Menschen haben ihr Leben aus dem Wissen von sich zu führen. Dieses Selbstbewusstsein im elementaren Sinne lässt sich auf keine andere Tatsache zurückführen. In ihm sind aber zahlreiche intelligente Leistungen wie in einem Zentralpunkt miteinander verflochten. Darum kann die Philosophie aus dem Selbstverhältnis eine Perspektive auf viele ihrer Grundprobleme gewinnen. Dies macht Dieter Henrich in seinen Vorlesungen deutlich. Im Selbstbewusstsein ist ein gegenläufiger Ausgriff einerseits auf Konzeptionen der Welt und andererseits auf eine Selbstinterpretation angelegt. Von dieser Grundlegung aus werden eine Begründung der Ethik sowie eine Verständigung über Subjektivität und Freiheit entwickelt.

Dieter Henrich ist Professor emer. für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zuletzt sind von ihm im Suhrkamp Verlag erschienen: Fixpunkte (stw 1610), Grundlegung aus dem Ich (2004), Die Philosophie im Prozeß der Kultur (stw 1812) und Hegel im Kontext (mit einem Nachwort zur Neuauflage, stw 1938).

Dieter Henrich

Denken und Selbstsein

Vorlesungen
über Subjektivität

Suhrkamp

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Der folgende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2170.

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, Berlin 2007, 2016

© Dieter Henrich

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eISBN 978-3-518-74544-1

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Inhalt

Vorwort

A. EXPOSITION

I. Subjektivität und die Frage nach dem Ganzen

1. Der Subjektbegriff, Kritik und Perspektive

2. Komplikationen um das Selbstbewusstsein

3. Weltbilder und Selbstverständigung

4. Wissenschaft vom Ganzen?

II. Person und Subjekt in der Dynamik des Lebens

1. Grund und Welt

2. Antizipierte Identität

3. Dimensionen der Dynamik

4. Einsicht als Ereignis

5. Philosophie und Leben

B. DURCHFÜHRUNGEN

III. Die Entfaltung des sittlichen Bewusstseins

1. Ein Resümee

2. Grundnorm und Identitätsbildung

3. Aporien der Ethikbegründung

4. Selbstsein und sittliches Bewusstsein

5. Die Vertiefung des sittlichen Bewusstseins

6. Bewandtnis des Lebens

IV. Die Subjektivität im Mitsein

1. Transzendentale Grundlegung

2. Subjekte aus Intersubjektivität?

3. Mitsein vor Selbstsein?

4. Ortsbestimmung des Naturalismus

5. Der Leib als Bedingung des Mitseins

6. Sprache und Kultur

7. Individuen in sozialen Ordnungen

8. Die Subjektivität in sozialen Ordnungen

9. Soziale und sittliche Ordnung

10. Wesentliches Mitsein

V. Einheit, Einzelnheit und Freiheit

1. Extrapolierendes Denken

2. Grund und Sinn

3. All-Einheit und endliche Einzelnheit

4. Selbstbewusstsein der Freiheit?

5. Freiheitszuschreibung und Konsequenzprinzip

6. Anlass für die Freiheitszuschreibung?

7. Verhaltensart und Lebensentwurf

8. Lebensentwurf und Vorzugswahl

9. Freiheit und Selbstverständigung

Nachbemerkungen

Nachwort zur Taschenbuchausgabe

Für Angelika

Vorwort

Menschen leben nicht nur, sie haben ihr Leben aus dem Wissen von sich selbst heraus zu führen. Darum ist ihr Selbstbewusstsein gegenüber allem, was sie als Menschen ausmacht, elementar und unmittelbar. Es ist aber nicht undifferenziert. Seine komplexe Verfassung artikuliert sich spontan und in Gedanken besonderer Art. Über andere Gedanken, die ebenso wenig ausgedacht sind, setzt sich der Mensch in Beziehung zu dem Ganzen einer Welt und wird ins Nachdenken über sein Selbstsein gezogen. Es ist Aufgabe der Philosophie, diesen Gedanken nachzugehen. Sie muss sie zunächst verdeutlichen und dann an sie anknüpfen, um sie zu einer Verständigung über menschliches Leben zusammenzuführen und weiterzubilden. Der Titel der folgenden fünf Vorlesungen verweist auf diese Aufgabe.

