Tessa Radley
Sirtaki der Leidenschaft
IMPRESSUM
BACCARA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1
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© 2007 by Tessa Radley
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Angelika Beecken-Klevesath
© 2002 by Harlequin Books S.A.
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Birgit Miller
Fotos: Harlequin Books S.A.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1529 - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Veröffentlicht im ePub Format im 04/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86349-925-9
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
„Ich will.“
Pandora Armstrong sprach mit klarer, fester Stimme, und eine Welle des Glücks durchflutete sie. Verstohlen warf sie einen Blick zu ihrem Bräutigam. Manolis Kyriakos stand unerschütterlich wie ein Fels neben ihr und schaute zum Erzbischof. Ernsthaft. Entschlossen. Einfach großartig!
Er blickte geradeaus. Sein Profil wirkte so perfekt wie das der Statuen in dem Akropolis-Museum, das er mit Pandora vor drei Tagen besichtigt hatte. Die gerade Nase, der ausgeprägte Kiefer, die hohen Wangenknochen, das alles glich den Marmorstatuen, die sie bewundert hatte. Aber es war sein voller Mund, der sie am stärksten faszinierte. Wow, dieser Mund!
Voll, sinnlich und wie gemacht für die reine Sünde.
Manolis blickte kurz zu ihr und merkte, wie sie ihn betrachtet hatte. Seine unergründlich tiefgrünen Augen funkelten besitzergreifend. Und dann verzog sich dieser zum Niederknien erotische Mund zu einem Lächeln.
Verlangen rauschte durch ihren Körper. Pandora zwang sich, den Blick abzuwenden und sich auf den Strauß cremeweißer Rosen zu konzentrieren, den sie in der Hand hielt.
Wie war es möglich, dass sie so unglaublich tiefe Gefühle für ihn empfand? Gut, er war nicht irgendwer. Manolis Kyriakos, der mächtige Reederei-Besitzer, ließ sie vor Erregung zittrig werden.
Hatte er sie verzaubert?
Sie blinzelte und kämpfte gegen das Bedürfnis, sich die Augen zu reiben. Womöglich wachte sie sonst auf und entdeckte, dass sie alles nur geträumt hatte. Wie konnte sie, Pandora, „Fräulein Tugendhaft“, sich so schnell verlieben? Im Vergleich zu ihrem Erlebnis vor drei Jahren waren ihre Gefühle zu Manolis einfach überwältigend, alles bestimmend und …
Nur mit halbem Ohr hörte sie, wie der Erzbischof gerade sagte: „Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“
Das Gelübde und der Kuss gehörten nicht zur griechischorthodoxen Zeremonie. Manolis hatte ihretwegen darum gebeten.
Sie war verheiratet!
Verheiratet mit einem großen, geheimnisvollen und über alle Maßen gut aussehenden Mann, dessen rechte Hand ihre nun so fest umschloss, dass ihre Fingernägel bestimmt Abdrücke auf seiner Hand hinterließen. Pandora war so nervös, dass auch ihr Magen allmählich verrücktspielte. Schließlich wurde sie mit einem Mann getraut, der vor drei Monaten noch ein Fremder für sie gewesen war!
„Pandora?“
Als sie den Kopf hob, trafen sich ihre Blicke. Zwischen ihnen knisterte es deutlich. Manolis’ Augen spiegelten heißes Begehren wider. Aber in seinem unwiderstehlichen Blick lag auch eine Frage.
Sie nickte, fast unmerklich.
Sekundenlang drückte er ihre Hand, die andere lag warm und schwer auf Pandoras Hüfte. Er hob die Hand und drehte sanft ihren Kopf zu sich. Dann beugte Manolis sich zu ihr, und dieser fantastische Mund streifte ihre Lippen in einer unnachahmlich warmen und vertrauten Weise.
Pandora vergaß sofort alles um sich herum, den Erzbischof, die Gäste, die dicht gedrängt auf den Kirchenbänken Platz genommen hatten, und auch, dass ausgerechnet Manolis Kyriakos sie gerade küsste. Ihr Mann, der mächtige und milliardenschwere Reeder.
Sie spürte nur noch seine Lippen auf den ihren und das heiße Verlangen, das ihren Körper erschauern ließ. Viel zu schnell ließ er sie wieder los.
Erst jetzt bemerkte sie die blitzenden Kameras und erinnerte sich, dass sie in einer Kirche standen, beobachtet von nahezu tausend Menschen. Augenblicklich verflüchtigten sich ihre sinnlichen Empfindungen. Trotz der gleißenden Augustsonne, die draußen brannte, begann Pandora plötzlich zu frösteln.
„Großer Gott!“ Erstaunt betrachtete Pandora die lärmende Menge der Paparazzi, die das Hochzeitsauto umringten, nachdem sie Manolis’ Landsitz in Kifissa erreicht hatten. In dem nördlich von Athen gelegenen exklusiven Landsitz sollte der Empfang stattfinden.
„Ist es nicht überwältigend?“ Manolis’ weiße Zähne blitzten für einen Moment auf, als sein Lächeln das dunkel gebräunte Gesicht erhellte. „Ein riesiger Zirkus, nicht wahr?“
„Ja.“ Sie lehnte sich zurück, um sich vor dem Blitzlichtgewitter der aufdringlichen Fotografen zu schützen. Seit sie aus dem Flugzeug gestiegen war, versuchte die Paparazzi-Meute, sie zu belagern. Doch Manolis und seine Bodyguards hielten die aufdringlichen Reporter und Fotografen auf Distanz.
Pandora hätte damit rechnen müssen. Wenn Manolis Kyriakos eine Neuseeländerin heiratete, spekulierte die Presse auf eine Sensation.
Als Urgroßenkel des legendären Orestes Kyriakos hatte Manolis fast seinen ganzen Besitz von seinem Großvater Socrates geerbt.
Naiv hatte Pandora keinen Gedanken an seine gesellschaftliche Stellung verschwendet. Niemals hätte sie erwartet, dass ihre Hochzeit so viel Aufsehen erregen könnte wie die Feste des europäischen Hochadels.
„Lächle doch mal. Die Leute glauben an ein modernes Märchen“, flüsterte Manolis ihr ins Ohr. „Und du bist die wunderschöne Prinzessin.“
Wie eine Schauspielerin auf einer Theaterbühne drehte sie sich zum Fenster und lächelte übertrieben. Die Fotografen spielten nun völlig verrückt.
Schließlich passierten sie das große schmiedeeiserne Tor und fuhren durch einen parkähnlichen Garten.
