THE SECRET SOLDIERS OF BENGHAZI
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
„13 hours: the inside account of what really happened in Benghazi“
ISBN 978-1-4555-8228-0
Copyright der Originalausgabe:
Copyright © 2014 by Truth & Courage L.L.C.
All rights reserved.
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This edition published by arrangement with Grand Central Publishing, New York, NY,
USA. All rights reserved.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Copyright der deutschen Ausgabe 2016:
© Börsenmedien AG, Kulmbach
Übersetzung: Petra Pyka, Birgit Schöbitz
Gestaltung Cover: Johanna Wack
Umschlagfoto: Cover artwork © 2015 Paramount Pictures. All Rights Reserved.
Layout und Satz: Sabrina Slopek
Herstellung: Daniela Freitag
Lektorat: Claus Rosenkranz
ISBN 978-3-86470-353-9
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Wahrheit und Tapferkeit!
Dieses Buch hält fest, was sich während der letzten Stunden in einem diplomatischen Vorposten der USA an einem der gefährlichsten Orte der Welt ereignet hat. Es basiert auf exklusiven Berichten aus erster Hand und beschreibt den blutigen Anschlag, den tragischen Verlust von Menschenleben und die Heldentaten, die sich auf dem Gelände der US-Vertretung und eines nahe gelegenen CIA-Stützpunkts namens Annex in Bengasi, Libyen, in der Nacht des bis in die Morgenstunden des folgenden Tages abgespielt haben.
Es geht in diesem Buch beileibe nicht darum, was Mitglieder der US-Regierung über den Anschlag wussten, was sie im Anschluss daran von sich gaben oder taten – und es geht auch nicht um die anhaltenden Kontroversen in Gesprächsrunden, in der Wahlkampfpolitik oder um vermeintliche Verschwörungen oder Vertuschung. Ebenso wenig geht es darum, was in den Anhörungssälen des Kapitols in Washington, in den Vorzimmern des Weißen Hauses, den Besprechungsräumen des US-Außenministeriums oder in den Wartebereichen zahlloser Fernsehstudios gesprochen wurde. Es geht vielmehr darum, was sich tatsächlich auf den Straßen und Dächern und in brennenden Häusern in Bengasi zugetragen hat, als Kugeln flogen und Granatwerfer eingesetzt wurden. Es geht um die Wahrheit, darum, wie Menschenleben gerettet wurden oder weshalb sie zu beklagen waren oder warum sie sich unwiderruflich änderten.
Die Männer, deren persönliche Erlebnisse das Herzstück dieses Buchs bilden, sind sich der politischen Kontroversen rund um Bengasi durchaus bewusst. Ihnen ist klar, dass das Wort Bengasi inzwischen nicht mehr einfach nur für die staubige Hafenstadt an der libyschen Mittelmeerküste steht. Sie wissen, dass so mancher US-Bürger Bengasi gleichsetzt mit einem Amtsvergehen der US-Regierung oder Schlimmerem. Ihnen ist durchaus bewusst, dass ihre Schilderungen und Enthüllungen als Beweise in Streitgesprächen dienen werden, an denen sie bewusst nicht teilhaben wollen – was jedoch nicht daran liegt, dass sie diese Thematik gleichgültig lässt. Es ist schlicht und einfach nicht ihr Anliegen. Sie wollten mit diesem Buch Geschichte schreiben und das so genau wie möglich. Aufzeichnen, was sie getan, was sie gesehen haben und was ihnen zugestoßen ist – und ihren Freunden, Kameraden und Landsleuten – in der Schlacht von Bengasi.
Auch wenn dieses Buch im Stil eines Romans geschrieben ist, handelt es sich doch um einen Tatsachenbericht. Weder einzelne Szenen noch der zeitliche Ablauf der Ereignisse wurden geändert, nichts wurde des dramatischen Effekts wegen ausgeschmückt, es wurden keine Charaktere erfunden oder aus einzelnen Personen zusammengesetzt. Die Schilderungen dessen, was vor, während und unmittelbar nach dem Angriff passierte, stammen von den Männern, die damals vor Ort waren, oder aus geprüften Quellen oder es trifft beides zugleich zu. Der gesamte Wortwechsel fand tatsächlich so statt oder wurde von diesen Männern mit angehört. Die Gedanken, die diesen Männern zugeschrieben werden, sind tatsächlich ihre ureigenen Überlegungen.
Dieses Buch wäre ohne die Aussagen der fünf überlebenden US-amerikanischen Sicherheitskräfte, die sogenannten „Operators“, niemals geschrieben worden. Sie waren es, die auf den Überraschungsangriff auf die US-Botschaft in Bengasi reagierten, den Gegenangriff leiteten und die Mitarbeiter des Konsulats und des CIA-Stützpunkts Annex retteten.
Ihre Namen wurden aus Sicherheitsgründen oder zum Schutz ihrer Privatsphäre geändert oder nicht genannt, doch sämtliche Beschreibungen und sonstige Informationen über sie entsprechen der Wahrheit. Geheime Details wurden weggelassen, um den Standard-Geheimhaltungsverträgen zwischen der US-Regierung und ihren Vertragspartnern zu genügen. Diese Änderungen beziehungsweise Auslassungen wirken sich keinesfalls wesentlich auf die Geschichte dieses Buchs aus oder stellen die Fakten in einem falschen Licht dar. Die Aussagen der einzelnen Operators deckten sich bis auf wenige Details wie zum Beispiel zur Frage, wann ein Funkspruch gesendet wurde. Wann immer möglich, geht der Erzähler auf die unterschiedlichen Sichtweisen ein, die unter anderem auf die schnelle Abfolge der Ereignisse, den Nebel des Krieges 1 und die Todesangst der Beteiligten, denen die Chronologie der Ereignisse verständlicherweise weniger wichtig war als ihr eigenes Überleben, zurückzuführen sind.
Als Sekundärquellen dienten mir weitere Interviews, Fotos und Videos, eine riesige Sammlung öffentlich zugänglicher Unterlagen, Protokolle und Zeugenaussagen aus dem Kongress und Medienberichte. Diese Quellen nutzte ich, um die gesammelten Informationen in einen Kontext einzubetten oder um Lücken zu füllen, die sich ergaben, wenn keine Primärquellen verfügbar waren, und um die Erinnerungen der befragten Personen zu untermauern und zu ergänzen.
Frühere Schilderungen dieser Ereignisse, die in Büchern, Zeitschriften und anderen Medien veröffentlicht wurden, sind bei den Männern, um deren Geschichte es hier geht, auf Missfallen – um nicht zu sagen Entsetzen – gestoßen. Sämtliche Versionen mit fiktiven Dialogen, erfundenen Ereignissen, falschen oder übertriebenen Behauptungen oder aufsehenerregenden Anschuldigungen bewirken nur eines: Sie heizen die Gemüter auf und verschleiern die Wahrheit. Die Sicherheitskräfte, die damals vor Ort waren, wollen sich mit der Klarheit einer scharfen Linse an die Ereignisse erinnern. Sie und die Familie eines sechsten Operators sind zwar an den Einnahmen aus diesem Buch beteiligt, aber ihr einziger Anspruch beim Korrekturlauf war, dass ihre Geschichte wahrheitsgetreu erzählt wird.
