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Das Buch

Genau danach hat Iris sich so lange gesehnt: Nach diesem Gefühl von Angekommensein. Gerade hat sie den schlimmsten Tag ihres Lebens hinter sich. Doch dann entdeckt sie zufällig das kleine Café in den verwinkelten Gassen Barcelonas.

Bei ihren Besuchen lernt sie den charmanten Wirt kennen und einen jungen Stammgast, Luca. Und jeder Tisch scheint eine ganz besondere Kraft zu haben. Am Tisch der Hoffnung erfährt Iris, dass es sich immer lohnt, das Wagnis des nächsten Tages einzugehen. Am Tisch der Erinnerung spürt sie, was es heißt, in der Gegenwart zu leben.

Fast täglich kommt Iris nun an diesen besonderen Ort. Sein Zauber geht immer mehr auf sie über. Und langsam öffnet sich Iris – dem Leben und der Liebe.

Die Autoren

Francesc Miralles ist ein Multitalent. Er macht Musik, schreibt, wurde vielfach ausgezeichnet und arbeitete einige Jahre als Indie-Verleger. Heute ist er in seiner Lieblingsstadt Barcelona zu Hause.

CareSantos schreibt für Jugendliche und Erwachsene und wurde ebenfalls mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt in Barcelona, hat Jura und Hispanistik studiert und lange als Journalistin gearbeitet.

Francesc Miralles
Care Santos

Am schönsten auf der Welt
ist es gleich hier

Roman

Aus dem Spanischen
von Maria Hoffmann-Dartevelle

Verlagsqualität Ullsteinbuchverlage

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ISBN 978-3-8437-1378-8


© 2008 by Care Santos and Francesc Miralles

© der deutschsprachigen Ausgabe

2016 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Covergestaltung: Sabine Kwauka

Umschlagmotiv: © istockphoto / CSA Printstock

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Für die stets magische Sandra Bruna

»Vergesst die Gastfreundschaft nicht;
denn durch sie haben einige, ohne es zu
ahnen, Engel beherbergt.«

Brief an die Hebräer 13,2 1

»Weine nicht, weil etwas zu Ende ist, lächle, weil es existiert hat.«

Urheber unbekannt 4

ERSTER TEIL

Die sechs Tische des Zauberers

Unter einem Himmel ohne Träume

An einem Sonntagnachmittag sollte man keine Entscheidungen treffen. Vor allem nicht im Januar, wenn eine graue Decke über der Stadt liegt und alle Träume unter sich erstickt.

Iris hatte allein vor dem Fernseher zu Mittag gegessen und war anschließend aus dem Haus gegangen. Bis zu dem Tag, an dem ihre Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren, hatte ihr das Singledasein nicht viel ausgemacht. Vielleicht lag es an ihrer hoffnungslosen Schüchternheit, dass sie es mit ihren sechsunddreißig Jahren fast normal fand, dass sich ihre Erfahrungen in der Liebe auf eine unerwiderte platonische Leidenschaft und ein paar folgenlose kurze Affären beschränkten.

Doch seit dem Unfall war alles anders. Es gab nun keine Wochenenden im Familienkreis mehr, die den langweiligen Alltag im Callcenter einer Versicherungsgesellschaft wettmachten. Iris war jetzt allein. Und was am allerschlimmsten war, sie hatte sogar die Fähigkeit zu träumen verloren.

Früher war es Iris gelungen, sich aufregende Abenteuer auszumalen, die ihrem Leben einen Sinn gaben. Zum Beispiel stellte sie sich vor, sie arbeite bei einer NGO, wo ein Mitarbeiter, der ebenso scheu war wie sie, ihr schweigend ewige Liebe schwor. Sie tauschten sich mittels Gedichten aus, geschrieben in einer verschlüsselten Sprache, die nur sie beide zu entziffern vermochten. So zögerten sie den Augenblick hinaus, in dem sie in einer nicht endenden Umarmung miteinander verschmelzen würden.

