Bodo Müller

Lachen gegen die Ohnmacht

Bodo Müller

Lachen

gegen die

Ohnmacht

DDR-Witze im Visier der Stasi

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage als E-Book, August 2016

eISBN 978-3-86284-356-5

Inhalt

Lachen gegen die Ohnmacht – Einleitung

Die ideologische Diversion eines Analphabeten

Neun Witze, drei Jahre Zuchthaus

Stasi sei Dank!

Keine Butter, keine Sahne, auf dem Dach die rote Fahne

Macht und Ohnmacht

Die Witze

Mein Gott, Walter!

Die Partei, die Partei, die hat immer Recht

Fritzchen in der Schule

Schild und Schwert der Partei

Von der Sowjetunion lernen, heißt siechen lernen

Anfrage an Radio Jerewan

Erich währt am längsten

Das Politbüro

Die größte DDR der Welt

Die Volkspolizei, dein Freund und Helfer

Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben

Go, Trabi, go!

Lieber … als …

Anhang

Rechtsgrundlagen für die Verurteilung von Witze-Erzählern

In der DDR und bei der Stasi gebräuchliche Abkürzungen

Zeittafel

Personenverzeichnis

Danksagung

Über den Autor

Lachen gegen die Ohnmacht – Einleitung

Die nachfolgenden Witze sind gemein, verletzend und gehen manchmal tief unter die Gürtellinie. Die ostdeutsche Republik und ihre Führer waren von der Staatsgründung 1949 bis zum ruhmlosen Untergang 1990 immer wieder dem Spott des eigenen Volkes ausgesetzt. Die Pfeilspitzen der Satire richteten sich gegen alle Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Lebens – insbesondere aber gegen die herrschende SED und deren Politiker sowie gegen die Moskauer Machthaber, die im Hintergrund die Fäden zogen. Schonungslos wurde über den Spitzenfunktionären, dem gefürchteten Ministerium für Staatssicherheit und den sowjetischen Besatzern Hohn und Häme ausgegossen.

Das registrierte auch die Stasi-Bezirksverwaltung Halle, als sie im Jahre 1977 über mich eine Akte zur Operativen Personenkontrolle (OPK) mit der schmeichelhaften Bezeichnung »Literatur« anlegte. In einem ihrer Sachstandsberichte brachten Hauptmann Schulze (Leiter des Referates 1) und Oberstleutnant Knauer (Leiter Abteilung VI) zu Papier:

Im Jahre 1979 hat der Müller mit dem Aufbau einer Sammlung von politischen Witzen begonnen. Der Inhalt der Witze beschäftigt sich mit der Verunglimpfung des 30. Jahrestages der DDR, der Tätigkeit des MfS, der Tätigkeit von Partei und Regierung, von Wirtschaftsmängeln, Disproportionen und Entwicklungsschwierigkeiten u.a.m.

Wären nicht die fleißigen Stasi-IMs gewesen, wüsste ich heute nicht mehr, wann ich begonnen hatte, die politischen Witze aufzuschreiben. Meine damalige Sammlung reichte zeitlich zurück bis zum Machtwechsel Ulbricht-Honecker im Jahre 1971; damals war ich 17 Jahre jung. Aus der davor liegenden Ära Ulbricht hatte ich nur wenige Witze in meiner Sammlung. Doch während der Ära Honecker konnte ich einen überaus reichen Fundus von mehreren Hundert Witzen zusammentragen. Ich schrieb sie auf A4-Blätter, wovon jedes einem Thema gewidmet war. In der schlechtesten Form meiner krakeligen Handschrift kritzelte ich die Witze in wenigen Stichpunkten in winzig kleiner Schrift untereinander. Ich glaubte, so im Falle einer Entdeckung der Sammlung einer Bestrafung zu entgehen, weil wohl niemand mein Gekritzel entziffern könnte. (Heute weiß ich, dass ich die Akribie der Stasi unterschätzt habe.) Die in einem Schnellhefter zusammengefasste Blättersammlung versteckte ich in der Küche hinter der Rückwand der Geschirrspüle. Aus meiner Stasi-Akte, die ich Anfang der 90er-Jahre einsehen konnte, erfuhr ich auch, dass das MfS mehrmals in sogenannten konspirativen Durchsuchungen in meiner Abwesenheit in die Wohnung eingedrungen war und unter anderem nach der Witzsammlung gesucht hatte. Die Stasi fotografierte damals das gesamte Bücherregal und sämtliche Korrespondenz ab. Doch meine Witzsammlung fanden Mielkes Schnüffler nicht.

