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Fußnoten

1

Vgl. Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe, hrsg. von Ariane Martin, Stuttgart 2012, S. 504

2

Flüsschen

3

hier: zwischen Dichtung und Realität

4

Brustlatz

5

In Homers Ilias ein griechischer Seher während des Trojanischen Krieges. Er prophezeite u. a., dass Agamemnon seine Tochter Iphigenie der Göttin Artemis opfern müsse. In Euripides’ Drama Iphigenie in Aulis wird sie vor dieser Opferung, unter dem Vorwand ihrer Verheiratung, mit Blumen geschmückt.

6

Für einen detaillierten Kommentar zur Entstehung des Oberlin-Berichts vgl. Hubert Gersch, Nachwort, in: Georg Büchner, Lenz. Studienausgabe mit Quellenanhang und Nachwort, Stuttgart 2012 (Universal-Bibliothek, 8210), S. 6976.

7

hier: jemanden unterbringen, einquartieren

8

(frz.) ›Gehen Sie jetzt ins Bett – was ist das? – he! – ins Wasser bei so einem kalten Wetter! – Gehen Sie, gehen Sie zu Bett!‹

9

(frz.) Erzieherinnen

10

Tätigkeiten als Hüter (Pastor)

11

Befriedigung

12

wohnte

13

eines Brummkreisels

14

auch: Abbadona; einer der gefallenen Engel. Als einziger bereut er den Abfall von Gott und versucht, Satan und die übrigen Höllenbewohner davon abzubringen, den Messias auf Erden töten zu wollen. Im Weltgericht wird er begnadigt und in den Zustand seiner ursprünglichen Seligkeit zurückgeführt.

15

Befriedigung, Entlastung

16

(frz.) ›Schnell, zum Richter, dass er mir zwei Männer schickt.‹

17

mir

18

Jahrbüchlein mit erbaulichen Geschichten und Sprüchen

19

Gespräch

20

(frz.) ›Hören Sie, wir wollen keinen Krach machen, wenn Sie ein Messer haben, geben Sie es mir langsam und ohne jede Angst.‹

21

Dachboden

22

vorbereitet

23

Kettenglieder

24

(engl.) wunderlich, schrullig, skurril

25

Hochmut, übertrieben hohe Selbsteinschätzung

26

Anspielung auf Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werther

27

ein Mensch mit desorientierten, unrealistischen Vorstellungen

28

aufpflanzen

29

verbummeln

30

Edelmännern

31

Schauspiel von Goethe aus dem Jahr 1773

32

unterzuordnen

33

kurzen, wortarmen

34

sonderbaren, launenhaften

35

Lesenswert ist Katrin Schrenker, Dichtung und Wahn. Zur Psychopathologie in Georg Büchners »Lenz«, Freiburg i. Br. 2010. Durch ein angemessenes Abstraktionsniveau vermeidet es Schrenker, die Erzählung auf eine medizinische Fallanalyse zu reduzieren.

36

Eindrücklichkeit

37

nosologisch: von Nosologie: Lehre von der Erscheinungsform einer Krankheit

38

Vgl. Georg Reuchlein, Bürgerliche Gesellschaft, Psychiatrie und Literatur. Zur Entwicklung der Wahnsinnsthematik in der deutschen Literatur des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, München 1986, S. 397 ff.

39

Mangel, Abweichung

40

Wahrnehmung

41

Vgl. hierzu ausführlicher Reuchlein (s. ) S. 275 ff.

42

Darin sieht Burghard Dedner wesentlich die Religionskritik des Lenz fundiert: der Lenz-Entwurf bzw. genauer dessen ›dritte Arbeitsstufe‹ (= der Anfang der Erzählung bis zur Rückkehr Oberlins) mache die pathogene Wirkung der pietistisch geprägten Religiosität von Lenz sichtbar. (Burghard Dedner, »Büchners Lenz. Rekonstruktion der Textgenese«, in: Georg Büchner Jahrbuch 8, Tübingen 1995, S. 50 f.)

43

am Rande

44

Vgl. Reuchlein (s. ) S. 222 ff., insbes. S. 352 f.

45

Zur Verzeitlichung als einer der maßgeblichen Entwicklungen innerhalb der Wissenschaften um 1800 vgl. Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1978, S. 78 ff.