Vermutlich ist es unsinnig zu glauben, dieser Tatsachenbericht wäre der letzte, der über ein Ereignis von solcher Tragweite veröffentlicht würde. Doch obgleich schon so viel über den Anschlag in Bengasi gesagt und geschrieben wurde und sicherlich noch viel mehr gesagt und geschrieben werden wird, sollte sich der Leser vor Augen halten, dass dieses Buch gewissermaßen auf dem Schlachtfeld geschrieben wurde – von Männern, die aus eigener Erfahrung und glasklarer Erinnerung wissen, was sich tatsächlich während dieser 13 grauenhaften Stunden ereignet hat.
Mitchell Zuckoff
1 AdÜ: Laut Wikipedia gilt folgende Definition: „Nebel des Krieges (auch Kriegsnebel bzw. engl. Fog of War [FoW] genannt) bezeichnet den Umstand, dass kriegswichtige Informationen aufgrund verschiedener Umstände (z. B. Kriegschaos, unterbrochene Meldewege, Feindestäuschung) immer eine gewisse Unsicherheit und Unvollständigkeit aufweisen.“
Das Annex-Sicherheitsteam
Dave „D.B.“ Benton – Der 38-jährige ehemalige Sergeant der Marines und Offizier der SWAT-Einheit war ein Späher und Scharfschütze, der sich auf Geiselrettung, Überfallkommandos, Überwachung, Aufklärung und Nahkampf spezialisiert hatte. Vor den Geschehnissen in Bengasi wurde er mehrfach für seinen Einsatz als Sicherheitskraft im Irak, in Afghanistan und anderen Ländern ausgezeichnet. Der wortkarge, nachdenkliche Vater von drei Kindern ist verheiratet und war häufig mit seinem guten Freund und Partner Kris „Tanto“ Paronto in Bengasi im Einsatz.
Mit freundlicher Genehmigung von Dave Benton.
Mark „Oz“ Geist – Der coole 46-Jährige war der Älteste im Team, zwölf Jahre beim Marine Corps tätig, unter anderem für eine nachrichtendienstliche Einheit, und wurde dann Polizeichef in seiner Heimatstadt in Colorado. Nachdem er sich als Privatermittler selbstständig gemacht hatte, wurde er 2004 als Sicherheitskraft vom US-Außenministerium in den Irak geschickt. Oz ist zum zweiten Mal verheiratet, hat einen Sohn aus erster Ehe und mit seiner zweiten Frau eine Stieftochter im Teenageralter. Beide sind vor Kurzem Eltern einer gemeinsamen Tochter geworden.
Mit freundlicher Genehmigung von Mark Geist.
Kris „Tanto“ Paronto – Das ehemalige Mitglied des 75. Ranger Regiment der US-Army ist äußerst wortgewandt. Die vielen Tattoos auf seinem muskelgestählten Körper zeugen von seiner schillernden Persönlichkeit. Mit seinen 41 Jahren hat er bereits über zehn Jahre als Sicherheitskraft gearbeitet – ein Job, den er gerne als Teil des Kampfes von Gut und Böse bezeichnet. Dabei war er in zahlreichen Ländern des Nahen Ostens tätig. Tanto hat einen Master-Abschluss in Jura, war als Schadensregulierer im Versicherungsgewerbe selbstständig tätig und hat mit seiner zweiten Frau eine Tochter und einen Sohn.
Mit freundlicher Genehmigung von Kris Paronto.
Jack Silva – war über ein Jahrzehnt als Navy SEAL im Kosovo und im Nahen Osten im Einsatz. Der in sich gekehrte, kluge Jack hatte sich von den SEALs verabschiedet, weil er mehr Zeit mit seinen beiden kleinen Söhnen und seiner Frau verbringen wollte. Sie hatte von ihrer Schwangerschaft erfahren, als Jack sich gerade in Bengasi aufhielt. Mit 38 arbeitet Jack nun als Sicherheitskraft und als Immobilienmakler, der Häuser kauft, renoviert und weiterverkauft. Jack zur Seite stand oft sein Partner, der ehemalige SEAL Tyrone „Rone“ Woods.
Mit freundlicher Genehmigung von Jack Silva.
John „Tig“ Tiegen – Tig war ein 36-jähriger ehemaliger Marine-Sergeant aus Colorado, der mehrere Jahre als Sicherheitskraft für Blackwater gearbeitet hatte. Er war von dem Unternehmen in Afghanistan, Pakistan und dem Irak eingesetzt worden, bevor er sich entschied, zum Global Response Staff der CIA zu wechseln. Der besonnene und gewissenhafte Vater von Zwillingen, die damals noch Kleinkinder waren, war zum dritten Mal für den GRS in Bengasi, was ihn zum erfahrensten Mitglied des Teams in der Stadt machte. Er hatte schon oft mit Mark „Oz“ Geist zusammengearbeitet.
Mit freundlicher Genehmigung von John Tiegen.
Tyrone „Rone“ Woods – der bullige Rone war 41 und über 20 Jahre bei den Navy SEALs, als er 2010 beschloss, dem US-amerikanischen Militär den Rücken zu kehren. Während seiner Zeit bei den SEALs wurde Rone in Somalia, Afghanistan und dem Irak eingesetzt, wo ihm ein Bronze Star mit einem „V“ für Tapferkeit in einem Kampfeinsatz verliehen wurde. Rone war zum zweiten Mal verheiratet, hatte drei Söhne und arbeitete als Krankenpfleger und Rettungssanitäter. Da er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen wollte, hatte Rone beschlossen, dass Bengasi sein letzter Einsatz für den Global Response Staff (GRS) sein sollte.
Mit freundlicher Genehmigung von Woods’ Familie.
Weitere wichtige Beteiligte:
J. Christopher Stevens – Der US-Botschafter in Libyen war ein jugendlich wirkender Junggeselle aus Kalifornien, der im Auslandsdienst Karriere machte und sich leidenschaftlich der Verbesserung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und den arabischen Ländern widmete.
Sean Smith – Smith arbeitete tagsüber als Kommunikationsbeauftragter für das US-Außenministerium und vergnügte sich nachts mit Online-Spielen. Der bekannte Spieler war 34, verheiratet und hatte zwei jüngere Kinder. Nach seinem Dienst in der US-Luftwaffe arbeitete er zehn Jahre für das US-Außenministerium.