An diesem Sonntag wurde Iris zum ersten Mal bewusst, dass auch dies zu Ende war. Nachdem sie den Tisch abgeräumt und den Fernseher ausgeschaltet hatte, machte sich in ihrer kleinen Wohnung beklemmende Stille breit. Etwas schnürte ihr die Brust zu, sie öffnete das Fenster und sah zu einem bleiernen Himmel ohne Vögel hinauf.

Sie wollte spazieren gehen, doch als sie unten vor ihrem Haus stand, überkam sie plötzlich das Gefühl, ihr drohe ein Unheil. Sie ging los, ohne bestimmtes Ziel, aber die Ahnung, dass etwas Dunkles versuchte, sie in einen Abgrund zu ziehen, wollte nicht weichen.

Wie jeden Sonntag war das Wohnviertel, in dem Iris lebte, so ausgestorben wie ihre Seele. Ohne zu wissen, warum, steuerte sie auf die Brücke zu, unter der die Vorstadtzüge vorbeifuhren.

Ein scharfer, eisiger Wind wirbelte ihr das Haar auf, als sie in den Graben hinunterschaute, den die Gleise wie glänzende Narben durchfurchten. Sie blickte auf ihre Armbanduhr: fünf Uhr. Bald würde der Zug nach Norden vorbeikommen. Sonntags fuhr er einmal pro Stunde.

Aus Erfahrung wusste sie, dass die Brücke, genau drei Sekunden bevor der Zug auftauchte, zu zittern begann wie bei einem kleinen Erdbeben – Zeit genug, um sich über die Brüstung zu lehnen und sich der Schwerkraft zu überlassen. Ein kurzer Fall, und der Zug würde sie erfassen, noch bevor sie den Boden erreicht hatte.

Es würde sehr schnell gehen. Was war schon ein kurzer Moment des Schmerzes, verglichen mit einem Leben voller Bitterkeit und Enttäuschung?

Nur bei dem Gedanken an all die Dinge, die sie vielleicht verpassen könnte, wurde sie ein wenig traurig. Und aus irgendeinem Grund belastete sie die Vorstellung, den Bahnreisenden Unannehmlichkeiten zu bereiten. Man würde die Zugfahrt für längere Zeit unterbrechen müssen, während ihr lebloser Körper auf die Ankunft des Untersuchungsrichters und des Forensikers wartete. Zum Glück waren sonntags weniger Leute unterwegs als sonst, und die meisten Reisenden hatten es an diesem Tag nicht besonders eilig. Sie würden wegen des Zwischenfalls keinen wichtigen Termin verpassen, immerhin dieser Gedanke tröstete sie.

Dann begann die Brücke zu beben, und Iris merkte, wie sie sich instinktiv mit dem Oberkörper nach vorne beugte. Gerade wollte sie die Augen schließen und sich fallen lassen, da hörte sie einen lauten Knall hinter sich.

Atemlos vor Schreck drehte sie sich um. Vor ihr stand ein kleiner Junge, kaum älter als sechs, der die Überreste eines Luftballons in der Hand hielt. Offensichtlich hatte er ihn platzen lassen, um sich einen Spaß zu machen. Der Knirps lachte auf, drehte sich um und rannte davon.

Während Iris ihm nachblickte, spürte sie, wie ihr im Nacken und auf den Handflächen kalter Schweiß ausbrach. Sie wäre ihm gern hinterhergelaufen, aber nicht um ihn auszuschimpfen, sondern um ihn zu umarmen. Er hatte ihr soeben das Leben gerettet.

Noch bevor sie ihn erreicht hatte, tauchte an der Straßenecke eine dicke Frau mit hochroten Wangen auf.

»Ángel!«, rief sie.

Hastig klammerte sich der Junge an seine Mutter und schaute sich ängstlich nach Iris um, als fürchtete er, sie werde ihn verpetzen.

Aber daran dachte Iris nicht im Traum. Sie weinte nur und konnte gar nicht mehr aufhören. Erst jetzt wurde ihr wirklich bewusst, was sie um ein Haar getan hätte.

Als sich der Tränenschleier vor ihren Augen lichtete, fiel ihr Blick auf ein Café, das sie an dieser Straßenecke vorher noch nie bemerkt hatte, obwohl sie oft hier vorbeikam.