Die Vorlesungen kamen auf Einladung des Kollegs Friedrich Nietzsche der Stiftung Weimarer Klassik im Jahr 2003 zustande. Die ersten beiden Vorlesungen sind im Winter 2003 in Weimar gehalten worden, die dritte in gekürzter Form im Dezember 2004. Die fünfte Vorlesung wurde im April 2005 nur zum Teil vorgetragen, während der Text insgesamt Thema eines begleitenden Seminars gewesen ist. Die vierte Vorlesung gehörte schon zum ursprünglichen Plan der Vortragsfolge; ihr Text wurde aber nachträglich im Jahr 2006 niedergeschrieben. Ich bin dem Kolleg, seinem Leiter und der Stiftung dankbar für ihre Gastfreundschaft und für inspirierte Gespräche.

Nach ihrer Ausarbeitung für den Druck nähern sich die späteren Texte zunehmend der Form von Abhandlungen an – wegen der Dichte ihrer Argumentation und der Vielschichtigkeit ihrer Themen. Dennoch bleibt der Stil von Vorlesungen insofern gewahrt, als es nicht so sehr darum geht, Argumentationen sorgfältig aufzubauen und allseitig zu sichern, als vielmehr darum, die Tragfähigkeit eines Grundgedankens bei der Erschließung von Problembereichen und die Linienführung einer Argumentation zu erproben. Äußerlich ist die Form einer systematisch angelegten Vorlesung auch daran zu erkennen, dass die Texte mit einem Rückblick auf das Vorausgehende beginnen, dass Anmerkungen nicht benötigt werden und dass die bedeutenden philosophischen Theorien nur im Vorübergehen einbezogen sind.

Die ersten Vorlesungen entwickeln die Grundgedanken zur Subjektivität, die drei nachfolgenden führen sie weiter über jeweils einen thematischen Schwerpunkt. Auch deshalb, nicht nur wegen ihrer unterschiedlichen Nähe zum wirklichen Vortrag in Weimar, sind sie zu zwei Gruppen zusammengefasst. Deren Titel ›Exposition‹ und ›Durchführung‹ erklären sich aus der Sprache der musikalischen Formanalyse, nicht etwa aus der von Anträgen auf Stipendien oder auf Fördermittel für ein Forschungsprojekt.

Die Vorlesungen sollen zeigen, wie sich im Ausgang von einem Denken, das die Gedanken aufnimmt, welche im Prozess der Subjektivität selbst aufkommen, Grundfragen der Philosophie entfalten lassen. Sie verdeutlichen so die Perspektive, die sich von Subjektivität her auf Probleme gewinnen lässt, die gegenwärtig wieder viel diskutiert werden – auf die Grundlegung der Ethik, auf eine Verständigung über Freiheit und auf eine Theorie der Intersubjektivität, von der es oft hieß, sie müsse umgekehrt der Theorie der Subjektivität vorausgehen. Jede der Vorlesungen entwickelt eine Perspektive aus der subjekttheoretischen Grundlegung für sich allein, ohne sie mit den Themen der anderen Vorlesungen durchgängig zusammenzuführen. Jede hat also nur eine Dimension in der Selbstverständigung des Menschen im Blick. Dennoch geht die Absicht der Vorlesungen darauf, der inneren Komplexion dieser Selbstverständigung gerecht zu werden und somit daraufhin zu wirken, dass das menschliche Leben vor der Zumutung kurzatmiger Diagnosen bewahrt wird, die von eindimensionalen Theorien ausgeht.

Der Zusammenhang zwischen der Untersuchung von Subjektivität und letzten Gedanken, die nach dem überkommenen Verständnis metaphysisch zu nennen sind, wird in der letzten Vorlesung nur in einem Grundzug erreicht, nicht schon differenziert entfaltet.

Nachbemerkungen geben weitere Rechenschaft über die Absicht und über Grenzen des Unternehmens der Vorlesungstexte.

Im Mai 2007

Dieter Henrich

A. EXPOSITION

I. Subjektivität und die Frage nach dem Ganzen

1. Der Subjektbegriff, Kritik und Perspektive

Eine Perspektive auf ›die Zukunft des Humanen‹ soll aus der Vorlesungsreihe hervorgehen, zu der ich, dank Ihrer freundlichen Einladung, mit meinen Vorlesungen beitragen soll. Das Kolleg Friedrich Nietzsche richtet für die Stiftung Weimarer Klassik diese Reihe aus. Über den Namen Nietzsches, und zwar in Verbindung mit der Erinnerung an die klassische deutsche Philosophie, gewinnt diese Aufgabe sogleich auch ein scharfes Profil. Nietzsche hat der Frage nach der Zukunft des Menschen jene Brisanz gegeben, die das gesamte nachfolgende Jahrhundert durchwirkt hat. Aber man muss sagen: Die ihm eigene Frage hätte er vermutlich von einer Frage nach der Zukunft des ›Humanen‹ ganz abgesetzt wissen wollen.