Glen „Bub“ Doherty – Der umgängliche ehemalige Navy SEAL gehörte dem GRS-Team in Tripolis an, das nach dem Anschlag nach Bengasi geflogen wurde. Bub war 42, geschieden, kinderlos und zeichnete sich durch eine charismatische Mischung aus Disziplin und Gutmütigkeit aus. Seit seiner Zeit bei den SEALs war er gut mit Rone und Jack befreundet und seit ihrem gemeinsamen Einsatz in Tripolis auch mit Tanto.
„Bob“ – In seiner Funktion als CIA-Agent übernahm Bob eine führende Rolle in Bengasi. Er war für sämtliche nachrichtendienstliche Tätigkeiten und die Mitarbeiterführung im Annex, einschließlich der Sicherheitskräfte, verantwortlich.
„Henry“ – Der Zivilist in seinen Sechzigern arbeitete als Übersetzer für den Annex und begleitete die Sicherheitskräfte bei ihrer Rettungsmission auf dem Konsulatsgelände.
Alec Henderson – Er war der ranghöchste diplomatische Sicherheitsagent des US-Außenministeriums in Bengasi und hielt sich im Tactical Operations Center auf, als der Angriff begann. Er schlug als Erster Alarm und bat den Annex und die Botschaft in Tripolis um Hilfe.
David Ubben – Der diplomatische Sicherheitsagent war in Bengasi stationiert und hatte zuvor in der US-Army gedient. Als der Angriff begann, rannten Ubben und zwei weitere in Tripolis stationierte Sicherheitskräfte, die gemeinsam mit Botschafter Stevens nach Bengasi gereist waren, in ihr Quartier zurück, um ihre Gewehre und Schutzwesten zu holen.
Scott Wickland – Der diplomatische Sicherheitsagent war in Bengasi stationiert und zum Schutz des Botschafters Stevens abkommandiert. Der ehemalige Rettungsschwimmer der US-Navy führte Stevens und den Computerfachmann Sean Smith in einen Unterschlupf in der Villa, als der Angriff begann.
Ein blutrünstiger Mob rückte schnell in Richtung des mangelhaft geschützten US-amerikanischen Konsulats im libyschen Bengasi vor. Die belagerten US-amerikanischen Gesandten und Mitarbeiter zogen sich alle in einen Raum zurück und schlossen sich ein, während sich das Feuer, das die Angreifer gelegt hatten, mehr und mehr ausbreitete. Die US-Amerikaner beteten zu Gott und setzten verzweifelte Hilferufe nach Washington und bei ihren in der Nähe stationierten Verbündeten ab. Käme keine Rettung, gäbe es nur drei Möglichkeiten, fürchteten sie: Die Eindringlinge würden sie töten, sie würden im Rauch und Qualm ersticken oder bei lebendigem Leib verbrennen. Doch bevor es so weit war, würden sie bis aufs Blut kämpfen.
Man schrieb den 5. Juni 1967.
Der Krieg zwischen Israel und Ägypten war gerade ausgebrochen und in den Frühnachrichten im Radio von Bengasi wimmelte es von Falschmeldungen. So hieß es, US-amerikanische Militärflugzeuge würden bei israelischen Angriffen für Luftdeckung sorgen oder hätten Bomben über Kairo abgeworfen, das gut 1.100 Kilometer weit entfernt war. Auf den Straßen drängten sich die Einwohner Bengasis, die sich zu Hunderten vor dem Konsulat der Vereinigten Arabischen Republik versammelten, wie Ägypten damals noch hieß. Zu den Demonstranten gesellten sich noch manche der rund 2.000 ägyptischen Bauarbeiter, die eine libysche Sportstätte im Stil eines Olympiastadions errichteten. Es dauerte nicht lange, bis die zunächst friedliche Stimmung in Gewalt umschlug. Der Mob brach Pflastersteine aus den baufälligen Straßen und machte sich auf den Weg zu dem ehemaligen Gebäude einer italienischen Bank, in dem mittlerweile das US-amerikanische Konsulat untergebracht war.
Eine Handvoll libyscher Wachkräfte verließ ihren Posten. Die Angreifer warfen Steine auf das Haus, zerstörten vergitterte Fenster und die schwere Eingangstür und drangen ins Gebäude ein. Während die Horden näher rückten, verbrannten die acht Männer und zwei Frauen im Inneren des Gebäudes hektisch sensible Unterlagen. Die Mitarbeiter des Konsulats waren schwer bewaffnet, doch der leitende Offizier John Kormann erinnert sich in einer Denkschrift, dass er Befehl erteilte, niemand dürfe schießen, um den Mob nicht noch mehr in Rage zu versetzen. Die Amerikaner setzten Tränengas ein, um die Angreifer abzuwehren. In die Ecke getrieben, setzten sie sich mit Gewehrkolben und Axtgriffen zur Wehr und entkamen schließlich über eine breite Marmortreppe. Dann verschanzten sie sich in einem Tresorraum im zweiten Stock, der als Kommunikationszentrale genutzt wurde.
Da es den Angreifern nicht gelang, zu ihren Opfern vorzudringen, plünderten sie das Gebäude und setzten es am Ende in Brand. Kormann hatte Angst, die Eindringlinge würden Benzin unter die Tresortür schütten, damit die Amerikaner bei lebendigem Leib verbrannten oder in den Flammen erstickten. Doch diesen Gedanken behielt er für sich, während das Feuer im Gebäude um sich griff. Zum Glück für Kormann und seine Kollegen trieben die unglaubliche Hitze und der dicke Qualm den Mob zurück. Die Amerikaner teilten fünf Atemschutzmasken untereinander, während sie streng geheime Akten verbrannten und ihre Chiffriermaschinen zerstörten.
Ein paar von ihnen kletterten aufs Dach, wo sie noch mehr geheime Papiere anzündeten. Als eine Gruppe junger Männer vom Nachbargebäude aus eine Leiter zu ihnen hinunterließ und sich an den Abstieg machte, zogen sie sich wieder ins Gebäudeinnere zurück. Da die Angreifer keine Möglichkeit sahen, zu den Mitarbeitern des Konsulats vorzudringen, schnitten sie die Leine durch, an der die US-amerikanische Flagge von einem Dachmast gehisst war, sodass sie schlaff an der Fassade herunterhing. Ein Captain der US-Army bat Kormann, die Flagge wieder hissen zu dürfen, doch Kormann verweigerte ihm die Erlaubnis zunächst, überlegte es sich aber später anders. „Im Zweiten Weltkrieg wurde ich als Fallschirmjäger eingesetzt“, schrieb er. „Ich wusste, was es bei Soldaten in Todesangst bewirken kann, wenn einer aufbegehrt und Heldenmut beweist. Mut steckt an und inspiriert, während Feigheit tödlich für die Moral der Truppe ist.“ Der Captain wich den Steinen aus, die noch immer auf das Gebäude einprasselten, rannte über das Dach und befestigte das Sternenbanner wieder dort, wo es hingehörte.