»Das muss ganz neu sein«, dachte sie. Das Lokal machte allerdings eher den gegenteiligen Eindruck.

Man hätte es für eine jener irischen Kneipen halten können, die fast alle gleich aussehen, hätte es nicht etwas ganz Eigenes, Besonderes ausgestrahlt. Drinnen beleuchteten zwei gelbliche Lampen mehrere rustikale Tische, an denen für einen Sonntagnachmittag überraschend viele Leute saßen.

Am auffälligsten aber fand Iris das flackernde Schild über dem Eingang, das ihr zuzublinzeln schien, ganz als wollte es sie auf sich aufmerksam machen. Sie hielt inne und las:

AM SCHÖNSTEN AUF DER WELT IST ES GLEICH HIER

Wolken, die vorüberziehen

Für ein Café war das ein sehr langer und höchst merkwürdiger Name. Vielleicht lag es gerade an diesem Namen, dass Iris – von Natur aus ein neugieriger Mensch – Lust bekam hineinzugehen. Beim Betreten des Cafés fiel ihr auf, dass keiner der Gäste sich nach ihr umdrehte, ja, dass kein einziger ihre Gegenwart zu bemerken schien.

Nur ein alter Mann mit vollem weißem Haar, der hinter der Theke stand, begrüßte sie mit einem Lächeln, dem universellen Willkommensgruß.

Fünf der sechs Tische waren von Paaren oder Gruppen besetzt, die sich so leise unterhielten, dass so gut wie nichts von dem, was sie sagten, zu hören war.

Da Iris in den Straßen ihres Viertels eigentlich immer wieder denselben Gesichtern begegnete, wunderte sie sich, dass sie keinen Gast kannte. Gerade lief ein alter Beatles-Song:

»And in the end, the love you take is equal to the love you make …«* 10

Iris blieb stehen und hörte sich das Stück eine Weile an. Als junges Mädchen hatte sie dieses Lied sehr gemocht und verband noch immer viele angenehme Erinnerungen damit. Sie wollte sich gerade umdrehen und das Lokal wieder verlassen, da sah sie, wie der weißhaarige Mann hinter der Theke sie mit einer Handbewegung aufforderte, sich an den einzigen noch freien Tisch zu setzen.

Iris traute sich nicht, die Einladung abzulehnen. Auch fühlte sie sich gewissermaßen verpflichtet, etwas zu konsumieren, nachdem sie sich die Musik angehört hatte. Also nahm sie gehorsam Platz und bestellte eine heiße Schokolade.

Auf das dynamische Beatles-Stück folgte Leonard Cohens langsame Ballade I’m your man.11

Iris trank den ersten Schluck von ihrer heißen Schokolade und fühlte sich plötzlich wohl. Irgendwie kam es ihr vor, als nähmen die anderen Gäste sie in ihre Mitte auf.

Sie schloss die Augen und übersetzte sich im Geist den Song des Liedermachers Leonard Cohen, der, wie sie in irgendeiner Zeitschrift gelesen hatte, als Koch in einem Zen-Tempel gearbeitet hatte, bevor er auf die Bühne zurückgekehrt war. Der Text seiner Ballade lautete in etwa:

Wenn du einen Arzt willst, untersuche ich dich Zoll für Zoll. Wenn du einen Chauffeur willst, steig bei mir ein. Oder wenn du mich auf eine Fahrt mitnehmen willst, weißt du, dass du es kannst, denn …

»… ich bin dein Mann.«

Erschrocken riss Iris die Augen auf.

Sie glaubte, sie hätte die tiefe Männerstimme nur im Geiste gehört, aber tatsächlich saß ihr genau gegenüber – an ihrem Tisch – ein Mann. Das Kinn auf den Handrücken gestützt, betrachtete er sie neugierig. Er schien in ihrem Alter zu sein, hatte aber bereits angegrautes Haar, das ihn trotz seiner glatten Haut älter wirken ließ.

