anstellung, eine andere Wohnung in Lissabon, würde ich nur sonntags bei meiner Mutter zu Mittag essen, der Abdruck meines Stiefvaters über dem größeren Abdruck meines Vaters im Sessel im Wohnzimmer, der niemals meinen Abdruck tragen wird, die Lampe, deren Fuß ein Mandolinenspieler ist, der die Münzen in seiner Handfläche zählt, auf dem verglasten Balkon ist das Bügelbrett aufgebaut
(ich erinnere mich nicht daran, daß das Bügelbrett je zusammengeklappt gewesen wäre)
der Direktor oder die Kinder des Postenchefs sind gleich angezogen
– Sie sind doch nicht verheiratet Seabra?
sind nur noch auf einen Rahmen aus schwarzem Gewebeband beschränkt, so wie ich nur noch auf die Fazenda beschränkt bin, auf nur noch zehn Handbreit Maniok, auf die Einfriedung für die Hühner, der Direktor und der Oberstleutnant trennten mich von den anderen
– Der Neid Ihrer Kollegen Seabra
durch das System von Türen, die in der Stierkampfarena geöffnet und geschlossen wurden, eine Schreibkraft begegnete mir, ohne mich zu begrüßen
weil sie Mitleid mit mir hatte?
ihr Parfüm, das hinter ihr verebbte, verdichtete den Geruch der Stiere vom vorangegangenen Kampf, eine letzte Tür unmittelbar vor der Arena
– In diesem Büro können wir besser reden
bunte Lappen oder Seiten, mit denen sie vor mir wedelten, mich dadurch zwangen weiterzugehen
– Haben Sie wenigstens den Bericht gelesen?
die Spitze eines Kugelschreibers, die mich, anstatt die Absätze zu unterstreichen, an der Kruppe reizte
– Beachten Sie besonders Kapitel zwölf
und ich wandte mich gekrümmt nach hinten, verbarg einen Speichelfaden mit dem Ärmel, der Oberstleutnant
– Tut Ihnen etwas weh mein Freund?
und dann Bilder, das Foto des Präsidenten, die Fahne, als ich in den Dienst eintrat, haben sie mich dort empfangen, der Direktor
nicht dieser, der Kommodore
streckte mir den lebenden Fisch seiner Hand entgegen, der gerade aus dem Eimer der Tasche herausgezogen worden war, sich wehrte, protestierte, sich beruhigte, als er ihn in der Tasche versteckte, das Gesicht des Kommodores ruhig, gegenüber diesem Kiemenaufruhr gleichgültig
– Sehr gut sehr gut
während ich ihn beinahe gebeten hätte
– Rühren Sie sich nicht
weil ich befürchtete, die Fische würden aus der Jacke herauskommen und einer, mit einem Pflaster am kleinen Finger, in nicht enden wollender Agonie um mich herumhüpfen, die Hände des Direktors hingegen zappelten nicht, sie ließen sich auf dem Löschpapier nieder und wurden zu Gegenständen, die meines Schwiegervaters flatterten in kurzen Flügen durch den Stoffladen, eilfertig, freundlich
– Madame
an die meines Vaters erinnere ich mich nicht, meine Hände tasten in der nächtlichen Fazenda nach dem Flaschenhals, finden ihn nicht, beginnen aufs neue, seit Monaten schon vertun sie sich bei den Hemdknöpfen, der für das achte Stockwerk Verantwortliche
– Mit den Gedanken woanders Seabra?
war eine Fortsetzung der Sonnenblumenstengel oder des im Juli trockenen hohen Grases, die Stimme der Baumwolle am Feld in der Stimme meiner Mutter
nicht die Baumwolle, nicht meine Mutter, der Oberstleutnant oder diese rittlings auf einer Mauer sitzenden Männer, die mich in die Arena treiben werden, mich mit Schreien, mit Schlägen auf die Bretterwand reizen
– Ein Portugiese der uns in Angola schlecht aussehen läßt Seabra
die Lanzen, die nicht abließen, mich am Rücken zu quälen, Claudia
– Eine Woche wo?
meine Mutter, die mir mit dem Koffer half
– Luanda?