In Washington besprachen Mitarbeiter des US-Außenministeriums derweil, wie sie ihre Leute retten könnten. Vielleicht mithilfe einer Marineeinheit oder Fallschirmspringern? Doch die Zeit lief ihnen davon. In der Zwischenzeit gelang es den eingeschlossenen Amerikanern in Bengasi, sporadisch mit ihren britischen Amtskollegen zu telefonieren, die aufgrund eines Abkommens ein Bataillon außerhalb von Bengasi unterhielten. 50 britische Soldaten versuchten viermal, zu den Amerikanern durchzudringen, doch vergebens. Der Mob steckte einen Panzerwagen der Briten in Brand.
Da weit und breit keine Rettung in Sicht war, nahm Kormann ein Foto des US-amerikanischen Präsidenten Lyndon Johnson und dessen Ehefrau Lady Bird Johnson von der Wand, entfernte den Rahmen und schrieb auf die Rückseite: Ganz egal was auch passieren würde, sie hätten bis zuletzt ihre Pflicht getan. Alle Männer und Frauen in dem verqualmten Tresorraum unterschrieben diesen letzten Gruß.
Als die Nacht hereinbrach, interpretierten die Beamten des US-Außenministeriums eine verstümmelte Nachricht falsch und gingen davon aus, die angegriffenen Amerikaner seien dem Tode nahe. Der damalige US-Außenminister Dean Rusk wandte sich erneut Hilfe suchend an die Briten. Zwei Stunden später unternahm ein gepanzerter britischer Stoßtrupp einen weiteren Rettungsversuch, brach bis zum Konsulatsgebäude durch und konnte alle zehn Amerikaner in Sicherheit bringen.
45 Jahre später – am 11. September 2012 – wurde die US-amerikanische diplomatische Vertretung in Bengasi unvermittelt wieder von einem mörderischen Mob angegriffen. Auch diesmal gelang es den Angreifern nicht, zu den Mitarbeitern vorzudringen, weshalb sie sich zunächst auf Plünderungen beschränkten und in Tötungsabsicht mehrere Brände legten. Doch 2012 waren keine befreundeten Einheiten so nahe, dass sie eine Rettungsaktion unternehmen konnten.
Flammen loderten, Bewaffnete stürmten über das Gelände, die Sicherheitskräfte des US-Außenministeriums gingen in Deckung, der US-Botschafter war nicht auffindbar. Da kam ein Hilferuf von einem der überrannten Amerikaner: „Wenn ihr nicht bald hier seid, werden wir alle sterben!“
Ein Trupp von Elitesoldaten, die aus dem US-amerikanischen Militär ausgeschieden waren und sich einer Geheimorganisation angeschlossen hatten, die sich den Schutz geheimer Operationen des US-amerikanischen Nachrichtendienstes im Ausland auf die Fahne geschrieben hatte, nahm sich diesen Aufschrei zu Herzen. Sie waren als Sicherheitskräfte zum Schutz amerikanischer Diplomaten nach Bengasi gekommen, doch jetzt mussten sie sich auf ihre einstige Ausbildung besinnen: Zwei von ihnen hatten bei den Navy SEALs, einer als Army Ranger und drei als Marines gedient. Sie wussten zwar, dass sie den Angreifern zahlenmäßig bei Weitem unterlegen waren, doch sie wussten auch, dass sie die einzige Hoffnung für ihre Landsleute waren.
Dies ist ihre Geschichte.
Jack Silva beugte sich an seinem Fensterplatz an Bord einer Maschine der Turkish Airlines nach vorne, während sie sich Bengasis internationalem Flughafen Benina näherte. Er schaute hinaus und verfolgte den Schatten des Flugzeugs, der auf der karamellfarbenen Wüste unter ihm deutlich zu sehen war. Jack glaubte felsenfest an das Prinzip von Yin und Yang aus der chinesischen Philosophie, das eine Beziehung zwischen scheinbaren Gegensätzen wie Dunkelheit und Licht oder Leben und Tod annimmt. So war es nicht weiter verwunderlich, dass zwei gegensätzliche Gedanken in seinem Kopf kreisten. Da war zum einen Aufregung und Vorfreude: Ich frage mich, welche Abenteuer mich an diesem Ort erwarten, und zum anderen die Sorge: Ich frage mich, ob ich meine Familie jemals wiedersehen werde.
Wir schrieben August 2012 und Jack war dabei, sich dem Team einer geheimen US-Regierungsorganisation namens Global Response Staff (GRS) in Bengasi anzuschließen. Die GRS war nach den Terroranschlägen vom 9. September 2001 ins Leben gerufen worden. Auf Angestelltenbasis arbeiteten dort nur CIA-Sicherheitskräfte in Vollzeit. Tatkräftig unterstützt wurden sie jedoch von ehemaligen Sondereinsatzkräften des Militärs wie Jack, die lukrative Verträge angeboten bekamen. GRS-Angehörige dienten als Personenschützer für Spione, Diplomaten und andere im Ausland eingesetzte US-amerikanische Staatsbedienstete. Je gefährlicher deren Job war, desto wahrscheinlicher war es, dass sich GRS-Mitglieder im Verborgenen um den Schutz der Gesandten und Nachrichtendienstler kümmerten. Wenn überhaupt, dann gab es nur eine Handvoll Außenposten, die als gefährlicher galten als der im libyschen Bengasi.
Als ehemaliger Navy SEAL war Jack prädestiniert für die GRS. Er war 38 Jahre alt, hatte seine Gefühle im Griff, war von düsterer Attraktivität und brachte bei einer Größe von 1,88 Metern dank seines muskulösen Körperbaus gut 95 Kilogramm auf die Waage. In seinem üblichen Aufzug – schwarzes T-Shirt und Khakihose – sah er aus wie ein bärenstarker Bauarbeiter. Da er sich aber für den Flug extra in Schale geworfen hatte und eine Businesshose, braune Lederschuhe und ein Button-down-Hemd trug, das er in die Hose gesteckt hatte, wäre er auch als amerikanischer Geschäftsmann durchgegangen, der zehn Monate nach dem Tod des gestürzten Diktators Muammar al-Gaddafi Chancen im Import-Export-Geschäft witterte. Zumindest hoffte Jack, dass er diesen Eindruck erweckte, als das Flugzeug auf der Landebahn aufsetzte.
Für Jack war es der erste Aufenthalt in Libyen, doch es war bereits sein sechster Einsatz als GRS-Operator. Bislang war er im Nahen Osten und verschiedenen Ländern eingesetzt worden. Als offizielle Erklärung seines Aufenthalts in Bengasi würde Jack bei den Behörden angeben, er sei Personenschützer von US-amerikanischen Regierungsbeamten. Männer, deren Aufgabe es ist, Spione zu beschützen, prahlen nicht unbedingt damit.
