Lennard Fanlay ist Sicherheitschef des Flughafen San Francisco. In jeder Folge von TERMINAL 3 löst er einen Fall. Die Geschichten werden aus seiner Sicht und der Perspektive weiterer Beteiligter geschildert.
Dave Austen, Besitzer eines Donut-Shops und Ex-Krimiautor, sucht Stoff für eine Story und gerät selbst hinein. Sharon Jacinto aus dem Laden gegenüber verkauft Figuren mit brisantem Inhalt, weil ein gewisser Mr Bronsky sie in der Hand hat. Und Lennard Fanlay erweckt das Missfallen von Sharons Kunden und hetzt sich einen Killer auf den Hals …
Drei Menschen. Drei Schicksale. Eine Geschichte.
Erscheint in monatlichen Folgen.
TERMINAL 3
FOLGE 5
Die Methode Bronsky
BASTEI ENTERTAINMENT
Juni 2012
Digitale Originalausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2012 by Psychothriller GmbH und
Bastei Lübbe AG, Köln
Titelillustration: Stefanie Bemman
Datenkonvertierung E-Book:
Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-8387-2034-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Ich schalte das Diktiergerät aus.
Das war garantiert meine letzte Aufnahme. Ich habe alles verbockt. Ich bin ein Mörder. Dabei wollte ich eigentlich nur ein wirklich gutes Buch schreiben. Eines, das den Leser von der ersten bis zur letzten Seite packt. Ist mir leider nicht gelungen. Aber mein Abgang wird dafür umso spektakulärer sein. Dave Austen schafft es doch noch einmal in die Schlagzeilen.
Ich überprüfe das stählerne Seil an meinem Hals.
Gut! Sitzt perfekt.
Oh! Da kommt Fanlay angerannt. Der Sicherheitschef vom Terminal.
Ich muss mich beeilen.
Ich starte den Motor.
Wie lange können die Augen noch sehen, wie viele Sekunden kann das menschliche Hirn noch denken, wenn der Kopf vom Körper getrennt wird?
Ich werde es gleich wissen.
Nur schade, dass ich es nicht aufschreiben kann. Das wäre eine Story! Die Verlage würden sich darum reißen.
Noch gut hundert Meter.
Der alte bronzefarbene Volvo-Kombi steht auf dem Parkplatz des Terminals.
Parkbucht C 101.
Reserviert für Dave Austen. Seit kurzer Zeit ist Dave Inhaber eines neu eröffneten Donut-Shops im Flughafen.
Ich kann ihn jetzt sehen. Er sitzt hinter dem Lenkrad. Mein Assistent Marc Irving entsichert neben mir im Laufen seine Dienstwaffe. Er ist noch nicht einmal außer Atem, während ich schnaufe und mir der Schweiß über den Rücken rinnt.
Noch fünfzig Meter.
Dave Austen starrt durch die Frontscheibe stur geradeaus. Die Heckklappe seines Kombis steht auf. Ein Seil führt vom Innenraum des Wagens bis zur nächsten Laterne. Was hat das zu bedeuten?
Austen startet den Motor. Marc hebt die Waffe.
»Der will abhauen«, sagt er.
»Nicht schießen!«, ächze ich und rufe dann so laut ich kann: »Dave! Warten Sie! Lassen Sie uns reden!« Ich gerate ins Straucheln und wäre beinahe lang hingeschlagen. Als ich mich wieder gefangen habe, sehe ich, dass Austen in meine Richtung blickt. Sein Gesicht ist kalkweiß. Er hebt die Hand und winkt mir kurz zu. Dann gibt er Vollgas.
Das Seil strafft sich, und Dave Austen ist mit einem Mal hinter dem Lenkrad verschwunden.
Marc und ich bleiben verwirrt stehen. Der Volvo rast mit unverminderter Geschwindigkeit noch ein gutes Stück vorwärts und prallt dann mit solcher Wucht in einen parkenden Van, dass dessen Heck nachgibt, als sei es aus Presspappe. Verdammt solide, so ein schwedisches Auto!
Auf halber Strecke zwischen Start und Aufprall kullert etwas über den Asphalt. Ich halte es zuerst für einen Ball, doch als das runde Ding endlich liegen bleibt, kann ich erkennen, was es in Wirklichkeit ist.
