Es war dunkel. Das weiß ich noch.
Dann hört es schon auf. Ich treibe in einer unendlichen Dunkelheit, mal an der Oberfläche des schwarzen Sees, mal im tiefen, undurchdringlichen Wasser. Ich kann nichts erkennen, fühle mich schwerelos und seltsam leicht. Die Erinnerungen wirbeln in meinem Kopf durcheinander, doch ich kann sie nicht fassen, nicht greifen und ein richtiges Bild erhalten.
Sie sind schemenhaft, verschwommen, als wäre ich unter Wasser und würde krampfhaft versuchen, die Augen aufzureißen. Es ist eigenartig, denn es fühlt sich an, als würden sie gar nicht zu mir gehören und nicht richtig in mir sein. Als taumelte ich haltlos durch die schwarzen Fluten und sie mit mir.
Augen blitzen wie glühende Lichter vor mir auf und verschwinden wieder.
Seine Augen.
Sie sind das Einzige, was geblieben ist, das Einzige, was mich hält. Ich müsste mich wohl wundern, wo ich bin und vielleicht sollte ich Angst haben, dass ich in dem schrecklichen Dunkel ertrinke, aber da ist nichts. In mir drin ist kein einziges Gefühl, als wären sie alle aus mir herausgesaugt worden.
Alles, was in mir Platz findet, ist Ruhe. Eine tiefe Ruhe, die mich ausfüllt und jegliche anderen Gedanken verdrängt. Seine Augen schauen mich an und wenngleich es nur Augen sind, geht von ihnen Wärme und Geborgenheit aus. Ich klammere mich an sie, denn außer ihnen habe ich nichts. Sie sind mein Anker, damit ich nicht untergehe und unter den Fluten begraben werde.
Alles, was einmal war, spielt keine Rolle mehr.
Schlafen. Ich möchte einfach nur schlafen.
Doch ich kann nicht, seine Augen halten mich fest und ich darf sie nicht loslassen.
Trotzdem habe ich das Gefühl, als würden sie verblassen, verschwinden. Mit einem Mal erfasst mich eine rasende Angst, ich beginne zu schreien, doch es kommt kein Ton heraus.
Ich sinke tiefer, das Wasser zieht mich nach unten, reißt mich mit sich. Die Wellen schlagen über mir zusammen und rauben mir für einen Moment die Sicht. Ich kreische, strecke die Hände nach der Erinnerung an diese Augen aus. Es gibt keine Erklärung für das. Es ist ein flüchtiger Gedanke, ein leiser Ruf, ein Instinkt.
Ich darf sie nicht verlieren.
Keuchend schnappe ich nach Luft, obwohl da keine mehr ist. Das dunkle Meer nimmt mich in Besitz und ich spüre, je weiter es mich mit sich zieht, desto schlimmer wird das Gefühl. Die Panik, die eiskalte Angst.
Seine Augen geraten in weite, unnahbare Ferne und ich verliere jegliche Kontrolle, die überwältigende Furcht ergreift mich. Schreiend schlage ich um mich, ringe nach Atem, spucke Wasser aus und huste.
Doch das Meer ist unerbittlich. Ich ertrinke und seine Augen verschwinden wie meine Erinnerungen.
Abrupt reiße ich die Lider auf.
Gleißend helles Licht blendet mich und ich kneife sie mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder zusammen. Mein Kopf ist schwer und dröhnt und in meinem Ohr klingt ein nerviges Piepen. Es ist zwar nur ganz schwach zu vernehmen, so eben laut genug, um mich daran zu erinnern, dass es da ist.
Vorsichtig blinzele ich zwischen meinen Wimpern hindurch, um meine Pupillen zu schützen. Ich kann förmlich spüren, wie sie sich nach der Dunkelheit winzig klein zusammenziehen.
Es dauert einige Sekunden, bis aus den unerträglich hellen Strahlen Umrisse und Formen werden, die ich erkennen und zuordnen kann. Ich wage mich kaum zu rühren, solange ich nicht weiß, wo ich gelandet bin, und nur meine Blicke huschen unruhig hin und her.
Es ist still. Verdächtig still. Ich mag Stille, aber gerade jetzt finde ich sie unheimlich, weil ich keinen Anhaltspunkt habe, wo ich gelandet sein könnte.