46

hier: enge Beziehung

47

Friedrich Gottlieb Klopstock (17241803), bekannt u. a. für Naturgedichte (Der Zürcher See)

48

Zu Klopstocks sprachgeschichtlicher Bedeutung vgl. August Langen, »Verbale Dynamik in der dichterischen Landschaftsschilderung des 18. Jahrhunderts«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 70 (1949), S. 249318.

49

Ebd. S. 57

50

die verschiedenen Sinne verbindend

51

hier: gegensätzlichen

52

unauflösbar widersprüchlichen

53

Georg Büchner, Sämtliche Werke und Schriften. Historisch-kritische Ausgabe mit Quellendokumentation und Kommentar, Bd. 5: Lenz, hrsg. von Burghard Dedner und Hubert Gersch, Darmstadt 2001, S. 168

54

Dionysos: der griechische Gott u. a. der Freude, des Wahnsinns und der Ekstase

55

Christian Neunhuber, Georg Büchner. Das literarische Werk, Berlin 2009, S. 87

56

Die Tabelle ist angeregt durch eine ähnliche Übersicht in Shlomith Rimmon-Kenan, Narrative Fiction: Contemporary Poetics, London 1989, S. 111 f.

57

seinem Nachdruck

58

übertragen

59

gemeint ist Präteritum

60

Peter von Matt, Liebesverrat. Die Treulosen in der Literatur, München 1991, S. 225

61

vielfältigen, abwechslungsreichen

62

Flügeln

63

schnell wie ein Gewitter

64

Jakob Michael Reinhold Lenz, Anmerkungen übers Theater, in: J. M. R. L.: Werke, hrsg. von Friedrich Voit, Stuttgart 2006 (Universal-Bibliothek, 8755), S. 391.

65

William Shakespeare (15641616), bedeutender englischer Dramatiker und wichtigstes Vorbild für die Dichter des Sturm und Drang, sowohl für Lenz wie auch für den jungen Goethe und den jungen Schiller

66

kützelnder: kitzelnder, wütender; Galle: hier für Wut, einer älteren Theorie folgend, die Charaktereigenschaften und Gefühle aus der starken oder schwachen Produktion körperlicher Säfte herleitet (z. B. Wut durch Übermaß an Galle, Leidenschaft durch viel Blut, Antriebslosigkeit oder Traurigkeit durch zu viel Phlegma)

67

eigentl. (frz.) Dämpfe; hier aber, im Sinne einer medizinischen Theorie des 18. Jahrhunderts, ein Hinweis auf die These, dass sich hysterische Anfälle von Frauen aus Verdauungsproblemen (Blähungen) herleiten

68

hier offenbar formelhafte, gestelzte Reden

69

Nachlässigkeiten, Unordentlichkeiten

70

gekünsteltem

71

Ergriffensein, Feierlichkeit

1

Harenbergs Lexikon der Weltliteratur. Autoren – Werke – Begriffe, Bd. 1, Dortmund 1989, S. 1078.

2

Brief vom Oktober 1835, in: Georg Büchner, Sämtliche Werke nebst Briefen und anderen Dokumenten, Gütersloh 1963, S. 446.

3

Brief von Gutzkow vom 6.2.1836, in: Gerhard Schaub, Erläuterungen und Dokumente, Georg Büchner, »Lenz«, Stuttgart 1987, S. 72.

4

Schaub (Anm. 3), S. 82.

5

Ebenda, S. 509.

6

Ebenda, S. 509.

7

Elias Canetti, in: Schaub (Anm. 3), S. 89.

8

Hauschild (Anm. 5), S. 499.

9

Ebenda.