Mein Assistent Marc hat die besseren Augen von uns beiden. Er kotzt sich bereits auf die Schuhe.
Da vorn liegt Dave Austens Kopf am Boden. Gnädigerweise ist das Gesicht von uns abgewandt.
Jetzt verstehe ich. Er hat sich das Seil um den Hals geschlungen, den Sicherheitsgurt angelegt und dann Gas gegeben. Die Wucht der Beschleunigung riss ihm den Kopf vom Rumpf.
Was für eine beschissene Methode, sich aus dem Leben zu stehlen! Kurz wallt Zorn in mir auf, weil uns der Kerl eine solche Schweinerei hinterlassen hat.
Ich versuche mich zu beruhigen, gehe zügig weiter, ziehe dabei mein Jackett aus und lege es über den Kopf. Gerade noch rechtzeitig. Die ersten Schaulustigen kommen angerannt.
»Halten Sie die Leute von Austens Wagen fern!«, rufe ich in Marcs Richtung. Im Innern des Volvos dürfte es ziemlich übel aussehen.
Marc torkelt mit ausgebreiteten Armen auf das Fahrzeug zu. Er nuschelt den Leuten etwas Unverständliches zu. Sein Anblick, er wirkt auf mich wie ein verschreckter Pavian, lässt sie auf Abstand gehen.
Hätte ich nur früher geahnt, was sich da in der Mall meines Flughafens zusammenbraute. Dave Austen würde dann vermutlich noch leben.
Ich begegnete ihm zum ersten Mal vor ungefähr einer Woche. Auch da war er ziemlich kopflos, allerdings im übertragenen Sinne …
ABC-Donuts steht in leuchtend roten Buchstaben über dem neu eröffneten Ladenlokal in der Mall meines Terminals. Ein Schild verspricht Donuts in jeder Geschmacksrichtung des Alphabets. Von A wie Ananas bis Z wie Zucchini.
Herrje!, denke ich. Was für eine Geschäftsidee!
Heute ist der Eröffnungstag. Um sieben Uhr soll es losgehen. Ich schaue auf meine Armbanduhr. Noch eine knappe halbe Stunde Zeit für den armen Kerl, der hinter der Glasfront wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her rennt. Tische abwischt, Stühle zurechtrückt und dann versucht, einen Gummi-Donut – groß wie ein Lkw-Reifen – mit dem Mund aufzublasen. Seine Gesichtsfarbe wechselt von rot zu violett – unsere Blicke treffen sich –, dann fällt der Bursche einfach um.
Ich renne in den Laden. Zum Glück ist die Tür nicht verschlossen. Der Mann liegt auf dem Boden. Seine Augen sind geöffnet. Er versucht sich aufzurichten und wirkt dabei wie jemand, der keinen blassen Schimmer hat, wo er sich aktuell befindet.
Ich ziehe ihn hoch. Jetzt ist sein Gesicht blass mit ein paar roten Flecken. Er betrachtet zuerst die schlaffe Hülle des Werbe-Donuts am Boden und dann mich. Der Mann scheint langsam wieder in die Realität zurückzufinden.
»Danke!«, sagt er.
Ich will ihn gerade darauf aufmerksam machen, dass er so ein Ding besser nicht mit dem Mund aufblassen sollte, als aus einem Raum hinter der Verkaufstheke ein schlaksiger schwarzer Junge von siebzehn, achtzehn Jahren hervorkommt. Er trägt eine rot-weiß gestreifte Schürze und eine kreisrunde Kappe, auf deren Schirm die Buchstaben ABC prangen. Er hält eine Luftpumpe in der Hand. »Hab` sie gefunden, Boss!«, ruft er.
»Gut, Stanley«, sagt der Mann noch immer ziemlich atemlos. »Pump das Ding auf und häng es dann draußen auf.«
Er reicht mir die Hand. »Dave Austen, Filialleiter von ABC-Donuts.«
Er ist ungefähr Mitte dreißig, knapp einen Meter siebzig, und ich kann sehen, dass sich sein kastanienbraunes Haar direkt auf seinem Schädel lichtet. Irgendwann wird er damit aussehen wie ein Mönch mit Tonsur.
