PEMA CHÖDRÖN
Meditieren – Freundschaft schließen mit sich selbst
Aus dem Amerikanischen von
Stephan Schuhmacher
Kösel
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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
How to Meditate. A Practical Guide to Making Friends with your Mind.
Copyright © 2013 by Pema Chödrön.
Published by arrangement with Sounds True, www.soundstrue.com
Copyright © 2013 Kösel-Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Umschlag: Weiss Werkstatt, München, unter Verwendung
eines Bildmotivs von: Shutterstock / © VikaSuh
ISBN 978-3-641-11324-7
V002
Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem
gesamten lieferbaren Programm finden Sie unter
www.koesel.de
Meditation besteht einfach darin,
uns so zu schulen, dass sich unser Geist und unser Körper
in Übereinstimmung bringen lassen.
Durch die Übung der Meditation können wir lernen,
ohne Trug sowie ganz wahrhaft und lebendig zu sein.
Chögyam Trungpa Rinpoche
Unser Leben ist eine unablässige Reise:
Die Übung der Meditation ermöglicht es uns,
sämtliche Aspekte des Pfades zu erfahren,
denn genau darum geht es auf unserer Reise.
Chögyam Trungpa Rinpoche
Inhalt
Einführung: Die Entscheidung für ein Leben aus vollem Herzen
Warum meditieren?
Erster Teil: Die Meditationstechnik
1 Sich auf die Übung vorbereiten und eine Verpflichtung eingehen
2 Den Geist stabilisieren
Übung: Mit dem gegenwärtigen Moment in Kontakt kommen
Übung: Der Body Scan
3 Die sechs Punkte der Körperhaltung
Sitz
Hände
Der Rumpf
Augen
Gesicht
Die Beine
4 Der Atem: Die Übung des Loslassens
5 Die Einstellung: Immer wieder zurückkommen
6 Bedingungslose Freundlichkeit
7 Sie sind Ihr eigener Meditationslehrer
Zweiter Teil: Mit den Gedanken arbeiten
8 Der Affengeist
9 Die drei Ebenen des diskursiven Denkens
10 Gedanken als Meditationsobjekt
Übung: Gedanken als ein Objekt der Meditation benutzen
11 Alle Dharmas als Träume ansehen
Dritter Teil: Mit den Gefühlen arbeiten
12 Mit unseren Gefühlen vertraut werden
13 Der Raum innerhalb der Gefühle
14 Gefühle als Meditationsobjekt
Übung: Erinnerungen als Stütze für die Meditation benutzen
15 Sich die Hände schmutzig machen
16 Bei der Erfahrung bleiben
17 Mit der Emotion atmen
18 Die Geschichte fallen lassen und das Gefühl finden
Übung: Das Gefühl auffinden
Vierter Teil: Mit Sinneswahrnehmungen arbeiten
19 Die Sinneswahrnehmungen
Geräusche als Meditationsobjekt
Übung: Ein Geräusch als Meditationsobjekt
Anblicke als Meditationsobjekt
Übung: Ein Anblick als Meditationsobjekt
Das Fühlen als Objekt der Meditation
Übung: Etwas Gefühltes als Meditationsobjekt
Das Schmecken als Meditationsobjekt
Übung: Geschmack als Meditationsobjekt
20 Die Vernetztheit aller Wahrnehmungen
Fünfter Teil: Das Herz öffnen, damit es alles umfangen kann
21 Vom Kampf ablassen
Übung: Die Aufmerksamkeit auf eine einfache Aktivität als Meditation
22 Die Sieben Beglückungen
23 Die erträgliche Leichtigkeit des Seins
24 Überzeugungen
25 Entspannt mit der Bodenlosigkeit umgehen
26 Einen Kreis von Übenden bilden
27 Ein Gefühl des Staunens kultivieren
28 Der Weg des Bodhisattvas
Über die Autorin
Zum Weiterlesen: Deutschsprachige Bücher von Pema Chödrön
»Pema ist eine unserer beliebtesten und hilfreichsten Lehrerinnen – praktisch, mitfühlend und weise. Meditieren – Freundschaft schließen mit sich selbst ist eine wunderbare Gelegenheit, sich ihre Lehren zu Herzen zu nehmen und eine Meditationspraxis aufzubauen.«
Jack Kornfield, Autor von Frag den Buddha – und geh den Weg des Herzens und Das innere Licht entdecken.