Bevor Jack das Flugzeug verließ, nahm er seinen goldenen Ehering ab und legte ihn in eine kleine Schachtel. Er hatte sich das schon vor Jahren angewöhnt, da er nicht wollte, dass seine Feinde wussten, dass er Familie hatte: Seine Frau und seine zwei noch recht kleinen Bengasi Jungen warteten zu Hause an der nordwestlichen Pazifikküste auf seine Heimkehr.
Jack ging über das Rollfeld. Die staubtrockene Nachmittagshitze Libyens nahm ihm förmlich den Atem. Seine Pilotenbrille bot kaum Schutz gegen die grellweiße Sonne Nordafrikas. Jack betrat die heruntergekommene Ankunftshalle und schob sich durch Türen, die zum Gepäckförderband in einem großen Raum führten, der auch mit der Hälfte der Reisegäste, die sich jetzt dort drängelten, bereits als überfüllt bezeichnet worden wäre. Seine Mitreisenden – überwiegend Männer – schrien auf Arabisch durcheinander und stritten wild gestikulierend um das Gepäck. Die Luft war schwarz vor Fliegen, überall hing der stechende Geruch von altem Schweiß. Jack atmete in dem vergeblichen Versuch, sich beides vom Leib zu halten, in flachen, kurzen Zügen durch den Mund ein und aus.
Er war auf der Hut, seit er aus dem Flugzeug gestiegen war – ein Reflex, wann immer Jack feindliches Gebiet betrat. Extrem aufmerksam und mit vorgerecktem Kinn war sich Jack jeder seiner Bewegungen bewusst, da er durch seine Körpersprache ausdrücken wollte, dass er zwar nicht auf Zoff aus war, aber im Falle eines Falles auch nicht klein beigeben wollte. Jack spürte die stechenden Blicke Fremder auf sich ruhen und war sich darüber im Klaren, dass ein paar von ihnen bewaffnet waren. Ihm war ebenfalls klar, dass jeder, der ihn beobachtet hatte, zu ein und demselben Schluss gekommen war: Er war Amerikaner. Er nahm an, dass ihn ein paar seiner Mitreisenden lieber tot gesehen hätten.
Während er auf sein Gepäck wartete, fiel Jack ein stämmiger Mann mit Bart auf, der abseits von dem Gedränge mit dem Rücken an einer Wand lehnte. Er verfolgte jede Bewegung der Menge mit seinen Augen, während sein Körper regungslos verharrte wie der einer Eidechse auf Beutefang. Er trug eine khakifarbene Cargohose und ein marineblaues Button-down-Hemd, das er deswegen nicht in die Hose gesteckt hatte, damit er seine Waffe im Hosenbund verbergen konnte, wie Jack nur allzu gut wusste. Ihre Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde, dann sah Jack wieder zu dem Förderband, während der Mann wie festgeklebt an der Wand stehen blieb.
Nachdem Jack sein Gepäck an sich genommen hatte, stieß sich der Mann von der Wand ab und ging auf den Ausgang zum Zoll zu. Jack folgte ihm mit geringem Abstand. Bis er die Ankunftshalle verließ, hatte er aufgeholt, sodass die beiden Männer nun nebeneinander liefen. Noch immer verlor keiner der beiden ein Wort, auch dann nicht, als der Mann Jack zu einem weißen Toyota-Pick-up führte, der über und über mit Staub bedeckt war. Jack warf seine Taschen auf die Rückbank und nahm auf der Beifahrerseite Platz. Der bärtige Mann setzte sich hinters Steuer. Mit einer geschmeidigen Bewegung griff er im Fußraum nach einer Pistole.
„Sie ist geladen“, sagte er dann zu Jack und reichte sie ihm mit dem Griff voran.
Jack nahm sie und entspannte sich. Er streckte die rechte Hand aus und erwiderte den kräftigen Händedruck seines ehemaligen SEAL- und jetzigen GRS-Kameraden Tyrone Woods, dessen Rufzeichen im Funkverkehr „Rone“ lautete.
„Na, wie läuft’s, Kumpel?“, fragte Rone mit einem breiten Grinsen unter seinem grau melierten Bart.
Nachdem Rone den Wagen angelassen hatte, tauschten sie die Neuigkeiten aus ihrem Leben und über ihre Familien aus und verdrängten diese Gedanken dann ebenso, wie sie ihre Eheringe weggepackt hatten. Rone verließ das Flughafengelände und fuhr in Richtung einer noblen Wohngegend namens West-Fwayhat. Ihr Ziel war ein von der CIA angemietetes Anwesen namens Annex, das geheime Hauptquartier des US-Geheimdiensts in Bengasi. Weniger als eine Meile davon entfernt lag die US-amerikanische Vertretung in dieser Stadt: ein ummauertes Grundstück, das US Special Mission Compound genannt wurde und US-amerikanischen Diplomaten als Quartier diente.
Da sich ihr Gespräch nun geschäftlichen Dingen zuwandte, klärte Rone Jack über die Besonderheiten dieses tückischen Ortes auf, an dem sie beide für die Sicherheit anderer US-Bürger verantwortlich Bengasi waren. Rones vordringliche Botschaft lautete, dass sie genug zu tun bekommen würden, achtsam sein sollten, doch dass es in Bengasi nichts gab, mit dem sie nicht fertig würden. Rone erklärte sogar, dass es ihm hier auf merkwürdige Weise fast gefiel.
Trotzdem: Dadurch, wie sein alter Kumpel Bengasi beschrieb – eine gesetzlose Stadt, die niemand unter Kontrolle hatte, in der die Grenze zwischen Amerikas Freunden und Feinden nicht eindeutig war und verschwamm und in der sie nur einander wirklich trauen konnten –, gewann Jack den klaren Eindruck, dass Rone diesen Einsatz für ihren bislang riskantesten hielt.
Jack war in ein Land geflogen, das die meisten US-Amerikaner nur aus verstörenden Nachrichten kannten. Das nordafrikanische Land, das in etwa so groß ist wie Alaska, ist ein Wüstenstaat und besitzt nur an seiner Nordküste einen schmalen Streifen fruchtbaren Bodens. Im Westen von Libyen grenzen Tunesien und Algerien an, im Osten Ägypten und im Süden Niger, der Tschad und der Sudan. Das Land ist in drei Großprovinzen aufgeteilt: Tripolitanien im Westen mit seiner Hauptstadt Tripolis, Kyrenaika im Osten mit seiner Hauptstadt Bengasi und Fessan im trockenen Süden mit seiner Hauptstadt Sabha. Die Mehrheit der etwa sechs Millionen Libyer lebt in und um Tripolis und Bengasi am Mittelmeer. 97 Prozent der Bevölkerung sind sunnitische Muslime.
