Als Ravensburger E-Book erschienen 2018

Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH

© 2018 Ravensburger Verlag GmbH
Copyright © 2018 by Bianca Iosivoni
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur Langenbuch & Weiß, Hamburg.
Umschlaggestaltung: Carolin Liepins unter Verwendung von Fotos von © Nejron Photo, © Maksimilian, © Khomenko Maryna, © Aperture75, © nuttakit und © conrado (alle: Shutterstock)
Herstellung: Ulrike Schneider
Lektorat: Nadja Korthals

Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.

ISBN 978-3-473-47908-5

www.ravensburger.de

Für Ada und Bobby

PLAYLIST

Ruelle – Monsters (Acoustic Version)

AC/DC – Back In Black

Breaking Benjamin – Follow

Two Steps From Hell – Flameheart

AC/DC – Thunderstruck

Kings of Leon – Use Somebody

Jack Trammell – Crushing Blow

FAMY – Ava

MILCK – Quiet

Nightwish – Planet Hell

Two Steps From Hell – Earth Rising

Within Temptation – See Who I Am

ARIZONA – Oceans Away

David Garrett – They Don’t Care About Us

MILCK – Devil Devil

Two Steps From Hell – Protectors of the Earth

Ruelle – Madness

Sleeping Wolf – Demons at the Door

Future World Music – Aqua Vitae

Anna Christelle – Lighthouse

Fall Out Boy – The Last Of The Real Ones

Breaking Benjamin – Who Wants To Live Forever

Nightwish – Ghost Love Score

Nightwish – Bye Bye Beautiful

RAIGN – When It’s All Over

Ciara – Paint It, Black

Within Temptation – Ice Queen

Karmina – All The King’s Horses

J2 feat. Lola – Somewhere over the Rainbow (Epic Trailer Version)

PROLOG

JULIANA

KIRKWALL, ORKNEYINSELN, SCHOTTLAND

War es nicht seltsam, jemanden zu beerdigen, der gar nicht tot war? Wie nahm man Abschied von jemandem, von dem man wusste, dass er noch immer irgendwo dort draußen war? Verloren, unerreichbar, aber am Leben. Sofern man das überhaupt als Leben bezeichnen konnte.

»Juliana …« Die Stimme ihres Bruders war leise und hing zugleich schwer in der Luft. Er blieb schräg hinter ihr stehen, sein Schatten fiel auf den Grabstein.

Auch wenn sie sich nicht zu ihm umdrehte, konnte sie Elijah genauso spüren wie die warmen Strahlen der untergehenden Sonne auf ihrem Rücken. Seine Macht wurde von Tag zu Tag größer. Er versuchte, es vor ihr zu verbergen, speiste sie mit Beschwichtigungen und lockeren Sprüchen ab, doch sie wusste es besser. Sie wusste es, weil sie es schon mehrfach erlebt hatte. Wieder und wieder, bis kaum noch jemand von ihrer Familie übrig geblieben war. Und bald würde sie allein sein. Allein in diesem großen Schloss, das ihrem Clan seit Jahrhunderten gehörte und ihr Zuhause war. Doch mit jedem weiteren Tag verwandelte es sich mehr und mehr in ein Mausoleum.

»Sie ist nicht tot«, murmelte Juliana, während ihr Blick den eingravierten Buchstaben im Stein folgte. »Mum ist irgendwo dort draußen.«

»Ich weiß.« Elijah machte einen Schritt nach vorn, bis er auf einer Höhe mit seiner Schwester war.

Er überragte sie deutlich – mit seinen beinahe ein Meter neunzig und den breiten Schultern, die er früher beim Rugbyspielen in der High School stets zu seinem Vorteil eingesetzt hatte. Sein Haar hatte dieselbe Farbe wie ihres, war so dunkel wie verbranntes Holz und schimmerte im Sonnenlicht in einem warmen Braunton. Auch seine Augen ähnelten ihren, nur waren seine fast schwarz, während ihre dieselbe Farbe wie ihr Haar hatten. Dazu kamen die dichten Brauen, die ihren feinen Gesichtszügen etwas Markantes verliehen.

Schweigend standen sie vor dem Grab, in dem niemand lag. Kein Sarg. Kein Körper. Es war nur ein Symbol, nur eine Geste des Abschieds, auf die ihr Bruder bestanden hatte. Und mit der Zeit waren es immer mehr solcher Symbole geworden, immer mehr leere Gräber, bis aus dem Garten, in dem sie als Kind mit ihren Geschwistern, ihren Cousins und Cousinen gespielt hatte, ein Friedhof geworden war.

Die kühle Brise zerrte an ihren Haaren. Juliana fasste sie auf einer Seite zusammen und hielt sie auf Brusthöhe fest. Anders als Elijah brachte sie es nicht über sich, sich zu verabschieden. Das sattgrüne Gras dämpfte seine Schritte, als er auf den Stein zu- und davor in die Hocke ging. Sekundenlang verharrte er in dieser Position und murmelte etwas, was der Wind davontrug, dann stand er auf und drehte sich zu ihr um.