Von der Dimension der Stasi-Überwachung ahnte ich damals natürlich nichts. Erst als ich andere Repressalien hinnehmen musste wie z.B. Reiseverbot in die Ostblockländer, wurde mir klar, dass ich ins Visier der Stasi geraten war. Aus einer Mischung aus Vorsicht und Angst zog ich Anfang der 80er-Jahre meine Witzsammlung aus dem Versteck hinter der Küchenspüle hervor. Ich las jeden Witz noch einmal, um ihn mir einzuprägen. Dann zerriss ich jede Seite in kleine Schnipsel und vertraute sie der Klospülung an. Während ich noch über den Inhalt schmunzelte, verschwanden meine gesammelten Werke für immer in der Kanalisation. Hätte ich damals nur geahnt, wie viele Jahre Knast mir die Witzsammlung hätte einbringen können, wäre mir sicher das Lachen vergangen.

Nach der deutschen Vereinigung erschienen diverse Bücher mit DDR-Witzen über die Mangelwirtschaft, den Trabi und die täglichen Mühen des sozialistischen Alltags. Von den scharfen politischen Witzen aus den 70er- und 80er-Jahren gegen Partei, Staat und Stasi fand ich darin nur wenige wieder. Ich erwog darum, die kleinen und bissigen Satiren, die ich einst der Klospülung übergeben hatte, noch einmal aufzuschreiben. Die schärfsten und lustigsten DDR-Witze hatte ich sowieso parat, an die anderen erinnerte ich mich, je mehr ich mich mit dem Thema befasste.

Als ich für dieses Büchlein rund 40 000 Seiten Stasi-Akten studierte, entdeckte ich nur wenige Witze aus der Ära Honecker, die ich noch nicht kannte. Die Aktenlage dazu war in den 70er- und 80er-Jahren auch eher dürftig.

Anders in den Stasi-Akten aus den 50er- und 60er-Jahren. Damals wurden die Witze-Erzähler noch energischer verfolgt, und ich entdeckte in den frühen Stasi-Akten eine reiche Auswahl an politischen Satiren gegen das Ulbricht-Regime.

So hoffe ich, mit den frühen Witzen aus den Stasi-Akten und jenen aus meiner privaten Sammlung heute einen Überblick über 40 Jahre DDR in politischen Witzen geben zu können.

In diesem Buch geht es vor allem um Macht und Ohnmacht. Wie dachte und lachte das Volk über die von Moskau eingesetzten Machthaber zwischen Elbe und Oder? Waren die politischen Witze der Machtlosen eine satirische Antwort auf ihre Ohnmacht?

Wie reagierte der Staat mit einem der mächtigsten Geheimdienste der Welt darauf? Wurde politische Satire als Ventil akzeptiert? Oder mussten die Witze-Erzähler für ihren Spott teuer bezahlen?

Die Antworten sind so vielfältig wie das Leben im Sozialismus selbst.

Die ideologische Diversion eines Analphabeten

Am 5. Oktober 1961 wird der 25 Jahre junge Arbeiter Hans Elbert* aus Neustrelitz in Handschellen in den Verhandlungsraum des 1. Strafsenats des Bezirksgerichtes Neubrandenburg geführt. Der junge Mann steht das erste Mal im Leben vor Gericht. Er kann weder lesen noch schreiben. Zwar hatte er die Volksschule besucht, konnte dem Unterricht aber nicht folgen und wurde in eine Sonderschule überwiesen. Dort wurde er nach dem Abschluss der 5. Klasse entlassen.