„Pandora.“ Von einer Sekunde zur anderen hatte sich sein Gesichtsausdruck verändert. Manolis griff nach ihrer Hand und sagte ernst: „Erinnerst du dich an das, was ich dir erzählt habe? Kümmere dich nicht um die Schlagzeilen.“
„Achte nicht auf die Fotos in der morgigen Ausgabe der Zeitungen. Die Lügen und Halbwahrheiten, die sie verbreiten, werden dich nur aufregen. Konzentriere dich auf uns und unsere gemeinsame Zukunft“, fuhr er mit unerwartet scharfer Stimme fort, während sein Daumen ihre Handinnenseite zärtlich streichelte. „Die Spekulationen, der Klatsch und Schund, den die Boulevardblätter verbreiten, werden dich sonst fertigmachen.“
„Ich weiß. Ich habe dir schon versprochen, dass ich die Zeitungen nicht lese.“ Sie seufzte. „Ich wünschte nur, Dad wäre hier.“ Die Abwesenheit ihres Vaters warf einen Schatten über den ansonsten perfekten Tag. Aber nach einer sehr schweren Lungenentzündung im Winter vor vier Jahren musste er sich regelmäßig einer Sauerstofftherapie unterziehen. Seitdem riskierte ihr Vater keine Flugreisen mehr. „Ich habe immer gedacht, er würde mich eines Tages zum Altar geleiten.“
Allmählich wurde ihr klar, dass sie ihren Vater und ihre Kindheit weit hinter sich gelassen hatte. Nach dem heutigen Tag würde sie den Rest ihres Lebens mit Manolis verbringen. Mit diesem wundervollen, anbetungswürdigen Mann. Der Pomp und das Gerede der Leute spielten keine Rolle. Nichts war wichtig außer Manolis.
Sein Haus kam in Sicht – vielmehr war es ein Anwesen, mit all den Türmen und der imposanten Steinmauer. Das würde von nun an ihr Zuhause sein, zusammen mit dem Stadthaus, das er in London besaß. Manolis hatte auch schon davon gesprochen, ein Ferienhaus in Neuseeland zu kaufen, damit sie ihren Vater häufiger sehen konnte.
„Dein Vater kann nicht hier sein, ich bin es. Und ich werde immer für dich da sein“, versprach er mit Nachdruck. Pandora wandte sich zu ihm um. Im Sonnenlicht, das durch das Panzerglas des Wagens gefiltert wurde, wirkten seine Gesichtszüge viel weicher. Seine Augen schimmerten sanft.
Ihr schien sich die Kehle zuzuschnüren. Pandora suchte nach Worten, fand jedoch keinen Ausdruck, der in diesem Moment angemessen gewesen wäre.
„Bist du bereit, der Welt gegenüberzutreten, yìneka mou?“, fragte er, als der Wagen allmählich langsamer wurde.
Meine Frau.
Pandora schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, Glücksgefühle durchfluteten sie. Sie glättete den Seidenstoff des kostbaren Brautkleids und erwiderte: „Ich bin zu allem bereit.“
Nachdem Manolis ihr aus dem Wagen geholfen hatte, stellten sie sich den Spalier stehenden Gratulanten, die den Weg zur Eingangstür säumten. Pandora konnte es kaum erwarten, Manolis’ Freunde, seine Schwester, die Cousine und Cousins kennenzulernen, von denen er ihr in Neuseeland viel erzählt hatte.
Gern hätte sie schon in der Woche, als sie in Athen angekommen waren, ihre Bekanntschaft gemacht. Doch Manolis hatte ihr ein unwiderstehliches Lächeln geschenkt und erklärt, dass noch genug Zeit sei, um seine Freunde, Verwandten und Mitarbeiter zu treffen … später, bei der Hochzeit. Pandora war einverstanden gewesen. Manolis musste sie nur anlächeln und sie schmolz dahin.
Auf High Ridge, der riesigen Schaffarm ihres Vaters auf South Island, waren sie sich zum ersten Mal begegnet. Manolis war geschäftlich nach Neuseeland gereist. Er hatte die Idee, den Gästen der Kyriakos-Kreuzfahrtschiffe während ihres Aufenthalts in Christchurch ein besonderes Ausflugsziel anzubieten: ein Kurztrip zu einer großen, florierenden Schaffarm mit luxuriösem Ambiente.
Und auf High Ridge war das Wunder geschehen. Er hatte sich in sie verliebt. Ein wahrer Sturm der Gefühle war losgebrochen, der drei Wochen lang getost hatte, in denen sie kostbare Momente zusammen verbracht hatten. Am Ende überwältigte Manolis sie mit einem Heiratsantrag und einem beeindruckenden Diamantring sowie dem Versprechen, dass er immer für sie sorgen würde.
Ohne zu zögern und unter Freudentränen nahm sie seinen Antrag an. Zärtlich wischte er ihr die Tränen fort, und seine Zärtlichkeit ließ ihre Liebe zu ihm nur noch größer werden.
Ihr Vater reagierte überglücklich, als sie ihm die Neuigkeit überbrachten. Sprachlos drückte er Manolis’ Hand und ließ ihn kaum wieder los.
Dann war Manolis nach Europa gereist, zurück zu der milliardenschweren Reederei, die er von seinem Großvater geerbt hatte. Und obwohl ein Ozean sie trennte, blieben sie sich nah und telefonierten jeden Tag; in Athen war es Morgen und in Neuseeland mitten in der Nacht.
Während all der langen Gespräche lernte Pandora den Mann, den sie liebte, genauer kennen. Nach zwei Blitzbesuchen war sie schließlich vergangene Woche nach Athen geflogen, um fünf Tage lang und mit Manolis als Reiseführer die Großstadttouristin zu spielen. Bevor alles in dem einen großen Tag gipfelte.
Heute.
Nun, als sie sich der großen Empfangshalle in Manolis’ Haus näherten, erkannte Pandora einige Gesichter wieder. Mit einem Wangenkuss begrüßte sie eine berühmte Hollywood-Schauspielerin, die in Begleitung ihres Ehemanns, einem nicht weniger bekannten Rocksänger, erschienen war. Mehrere legendäre Geschäftsleute wünschten ihr und Manolis alles Gute. Pandora lächelte einem Star-Fußballer und seiner Frau zu, die in der Presse als Stil-Ikone gefeiert wurde.
Im Inneren des überwältigenden Hauses erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf einen europäischen Prinzen und seine beliebte australische Frau, einer Bürgerlichen aus gutem Haus, die durch ihre Teilnahme an einer Reality-TV-Show berühmt geworden war. Pandora entdeckte außerdem einige atemberaubend schöne Fotomodelle in der Menge.
Ihr Gefühl, hier fehl am Platz zu sein, wuchs allmählich. Nervös ließ sie sich von Manolis zum Podium führen, wo der Hochzeitstisch mit kostbarem Tafelsilber und edlem Porzellan eingedeckt war.
Die Gratulationen wollten weiterhin kein Ende nehmen. Unaufhörlich strömten Menschen am Tisch vorbei, um einen Blick auf das Brautpaar zu werfen. Pausenlos lächelte Pandora Manolis’ entfernten Verwandten, Kollegen und Mitarbeitern zu, bis sie sicher war, dass sie niemanden im Raum unbeachtet gelassen hatte.