Obwohl er mit zwanzig gerade mal zwei Jahre älter war als Juliana, wirkte es, als wäre er in den letzten Monaten um Jahre gealtert. Denn während sie lange Zeit nicht mitbekommen hatte, was in ihrer Familie passierte, hatte er alles zusammenzuhalten versucht. Zumindest das, was noch übrig war.

»Sie ist nicht tot.« Juliana wusste, wie trotzig sie klang, aber sie musste es wiederholen, musste die Worte aussprechen, um das Gefühl von Leere und Verlust zu vertreiben. Von Verrat. »Es muss einen Weg geben, sie zurückzuholen.«

»Jules …« Seufzend fuhr sich Elijah durch das Haar. Erschöpfung lag in seinen Augen. Sie konnte ihm ansehen, dass er es müde war, für diese Familie zu kämpfen. Aber vor allem war er es müde, gegen sich selbst zu kämpfen. Gegen die Kräfte, die in ihnen beiden schlummerten und sie zu tickenden Zeitbomben machten. Zumindest hatten ihre Verwandten sie vor nicht allzu langer Zeit so genannt. Aber die konnten auch leicht reden, denn bei ihnen hatten sich bisher keine Anzeichen der Elementarmagie gezeigt, die in ihrem Clan von Generation zu Generation weitervererbt wurde.

Elijah schien etwas sagen zu wollen, schüttelte dann aber nur den Kopf. Juliana ahnte bereits, was er dachte. Diese Diskussion führten sie schon, seit sie mit dieser waghalsigen Theorie angekommen war. Seit auch ihre Lieblingstante Augustine dem Fluch ihres Clans erlegen war. Tatsächlich hatten sie es bis dahin immer als den Fluch der MacKays bezeichnet, weil es ihre Familie besonders häufig traf. Doch die Wahrheit war viel grausamer: Es betraf alle Clans. Nur waren die anderen wesentlich besser darin, ihre verlorenen Familienmitglieder zu verbergen.

Oder sie auszulöschen.

Etwas, was Juliana einfach nicht über sich brachte.

»Lass uns wieder reingehen.« Elijah deutete auf das Schloss, das sich in graubraunem Sandstein hinter ihnen erhob.

Sie nickte, wollte sich bereits abwenden, als ihr Blick an seiner Ellenbeuge hängen blieb, genau dort, wo der hochgekrempelte Ärmel seines Flanellhemds endete. Ein kleiner Riss zog sich durch seine Haut, als wäre sie eine Granitplatte, die einen Sprung hatte. Julianas Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Sie wusste, welches Bild sich ihr bieten würde, wenn sie näher treten und es sich genauer ansehen würde: das gleiche wie schon unzählige Male zuvor.

Kleine Risse in der obersten Hautschicht waren das erste Anzeichen. Darunter schimmerte die Elementarmagie in allen Nuancen von Grün bis Braun. Mit der Zeit wurden die Risse größer, das Schimmern stärker. Es könnte wie ein Kunstwerk anmuten, wäre es nicht das Zeichen für das Ende. Das Zeichen dafür, dass die Macht zu stark für den Körper wurde. Zu stark für ihren Bruder. Genau wie für ihre Tante. Ihren Onkel. Ihren Großvater. Ihre Mutter. Und bald für sie selbst.

Tränen brannten in Julianas Augen, als sie zu ihrem Bruder hochsah. Sie schluckte hart und kämpfte gegen das Gefühl der Machtlosigkeit an, das mit jedem Tag nur noch schlimmer zu werden schien.

Hastig schob er sich den Ärmel hinunter, als könnte er so verdecken, was sie bereits gesehen hatte. Was sie beide wussten. Sorge zeichnete seine Gesichtszüge und Falten bildeten sich zwischen seinen Augenbrauen.

»Seit wann?«, brachte sie mühsam hervor.

»Es wird nicht passieren. Ich habe es unter Kontrolle.«

Sie lächelte, auch wenn es schmerzte. Weil die Erinnerung daran schmerzte. »Das hat Mum auch gesagt …«

»Jules.« Ein kaum wahrnehmbares Beben ließ den Boden erzittern. »Ich hab es im Griff. Ich werde zu keinem von ihnen.«

Sie wollte ihm glauben. Sie wollte es so sehr, dass es wehtat. Aber sie wusste auch, dass der Prozess nicht mehr aufzuhalten war, wenn er einmal begonnen hatte. Niemand in ihrer Familie hatte es geschafft, dem Machtrausch zu widerstehen. Jeder von ihnen hatte sich der unbezähmbaren Magie in seinem Inneren hingegeben, war von ihr übermannt worden und hatte jede Menschlichkeit verloren. Trotzdem weigerte Juliana sich, ihre Familie aufzugeben.

»Ich weiß«, wisperte sie und legte die Hand auf seinen Arm. »Du bist der Stärkste von uns. Wenn es jemand schaffen kann, dann du.«

Er lächelte und bedeckte ihre Hand mit seiner. Doch als die Erde erneut unter ihren Füßen zu vibrieren begann, brach sein Lächeln. Grashalme zitterten, Bäume ächzten und Staub rieselte von den Mauern des Schlosses herab.