Die Geschichte Libyens ist eine Geschichte von Invasionen. Sobald ein Reich über ausreichend Schiffe und Streitkräfte verfügte, standen Libyens größere Hafenstädte Tripolis im Westen und Bengasi im Osten – getrennt durch die Große Syrte – auf der Liste von Städten, die es zu erobern galt. Im Laufe der Jahrhunderte besetzten die Phönizier, die Perser, die Römer, die Byzantiner und die Osmanen das Land. Es kam auch vor, dass zwei rivalisierende Reiche das „Kind“ einfach untereinander aufteilten. Die Griechen beanspruchten 630 vor Christus das Gebiet rund um Bengasi, während sich die Römer zur gleichen Zeit in der Nähe von Tripolis niederließen. Historiker sind der Ansicht, Libyen verdanke seinen Namen den Griechen, da dieser griechische Begriff alle nordafrikanischen Länder westlich von Ägypten bezeichnet.
Bis 74 vor Christus hatten die Römer den Osten Libyens erobert, was eine vorübergehende Vereinigung des östlichen und westlichen Teils des Landes mit sich brachte. Anschließend rückten die Vandalen – ein germanischer Stamm – in Libyen ein, vertrieben die Römer und plünderten den Osten des Landes, was ihnen ihren sprichwörtlichen Namen einbrachte. Die Osmanen marschierten 1551 in Tripolis ein und herrschten über drei Jahrhunderte in Libyen, jedoch mit nur mäßigem Erfolg, über die widerspenstigen östlichen Stämme rund um Bengasi.
Nachrückende Eroberer besiegten Libyen und beuteten das Land aus, während zugleich zwei arabische Stämme aus Ägypten dorthin strömten. Der eine Stamm, die Banu Hilal, ließ sich in der Nähe von Tripolis nieder, während es die Bani Salim in den Osten zog. Letztere mischten sich unter die Berber, es kam zu zahlreichen Eheschließungen unter den verschiedenen Stämmen. Im Laufe der Generationen bildete sich deshalb eine homogene religiöse und ethnische Region heraus, was von einem Historiker einmal als „absolute Arabisierung“ des Ostteils Libyens bezeichnet wurde.
Im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts gaben die osmanischen Türken jegliche Hoffnung auf, Bengasi kontrollieren zu können. Sie ließen es zu, dass der Ostteil Libyens als semi-unabhängiger Staat unter der Kontrolle der Sanusiya, einer sufistischen islamischen Bruderschaft, existierte. Diese predigte eine reine Form des Islams, deren Anhänger sämtliche Aspekte ihres Lebens nach den Lehren des Propheten Mohammed ausrichten mussten. Während Tripolis und der Westteil Libyens sich zu einer relativ modernen Region entwickelten, wurde das Leben im Ostteil Libyens nach wie vor von Stammesrechten und religiösen Gesetzen bestimmt. Diese Kluft macht es nahezu unmöglich, das heutige Libyen zu verstehen, außer man hält Bengasi sich den krassen Gegensatz zwischen Bengasi und seiner größeren, reicheren, attraktiveren und weltlicheren Schwester Tripolis vor Augen.
Im Jahr 1912 unterzeichnete das erschöpfte Osmanische Reich einen Geheimpakt, der Italien die Kontrolle über den Westen und Osten Libyens überließ. Tripolis unterwarf sich der Herrschaft durch die Italiener, doch das östliche Libyen widersetzte sich der Kolonialisierung, insbesondere durch eine christliche Nation. Bis 1920 hielten die Italiener durch, dann hatten sie genug. Ausgelaugt vom Ersten Weltkrieg übergab Rom die Macht über den Ostteil Libyens an Idrīs al-Sanūsī, das Oberhaupt des streng-religiösen Sanussiya-Ordens.
Als der faschistische Diktator Benito Mussolini zwei Jahre später in Italien an die Macht kam, wollte er Bengasi als Teil seines Imperiums vereinnahmen, was der Grund für jahrelange erbitterte Kämpfe war. Im September 1931 gelang es den italienischen Truppen, den Anführer der gegnerischen Guerillas, Umar al-Muchtar, einen Sanussiya-Scheich, gefangen zu nehmen und zu hängen, was ihn zu einem Märtyrer der libyschen Unabhängigkeit machte. Doch obwohl al-Muchtar ausgeschaltet war, machte sich Mussolini daran, die tief verwurzelte Opposition in der Nähe von Bengasi zu zerschlagen, und ließ an der Grenze zu Ägypten einen 270 Kilometer langen Zaun bauen, um die Versorgung der Sanussi mit Waffen, Munition und Lebensmitteln aus Ägypten zu unterbinden. Schätzungen zufolge wurde rund ein Drittel der Bevölkerung Ostlibyens in Konzentrationslager deportiert. Weitere 12.000 Libyer ließ Mussolini umbringen.
Da Bengasi nun unter italienischer Kontrolle stand, trafen Tausende von Arbeitern aus dem Mittelmeerraum dort ein. Die arabischen Einwohner wurden zu niedrigen Tätigkeiten gezwungen, jegliche politische Aktivität wurde ihnen verboten und ihre Kinder durften nicht mehr zur Schule gehen. Der Zweite Weltkrieg machte alles noch schlimmer, da Bengasi Hunderte von Malen unter schwerer Bombardierung stand, während die Achsenmächte und die alliierten Kräfte abwechselnd die Kontrolle über die in Trümmern liegende Stadt gewannen. Britische Piloten arbeiteten das Gemetzel sarkastisch in einem bekannten Lied auf und sangen „We’re off to bomb Bengasi“. Wie ein über Jahre hinweg gequältes Tier wurde Bengasi bösartig und überaus wachsam. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Libyen unter den Briten, den Franzosen und den US-Amerikanern aufgeteilt. Die Erdölvorkommen des Landes waren noch nicht entdeckt worden, weshalb niemand die koloniale Verantwortung für einen verarmten, ausgebombten arabischen Sandkasten übernehmen wollte. Im Jahr 1951 halfen die Alliierten bei der Gründung des Vereinigten Königreichs von Libyen, einer unabhängigen konstitutionellen Monarchie, regiert von dem Muslimenführer Idris al-Senussi. Sein Titel war jedoch um einiges besser als sein Job: König Idris regierte das ärmste Land der Welt, das zu den Nationen mit der größten Zahl an Analphabeten weltweit zählte.
Das änderte sich erst 1959 drastisch mit der Entdeckung der riesigen Ölvorkommen, die immerhin zwei Prozent der gesamten globalen Reserven ausmachen, sodass 2012 über eine Million Barrel täglich exportiert werden konnten. Plötzlich verfügte König Idris über Unsummen, die er fröhlich mit seinen Freunden verprasste und für Lieblingsprojekte in seiner Heimat, dem Osten Libyens, ausgab, während er den Westteil seines Landes dem Verfall preisgab. Im Osten und Westen des Landes wurde die Elite immer reicher, die Armen blieben dagegen nach wie vor arm.