»Lennard Fanlay, Leiter der zivilen Sicherheit in diesem Terminal«, stelle ich mich vor. »Willkommen!«
»Wie finden Sie es?« Dave Austen breitet die Arme aus. Ich betrachte die Auslagen. Donuts in allen Farben. Hinter dem Glas der Verkaufstheke zu kleinen Pyramiden gestapelt.
»Tja«, sage ich und versuche zu verbergen, dass ich nichts von dem klebrigen Zeug halte. »Sieht lecker aus.«
»Wir haben vierundsechzig verschiedene Sorten«, verkündet Austen.
»Dabei hat das Alphabet nur sechsundzwanzig Buchstaben«, bemerke ich.
»Bei manchen Buchstaben gibt es mehrere Geschmacksrichtungen. Beim A zum Beispiel Ananas, Anis und Avocado.«
Avocado-Donuts! Wer soll das mögen?, frage ich mich im Stillen.
»Was bieten Sie denn unter X und Y an?«
Dave Austen deutet auf einen Donut, der je zur Hälfte mit einer schwarzen und weißen Glasur überzogen ist. »Ying und Yang«, erläutert er. »Mit einem leichten Nelkenaroma.« Er zwinkert mir zu. »Beim X wird auch wenig gemogelt.« Er zeigt mir einen Donut, der fettig glänzt und groß genug ist, um einer vierköpfigen Familie Bauchschmerzen zu bereiten.
»Unser XXL.«
Austen beginnt damit, einige seiner Verkaufsobjekte in eine Tüte zu stopfen. »Für Sie, Mr Fanlay.«
Ich beschließe, das Zeug an meine Mannschaft zu verteilen. Zumindest Paul Medeski wird vor Freude jauchzen.
Ich bedanke mich und bemerke: »Das ist schon lustig. Das hier war früher ein Laden für zeitgenössische Kunst. Lief aber nicht. Und jetzt öffnet morgen direkt gegenüber ein neues Kunstwarengeschäft.«
In dem Laden auf der anderen Seite der Einkaufspassage ist alles dunkel. Aber er scheint bereits komplett eingerichtet zu sein. Im Schaufenster steht eine Phalanx von etwa vierzig Zentimeter großen Figuren.
Ehe ich in den Überwachungsraum zurückkehre, werfe ich einen Blick auf die Figuren. Es sind aus Holz geschnitzte US-Präsidenten. Humorvoll überzeichnet in der Darstellung. Ronald Reagan ist ganz Cowboy und zielt mit zwei Revolvern aus der Hüfte auf mich. Der ehemalige Erdnussfarmer Jimmy Carter trägt eine blaue Latzhose und grinst mir mit riesigen Zähnen entgegen.
Mit einem Mal gibt es einen so großen Knall, dass ich unwillkürlich nach meiner Dienstwaffe unter dem Jackett taste.
Vor der Tür ist aber nur der Werbe-Donut geplatzt. Austens Gehilfe hat ihn wohl ein wenig zu prall aufgepumpt.
Wenn es den Teufel gibt, dann ist Sam Bronsky sein Stellvertreter in San Francisco. Er ist ein großer, sehniger Kerl ohne ein Gramm Fett. Winzige, gemeine schwarze Augen stecken wie Kohlestücke in seinem rasierten Schädel. Bronsky trägt teure Designeranzüge und lässt sich die schlanken Finger maniküren. Seine Selbstverliebtheit wird nur noch von seiner manischen Freude an Gewalt übertroffen.
Wenn es ums Geschäft geht, kann er sich jovial geben. Aber nur solange alles nach seinen Wünschen verläuft. Beim geringsten Widerspruch verwandelt er sich in eine präzise funktionierende Maschine, die darauf programmiert ist, Schmerzen zuzufügen.
Ich habe es mehr als einmal am eigenen Körper verspürt. Ich widerspreche nicht mehr. Weiß jede Geste, jeden Blick und jede Silbe von ihm zu deuten. Ich stehe nur noch zur Verfügung. Es gibt keine Alternative.