ich, ein Schwanz, ein felliges Auge, ein Horn, scharrte mit den Hufen auf dem Boden, bevor meine Mutter klagend
– Der Teppich
der von meinem Stiefvater zerknittert wurde, als er sich im Stuhl bewegte, meine Mutter, die die Fransen wieder glattzog
– Nun steh schon auf
ihnen erklären, ihr und Claudia, die aufgehört hatte, sich zu entkleiden, auf dem Bett saß und beide Füße gegeneinanderrieb
(gleich wird in der Arena die Trompete ertönen, gleich kommen die Capas)
– Nach Luanda einem Kerl den Kopf zurechtrücken der dem Dienst Schaden zufügt das wird nur drei höchstens vier Tage dauern
mein felliges Auge, mein Schwanz, mein Horn, ein Knie, das ich nur unter Schwierigkeiten beugen kann, der Direktor, wedelnde, flatternde Dokumente
– Schauen Sie sich das an Seabra
entziehen sich mir, wenn ich sie erreiche, und Applaus und Musik, weder drei noch vier Tage, fünf Jahre, ich hatte keine Gelegenheit zu schreiben, Mutter, ich konnte dich nicht anrufen, Claudia, Ehrenwort, ich wollte es tun, tut mir leid
meine Mutter prüfte den Teppich, klaubte unsichtbare Staubflocken auf, strich eine Falte glatt, Claudia ließ nicht zu, daß ich mich neben sie auf das Bett setzte
mit dem Anfang der Regenzeit sind die Sonnenblumen präsenter, summen, ich schüttele sie, und Moskitos, das sind keine Banderillas, was mich da am Hals verletzt, das sind Moskitos, ich setze mich auf die Stufe zur Veranda, und der Hund springt erschrocken auf, nimmt an, ich wolle ihn schlagen, so wie ich annehme, daß sie mich demnächst nachts besuchen werden, ein zweiter Stier, genau so einer wie ich
– Ihr Name wurde uns von oben empfohlen Miguéis
wird ebenfalls von den bunten Lappen der Kopien von Telefonaten gezwungen, vor Angst muhend weiterzugehen, von Diagrammen, geometrischen Formen
Fünfecken, Dreiecken
die sie Kaserne, Ministerium, Polizei nennen
– Also hier haben wir Luanda
ein nichtssagendes Quadrat an einem Ende der Karte, nicht der tote Briefkasten in der Nähe der Festung
(und das Meer links von diesem Miguéis, das Meer unten, immer links)
die Fazenda, dieser koloniale Bau, die Kinder des Postenchefs, die mich mitleidig beobachten, ich erlebe, wie Miguéis ankommt, stehe nicht einmal auf, als der Jeep, der in die Spurrille geklemmt vom Dorf heraufgeschaukelt ist, anhält, erlebe, wie er sich an den Direktor erinnert
– Mit den Gedanken woanders Miguéis?
was ihn dazu bringt, nach der Pistole zu tasten, während seine Schritte im hohen Gras, zwischen den Baumwollsträuchern immer näher kommen, die lebenden Fische der Hände des Kommodores ermutigen ihn
– Sehr gut sehr gut
ich hebe die Flasche grüßend oder einladend, er zögert, und dennoch die Trompete in der Arena, der Applaus, seinen Schwanz, sein Horn, sein felliges Auge erspähen, während Miguéis zugleich meinen Schwanz, mein Horn, mein felliges Auge erspäht, wir voreinanderstehen, zwei identische Stiere, Cláudia läßt nicht zu, daß er sich neben sie auf die Bettkante setzt
– Ich verbiete dir mich zu küssen küß mich nicht
die Freundin von Miguéis, nicht meine, denn ich seit fünf Jahren, trotz
– Drei Tage höchstens vier
und Cláudia, du bist nicht wie Seabra, nicht wahr, schwör mir, daß du nicht wie Seabra bist, aber dennoch der Direktor, der Oberstleutnant, der für das achte Stockwerk Verantwortliche, das Bügelbrett seiner Mutter auf dem verglasten Balkon, die Sorge um den Teppich, Miguéis geht, den Operationsanweisungen entsprechend, auf mich zu, das Telegramm nach Luanda suggeriert eine ihn erwartende Beförderung
– Eine angenehme Überraschung Miguéis
von morgen an Hunderte von freien Sonntagen, in zehn Minuten
höchstens fünfzehn Minuten
sobald er zum Jeep zurückkehrt, und anschließend Luanda und danach der Flughafen und danach Lissabon, im Sessel seinen Abdruck über dem seines Stiefvaters und seines Vaters eindrücken, Zeit, sich um einen betrunkenen Kerl zu kümmern, der ihm auf einem traurigen Hof in der Nähe eines Dorfes von alten Leuten die Flasche hinstreckt, die ihm nicht antworten werden, wenn er sie nach dem Haus fragt, die sich mit einer kleinen, im Topf gebratenen Schlange oder so vergnügen, der Kerl, von dem sie ihm nicht gesagt haben, wer es war, er
– Seabra?
und der Direktor
– Wir ziehen vor sie Zielperson zu nennen verstehen Sie?
so alt wie er und mit derselben Narbe an der Augenbraue von einem Sturz als Kind
(eine andere Narbe, ich bemerke meine nicht einmal, hätte sie vergessen, wenn Claudia beim ersten Mal in ihrem Schlafzimmer, mit plötzlich riesigen, nach Mitessern gierenden Krallen nicht
– Laß mich mal diese kleine Narbe genauer ansehen)
den Revolver auf die Narbe richten, sobald Seabra die Flasche hebt
– Möchten Sie was?