[1]Lenz

[3]Den 20. ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. Es war nasskalt, das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber alles so dicht, und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump. Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf- bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehn konnte. Anfangs drängte es ihm in der Brust, wenn das Gestein so wegsprang, der graue Wald sich unter ihm schüttelte, und der Nebel die Formen bald verschlang, bald die gewaltigen Glieder halb enthüllte; es drängte in ihm, er suchte nach etwas, wie nach verlornen Träumen, aber er fand nichts. Es war ihm alles so klein, so nahe, so nass, er hätte die Erde hinter den Ofen setzen mögen, er begriff nicht, dass er so viel Zeit brauchte, um einen Abhang hinunterzuklimmen, einen fernen Punkt zu erreichen; er meinte, er müsse alles mit ein paar Schritten ausmessen können. Nur manchmal, wenn der Sturm das Gewölk in die Täler warf, und es den Wald herauf dampfte, und die Stimmen an den Felsen wach wurden, bald wie fern verhallende Donner, und dann gewaltig heranbrausten, in Tönen, als wollten sie in ihrem wilden Jubel die Erde besingen, und die Wolken wie wilde wiehernde Rosse heransprengten, und der Sonnenschein dazwischen durchging und kam und sein blitzendes [4]Schwert an den Schneeflächen zog, so dass ein helles, blendendes Licht über die Gipfel in die Täler schnitt; oder wenn der Sturm das Gewölk abwärts trieb und einen lichtblauen See hineinriss, und dann der Wind verhallte und tief unten aus den Schluchten, aus den Wipfeln der Tannen wie ein Wiegenlied und Glockengeläute heraufsummte, und am tiefen Blau ein leises Rot hinaufklomm, und kleine Wölkchen auf silbernen Flügeln durchzogen und alle Berggipfel scharf und fest, weit über das Land hin glänzten und blitzten, riss es ihm in der Brust, er stand, keuchend, den Leib vorwärts gebogen, Augen und Mund weit offen, er meinte, er müsse den Sturm in sich ziehen, alles in sich fassen, er dehnte sich aus und lag über der Erde, er wühlte sich in das All hinein, es war eine Lust, die ihm wehe tat; oder er stand still und legte das Haupt ins Moos und schloss die Augen halb, und dann zog es weit von ihm, die Erde wich unter ihm, sie wurde klein wie ein wandelnder Stern und tauchte sich in einen brausenden Strom, der seine klare Flut unter ihm zog. Aber es waren nur Augenblicke, und dann erhob er sich nüchtern, fest, ruhig als wäre ein Schattenspiel vor ihm vorübergezogen, er wusste von nichts mehr. Gegen Abend kam er auf die Höhe des Gebirgs, auf das Schneefeld, von wo man wieder hinabstieg in die Ebene nach Westen, er setzte sich oben nieder. Es war gegen Abend ruhiger geworden; das Gewölk lag fest und unbeweglich am Himmel, so weit der Blick reichte, nichts als Gipfel, von denen sich breite Flächen hinabzogen, und alles so still, grau, dämmernd; es wurde ihm entsetzlich einsam, er war allein, ganz allein, er wollte mit sich sprechen, aber er konnte, er wagte kaum zu atmen, das Biegen seines Fußes tönte wie Donner unter ihm, er musste sich [5]niedersetzen; es fasste ihn eine namenlose Angst in diesem Nichts, er war im Leeren, er riss sich auf und flog den Abhang hinunter. Es war finster geworden, Himmel und Erde verschmolzen in eins. Es war als ginge ihm was nach, und als müsse ihn