»Dieses neue Buch von Ani Pema ist eine wunderbare Zusammenstellung von Meditationsunterweisungen, die sie selbst im Laufe der Jahre vielen ihrer Schüler gegeben hat. Diese Anleitungen haben sich als dermaßen hilfreich für andere erwiesen, dass sie zu einer der beliebtesten und am meisten verehrten buddhistischen Lehrerinnen der Moderne geworden ist. Mit ihrem brillanten Geist und einer unerschütterlich fröhlichen Einstellung zum Leben praktiziert sie selbst, was sie lehrt. Für Tausende von Lesern ist sie eine große Stütze und eine spirituelle Freundin, und ich bin ganz sicher, dass dieses Buch, mit dem sie den aufrichtigen Versuch macht, uns alle anzusprechen, vielen Menschen in ihrem Alltagsleben helfen wird.«
Dzigar Kongtrül Rinpoche, Autor von Licht bricht durch und Dein Leben liegt in deiner Hand.
EINFÜHRUNG:
Die Entscheidung
für ein Leben aus
vollem Herzen
***
Das Prinzip der Jetztheit ist für jedes Bestreben,
eine erleuchtete Gesellschaft zu schaffen,
von größter Bedeutung. Sie mögen sich fragen,
auf welche Weise Sie die Gesellschaft am besten
zu unterstützen vermögen und wie Sie wissen können,
dass das, was Sie tun, auch wirklich authentisch und gut ist.
Die einzige Antwort besteht in der Jetztheit.
Durch die Übung der Meditation gelangen Sie dazu,
sich zu entspannen oder Ihren Geist in der Jetztheit
ruhen zu lassen. In der Meditation nehmen Sie
eine unvoreingenommene Einstellung an.
Sie lassen die Dinge sein, wie sie sind,
ohne sie zu beurteilen, und auf diese Weise lernen Sie
ganz von selbst, zu leben.
Chögyam Trungpa Rinpoche
Der Geist ist ausgesprochen ungestüm. Das menschliche Leben ist voll von unvorhersehbaren und paradoxen Erfahrungen, Freuden und Sorgen, Erfolgen und Fehlschlägen. In der unermesslichen Landschaft unseres Daseins können wir keiner dieser Erfahrungen ausweichen. Sie ist ein Teil dessen, was das Leben so großartig macht – und ihre Unermesslichkeit führt dazu, dass unser Geist uns auf einen derart verrückten Ritt mitnimmt. Vermögen wir uns durch Meditation darin zu schulen, den wilden Sprüngen unserer Erfahrungen offener und mit mehr Akzeptanz zu begegnen, und bringen wir es fertig, uns auf die Schwierigkeiten des Lebens und den Ritt unseres Geistes einzulassen, dann können wir inmitten all dessen, was das Leben mit sich bringt, ausgeglichener und entspannter werden.
Es gibt die unterschiedlichsten Möglichkeiten, mit dem Geist zu arbeiten. Eine der wirksamsten Methoden ist, das Hilfsmittel der Sitzmeditation anzuwenden. Die Sitzmeditation öffnet uns für jeden einzelnen Moment unseres Lebens. Jeder Augenblick ist völlig einzigartig und unbekannt. Unsere mentale Welt scheint vorhersehbar und greifbar zu sein. Wir glauben, uns auf sicherem Boden zu befinden, wenn wir alle Ereignisse unseres Lebens sowie das, was wir damit anfangen wollen, durchdenken. Aber all das ist nur eine Phantasie, und eben dieser Moment, ohne jede begriffliche Überlagerung, ist vollkommen einzigartig. Er ist total unbekannt. Wir haben genau diesen Augenblick niemals zuvor erfahren, und der nächste Augenblick wird nicht derselbe sein wie der, in dem wir uns jetzt befinden. Meditation lehrt uns, unmittelbar mit dem Leben umzugehen, sodass wir den gegenwärtigen Moment wirklich erfahren können, frei von begrifflicher Überlagerung.