»Eigentlich müsste ich ihn auffordern, sofort zu gehen«, dachte Iris. Schließlich verlangten die Grundregeln der Höflichkeit, dass man in einem Lokal – auch in einem vollbesetzten – erst um Erlaubnis bat, bevor man sich zu jemandem an den Tisch setzte. Eine Frage konnte sie sich allerdings nicht verkneifen:

»Wie hast du erraten …?«

»… dass du gerade dabei warst, das Lied zu übersetzen?«, ergänzte der Fremde ihre Frage mit derselben Stimme, die sie soeben mit geschlossenen Augen gehört hatte. »In diesem Café und an diesem Tisch ist das normal.«

Sekundenlang wusste Iris nicht, was sie darauf antworten sollte.

»Was meinst du damit?«, fragte sie schließlich. Und bereute im selben Augenblick, dass sie den Mann sofort geduzt hatte. Aber irgendwie flößte er ihr Vertrauen ein. Er kam ihr gar nicht vor wie ein Fremder.

»Wir sind hier an einem besonderen Ort«, sagte er und wies zur Theke. »Der Besitzer dieses Cafés ist nicht irgendwer.«

Schweigend wartete Iris auf nähere Erklärungen.

»Er ist ein Zauberkünstler«, fuhr er noch leiser fort. »Einer der besten. Und außerdem ist er ein Mann von Welt. Er war sehr erfolgreich, hat sich aber vor ein paar Jahren zurückgezogen.«

»Ein Zauberer?«, fragte Iris.

»Ganz richtig, ein Magier. Ein Zauberkünstler der alten Schule. Er war es, der dir den Kakao serviert hat.«

Instinktiv blickte Iris zur Bar, wo ihr der weißhaarige Mann zunickte und wie beipflichtend lächelte. Sie beobachtete ihn etwas genauer. Er war gerade damit beschäftigt, mehrere Reihen Gläser zu trocknen. Und tatsächlich hatte er etwas Ungewöhnliches an sich, das sogar bei einer so banalen Tätigkeit wie dem Gläsertrocknen ins Auge stach. Auch fand Iris, dass er sich gar nicht wie ein älterer Mann bewegte, sein Körper schien sich die Vitalität der Jugendjahre bewahrt zu haben. Er strahlte etwas Vornehmes und zugleich Dekadentes aus, wie Galane auf alten Fotografien.

Der junge Mann fuhr mit seinen Erklärungen fort.

»So wie der Besitzer ist auch dieses Café etwas Besonderes. Jeder Tisch verfügt über eine ungewöhnliche Eigenschaft.«

»Was für eine Eigenschaft?«

»Sagen wir, alle besitzen eine Art Magie.«

Iris war sich sicher, dass der Fremde sie veralbern wollte, so wie Erwachsene es gern mit Kindern tun. Plötzlich fiel ihr auf, dass er an einem Daumen einen Ring trug. In ihrem ganzen Leben hatte sie nur einen Menschen gekannt, der Ringe an diesem Finger trug: ihren Vater. Es war seltsam, aber auch aus diesem Grund fühlte sie sich sehr wohl in der Gesellschaft des Fremden. Mehr noch, sie hatte geradezu Lust, von diesem Mann, der mit einem leichten ausländischen Akzent sprach, auf den Arm genommen zu werden.

»Ach ja?«, sagte sie. »Und worin besteht die Magie des Tisches, an dem wir sitzen?«

»Wer hier sitzt, wo ich sitze, kann die Gedanken desjenigen lesen, der auf deinem Platz sitzt. Deshalb konnte ich auch wissen, dass du gerade dabei warst, das Lied von Leonard Cohen zu übersetzen.«

»Unsinn«, entgegnete Iris selbstbewusst, was ganz untypisch für sie war. »Bestimmt hast du mir an den Lippen abgelesen, dass ich es leise mitgesungen habe, und spielst jetzt den Schlaumeier.«