was Entsetzliches erreichen, etwas das Menschen nicht ertragen können, als jage der Wahnsinn auf Rossen hinter ihm. Endlich hörte er Stimmen, er sah Lichter, es wurde ihm leichter, man sagte ihm, er hätte noch eine halbe Stunde nach Waldbach. Er ging durch das Dorf, die Lichter schienen durch die Fenster, er sah hinein im Vorbeigehen, Kinder am Tische, alte Weiber, Mädchen, alles ruhige, stille Gesichter, es war ihm als müsse das Licht von ihnen ausstrahlen, es ward ihm leicht, er war bald in Waldbach im Pfarrhause. Man saß am Tische, er hinein; die blonden Locken hingen ihm um das bleiche Gesicht, es zuckte ihm in den Augen und um den Mund, seine Kleider waren zerrissen. Oberlin hieß ihn willkommen, er hielt ihn für einen Handwerker. »Sein Sie mir willkommen, obschon Sie mir unbekannt.« – »Ich bin ein Freund von … und bringe Ihnen Grüße von ihm.« »Der Name, wenn’s beliebt …« »Lenz.« »Ha, ha, ha, ist Er nicht gedruckt? Habe ich nicht einige Dramen gelesen, die einem Herrn dieses Namens zugeschrieben werden?« »Ja, aber belieben Sie mich nicht darnach zu beurteilen.« Man sprach weiter, er suchte nach Worten und erzählte rasch, aber auf der Folter; nach und nach wurde er ruhig, das heimliche Zimmer und die stillen Gesichter, die aus dem Schatten hervortraten, das helle Kindergesicht, auf dem alles Licht zu ruhen schien und das neugierig, vertraulich aufschaute, bis zur Mutter, die hinten im Schatten engelgleich stille saß. Er fing an zu erzählen, von seiner Heimat; er zeichnete allerhand Trachten, man drängte [6]sich teilnehmend um ihn, er war gleich zu Haus, sein blasses Kindergesicht, das jetzt lächelte, sein lebendiges Erzählen; er wurde ruhig, es war ihm als träten alte Gestalten, vergessene Gesichter wieder aus dem Dunkeln, alte Lieder wachten auf, er war weg, weit weg. Endlich war es Zeit zum Gehen, man führte ihn über die Straße, das Pfarrhaus war zu eng, man gab ihm ein Zimmer im Schulhause. Er ging hinauf, es war kalt oben, eine weite Stube, leer, ein hohes Bett im Hintergrund, er stellte das Licht auf den Tisch, und ging auf und ab, er besann sich wieder auf den Tag, wie er hergekommen, wo er war, das Zimmer im Pfarrhause mit seinen Lichtern und lieben Gesichtern, es war ihm wie ein Schatten, ein Traum, und es wurde ihm leer, wieder wie auf dem Berg, aber er konnte es mit nichts mehr ausfüllen, das Licht war erloschen, die Finsternis verschlang alles; eine unnennbare Angst erfasste ihn, er sprang auf, er lief durchs Zimmer, die Treppe hinunter, vors Haus; aber umsonst, alles finster, nichts, er war sich selbst ein Traum, einzelne Gedanken huschten auf, er hielt sie fest, es war ihm als müsse er immer »Vater unser« sagen; er konnte sich nicht mehr finden, ein dunkler Instinkt trieb ihn, sich zu retten, er stieß an die Steine, er riss sich mit den Nägeln, der Schmerz fing an, ihm das Bewusstsein wiederzugeben, er stürzte sich in den Brunnstein, aber das Wasser war nicht tief, er patschte darin. Da kamen Leute, man hatte es gehört, man rief ihm zu. Oberlin kam gelaufen; Lenz war wieder zu sich gekommen, das ganze Bewusstsein seiner Lage, es war ihm wieder leicht, jetzt schämte er sich und war betrübt, dass er den guten Leuten Angst gemacht, er sagte ihnen, dass er gewohnt sei kalt zu baden, und ging wieder hinauf; die Erschöpfung ließ ihn endlich ruhen.