Gehen wir von der Sichtweise des Dharma aus – mit anderen Worten von der Lehre des Buddha über die Wahrheit dessen, was ist –, dann besteht der Zweck der Übung der Meditation darin, das Leiden zu überwinden. Vielleicht fühlen sich deshalb so viele Menschen zur Meditation hingezogen. Im Allgemeinen sitzen Menschen nämlich nicht in der Meditationshaltung, wenn sie nicht irgendwelche Schwierigkeiten haben. Aber in den buddhistischen Lehren geht es nicht nur um die Beseitigung der Symptome des Leidens. Ihr Anliegen ist vielmehr, die Ursache oder die Wurzel des Leidens auszurotten. Der Buddha sagte: »Ich lehre nur eine einzige Sache: das Leiden und das Verlöschen des Leidens.«
In diesem Buch möchte ich betonen, dass der Geist die Wurzel des Leidens ist – unser Geist. Und der Geist ist auch die Wurzel unseres Glücks. Der Weise Shantideva gibt dort, wo er in seinem Werk Bodhicharyavatara das Thema des Leidens behandelt, die folgende berühmte Analogie für unsere Bemühungen, unser Leiden zu lindern. Er sagte: »Wenn du über die Erde läufst und dies deine Füße schmerzen lässt, dann könntest du vielleicht auf die Idee kommen, die ganze Erde mit Tierhäuten abzudecken, damit die spitzen Steine dir nicht mehr wehtun. Doch woher sollte man so viel Leder nehmen? Stattdessen könntest du dir einfach um beide Füße ein Stück Leder wickeln; dann ist es so, als wäre die ganze Welt mit Leder bedeckt und du bist immer geschützt.«
Mit anderen Worten: Sie könnten endlos versuchen, das Leiden zu beenden, indem Sie sich mit den äußeren Bedingungen auseinandersetzen – das, was wir alle gewöhnlich tun. Die übliche Herangehensweise ist: Sie versuchen einfach immer wieder, die äußeren Probleme zu lösen. Doch der Buddha sagte etwas ziemlich Revolutionäres, das die meisten von uns ihm nicht wirklich abnehmen: Wenn Sie mit Ihrem Geist arbeiten, wird dies alles Leiden lindern, das von außen zu kommen scheint. Bereitet Ihnen etwas Probleme – ein Mensch, der Sie ärgert, eine Situation, die Sie stört, oder körperlicher Schmerz, unter dem Sie leiden –, dann müssen Sie mit dem Geist arbeiten, und das geschieht in der Meditation. Mit unserem Geist zu arbeiten, ist der einzige Weg, uns in der Welt, in der wir leben, tatsächlich zufrieden und glücklich fühlen zu können.
Was die Vorstellung vom »Leiden« angeht, gilt es, eine wichtige Unterscheidung zu treffen. Als der Buddha sagte: »Ich lehre nur eine einzige Sache: das Leiden und das Verlöschen des Leidens«, benutzte er das Wort dukkha für »Leiden«. Dukkha ist etwas anderes als Schmerz. Schmerz ist, ebenso wie Freude, ein unvermeidlicher Teil des Lebens. Freude und Schmerz wechseln einander ab, und sie gehören einfach zum Leben eines jeden in diese Welt geborenen Wesens mit Körper und Geist.
Der Buddha sagte nicht etwa: »Ich lehre nur eine einzige Sache: den Schmerz und das Verlöschen des Schmerzes.« Er sagte: Schmerz gibt es einfach. Indem wir heranreifen und erwachsen werden, müssen wir uns mit der Tatsache anfreunden, dass es in unserem Leben nun einmal Schmerz gibt. Es wird Ihnen nicht gelingen, einen Punkt zu erreichen, an dem Sie keinen Kummer mehr empfinden, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Sie werden auch keinen Punkt erreichen, an dem Sie keine blauen Flecken mehr bekommen, wenn Sie die Treppe hinunterfallen. Wenn Sie älter werden, haben Sie vielleicht Rückenschmerzen oder Ihnen tun die Knie weh. All dies und vieles mehr kann passieren.
Selbst ein sehr fortgeschrittener Meditierender erfährt Stimmungen. Die Energien, die durch Menschen hindurchströmen – die massiveren, bedrückenderen davon nennen wir Depression, Furcht oder Angst –, also diese Arten von Stimmungsenergien durchströmen alle Lebewesen, genauso wie sich das Wetter von Tag zu Tag ändert. Unser inneres Klima ändert und wandelt sich unablässig, ob wir nun völlig erleuchtet sind oder nicht. Darum stellt sich die Frage: Wie gehen wir mit diesen sich ständig verändernden Energien um? Müssen wir uns total mit ihnen identifizieren, uns von ihnen mitreißen und herunterziehen lassen?