(ein Lächeln mit zuviel Gaumen)
Seabra, der sich beklagt, schauen Sie bloß, was Angola aus mir gemacht hat, Mutter, wenn ich bei Ihnen klingelte, würden Sie durch das Glas in der Tür gucken und mich wegschicken
– Ich brauche nichts
das Lächeln, das sich trotz des Revolvers nicht veränderte, die Gewißheit, daß sie seit Jahren auf ihn warteten, nicht seit drei oder höchstens vier Tagen, seit fünf Jahren
(ein felliges Auge, ein Horn, ein Schwanz)
nur auf mich warten, denn ich bin der einzige Angestellte des Dienstes
– Sie wurden nicht von oben empfohlen Seabra Sie sind der einzige Angestellte den wir haben
auf einem Hof ohne Filter für das Wasser, ohne Tabletten gegen Malaria, ohne den Oberstleutnant
– Tut Ihnen etwas weh mein Freund?
wie kommen Sie darauf, Herr Oberstleutnant, mir tut nichts weh, mir geht es ausgezeichnet
dies schnell mit Worten verbessern, Mutter, Claudia, ich verspreche, mit dem Teppich aufzupassen, ich rücke die Fransen gerade, lasse nicht zu, daß die Asche
nicht die Asche der Zigarette, ich rauche nicht, die Asche der Dossiers, die ich nicht gelesen habe, und ich werde nicht zulassen, daß die Asche die Wolle befleckt, ebenso wie ich nicht zulassen werde, daß die Flasche unter der Kommode, denn beim ersten oder zweiten Schuß war der Flaschenhals
in dem kaum noch Wein ist
– Was wollen Sie mir anbieten?
die Stufen des kolonialen Gebäudes heruntergerollt und im hohen Gras verschwunden, das fellige Auge, dieses
– Claudia
blieb dort und verweste, entgegen den Anweisungen, die von einer Grube sprachen
– Die Erde in Afrika ist fett Miguéis die frißt die Körper schnell auf
und dazu die Schaufel, die Hacke und ein Sack ungelöschter Kalk im Jeep, das Auge, den Schwanz, das Horn ebenfalls ins hohe Gras werfen, die Strohpuppe des auf dem Boden gekreuzigt daliegenden Seabra, das Foto mit den Kindern stumm
(Margarida und Pedro oder zwei Pedros)
ich möchte wetten, daß sie sich vom ersten Tag an, obwohl ich sie hin und wieder gegrüßt habe
die Undankbaren
nie für mich interessiert haben, erst bei der fünften oder sechsten Flasche ein ungehaltenes Winken
– Wir kennen dich nicht
wenn ich mich dem Rahmen näherte, ein mageres Männlein, das die Vögel der Sonnenblumen und der Baumwolle später verschlingen sollten, oder diese Tiere Afrikas, die der Stiefvater im öffentlichen Park mit den anderen Rentnern tauschte und auf Briefmarken im Album verwahrte
(der Gorilla, der Elefant, die Hyäne)
voller Kinnladen und merkwürdigem Geheul, falls sie beim Dienst
– Haben Sie die Zielperson begraben Miguéis?
die Rechenmaschine zuklappend locker antworten
– Ja ich habe sie begraben
da in diesem Augenblick der Gorilla, der Elefant und die Hyäne von den Briefmarken mit dem Preis in einer Ecke bereits das fellige Auge verschluckt haben, das immer noch verblüfft schaute, die Pistole auseinandernehmen
(und der Direktor, während er die Brille wechselte und die Karte eingehend betrachtete
– Es muß dort einen Fluß geben denn daran herrscht in Afrika kein Mangel zu meiner Zeit zeichnete man die Flüsse blau ein mit diesen modernen Kritzeleien komme ich nicht zurecht)
die Pistole auseinandernehmen, das Magazin, den Schloßhalter, den Hahn, diesen bewußten Fluß oder irgendeinen Fluß suchen, so ein Ärger, statt dessen giftige Schlangen, Klapperschlangen, Boas, also die Pistole ins hohe Gras werfen, den Jeep auf dem Pfad wenden, nach Luanda zurückkehren, und dennoch würde er nicht nach Luanda zurückkehren, so wie auch kein Stier in den Lastwagen zurückkehrt, mit dem er gekommen ist, zu viele bunte Lappen, zu viele Lanzen und Applaus und Capas, er würde sich darauf beschränken, meinen Platz fünf Jahre lang einzunehmen
oder sechs oder zwei oder neun
die Geräusche der Nacht hören, dabei trinken, dabei dies mit Worten verbessern oder davon reden, was wirklich geschehen ist
(wirklich geschehen ist)
in der Nähe eines Dorfes mit alten Leuten, die Schlangen in einem Topf brieten, bis der dritte Stier
– Sie wurden uns von oben empfohlen Borges
und ein respektvolles Kinn wies zur Decke
von Lissabon aus zu ihm fahren, den Jeep und die Hacke und die Schaufel finden würde, die darin zerbröselten, der Oberstleutnant überreicht mir die Berichte
– Nervös Seabra?