Seitdem arbeitete er unter anderem in der Land- und Forstwirtschaft. Bis zu seiner Verhaftung am 18. September 1961 war er im Sägewerk Neustrelitz beschäftigt. Er gilt als guter Arbeiter. Von Politik versteht er nichts, da er keine Zeitung lesen kann. Er kennt nicht einmal den Namen der Heimatzeitung, die sein Vater hält. Hans kann lediglich die Namen von einigen Politikern wiedergeben, über die gelegentlich geredet wurde, und er weiß, dass Ulbricht das Staatsoberhaupt ist.

Hans Elbert wurde nach seiner Verhaftung vom VP-Meister Wollgramm in Neustrelitz verhört. Weil Hans Analphabet ist, kann er selbst nichts zu Papier bringen. Im Verhör gibt er zu, dass er einen politischen Witz über Walter Ulbricht erzählt hat. Er erinnert sich, dass er den Witz etwa vier Wochen vorher von einem Arbeitskollegen gehört hatte. Am 17. September 1961 fuhr er mit dem Fahrrad zu Freunden, die ihn eingeladen hatten. Sie tranken gemeinsam Wein, und im alkoholisierten Zustand erinnerte sich Hans an den erwähnten Ulbricht-Witz und erzählte ihn.

Im Verhör muss er den Witz wiederholen. VP-Meister Wollgramm tippt den Witz eigenhändig in die Dienstschreibmaschine:**

Walter Ulbricht und sein Kraftfahrer fuhren in ein Dorf und fuhren eine Gans tot. Walter Ulbricht wollte dieses regeln und ging in ein Haus. Kurze Zeit später kam Walter Ulbricht wieder und hatte blaue Pfeilchen [gemeint sind Veilchen]. Beide, das heisst Walter Ulbricht und sein Fahrer fuhren weiter zu einem anderen Dorf. Hier fuhr der Kraftfahrer ein Schwein tot. Jetzt sagte der Kraftfahrer, dass er diese Angelegenheit regeln will und ging aus diesem Grunde in das betreffende Haus. Der Kraftfahrer kam rein und sagte, dass er der Kraftfahrer von Walter Ulbricht sei und er das Schwein totgefahren hat. Hier haben ihn dann die Leute hochleben lassen und mit Bockwurst und Bier bewirtet. Hiernach kam der Kraftfahrer wieder raus und hatte lauter Bockwürste um den Hals. Als Walter Ulbricht fragte was nun los sei, sagte der Fahrer, dass er gesagt habe, dass er der Kraftfahrer von Ulbricht sei und das Schwein totgefahren hat.

Während der Verhandlung vor dem Bezirksgericht Neubrandenburg am 5. und 17. Oktober 1961 wirft ihm Staatsanwalt Johannes Neitzel staatsgefährdende Propaganda und Hetze vor. Der Analphabet Hans Elbert, der weder etwas von Politik noch von Recht versteht, ist im Gerichtssaal auf sich allein gestellt. Nicht einmal einen Pflichtverteidiger hat er an seiner Seite. Staatsanwalt Neitzel unterstellt ihm, dass er außerdem noch einen Witz über Chruschtschow erzählt habe, doch Hans kann sich daran nicht erinnern.

Am zweiten Verhandlungstag, dem 17. Oktober 1961, verkündet der Vorsitzende Richter Kessler im Namen des Volkes folgendes Urteil:

Der Angeklagte wird wegen fortgesetzter Propaganda und Hetze – gem. § 19 Abs. 1 Ziff. 1 + 2 StEG – zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten verurteilt.

