Cover

»Wenn wir erkennen, dass hinter allem die Suche nach Liebe steht, haben wir die Liebe zu suchen – und zwar in uns selbst.«

Dr. med. Mirriam Prieß

Zeit für einen Spurwechsel

Wie wir aufhören uns selbst zu blockieren und dem Leben eine neue Richtung geben

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Sackgasse

Leben ist Beziehung

Die verlorene Beziehung zu sich selbst

Jeder hat das Recht auf ein glückliches Leben

Innere Realitäten

Warum wir nicht sind, wer wir sind

Liebe und Geborgenheit

Die Entstehung des falschen Selbst

Die Folgen der Ablehnung

Warum wir an unserem Unglück festhalten

Der toxische Freund

Partnerschaften und innere Realität

Wo die Wurzeln liegen

Wenn die innere Realität Partnerschaft verhindert

Wenn innere Realitäten anstecken – gemeinsam in die Aussichtslosigkeit

Die Befreiung von der inneren Realität

Das Dialogprinzip

Wer ankommen will, darf nicht weglaufen

Schritt 1: Der Dialog mit der inneren Realität

Schritt 2: Der Dialog mit dem Schmerz

Schritt 3: Der Dialog mit den Gefühlen

Wut

Trauer

Angst

Sucht

Wann wird es endlich leichter?

Schritt 4: Verzicht auf Wiedergutmachung

Ich als Täter, nicht als Opfer

Schritt 5: Vergebung

Spurwechsel in der Partnerschaft

Ferien vom Ich

Weg von der Anklage, hin zum Dialog

Wer sind wir tatsächlich?

Bleiben oder gehen?

Heilung durch den inneren Dialog

Der innere Dialog – in Kontakt mit dem eigenen Wesenskern treten

Heilung durch den äußeren Dialog

Stark im Leben durch das Dialogprinzip

Stark bleiben – die Sache mit dem Strudel

Im Innen wie im Außen – Selbstbestimmung

Das Prinzip der widerstandslosen Kapitulation

Beziehung – der Dreh- und Angelpunkt in unserem Leben

Wie gehe ich mit inneren Realitäten anderer Personen um?

Der Dialog mit der inneren Wahrheit

Losgehen

Schlusswort

Anhang

Impressum

Vorwort

Es braucht so wenig in den ersten Jahren, was wir für ein gesundes und erfülltes Leben benötigen, doch dieses wenige scheint so schwer: So, wie du bist, bist du gut! Schön, dass du da bist!

Ich als deine Mutter und ich als dein Vater, wir als deine Eltern freuen uns, dass es dich gibt. Von dem Moment an, in dem wir wissen, dass du auf dem Weg zu uns bist, freuen wir uns auf dich und heißen dich willkommen. Wir heißen nicht alles gut, was du tust – aber dich, dich heißen wir gut und wir helfen dir, jeden Tag ein Stück mehr zu dem Menschen zu werden, dessen Wesen du in dir trägst. Zu dem Menschen zu werden, der du bist …

Wir erkennen dich so lange, bist du dich selbst erkennst, und stehen dir so lange zur Seite, bis du alleine für dich und zu dir stehen kannst. So lange, bist du bereit bist, dein Leben zu führen und dir die Heimat aufzubauen, die du in dir trägst.

Wenn dieses wenige in unseren ersten Jahren nicht stattfindet, dann laufen wir unbemerkt Gefahr, eine Spur in unserem Leben einzuschlagen, die am Ende in eine Sackgasse führt – ob beruflich, privat, gesundheitlich oder sozial – nicht, weil wir es so wollen, sondern weil wir nicht anders können. Nicht, weil wir nicht versuchen, uns dagegen zu wehren, sondern weil wir an der falschen Stelle ansetzen. Wir sind machtlos gegen das Gesetz der Anziehung und Wiederholung – bis wir erkennen, was kindliche Prägung bedeutet und was wir tun können, um uns daraus zu befreien.

In diesem Buch möchte ich Ihnen helfen, sich aus Einbahnstraßen Ihres Lebens zu befreien und einen Weg einzuschlagen, der Sie in ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben führt.

Ich werde Ihnen zeigen, warum viele von uns die Verbindung zu sich und ihrer Seele verloren haben und warum wir Dinge tun und Entscheidungen treffen, obwohl wir spüren, dass diese nicht richtig für uns sind. Anhand von Erfahrungen meiner Klienten und Klientinnen möchte ich Ihnen zeigen, dass auch eingefahrene Spuren im Leben lösbar sind, und was Sie tun können, um wieder Verbindung zu sich aufzunehmen und Kraft aus Ihrem Wesen zu schöpfen. Sie werden verstehen, warum Dinge, die Sie sich eigentlich wünschen, bisher nicht gelungen sind, was in Ihnen dazu führt, dass Sie in Ihrem Leben nicht vorankommen, und warum Sie dort festhalten müssen, von dem Sie spüren, dass es nicht mehr stimmt.

In diesem Buch geht es nicht um Anklage, nicht um Schuld und auch nicht um Aufgabe, sondern um die Chance auf echte Veränderung. Sie werden erfahren, wie Ihnen dies gelingen kann, und erkennen, dass Sie die Lösung bereits in sich tragen. Sie selbst sind der Schlüssel zu Ihrem Leben. Sie sind die Quelle Ihrer Kraft. Die Antwort auf Ihre Möglichkeiten.

Denn es ist nicht die Frage, ob Sie gut sind. Es ist nicht die Frage, ob Sie genügen.

Es ist nur die Frage: Was hindert Sie daran, Ihre Möglichkeiten zu leben?

Was hindert Sie daran, Sie selbst zu sein?

Einleitung

Ich weiß, dass es eher ungewöhnlich ist, doch bevor Sie mit diesem Buch beginnen, möchte ich Sie bitten, sich einen Moment Zeit zu nehmen und in Ruhe folgende Fragen zu beantworten:

• Tun Sie Dinge, obwohl Sie wissen, dass diese eigentlich nicht richtig für Sie sind – es gelingt Ihnen jedoch nicht, dies zu ändern? Oder umgekehrt, Ihnen gelingt nicht, das umzusetzen, was Sie sich wünschen?