Hegel hatte den Humanus zum Heiligen der kommenden Kunst proklamiert. Diese Kunst, die in ihre Gestaltungen nicht mehr einzubringen vermag, was die Wirklichkeit im Ganzen ausmacht, sollte sich nun aus all dem, was »in der Menschenbrust lebendig werden kann«, ihre Sujets erschließen, um davon Kunde zu geben, »was sich irgend durch die Tiefen und Höhen des Bewusstseins hindurchbewegt«. Kann die Kunst auch keinen Gedanken mehr von dem, was ist und was alles einbegreift, Gestalt werden lassen, so kann sie sich doch in die unerschöpfliche Fülle des Humanen umso freier ergehen und entfalten.

Es ist wohl klar, dass Nietzsche ein solches Konzept der Verwirklichung von Humanem nicht der Zukunft, sondern der Vergangenheit des Menschen zugerechnet hätte – und zwar eben der Vergangenheit, unter deren Last ihm die Frage nach der dem Menschen möglichen Zukunft gerade aufgegeben worden war. In der Beliebigkeit des Spiels, von dem Hegel selbst sagt, dass es das Spiel mit seiner Subjektivität sei, ist der Mensch in Wahrheit von fremden Mächten und seiner eigenen Schwäche dominiert. Soll er also eine Zukunft haben, so muss er sich mit sich selbst in einem Wissen von dem Ganzen vertraut machen, dem er in Wahrheit entstammt und zugehört. Solchem Wissen und Erfahrenkönnen hat der freie Geist die Bahn zu erschließen.

Um dessentwillen hat er vor allem die Illusionen zu durchschauen und zu demaskieren, die den Menschen beherrschen, der sich selbst fremd geworden ist. Unter diesen Illusionen kommt aber jener Illusion eine Schlüsselrolle zu, die den Menschen glauben macht, er sei im Durchspielen der Höhen und Tiefen seines Lebens das selbstbestimmte Subjekt, dessen Subjektivität nach Hegel das eine Thema des modernen Humanus hatte gewesen sein sollen.

Nietzsches Kritik am Subjektbegriff hat in die Theoriegeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts einen gewaltigen Impetus gegeben. Es begann mit der Kritik an dem Subjekt bürgerlichen Lebens, das nicht sein eigener Souverän, sondern das Produkt verdorbener Lebensverhältnisse ist. Im späteren Jahrhundert schloss sich dann an Nietzsches Kritik des Subjektbegriffes, vermittelt durch Heideggers genealogische Destruktion der Geschichte der Metaphysik, eine breite philosophische Bewegung an. In ihrer Zeitkritik, in ihren Diagnosen deformierten Lebens und in ihrem Verfahren der Aufdeckung von verdeckten Bedingungen scheinbar selbstgenügsamer Strukturen setzte sich der Impuls von Nietzsches Denken erkennbar fort. Auch in dem Gestus eines Denkens, das die Kraft der Erkenntnis geradezu an dem Grad der Fähigkeit zur luziden Entlarvung von Illusionen und Verstellungen bemisst, hat, mehr noch als Heidegger, Nietzsche als Vorbild fortgewirkt. Niemals wurde die steile Gestalt dieses Vorbilds freilich wieder erreicht. Denn es macht einen Grundunterschied aus, ob einen Lebensnot und Einsamkeit dazu treiben, sich über den Grund dieser Not in einer entlarvenden Erkenntnis des eigenen Lebensmilieus zu verständigen, oder ob man mit den Entlarvungen nur fortfährt in einer Umgebung, die den Gestus der Destruktion bereits als literarisches Genre kennt und begünstigt.

Wenn die Stiftung Weimarer Klassik die Reihen der Vorlesungen der Frage nach »der Zukunft des Humanen« zuordnet, so scheint mir darin dreierlei zum Ausdruck zu kommen: das Wissen von der Bedrohung, der diese Zukunft unterliegt, das Bewusstsein von der Bedeutung der Tendenzen im Denken der Zeit, die Zukunft durch eine Umkehr und zugleich durch eine Grundrevision der Selbstverständigung des Menschen zu gewinnen, aber zugleich auch noch Zweifel daran, ob eine solche Zukunft wohl wirklich zu erschließen ist auf dem Weg einer destruierenden Abweisung aller der Vorgaben einer Verständigung über das Wesen des Humanen, die sich an die Grundbegriffe des überkommenen Denkens angeschlossen haben.