Wurde sie ihrer neuen Stellung gerecht, oder hatten sie mehr von der Frau erwartet, die Manolis heiratete? Ein qualvoller Gedanke.
Sie ließ den Blick über die voll besetzten Tische schweifen. Evie und Helen, ihre beiden Schulfreundinnen aus St. Catherines, mussten irgendwo sein. Ein Jahrzehnt lang hatten die Mädchen abgeschottet von der Außenwelt auf dem Internat in der Provinz gelebt. Mit Ausnahme der Ferien hatte Pandora die meiste Zeit ihres Lebens dort verbracht, bis sie vor drei Jahren kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag die Schule verlassen hatte. Seitdem hatte sie die meiste Zeit ihrem Vater auf High Ridge geholfen.
„Hier kommen Basil Makrides und seine Frau Daphne“, murmelte Manolis. „Er ist ein Geschäftspartner von mir.“
Pandora wandte sich lächelnd dem Paar zu. Nachdem die Makrides’ sich wieder entfernt hatten, gab es eine kurze Verschnaufpause.
„Wo ist deine Schwester? Ich habe sie noch nicht getroffen.“ Pandora hatte gehofft, seine Schwester noch vor der Trauungszeremonie kennenzulernen. Ein geschickter Stylist hatte Pandora frisiert, ein Visagist hatte sich um ihr Makeup gekümmert und ein Schneider die Änderungen an dem Brautkleid vorgenommen – und dabei einen Riesenwirbel veranstaltet. Sie hätte sich gefreut, wenn Manolis’ Schwester dabei gewesen wäre … Oder wenigstens die Cousine oder die Tante, von denen Manolis gesprochen hatte. Um herauszufinden, ob sie sie mochten.
Manolis’ Miene verdüsterte sich. „Meine Schwester konnte es nicht rechtzeitig zur Hochzeit schaffen. Es gab ein Problem.“
Ihr fiel auf, wie er die Lippen aufeinanderpresste. Vorsichtig erkundigte sie sich: „Ist sie … krank?“
„Nichts dergleichen“, erwiderte er ruppig. „Kümmere dich nicht darum. Sie kommt später.“
Pandora erstarrte. Noch nie hatte er sie so behandelt. Als wäre sie dumm und ihre Meinung unwichtig. Was war hier los? Ging es um sie … oder war irgendetwas mit seiner Schwester?
„Es tut mir leid. Ich war zu schroff.“ Seine Stimme riss Pandora aus den Gedanken. „Mein Schwager ist das Problem – es ist nicht leicht, mit ihm verheiratet zu sein.“
„Oh, Schatz, deine arme Schwester, verheiratet mit einem gewalttätigen Mann“, schlussfolgerte Pandora.
„Er schlägt sie nicht. Darum geht es nicht.“
„Ach so?“ Sie konnte die Neugierde nicht verbergen.
„Ich will jetzt nicht an meinen Schwager denken, besonders nicht an meinem Hochzeitstag. Er regt mich auf.“
„Nur das nicht.“ Sie legte beruhigend ihre Hand auf seinen Arm. „Erzähl es mir später.“
„Du bist die perfekte Frau.“ Er hauchte einige zarte Küsse auf ihren Hals. Sofort näherten sich einige Leute dem Tisch, ohne sich darum zu kümmern, ob sie störten. Kameras blitzten auf, erschrocken sprang Pandora auf.
„Mach dir keine Sorgen“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Jeder hier heute Nacht wurde eingeladen und überprüft. Es sind keine Zeitungsleute da, nur Familie und Freunde. Oh, und ein professioneller Fotograf mit tadellosem Ruf, der bekannt ist für seine Diskretion. Er wird für uns einige Schnappschüsse machen, an denen wir später Freude haben werden.“
Die Presse? Pandora wurde mulmig zumute. Sie hatte gerade überhaupt nicht an die Paparazzi gedacht, die nach Bildern von ihr und Manolis geiferten.
Während des Dinners blitzten die Kameras unaufhörlich weiter. Manolis machte seine Frau mit einer nicht enden wollenden Reihe von Fremden bekannt. Pandora erkannte die Neugierde in den Augen der Frauen und fühlte die abschätzenden Blicke der Männer.
Warum hatte Manolis Kyriakos, dem die ganze Welt zu Füßen lag, eine kleine Miss Nobody aus Neuseeland geheiratet? Diese Frage stellte Pandora sich selbst immer wieder, fand jedoch keine Antwort darauf. Schließlich verdrängte sie das nagende Gefühl, dass irgendetwas an ihr zu wünschen übrig ließ, und genoss nur Manolis’ Nähe, während er ihr andauernd neue Gäste vorstellte.
Der erste Walzer war vorbei.
Pandora blickte in den Spiegel und kam sich seltsam fremd vor mit ihrem erröteten Gesicht und den silbrig funkelnden Augen. Sie schaute weg, griff nach einem Krug und schenkte sich ein Glas stilles Wasser ein. Durstig leerte sie es in einem Zug. Sie hatte sich davongestohlen, um ihr Make-up zu prüfen … um sicherzugehen, dass es dem Heer der Kameras standhielt, deren Blitze unaufhörlich über die überfüllte Tanzfläche flackerten und dabei unzählige Aufnahmen von ihr und Manolis einfingen.
Während sie sich die Wimpern tuschte, wurde Pandora bewusst, dass sie die Situation im Grunde sehr genoss. Wie war das möglich? Sobald sie fünfundzwanzig Jahre alt war, würde sie doch über ein Treuhandvermögen verfügen, mit dem sie sich selbst alle Wünsche erfüllen konnte. Bisher war sie zufrieden gewesen. Und nun wirkten der oberflächliche Glamour und Luxus in Manolis’ Leben anziehend auf sie.
Seufzend stopfte sie die Wimperntusche zurück in ihre Tasche und zog den Reißverschluss zu. Noch ein Schluck Wasser, dann machte Pandora sich auf den Weg zurück.
„Hier bin ich“, rief Manolis ihr zu. Weil er viele der anderen überragte, entdeckte sie ihn sofort. Pandora schlängelte sich durch die Menge zu ihm.
„Das hier ist mein Theos Costas – mein Onkel, der Bruder meiner Mutter.“
„Es ist mir ein Freude, deine Bekanntschaft zu machen.“ Aus blauen Augen zwinkerte der Mann ihr fröhlich zu, während er ihre Hand nahm und einen galanten Kuss daraufhauchte.