[7]Den andern Tag ging es gut. Mit Oberlin zu Pferde durch das Tal; breite Bergflächen, die aus großer Höhe sich in ein schmales, gewundnes Tal zusammenzogen, das in mannigfachen Richtungen sich hoch an den Bergen hinaufzog, große Felsenmassen, die sich nach unten ausbreiteten, wenig Wald, aber alles im grauen ernsten Anflug, eine Aussicht nach Westen in das Land hinein und auf die Bergkette, die sich grad hinunter nach Süden und Norden zog, und deren Gipfel gewaltig, ernsthaft oder schweigend still, wie ein dämmernder Traum standen. Gewaltige Lichtmassen, die manchmal aus den Tälern, wie ein goldner Strom schwollen, dann wieder Gewölk, das an dem höchsten Gipfel lag, und dann langsam den Wald herab in das Tal klomm, oder in den Sonnenblitzen sich wie ein fliegendes silbernes Gespinst herabsenkte und hob; kein Lärm, keine Bewegung, kein Vogel, nichts als das bald nahe, bald ferne Wehn des Windes. Auch erschienen Punkte, Gerippe von Hütten, Bretter mit Stroh gedeckt, von schwarzer ernster Farbe. Die Leute, schweigend und ernst, als wagten sie die Ruhe ihres Tales nicht zu stören, grüßten ruhig, wie sie vorbeiritten. In den Hütten war es lebendig, man drängte sich um Oberlin, er wies zurecht, gab Rat, tröstete; überall zutrauensvolle Blicke, Gebet. Die Leute erzählten Träume, Ahnungen. Dann rasch ins praktische Leben, Wege angelegt, Kanäle gegraben, die Schule besucht. Oberlin war unermüdlich, Lenz fortwährend sein Begleiter, bald in Gespräch, bald tätig am Geschäft, bald in die Natur versunken. Es wirkte alles wohltätig und beruhigend auf ihn, er musste Oberlin oft in die Augen sehen, und die mächtige Ruhe, die uns über der ruhenden Natur, im tiefen Wald, in mondhellen schmelzenden Sommernächten überfällt, schien ihm noch näher, in [8]diesem ruhigen Auge, diesem ehrwürdigen ernsten Gesicht. Er war schüchtern, aber er machte Bemerkungen, er sprach, Oberlin war sein Gespräch sehr angenehm, und das anmutige Kindergesicht Lenzens machte ihm große Freude. Aber nur solange das Licht im Tale lag, war es ihm erträglich; gegen Abend befiel ihn eine sonderbare Angst, er hätte der Sonne nachlaufen mögen; wie die Gegenstände nach und nach schattiger wurden, kam ihm alles so traumartig, so zuwider vor, es kam ihm die Angst an wie Kindern, die im Dunkeln schlafen; es war ihm als sei er blind; jetzt wuchs sie, der Alb des Wahnsinns setzte sich zu seinen Füßen, der rettungslose Gedanke, als sei alles nur sein Traum, öffnete sich vor ihm, er klammerte sich an alle Gegenstände, Gestalten zogen rasch an ihm vorbei, er drängte sich an sie, es waren Schatten, das Leben wich aus ihm und seine Glieder waren ganz starr. Er sprach, er sang, er rezitierte Stellen aus Shakespeare, er griff nach allem, was sein Blut sonst hatte rascher fließen machen, er versuchte alles, aber kalt, kalt. Er musste dann hinaus ins Freie, das wenige, durch die Nacht zerstreute Licht, wenn seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt waren, machte ihm besser, er stürzte sich in den Brunnen, die grelle Wirkung des Wassers machte ihm besser, auch hatte er eine geheime Hoffnung auf eine Krankheit, er verrichtete sein Bad jetzt mit weniger Geräusch. Doch je mehr er sich in das Leben hineinlebte, ward er ruhiger, er unterstützte Oberlin, zeichnete, las die Bibel; alte vergangne Hoffnungen gingen in ihm auf; das Neue Testament trat ihm hier so entgegen, und eines Morgens ging er hinaus. Wie Oberlin ihm erzählte, wie ihn eine unaufhaltsame Hand auf der Brücke gehalten hätte, wie auf der Höhe ein Glanz seine Augen geblendet hätte, wie er eine Stimme [9]gehört hätte, wie es in der Nacht mit ihm gesprochen, und wie Gott so ganz bei ihm eingekehrt, dass er kindlich seine Lose aus der Tasche holte, um zu wissen, was er tun sollte, dieser Glaube, dieser ewige Himmel im Leben, dies Sein in Gott; jetzt erst ging ihm die Heilige Schrift auf. Wie den Leuten die Natur so nah trat, alles in himmlischen Mysterien; aber nicht gewaltsam majestätisch, sondern noch vertraut! – Er ging des Morgens hinaus, die Nacht war Schnee gefallen, im Tal lag heller Sonnenschein, aber weiterhin die Landschaft halb im Nebel. Er kam bald vom Weg ab, und eine sanfte Höhe hinauf, keine Spur von Fußtritten mehr, neben einem Tannenwald hin, die Sonne schnitt Kristalle, der Schnee war leicht und flockig, hie und da Spur von Wild leicht auf dem Schnee, die sich ins Gebirg hinzog. Keine Regung in der Luft als ein leises Wehen, als das Rauschen eines Vogels, der die Flocken leicht vom Schwanze stäubte. Alles so still, und die Bäume weithin mit schwankenden weißen Federn in der tiefblauen Luft. Es wurde ihm heimlichTheologe[10]SinnenKirchhof