Das Wort dukkha wird auch als »Unzufriedenheit« oder »Unbefriedigtsein« übersetzt. Dukkha wird dadurch am Leben erhalten, dass wir fortwährend mit der Realität des menschlichen Lebens unzufrieden sind, weil wir uns einfach nicht mit der Tatsache abfinden wollen, dass unangenehme Situationen nun einmal ebenso zum Leben gehören wie angenehme. Alle Lebewesen neigen sehr stark zu dem Wunsch, dass die erfreulichen und angenehmen Gefühle, die Gefühle von Behaglichkeit und Sicherheit, ihr ganzes Leben ausfüllen mögen. Tritt irgendeine Art von Schmerz auf – erfahren wir also Unannehmlichkeiten, Unwohlsein oder Unsicherheit –, dann möchten wir das vermeiden und davonlaufen. Und genau deshalb wenden wir uns der Meditation zu.
WARUM MEDITIEREN?
Wir meditieren nicht, um uns behaglich zu fühlen. Bei der Meditation geht es, anders gesagt, nicht darum, sich immer und die ganze Zeit wohlzufühlen. Ich kann mir vorstellen, dass diese Aussage Sie schockiert, weil so viele Menschen bloß deshalb zur Meditation kommen, um sich »besser zu fühlen«. Nun, es wird Sie beruhigen, dass der Zweck der Meditation auch nicht darin besteht, sich schlecht zu fühlen. Die Meditation gibt uns vielmehr Gelegenheit zu offener, mitfühlender Aufmerksamkeit gegenüber dem, was gerade geschieht. Der meditative Raum ist wie das weite Firmament – geräumig und so unermesslich weit, dass er alles aufnehmen kann, was auftaucht.
In der Meditation werden unsere Gedanken und Gefühle wie die Wolken, die kurze Zeit verweilen und sich dann auflösen. Gut und behaglich, angenehm und schwierig und schmerzlich – all dies kommt und geht. Die Meditation besteht also im Wesentlichen darin, uns in etwas zu schulen, das ziemlich radikal ist und ganz bestimmt nicht dem Gewohnheitsmuster unserer Spezies entspricht – nämlich bei uns zu bleiben, ganz gleich, was geschieht, und unsere Erfahrung nicht noch zusätzlich mit Benennungen wie gut und schlecht, richtig und falsch, rein und unrein zu versehen.
Ginge es in der Meditation nur darum, sich gut zu fühlen (und ich glaube, wir alle hoffen insgeheim, dass es genau darum geht), dann hätten wir oft das Gefühl, etwas falsch zu machen. Denn die Erfahrung der Meditation kann manchmal durchaus schwierig sein. An einem typischen Tag oder in einer typischen Meditationsklausur ist es keineswegs etwas Ungewöhnliches, wenn ein Meditierender Langeweile, Ruhelosigkeit, Rückenschmerzen, Schmerzen in den Knien, ja sogar seelische Schmerzen erfährt – also eine Menge Gefühle, die gar nicht so »gut« sind. Bei der Meditation geht es vielmehr um eine mitfühlende Offenheit und die Fähigkeit, inmitten aller möglicher Erfahrungen bei sich selbst zu bleiben sowie bei der Situation, in der man sich befindet.
In der Meditation öffnen Sie sich für das, was Ihnen das Leben auftischt. Sie stellen dabei eine Verbindung zur Erde her und kehren genau zum Hier und Jetzt zurück. Es gibt zwar Arten der Meditation, die eher besondere Bewusstseinszustände anstreben und mit denen man die Schwierigkeiten des Lebens überwinden will, aber bei der Art von Meditation, in der ich mich geschult habe und die ich hier lehre, geht es darum, ganz und gar zu unserem Leben zu erwachen. Es geht darum, das Herz und den Geist für die Schwierigkeiten und Freuden des Lebens – genauso, wie es ist – zu öffnen. Und die Früchte dieser Art von Meditation sind unermesslich.
Wenn wir meditieren, pflegen wir fünf Eigenschaften, die im Laufe der Monate und Jahre unserer Praxis mehr und mehr zum Vorschein kommen. Wann immer Sie sich die Frage stellen: »Warum meditiere ich überhaupt?«, mag es hilfreich sein, sich wieder mit diesen Eigenschaften zu verbinden.