• Befinden Sie sich manchmal in Situationen – beruflich oder privat –, von denen Sie spüren, dass diese Ihnen nicht guttun, Sie schaffen es jedoch nicht, sich davon zu befreien?

• Haben Sie den Eindruck, dass Sie immer wieder an die gleichen »falschen« Menschen geraten und Unglückssituationen geradezu magisch anziehen?

• Sagen Sie Ja, obwohl Sie innerlich eigentlich Nein meinen?

• Hat Ihre Gesundheit Ihnen Grenzen gesetzt und haben Sie erst dann innehalten können?

• Machen Sie möglicherweise schon längere Zeit eine Therapie, befinden sich aber noch immer in der Spur, aus der Sie eigentlich raus wollten?

Wenn mindestens einer der genannten Punkte auf Sie zutrifft, wenden Sie sich bitte der folgenden Zeichnung zu und schauen Sie sich die sechs zentralen Lebensbereiche in unserem Leben an. Beantworten Sie, ohne darüber nachzudenken, spontan aus Ihrem Gefühl heraus einfach nur die Frage: Ist das Ihr Leben, das Sie da führen? Notieren Sie sich hinter jedem Bereich entweder ein Ja oder ein Nein.

Das Käfermodell der sechs Lebensbereiche: Die Anzahl der Beine entscheidet über Zufriedenheit und Gesundheit im Leben.

Und ein Letztes:

Wie sieht es mit Ihrer Beziehung zu sich selbst aus? Mögen Sie sich? Stehen Sie mit sich selbst, mit Ihrem Wesen in Verbindung? Sind Sie mit sich im inneren Dialog und folgen Sie Ihrer Intuition?

1. Kapitel

Innere Realitäten

Es ist nicht die Frage, ob wir so, wie wir sind, genügen – es ist vielmehr die Frage, warum wir dies nicht leben.

Zuallererst: Mir ist in meiner Beratung noch kein Mensch begegnet, der bewusst von sich sagt: Ich will nicht glücklich sein! Der seine Ziele nicht erreichen möchte. Der kein erfülltes Leben möchte.

Mir ist noch niemand begegnet, der eine Partnerschaft oder einen Job beginnt mit dem Ziel, zu scheitern. Niemand, der sagt: Ich bleibe jetzt in dieser leidvollen Situation, weil ich unglücklich sein möchte. Niemand, der seine Ziele bewusst verhindert, weil er sich dafür entschieden hat, in seinem Leben lieber nicht ankommen zu wollen, sondern lieber scheitern möchte. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der, wenn er die Wahl hätte zwischen »Willst du ein glückliches und erfülltes Leben leben, das dir entspricht« und »Willst du in deinem Leben fernab von dir selbst leiden?« sich bewusst für Variante zwei entscheidet.

Und dennoch findet genau das unendlich oft statt: Wir verharren in leidvollen Situationen; uns gelingt es nicht, uns so zu vertreten, wie wir es wollen, wir blockieren uns im Job, fahren unsere Partnerschaft gegen die Wand, fallen auf »falsche« Menschen und Situationen herein oder lassen unseren Körper und unsere Gesundheit »verkommen«.

Rational wissen wir, was wir wollen, emotional sehnen wir uns nach unserem Glück – unsere äußere Realität jedoch sieht meist ganz anders aus.

Im folgenden Kapitel möchte ich auf genau diesen Widerspruch eingehen. Den Widerspruch, den unendlich viele von uns in sich tragen: Auf der einen Seite unter dem Leben zu leiden, das wir führen, es auf der anderen Seite aber nicht zu verändern. Auf der einen Seite zu wissen, was wir wollen, aber am Ende das Gegenteil davon zu tun – oder im Gegenteil zu verharren. Auf den Widerspruch, der uns nicht zu uns selbst und zu dem stehen lässt, wer wir sind.

Dieser Widerspruch ist einer der Hauptgründe für Stillstand, für Blockaden und für Schmerz. Einer der Hauptgründe für die Unmöglichkeit, glücklich zu sein. Wenn wir ihn nicht auflösen, dann können wir noch so viel tun – einschließlich Therapie –, wir werden in unserem Leben nicht ankommen.

2. Kapitel

Partnerschaften und innere Realität

Wenn wir in den ersten Jahren nicht das erfahren haben, was notwendig ist, dann sind wir ausgehungert, ausgehungert nach Liebe und Annahme – und die Partnerschaft ist der Ort, wo wir versuchen, diesen Hunger zu stillen.

Es gibt vor allem zwei Bereiche, in denen wir versuchen, unseren Hunger nach fehlender Liebe und Annahme zu stillen: Beruf und Partnerschaft. Die partnerschaftliche Ebene ist wohl das größte Spielfeld der inneren Realität. Wenn sie ihren Ursprung in den ersten Bezugspersonen gefunden hat und der Partner die engste Bezugsperson ist, wird sie immer, solange sie nicht aufgelöst ist, gerade hier wirken – von uns meist unbemerkt.

3. Kapitel

Die Befreiung von der inneren Realität

Spurwechsel bedeutet, Beziehung nicht mehr auf Grundlage von Schmerz zu leben, sondern auf Grundlage von Liebe.

Die Entscheidung für einen Spurwechsel treffen die meisten von uns erst dann, wenn ihnen unmissverständlich klar ist, dass sie sich in einer Einbahnstraße befinden und das Leben so, wie es jetzt ist, nicht mehr weitergehen kann. Bei manchen ist es nur ein Bereich des Lebens, während andere in jedem Lebensbereich stecken bleiben oder Körper und Psyche durch Erschöpfung und unterschiedliche Symptome die Grenze ziehen.

Wenn Sie sich bis hierhin wiedererkannt und im Laufe der Kapitel festgestellt haben, dass auch Sie sich im Hamsterrad der inneren Realität befinden, dann ist es jetzt an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen – die Entscheidung für einen Spurwechsel.

Was beinhaltet ein tatsächlicher Spurwechsel?