„Mein Onkel ist ein bekannter Frauenheld, sieh dich vor.“ Manolis lachte, seine Zuneigung für den älteren Mann war offensichtlich. „Ich weiß gar nicht, wie Tante Sophia es mit ihm aushält.“
Manolis’ Onkel zuckte mit den Schultern. „Sie weiß, dass ich nur sie liebe.“ Seine einfachen Worte berührten Pandora. „Du hast meinen Sohn ja schon kennengelernt.“
Pandora überlegte mühsam, wer Costas’ Sohn sein könnte.
„Dimitri.“
„Oh, ja.“ Erleichtert atmete sie auf. „Er ist der Anwalt, der den Ehevertrag aufgesetzt hat und der koum…“, sie stockte bei dem fremden Wort, „… Trauzeuge“, verbesserte sie, „der während der Zeremonie die Kronen über unseren Köpfen gehalten hat.“
Manolis hatte ihr erklärt, dass Dimitri der Pate ihres ersten Kindes sein würde … eines Tages. Bei dem Gedanken an einen kleinen Jungen, der die gleichen grünen Augen haben würde wie Manolis, verspürte sie eine völlig ungewohnte Sehnsucht. Trotzdem wollte Pandora die ersten Ehejahre allein mit ihrem Ehemann genießen.
„Du lernst unsere Bräuche schnell.“ Costas sah zufrieden aus. „Ist das nicht wunderbar? So viele Leute zu treffen?“
Sie nickte, dankbar für sein Verständnis.
„Du kannst mich Theos – Onkel – nennen, das macht Manolis auch.“
„Danke, Theos. Manolis spricht oft von dir.“ Sie wusste, dass Manolis’ Onkel eine Vaterfigur für ihren Mann gewesen war. Pandora erinnerte sich an die Liebe und den Respekt, mit dem Manolis von seinem Onkel erzählt hatte, während der langen nächtlichen Ferngespräche quer über den Atlantik.
„Ich freue mich so, dich kennenzulernen“, sagte Pandora.
„Wir werden uns morgen weiterunterhalten“, entgegnete Theos Costas. Er klopfte Manolis auf die Schulter. „Nun, mein Junge, es wird Zeit für den nächsten Tanz.“
„Hey, Manolis, du bist jetzt mit Tanzen dran!“
Die Unterbrechung hielt Pandora davon ab zu fragen, was Costas meinte. Sahen sie sich denn am nächsten Tag wieder?
Als sie sich umdrehte, entdeckte sie zwei Männer, die sich ihnen breit grinsend näherten.
Manolis warf ihr einen gespielt reumütigen Blick zu. „Ich hatte gehofft, ihnen zu entkommen.“
„Keine Chance.“ Der größere der beiden lachte vergnügt.
Manolis stöhnte theatralisch. „Pandora, darf ich vorstellen: Tariq und Jannis, zwei entfernte Cousins.“
Er hatte über beide mit Zuneigung und Bewunderung gesprochen. Als sein Großvater Socrates gestorben war, hatte jeder der drei Enkel einen beträchtlichen Teil des Vermögens geerbt. Als einziger Sohn des einzigen Sohns war Manolis der größte Teil zugefallen.
Während sie die beiden Männer musterte, fielen ihr einige Gemeinsamkeiten auf. Nicht nur die äußere Erscheinung ließ auf eine Familie schließen, auch die Autorität, die jeder von ihnen ausstrahlte.
„Willkommen in der Familie.“ Jannis sprach sie als Erster an. Seine Augen waren grünblau, und er trug sein volles, blondes Haar kurz geschnitten.
Pandora lächelte. „Ich danke dir.“
Tariq legte die Hände auf ihre Schultern und gab ihr einen Kuss auf jede Wange. „Schnapp dir deinen Mann und kommt uns bald in Zayad besuchen.“
„Lass uns noch etwas Zeit“, wandte Manolis ein. „Wir kommen in einigen Monaten zu euch.“
Tariq grinste. „Hab schon verstanden. Jetzt solltet ihr aber tanzen gehen.“
Manolis führte Pandora in den großen Nebenraum, in dem die Band inzwischen griechische Musik spielte und die Gäste sich anscheinend in unendlichen, gegen den Uhrzeigersinn gerichteten Spiralen dazu bewegten. Als das junge Paar auftauchte, wurden sie sofort gerufen.
„Manolis! Kommt her, macht mit.“
Dimitri gab ihnen ein Zeichen.
Zwischen den Tänzern tat sich eine Lücke auf, und Manolis schubste Pandora sanft vorwärts. Dann waren sie ein Teil der sich wiegenden und schiebenden Menge. In den ersten paar Minuten fühlte sich Pandora, als hätte sie zwei linke Füße. Sie bemühte sich, die richtigen Schritte zu machen und orientierte sich an Manolis. Rechter Fuß, Kreuz, rechte Fußspitze nach hinten, vorwärts, Nachstellschritt und ein kleiner Hopser. Plötzlich fand sie in den Rhythmus der Bouzouki-Melodie, die von der Bühne kam.
Sie konnte es!
Wenn seine Arme zurückgingen, machte sie es genauso. Wenn er den Kreis vergrößerte, folgte sie ihm, und die Menschenschlange dahinter genauso. Es war aufregend. Die Musik wurde schneller und Manolis’ Schritte ebenfalls. Seine Füße flogen regelrecht über das Parkett. Um sie herum hatten einige der Gäste angefangen mitzusingen.
Sie bedauerte, dass sie den griechischen Text nicht verstand.
Manolis hielt sie an der rechten Hand, ihre linke umschloss Dimitri. Die Person neben ihm bewegte sich vorwärts. Pandora fing den Blick der Frau auf, und sie lächelten sich kurz an. Dann musste sie sich wieder auf die Schritte konzentrieren.
Plötzlich veränderte sich die Musik, wurde weicher und langsamer. Pandora geriet ins Stolpern. Manolis hielt sie schnell fest, um sie zu stützen, dann strich er über ihren Arm und drückte wieder ihre Hand. Pandora wurde ganz heiß. Die Schrittfolge hatte sich geändert.
Sie runzelte die Stirn und war derart angespannt, dass sie sich auf die Lippe biss.
„Lass dich von der Musik tragen“, flüsterte Manolis. „Entspann dich. Dein Körper muss einfach mitgehen wie eine Welle im Meer.“
Doch Pandora verpasste den Einsatz.
Seine Finger schoben sich unter ihre. „Halt mich ganz locker. Hör auf die Musik, spüre, wie sie durch deinen Körper fließt.“
Nun konzentrierte sie sich ausschließlich auf die schwermütige, klagende Stimme der Sängerin.
„Sie singt von ihrem Geliebten, der fortgegangen ist“, erklärte Manolis leise. „Jeden Tag wartet sie am Kai auf die Rückkehr seines Schiffes. Sie ist sicher, dass er zu ihr zurückkommt.“
Ohne nachzudenken, ließ sie sich von der Musik gefangen nehmen. Die Stimme der Sängerin war erfüllt von Verlust und Kummer. Bald schon kämpfte Pandora mit den Tränen.