bemerkt den Jeep nicht, die Pistole, die Sonnenblumen, die Baumwollsträucher, Marina, die mir das
– Das war das Haus
zeigt
(und links von uns das Meer, unten immer links von uns das Meer, man schaute aus dem Fenster, und anstelle der Stierkampfarena das Meer)
verbessere ich das hier nun mit Worten, oder rede ich von dem, was wirklich geschehen ist?
schaute man beim Dienst aus dem Fenster, waren da die Bäume des Campo Pequeno, das abgelöste Plakat, eine Dame mit Spazierstock, die mit einer anderen Dame mit Einkaufswagen redete, die mit dem Spazierstock ähnelte in der Art, wie sie zuhörte und den Kopf bewegte, meiner Mutter
– Der Teppich
mir kam es so vor, als würde jemand im Büro in einem leisen spöttischen, hinter einem Taschentuch verborgenen Ton lachen, ich dachte, der Direktor, der Oberstleutnant, der für das achte Stockwerk Verantwortliche, aber die drei waren ernst, zeichneten, die Nasen zusammengesteckt, Striche auf die Karte, ich dachte an Cláudias kleinen Bruder, der, als wir uns, vom Kino heimgekehrt, an den Tisch setzten
– Du hast da Lippenstift am Kinn
und sofort die Augenbrauen ihres Vaters
– Wie bitte?
zwei Linien, die sich in einer beleidigten Furche vereinigten
– Wie bitte?
hier manchmal das gleiche Lachen
einer der Vögel der Sonnenblumen, die Launen des Holzes, die Kinder vom Foto, die Wildhunde, die draußen, unsichtbar im hohen Gras, auf mich warten
(ich nehme ihr Schluchzen, ihren Geruch wahr, das Kullern eines Steines, weiß, daß sie mich verfolgen und dazu einen windstillen Ort suchen, die Augenbrauen
– Wie bitte?)
das gleiche Lachen wie damals, vor den Flaschen, als ich mich damit beschäftigte, die Hühner zu zählen, den Draht des Zaunes zu überprüfen, der Paß mit einem anderen Namen
wozu ein anderer Name?
den sie mir in Lissabon übergaben, das Geld, das ich in einer Dose verwahre, ich habe das Geld nicht ausgegeben, Herr Oberstleutnant, der Dienst sollte berücksichtigen
– Sie gefallen uns Seabra
daß ich von dem Geld fast nichts ausgegeben habe, ich gestehe, daß ich vor meiner Abreise, während ich in der Arena meine Kreise zog, an der Umfriedung schnüffelte, an einen Teppich für meine Mutter, an den kleinen Ring gedacht habe, der Claudia so gefiel, mir kam es so vor, als ob das Lachen mich erneut von ihnen verabschiedete, und dennoch, der Präsident ernst, die Fahne reglos, auf einem Aktenschrank gebundene Bücher, der Direktor in Uniform, wie er dem Staatssekretär dankt, ich hörte auf, in der Arena meine Kreise zu ziehen, bemerkte
zutiefst erschrocken
daß ein Tropfen Urin meine Hose näßte
in der Arena
ich entfernte mich vom Oberstleutnant, dem für das achte Stockwerk Verantwortlichen
– Sie werden es bemerken sie werden es bemerken
und trabte den Nacken schüttelnd davon, beide riefen mich mit ihren bunten Lappen
die getippten Seiten mit der Beschreibung Marinas, des Onkels
– Der Schlüssel ist der Gehilfe der Zielperson versprechen Sie ihm das Blaue vom Himmel Seabra
in dieser Nacht in Lissabon ein Rest Mond, der sich nicht zwischen den Wolken befand, sondern den man auf den Blättern kommen und gehen sah, die Gräber auf dem Friedhof waren deutlicher, wenn ich mich über das Bügelbrett auf dem verglasten Balkon beugte, wichen übereinanderlappende Schuppen auf den Grabsteinen zurück, ich habe ihm nicht das Blaue vom Himmel herunter versprochen, ich habe ihm überhaupt nichts versprochen, weil der Gehilfe des Onkels nicht der Schlüssel war
(Vorbemerkung, Kap. II, 3.0, 3.1 und 4.7)
wenn ich Zeit gehabt hätte, das Memorandum zu schicken, und sie es hätten lesen wollen
sie wollten es nicht