In den Themen der fünf Vorlesungen, die ich angekündigt habe, lässt sich wohl kaum übersehen: Viele der in diesen Themen erwähnten Grundbegriffe sollen offensichtlich so gebraucht werden, dass sie nicht zugleich auch einem Grundverdacht unterworfen sind. Wirklich gehe ich in dem, was ich vortragen werde, nicht von einem Generalverdacht gegen alles aus, was in den maßgebenden philosophischen Traditionen der Moderne erschlossen worden ist. Ich meine nicht, dass sie zu revolutionieren sind oder von einem neuen Paradigma des Denkens bereits obsolet gemacht wurden. Wohl aber meine ich, dass sie bis in ihre Grundlagen neu gewonnen und auf neue Weise so ausformuliert werden müssen, dass sie das Bewusstsein der Menschen unserer Zeit nicht von sich abstoßen, die viele Krisen durchlebt hat und die in ebenso viele voraussieht. Darum steht mir also auch die Aufgabe vor Augen, die mit der Frage gestellt ist, die sich aus dem Programm der ganzen Reihe herleitet. Man kann Themen des Denkens, die eine lange Geschichte mit sich tragen, nicht neu entwickeln, ohne sich dabei jederzeit auch der über mehr als ein Jahrhundert zurückreichenden Kritik an ihren Voraussetzungen und an ihrer Erschließungskraft zu stellen. Werden, so wie es wirklich meine Absicht ist, Themen, welche die neuere Philosophie seit ihrem Beginn dominiert haben, in ein neues Licht gebracht, dann sollen in diesem Licht auch die Gründe einsichtig werden und aufgenommen werden können, die zum destruierenden Aufstand gegen alle diese Begriffsbildungen geführt haben. Weder der destruierende Gestus noch die gegen ihn gerichtete Abwehr allein wird uns auf den Grund einer Einsicht bringen, die nicht so sehr eine Zukunft heraufführen als vor allem in dem, was kommt, standhalten soll.

Die klassische Philosophie der Moderne hat der Rede davon, dass der Mensch Subjekt seiner Gedanken und seines Handelns sei, in ihren Begründungen eine zentrale Bedeutung gegeben. Ich werde in meiner Weise ebenso verfahren. Da ist es denn wohl nur angemessen, sich vorab mit einem Argument zu befassen und sich von ihm frei zu machen, von dem man sagen kann, dass es wie kein anderes die gesamte neuere Kritik an der philosophischen Rede von einem Subjekt angeleitet hat. Heidegger fand, dass ein Subjekt, das als Prinzip der Philosophie eingesetzt wird, nur als absolutes Subjekt verstanden werden könne – nämlich als der selbstmächtige Grund aller seiner Setzungen. Daraus leitete sich unter vielen anderen die Kritik her, ein solches Subjekt müsse sich seine eigene Endlichkeit und die geschichtliche Herkunft seiner Verstehensart verstellen.

In der französischen Nachfolge Heideggers hat diese Argumentation noch eine andere Ausprägung erfahren. Das moderne Subjekt sei durch seine Selbstgegenwart definiert. Mit dieser Prämisse, so hieß es, immunisiere sich aber die Subjektphilosophie gegen die Einsicht in alle anonymen Mächte, welche den Vollzug und die Verstehensart der Subjekte hinterrücks konstituieren – Institutionen, Begehren, Geschlechtlichkeit, die anonyme Entfaltung eines Sinngeschehens, in dem nichts zur vollen Präsenz zu bringen ist.

In dieser Argumentation schließt sich Heideggers Einspruch gegen die Selbstermächtigung des Subjekts mit einer Erinnerung an den Franzosen Descartes zusammen. Er hatte gegen den universellen Zweifel einen gegen jeglichen Zweifel immunen Punkt der Gewissheit aufgewiesen. Auch im Zweifel steht doch für den, der sich im Zweifel befindet, gänzlich außer Frage, dass er selbst es ist, den der Zweifel bedrängt. Man kann zwar auch daran zweifeln, ob es einem mit dem eigenen Zweifel ernst ist. Dann ist aber doch wieder kein Zweifel daran möglich, dass man selbst es ist, der sich in dieser Unsicherheit befindet.