»Das bin ich nicht.« Panik lag in Elijahs Stimme. Er grub die Finger so fest in ihre Haut, dass es schmerzte. »Bitte, Jules, du musst mir glauben. Das bin ich nicht!«

»Ich weiß.« Sie legte ihm die Hände auf die Schultern und versuchte, seinen Blick einzufangen. »Ich weiß, Eli. Bleib bei mir.«

Sein gesamter Körper wurde von dem Beben erfasst, und als die Beine unter ihm nachgaben, sank Juliana zusammen mit ihm auf die Knie. Sie würde es nicht ertragen, ihn auch noch zu verlieren. Seit sie denken konnte, war er immer ihre Konstante, ihr Fels in der Brandung gewesen. Wie sollte sie ohne ihn weitermachen?

»Sieh mich an.« Sie umfasste sein Gesicht. Die Haut war kalt unter ihren Fingern. Immer mehr Risse begannen, seinen Körper zu zeichnen, und breiteten sich genauso auf seiner Haut aus wie im Erdboden um sie herum. Pure Macht leuchtete in einem grellen Grün dazwischen auf. »Bitte bleib bei mir!«

Aber es war zu spät.

KAPITEL 1

AVA

QUIRAING, ISLE OF SKYE, SCHOTTLAND
VIER WOCHEN SPÄTER

Ich schlug die Augen auf – und starrte in das Gesicht der Kreatur. Dicke Wurzeln zogen sich wie Narben darüber und ließen nur schwarze Höhlen für Augen und Mund frei. Arme und Beine bestanden aus Holz mit langen Ästen anstelle von Fingern und einem Rumpf aus massivem Gestein. Dazwischen schimmerte es strahlend Grün auf. Der faulige Atem brannte auf meiner Haut und machte jedes Luftholen unmöglich. Als das Monster das Maul öffnete, presste ich die Hände reflexartig auf die Ohren, aber nicht einmal das konnte mich vor dem ohrenbetäubenden Brüllen schützen. Die Wucht schleuderte mich rücklings ins Gras.

Mein Kopf schwirrte, meine Ohren klingelten. Kein Wunder, dass Dad nicht wollte, dass ich allein Jagd auf diese Wesen machte. Die Dinger waren furchterregend – und tödlich. Und was tat ich, gleich nachdem er mir verboten hatte, meinem Lieblingshobby nachzugehen? Das, was jede vernünftige Siebzehnjährige an meiner Stelle getan hätte. Ich hatte mich mitten in der Nacht rausgeschlichen.

Ganz großartige Idee, Ava.

Ich sprang auf die Beine. Gerade rechtzeitig, um einer herannahenden Klaue auszuweichen. Wie mein Vater es mir schon vor Jahren beigebracht hatte, packte ich das Wesen an Arm und Rumpf und nutzte seinen Schwung, um es zu Boden zu schicken. Das verschaffte mir wenigstens ein paar Sekunden Zeit.

Ich riss eine Metallkette aus meinen Gürtelschlaufen. Schwer landete sie auf dem weichen Gras, aber das Klirren blieb aus. Denn um die einzelnen Glieder war Stoff gewickelt, der jedes Geräusch dämpfte – und dank des Benzins hoch entzündlich war. Der Edelstahl blitzte im fahlen Mondlicht auf, das sich sonst nur in den Lochs um uns herum widerspiegelte. Als hätte das Elementarwesen nur darauf gewartet, drehte es seinen knorrigen Kopf zu mir und rannte los. Direkt auf mich zu. Obwohl alles in mir danach schrie, auszuweichen oder davonzulaufen, zwang ich mich dazu, stehen zu bleiben. Mein Herz begann zu rasen. Adrenalin pumpte durch meine Adern, immer stärker, je näher das Monster kam. Als ich seinen widerwärtigen Atem erneut riechen konnte, duckte ich mich unter seiner Klaue weg.

Ich hechtete zur Seite, rollte mich über den Boden und kam hinter der Kreatur wieder auf die Beine. Im selben Moment wirbelte sie zu mir herum. Hastig zog ich das Feuerzeug aus der Tasche meines kurzen Rocks. Die Flamme tanzte einen Moment lang zwischen uns in der Dunkelheit, bevor ich sie an die Edelstahlkette hielt. Sofort brannte der Stoff lichterloh. Ich packte den feuersicheren Griff fester, holte aus und schleuderte die Waffe wie eine Peitsche durch die Luft.

Zorniges Brüllen erfüllte das Tal. Schweißperlen traten mir auf die Stirn und mein Arm begann zu schmerzen, während ich die Kette wieder und wieder durch die Luft sausen ließ. Funken stoben auf und der Geruch von verbranntem Holz begann sich auszubreiten, als das Elementarwesen an einer Stelle Feuer fing. Doch so leicht gab es nicht auf. Es wich aus, ließ sich auf alle viere fallen und raste auf mich zu. Hatte seine Statur zuvor noch der eines Menschen geähnelt, wirkte es jetzt genau wie das, was es war: ein Monster. Von einem animalischen Instinkt getrieben, der nur ein Ziel kannte: mich zu töten.