Die erste Eigenschaft – also das Erste, was wir tun, wenn wir meditieren – besteht darin, in uns selbst Standhaftigkeit zu entwickeln und zu pflegen. Ich sprach einmal mit einer Frau über diese Eigenschaft und sie fragte mich: »Ist diese Standhaftigkeit eine Art von Loyalität? Wem oder was bringen wir Loyalität entgegen?« Durch die Meditation entwickeln wir eine Loyalität gegenüber uns selbst. Und diese Standhaftigkeit, die wir in der Meditation kultivieren, geht direkt in eine Loyalität gegenüber unserer Erfahrung des Lebens über.
Standhaftigkeit bedeutet, dass Sie sich dann, wenn Sie sich zum Meditieren hinsetzen, erlauben, genau das zu erfahren, was in diesem Augenblick geschieht. Es könnte sein, dass Ihre Gedanken gerade mit 150 Stundenkilometern dahinrasen, dass Ihr Körper zuckt, dass es in Ihrem Kopf hämmert und Ihr Herz voller Angst ist. Was immer es ist: Sie bleiben bei der Erfahrung. Das ist alles. Manchmal kann es sein, dass Sie eine Stunde lang sitzen und es einfach nicht besser wird. Dann mögen Sie sagen: »Schlechte Meditationssitzung. Ich hatte gerade eine ganz schlechte Meditationssitzung.« Aber die Bereitschaft, für zehn Minuten, fünfzehn Minuten, zwanzig Minuten, eine halbe Stunde, eine Stunde oder eben so lange, wie Sie dagesessen haben, einfach zu sitzen, ist eine mitfühlende Geste, durch die Sie Loyalität und Standhaftigkeit sich selbst gegenüber entwickeln.
Wir neigen dazu, jegliches Geschehen zusätzlich mit allen möglichen Benennungen, Meinungen und Urteilen zu versehen. Standhaftigkeit – also Loyalität gegenüber sich selbst – bedeutet, dass wir Abstand davon nehmen, auf diese Weise zu urteilen. Ein Teil der Standhaftigkeit besteht also gewissermaßen darin, dass wir es dann, wenn unser Geist mit Lichtgeschwindigkeit dahinrast und wir an alle möglichen Dinge denken, zu diesem ungekünstelten Moment kommen lassen, der keinerlei Mühe bedarf: Wir bleiben einfach bei unserer Erfahrung. In der Meditation entwickeln Sie diese unterstützende Eigenschaft von Loyalität und Standhaftigkeit sowie Ausdauer sich selbst gegenüber. Und indem Sie lernen, dies in der Meditation zu tun, entwickeln Sie Ihre Fähigkeit, auch in allen möglichen Situationen außerhalb Ihrer Meditation – in dem Zustand, den wir Nachmeditation nennen – standhaft und ausdauernd zu bleiben.
Die zweite Eigenschaft, die wir in der Meditation entwickeln, ist das der Standhaftigkeit ähnelnde klare Sehen. Manchmal wird es auch klares Bewusstsein genannt. Durch Meditation erlangen wir die Fähigkeit, uns selbst dabei zu ertappen, wie wir abschweifen, wie wir Menschen und Umständen gegenüber abweisend werden oder uns irgendwie dem Leben verschließen. Wir beginnen es zu bemerken, sobald eine neurotische Kettenreaktion in Gang kommt, eine Reaktion, die unser Vermögen, Freude zu erfahren oder uns mit anderen zu verbinden, einschränkt. Man könnte annehmen, dass wir in der Meditation, weil wir dabei so still sitzen und uns auf den Atem konzentrieren, nicht sehr viel mitbekommen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Durch die Entwicklung von Standhaftigkeit, also der Fähigkeit, in der Meditation bei der Situation zu bleiben, kommt es allmählich zu einer Form von nichturteilender, unvoreingenommener Klarheit bloßen Sehens. Gedanken kommen, Gefühle kommen, und wir sehen sie glasklar.
In der Meditation kommen Sie sich selbst immer näher und Sie beginnen, sich selbst immer besser zu verstehen. Sie fangen an, ohne begriffliche Analyse klar zu sehen, weil Sie bei regelmäßiger Übung erkennen, wie Sie immer und immer wieder dieselben Dinge tun. Sie sehen, dass Sie stets aufs Neue dieselbe Schallplatte in Ihrem Geist abspielen. Der Name des Partners mag sich ändern, es mag ein anderer Chef sein, aber die gleiche Thematik wiederholt sich. Die Meditation hilft Ihnen, sich selbst sowie die Gewohnheitsmuster, die Ihr Leben einschränken, klar zu sehen. Sie beginnen auch, Ihre Meinungen deutlich zu sehen. Sie sehen Ihre Urteile. Sie sehen Ihre Verteidigungsmechanismen. Die Meditation vertieft das Verständnis Ihrer selbst.