anstatt mich hier zu verstecken, weil ich weiß, daß ein Jeep oder, falls es keinen Jeep gibt, jemand zu Fuß
ein Weißer
den ich nicht kenne und doch kenne, der genauso wie ich vor fünf Jahren sein könnte, der ich ist, der ich bin, der letzte Auftrag vor der Beförderung, Seabra, vor der Rückkehr nach Europa, und nach der Rückkehr ein ruhiges Büro, eine leitende Tätigkeit, dem anderen versichern, daß er von oben empfohlen wurde
– Sie wurden uns von oben empfohlen Miguéis
ihm die Karten, die toten Briefkästen zeigen, worin keine Anordnungen lagen, da es keine Anordnungen gab, keine Anordnungen geben wird, unser Ehrenwort, daß es unsererseits oder seitens irgendeiner anderen uns unterstellten Organisation keinerlei Beteiligung an dem gegeben hat, was in Angola geschehen ist, Herr Minister, den sicheren Informationen zufolge eine Entgleisung, etwas unserer Meinung nach sehr Bedauerliches, etwas, das die Zeitungen als Groschenromanleidenschaft bezeichnet haben, es lohnt nicht, sich darüber aufzuregen, die Augenbrauen einander anzunähern
– Wie bitte?
denn obwohl es mit diesem idiotischen Zwischenfall nicht in Zusammenhang steht
und welchen Zusammenhang sollte es da geben, mein Gott?
haben wir unsere Stellung in Afrika verbessert, als mit den Diamanten Schluß war, sind der Waffenverkauf und die Aufstände in den Musseques zurückgegangen, eine Ironie des Schicksals, finden Sie nicht, stellen Sie sich beispielsweise einen armen Kerl vor, der sich auf einer verlassenen Fazenda in Sicherheit wähnt, wenn man ein halbes Dutzend Sonnenblumen und vertrockneter Baumwollsträucher überhaupt als Fazenda bezeichnen kann, Pflanzen, die ihm nachts mit dem Klingeln ihrer Blüten die Ohren betäuben, mit einem für uns bedeutungslosen Geräusch, das für ihn aber aufgrund der Einsamkeit immer lauter wird und wächst und fortbesteht und ihn bedroht, einen armen Kerl mit seiner Flasche und seinen Hühnern, der nicht ahnt, daß wir die Sache in Ordnung bringen werden
seien Sie ganz beruhigt
mit eben der von Ihnen angeratenen Diskretion, und er
der einen Flaschenhals sucht, und der Flaschenhals leer
verbessert das hier nun mit Worten oder redet von dem, was wirklich geschehen ist
und nichts ist geschehen, seien Sie versichert
der sich nicht an Claudia erinnert, sich an Marina erinnert
der ich mich nicht an Claudia erinnere, mich an Marina erinnere
– Das war das Haus
eine Fassade ohne Fenster, ohne Balkons, ohne Tür, ich mit felligem Auge, einem Schwanz, einem Horn, der ich sie anstarrte, eine Banderilla in der Schulter, die meine Gesten hemmte, eine weitere in der Wirbelsäule, die meinen Gang verlangsamte, wenn ich ihr erklären könnte
– Das war meine Arbeit ich habe nicht
sagen
– Ich habe nicht gedacht daß
versuchen
– Verzeihen Sie
bemerken, daß sie nicht zuhörte, nicht sah, sich nicht für mich interessierte, sie ist nicht mit mir nach Muxima zurückgekehrt, sie ist allein zurückgekehrt, hat mich verachtet, und der Oberstleutnant in Lissabon
– Fangen Sie mit dem Mädchen an wir wissen daß sie und der Onkel
wir stiegen die große Mauer von der Festung herunter und verloren das Meer, bekamen es beim Kino zurück, das Mörsergeschosse zerstört hatten, Reste von Stühlen im Parkett, ein Stück Vorhang, das von der Stange rutschte, der Kassenschalter, in dem ein Mann schlief
oder ein toter Mann lag, ich wagte nicht hinzuschauen, an seinem Kinn etwas wie Lippenstift oder Blut
ich möchte wetten, an meinem Kinn auch Lippenstift oder Blut, und die Augenbrauen des Direktors
(von Cláudias Vater, der sich von der Serviette befreite und sie auf dem Tisch platt drückte
– Wie bitte?)