Die Gewissheit im Wissen von mir selbst als dem, der von allerlei Meinungen bedrängt ist, bleibt also wirklich jeglichem Zweifel entzogen. Es ist aussichtslos, gegen diese basale Wahrheit anzuargumentieren. Wohl aber hat man sich zu fragen, wie ebendiese Gewissheit selbst verstanden und wie sie allem anderen Verstehen eingeordnet werden kann. Vor dieser Frage wird nun die Subjektkritik ihrerseits hinterrücks von einer weiteren, einer scheinbar selbstverständlichen philosophischen These ausgelöst. Sie gehört nicht zur Erbschaft des Descartes, sondern macht sich bei den Franzosen von Husserl und mehr noch von Jean-Paul Sartre her geltend: Gewissheit kann nur aus der Evidenz hervorgehen, die allein einem zur vollen Präsenz gebrachten, einem quasi anschaulich Gegenwärtigen eigen zu sein vermag. Daraus folgt dann sogleich, dass Selbstgewissheit in einem adäquaten Sich-selbst-Gegenwärtigsein fundiert sein muss. Ist aber das Subjekt durch solche Selbstgewissheit definiert, dann muss es alles ausschließen, was mit seinem Sich-selbst-Gegenwärtigsein unvereinbar ist. Dies Wenige zieht unmittelbar die Folge nach sich, dass das so verstandene moderne Subjekt alle Weisen des Bedingtseins durch ihm Entzogenes von sich ausschließt, die in seine reine Selbst-Vergegenwärtigung keinen Eingang finden können und die darum seine Selbst-Durchsichtigkeit begrenzen. Ein so verstandenes Subjekt muss dann aber selbst als eine bloße Fiktion entlarvt werden.

Die Verkoppelung von Gewissheit mit adäquater und damit evidenter Präsenz führt also geradewegs in eine theoretische Zwangslage. Es scheint, dass man von dunklen Bedingungen und anonymen Mächten, welche in die Formation von Subjekten eingehen, nur sprechen kann, wenn man die cartesianische Gewissheit bestreitet, welche diese Subjekte von ihrem eigenen Dasein haben. Wenn diese Gewissheit aber nun einmal von dem Subjektsinn nicht abzuscheiden ist, kann man sich eben dadurch zu dem Versuch bewogen sehen, den Subjektsinn selbst zu destruieren und die Rede vom Subjekt aus der philosophischen Sprache zu eliminieren. Damit ist man dazu genötigt, gegen eine letztlich nicht zu bestreitende Grundwahrheit anzugehen, die zudem von dem Leben nicht abzuscheiden ist, das wir in und aus dem Wissen von uns führen.

Nun sprechen viele Gründe dafür, der Selbstmacht des Menschen und seiner Klarheit über sich Grenzen zu ziehen. Auch kann man den Menschen nicht ausschließlich aus seiner Subjektstellung begreifen. Aber alle diese Gründe gewinnen ihre Stärke nicht im Zusammenhang einer Gleichsetzung von Gewissheit und Selbstpräsenz, von der man denkt, dass sie zugleich die radikale Subjektkritik notwendig werden lässt. Gewissheit kann mit der Verdecktheit dessen zusammengehen, hinsichtlich dessen Gewissheit besteht. Man kann dafür trivial-alltägliche Beispiele aufbieten: Es kann etwas auf mich einstürzen und mich gänzlich okkupieren, das mich gerade dadurch bedroht, dass ich es nicht einschätzen und durchschauen kann. Von grundsätzlicher Bedeutung ist es aber, sich klar zu machen, dass das, was einen Gedanken zwingend macht, überhaupt nicht aus der Präsentation von etwas verständlich wird, was in irgend einer Weise als gegeben vorliegt. Das gilt dann aber auch für Gedanken, in denen etwas als wirklich aufgefasst wird. Und es gilt insbesondere für die Gedanken von solchen Wirklichen, die selbst überhaupt nur in Gedanken und in Gedanken von sich wirklich sind. Solche Gedanken können dann freilich nicht als so genannte ›bloße‹ Gedanken verstanden werden, denen alles Wirkliche noch, wie man weiter auch sagt, gegenüber steht. Die Gedanken, in denen wir uns selbst fassen, sind offenbar nicht von solcher Art. Denn wir wären gar nicht wir selbst, wenn wir nicht in Gedanken leben würden, von denen wir wissen, dass sie Gedanken von uns selbst sind. Insofern muss in diesen Gedanken immer schon wirklich gefasst sein, was sie zum Inhalt haben. Dann aber kann man sagen, dass Gedanken sogar geradezu ausmachen, was wir sind.