Er folgt damit in allen Punkten dem Antrag des Staatsanwalts. In der dreiseitigen Urteilsbegründung trägt Richter Kessler unter anderem vor:

Der Witz, der sich mit Walter Ulbricht befasst, stellt eine Mordhetze dar und soll das Vertrauen des Vorsitzenden des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik bei der Bevölkerung untergraben. Gleichzeitig stellt der Inhalt dieses Witzes eine Hetze gegen die Arbeiter und Bauernmacht dar. Diese Äußerungen sind gegen die Politik der Verständigung unter den Völkern und die Erhaltung des Friedens gerichtet. […]

Die in Form von Witzen gekleidete Hetze stellt eine besondere Methode der ideologischen Diversion dar. Die auf diese Weise verbreitete Hetze hat in der Mehrzahl der Fälle, so auch in dieser Sache, zum Ziel, das Ansehen der führenden Staatsmänner der sozialistischen Staaten herabzuwürdigen und ihre Autorität zu erschüttern, um dadurch Zweifel an der Richtigkeit der von ihnen vertretenen Politik bei der Bevölkerung hervorzurufen. Die besondere Gefährlichkeit dieser Methode besteht darin, dass sie als Witz in Erscheinung tritt, nicht immer als Hetze sofort erkannt wird, dem Täter die Möglichkeit der Tarnung bietet und sich leichter als die offene Hetze verbreitet.

Am 7. Januar 1962, Hans Elbert sitzt inzwischen vier Monate in Haft, stellt er einen Antrag auf bedingte Strafaussetzung und Umwandlung eines Teils der Strafe auf Bewährung. Da er selbst weder Lesen noch Schreiben kann, lässt er von einem Mitgefangenen einen Brief an den Staatsanwalt des Kreisgerichtes Neubrandenburg verfassen, in dem es unter anderem heißt:

Der bisherige viermonatige Umerziehungsprozess zeigte mir deutlich die Verwerflichkeit und Gesellschaftsgefährlichkeit meines Deliktes.

Ich möchte baldigst wieder durch hohe Leistungen in der Produktion und aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben meine Fehler begleichen.

Unter dem Gnadengesuch des Hans Elbert, das in der Stasi-Akte des Verurteilten abgelegt ist, steht ein handschriftlicher Hinweis für den Staatsanwalt:

Gen. Neitzel

Gesuch ablehnen

G.

Am 20. Januar schreibt Staatsanwalt Neitzel dem Gefangenen Hans Elbert entsprechend der ihm erteilten Weisung:

In Beantwortung Ihres Gesuches vom 7. 1. 1962 muss ich Ihnen mitteilen, dass es mir nicht möglich ist, für Sie die Gewährung bedingter Strafaussetzung zu beantragen. Der Charakter der strafbaren Handlung und die dadurch bedingte Gesellschaftsgefährlichkeit lassen dies nicht zu.

Neun Witze, drei Jahre Zuchthaus

Am Freitag, dem 3. November 1961 erscheint der Maler Achim Ahnert pünktlich um 6.45 Uhr auf seiner Arbeitsstelle, dem VEB Fischwerk Saßnitz. Der 32-Jährige ist Brigadier einer Malerbrigade und will gerade seine Kollegen zur Arbeit einteilen. Da erscheinen drei junge Männer und bitten ihn mitzukommen, um ein paar Fragen zu beantworten.

Achim Ahnert erklärt, dass er und seine Kollegen jetzt mit der Arbeit beginnen müssten. Einer der Männer antwortet, das sei mit der Betriebsleitung abgesprochen. Sie führen ihn zu einem Wartburg, der auf dem Werksgelände parkt. Einer der Männer setzt sich ans Steuer, die beiden anderen drängen den Arbeiter auf die Rückbank und nehmen ihn in die Mitte. Mit quietschenden Reifen verlässt der Pkw das Werksgelände und braust die Hafenstraße nach oben, biegt nach links auf die Hauptstraße ab und verlässt auf der Fernverkehrsstraße 96 die Hafenstadt.

Als Achim Ahnert vorsichtig fragt, wohin sie fahren würden, legen ihm die beiden Männer neben ihm Handschellen an. Der Mann links neben ihm sagt: »Das werden Sie gleich erfahren.«

»Und warum legen Sie mir Handschellen an?«

»Das müssen Sie sich zuerst selbst fragen.«