Ich linse zur Seite. Graue Vorhänge vor einem riesigen Fenster, durch einen schmalen Spalt dringt dämmriges Tageslicht ins Innere. Wahrscheinlich dämmert erst der Morgen. Mein Blick gleitet über die hässlichen Stoffe weiter zu der Wand gegenüber von mir. Sie ist weiß tapeziert und leere Bilderrahmen sind daran aufgehängt worden. Ihre silbrigen Rahmen glänzen und reflektieren das milchige Licht der Lampe an der Decke.
Hinter den Rahmen ist ein gähnend leeres weißes Papier.
Wow. Welch ein kreatives Genie ist denn auf die außergewöhnliche Idee gekommen?
Von diesen … besonderen Gemälden hängen drei an der Wand. Links von mir führt eine ungewöhnlich breite Tür nach draußen. Sie ist genauso langweilig grau wie die Vorhänge und wirkt auf mich trist und öde.
Hm. Vorhänge, leere Bilder, weiße Wand und eine Tür.
Sagt mir nichts.
Ich schaue an mir herab. Eine weiß-grau gestreifte Bettdecke wurde über mir ausgebreitet, sie ist dünn und hält kaum warm. Ich spüre die leichte Gänsehaut an meinen Armen. Sie ruhen auf der Decke, wobei man an meinen linken Zeigefinger eine Klemme angeschlossen hat. Ein Kabel führt davon zu einem Bildschirm, auf dem eine grüne Linie meinen Herzschlag anzeigt. Ich bin kein Arzt, aber es bilden sich stets gleiche Hügel auf dem EKG und das soll wohl was Gutes heißen.
Daher kommt das gleichmäßige Piepen.
Außerdem trage ich einen verflixt hässlichen Fetzen Stoff, der wohl ehemals weiß gewesen sein soll, jetzt jedoch verwaschen, ausgeblichen und deswegen genauso grau wie alles andere im Raum ist.
Ein beißender, antiseptischer Duft steigt mir in die Nase und ich verziehe angewidert das Gesicht. Der Spender neben der Tür mit diesem ekelig klinisch riechenden Desinfektionszeug gibt dann den letzten Hinweis.
Ich muss im Krankenhaus gelandet sein.
Stöhnend drehe ich meinen Kopf leicht und sofort rast ein brennender Schmerz von meinem kleinen Zeh hoch bis in die Stirnhöhle und ich muss die Zähne fest aufeinanderpressen, um nicht laut aufzuheulen.
Was mache ich im Krankenhaus?!
Ich versuche den Muskeln in meinem Körper zu befehlen, möglichst still zu halten, da jede kleine Bewegung von meinem momentan überempfindlichen Nervensystem protestierend aufgenommen wird.
Zaghaft bewege ich den linken Ringfinger. Als kein weiterer Schmerzstoß folgt, probiere ich vorsichtig die anderen Finger und dann schaffe ich es, beide Hände zur Faust zu ballen und wieder zu lösen.
Die Frage ist – woher stammen die Verletzungen?
Wunderbar – jetzt wäre es gut, sich erinnern zu können, was passiert ist, aber es ist noch schlimmer als unter den dunklen Wellen. Mein Kopf ist leer und schwer und mein Gehirn will sich nicht besonders anstrengen und mir helfen. Ich schließe die Augen, um mich besser konzentrieren zu können.
Selbst das verursacht ein schmerzhaftes Ziehen zwischen den Brauen. Ich fühle mich, als würde ein Teil von mir sich von meinem Körper loslösen. Als wäre ich ein kleiner leuchtender Punkt, der durch meinen Geist wandert und dort nach den Informationen sucht, die ich brauche. Doch da sind überall verschlossene Türen und bleierne Schwärze und der kleine Punkt vermag nicht sie zu öffnen oder aufzuheben. Ich irre umher und finde – nichts.
Die Tür springt mit einem Ruck auf, so plötzlich, dass ich erschrocken die Lider aufreiße und mein Kopf herumfliegt. Keine gute Idee.
Der Schmerz treibt mir förmlich die Tränen in die Augen und ich drücke die Fingernägel in die verletzliche Handfläche.
Eine junge Frau mit Kurzhaarschnitt und einem weißen Kittel kommt herein. Ihre Haare müssen gefärbt sein, denn das Blond wirkt leicht gelblich in der Deckenbeleuchtung. Unter dem Arm trägt sie ein Klemmbrett mit Stift und an ihrer Brusttasche ist ein kleines Schild befestigt:
Fallington.
Aha.
