Finze, Wolfgang: Das bayerische auf Rückladung abgeänderte Gewehr M.1858 (Podewils-Gewehr) : Tipps für Sammler und Schützen. - 1. Auflage. – Norderstedt : Books on Demand GmbH, 2019. - 108 S.

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Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt.
ISBN: 9783749493104

Meiner Frau gewidmet

Danksagung

Es ist die angenehme Pflicht des Autors, all denen zu danken, die zum Zustandekommen dieses Buches beigetragen haben.

Besonderer Dank gilt dabei den folgenden Personen, die für dieses Buch uneigennützig Informationen und Materialien bereitgestellt haben, ohne die dieses Buch nie hätte entstehen können.

Inhalt

Vorwort

Als der österreichische Leutnant Lorenz das später nach ihm benannte Vorderladergewehr M.1854 entwickelte, setzte er einen Prozess in Gang, der in vielen deutschen Staaten zur Einführung der bis dahin besten militärischen Vorderlader führte. Nachdem Österreich (das im Heer des Deutschen Bundes die Korps 1 bis 3 stellte) mit dem Gewehr M.1854 für die ganze Infanterie einen gezogenen Vorderlader im Kaliber 13,9mm eingeführt hatte, führten auch andere deutsche Staaten nach und nach ähnliche Gewehre ein.

Den Anfang machten Baden, Hessen und Württemberg (deren Armeen das 8. Korps des Heeres des deutschen Bundes bildeten). Sie hatten sich schon im April 1856 auf eine gemeinsame Gewehrkonstruktion geeinigt. Das Königreich Bayern (dessen Armee das 7. Bundeskorps bildete) folgte 1859 und führte ein vom Freiherrn v. Podewils entwickeltes Gewehr im gleichen Kaliber ein. Sachsen (9. Bundeskorps) folgte 1861. Hier verzichtete man aber auf die Entwicklung eines eigenen Gewehrmodells und kaufte in Österreich Lorenz-Gewehre.

Die nicht mit Preußen verbündeten oder befreundeten deutschen Staaten hatten schon vor dem Krieg von 1866 die Notwendigkeit erkannt, irgendwann einmal Hinterlader einführen zu müssen. Man hatte Kommissionen eingesetzt, die zwar tagten, aber nicht zu Entschlüssen kamen. Man war überzeugt davon, dass die gerade erst mit hohem finanziellen Aufwand eingeführten Vorderlader im Kaliber 13,9mm mit ihren hervorragenden Leistungen für die in absehbarer Zeit zu befürchtenden kriegerischen Auseinandersetzungen ausreichend waren. Außerdem verlief die Entwicklung der Militärwaffen gerade in dieser Zeit ausgesprochen schnell, so dass Konstruktionen, die gestern noch an der Spitze der Entwicklung standen, heute schon wieder veraltet waren.

Der Krieg von 1866 machte dann deutlich, dass die Ära der militärischen Vorderlader zu Ende war. Wollte ein Staat in einem zukünftigen Krieg nicht schon vor seinem Beginn als Verlierer feststehen, musste er seine Armee so schnell wie möglich mit Hinterlader-Gewehren bewaffnen. Vor diesem Problem standen alle nicht schon vor 1866 mit Preußen verbündeten Staaten, denn die hatten aus Preußen Zündnadelwaffen für ihre Armeen beschafft.

Für die anderen Staaten gab es ein großes Problem, denn man hatte für sehr viel Geld erst vor wenigen Jahren die Armee mit neuen Vorderladern bewaffnet, die nun veraltet waren. Schon allein aus finanziellen Gründen blieb kaum ein anderer Weg, als diese Vorderlader in Hinterlader umzubauen. Während Baden, Württemberg und Hessen das preußische Zündnadelsystem übernahmen und ihre Vorderlader entsprechend änderten, ging Bayern einen Sonderweg und änderte seine Gewehre Muster 1858 nach einem eigenen System in Hinterlader um. Das so entstandene „auf Rückladung geänderte Infanterie-Gewehr Muster 1858“ (das üblicherweise nach seinem Entwickler als Podewils-Gewehr bezeichnet wird) ist Thema dieses Buches.

Rostock, im Juli 2019

Wolfgang Finze

Das Ausgangsmodell - der bayerische
Vorderlader Muster 1858

Freiherr von Podewils, Direktor der bayerischen Gewehrfabrik in Amberg, experimentierte schon vor 1856 mit Vorderlader-Gewehren. Er vermutete, dass die Anordnung und Gestaltung des Zündkanals Einfluss auf die Präzision des Schusses hätte und das der bei seitlicher Zündung entstehende Gasstrom dass (bei einem mit Papierpatronen geladenen Vorderlader zwangsläufig unterkalibrige) Geschoss im Lauf leicht seitlich verschob und so für eine geringere als die eigentlich erwartete Schusspräzision sorgen würde. Außerdem sollten sich bei seitlicher Zündung, so v. Podewils, auch die bei Schwarzpulver unvermeidlichen Ablagerungen bevorzugt an einer Laufinnenseite bilden. Zur Verbesserung der Präzision müsste deshalb der bei der Zündung entstehende Gasstrom das Geschoss genau senkrecht treffen. Also entwickelte er ein Gewehrmodell im Kaliber 13,9mm mit einem nach seinen Vorstellungen gestalteten Zündkanal1 und ein passendes Geschoss.