Am Anfang eines jeden Spurwechsels stehen folgende Erkenntnisse:

1. So, wie es jetzt ist, will ich nicht mehr weitermachen.

2. Ich trage die Ursache meiner Probleme in mir.

3. Ich selbst bin Weg und Schlüssel meiner Heilung.

Es gibt zwei Dinge, die wir brauchen, damit uns ein Spurwechsel gelingt und wir die Chance haben, zu unserem vollen Potenzial finden:

1. Die Auflösung der inneren Realität.

2. Die direkte Kontaktaufnahme zu unserem Wesenskern.

Beides ist gleichermaßen wichtig. Es reicht nicht, dass wir uns nur von dem befreien, was uns blockiert und am Leben hindert, sondern wir müssen gleichzeitig das nachholen, was uns bis heute für einen Spurwechsel gefehlt hat und was wir von unseren Eltern hätten lernen müssen: den Kontakt zu uns selbst aufzunehmen und in den inneren Dialog zu treten. Letzteres ist ein zentraler Punkt für die eigene Heilung und wird meist außer Acht gelassen. Meiner Erfahrung nach ist dies unter anderem die Ursache, warum am Ende ein Spurwechsel dann doch nicht gelingt. Wenn wir nicht von Beginn an erkennen, dass wir mehr sind als unsere innere Realität, dann können wir uns nicht wirklich von ihr befreien. Der innere Dialog gibt uns Kraft für ihre Auflösung und wir können auf dieser Grundlage das Vertrauen und die Stärke entwickeln, um durch diesen schweren und schmerzhaften Prozess zu gehen. Ein tatsächlicher Spurwechsel ist ein Transformationsprozess: Er ist das Wechseln der Bewusstseinsebene, die Bewusstwerdung des tatsächlichen Ich und – im spirituellen Sinne – die Befreiung vom Ego.

In diesem Kapitel geht es um die Auflösung der inneren Realität. Dem inneren Dialog, der uns in Kontakt mit unserem Wesenskern bringt, ist das nächste Kapitel gewidmet.

4. Kapitel

Spurwechsel in der Partnerschaft

Wenn wir in den ersten Jahren nicht das Glück und die Notwendigkeit der liebevollen Annahme auf allen Ebenen erfahren haben, dann tragen wir, je nach unserer individuellen Erfahrung, die Beziehung in uns, die uns unsere ersten Bezugspersonen vermittelt haben – und (über)tragen diese, ob wir wollen oder nicht, in unsere Beziehung mit der nächsten engsten Bezugsperson – unserem Partner bzw. unserer Partnerin. Wir begegnen diesem oder dieser nicht mit unserem Wesenskern, sondern mit unserer inneren Realität, und wiederholen, ohne es zu wollen, unser kindliches Leid. Auf dieser Grundlage werden viele von uns selbst zu Eltern und so wiederholt sich der Kreislauf – so lange, bis wir innehalten und beginnen, ihn zu durchbrechen.

5. Kapitel

Heilung durch den inneren Dialog

Wenn wir beginnen, uns von unseren inneren Realitäten zu befreien und ihnen entgegenzutreten, dann kann uns dies nur gelingen, wenn wir parallel dazu aktiv den Kontakt zu unserem eigentlichen Wesen suchen.

Wenn wir wissen, dass die Ursache unserer seelischen Wunden immer in einem zu finden ist, nämlich in fehlender Begegnung, dann haben wir gleichzeitig den Schlüssel für unsere Heilung in der Hand. Wir müssen nachholen, was wir damals von unseren Eltern hätten lernen müssen: die Fähigkeit zur Begegnung – und auf dieser Grundlage zu unserer tatsächlichen Identität finden.

Heilung durch Begegnung heißt, nicht nur dem zu begegnen, was uns verwundet hat, sondern gleichzeitig das zu suchen, was uns heilt. Wir brauchen die Verbindung zu uns selbst, um durch diesen Prozess zu gehen und ihn auch durchzustehen.

Da die meisten von uns ihre Identität auf der inneren Realität aufgebaut haben, bedeutet das Abtragen gleichzeitig auch, unsere Identität abzutragen. Dadurch entsteht bei vielen das Gefühl »nichts mehr zu haben«, »nichts mehr zu sein« oder auch, wie es im gewissen Sinne tatsächlich ist, »zu sterben«. Dies kann dazu führen, dass wir den Prozess des Spurwechsels abbrechen. Aus Angst vor dem Nichts bleiben wir lieber in der alten Spur. Damit dieser Prozess nicht in einem Zusammenbruch endet, sondern im Gegenteil in einem Aufbruch und im Wechseln der Spur, müssen wir von Anfang an neben dem »Sterben« auch für ein »Werden« sorgen.

6. Kapitel

Stark im Leben
durch das Dialogprinzip

Im folgenden Kapitel möchte ich Ihnen einige weitere Grundsätze des Dialogprinzips vorstellen, die für die Auflösung Ihrer inneren Realität hilfreich sind. Unsere innere Realität hält uns nicht nur durch die Emotionen und den Schmerz gefangen, sondern auch durch Lebensmuster, die dazu führen, dass wir in der Welt des Defizits und der Negativität bleiben. Dadurch erschöpfen wir uns nicht nur, sondern kommen auch nicht an. Die Grundsätze des Dialogprinzips bieten Ihnen die Möglichkeit, die Welt des Mangels zu verlassen und Ihr Leben so zu leben, dass Sie Ihre Ziele voller Kraft erreichen. Es sind Grundregeln für ein wesentliches Leben, die Ihnen nicht nur helfen, Umwege und Verstrickungen zu vermeiden, sondern die Sie auch in Ihrer psychischen Widerstandskraft stärken.

Schlusswort

Wenn wir uns die Frage nach einem wesentlichen Leben stellen, dann kommen wir nicht umhin, anzuerkennen, dass die ersten Jahre in unserem Leben dafür entscheidend sind.