ich sagte nichts, denn wenn ich etwas sagte, würde ich das hier nun mit Worten verbessern, warum den Dienst erwähnen, das Büro, in dem sie sich von mir verabschiedet haben, die lächelnde Lüge
– Wir brauchen uns gar nicht zu verabschieden denn Sie sind ja in Null Komma nichts wieder hier
wie sollte ich, wo ich doch in der Arena herumtrabe, stehenbleibe, weitertrabe und hier enden werde, jemand steht ein Dutzend Schritte entfernt, und Stille, die Kinder des Postenchefs reglos, ich nehme an, gerächt, aber wofür, ich nehme an, zufrieden, das langsame Glänzen eines Schwertes oder besser des Kugelschreibers des für das achte Stockwerk Verantwortlichen, der eine Quittung unterzeichnet
– Reichen Sie das ein und man wird Ihnen in der Spezialabteilung die Waffe geben
die Pistole, die ich auseinandergenommen und ins hohe Gras geworfen habe, ich erinnere mich daran, daß, als wir Muxima erreichten, eine Gruppe Soldaten in einer Arkade in Stellung ging, Obstkörbe ohne Obst, ein Offizier hob eine Krücke vom Boden auf und tat so, als würde er hinken, ich erinnere mich daran
alles jetzt so fern
daß ich Claudia das Flugticket nach Angola zeigte und ihr den Ring versprach, daß eine Puppe auf dem Kopfkissen sich freute
– Den Ring mit dem Diamanten wirklich?
den Ring mit dem Glitzern eines kleinen Diamanten, Cláudias Vater sanfter, die Furche der Augenbrauen kleiner, die Serviette verließ den Kragen nicht, wohlwollend, gelassen
– Wie bitte?
ich erinnere mich daran, wie ich auf dem Flur der Schreibkraft wieder begegnete, an das Parfüm, das mich einen Augenblick lang begleitete, das von mir genervt war und ging, wieder nach oben verschwand, die Treppenabsätze dunkler machte, und dann die Bäume, die Stierkampfarena, das abgelöste Plakat, an die Stelle der Dame mit dem Spazierstock und der mit dem Einkaufswagen traten Mädchen mit Fahrrädern, die einander am Rand eines Beetes Sammelbildchen zeigten, der Lastwagen mit den Stieren am Eingang, die Öffnungen mit dem Maschendraht, an den sich mein Auge drückte und mich ausspähte, mich immer noch ausspähte, als meine Mutter unsichtbar auf dem verglasten Balkon einen Kragen einsprühte
– Du kommst früher Seabra
die Spur der verstorbenen Ehemänner in der Delle des Sessels, unsere winzigen Zimmer, die sich der Sonne verweigerten, an einem Nachmittag, an dem meine Mutter in der Messe war, Claudia neugierig
– Und hier wohnst du?
verwundert über den Glassturz über der chinesischen Tasse, die zwei verchromten Pferdchen, die Schleife von meiner feierlichen Kommunion an einer Volute der Kommode, erschrocken wegen der Feigen im Garten, die mit einem Backpfeifengeräusch auf dem Boden zerplatzten, Claudia weniger zärtlich, weniger aufmerksam zu mir, mit einer beleidigten Falte
– Und hier wohnst du?
schämte sich für uns, Mutter, schämte sich meinetwegen, oder vielleicht schämte ich mich für Sie, für Ihre Stützstrümpfe, für das Heilige Herz Jesu als Relief, für das Bild von einer Stadt mit
leuchtendem
Schnee, der fiel, man mußte immer hinschauen wie bei einem Holzkohlenfeuer oder den Wellen
eine ständig wechselnde Monotonie, ein Frieden
wie wenn man die Sonnenblumen und die Baumwolle anschaut, und ich bemerke ihre mundlosen Stimmen, die diese Geschichte wiederholen, wie ich Marina bei den Kokospalmen der Insel ansah, der Lehrer während der Ausbildung im Unterricht
– Denkt einfach das sind keine Menschen nur diese bemalten Pappen mit denen ihr schießen übt
Marina, die nicht versuchte zu entkommen wie der Gehilfe des Onkels, als ich ihm die Nieren verletzte, sie hockte sich an den Strand wie die Negerinnen, die sie aufgezogen haben, fragte
– Und nun?
nicht herausfordernd, nicht wütend, die einzige von ihnen, die übriggeblieben war, fragte
– Und nun?
wie ich wahrscheinlich zum zweiten Stier, indem ich ihm die Flasche anbiete
– Und nun?