Als das Wesen erneut auf mich zustürzte, warf ich mich ins Gras, rollte weg und sprang wieder auf. Diesmal erwischte die Edelstahlkette es richtig. Die trockenen Blätter und Äste seines Körpers begannen zu brennen. Erst waren es nur kleine Flammen, doch sie breiteten sich rasend schnell aus. Der Elementar schrie auf, so laut und wütend, dass ich ein paar Schritte zurückstolperte.

Und dann war es vorbei. Vor meinen Augen zerfiel er zu Asche, bis nur noch der steinerne Rumpf übrig blieb, der sich kurz darauf ebenfalls in Staub auflöste. Ich lächelte, während sich Erleichterung und Triumph gleichermaßen in mir ausbreiteten. Einer weniger. Und eines musste man diesen Mistviechern lassen: So gefährlich sie auch waren, sie hinterließen wenigstens keinen Spuren, wenn man sie aus der Welt schaffte.

Ich trat die Flammen an der Edelstahlkette mit meinen flachen Stiefeln aus, die bereits von anderen Ausflügen dieser Art gezeichnet waren. Spuren prangten im Leder und verschmorte Stellen an den dicken Sohlen. Aber es waren meine Lieblingsstiefel und solange sie nicht auseinanderfielen, würde ich auch weiterhin darin kämpfen. Die Kette zog ich durch das Gras zu einem kleinen Rinnsal, das zwischen den Steinen hervorsprudelte. Das Metall zischte im kalten Wasser und Dampf stieg auf. Ich wusch mir die Finger, die aus den fingerlosen Handschuhen herausragten, und wischte sie anschließend an meinen schwarzen Leggings trocken.

Als ich mich wieder aufrichtete, kam eine Windböe auf und brachte einen salzigen Geruch mit sich. In der Ferne, hinter den bizarr geformten Hügeln und Schluchten von Quiraing, spiegelte sich der Mond auf einer dunklen Fläche wider. Das Meer. Ich lächelte. Wie jedes Mal wenn ich auf die Wellen hinausblickte, spürte ich das vertraute Ziehen, dieselbe Sehnsucht in meiner Brust.

Ich pustete mir eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn, die sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst hatte, und zog mein Handy aus dem Stiefelschaft. Zehn Uhr dreiundzwanzig. Na also. Mehr als zufrieden steckte ich es zurück. Wenn ich jetzt nach Hause fuhr, würde Dad niemals erfahren, wo ich in dieser Nacht gewesen war, denn wenn er aus dem Pub kam, würde ich schon brav in meinem Bett liegen und schlafen. Wenn ich noch länger hier draußen blieb hingegen …

Ein kaum wahrnehmbares Vibrieren erfasste mich und bahnte sich einen Weg von meinen Fußsohlen die Beine hinauf. Ich blinzelte überrascht. Das konnte nicht sein. Oder?

Langsam ging ich in die Hocke und legte eine Hand auf den Stein, aus dem die Quelle entsprang. Das Vibrieren kam eindeutig aus dem Boden. Mein Puls begann zu rasen. Ein Elementar war nichts Außergewöhnliches, aber gleich mehrere? Am selben Ort? Das war nicht normal – und konnte tödlich enden.

Bedächtig wickelte ich mir die jetzt nutzlose Edelstahlkette wieder um die Hüften und zog die beiden Silberdolche aus den Lederholstern an meinen Oberschenkeln. Sie waren ein Geschenk von Dad zu meinem sechzehnten Geburtstag gewesen. Er hatte mir nicht nur von klein auf von den Elementaren erzählt, sondern mich auch mein Leben lang auf einen Moment wie diesen vorbereitet. Selbst wenn er mir den Kopf abreißen würde, wenn er wüsste, dass ich es gleich mit mehreren dieser Wesen aufnehmen wollte. Mitten in der Nacht. Allein. Mal wieder.

Mit hämmerndem Herzen sah ich mich um. Tagsüber wirkte die Landschaft von Quiraing im Norden von Skye geradezu märchenhaft: grüne Hügel, kleine Seen und steile Felsen, so weit das Auge reichte. Bei Nacht wurde sie jedoch zu einem Ort, der einem Albtraum entsprungen sein könnte. Groteske Hügelformationen ragten in den Himmel. Dazwischen lagen Schluchten, so schwarz wie das Wasser der Lochs. Außer dem Pfeifen des Windes und dem leisen Gluckern war nichts zu hören, nicht einmal das Blöken der Schafe, die hier ständig grasten. Die Menschen glaubten, die Natur hätte diese Landschaft geschaffen, aber das war nicht wahr. Elementarwesen hatten die vielen Erdrutsche verursacht, die sie auf diese Weise geformt hatten, genau wie sie oft auch für die abrupten Wetterumschwünge auf der Insel verantwortlich waren. Und sie waren auch heute noch hier zu finden. Man musste nur wissen, worauf man achten musste. Oder die richtigen Informationsquellen haben.

Ich legte meine andere Hand auf den Boden neben das Gestein und grub die Finger ins feuchte Gras. Das Vibrieren wurde stärker, aber ich konnte noch immer nicht ausmachen, aus welcher Richtung es kam.

Dann riss es mich von den Füßen.