Auf die dritte Eigenschaft, die wir in der Meditation kultivieren, habe ich schon im Zusammenhang mit der Standhaftigkeit und dem klaren Sehen angespielt. Sie zeigt sich, wenn wir es uns erlauben, in der Meditation mit unseren emotionalen Nöten zu sitzen. Ich halte es für dringend nötig zu betonen, dass dies eine separate Eigenschaft ist, die wir in der Übung entwickeln. Werden wir in der Meditation nämlich von emotionalen Nöten bedrängt (und das ist unvermeidlich), dann haben wir oft das Gefühl, wir würden »etwas falsch machen«. Die dritte Eigenschaft also, die sich organisch in uns zu entwickeln scheint, ist Mut; allmählich stellt sich immer mehr Mut ein. Das Wort »allmählich« ist, wie ich meine, hier sehr wichtig, weil dies ein langwieriger Prozess sein kann. Doch mit der Zeit stellen Sie fest, dass Sie den Mut entwickeln, Ihr emotionales Unbehagen sowie die Herausforderungen und Prüfungen des Lebens anzunehmen.
Meditation ist eher ein Prozess der langsamen Transformation als ein magischer Umschwung, der aus dem hartnäckigen Versuch entspringt, etwas an uns selbst zu ändern. Je mehr wir üben, je mehr wir uns öffnen, desto mehr Mut entwickeln wir in unserem Leben. In der Meditation haben Sie nie das Gefühl, es »geschafft« zu haben oder »angekommen« zu sein. Sie haben vielmehr das Gefühl, sich einfach nur genügend entspannt zu haben, um das, was schon immer in Ihnen vorhanden war, erfahren zu können. Ich nenne diesen Prozess der Transformation manchmal »Gnade«. Entwickeln wir nämlich diesen Mut, mit dem wir fähig sind, das ganze Spektrum unserer Gefühle zuzulassen, dann können sich blitzartig Momente der Einsicht einstellen – Einsichten, die wir niemals gewonnen hätten, wenn wir versucht hätten, gedanklich zu ergründen, was mit uns oder mit der Welt nicht stimmt. Zu diesen Momenten der Einsicht kommt es durch den Akt des Sitzens in Meditation, der Mut verlangt – einen Mut, der im Lauf der Zeit wächst.
Indem wir diesen Mut entwickeln, wird uns oft eine Veränderung unserer Weltsicht geschenkt, die nicht unbedingt dramatisch sein muss. Die Meditation erlaubt es Ihnen, etwas ganz Neues zu sehen, das Sie nie zuvor gesehen haben, oder etwas Neues zu verstehen, das Sie nie zuvor verstanden haben. Manchmal nennen wir diese Geschenke der Meditation »Segnungen«. Sie lernen in der Meditation, sich selbst lange genug aus dem Weg zu räumen, damit Ihre eigene Weisheit sich manifestieren kann, und dazu kommt es, weil Sie diese Weisheit nicht länger unterdrücken.
Haben Sie erst einmal den Mut entwickelt, auch die schlimmsten Ihrer emotionalen Nöte zu erfahren, und sitzen Sie in der Meditation einfach mit diesen Nöten, dann wird Ihnen klar, wie viel Trost und wie viel Sicherheit Ihre mentale Welt Ihnen gewährt. Denn an dem Punkt, wo die Gefühle sehr stark werden, kommen Sie wirklich in Kontakt mit dem Fühlen, mit der Energie, die Ihren Gefühlen zugrunde liegt. Mit diesem Buch werden Sie lernen, wie Sie anfangen können, die Worte und die Geschichten so gut wie möglich loszulassen und einfach nur zu sitzen. Im Zuge dessen erkennen Sie, dass Sie die Erinnerung, die Geschichte Ihrer Emotionen, geradezu zwanghaft erneut durchleben oder sich davon abspalten. Sie mögen entdecken, dass Sie dann oft in Phantasien über etwas Angenehmes abschweifen. Doch das Geheimnis der Meditation ist, dass wir im Grunde nichts Derartiges tun wollen. Ein Teil von uns möchte wirklich erwachen und offen sein. Die menschliche Spezies möchte sich lebendiger und wach für das Leben fühlen. Allerdings fühlt sich die menschliche Spezies auch mit der vergänglichen, sich ständig verändernden Qualität der Energie der Wirklichkeit nicht wohl.