Meine Lippen sind zusammengepresst und mein Blick verschlossen, während ich ihr mit den Augen folge, wie sie den Raum durchquert.
Ihr Lächeln ist gezwungen freundlich, als Krankenschwester muss sie vermutlich ständig so lächeln und sie trägt diese durchsichtigen Handschuhe gegen Bakterien. Außerdem stelle ich von Nahem fest, dass sie überhaupt keine Schminke aufgelegt hat. Deshalb kann man ihre dunklen Augenringe erkennen. Wahrscheinlich hat sie eine Nachtschicht gehabt und ist jetzt müde und fast fertig mit der Arbeit.
Das ist so eine Macke von mir. Ich mache es ständig. Ich schaue mir Menschen überaus genau an und versuche alles an ihnen zu deuten, um mehr über sie zu erfahren und hinter die Fassade zu schauen. Ihr Aussehen, ihre Mimik, Gestik und Sprache.
Miss Fallington (ich glaube nicht, dass sie bereits verheiratet ist) beugt sich zu mir herab und drückt die Mine des Kugelschreibers mit einem Klicken heraus.
»Alles okay?«
Ich will nicken, habe aber Angst, dass es heftig wehtun wird. Mein Hals ist trocken und ich bringe nicht mehr als ein heiseres Krächzen heraus, doch sie schreibt bereits etwas auf das Klemmbrett.
Dann setzt sie sich auf mein Bett und ich will reflexartig zur Seite rücken. Ich mag die Nähe anderer Menschen einfach nicht gern, im Gegenteil. Ich bekomme Platzangst wie in einem zu engen Raum, fühle mich unwohl und habe das Gefühl, entweder weglaufen oder schreien zu müssen.
Deswegen verhärtet sich mein Blick jetzt und ich starre demonstrativ in die entgegengesetzte Richtung. Entweder ist sie tatsächlich so blöd wie blond oder sie ist übermüdet und will nur nach Hause, denn sie reagiert nicht auf mein offensichtliches Unbehagen.
»Du bist von einem Auto angefahren und danach ohnmächtig geworden. Allerdings ist dir außer einer Platzwunde nichts Ernstes zugestoßen.«
Sie kramt eine kleine Taschenlampe hervor und ich schiele unruhig zu ihr hinüber.
»Schau mich bitte an«, sagt sie, dann leuchtet sie mir in die Pupillen und ich muss mich zusammenreißen, um ihren Anweisungen ruhig zu folgen. Ich weiß, sie muss es machen, um zu sehen, ob ich eine Gehirnerschütterung habe.
Kaum dass sie fertig ist, schließe ich die Augen und versuche die Krankenschwester so auszublenden.
»Es ist alles so weit in Ordnung. Wir wollen dich zur Sicherheit heute noch hierbehalten, am Abend kannst du nach Hause.«
Ich höre, wie sie einen Zettel vom Klemmbrett reißt.
»Und füll dieses Formular bitte mit deinen persönlichen Daten aus, damit wir deine Eltern anrufen können.«
Sie seufzt und sagt, mehr zu sich selbst als zu mir:
»Und dann muss ich nur noch diesen Jungen am Empfang loswerden …«
Junge.
Ich kneife die Augen noch ein wenig fester zu, während tief in meinem Inneren eine Erinnerung, ein verzerrtes Bild aufleuchtet. Ich versuche mich zu entspannen und darauf zu warten, bis es schärfer wird, anstatt panisch danach zu greifen. Dabei entwischt es mir wieder.
Das Bild treibt langsam an die Oberfläche meines Bewusstseins und dann kann ich es endlich erkennen.
Für einen Augenblick beginnt sich alles zu drehen und mir wird so schwindelig, dass ich froh bin, schon zu liegen, sonst wäre ich mit Sicherheit auf der Stelle umgefallen.
Mein Zimmer.
Mein Bett.
Ich will schlafen, wälze mich hin und her.
Ein Traum, seltsam real, ich laufe durch den Wald, laufe vor irgendetwas davon.
Es ist kalt. Es ist dunkel. Meine Füße sind nackt und ich zittere vor Kälte am ganzen Körper.
Als ich aufwache, sehe ich den Sternenhimmel über mir. Bevor ich noch verstehe, erfasst mich das Licht von Scheinwerfern.
Ich wirbele herum.
Sehe direkt in seine Augen.
Und sie sind alles, was bei mir hängen bleibt.