»Echt jetzt?«, zischte ich und rappelte mich wieder auf. Wenigstens war ich auf der Wiese gelandet und nicht ein paar Meter weiter auf den Steinen aufgeschlagen. Oder in die Schlucht hinuntergerollt. Trotzdem hatte ich mir diesen Ausflug irgendwie anders vorgestellt.

Der Boden bebte noch immer, doch jetzt kam er wellenartig auf mich zu, bis ich das Gefühl hatte, das Vibrieren in meinem ganzen Körper spüren zu können. Es war, als wäre die Erde lebendig geworden. Instinktiv umfasste ich die Dolchgriffe fester, brachte mich in Position … und spürte einen kalten Windhauch im Nacken. Im ersten Moment erstarrte ich, dann wirbelte ich herum – und wich aus. Die Pranke sauste haarscharf an meiner Wange vorbei.

Schweiß brach mir aus und ließ den schwarzen Rollkragenpullover an meinem Rücken kleben. Ich passte einen günstigen Moment ab und rannte los, rutschte im feuchten Gras aus, hievte mich hoch und hetzte weiter. Dass der Boden hier so uneben war, wie er auf der Isle of Skye nur sein konnte, war nicht gerade hilfreich. Genauso wenig die Tatsache, dass es mitten in der Nacht war und ich ohne Taschenlampe kaum Details ausmachen oder Entfernungen einschätzen konnte.

Hinter einem kleineren Hügel ging ich in Deckung. Mit angehaltenem Atem lauschte ich auf die Geräusche um mich herum, während sich die Feuchtigkeit der Grashalme in meine Leggings fraß. Die Kälte kroch die Beine hinauf und ließ mich schaudern. Immerhin war ich hier windgeschützt, sodass mir das dunkle Haar nicht weiter ins Gesicht peitschte. Das war doch mal ein Fortschritt. Das schnelle Hämmern in meiner Brust ließ trotzdem nicht nach.

Verdammt, ich musste nachdenken. Bis zu meinem Wagen mussten es noch drei-, vielleicht auch vierhundert Meter sein, der Großteil der Strecke bestand jedoch aus Felsen und Hügeln, die ich zunächst überwinden musste. Ganz davon abgesehen, dass mir die Elementare nicht dabei zusehen würden, wie ich davonrannte, widerstrebte es mir auch, die Flucht zu ergreifen. Ich hatte noch immer all meine Waffen und keine schwerwiegenden Verletzungen. Ich konnte es schaffen. Nicht unbeschadet und definitiv nicht schnell genug, um rechtzeitig wieder zu Hause zu sein, aber es war möglich.

Es musste möglich sein.

Ich lauschte in die Nacht hinein. Der Elementar, der mich angegriffen hatte, war noch ganz in der Nähe und suchte nach mir. Der andere war irgendwo unter der Erde. Ich konnte das Vibrieren noch immer unter den Füßen spüren. Und es kam näher. Ich holte tief Luft, dann trat ich hinter dem Hügel hervor.

In diesem Moment schlang sich etwas Kaltes um meine Fußgelenke und riss mich zu Boden. Ich landete im Gras, doch das schien plötzlich ein Eigenleben entwickelt zu haben. Es wuchs in unglaublicher Geschwindigkeit und legte sich wie Schlingpflanzen um meine Beine. Dann um die Arme. Feucht glitten die Ranken bis zu meinem Hals und zogen sich immer weiter zu. Die Kreatur unter der Erde musste das Gras kontrollieren – und jetzt kontrollierten die Ranken mich.

Röchelnd schnappte ich nach Luft. Blätter streiften meine Haut, Dornen bohrten sich durch meine Kleidung. Instinktiv wollte ich mich wehren, mich befreien, aber ich zwang mich dazu, die beginnende Panik zu unterdrücken und still liegen zu bleiben. Hektisch tastete ich nach meinen Dolchen. Ich musste sie beim Sturz verloren haben. Ganz langsam drehte ich den Kopf zur Seite und versuchte, die Waffen in der Dunkelheit zu erkennen. Vergebens. Dafür nahm ich das grüne Leuchten überdeutlich wahr. Der zweite Elementar hatte sich zu mir umgedreht und kam nun näher.

Weiße Punkte begannen vor meinen Augen zu tanzen. Ich bekam keine Luft mehr. Meine Hände zitterten. Ich konnte den modrigen Atem des Monsters bereits riechen, als mir die Klinge an meinem Unterarm wieder einfiel. Sie war noch ganz neu und ich hatte sie bisher nie in der Praxis eingesetzt. Jetzt hing mein Leben davon ab.

Ohne die Kreatur aus den Augen zu lassen, bewegte ich mein Handgelenk und versuchte so, die Klappmechanik auszulösen. Nur noch ein kleines bisschen. Nur noch ein bisschen mehr strecken …

Das Wesen kam näher, ragte bereits über mir auf.

Die Klinge klappte auf. Diesmal konnte mich nichts aufhalten. In einer fließenden Bewegung zerschnitt ich die Ranken an meinem Handgelenk und wollte mich losreißen. Doch die übrigen Schlingpflanzen schlossen sich fester um mich, zogen und zerrten, während der Elementar über mir mit seiner Pranke ausholte.