und vielleicht beginnt das Memorandum ja nicht damit, falls sie es je erhalten
(sie erhalten es nicht, es wird auf der Fazenda bleiben, zusammen mit meinem Nachfolger und dem Nachfolger meines Nachfolgers, bis das hohe Gras und die Regenfälle uns alle vergessen haben, wir von einer Brandrodung aufgefressen werden oder eine Bombe die Welt zu einem Stück Wirbelsäule und Kohle auf dem Fußboden macht, zu Resten von Resten, die die Wildhunde und die Hühner sich in einer kühleren Jahreszeit des Hungers teilen werden)
die Memoranden, die sie, falls sie sie je erhalten, ungelesen im Archiv ablegen und verwahren würden, vielleicht hätte ich doch schreiben sollen
ich hätte schreiben sollen, so wie sie es mir beigebracht haben, zwei Jahre Training, nachdem der Unterzeichnende aus freien Stücken und eigenem Willen die ihm angetragene Aufgabe übernommen hatte, welche er, nachdem er sie, um eventuelle Zweifel auszuräumen, zuvor mit seinen Vorgesetzten durchgesprochen hatte, ganz und gar der internen Berufsethik entsprechend bewertete, und nachdem er die vertraulichen Teile der durchzuführenden Aufgabe mündlich wiederholt hatte, sagte er, wie in der beigefügten Akte nachzulesen ist, die Rückgabe des ihm Anvertrauten bei der Einreichung des abschließenden Berichts zu und begann unmittelbar darauf mit der eigentlichen Durchführung der Aufgabe, wobei er Familienangehörigen, Kollegen oder Freunden diese weder insgesamt noch Teilbereiche derselben mitteilte und sich hierzu zuerst an seinen Wohnort begab
in diesem Falle, da er weder standesamtlich noch kirchlich die Ehe geschlossen hatte, in die Wohnung, die er seit jeher bewohnte und mit seiner Mutter teilte
(Aufnahmefragebogen, Punkt 19, Frage: Beziehungen zu den Eltern, handschriftlicher Zusatz mein Vater ist gest
in der dritten Person, Seabra: der Vater des Kandidaten starb an einer natürlichen Krankheit, als dieser sechs Monate alt war, weshalb sich die Antwort auf die überlebende, zum Glück gesunde Mutter beschränkt)
begab sich zuerst zu der Wohnung, die er seit jeher bewohnt und mit seiner Mutter teilt, die seit elf Jahren Witwe einer vorangegangenen Verbindung ist, Rentnerin, die ihn wie gewohnt sofort ermahnte, mit dem Teppich aufzupassen
der nicht sehr wertvoll war
und vom Unterzeichnenden verlangte
– Zeig mal die Füßchen
er möge die Sohlen seiner Schuhe zeigen, damit sie diese mit der Nahsichtbrille voll panischer Angst vor Blättern, Matschkrümeln, Zigarettenkippen oder anderweitigen Verunreinigungen, die die Fransen oder das Wollgewebe verschmutzen könnten, prüfte, während der Unterzeichnende sich, in Gedanken bei Cláudia, umsah
(Cláudia Ramos Benquerença, 21 Jahre, Studentin, braunes Haar, braune Augen, 1,65 m, geboren in Lissabon, Tochter von Jorge Pais Benquerença, Industrieller, und Olívia Maria Lopes Ramos Benquerença, Hausfrau)
sich in Gedanken bei Claudia und mit einem neuen Abscheu für die verchromten Pferdchen, den Glassturz mit der Tasse und die Schleife der feierlichen Kommunion umsah, wobei er die Backpfeifen der sich von den Zweigen lösenden Feigen auf der Haut spürte, er hätte schreiben müssen
(auch wenn ihm nicht klar war, weshalb er hätte schreiben müssen, wo man es sowieso nicht lesen würde)
daß er der Mutter
(das Kochbuch mit einem gesottenen Fasan auf dem Einband, der besagte: Recepte meiner Mutter
seine aus beruflichen Gründen am nächsten Tag stattfindende Abreise mitteilte, wobei er sich dafür entschuldigte, die Gründe nicht sagen zu können, und nur meinte, es handele sich um ein Problem im Dienst, das zwar wichtig sei, jedoch keine Folgen habe, die eine Frau ihres Alters und ihrer sozialen Stellung beunruhigen müßten
(Cláudias Finger strichen
spöttisch, ungläubig?
über die Voluten der Kommode
– Du erlaubst dir hoffentlich keinen Spaß auf meine Kosten nicht wahr hier wohnst du doch nicht sag mir daß du hier nicht wohnst)
während die Grabsteine auf dem Friedhof umhertrieben, die aus dem Nichts gekommenen Marmorengel allein dahinschwebten und das Licht im Wohnzimmer sich in die Deckenlampe flüchtete
sagte nur, ein Problem beim Dienst verlange seine Anwesenheit für einen Zeitraum von etwa drei oder vier Tagen, er hätte schreiben sollen, daß, während er sprach, ein spöttisches Stimmchen auf den Vorhang wies, an dem Ringe fehlten, die handbemalten Kirschlikörgläser
(vom Vater geerbt und für wertvoll gehalten)
und die Dellen im Sessel
– Nun aber mal Spaß beiseite du wirst doch nicht etwa behaupten daß du hier wohnst
begleitete ihn boshaft, nicht locker lassend
– Ich hätte nie gedacht
bis zur Haustür, und das
– Ich hätte nie gedacht
verflog
in einem erkaltenden Kuß
nicht mal einem Kuß, einer flüchtigen Wange, sie erzählte es dem Vater, und der, während er, mit der Tochter solidarisch, die Serviette strangulierte, mit empörten Augenbrauen
– Wie bitte?