„So ist es richtig. Jetzt hast du den Bogen raus“, flüsterte Manolis triumphierend.
Mit einem Mal war sie zurück in der Realität. Pandora hatte sich dem Tanz hingegeben. „Wie um alles in der Welt ist das möglich?“
„Griechische Musik kommt aus dem Herzen. Der Tanz überträgt die Musik. Dein Körper muss sie fühlen.“ Er blickte sie an. „Es ist ganz einfach, eine Frage der Intuition. Spüre es einfach, das Glück der Liebe, den Schmerz des Betrugs. Die Schritte kommen von allein.“
Die Musik leitete sie, und die Füße bewegten sich fast von allein.
Wieder wechselte die Musik. Die Reihe der Tanzenden brach auseinander.
Manolis zog sie zur Seite. „Komm, wir machen eine Pause.“ Wie gerufen trat ein Kellner neben sie, mit einem Tablett voller Champagnerkelche und kleinen Gläsern mit Eiswasser. „Möchtest du etwas trinken? Champagner?“
Der anstrengende Tanz hatte sie erhitzt. „Nur ein Wasser, bitte.“
Manolis reichte ihr ein Glas. Sie nippte, dabei stieß ihr das Eis gegen die Oberlippe. „Wunderbar erfrischend.“ Lächelnd stellte sie das leere Glas wieder auf das Tablett.
„Komm, lass uns irgendwo hingehen, wo es etwas kühler ist.“ Er führte sie in einen anderen Raum. „Wirklich klasse, wie schnell du die Schritte gelernt hast.“
Lachend erwiderte sie: „So einfach war das gar nicht. Du musst sie mir etwas mehr beibringen – wenn wir allein sind.“ Falls das irgendwann mal passieren sollte.
Sein Lächeln war verheißungsvoll. „Vielleicht während unserer Flitterwochen, hm?“
Er ließ ihr den Vortritt durch die geöffnete Terrassentür; draußen empfingen sie die warme Nachtluft und ein samtschwarzer Himmel, übersät mit Sternen. Manolis streckte sich, zog seine Fliege auf und öffnete den obersten Hemdknopf.
Ihr Herz schlug schneller. „Wir fahren also in die Flitterwochen? Wir beide ganz allein?“
„Oh ja.“ Er lehnte sich gegen einen Pfeiler und streckte die Hand aus, um Pandora an sich zu ziehen. Sein Blick wurde dunkler. „Ganz allein. Ich denke, das haben wir uns verdient.“
„Wo fahren wir hin?“
„Das ist eine Überraschung. Es reicht, wenn ich dir verrate, dass es dort Sonne gibt, das Meer und ein Ehepaar, das sich um die Villa kümmert.“
Vor Vorfreude wurde Pandora warm ums Herz. „Ich kann es kaum erwarten. Wann fahren wir?“
„Schon morgen“, antwortete Manolis mit rauer Stimme. „Ich kann es auch kaum noch erwarten.“
Drinnen hatte die Musik aufgehört zu spielen.
Stille umgab sie. Pandora fühlte seinen intensiven Blick, er wartete. Auf eine Reaktion, darauf, dass sie irgendetwas tat oder sagte. Auf was genau er hoffte, wusste sie nicht. Dafür wusste sie umso genauer, was sie wollte. Pandora stellte sich auf die Zehenspitzen und presste ihre Lippen fest auf seine … Das Feuer der Leidenschaft überwältigte sie. Manolis stöhnte; seine Zunge drang zwischen ihre Lippen.
Sein Kuss war heiß und fordernd.
Wie von Weitem nahm sie wahr, wie die Musik wieder einsetzte. Aber das war ohne Bedeutung. Nur dieser Moment zählte. Diese wundervollen Küsse, von denen sie nicht genug bekommen konnte.
Plötzlich löste er sich von ihr. „Das hier ist nicht der richtige Ort. Alle können uns beobachten. Komm mit.“ Er zog sie mit sich.
„Manolis, wir können nicht einfach gehen“, protestierte Pandora und warf noch wie benommen einen Blick zum Haus.
„Natürlich können wir das.“ Er blieb stehen.
Das Verlangen, das in seinen Augen glänzte, wischte all ihre Bedenken beiseite, ließ nichts zurück als das übermächtige Bewusstsein seiner Stärke, seiner Männlichkeit.
„Warum sollten wir auch nur eine Minute länger hierbleiben, wenn wir beide lieber verschwinden wollen?“
„Weil …“ Verzweifelt bemühte sie sich, vernünftig zu bleiben. Doch alles, was sie sah, war die Art, wie sein Seidenhemd sich an seinen Oberkörper schmiegte. Beim Anblick der nackten Haut, die der Halsausschnitt entblößte, musste Pandora schlucken. Halbherzig erwiderte sie: „Weil es unsere Hochzeit ist und wir noch den Kuchen anschneiden müssen.“
Achselzuckend entgegnete er: „Der Kuchen kann warten. Wir können ihn morgen beim Mittagessen anschneiden. Komm mit.“
„Mittagessen?“, hakte sie nach.
„Mit meiner Familie. Um ihnen meine Frau vorzustellen.“ Er drückte sie an sich und umarmte sie fest.
„Oh.“ Sie hatte gehofft, dass sie ab morgen allein sein würden; in ihren Flitterwochen, so wie er es versprochen hatte, ohne die vielen Leute und Bodyguards. Aber so war es offensichtlich nicht. „Ich dachte, wir fahren in die Flitterwochen?“
„Hinterher.“ Er näherte sich ihrem Gesicht und lächelte verwegen. „Etwas mehr Geduld, meine Frau. Fünf Tage lang wirst du nur mir gehören. Bisher hattest du keine Gelegenheit, meine Familie kennenzulernen. Aber der ganze Clan ist hier – und es wird dauern, bis sie alle wieder zusammenkommen. Ich dachte, so kannst du dich in die Familie integrieren.“
„Ich verstehe.“ Trotzdem war sie durcheinander. Sie wollte mit ihm allein sein. Andererseits wollte sie seine Familie und seine besten Freunde kennenlernen. Sie wollte mehr über Jannis und Tariq erfahren und sich in Ruhe mit ihnen unterhalten. Außerdem wollte sie Dimitri und Stacy fragen, wie Manolis als kleiner Junge gewesen war, und endlich seine Schwester treffen.
Sie wollte, dass alle die Hochzeit guthießen.
Manolis hatte recht. Sie sollte endlich die Familie kennenlernen. Morgen. Vor Aufregung zog sich ihr Magen zusammen. „Was ist, wenn sie mich nicht mögen?“
Zärtlich hob er ihr Kinn. „Wie könnten sie nicht. Du bist einfach perfekt. Wer würde es wagen, mein Urteil anzuzweifeln?“
Wieder wurde ihr mulmig zumute. Meine Güte, sie war weit davon entfernt, perfekt zu sein. Hatte Manolis sie in gewisser Weise auf einen Sockel gestellt? Sie benetzte sich die Lippen, die mit einem Mal wie ausgetrocknet waren. Und wenn seine Schwester sie ablehnte? Manolis würde es sicher nicht hinnehmen.