Leben ist gelingende Beziehung. Gelingende Beziehung ist Begegnung. Begegnung heißt Dialog. Damit uns dies gelingt, brauchen wir von Beginn an die Erfahrung von Eltern, die uns in unserem Wesen erkennen und liebevoll annehmen und uns darin unterstützen, zu dem zu werden, wer wir tatsächlich sind. Wenn wir dies erfahren, können wir unsere Wahrheit leben und der Wahrheit der Welt begegnen.

Als ich dieses Buch geschrieben habe, habe ich mich oft gefragt, ob die Worte das Ausmaß und die Tiefe vermitteln können, die der Dialog für unser Leben hat, und was es für unser Leben bedeutet, wenn wir diesen nicht gelernt haben – was es für uns und unser Leben bedeutet, wenn wir in den ersten Jahren keine Begegnung erfahren haben.

In meinen Seminaren bitte ich die Teilnehmer manchmal in einer kurzen Einheit, ihre innere Realität in einem Drehbuch für ein Theaterstück zusammenzufassen, allen Elementen, die sie enthält, Rollen zuzuschreiben und dem Ganzen einen Titel zu geben. Dann bitte ich sie, das eigene Leben zu betrachten.

Die Erkenntnis, dass dieses meist nur ein Theaterstück der inneren Realität ist, und die Betroffenen selbst in ihrem Leben gar nicht vorkommen, ist für viele ein tiefer Einschnitt. Mir war es in diesem Buch ein Anliegen, Bewusstsein zu vermitteln, was innere Realitäten eigentlich sind und wie selbstverständlich wir auf ihrer Grundlage unser Leben führen – ohne es lange Zeit zu bemerken. Es reicht nicht aus, ihren Inhalt zu erkennen, sondern wir müssen die innere Realität in ihrem Mechanismus verstehen. Je mehr uns dies gelingt, umso weniger werden wir ihren Inhalten Beachtung schenken und uns darin verlieren, sondern können eine andere Bewusstseinsebene in unserem Denken, Fühlen und Handeln einnehmen.

Ob Sie die innere Realität nun Neurose oder Ego nennen, ist am Ende unerheblich – ich habe mich für den Begriff der inneren Realität entschieden, um zu verdeutlichen, was sie ist: ein »eingefrorener oder festgefahrener« innerer Bewusstseinszustand, der aus fehlender Begegnung entstanden ist und Begegnung verhindert. An einigen Stellen habe ich persönliche Zitate von Betroffenen verwendet, mit denen diese ihre innere Realität beschreiben. Darunter taucht unter anderem der Begriff »toxischer Freund« auf. Der Begriff »toxisch« wird häufig im Zusammenhang mit Narzissmus verwendet. Die innere Realität beginnt dort, wo wir nicht mehr mit unserem Wesen, unserer Seele in Verbindung stehen und »fern von uns selbst« fühlen, denken und handeln. Dies kann sich narzisstisch äußern wie auch in jedem anderen neurotischen Störungsbild. Es gibt verschiedene Wege und Blickwinkel, das, was Leben ausmacht und was uns daran hindert zu beschreiben. Am Ende treffen sie sich alle in demselben Ursprung wieder und finden dieselbe Essenz. Der Schriftsteller Michael Ende würde die innere Realität vielleicht als »das Nichts« beschreiben, was »Phantasien« bedroht, während Goethe in seinem Faust, »den Geist, der stets verneint«, Mephisto nennt. Schamanen sprechen von dem »Parasiten« und die Yogis vom »hidden self«. Ein Physiker würde das Phänomen der inneren Realität vielleicht mit einem schwarzen Loch vergleichen.

Lassen Sie uns die innere Realität also nicht nur innerhalb eines psychischen Diagnosesystems klassifizieren, sondern sie als ein menschliches Phänomen erkennen, das fast jeden von uns in unterschiedlicher Ausprägung betrifft – es ist die Suche nach dem, was Leben ausmacht und gleichzeitig die Verhinderung dessen.

Ich hoffe, dass es mir in diesem Buch gelungen ist, Impulse zu geben, die Ihnen helfen, sich über Ihr Leben bewusst zu werden und über das, was Sie in Ihrem Wesen tatsächlich ausmacht.

Innere Realitäten sind meist so selbstverständlich, dass sie uns erst dann bewusstwerden, wenn wir scheitern. Wir sollten die Chance solcher Krisen nutzen – denn dort liegt die Möglichkeit zu unserer eigentlichen Kraft zu finden.

Kürzlich sagte ein Seminarteilnehmer, als es um die Frage nach dem eigenen Wesen ging: »Aber was ist denn so schlimm, wenn ich in meiner inneren Realität lebe, es nicht merke und das Gefühl habe, dass ich zufrieden bin?«

Ein anderer sagte: »Manchmal wünschte ich mir, dass ich wie die Kuh auf der Wiese bin, dann wäre ich sicherlich glücklicher.«

Ich bin der Überzeugung, dass wir in unserem Leben in sehr vielem die Wahl haben – in einer Frage jedoch nicht. Die Wahl zwischen Wahrheit und Lüge. Früher oder später bricht das ein, was nicht ist. Die Wahrheit – und damit schließe ich die Wahrheit unseres Wesens und unserer Seele ein – wird sich am Ende durchsetzen – und sei es bestenfalls nur in dem Gefühl, in seinem Leben nicht angekommen zu sein.

Ich habe mich in diesem Buch darauf beschränkt zu beschreiben, wie innere Realitäten uns in unserem persönlichen Leben hindern – der Mechanismus innerer Realitäten gilt jedoch auf allen Ebenen.

Wenn wir uns das aktuelle Geschehen – ob im politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Bereich anschauen, dann wird es höchste Zeit, auch dort einen Spurwechsel einzufordern – beginnend mit der Frage: Welcher Spur sind wir dort bisher eigentlich gefolgt? Welches Theaterstück führen wir hier auf und welchen Titel trägt es?

Wollen wir die Welt ein Stück wesentlicher werden lassen, dann kann uns dies nur gelingen, wenn wir auf allen Ebenen fähig zur Begegnung werden. Fähig zu einem identischen Ich, zu einem Du und auf dieser Grundlage zu einem Wir.