Unvermittelt blitzte etwas Silbernes auf und wirbelte durch die Luft. Das Monster über mir schrie vor Schmerz auf und für einen winzigen Moment ließ der Druck um meine Kehle nach. Aber das reichte aus. Ich riss mir die Schlingen vom Hals, setzte mich auf und zerschnitt die Ranken an meinen Beinen, dann sprang ich auf.

Die Welt drehte sich. Hustend rannte ich zu einer Reihe von Felsblöcken und ging dahinter in Deckung. Wenige Sekunden später landete jemand neben mir im Gras. Als ich aufblickte, erkannte ich ein vertrautes Gesicht. Braunes, leicht gelocktes Haar, das ihm in die Stirn fiel und an den Seiten kürzer war. Tief liegende Brauen über ebenso dunklen Augen, eine kleine Narbe an der Schläfe, volle Lippen und ein Bartschatten. Kaum eines dieser Details war in der Finsternis deutlich auszumachen, aber ich kannte jedes einzelne davon, weil ich ihn Tag für Tag in der Schule sah, seit er vor einem Jahr in diese Gegend gezogen war. Und alle paar Nächte trafen wir uns hier draußen in den Weiten der Isle of Skye, wo er genau wie ich Jagd auf Elementare machte.

»Wieso hat das so lange gedauert?«, brachte ich keuchend hervor.

Er fing das Chakram auf, das wie ein Bumerang zu ihm zurückgeflogen kam, und ging dann neben mir in Deckung. »Ich wollte dir nicht die Show stehlen.«

Gegen meinen Willen musste ich lächeln. »Aww, Sir Lancelot, mein Held und Retter.«

Im schwachen Licht des Mondes blitzte sein Grinsen auf, bevor er das Chakram seitlich am Gürtel befestigte und die Claymores, zwei schottische Breitschwerter, aus der Halterung an seinem Rücken zog. Wie ich war er dunkel gekleidet und verschmolz mit der Nacht. »Wann wird dir endlich klar, dass das nicht mein richtiger Name ist?«

»Mir egal. Ich nenne dich trotzdem so.«

Lance widersprach nicht. Wir wussten beide, dass es sinnlos gewesen wäre, außerdem hatten wir gerade ganz andere Dinge, um die wir uns kümmern mussten. Am Leben zu bleiben, zum Beispiel.

»Du hättest auf mich warten können«, murmelte er und spähte an den Steinen vorbei.

Ich folgte seinem Blick, doch von dem Elementar, der das Beben verursacht und mich mit den Gräsern beinahe erwürgt hatte, war nichts zu sehen. Genauso wenig von dem anderen, den Lance attackiert hatte. »Und mir von dir den ganzen Spaß verderben lassen?«

»Eigentlich dachte ich, wir hätten immer Spaß miteinander.« Er warf mir einen amüsierten Blick zu, dann wurde seine Miene wieder ernst. »Mit wie vielen haben wir es zu tun?«

»Zwei. Vielleicht auch mehr. Einen von ihnen konnte ich vorhin ausschalten.«

»Welche Art?«

»Erde.«

Er fluchte unterdrückt.

»Was denn?«, spottete ich. »Nicht dein Wunschelement?«

»Nein.« Er prüfte das Gewicht seiner beiden Schwerter. Ich hatte ihre Wirkung im vergangenen Jahr mehr als einmal aus nächster Nähe gesehen und wusste, dass sie sowohl als Wurfgeschosse als auch im Nahkampf tödlich sein konnten. Genau wie meine Dolche. »Hier sind sie im Vorteil«, murmelte er. »Wir liegen praktisch auf dem Servierteller.«

»Erzähl mir was Neues.«

Wieder versuchte ich, etwas in der Dunkelheit auszumachen. Im Mondlicht waren aber nur Konturen zu erkennen, und Erdelementare waren wahre Meister darin, wie Chamäleons mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. Kein Wunder, da sie selbst vor allem aus Gestein, Moos, Ästen und Blättern bestanden. Dennoch meinte ich zwischen dem ganzen Graugrün ein metallisches Funkeln auszumachen, das nicht hierher gehörte.

»Ich sehe zwei.« Lance warf mir einen vielsagenden Blick zu. »Einen für jeden von uns.«

Herausfordernd zog ich die Mundwinkel hoch. »Versuch mitzuhalten, Campbell.«

»Du genauso, Coleman.«

Ich sparte mir eine Antwort, befreite die Klinge aus der Vorrichtung an meinem Unterarm, holte aus und warf sie auf das Monster, das uns am nächsten war. Normalerweise missbrauchte ich meine Waffen nicht als Wurfgeschosse, da es im Kampf zu schwierig war, sie zurückzuholen, aber viele Erdelementare waren langsam und die Chance, sie zu treffen, ziemlich hoch.

Heute nicht. Die Klinge wirbelte durch die Luft, streifte das Biest aber lediglich. Es kreischte auf, ließ sich auf alle viere fallen und sprintete in unsere Richtung.