Zündkanal (Tafeln zu Sauer, Grundriß der Waffenlehre, 1869)

Es gelang v. Podewils, das von ihm entwickelte Gewehrmodell mit dem Schleier des Geheimnisvollen zu umgeben und (zumindest bei Außenstehenden) den Eindruck zu erwecken, er hätte ein völlig neues Gewehrsystem erfunden. So schreibt die Allgemeine Militär-Zeitung in der Doppelnummer 93/94 vom 21. November 1857:

„ … Da das Gewehr, bis über seine Annahme oder Nichtannahme entschieden wird, als Geheimnis erscheint, …“

Das Gewehr galt in Bayern insgesamt als neue Erfindung. Die „Allgemeine Militär-Zeitung“ meldete in der Doppelnummer 39/40 vom 16. Mai 1857:

„München, 11. Mai. Auf dem hiesigen Artillerieschießplatze wurden in den letzten Wochen Versuche mit einer von dem k. Artilleriemajor und Director der Gewehrfabrik zu Amberg, Frhrn v. Podewils, erfundenen Handfeuerwaffe gemacht, welche – wie die „N.Münch.Z.“ berichtet – in unzweifelhafter Weise dargethan haben, daß dieses Infanteriegewehr als weittragende Waffe an Leistungsfähigkeit in jeder Beziehung, wie auch in allen anderen praktischen Eigenschaften, welche von einer Militärwaffe gefordert werden und deren Werth bestimmen, die Handfeuerwaffen aller bisher bekannten Systeme weit übertrifft.“

Ende Oktober 1858 wurden probeweise die ersten Gewehre Muster 1858 an das Infanterieregiment „König Ludwig“ ausgegeben2. Mit der Verordnung Nr. 12243 vom 9. Februar 1859 wurden dann drei Modelle des Gewehrs Muster 1858 für die gesamte Infanterie eingeführt.

  1. das Infanteriegewehr, Modell Nr. I: Für die Füsilier-Kompanien bestimmt,
  2. das Schützengewehr, Modell Nr. II: Für die Schützenkompanien bestimmt, unterschied sich vom Modell Nr. 1 nur in der Einrichtung des Visiers,
  3. die Büchse, Modell Nr. III: Die mit einem Stecher versehene Büchse hatte eine Riemenschraube anstatt des unteren Riemenbügels und war kürzer als die Gewehre Modell I und Modell II.

Die Büchse war für die besten Schützen der Füsilier-Kompanien bestimmt. Ausgewählt wurden dabei ohne Rücksicht auf Charge und Rang zwei Unteroffiziere (jedoch mit Ausschluss des Feldwebels4) und acht Gefreite oder Gemeine. Aus jeder Schützenkompanie wurden alle Unteroffiziere sowie vierundzwanzig Gefreite oder Gemeine damit ausgestattet.

Die Vorschrift über die Behandlung der Gewehre wurde am 24. März 1859 vom König genehmigt5. Mit der Verordnung Nr. 116626 vom 29. Oktober 1862 erhielten auch die Jägerbataillone Gewehre des Musters 1858. Alle Unteroffiziere sollten die Büchse (Modell III) erhalten, die Gefreiten und Gemeinen in gleicher Anzahl Gewehre Modell II und Büchsen Modell III.

Das Visier des Infanteriegewehrs (Modell I) erlaubte ein Zielen bis auf 800 Schritt7 (584 m), das Standvisier war auf die Entfernung von 300 Schritten (219 m) eingestellt.

Kimme des Modells I, Blick von oben auf die Kimme. Der
Kimmenfuß ist gleichzeitig das Standvisier für 300 Schritte.

Bei allen Modellen enthielt der Kimmensockel eine Arretiervorrichtung, die dafür sorgte, dass die aufgestellte Kimme beim Schuss stehen blieb. Die Arretiervorrichtung bestand aus einem Stift und einer Feder und wurde von einer Schraube gehalten.

Kimme des Modells 1 von oben mit angedeuteter
Aretiervorrichtung8 im Kimmensockel.

Aufgestellte Kimme des Modells I, Blick von der Seite

Aufgestellte Kimme des Modells I aus Sicht des Schützen

Mit dem Schützengewehr (Modell II) konnte bis auf eine Entfernung von 1.100 Schritt (830 m) gezielt werden. Das bei nach vorn gelegter Kimme sichtbare Standvisier war für die Schussentfernung von 300 Schritten gedacht. Bei aufgestelltem Visier und hochgeschobenem Visierschieber wurde ein für die Entfernung von 200 Schritten (146 m) gedachter Kimmenausschnitt frei.

Visier der Büchse9 (Gewehr Modell III)

Die Kimme des Gewehrs Modell III (Büchse) ließ sich bis auf eine Schussentfernung von 1.200 Schritt (876 m) einstellen, glich aber sonst (bis auf die Länge) der Kimme des Schützengewehrs.

Bei allen Modellen war das Korn im Kornsattel eingeschoben und wurde nach dem Anschießen vorn links mit einer Kupferschraube im Kornsattel fixiert.

Unabhängig vom Modell hatten alle Gewehre einen Lauf im Kaliber von 13,9 mm, der vier Züge (4,97 mm breit und 0,26 mm tief) und einem Drall von 1.570 mm (60 Zoll) hatte. Die Modelle I und II erhielten ein dreikantiges Stichbajonett mit einer Klingenlänge von 52cm. Für Gewehre Modell III war ein gleichlanges Haubajonett vorgesehen. Die Tülle der Bajonette wurde, nach österreichischem Muster, über dem Kornsattel arretiert.

Lauf und Schlossplatte der Gewehre waren metallisch blank, die Beschläge (Ringe, Abzugsbügel, Schrauben) geschwärzt, die Visierklappen dunkelblau angelassen10.

Podewils-Gewehr11 Modell II

Podewils wurde am 19. März 1859 mit der Verordnung Nr. 264312in allergnädigster Anerkennung seiner besonderen erfolgreichen Leistungen in der Handfeuer-Waffen-Technik