Der Spurwechsel beginnt immer beim Ich – aber nur, um fähig zum Du zu werden und auf dieser Grundlage ein starkes und gesundes Wir zu leben. Die Frage nach einem wesentlichen Leben hält nicht bei uns selbst an, sondern dort beginnt sie.

Und so möchte ich Sie am Ende dieses Buches nicht nur zu Ihrem persönlichen Spurwechsel ermutigen, sondern auch dazu, weiter zu denken:

Stellen Sie sich einmal vor, was es für unsere Welt bedeuten würde, wenn wir uns gemeinsam entscheiden würden, wesentlich zu werden und wenn jeder von uns fähig zur Begegnung wäre. Wenn Interesse, Offenheit, Empathie, Augenhöhe und Wertschätzung zum Selbstverständnis werden würden – sich selbst gegenüber, und der Welt, in der wir leben?

Was würde es für unsere Welt bedeuten, wenn diejenigen, die wirtschaftliche, politische, soziale Entscheidungen treffen, dies auf dieser Grundlage täten? Auf Grundlage ihres Wesens – fähig zum Dialog?

Wie sähen unsere Umwelt und Wirtschaft aus, wenn in den Führungsetagen innere Realitäten als Ausschlusskriterium gelten würden und auf Grundlage von Augenhöhe gehandelt wird?

Wie würden sich Empathie und Respekt auf umweltpolitische Fragen auswirken? Wenn wir von Beginn an in unserem Elternhaus Begegnung erfahren – was würde dies für unser privates und soziales Leben bedeuten?

Leben ist Begegnung. Begegnung ist Dialog. Dort liegt die Kraft der Veränderung. Stellen Sie sich einmal vor, wir wären dazu fähig.

Wir könnten viel bewegen.

Wann wollen wir damit beginnen?

Anhang

So verlieren wir die Beziehung zu uns selbst

Sosehr sich jeder auf der einen Seite wünscht, in sich zu ruhen und in seinem Leben er selbst zu sein, so selbstverständlich ist es für die meisten von uns, dies nicht zu sein und zu tun – und zwar so selbstverständlich, dass wir dies lange Zeit entweder gar nicht registrieren oder aber verdrängen.

Im folgenden Abschnitt möchte ich Ihnen anhand eines von mir entwickelten Modells einen Überblick geben, wie die innere Realität in Alltagssituationen Begegnung verhindert.

Wenn wir die Beziehung zu uns selbst verlieren und auf dieser Grundlage den äußeren Dialog, so verläuft dies immer nach dem gleichen Muster und in denselben Schritten. Es gibt vier Phasen, die wir dabei durchlaufen: die Alarmphase, die Widerstandsphase, die Erschöpfung und den Rückzug. Auch wenn diese Phasen für die meisten von uns unbewusst verlaufen – wir meistens gar nicht spüren, dass wir uns von uns entfernen oder fern von uns selbst sind –, so stellen wir den Verlust des inneren Dialoges spätestens an den Symptomen fest, die sich auf der Körperebene, auf der gedanklichen Ebene, auf der emotionalen Ebene und auf der Ebene des Verhaltens entwickeln.

Damit das Ganze nicht theoretisch bleibt, möchte ich Sie bitten, dass Sie kurz innehalten und sich überlegen, wann Sie in der letzten Zeit – beruflich oder privat – den Dialog verloren haben. In welcher Situation haben Sie die Augenhöhe verloren? Wo haben Sie begonnen, Ihre innere Stimme zu ignorieren? Wo haben Sie am Ende Ja gesagt, obwohl Sie zu Beginn Nein gemeint haben? Dies kann eine berufliche Situation gewesen sein, Ihre Partnerschaft, Freundschaften, eine Situation, in der es vielleicht darum ging, sich zu trennen oder für etwas zu entscheiden. Eine Situation im Umgang mit sich selbst. Wo haben Sie gegen Ihr Wissen gehandelt?

Ich nehme ein einfaches Beispiel, das mir eine Frau kürzlich in meiner Praxis erzählte. Es ging um eine berufliche Situation und die Frage, ob sie ein Projekt annehmen sollte, das ihr Chef ihr ans Herz gelegt hatte.

Obwohl sich das Ganze im Außen verlockend anhörte, hatte sie innerlich kein gutes Gefühl. Eigentlich war ihr klar, dass das Projekt nicht das Richtige für sie war.

Erste Bewertung der Situation in der Alarmphase: Das Gegenüber wird als (existenziell) bedrohlich wahrgenommen.

Phase 1: Alarm

Anstatt auf ihre innere Stimme zu hören und ihrem Chef eine Absage mitzuteilen, begann die Frau plötzlich Zweifel zu spüren. Ihre innere Realität »Wenn ich Nein sage, dann werde ich abgelehnt« regte sich in ihr. Sie wurde unsicher.

War das Projekt vielleicht doch das Richtige? Sollte sie es nicht doch annehmen?

Wir treten in dem Moment in die Alarmphase ein, wenn wir begonnen haben, unsere innere Stimme infrage zu stellen. Häufig fühlen wir die innere Realität gar nicht, sondern wir spüren nur unseren Zweifel an unserer ursprünglichen Meinung.

Die eigene Haltung – »Nimm das Projekt nicht an« steht nun einer weiteren Haltung gegenüber: »Projekt annehmen«.

Auf der emotionalen Ebene fühlen wir eine innere Unruhe und Anspannung, es entstehen Angstgefühle. Wir sind aufgeregt, rast- und ruhelos.

Auf der körperlichen Ebene spüren wir in dieser Phase die typischen Reaktionen der Stressreaktion, das Herz schlägt schneller, wir fangen an zu schwitzen, der Magen-Darm-Trakt reagiert.

Gedanklich beginnen wir zu zweifeln – wir fangen an, die eigentlich klare Lösung zu hinterfragen, wir wiegen ab, wir grübeln und überlegen.