»Brauchst du noch mehr Beweise?«, erwiderte ihr Tischgenosse amüsiert, während er sich gegen die Rückenlehne seines Stuhls sinken ließ. »Kannst du haben. Du denkst jetzt gerade, dass du mich noch nie in diesem Viertel gesehen hast, und fragst dich, was ich hier tue und woher ich eigentlich komme. Denn obwohl ich deine Sprache gut beherrsche, klinge ich für dich nicht wie ein Einheimischer.«

Dass Iris die meisten Leute aus ihrer Nachbarschaft vom Sehen kannte, verstand sich von selbst, und natürlich war sich der Fremde seines ausländischen Akzents bewusst. Das war alles reine Logik, keine Zauberkunst. Aber um ihn nicht zu enttäuschen, beschloss Iris, einen Grundsatz zu befolgen, den sie während ihres Studiums an der Journalistenschule gelernt hatte: Lass niemals zu, dass die Wirklichkeit dir eine gute Story vermasselt.

Sie schwieg und dachte nach. Möglicherweise hatte sie es schlicht und einfach mit einem notorischen Schürzenjäger zu tun.

»Und natürlich weiß ich auch das mit dem Ring«, fuhr ihr Gegenüber fort.

»Welcher Ring?«, fragte Iris und sah ihn mit offenem Mund an. Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug.

»Ich weiß, dass er dich an einen geliebten Menschen erinnert. Und jetzt fragst du dich, ob ich außer dem Ring, den ich trage, nicht auch noch in anderen Dingen Ähnlichkeit mit ihm habe. Ich weiß auch, dass dieser Mensch vor nicht allzu langer Zeit für immer gegangen ist und seine Abwesenheit dich sehr traurig macht.«

Langsam und mit gespielter Gleichgültigkeit trank Iris von ihrer heißen Schokolade.

»Ich muss also aufpassen, was ich denke«, sagte sie schließlich.

»Das würde ich nicht sagen. Gedanken an sich sind weder gut noch schlecht.«

»Was willst du damit sagen?«

»Studien haben ergeben, dass uns täglich um die sechzigtausend Gedanken durch den Kopf schwirren. Positive und negative, banale und tiefschürfende. Man sollte sie nicht bewerten, sie sind vielmehr wie Wolken, die vorüberziehen. Wir sind zwar verantwortlich für das, was wir tun, aber nicht für das, was wir denken. Wenn dich also ein Gedanke bedrückt, versieh ihn einfach mit dem Etikett ›Gedanke‹ und lass ihn vorbeiziehen.«

»Reden kann er ja, der Typ«, dachte Iris und fragte sich, ob der Fremde tatsächlich ihre Gedanken lesen konnte.

»Um das, was du vorhin gedacht hast, zu beantworten«, sagte dieser, »da hast du recht: Ich bin nicht aus diesem Viertel. Auch nicht aus diesem Land. Manchmal habe ich sogar den Verdacht, dass ich gar nicht von diesem Planeten stamme, sondern aus irgendeiner fernen Welt, und nur zufällig auf der Erde gelandet bin. Und dabei habe ich einen solchen Schlag abgekriegt, dass ich nicht mal mehr weiß, woher ich komme. Doch um das herauszufinden, müsste ich warten, bis mein Raumschiff wieder vorbeikommt und mich einsammelt.«

Innerlich musste Iris über den Mann lachen. Falls er vorhatte, sie anzubaggern, war er auf dem richtigen Weg. Ihre Sympathie hatte er zumindest bereits gewonnen.

»Aber wie du heißt, wirst du ja wohl wissen«, unterbrach sie ihn.

»Ich heiße Luca.«

»Klingt italienisch. Wie dein Akzent«, antwortete sie, ohne ihren eigenen Namen zu verraten. »Gibt es auch Italiener auf fernen Planeten?«

»Alles ist möglich«, erwiderte er mit melancholischem Lächeln. »Aber ehrlich gesagt ist mir das ziemlich egal. Ich weiß nur, dass du und ich jetzt gerade in diesem Café sitzen.«

Iris seufzte, dann wiederholte sie laut den Namen des Lokals:

»Am schönsten auf der Welt ist es gleich hier.«

* Und schließlich ist die Liebe, die du bekommst, so groß wie die Liebe, die du schenkst …