Ich sitze ihm im Wohnzimmer seines Apartments gegenüber und versuche meine Angst zu verbergen. Im Moment telefoniert er mit seinem Handy. Er nickt zufrieden, saugt genüsslich an seiner Zigarre und beendet das Gespräch mit: »Vielen Dank für Ihren Auftrag, Sir.«
Sam Bronsky ist gerade ganz höflicher Geschäftsmann. Er schaltet das Handy ab und mustert mich. Bei ihm hat man ständig das Gefühl analysiert zu werden. Es vergehen ein paar ewig anmutende Sekunden, in denen ich versuche mit einem gefrorenen Lächeln seinem Blick standzuhalten.
»Die Geschäfte laufen gut an«, sagt er endlich. »Du wirst ab morgen eine Menge zu tun haben.«
Seine aktuelle Begleiterin betritt den Raum. Sie als Freundin oder Geliebte zu bezeichnen, wäre unzutreffend. Sam Bronsky ist nicht in der Lage für einen Menschen positive Gefühle zu entwickeln. Die Frau ist jung, höchstens Anfang zwanzig und wie ich philippinischer Abstammung.
Bronsky bevorzugt Philippinerinnen. Seine eigenen Vorfahren stammen aus irgendeinem gottverlassenen Winkel Europas. Mehr weiß ich nicht.
Die junge Frau stellt, ohne mich anzusehen, eine Tasse Tee auf den Tisch. Für Sam Bronsky. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, mir etwas anzubieten. Der Ärmel ihres seidenen Morgenmantels verrutscht dabei ein wenig und gibt den Blick auf eine kreisrunde Brandwunde am rechten Unterarm frei.
Ich weiß, wie so etwas entstanden ist, und erinnere mich sofort an den Schmerz. So durchdringend, dass die Welt vor den Augen ganz unscharf wird. Wenn sich die Zigarrenglut ins Fleisch brennt. Wenn man das eigene Fleisch riechen kann.
Ich frage mich, ob Sam Bronsky dabei getobt oder gelacht hat. Beides ist möglich.
Er beugt sich vor und umfasst mit der Hand eine Brust der Frau. Kurz und beiläufig.
Sie kichert und tut so, als ob ihr das gefällt. Er schickt sie aus dem Zimmer.
»Ich gewähre dir sogar noch einen Bonus«, sagt er. »Wenn du gute Arbeit leistet, werde ich sie gut behandeln.«
Ich verstehe sofort, dass er von der jungen Frau, seiner aktuellen Gespielin, spricht. Es ist ihm nicht entgangen, dass mir die frische Brandwunde aufgefallen ist.
Ich nicke stumm.
»Um sechs bist du im Laden«, fährt Bronsky fort. »Dann kommen Butterfield und Dukakis mit der Ware. Sie werden dir eine Liste mit den Decknamen der Kunden geben. Gib sie nie aus der Hand. Hast du verstanden. Nie!«
»Ja«, erwidere ich tonlos.
»Ehe du den Laden schließt, vernichtest du sie. Und zwar rückstandslos. Meinetwegen kannst du sie auffressen.«
Sam Bronsky zieht an seiner Zigarre. Er begutachtet die glühende Spitze – sie zischt ganz leise –, dann betrachtet er mich und lächelt.
Das heißt, er zeigt seine blendend weißen, mehrere zehntausend Dollar teuren Zähne. Zu einem echten Lächeln ist Sam Bronsky gar nicht fähig.
»Grüß mir deine Schwester«, sagt er zum Abschied. Ich bin entlassen.
Die junge Philippinerin ist der Bonus. Meine Schwester – ihre ganze Familie – ist sein Faustpfand, dass ich meine Arbeit tun werde. So einfach funktioniert die Methode Bronsky.
Butterfield und Dukakis sind pünktlich. Sie bringen die Ware. Dukakis bezeichnet sie als »Wellnesspakete«, übergibt mir die Kundenliste, während der wie immer wortkarge Butterfield die Kartons aufreißt und auspackt.
Mit der Lieferung gibt es keine Probleme. Die Papiere sind in Ordnung, der Inhalt der Pakete – Nippes, Modeschmuck, Andenken und die Präsidenten-Figuren – stimmt mit den Angaben scheinbar überein. Alles völlig normale Ware für ein neu eröffnetes Kunstwarengeschäft in der Mall von Terminal drei.