Auf der Verhaltensebene geben einige von uns bereits in der Alarmphase im Außen nach und sagen Ja, obwohl sie innerlich Nein meinen – einige beginnen ihre beginnende Unsicherheit in einem extra dominanten Auftreten zu überspielen – andere von uns ziehen sich zurück. Je nachdem, wie schnell wir unserer inneren Realität den Platz überlassen, hören wir auf, uns im Außen zu vertreten, und verlieren die Augenhöhe.

Die Alarmphase dauert eine gewisse Zeit, irgendwann stehen wir vor der Entscheidung, entweder zum inneren Dialog zurückzukehren – oder wir folgen der inneren Realität. Dann beginnen wir, gegen unsere innere Stimme Widerstand aufzubauen und sie zu unterdrücken.

Zweite Bewertung der Situation: Es gibt keine Möglichkeiten der Auflösung. Es fehlen Kompetenzen zur Situationsbewältigung, ein Verlassen der Situation ist ebenfalls nicht möglich. Die Widerstandsphase beginnt.

Phase 2: Widerstand

Haben wir uns in der ersten Phase noch gehört, schalten wir nun unsere Wahrnehmung für uns selbst ab. Wir folgen nun der Stimme der inneren Realität, beginnen, aktiv gegen uns selbst anzuarbeiten. Gedrängt von ihrer inneren Realität »Wenn du ablehnst, dann wirst du abgelehnt!« begann die Frau, sich das Projekt schönzureden.

Auf der emotionalen Ebene sind wir aufgeregt, unzufrieden, gereizt, aggressiv, unsicher und empfinden eine beginnende Traurigkeit. Für kurze Momente beginnen wir, eine unbestimmte innere Leere zu fühlen, die wir aber schnell wieder beiseiteschieben. Irgendwann beginnen wir, unsere Wahrnehmung für unsere Gefühle abzustellen und diese zu verdrängen. Gedanklich grübeln wir, unsere Konzentration beginnt, schwächer zu werden, wir haben wiederkehrende Gedanken.

Haben wir in der ersten Phase, wenn überhaupt, nur leichte körperliche Reaktionen gefühlt, so verstärken diese sich in dieser zweiten Phase – je nach genetischer Disposition und körperlicher Schwachstelle entwickeln wir Symptome auf tieferen Ebenen, und zwar spiegelbildlich.

Je mehr wir gegen uns selbst ankämpfen und uns selbst »abwehren«, umso schwächer werden unser Immunsystem und unsere Abwehr. Dies äußert sich zunächst durch wachsende Infektanfälligkeit – wir haben einen Infekt nach dem nächsten oder brauchen länger als gewöhnlich, um gesund zu werden. Allergien treten auf – so, wie wir gegen uns selbst vorgehen, beginnt der Körper, gegen sich vorzugehen.

Je mehr wir das innere Gleichgewicht aufgeben, bricht auch das körperliche Gleichgewicht zusammen – unser Herz-Kreislauf-System reagiert durch hohen Blutdruck oder Blutdruckschwankungen oder unser Gleichgewichtssystem durch Ohrgeräusche und Schwindel.

Je mehr wir die Verbindung zu uns selbst verlieren, verlieren wir unseren inneren Halt – und damit auch die äußere Haltung. In dieser Phase treten wachsende Verspannungen und Rückenschmerzen auf. Je mehr wir gegen uns vorgehen, umso mehr wirkt sich das auch auf die Nacht aus – entweder verlieren wir die Fähigkeit zu träumen – oder aber die Fähigkeit zu schlafen und wir beginnen, unter Schlaflosigkeit zu leiden.

Auf der Verhaltensebene beginnen wir immer mehr, die Kompensation zu suchen. Der Kampf gegen uns selbst führt dazu, dass wir beginnen, den Halt im Außen zu suchen und die aufsteigende emotionale Leere, die durch Kontaktverlust mit uns selbst entsteht, zu kompensieren. Wir beginnen, Abhängigkeiten und Süchte zu entwickeln – unser Verhalten ist nicht mehr frei, sondern durch Kompensation bestimmt.

In der Erschöpfungsphase wird die Belastung als hoch, dauerhaft oder unausweichlich erlebt. Sie wird weder durch Bewältigung noch durch Erholungszeiten gemildert oder ausgeglichen. Es kann weder eine Korrektur der Außenwelt noch ein Ausgleich der Innenwelt vorgenommen werden.

Phase 3: Erschöpfung

Je länger wir gegen uns selbst ankämpfen, umso schwächer wird die Verbindung zu uns selbst. In der Erschöpfungsphase haben wir meist kaum noch ein Gefühl für uns und für das, was wir wollten – wir erinnern uns rational noch daran, wer wir »waren« – uns fehlt meist aber schon die emotionale Verbindung dazu. »Rückblickend kann ich sagen«, so berichtete die Frau, »dass ich in dieser Phase immer mehr begonnen habe, »mich abzustellen.«

Je mehr wir uns unterdrücken, umso kraftloser werden wir und umso mehr verspüren wir Symptome wie Leere, Antriebslosigkeit, Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit – wir betrauern emotional den Verlust unseres eigenen Wesens, ohne uns im Moment dessen bewusst zu sein.

Auf der körperlichen Ebene verstärken sich die Symptome und beginnen, chronisch zu werden. Es treten Bandscheibenvorfälle auf, Allergien »explodieren« und Autoimmunprozesse beginnen, sich ihren Weg zu bahnen. Die Verspannungen werden chronisch. Die immer schwächer werdende Verbindung zu uns selbst und der fehlende innere Halt führen zu äußeren Fehlhaltungen, die wiederum irgendwann das Skelettsystem schädigen. Wir haben Schmerzen, die nicht immer einen organischen Befund haben, oder wir reagieren auf organische Befunde mit stärkeren Schmerzen als angemessen. Uns schmerzt nicht nur emotional der Verlust von uns selbst, sondern auch körperlich.

Je mehr wir den Kontakt zu uns verlieren, umso mehr spüren wir das auch in der Nacht. Wir finden nicht mehr die Ruhe in uns. Die Ein- und Durchschlafstörungen werden zur Regel.

Auf der Verhaltensebene sind wir immer blockierter und im Kompensationsmodus.