Ich höre mich schreien.
Dann kommt die Dunkelheit.
Ich keuche entsetzt auf. Die Erinnerung an den merkwürdigen Traum hat mir den Atem geraubt, als hätte ich ihn noch einmal erlebt, als wäre ich vor wenigen Sekunden tatsächlich noch durch den Wald gestürmt.
Fallington dreht sich zu mir um, die Hand bereits an der Tür. Ich habe nicht bemerkt, dass sie aufgestanden ist. Sie runzelt die Stirn.
»Alles in Ordnung? Hast du Schmerzen?«
Ich schüttele schwach den Kopf, selbst wenn das nicht ganz der Wahrheit entspricht. Immerhin ist es nicht mehr das brennende Rasen, sondern nur noch ein unterschwelliges Stechen hinter der Stirn.
Nicht angenehm, aber ertragbar.
Sie zögert einen Moment, doch anscheinend hat sie keine Lust, sich länger mit mir zu befassen. Sie öffnet die Tür, bleibt allerdings draußen auf dem Flur noch stehen.
»Ach, und da ist ein junger Mann, der zu dir will. Da er kein Familienangehöriger ist, konnte ich ihn bisher noch nicht reinlassen. Willst du ihn sehen?«
Abermals schüttele ich den Kopf und es ist, als würde das Stechen von einer Seite auf die andere fliegen und von innen gegen meinen Schädel hämmern.
Wer es ist, ich will keinen Besuch. Ich muss erst einmal meine Gedanken ordnen und begreifen, was geschehen ist. Ich war gestern nämlich ziemlich sicher zu Hause in meinem Bett und jetzt bin ich zwar wieder in einem, jedoch ganz bestimmt nicht in dem, in dem ich eingeschlafen bin.
Die Schwester ist verschwunden und ich setze mich vorsichtig auf. Das klingt leicht, aber ich bewege mich ungefähr in dem Tempo einer tausend Jahre alten Schildkröte. Während ich mir auf die Lippe beiße, stemme ich mich mit den Armen hoch, drücke den Rücken durch und hieve mich Zentimeter für Zentimeter nach oben, bis ich eine halbwegs sitzende Position eingenommen habe und völlig am Ende meiner Kräfte bin.
Benommen streiche ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und meine Finger streifen ein dickes Heftpflaster, das auf meiner Stirn prangt.
Im selben Moment fliegt die Tür auf und kracht sogar gegen die Wand.
Öffnet hier niemand normal die Türen?
Ich wende mich so schnell es eben schmerzfrei geht zur Seite und betrachte den nächsten Gast.
Es ist ein Junge.
Der Junge.
Ich erinnere mich zwar nicht an seine allgemeine Gestalt, doch seine Augen blitzen wie gestern Nacht auf. Sie sind von einem interessanten Blau mit goldbraunen Sprenkeln darin. Eigentlich hätte ich das niemals auf diese Distanz erkennen können, aber ich bin mir trotzdem sicher.
Er wirkt völlig außer Atem und seine blond-braunen Haare sind verwuschelt, sein Gesicht blass und zerknittert, als hätte er kaum geschlafen, und seine Haut ist aschfahl. Unter seinen auffallenden Augen liegen tiefe Schatten.
Obwohl ich ihn gestern nicht erkennen konnte, ist er mir bekannt.
Natürlich.
Es handelt sich um Nathan Clark, Footballer, Zwölftklässler. Er geht auf die Westriver Highschool und verbringt seine Pausen entweder auf dem Hartplatz hinter der Schule, um mit seinen Kumpels zu trainieren, oder in der Mensa an einem der guten Tische, wo die ganze Mannschaft und hin und wieder die Cheerleader sitzen, die stets mit Lästereien beschäftigt sind.
Nathan Clark, der mich früher einmal auf dem Spielplatz angetippt und eingeladen hat, mit ihm und den anderen Verstecken zu spielen, weil ich allein war. Er hat meine Hand gehalten und sich mit mir in den Büschen versteckt und niemand konnte uns finden.
Nathan Clark, der offiziell zu der Elite an unserer Schule zählt, zu denen, die sich für etwas Besseres halten und sich unbedingt von den anderen abheben wollen. Sie haben ihre Stammplätze in der Cafeteria, auf den Schulbänken und im Klassenraum. Sie sind Klassen- und Schulsprecher, Ballkönigin und Gewinner von Wettbewerben. Sie sehen gut aus und können alles am besten.