Während einer Auslandsreise des mittlerweile 80-jährigen Königs im Jahr 1969 schien der richtige Moment für einen unblutigen Militärputsch gekommen, angeführt von dem machthungrigen 27-jährigen Hauptmann Muammar al-Gaddafi. In den darauffolgenden 42 Jahren tat der unberechenbare, brutale und selbstsüchtige Gaddafi alles, um seinem Ruf als „tollwütiger Hund des Nahen Ostens“, wie ihn Ronald Reagan einmal bezeichnet hatte, gerecht zu werden.
Von Anfang an machte sich Gaddafi Sorgen wegen Bengasis rebellischer Neigung und seiner Bindung an den im Exil lebenden König Idris, weshalb er die Region ausquetschte wie eine Zitrone. Früher waren Tripolis und Bengasi abwechselnd Hauptstadt des Wüstenstaates, doch Gaddafi machte Tripolis dauerhaft zur Hauptstadt. Er verlegte das Staatsunternehmen National Oil Corporation von Bengasi nach Tripolis und ignorierte dabei, dass die meisten Ölvorkommen im Osten des Landes lagen. Er ließ sogar ein Denkmal zu Ehren von Umar al-Muchtar, das in Bengasi errichtet worden war, versetzen, da er fürchtete, dass sich die dortigen Einwohner an dem Vermächtnis des legendären Märtyrers orientieren würden, wie es letzten Endes auch geschah.
Während in Tripolis immer mehr Krankenhäuser und Schulen gebaut wurden und der allgemeine Lebensstandard deutlich anstieg, war Bengasi das vernachlässigte Stiefkind, das unter der Unterdrückung litt. Die Einwohner der Stadt gerieten in Rage, als sie den Kult erlebten, den Gaddafi um sich selbst trieb. So ließ er unzählige Statuen errichten, es gab zahlreiche Veranstaltungen zur Ehrung seiner Person. Die Kluft zwischen Bengasi und Tripolis war jedoch nicht nur politischer und kultureller Art, sondern manifestierte sich auch physisch. Es gab weder eine Zugverbindung noch eine Autobahn zwischen den beiden Städten, nur enge Straßen, die sich durch knapp 1.000 Kilometer Wüste schlängelten.
Während dieser unruhigen Zeit gab es nur einen Zeitvertreib und Trost für die Einwohner von Bengasi: ihren Fußballverein Al Ahly SC, was auf Arabisch so viel bedeutet wie „Der Klub des Volkes“. Gaddafi war Anhänger mehrerer Fußballvereine aus Tripolis und verachtete Al Ahly SC. Dieser Hass verstärkte sich noch, als das Team aus Bengasi 1974 die nationale Meisterschaft gewann, noch dazu am selben Tag, als sich Gaddafis Machtübernahme jährte. Die Fans gingen in Massen auf die Straßen, um ihren Triumph zu feiern, und ließen dabei Gaddafis Prämisse außer Acht: Er vergaß nie und vergab nie.
Jahre später wurde Gaddafis Sohn Saadi, der selber Fußball spielte, Eigentümer, Manager und Kapitän eines Fußballvereins namens Al-Ahly Tripoli. Saadi zog die besten Spieler aus dem Fußballverein Al Ahly SC ab und bestach oder mobbte die Schiedsrichter, damit seine Mannschaft den Sieg davontrug. Im Sommer 2002 stand Al Ahly SC vor einer Blamage: Noch eine einzige Niederlage und der Verein würde nicht mehr in der höchsten Liga des Landes spielen. Saadi Gaddafi reiste nach Bengasi, um sich an dem Todeskampf des Vereins zu ergötzen.
Da die Schiedsrichter im Laufe des Spiels mehr und mehr zweifelhafte Entscheidungen trafen, wurden die Fans immer unruhiger. Als die Niederlage unausweichlich schien, kippte die Stimmung endgültig. Die Demütigung ihres geliebten Fußballvereins wurde zum Symbol all dessen, was Bengasi unter Gaddafi hatte erleiden müssen: öffentliche Hinrichtungen und größte Armut inmitten unglaublichen Reichtums dank der Ölverkäufe. Nachvollziehbar, dass der Cheftrainer von Al Ahly SC einen der Schiedsrichter schubste, woraufhin zahllose Fußballfans erst das Spielfeld und dann die Straßen stürmten. Sie setzten das Gebäude des nationalen Fußballverbands in Brand und bewarfen die Denkmäler zu Ehren des Regimes von Gaddafi mit Steinen.
Die erwartungsgemäß drastischen Strafen für diese Aktion ließen nicht lange auf sich warten: 80 Fans wurden festgenommen, 30 vor ein Gericht in Tripolis gebracht und drei zum Tode verurteilt. Am 1. September 2000, dem 31. Jahrestag von Gaddafis Putsch, stürmten seine Sicherheitskräfte das Vereinshaus von Al Ahly Bengasi. Sie zerstörten das Mobiliar, Fanartikel und Siegerpokale und machten dann das ganze Gebäude dem Erdboden gleich. Der Verein wurde auf unbestimmte Zeit gesperrt.
Bengasi konnte sich ein Jahrzehnt später, also 2011, rächen. Nachdem die Stadt noch zahlreiche weitere Demütigungen erleiden musste, breitete sich der Arabische Frühling zunächst in Ägypten und Tunesien aus – eine Entwicklung, die alle Einwohner von Bengasi aufmerksam verfolgten. Bengasi wurde zur Wiege des libyschen Bürgerkriegs, der nicht nur Gaddafis Herrschaft, sondern auch seinem Leben ein Ende setzte.
Jacks Ankunft in Bengasi war das jüngste Kapitel im Leben eines modernen Scharfschützen und Abenteurers. Er war als Einzelkind von Einwanderern, die alles taten, um ihr Kind auf eine Privatschule zu schicken, in Nordkalifornien aufgewachsen. Als Junge verbrachte Jack so viel Zeit wie möglich im Freien, baute Forts und stellte sich vor, wie man überleben könnte, wenn Amerikas Feinde seine Heimatstadt überfielen. Er war sehr gut in naturwissenschaftlichen Fächern und in Mathematik, doch nach einem Tag am College wusste er, dass er von schulischer Bildung genug hatte. Jack verpflichtete sich bei der Navy und hatte dabei nur ein Ziel vor Augen: Er wollte zu den SEALs.
Jack war 19 und hatte gerade den Teil seiner Ausbildung in einem Trainingslager für Rekruten hinter sich, als er an einem zehnwöchigen Ausbildungsprogramm der Navy teilnehmen sollte. Dort ließ er seinen Ausbildern keine Ruhe, bis er zu dem Eignungstest für die Basic Underwater Demolition School der Navy, einer Ausbildungsstätte für Kampfschwimmer der US-Marines, zugelassen wurde, dem ersten Schritt auf dem jahrelangen Weg zum SEAL. Doch als der Eignungstest ohne vorherige Ankündigung stattfand, hatte sich Jack im Vorfeld tagsüber auf die Unterrichtsstunden konzentriert und nachts wild gefeiert, weshalb er das Konditionstraining hatte schleifen lassen.