In der Rückzugsphase erscheint der eigene Rückzug die einzige Lösung.

Phase 4: Rückzug

Die Phase des Rückzugs ist die Phase, in der wir uns endgültig von uns abwenden und den Kontakt zu uns abbrechen. Wir haben nicht nur das Gefühl für uns verloren, sondern auch das Bewusstsein für uns. Wir haben uns so weit von uns entfernt, dass wir nicht mehr für uns existieren. Wir sind nun unsere innere Realität.

Haben wir den Kontakt endgültig verloren, sind wir emotional »abgestellt«, teilnahmslos und gleichgültig uns selbst gegenüber. Empfinden wir Emotionen, so sind es vor allem Angst und Panik, die wir verspüren, eine ausgeprägte innere Leere und Ablehnung uns selbst gegenüber.

Gedanklich haben wir die Freiheit verloren – wir befinden uns in Gedankensystemen, die wir nicht mehr verlassen können, wir leiden unter Gedankenabbrüchen, schwerfälligen Gedanken, Grübeln.

Im Außen befinden wir uns endgültig im Funktionsmodus. Wir sagen spätestens hier Ja, obwohl wir innerlich Nein meinen, und zwar deswegen, weil wir unser Nein mit der verlorenen Verbindung zu uns selbst verloren haben. Die Gleichgültigkeit uns selbst gegenüber ermöglicht uns auszuhalten, was eigentlich nicht aushaltbar ist.

Wir haben Kreativität und Inspiration verloren. Süchte steuern häufig das Verhalten, um das gefühlte Nichts in uns aushaltbar zu machen.

Auswirkungen auf unsere äußeren Beziehungen

Der innere Dialog ist die Voraussetzungen für einen äußeren Dialog. Wenn wir die Verbindung zu uns selbst verlieren, verlieren wir durch die fehlende innere Haltung Stück für Stück unsere Identität und auf dieser Grundlage auch Stärke und Augenhöhe im Außen.

Die vier Phasen, die wir innerlich durchlaufen, durchlaufen wir ebenfalls in unseren Beziehungen – entweder kompensieren wir unsere fehlende Identität durch äußere Dominanz oder wir unterwerfen uns.

Phase 1: Alarm

In dem Moment, in dem wir den inneren Dialog beenden, verlieren wir auch die Fähigkeit, im Außen einen Dialog auf Augenhöhe zu führen. Durch die fehlende innere Haltung werden wir unsicher, begeben uns in einen Reaktionsmodus und passen uns entweder sofort unserem Umfeld an und geben auf, oder wir begeben uns – meist unbewusst – in eine Verteidigungshaltung. Anstatt uns ruhig zu vertreten, beginnen wir »zu kämpfen« – und treten in die Alarmphase ein.

Phase 2: Widerstand

Je mehr wir gegen uns selbst ankämpfen, umso mehr verlieren wir die Augenhöhe unserer Umwelt gegenüber. Entweder fügen wir uns oder wir verhärten im äußeren Widerstand und Kampf und kompensieren unsere Unsicherheit durch den Wunsch nach Kontrolle und Dominanz.

Phase 3: Erschöpfung

Je schwächer unsere Verbindung zu uns selbst wird, umso schwächer werden wir im äußeren Dialog. Entweder erleben wir uns als Opfer der Umwelt, fühlen uns sofort angegriffen oder wir beginnen aus Angst vor Angriff und Unterdrückung, andere anzugreifen und zu unterdrücken. Je nachdem nehmen wir die Position A oder die Position B unserer Umwelt gegenüber ein.

Phase 4: Rückzug

Je weiter wir uns der Phase des Rückzugs nähern, umso mehr müssen wir die innere Haltlosigkeit im Außen kompensieren. Entweder treten wir auch dort in den Rückzug ein und übernehmen die Position B und erleben uns als Opfer. Oder wir übernehmen die Position A und werden immer dominanter, herrischer und machtvoller auftreten. Unser äußerer Spielraum wird immer geringer und wir müssen immer mehr kontrollieren. Hier zwingen wir dann unser Umfeld in die Position B des Rückzugs und erschöpfen unsere Beziehungen, so wie wir die Beziehung zu uns selbst erschöpft haben. Unsere Beziehungen werden entweder immer oberflächlicher oder sie sind von Abbrüchen und wachsenden Konflikten gekennzeichnet. Wir sind unzufrieden, teilnahmslos, gleichgültig und ziehen uns auch im Außen immer mehr zurück – oder wir suchen vermehrt »Beziehung«, um die innere Leere und Einsamkeit nicht fühlen zu müssen.

Am Ende stehen wir auch unserer Umwelt gegenüber, wo wir im Inneren längst sind: in der Phase der Erschöpfung und des Rückzugs.

Der Frau aus meinem Beispiel ging es ähnlich. Sie verlor ihrem Chef gegenüber die Fähigkeit, ihm auf Augenhöhe zu begegnen, in dem Moment, als ihre innere Alarmphase begann. Sie berichtete, dass sie sich schließlich für das Projekt entschieden hatte. Als ihr Chef ihr noch einmal die Vorzüge deutlich machte, brach ihr äußerer Widerstand am Ende der Widerstandsphase sich selbst gegenüber ein. Je länger sie gegen sich angekämpft hatte, umso schwerer fiel es ihr, sich im Außen zu vertreten, und so stimmte sie dem Chef schließlich zu. Die Entscheidung für das Projekt und die Entscheidung gegen sich selbst konnte sie jedoch nur umsetzen, indem sie weiter gegen sich vorging. Um das Projekt führen zu können, musste sie weiter gegen sich ankämpfen und den Kontakt zu sich abbrechen. »Ich hätte es sonst nicht machen können«, sagte sie später. Der beginnende Tinnitus, den sie kurz nach der Übernahme des Projekts bekam, versuchte sie zu ignorieren, ebenfalls die Schlafstörungen – erst als sie immer mehr in körperliche Erschöpfung rutschte und sie eines Nachts mit Herzrhythmusstörungen in die Klinik musste, hielt sie inne. Sie ließ sich krankschreiben, so vom Projekt entbinden und kam in die Beratung.