Ich kann solche Leute nicht ausstehen.
»Verstehst du nicht, was Nein bedeutet?«, frage ich kühl und schaue an ihm vorbei. Schließlich habe ich der Krankenschwester gesagt, ich will ihn nicht sehen. Doch er überhört mich schlicht und fällt mir hastig ins Wort.
»Hey, es tut mir total leid, was passiert ist, ehrlich!«
Seine Stimme ist heiser und kratzig, als hätte er tatsächlich nicht viel geschlafen.
»Du solltest wohl besser aufpassen.« Trotzdem meine Stimme angeschlagen und eher ein raues Flüstern ist, schaffe ich es, abweisend zu klingen.
Er kommt auf mich zu. Mein Herz beginnt augenblicklich zu rasen.
Ich rieche Deo und einen zarten eigenen Geruch.
»Schon klar, ich war bei Ben, du weißt ja, die Fete, und dann war ich so fertig. Außerdem bist du wie aus dem Nichts aufgetaucht!« Er runzelt leicht die Stirn, als würde es ihm jetzt erst einfallen. »Vielleicht solltest du auch besser aufpassen.«
Obwohl ich mir selbst nicht erklären kann, wie ich in den Wald gekommen bin, rümpfe ich die Nase.
»Ich wusste nicht, dass um drei Uhr nachts die Möglichkeit besteht, dort von einem betrunkenen Verrückten angefahren zu werden. Niemand benutzt jemals diesen Weg.«
Nathan Clark ist jetzt vor meinem Bett angekommen und es kommt mir vor, als wollte mein Herz meine Brust sprengen. Das Piepen des Automaten ist inzwischen zu einem hysterischen Schrillen geworden und verrät mich.
»Deswegen bin ich hier. Ich saß die ganze Zeit da, weil ich mich entschuldigen wollte. Du hast recht, sorry.«
Er streckt mir die Hand hin, aber ich ignoriere sie.
»Wenn ich deine Entschuldigung annehme, verschwindest du dann?«
Ich will mich nicht länger mit ihm unterhalten. Niemand von der Elite unterhält sich mit mir und er tut es nur, damit er kein schlechtes Gewissen hat. Bestimmt ist es ihm peinlich, sich bei jemandem wie mir zu entschuldigen.
Ich gehöre nicht zu ihnen.
Ich bin allein.
Wie gesagt, ich komme mit Menschen nicht so gut klar, ich kann das einfach nicht und das ist okay. Mein Leben funktioniert auch so. Es ist zwar jeden Tag relativ gleich, aber das macht nichts.
Und ich mag ihn nicht. Nicht mehr.
»Na ja. Ich will es wiedergutmachen. Dir hätte echt was Schlimmeres passieren können als nur eine Platzwunde.«
Er fährt sich durch die ohnehin verwuschelten Haare.
»Wie heißt du eigentlich?«
Beinahe hätte ich aufgelacht. Es ist schon lustig, wie ich alle sehe und sie sehen mich nicht. Wir haben uns gemeinsam versteckt und ich weiß so vieles über ihn, doch er kennt nicht einmal meinen Namen. Natürlich nicht.
»Geh raus.«
»Seltsamer Name«, witzelt er, aber ich reagiere nicht. Ich bin müde. Einfach nur schrecklich müde.
»Geh raus, Clark.«
»Warte mal kurz, du …«
»Bye!«, schneide ich ihm das Wort ab und drehe mich trotz des hässlichen Stechens und unerträglichen Pochens in meinem Kopf zur Seite, um ihm den Rücken zuzuwenden. Das rasende Piepen verwandelt sich fast in einen einzigen hoch fiependen Ton und das macht mich nur noch unruhiger. Nathan Clark soll nicht wissen, wie nervös ich bin. Ich kann ihm nicht in die Augen sehen. Dann müsste ich weinen. Weil er hier ist und so tut, als würde ihm all das etwas ausmachen. Schon morgen wird er mich allerdings wieder vergessen haben. Auf den Schmerz der Enttäuschung kann ich gut verzichten, deshalb ist es besser, wenn ich keinen weiteren Gedanken an ihn verschwende.
Eine Weile bleibt er noch stehen, doch als er merkt, dass ich es ernst meine, geht er.
Die Tür fällt hinter ihm ins Schloss und es gibt wieder nur mich allein in dem grauen Zimmer.