Der Eignungstest war nur ein Vorgeschmack darauf, was einem künftigen SEAL während seiner Ausbildung abverlangt wurde, doch er reichte allemal aus, um die Spreu vom Weizen zu trennen und diejenigen auszusortieren, die keine Chance hatten, die Ausbildung erfolgreich zu absolvieren. Jacks Freunde hielten den bulligen Seemann für einen todsicheren Kandidaten. Jack schaffte das 500-Meter-Schwimmen in der geforderten Zeit. Er kletterte aus dem Pool und machte mehr Liegestütze als verlangt: über 80 in zwei Minuten. Als Nächstes standen Sit-ups auf dem Programm und auch hier übertraf er die Anforderung spielend. Dann waren Klimmzüge an der Reihe. Die Kandidaten sollten hintereinander ohne Pause acht perfekte Klimmzüge zeigen. Nachdem Jack das Training wochenlang vernachlässigt hatte, schaffte er sechs am Stück, riss sich zusammen und quälte sich noch durch den siebten. Seine Muskeln brannten wie Feuer. Seine Lungen schmerzten. Seine Arme fühlten sich an, als würden sie verbrennen. Jack gab sein Bestes und nahm den achten Klimmzug in Angriff, doch er schaffte es nicht, sein Kinn über die Stange zu recken. Da hing er nun – und wollte nicht loslassen, hatte jedoch nicht die Kraft, die Übung zu beenden und sich noch ein Stück höher zu ziehen. Der erfahrene Master Chief SEAL, der Jack dem Test unterzog, provozierte Jack: „Wenn ich dir jetzt ein Feuerzeug unter den Arsch halte, schaffst du es dann über die Stange?“ Jack versuchte es erneut, aber vergebens. Als er zu Boden fiel, standen Tränen in seinen Augen. Jack ging auf seine Stube und teilte seinen schockierten Freunden mit, dass er durchgefallen war.
Für Jack war das einer der Augenblicke seines Lebens, die er als absolut traumatisch und motivierend zugleich empfand. Anstatt die legendäre SEAL-Ausbildung zu durchlaufen und dann dem US-amerikanischen Elitetrupp anzugehören, verbrachte Jack die nächsten zwei Jahre als Marineflieger auf einem Flugzeugträger. Bei seiner nächsten Chance, sich dem Eignungstest zu unterziehen, brach Jack alle Rekorde.
Nach Beendigung seiner Ausbildung bei den SEALs wusste Jack das Yin und Yang seiner Erfahrungen der letzten zwei Jahre zu schätzen. Seine demütigende Niederlage und ihre persönlichen Folgen verliehen ihm die nötige Stärke und Willenskraft, den brutalen Ausleseprozess durchzustehen und sich Neptuns Dreizack, die Erkennungsmarke der wohl berühmtesten Spezialeinheit der Welt, zu verdienen, während Dutzende seiner Kameraden das Handtuch warfen.
Jack redete nicht viel von seinen Heldentaten, doch während seiner zehnjährigen Dienstzeit bei den SEALs war er in mehr als 20 Ländern eingesetzt worden und absolvierte Missionen im Kosovo und dem Nahen Osten. Er hörte bei der Spezialeinheit auf, weil er mehr Zeit mit seiner wachsenden Familie verbringen und den Sprung in die Selbstständigkeit wagen wollte.
Jack versuchte sich als Immobilienmakler, kaufte und renovierte Gebäude, verkaufte sie weiter und arbeitete hart daran, dem turbulenten Marktgeschehen immer einen Schritt voraus zu sein.
Als Jack und Rone sich der GRS als Operators anschlossen, waren die beiden ehemaligen Navy SEALs schon fast ein Jahrzehnt lang miteinander befreundet. Sie hatten sich kennengelernt, als sie beide als Ausbilder bei den Navy SEALs für Seekriegsführung in Niland, Kalifornien, tätig waren. Eines Abends, kurz nachdem die beiden einander vorgestellt worden waren, saß Jack in einer Bar und wollte nicht mehr nach Hause fahren. Er ging zu Rones Wohnung unweit der Bar und wollte dort die Nacht auf der Couch verbringen. Da Rone keine Ahnung hatte, wer da vor seiner Tür stand, kletterte er in Boxershorts mit einer Pistole in der Hand aus dem Fenster. Er schlich, wie er es gelernt hatte, taktisch klug mit gezogener Waffe um die Ecke in Richtung Haustür, um den mutmaßlichen Eindringling zu überraschen. Als er den betrunkenen Jack erkannte, senkte er die Waffe und fing an zu lachen.
Nachdem Rone nun nicht mehr mit einer Waffe auf ihn zielte, atmete Jack tief durch. Seit diesem Abend hielt er ihn für klug und effizient, für eine geborene Führungskraft und für den wohl motiviertesten und fleißigsten Mann, den er jemals kennengelernt hatte – kein geringes Lob unter Elitekämpfern.
Rone war 41, zum zweiten Mal verheiratet und Vater von drei Söhnen. In der Highschool hatte er es zu einem guten Wrestler gebracht, der schnelle Motorräder und Muscle Cars mochte, vor allem den Ford Mustang Cobra. Rone hatte die breite Brust eines Gewichthebers, hellbraunes Haar und Unterarme wie ein Rammbär. Er hat den Dreizack der SEALs 1991 erhalten, nachdem er zweimal die sogenannte Hell Week überstanden hatte, einen unglaublich strapaziösen Testlauf über fünfeinhalb Tage, in dem die geistige und körperliche Kraft, die Schmerz- und Kältetoleranz, Teamfähigkeit und Willensstärke der Teilnehmer getestet wird, und das mit weniger als vier Stunden Schlaf.
Während seiner Zeit bei den SEALs hatte Rone tapfer in Somalia, Afghanistan und dem Irak gedient und wurde mit dem Bronze Star mit einem „V“ für Tapferkeit für seine Kampfeinsätze ausgezeichnet. In seiner Belobigung war von seinen „heroischen Leistungen, seiner außergewöhnlichen Führungsstärke, herausragenden Eigeninitiative und seinem unermüdlichen Einsatz“ in al-Anbar im westlichen Irak die Rede. Er war sowohl Heiler als auch Krieger und hatte eine Ausbildung zum Krankenpfleger und Rettungssanitäter absolviert. Rone hörte 2010 nach 20-jähriger Dienstzeit bei den SEALs auf, kaufte sich eine Kneipe namens The Salty Frog in Imperial Beach, Kalifornien, und unterstützte seine Frau in ihrer Zahnarztpraxis.