Oh verdammt …

»Du warst auch schon mal besser in Form.« Lance stieß sich vom Boden ab und stürzte sich auf die andere Kreatur. Natürlich nahm er es nicht mit meinem Gegner auf, um mir ein zweites Mal zu helfen. So viel Ritterlichkeit passte nicht einmal zu ihm. Und wenn es nach mir ging, würde dieser Abend sowieso damit enden, dass ich ihm den Hintern rettete statt umgekehrt. Denn ich hasste es, jemandem etwas schuldig zu sein.

Ich wartete, bis das Wesen ganz nahe war, dann warf ich mich seitlich zu Boden, sprang wieder auf und rannte los. Im Laufen hob ich die beiden Dolche auf, die ich vorhin verloren hatte. Als ich mich umdrehte, war das Mistding bereits hinter mir. Ich riss die Arme hoch und wehrte die Attacke mit den verstärkten Lederarmbändern ab, die meine Unterarme schützten. Die Wucht ließ uns beide zurückstolpern.

Für einen Erdelementar war er ungewöhnlich schnell, aber das konnte daran liegen, dass er weniger aus Gestein als vielmehr aus Ranken und Zweigen bestand und dadurch leichter war. Und verdammt wendig. Schlingpflanzen schossen aus dem Boden und direkt auf mich zu.

»Oh nein. Nicht noch mal.« Ich wirbelte herum und zerschnitt sie mit beiden Dolchen in der Luft. Dann holte ich aus und ließ die Klinge auf die Kreatur herabsausen. Ich streifte ihren Rumpf, aber es war nicht genug. Nicht tödlich. Stattdessen schien es meinen Gegner nur noch wütender zu machen. In seinen dunklen Augenhöhlen glühte es grünbraun auf und spiegelte die schiere Macht, die darin lag, wider. Ich wich einem Hieb aus, rollte mich über den Boden und sprang wieder auf. Die Kreatur kreischte ohrenbetäubend. Ich kniff die Augen zusammen, hielt mich aber auf den Beinen.

Sie schlug ein weiteres Mal nach mir. Erst mit der einen, dann mit der anderen Pranke. Wieder und wieder und drängte mich dabei über einen winzigen Bach immer weiter zurück in Richtung einer Felskante. Aus dem Augenwinkel sah ich Lance mit dem anderen Elementar ringen, aber ich konnte ihm nicht zu Hilfe kommen. Erst musste ich mir selbst helfen.

Kleine Steine lösten sich unter meinen Stiefeln, als ich den Rand des Plateaus erreichte. Der Abgrund war nicht tief genug, um durch den Sturz zu sterben, aber auf ein paar Knochenbrüche konnte ich gut verzichten.

Ich wehrte den nächsten Schlag mit meinem Dolch ab. Ein Teil des knorrigen Arms landete zu meinen Füßen, wo er sich umgehend zu Staub auflöste. Na also. Ich wollte schon aufatmen, doch dann lösten sich plötzlich weitere Gestalten aus dem Boden, krochen wie Untote aus der Erde herauf und brachen aus den Felsen hervor. Die Erde zitterte erneut, Gestein knirschte und ein Riss begann sich im Boden auszubreiten.

»Oh Shit«, keuchte ich.

»Was war das?«, rief Lance. Mitten in der Drehung schnitt er seinem Gegner den Kopf ab. Das Wesen erstarrte in der Bewegung und das grünbraune Leuchten aus seinem Inneren verstärkte sich einen Herzschlag lang, dann zerfiel es zu kleinen Steinbrocken.

Ich konnte nicht antworten, sondern musste zur Seite ausweichen, um einem Schwall an Wurzeln zu entgehen, die wie Geschosse auf mich zurasten. Aber ich gönnte mir keine Pause, sondern sprang sofort wieder auf. Die Erschütterung wurde stärker, der Riss immer größer und kam geradewegs auf mich zu. Ich hechtete auf die andere Seite, hob die schmale Klinge auf, die ich auf die Kreatur geworfen hatte, und ging hinter einem Felsen in Deckung. Wurzeln und Ranken schnellten über meinen Kopf hinweg. Einen Atemzug später warf sich Lance neben mich.

»Wir sollten verschwinden.«

»Ach wirklich?«, rief ich, während kleine Steine und Blätter auf uns herabregneten und der Boden so stark bebte, als würde etwas aus seinen Tiefen hervorbrechen wollen. Oder jemand.

Lance warf einen Blick am Fels vorbei und hielt warnend die Hand hoch. Zwei Sekunden später hallte seine tiefe Stimme durch die Nacht. »Jetzt!«

Ich steckte die Waffen ein und rannte, ohne zu zögern, los. Weg von diesen Kreaturen und Richtung Straße. Richtung Sicherheit. Ohne zurückzusehen, kletterte ich Abhänge hinauf, rutschte im feuchten Gras aus, hievte mich an Steilwänden hoch und hetzte durch eine kleine Quelle. Wasser spritzte auf. Hinter mir brüllten die Elementare.

Das Knarren von Holz und Schaben von Steinen erfüllten die Luft. Wenn diese Wesen so weitermachten, würde es einen Erdrutsch geben, der der Landschaft eine neue bizarre Form verlieh.

Als die Straße in Sicht kam, atmete ich erleichtert auf, verlangsamte mein Tempo etwas, als es bergab ging, und sah mich nach Lance um. Er war direkt hinter mir.