Sie biss sich auf die Lippe und sagte sich, dass bestimmt alles gut gehen würde. Sie war die Frau, die sich Manolis Kyriakos ausgesucht hatte. Seine Familie würde sie schon akzeptieren, andernfalls hätten sie die Konsequenzen zu tragen. Sie würden sie mögen.
So wie Manolis.
Das mussten sie einfach. Dafür würde sie ihr Bestes geben. Und wenn ihr etwas nicht gelang, würde er es schon in Ordnung bringen. Pandora schmiegte sich enger an ihren Mann. Manchmal vergaß sie, wie mächtig er war. Manchmal war er einfach nur Manolis, der Mann, den sie bewunderte.
„Hör auf zu grübeln, alles wird gut.“ Sanft küsste er sie. Ihre Brüste berührten seinen Oberkörper. Plötzlich lösten sich Pandoras Sorgen in Luft auf. All ihre Gedanken drehten sich nur noch um ihn … sein fordernder Kuss, seine starken Arme, die sie fest an sich gedrückt hielten und damit jede Faser ihres Körpers vor Verlangen erzittern ließen.
Schwer atmend löste er sich von ihr. „Können wir jetzt gehen?“
„Ja“, erwiderte sie seufzend.
Mit großen Schritten ging Manolis zur Bar in der Ecke des Wohnzimmers, das zu ihrer komfortablen Suite gehörte, und goss sich einen Schluck Whisky ein. Er wandte sich zum Fenster und sah versonnen nach draußen, ohne die Lichter der Stadt wahrzunehmen. Seine Gedanken kreisten um die angespannte Stille im Schlafzimmer. Dort befand sich seine junge Frau.
Sein Magen verkrampfte sich.
Seit drei Monaten hatte er auf diesen Moment gewartet. Manolis hatte Geduld bewiesen wie ein verdammter Heiliger.
Während der vergangenen zwölf Wochen hatte er es nicht gewagt, seiner zukünftigen Frau zu nahe zu kommen. Nur zwei flüchtige Besuche hatte er sich erlaubt. Jeder Flug dauerte fünfundzwanzig Stunden, inklusive des notwendigen Tankzwischenstopps in Los Angeles. Fünfzig Stunden hatte er im Privatjet verbracht, mehr Zeit, als er mit seiner Verlobten verbringen konnte. Doch das war es wert gewesen. Um sie zu sehen, sie zu berühren.
Nur kurz. Und vorsichtig.
Dann war er wieder abgereist, bevor er die Kontrolle verlor. Bevor er sie in seine Arme ziehen konnte, auf das riesige Bett in einem der luxuriösen Blockhäuser, die er immer auf High Ridge bezog, und sie das ganze Ausmaß seiner Gefühle spüren lassen konnte. Seine Leidenschaft hätte sie erschreckt. Er war ja selbst schockiert.
Aber sie war die personifizierte Versuchung mit dem seidig hellen Haar und den großen silbrig grauen Augen. Ihr zierlicher Körper, die schmalen Handgelenke, sie wirkte so zerbrechlich.
Nun waren sie Mann und Frau. Nur noch durch eine Tür getrennt. Er drehte sich um und blickte angespannt auf die massive Holztür.
Er musste es langsam angehen lassen. Nur so konnte er den gewaltigen Sturm des Begehrens, der in ihm tobte, unter Kontrolle halten. Auf keinen Fall wollte er seine Braut in der Hochzeitsnacht zu Tode erschrecken. Denn Pandora war noch unschuldig.
Manolis beschloss, jeden einzelnen Moment zu genießen. Noch nie hatte er mit einer Jungfrau geschlafen. Sein altmodisches Ehrgefühl hatte von ihm verlangt, nur mit Frauen ins Bett zu gehen, die in der Liebe erfahren waren.
Bei seiner Frau lag der Fall anders.
Entsetzt stellte er fest, wie nervös er war. Zitternd hielt er das Glas in Händen und redete sich ein, dass es an seinem Verlangen lag und nicht an Angst oder Sorge. Es half nichts.
Er starrte auf die bernsteinfarbene Flüssigkeit. Normalerweise trank er keinen Alkohol. Noch nie war er betrunken gewesen, nicht einmal ein bisschen. Er verachtete Menschen, die meinten, ihr Leben nur mit Drogen bewältigen zu können.
Heute Abend war das etwas anderes …
In einem Zug kippte er den Whisky hinunter, nahm all seinen Mut zusammen – angetrunkener Mut, dachte er sarkastisch – und trat vor die Schlafzimmertür.
Pandora stand mitten in Manolis’ prächtigem, in Burgunderrot und Gold gehaltenem Schlafzimmer, das jetzt auch ihres war. Sie war sich des breiten Bettes nur zu bewusst, während sie beobachtete, wie sich der schwere Messinggriff der Tür langsam drehte. Ihr Herz pochte aufgeregt. Manolis trat ein.
Abrupt blieb er stehen.
Sie sah sofort, dass er geduscht und die Kleidung gewechselt hatte. Die eng anliegende schwarze Hose und das legere weiße Hemd wirkten höllisch sexy. Errötend bemerkte sie, dass er sie genauso intensiv betrachtete wie sie ihn. Eine warme Welle durchflutete sie, ihr Atem stockte.
„Du bist ja immer noch angezogen.“ Er klang enttäuscht. „Ich dachte, ich hätte dir genug Zeit zum Duschen gelassen, um …“
„Du musst mir mit den Knöpfen helfen“, entgegnete sie schnell. „Ich habe nicht daran gedacht, dass ich Hilfe brauche.“ Schon bei dem Gedanken, sich auszuziehen, errötete sie. Hastig fuhr sie fort: „Ich habe mein Gesicht gewaschen, aber ich muss noch diese Robe loswerden.“
„Aber natürlich! Wie dumm von mir … Ich habe nicht darüber nachgedacht.“ Er kam näher.
Von Nervosität überwältigt, versuchte Pandora, nicht zu zittern. Doch als er vor ihr stand, rieselten kleine Schauer über ihre Haut.
„Dreh dich um“, flüsterte er und kniete sich auf den Boden.
Sie ließ sich nicht zweimal bitten. Beim Umdrehen raschelte die uralte Seide des Kleides. Pandora hörte Manolis’ gleichmäßigen Atem, sie fühlte, wie ihr Herz schneller schlug, während sie wartete …
Ein zarter Windhauch streifte ihren Knöchel, als er den Saum des Kleides anhob.