Ein Mann berichtete Ähnliches – in seinem Fall war es die Entscheidung, sich trotz inneren Wissens nicht zu trennen und an seiner Partnerschaft festzuhalten. Bei ihm brach irgendwann die Panik mit massiver Herzsymptomatik aus, die ihn beruflich scheitern – und ihn erst dann auf sich hören ließ.

Eine Frau berichtete, dass sie jahrelang in einer beruflichen Situation verharrte, obwohl »alles in ihr« gegen dieses System rebellierte – erst als sie unerklärliche Schmerzen entwickelte, entschied sie sich für einen Spurwechsel.

Nutzen Sie dieses Modell, um für sich zu erkennen, wann und wodurch Ihre innere Realität dazu führt, dass Sie Ihre innere Stimme verleugnen und die Augenhöhe im Außen verlieren.

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Projektleitung

Andrei-Sorin Teusianu


Redaktion

Martin Stiefenhofer


Korrektorat

Susanne Schneider


Satz/DTP

Christoph Dirkes

mediathletic bild + design, Neuenkirchen

www.mediathletic.com


eBook-Produktion

Uhl + Massopust, Aalen


Umschlaggestaltung

*zeichenpool, München


Herstellung

Reinhard Soll


ISBN: 978-3-641-22045-7
V003

Sackgasse

Wenn wir ehrlich sind, weiß jeder von uns im tiefsten Inneren, ob das, was er tut, richtig ist. Nicht im moralischen Sinne, sondern in seinem Sinne. Ob das Leben, das wir führen, das eigene Leben ist, ob das, was wir tun und sagen, wir sind – und wenn wir ehrlich sind, wissen wir ganz genau, wenn es dies nicht ist. Interessanterweise wusste jeder meiner Patienten sogar, zu welchem Zeitpunkt es begonnen hatte, »bergab« zu gehen, an welchem Punkt er hätte die Spur wechseln müssen, um nicht krank zu werden oder zu scheitern – es aber nicht getan hat. Bei einigen lag der Zeitpunkt fünf Jahre zurück, bei manchen zwei und bei anderen wenige Monate. »Wenn du jetzt weitermachst, wirst du krank werden.« – »Trenne dich, solange du noch kannst.« – »Nimm den Auftrag nicht an.« – »Lass dich nicht auf diesen Menschen ein.« So oder ähnlich berichteten die Betroffenen von ihrer inneren Stimme, die sie jedoch – warum auch immer – geflissentlich überhörten und mehr oder weniger bewusst beiseiteschoben. So lange, bis es nicht mehr ging. Wann sind wir bereit, uns zu verändern? Wenn wir feststellen, dass wir unglücklich sind? Wenn wir unseren Job verlieren? Unsere Partnerschaft scheitert? Oder warten wir so lange, bis unsere Gesundheit uns dazu zwingt?

Wann sind wir bereit zu sagen: »Mir reicht es!«, und uns von dem zu befreien, was uns in unserem Leben blockiert?

Wann sind wir bereit für einen Spurwechsel?

Jeder hat das Recht auf ein glückliches Leben

Wer glücklich sein will, der muss sich zunächst von all dem befreien, was ihn an seinem Glück hindert.

Je länger Menschen in ungelösten Situationen verharren, umso häufiger geschieht es, dass sie den Glauben verlieren, sich daraus befreien zu können. »Ich habe das Gefühl, es einfach nicht zu schaffen, etwas in meinem Leben zu ändern«, behauptete eine Frau. »Das Leben ist gegen mich«, sagte ein Mann. »Ich habe aufgehört, daran zu glauben, dass es für mich einmal gut werden wird«, offenbarte eine andere Frau. »Vielleicht gibt es für mich eben kein Glück«, so ein erschöpfter Mann. »Ich bin nun Mitte 40, mein Leben liegt in Trümmern – zehn Jahre früher, da hätte ich vielleicht noch die Kraft für Veränderung und das Vertrauen darauf gehabt. Aber jetzt?«

Vielleicht geht es Ihnen genauso. Vielleicht haben auch Sie angefangen, innerlich aufzugeben, zu resignieren, und vielleicht sogar begonnen, an Ihr Unglück zu glauben. Vielleicht sind auch Sie der Überzeugung, dass Sie es nicht verdient haben, glücklich zu sein, und es Ihnen nicht mehr besser gehen wird. Dass das Leben immer so bleibt, wie es jetzt ist.

Ich möchte Ihnen nachdrücklich vermitteln, dass dies nicht der Fall sein muss. Jeder von uns hat das Recht auf ein erfülltes und zufriedenes Leben, und jeder von uns trägt die Möglichkeit für ein solch erfülltes und zufriedenes Leben in sich. Jeder von uns – auch Sie!

Wenn Sie sich im Moment in einer Sackgasse befinden und zweifeln – egal ob an sich selbst, einem befriedigenden Job, erfüllenden Beziehungen oder an einem zufriedenen Leben –, wenn Sie mitten in der Nacht oder am frühen Morgen mit klopfendem Herzen, voller Angst vor der Zukunft, aufwachen und sich vielleicht sogar manchmal wünschen, dass es besser wäre, wenn Ihr Leben vorbei wäre, dann kann ich Ihnen sagen: Das, was Sie da denken und fühlen, sind nicht Sie.

Ich weiß, dass sich dies für Sie im Moment wahrscheinlich merkwürdig anhört. Wahrscheinlich werden Sie sich sagen: Wieso sollte ich das nicht sein? Ich denke und fühle doch all das in mir – also bin ich es auch.

Nein, das sind Sie nicht.

Das Problem ist nur, dass Sie sich dafür halten.

Warum halten wir an unserem Unglück fest?

Es ist nicht die Frage, dass wir nicht gut sind, sondern vielmehr, was dazu führt, dass wir dies nicht glauben. Es ist nicht die Frage, dass das, was wir sind, nicht genügt – es ist die Frage, was uns davon abhält, das zu leben. Was hält uns davon ab, wir selbst zu sein?