Einen Satz wie diesen kann man allerdings nur dann akzeptieren, wenn man Denken nicht auf die Anstrengung des Problemlösungsverhaltens oder auf irgendeine intelligente Aktivität beschränkt, die man einleiten und auch beenden kann. Auch die Welt, in der wir uns finden, wann immer wir bei Bewusstsein sind, ist nur in Gedanken erschlossen. Sieht man dies ein, dann führt kein Weg mehr daran vorbei, dasselbe auch in Beziehung auf unser Verhältnis zu uns selbst zu akzeptieren. Gleichwohl sind wir kraft Selbstgewissheit, die unser Leben jederzeit begleitet, weder in eine absolute Selbstmacht eingesetzt, noch auch ist uns kraft ihrer alles, was unser Dasein ausmacht, zur Transparenz und zu vollendeter Klarheit gekommen. Scheidet man also Selbstgewissheit im eigenen Denken von Selbstpräsenz und -durchsichtigkeit ab, dann schließen sich die Selbstgewissheit und die Ungewissheit darüber, was eigentlich wir sind, nicht mehr aus. In ihrem inneren Zusammenhang ist vielmehr das gelegen, wie wir uns in unserem Leben ursprünglich erfahren. Auf diesen Zusammenhang werden die folgenden Vorlesungen immer wieder zurückkommen. Er ist eine der Grundlagen, von denen her sich ihre Gedankenfolge aufbauen soll.

Im Übrigen können Vorlesungen dieser Art niemals mehr als eine Übersicht anstreben. Sie sollen, wie die Stiftung es formuliert, eine Perspektive entfalten. So werden auch alle Begründungen nicht ausgeführte Beweise, sondern nur Skizzen sein können. Sie müssen darauf verzichten, sich in extenso auf das Erwägen des Pro und Contra einzulassen, durch das eine philosophische Argumentation zuletzt ihre Verlässlichkeit gewinnt. Die Philosophie muss aber in einem besonderen Sinn immer auch aufs Ganze gehen. Je mehr sie Themen, die jeden Menschen ins Philosophieren ziehen, von sich fernhält, umso weniger wird sie den Erwartungen entsprechen, die sich aus dem menschlichen Leben selbst, oft auch unartikuliert, an sie adressieren. Sie muss zwar auch die professionelle Verantwortung für die Perspektive, die sie entfaltet, übernehmen. Je weiter aber eine Perspektive ausgreift, umso weniger kann sie nach dem Muster formaler Systeme in eine Sicherheit gebracht werden. Die Philosophie bewegt sich an den Grenzen derjenigen Erkenntnisweisen, innerhalb deren definitive und damit auch verbindliche, dann aber immer auch nur partiale Ergebnisse zu erreichen sind. Umso mehr Aufmerksamkeit muss sie darauf wenden, ihre Perspektiven als solche zu bewähren. Ein Weg, der dazu führen kann, ist der, die Perspektive in immer neuer Variation und Anwendung einleuchtend zu machen.

2. Komplikationen um das Selbstbewusstsein

Diese erste Vorlesung soll der Beziehung zwischen der Subjektivität und der Frage nach dem Ganzen nachgehen. Es soll dargelegt werden, wie der Ausgriff auf ein Ganzes in vielerlei Weise aus der Grundverfassung eines Wesens hervorgeht, das von sich selbst weiß. Es soll weiter gezeigt werden, dass sich dieser Ausgriff dann in einer letzten Gestalt ausprägt, wenn das Ganze darauf hin konzipiert ist, dass es den, der auf es ausgreift, selbst auch in sich einbegreift – und zwar gerade mit dem, in dem er sich selbst zugleich auch entzogen ist. Die Beziehung auf ein letztes Ganzes steht darum gerade dort in Frage, wo sich das im Wissen von sich selbst vollziehende Leben selbst in Frage stehen sieht. Damit ist dann auch gesagt, dass die Verständigung über die Beziehung zwischen der Verfassung des Subjekts und der Frage nach einem letzten Ganzen davon auszugehen hat, dass die Selbstgewissheit im Denken die Selbstpräsentation dessen keineswegs impliziert, der in solcher Art von sich weiß. Es ist vielmehr umgekehrt zu zeigen, dass beide einander sogar geradezu ausschließen.