Dann spürte sie, dass der unterste Knopf geöffnet war. Zug um Zug arbeitete er sich erfolgreich den Saum hoch.
„Warum mussten die früheren Näherinnen unbedingt so viele Knöpfe verwenden? Das müssen ja an die zweihundert Stück sein … und sie sind so winzig!“
„Es sind genau fünfundsiebzig. Die Schneiderin hat sie nach jeder Anprobe gezählt. Das Aufmachen hat ewig gedauert … sogar mit einem Knopfhaken.“
„Ich hoffe, dass ich keinen brauche“, gab Manolis lachend zur Antwort. In seiner Stimme schwang noch etwas anderes mit … etwas Dunkles und Sinnliches, das ihr das Blut in den Ohren rauschen ließ.
Sie bemühte sich, ihre Gelassenheit zurückzugewinnen. „Wären wir in einem Märchen, hättest du hundert Jahre auf diesen Augenblick warten müssen.“
„Ich glaube, dass ich mein ganzes Leben darauf gewartet habe“, murmelte er. Etwas lauter fuhr er fort: „Wären wir in einem Märchen, bräuchte ich keine umständlichen Hilfsmittel, sondern ich hätte ein magisches Schwert, mit dem ich dies hier mühelos erledigen könnte …“ Unvermittelt brach er ab und strich an den Verschlüssen entlang über ihren Rücken, sodass sie wohlig erschauerte.
„Dann würde ich das Kleid heruntergleiten lassen …“ Immer schneller atmend, verlor sich seine Stimme allmählich.
„Aber du hast kein magisches Schwert, also musst du es selber machen …“
„Auf die altmodische Art. Langsam, ganz in Ruhe werde ich diese Erfahrung genießen“, murmelte er. Pandora keuchte, als seine Hand an ihrer Wade bis zu ihrem Knie glitt. „Ein paar Knöpfe noch.“
Noch einmal streichelte er ihre nackte Haut, dann zog er seine Hand weg. Pandora seufzte enttäuscht.
„Keine Sorge, yìneka mou, wir haben noch die ganze Nacht vor uns … und ich habe vor, es ganz langsam angehen zu lassen. Das verspreche ich dir.“
„Ich glaube, ich werde gleich vor Sehnsucht sterben“, flüsterte sie, atemlos vor Erregung.
„Ah, mein Schatz, sag das nicht. Ich versuche so sehr, einen kühlen Kopf zu bewahren. Wenn du mich heiß machst, wird es zu Ende sein, noch ehe wir richtig angefangen haben.“
„Ich dachte, wir hätten schon begonnen.“
Er stöhnte auf. „Frau, sei still. Ich muss diese Knöpfe so schnell wie möglich aufbekommen, und du lenkst mich ab.“ Plötzlich stockte er. „Was zum Teufel ist das?“
„Mein Strumpfhalter. Ich war mir nicht sicher, ob du ihn gemäß dem alten Brauch werfen willst … darum habe ich ihn vorsichtshalber angezogen.“ Langsam streichelte er ihre Oberschenkel und befühlte den Verschluss der Strapse.
„Er ist blau … Du weißt schon, etwas Geborgtes, etwas Blaues. Ich dachte, dieses Kleidungsstück könnte gut als etwas Geborgtes passen.“ Sie plapperte vor sich hin, doch das war ihr egal. Denn seine Berührungen raubten ihr allmählich den Verstand … Und wenn sie nicht redete, würde sie seine Hand greifen, um sie auf ihre harten Brustspitzen zu legen, damit er ihr nahezu schmerzhaftes Verlangen stillte.
Doch er zog seine Hand zurück. Pandora spürte, wie der Strumpfhalter an ihren Beinen entlangglitt. Manolis hob ihren Fuß und drehte sie zu sich, während er sich aufrichtete.
Ihr stockte der Atem.
Mit angespannter Miene und glühendem Blick hielt er das Strumpfband wie eine Trophäe in die Höhe.
„Das gehört mir“, rief er heiser. „Jeder perfekte Teil von dir gehört mir.“
Im nächsten Augenblick lagen seine Lippen fordernd auf ihren.
Auf Zehenspitzen stehend, schlang sie die Arme um seinen Nacken und schmiegte sich an ihn. Noch nie hatte sie eine derart stürmische Leidenschaft verspürt. Wie ausgehungert erwiderte sie seinen Kuss und presste sich noch fester an ihn.
„Langsam, mein Schatz, langsam“, stieß er keuchend hervor und schob sie sanft von sich.
„Ich …“ Sie unterbrach sich mit einem Kuss. „… kann nicht …“ Ein weiterer Kuss. „… länger warten.“
„Oh, Christos.“
Seine Hände umfassten ihren Po, dann hob er sie hoch. Ohne darauf zu achten, dass das kostbare Kleid hochrutschte, presste er sie an sich, bis … bis sie seine Erregung durch den Stoff hindurch spürte. Heiser flüsterte er etwas und zog sie höher, sodass sie den Boden unter den Füßen verlor. Manolis taumelte vorwärts.
„Manolis! Du wirst mich fallen lassen.“ Rasch schlang sie die Beine um seine Hüfte und verfing sich in den weichen Seidenfalten des Hochzeitskleides, als sie verzweifelt Halt suchte.
Zusammen landeten sie auf dem Bett. Atemlos vor Verlangen, schaute sie in seine faszinierenden grünen Augen.
„Ich kann nicht länger warten … keine Minute.“ Sein Körper drängte sich gegen ihren, ruhelos und fordernd. Sie spürte, dass er kurz davor war, die Kontrolle zu verlieren.
„Das Kleid … wir werden es ruinieren.“
„Vergiss das Kleid!“
„Das kann ich nicht. Die Schneiderin hat mir ständig in den Ohren gelegen, dass es sich um ein wertvolles Zeugnis der Geschichte handelt. Ich würde mich so schuldig fühlen …“
„Sch… Dann dreh dich um. Lass mich das verdammte Ding ausziehen.“ Hastig zog er sein Hemd aus.
Sekundenschnell bewunderte sie seinen nackten Oberkörper, der im weichen Licht der Nachttischlampen schimmerte. Der Anblick seiner Brustmuskeln und seines durchtrainierten Bauchs entlockte ihr ein Stöhnen.
Sofort hätte sie vor Verlegenheit sterben können.
Die Hand vor dem Mund, unterdrückte sie jedes demütigende Geräusch und drehte sich auf den Bauch, sodass Manolis ihr Gesicht nicht sehen konnte, nicht bemerken konnte, wie sehr sie sich nach ihm sehnte, ihn begehrte … Plötzlich zuckte sie zusammen, als sich der Rock dieses einmaligen Kleides in ihren Beinen verfing. „Oh, nein!“
„Ich befreie dich“, erklärte er amüsiert.