Einfach gesagt: Viele von uns geben sich lieber der Annehmlichkeit ihrer mentalen Phantasien und Pläne hin, und genau das ist der Grund dafür, dass die meditative Übung so schwierig ist. Unsere emotionalen Nöte zu erfahren und all diese Eigenschaften zu pflegen – Standhaftigkeit, klares Sehen und Mut –, erschüttert unsere Gewohnheitsmuster wirklich in ihren Grundfesten. Die Meditation lockert unsere Konditionierung; sie löst den Leim, der uns zusammenhält, die Art und Weise, auf die wir unser Leiden verlängern.
Die vierte Eigenschaft, die wir in der Meditation entwickeln, ist etwas, auf das ich bereits hingewiesen habe, nämlich die Fähigkeit, zu unserem Leben zu erwachen,
Dieser Punkt, an dem wir an unsere Grenze gelangen, an dem wir den gegenwärtigen Augenblick und das Unbekannte akzeptieren müssen, ist ein ganz wichtiger Punkt für all jene, die zu einem offenen Herzen und Geist erwachen wollen. Der gegenwärtige Moment ist die treibende Kraft unserer Meditation. Er ist das, was uns antreibt, uns zu wandeln. Der gegenwärtige Augenblick ist, mit anderen Worten gesagt, der Treibstoff für unsere persönliche Reise. Die Meditation hilft uns, an unsere Grenze zu gehen. Das ist der Punkt, wo wir an den Rand des Abgrunds gelangen und den Halt unter den Füßen verlieren. Wenn Sie sich dem Unbekannten des Augenblicks stellen, ermöglicht Ihnen das, Ihr Leben in vollen Zügen zu leben und Ihre Beziehungen und Verpflichtungen engagierter anzugehen. Dann leben Sie rückhaltlos.
Sie beginnen hier zum Beispiel gerade damit, ein Buch einer »gestandenen Nonne« über die richtige Art und Weise der Meditation zu lesen. Und Sie müssen wissen, dass immer noch Dinge passieren, die mich auf die Palme bringen. Auch nach vielen Jahren der Meditation gibt es Momente, in denen es mir schwerfällt, mich dem gegenwärtigen Augenblick zu stellen. Vor einigen Jahren machte ich allein mit meiner Enkelin, die damals sechs Jahre alt war, eine Reise. Es war eine ziemlich ernüchternde Erfahrung, denn meine Enkelin zeigte sich extrem schwierig. Sie war mit rein gar nichts einverstanden, und ich verlor mit dem kleinen Engel, den ich über alles liebe, immer wieder die Geduld. Also sagte ich: »Hör mal, Alexandria, das ist eine Sache nur zwischen der Oma und dir – in Ordnung? Du wirst niemandem erzählen, was hier vorgefallen ist. Du hast doch die Bilder von Oma auf dem Umschlag von Büchern gesehen, nicht wahr? Wenn du jemanden siehst, der so ein Buch bei sich hat, dem erzählst du auf keinen Fall, was hier los war!«
Sollten Sie also fragen, warum wir meditieren, dann lautet meine Antwort: Um flexibler und toleranter mit dem gegenwärtigen Augenblick umgehen zu können. So können Sie, wenn Sie im Sterben liegen, von der Krankenschwester genervt sein und sich trotzdem sagen: »Na ja, so ist das Leben nun einmal.« Sie lassen das einfach durch sich hindurchziehen. Sie können damit in Frieden sein, und vielleicht sterben Sie sogar lachend. Was für ein Glück, dass Sie gerade an diese Krankenschwester geraten sind! Sie können sagen: »Das Ganze ist einfach absurd!« Diese Menschen, die unsere Tarnung auffliegen lassen, nennen wir »Gurus«.
fünfte Eigenschaft,
Die Meditation hilft uns also, dieses Gefühl von »Keine große Sache« zu entwickeln – nicht als eine zynische Aussage, sondern als Ausdruck von Humor und Flexibilität. Sie haben schon eine Menge gesehen, und weil Sie alles sehen, können Sie alles lieben.