Auch im Blick auf alle folgenden Vorlesungen muss nun noch etwas über die vieldeutige Rede von der Subjektivität gesagt sein. Mit diesem Ausdruck kann man einfach nur die Eigenschaften meinen, kraft deren etwas zu einem Subjekt wird. Subjektivität bezeichnet dann die Verfassung, ein Subjekt zu sein. Davon unterscheidet sich ein Gebrauch, der alle Meinungen und Zustände als ›subjektiv‹ bezeichnet, denen keine Tatsachen in einer Welt entsprechen, von der man denkt, dass sie ganz unabhängig von den Gedanken aller Subjekte über sie existiert. Ich werde den Ausdruck Subjektivität noch in einem dritten Sinn gebrauchen, der aber den ersten voraussetzt und in sich einbegreift: Von dem, was dem Subjekt als solchem eigentümlich ist (also aus seiner Subjektivität im ersten Sinne), nehmen Prozesse ihren Ausgang. Man kann sagen, dass sie allesamt Prozesse sind, in denen das Subjekt sich zu einer erweiterten Gestalt entfaltet und sich seiner selbst nunmehr innerhalb ihrer innewird. Der elementarste dieser Prozesse ist die Ausdehnung des Wissens von sich über den Verlauf einer Lebensgeschichte. Unter allen diesen Prozessen werden im Folgenden insbesondere die zu beachten sein, in denen der Mensch als Subjekt zu einer Verständigung über sich und über das auf dem Wege ist, was sein Leben ausmacht. In die Dynamik dieser Verständigung ist sein Bewusstsein von einer sittlichen Verbindlichkeit und die Frage nach seiner Freiheit einbezogen; und beide sind, wie sich später zeigen wird, auch in sich selbst Grund für eine Verständigungsbewegung. Dies sind die Prozesse, kraft deren die Disziplin der Philosophie ganz unmittelbar in dem verwurzelt ist, was im bewussten Leben spontan als Bedürfnis aufkommt.

In der heutigen Vorlesung steht die Subjektivität des Subjekts im ersteren Sinne, also als elementares Wissen von sich, im Vordergrund. Die folgende wird dann den Prozessen der Subjektivität nachgehen, die von der Grundverfassung der Subjektivität ihren Ausgang nehmen. In einer wichtigen Hinsicht kommen solche Prozesse aber schon damit in den Blick, dass über die Beziehung des Subjekts auf ein Ganzes nachgedacht wird. Wo das Subjekt zu einem Thema der Philosophie wird, das nicht anderen Themen nur ein- und untergeordnet wird, da wird sogleich auch der Grund und die Verfassung eines Gedankens vom Ganzen zum Thema werden. Heidegger hatte zwar gemeint, dass unmittelbar daraus, dass die Subjektivität zum philosophischen Thema wird, auch die Tendenz eintritt, sie als selbstgenugsam und als Grund der Erstellung jeglicher Ordnung allein aus sich selbst auszugeben. Erinnern wir uns noch einmal an den cartesianischen Anfang der neueren Philosophie, um auch davon ein erstes Bild zu erhalten, wie beide Themen auf ganz andere Art zueinander im Verhältnis stehen können.

Der Ausgang der cartesianischen Vergewisserung ist die Selbstbeziehung im Denken, und zwar in dem besonderen Zustand des Zweifels. Wie wir sahen, ist es unmöglich, dass der Zweifel, von dem ich weiß, dass er der meine ist, dann auch noch mich sich selbst unterwirft, insofern ich der Zweifler bin. Ich weiß also gewiss, dass ich wirklich existiere. Diese Vergewisserung ist eine meditative: Ich muss mich auf den Gedanken konzentrieren, dass ich zweifle, und habe insofern die Aufmerksamkeit meines Erwägens auf mein Selbstverhältnis im Wissen von mir einzustellen. Indem dies Erwägen auf das Selbstverhältnis im Zustand des Zweifels konzentriert ist, geht aus ihm aber noch mehr als die Gewissheit der wirklichen Existenz hervor. Die Gewissheit ist daran gebunden, dass der Zweifel vollzogen wird. So verbindet sich mit der Selbstgewissheit im Dasein das Wissen von Grenzen im Wesen dessen, der in solcher Selbstgewissheit steht. Dies Dasein steht nicht in der Sicherheit eines solchen, der aus ihm selbst begründet ist, und jedenfalls fehlt ihm ganz offenbar jene Fülle, von der jeder Zweifel ausgeschlossen sein würde. Besäße es sie, dann würde ihm aber auch die besondere Weise seiner Selbstgewissheit gar nicht zugänglich sein.