„Es ist nicht …“
„Ich weiß, es ist dieses verdammte Kleid.“ Jetzt klang er doch eine Spur enttäuscht.
Wie konnte sie ihm nur begreiflich machen, dass sie die Vorstellung, das kostbare Erbstück zu zerreißen oder zu beschädigen, nicht ertragen konnte?
Sobald Manolis’ Hand durch den Schlitz des Kleides, den er schon geöffnet hatte, hindurchschlüpfte und ihre Haut berührte – sanft und zärtlich –, hatte sie das Kleid im Nu vergessen.
„Mm“, seufzte sie lustvoll. „Ich dachte, du wolltest die Knöpfe öffnen.“
„Aber das hier macht viel mehr Spaß, agapi mou.“
Die sanfte Berührung seiner Lippen an ihren Kniekehlen ließ sie vor Wonne erschauern. „Manolis!“
Eine Reihe weiterer Küsse auf ihrer empfindsamen Haut folgte. Dort hielt er inne, und Pandora wartete gespannt, was als Nächstes passieren würde.
Sie hörte das Rascheln der Seide, spürte, wie er geschickt mit der Zunge ihre Schenkel liebkoste. Keuchend presste sie den Mund auf die Bettdecke, um ein lustvolles Stöhnen zu unterdrücken.
Leise fluchend zog er an dem Stoff, der sich unter ihr verfangen hatte. Sie hob die Hüften, um ihm zu helfen.
„Ich muss diese verdammten Knöpfe aufmachen, jeden einzelnen … ohne Knopfhaken“, flüsterte er lachend. „Dieses Mal fange ich lieber oben an. Das wird bestimmt nicht so schwer sein.“
Gott sei Dank.
Sie hob den Kopf und legte das Kinn auf die verschränkten Arme. Nachdem er sich rittlings auf sie gesetzt hatte und sein ganzes Gewicht auf ihren Schenkeln lastete, stöhnte sie verhalten.
„Bin ich zu schwer?“
„Nein.“
Ihr stockte der Atem, als seine Finger ihren Nacken berührten.
„Der erste Knopf.“ Er klang jetzt leicht resigniert. „Fünfundsiebzig, sagtest du? Ich glaube, ich habe erst die Hälfte geschafft. Wie lange dauert das noch?“
„Vielleicht vertreiben wir uns die Zeit mit etwas Small Talk?“
„Small Talk?“ Geringschätzig stieß er den Atem aus.
Pandora lächelte nervös. „Vielleicht über das Wetter?“
„Ja, lass uns über das Wetter reden. Es ist so heiß, dass ich fast keine Luft mehr bekomme. Trotz der Klimaanlage bin ich wahnsinnig heiß. Soll ich dir genau beschreiben, wie heiß ich bin?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: „Meine Haut glüht förmlich!“
Durch seine ungestümen Worte dachte sie wieder an seine Brust, seine bronzefarben schimmernde Haut, den durchtrainierten nackten Oberkörper. Wie sehr sehnte sie sich danach, ihn endlich zu berühren und seine glatte, warme Haut zu spüren.
„Was noch?“, fragte sie heiser.
„In mir tobt … ein Verlangen … das ich nie zuvor gespürt habe. Ich bin einunddreißig Jahre alt und fühle mich wie ein Junge. Ein Junge, der zupacken möchte, dich fest an sich drücken und besitzen möchte. Ich bin so heiß auf dich, so gottverdammt scharf …“
Sie war nicht in der Lage, etwas zu erwidern. Denn ihre Gedanken kreisten allein um das, was sie empfand. Wie er sie streifte, wenn er einen der Knöpfe aufmachte. Wie ein Luftzug ihre nackte Haut streichelte, nachdem er den Stoff beiseitegezogen hatte. Sie hörte das schwache Summen der Klimaanlage und sein heftiges Atmen in der plötzlichen Stille.
„Okay, das war’s zum Wetter. Gibt es noch andere Themen, die dir gefallen?“
Ihr Körper glühte so sehr vor Begehren nach dem wilden Ansturm seiner sinnlich, fordernden Worte, dass sie nur noch blindlings geradeaus starren konnte.
„Verdammt! Ich habe dich erschreckt, nicht wahr? Schockiert mit der Heftigkeit meines Verlangens nach dir. Manchmal vergesse ich, wie jung du bist und …“
„Manolis …“
„… wie unschuldig du bist. All diese Jahre im Mädchen-Internat, dann die Zeit, als du deinem Vater in seinem Betrieb geholfen hast. Man sollte mich bestrafen.“
Er hörte auf, an den Knöpfen zu ziehen. „Immer wieder habe ich mir gesagt, dass ich es langsam angehen muss, habe mir gesagt, ich darf …“
„Manolis.“
Dieses Mal hörte er sie und hielt inne.
Unfähig, ihm ins Gesicht zu sehen, schwieg sie. Es war schwierig, viel schwerer, als sie erwartet hatte. „Ich war nicht immer in der Schule oder mit meinem Vater zusammen. Ich habe auch Freunde besucht …“
„Das hat mir dein Vater erzählt“, unterbrach er sie. „Urlaub mit Schulfreundinnen, immer unter Aufsicht … Das kann man kaum Erfahrung nennen.“
„Ich bin nicht völlig unschuldig.“
„Was sagst du da?“
Sie fühlte, wie er leicht die Oberschenkel anspannte, und stutzte. Für derartige Diskussionen war es jetzt zu spät, eine Diskussion, die sie heutzutage für unerheblich hielt. Um Himmels willen, sie waren schließlich verheiratet. Was machte es schon für einen Unterschied?
Energisch verscheuchte sie Gedanken über das Thema und sagte heiser: „Ich will dich.“
Leise seufzend, wendete er sich wieder dem Kleid zu und zerrte mit fieberhafter Ungeduld erneut daran. „Diese verdammten Knöpfe! Pandora, mein Schatz, ich will dich auch … mehr, als ich dir sagen kann.“
„Dann rede nicht so viel, sondern zeig es.“
„Ich dachte, du wolltest dich unterhalten“, gab er leise lachend zurück. „Vielleicht können wir über Körper sprechen …“ Er zog etwas mehr Stoff von ihrem Rücken. „Oder Haut.“ Genussvoll strich er über ihre Wirbelsäule, von oben bis unten. „Soll ich dir erzählen, wie weich deine Haut ist?“
Ein herrliches Gefühl durchströmte sie wellenartig … bis zu ihrer empfindsamsten Stelle. Pandora erschauerte und streckte reflexartig die Zehen, um diese Freuden, die sie fast zu verzehren drohten, noch länger hinauszuzögern.
„Reden ist zu Silber“, murmelte sie, mühsam nach Atem ringend.
„Du möchtest also mehr Aktion?“ Schon spürte sie seine Lippen, eine Spur warmer Küsse auf ihrer Wirbelsäule. Und dann seine Zunge …