Glücklicherweise verfolgten uns die Elementare nicht mehr, aber sie tobten und wüteten noch immer durch die Natur. Schwer atmend blieb ich am Rand der Klippe stehen und starrte auf die zerklüfteten Hügel und Schluchten, die sich vor mir ausbreiteten. Die Erde bewegte sich, verformte sich und ließ einen weiteren Beweis dafür zurück, dass es diese Monster tatsächlich gab. Nur wusste niemand außer uns die Zeichen richtig zu deuten.

»Ava …« Lance blieb schräg hinter mir stehen. Er musste nicht mehr als meinen Namen sagen, damit ich ahnte, was gerade in seinem Kopf vorging. Er war genauso wütend und frustriert wie ich, aber uns noch mal in den Kampf zu stürzen, wäre lebensmüde gewesen. Diese Kreaturen waren zu stark und wir in der Unterzahl.

Nach und nach konnten wir von dem Plateau aus beobachten, wie sich die Elementare zurückzogen, wieder in der Dunkelheit verschwanden und mit den Hügeln verschmolzen, bis nichts mehr von ihnen zu sehen war. Nichts, außer der neuen Felsformation, die sich in dieser Nacht hier gebildet hatte.

Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich Lance mit der Hand über den Nacken rieb. Aber es war nicht die Bewegung an sich, die meine Aufmerksamkeit auf sich zog, sondern das Blut, das an seinem Hals klebte.

»Du bist verletzt.«

»Was?« Er starrte erst mich an, dann seine rot gefärbten Finger. »Shit.«

»Lass mich sehen.«

Bevor er protestieren konnte, packte ich Lance am Arm und zog ihn mit mir zu meinem Wagen.

Er hatte sein Auto direkt dahinter abgestellt. Ich ließ ihn los und kletterte in den Jeep, um an den Erste-Hilfe-Kasten zu kommen, dann kehrte ich zu ihm zurück.

Inzwischen hatte er sich gegen die Motorhaube gelehnt und tastete erneut nach der Wunde an seinem Hals. »Es ist nichts«, murmelte er.

»Und mein verstauchter Knöchel vor ein paar Wochen war auch nichts«, erwiderte ich trocken, denn damals waren unsere Rollen vertauscht gewesen.

Wortlos ließ Lance die Hand sinken und beobachtete mich dabei, wie ich näher trat, seinen Kragen beiseiteschob und mir die Verletzung im Licht meines Handys ansah. Er hatte recht: Es war wirklich nur eine Kleinigkeit. Nur ein Kratzer eines dieser Biester, aber auch ein Kratzer konnte gefährlich werden, wenn man ihn nicht richtig behandelte.

»Hast du gewusst, dass es so viele sein würden?«, fragte er und atmete gleich darauf scharf ein, als ich seine Wunde desinfizierte.

»Nein«, gab ich zu und hielt seinen Blick einen Moment lang fest. »Sonst hätte ich auf dich gewartet.«

Seine Mundwinkel zuckten. »Von wegen.«

»Das wirst du jetzt wohl nie erfahren.« Vorsichtig legte ich eine selbstklebende Kompresse auf die Wunde.

»Was ist mit dir?«, fragte er, als ich fertig war und die Verpackung zusammenknüllte.

Überrascht sah ich auf. »Was soll mit mir sein?«

Statt einer Antwort hob er die Hand an meinen Hals. Er berührte die Stelle, an der mich die Schlingpflanzen gewürgt hatten, nicht, dennoch hatte ich das Gefühl, seine Wärme spüren zu können.

Ich schluckte hart und machte einen schnellen Schritt zurück. »Schon gut. Nur ein paar blaue Flecken, mehr nicht.«

Fragend runzelte er die Stirn. »Sicher? Wenn du wieder eine Verletzung verschweigst, nur um weiterkämpfen zu können …«

»Keine Sorge. Ich lerne aus meinen Fehlern.«

Letzten Winter waren wir an einem Loch auf Skye auf zwei Wasserelementare gestoßen. Die ganze Wasseroberfläche war zugefroren gewesen. Und obwohl ich Schlittschuhfahren liebte, hatten die beiden Wesen für eine ungewollte Schlitterpartie gesorgt, bei der ich ungünstig gefallen war. Aber ich hatte mir nichts anmerken lassen wollen, bis wir die Kreaturen besiegt hatten. Erst danach war Lance aufgefallen, dass mein Arm blutete, und so wie ich mich heute um ihn gekümmert hatte, hatte er mich damals verarztet. Inzwischen war das beinahe zu einem ungewollten Ritual zwischen uns geworden.

Ich warf den Verbandskasten auf den Beifahrersitz des Jeeps und kehrte zu Lance zurück. Gemeinsam blickten wir ein letztes Mal auf die hügelige Landschaft vor uns, dann machte ich auf dem Absatz kehrt, setzte mich hinters Steuer und startete den Motor. Auch Lance stieg in seinen Wagen. Und während Quiraing im Rückspiegel immer kleiner wurde, wusste ich, dass das hier nicht das Ende war.

Es war erst der Anfang.