ich hätte schreiben sollen, daß aus diesem Grund und nach einer Nacht wie diese Nächte auf der Fazenda, in denen ihn die Wildhunde, die er noch nicht kannte, im hohen Gras bedrohten
(man konnte die Pfoten wahrnehmen, das Schnaufen, ein Klagen in der Nähe, das erschrak und floh)
er hätte schreiben sollen, daß er sich deshalb nicht von seiner Freundin verabschiedet hatte
(Diverse Abschweifungen, angefügtes Blatt, ohne Datum)
nur per Telefon ein Taxi zum Flughafen bestellt hatte
(Beleg Nr. 1, Rubrik Auslagen)
den Fahrer gebeten hatte
(dabei fast nicht mitbekam, daß er ihn bat)
bei der Stierkampfarena vorbeizufahren, die Schultern des Fahrers waren der ganze Fahrer
(auf dem Armaturenbrett ein Heiliges Herz Jesu, genau so eines, nur kleiner, wie das bei uns zu Hause)
wunderten sich, eine Pupille
(überrascht oder nicht einmal überrascht, lau)
suchte mich im Rückspiegel, suchte mich weiter
(mißtrauisch, hätte ich schwören mögen, interessiert, hätte ich schwören mögen)
beim Abbremsen neben der Arena, und da waren sie, zweihundert Meter entfernt vom Gebäude des Dienstes mit seinen Schildern von Arztpraxen und Firmen in einer Seitenstraße, und ich wette, daß im Gebäude
wieso, kann ich nicht erklären, aber ich wette, daß im Gebäude der Direktor, der Oberstleutnant und der für das achte Stockwerk Verantwortliche mich sahen, will heißen, sie sahen genau, wie ich in der Unbestimmtheit des Morgens
(zehn nach sieben auf der Uhr des Taxis)
eine Dame mit Spazierstock, die sich mit einer anderen mit einem Einkaufswägelchen unterhielt, die kleinen Mädchen mit den Fahrrädern am Rand des Beetes
nicht nur der Direktor, der Oberstleutnant und der Verantwortliche vom achten Stockwerk, die Kinder des Postenchefs sahen mich auch, beugten sich vor, warteten, ebenso wie der Fahrer wartete, so wie ich mir vorstelle
(halten Sie nicht für Angabe, was nur ein Wunsch ist)
daß etwas in Ihnen, Marina
(nicht Sie, etwas in Ihnen)
mich in Luanda erwartete, wußte, daß ich kommen würde, und mich erwartete
alle sahen mich
(ich verbessere das nicht mit Worten, rede von dem, was wirklich geschehen ist)
wie ich in der Arena stand, schwankte, schnaubte, den Arm vorschob, tastete, den Arm noch weiter vorschob, abermals tastete, die Flasche fand, euch die Flasche anbot, euch anlächelte, wegen des Teppichs mit den Schuhspitzen aufpaßte, mich aufrichtete, weil meine Mutter
– Du kriegst noch einen Buckel halt dich gerade
fragte
– Wer möchte was?
mit dem Ärmel einen Lippenstiftstrich am Kinn wegwischte, nichts als ein Lippenstiftstrich am Kinn, den Fahrer bemerkte, der sich auf dem Sitz zurückwandte und dabei einen Ellenbogen auf dem Nappaleder abstützte
– Glauben Sie das Flugzeug wartet auf Sie?
in einem Tonfall, der befremdet zu klingen begann
– Hören Sie mich nicht?
so etwas wie Furcht
– Fühlen Sie sich nicht wohl?
wie gesagt, das Einkaufswägelchen, das Fahrrad, der Lastwagen mit den Stieren und ich
(ich, ein felliges Auge, ein Horn, ein Schwanz)
mit einer Banderilla im Nacken, im Hals, im Rücken, maß die Entfernung zwischen mir und dem Torero mit dem Schwert oder zwischen mir und meinem Kollegen im Jeep, maß die Entfernung
– Marina
die mich von Ihnen trennte, während ich den Kopf hob, einen Augenblick lang trabte und dann
verstehen Sie
nichts als ein Wildhund mit einer Spur von Lippenstift oder von meinem Blut am Kinn.