Auf dieser Basis, die sich der Selbstbesinnung eigentlich in einem einzigen Zuge erschließt, kann in der Folge der Gottesgedanke eingeführt werden. Von ihm her erklärt sich nämlich der Ursprung der gesamten Situation, in der einem nicht aus sich selbst wirklichen Wesen seine eigene Wirklichkeit auf so durchaus einzigartige Weise erschlossen ist. Bei seiner Explikation dieses Verhältnisses gebraucht Descartes die ontologische Sprache der Verursachung, in der endliche Substanzen von der unendlichen unterschieden und in Kausalrelationen zueinander gebracht werden. In diesem Zusammenhang könnte er dann in Gott als unendlicher Substanz sogar die Ursache dafür setzen, dass wir es vermögen, unserer selbst bewusst zu sein. Dem Gebrauch dieser ontologischen Explikationsmittel voraus ist aber die Grundsituation der Besinnung ausgebildet. In ihr gehen die Selbstgewissheit des eigenen Daseins und die Gewissheit der eigenen Endlichkeit in einem einzigen Zuge hervor, und zwar so, dass sich daran ganz unmittelbar der Überstieg auf einen Grund hin anschließt. Dieser Grund kann dann rückläufig, und wiederum ganz unmittelbar, nicht nur zu dem eigenen endlichen Daseins ins Verhältnis gesetzt werden, sondern in einem damit gerade auch zu dem, was die Selbstgewissheit dieses Daseins ausmacht und auszeichnet.

In der Gedankenfigur dieser rückläufigen Begründungsbewegung ist die Selbstgewissheit in einen direkten Zusammenhang gebracht mit dem Wissen von der eigenen Beschränktheit und ebenso mit dem Bewusstsein, aus etwas begründet zu sein, dem eine ganz andere Verfassung zuzuschreiben ist. Diese Figur trat nicht nur am Anfang der Geschichte der neueren Philosophie hervor. Man kann sich klar machen, dass sie in immer neuen Variationen deren Weg durchherrscht hat. Ihre Spuren kann man sogar im Denken Nietzsches nachweisen wollen, der ja den Cartesianer Spinoza letztendlich als seinen einzigen Vorgänger anerkannte. Nietzsche hat zwar seine Kritik auf den Subjektbegriff gerichtet und den metaphysischen Gottesbegriff genealogisch unterminiert. Aber er variierte jene Gedankenfigur doch in einer Weise, die mit dieser seiner Kritik kompatibel ist: Wir sind uns in unserem Selbstverhältnis nicht adäquat erschlossen. In dem Denken aber, das sich auf das konzentriert, was wir wirklich von uns wissen, werden wir über uns selbst hinausgeführt und gelangen zu einem Ganzen, das uns ebenso überragt, wie es uns ein Leben ermöglicht, das wir frei in der Erfahrung dieses Ganzen führen können. So ist also die Grundfigur insgesamt abhängig von dem Ausgangspunkt ihres Aufbaus: einer Selbstgewissheit, die mit der Unklarheit über das verschwistert ist, was der eigentlich ist, der in dieser Gewissheit steht und lebt.

Diese kleine cartesianische Étude sollte zu einer Orientierung darüber dienen, was in den folgenden Vorlesungen dem modernen Denken als Grundfigur zugeschrieben sein soll. Diese Grundfigur bildet sich aus dem Verhältnis heraus, kraft dessen die Subjektivität in der mit ihrer Selbstgewissheit verbundenen Selbstentzogenheit zu einem Ganzen steht, wobei sie sich dies Ganze nur unter der Bedingung ihrer Selbstentzogenheit vergegenwärtigen kann.

Nun ist dazu überzugehen, dies Verhältnis in Überlegungen aufzuklären, die auf die Sachfragen selbst bezogen sind. Zunächst haben sie, wie gesagt, dem zu gelten, was Subjektivität in der ersten Bedeutung von Wissen von sich meint – aber immer im Blick auf die vielen Beziehungen auf ein Ganzes, welche in dieser Subjektivität aus sich selbst heraus aufkommen.

Wenn die Subjektivität des Subjekts nicht dessen Selbstmacht und durchgängige Selbstpräsenz impliziert, dann ist das wohl wichtigste rein nur theoretische Motiv für die Subjektkritik des vergangenen Jahrhunderts weggefallen. Die Subjektkritik hatte aber doch mit der Philosophie, die Subjektivität als ihr Prinzip anerkannte, wenigstens noch das gemeinsam, dass sie sich, ebenso wie diese, von der Aufklärung über Subjektivität einen bedeutenden Aufschluss zu den Fragen versprach, die aus dem Leben selbst heraus an die Philosophie gerichtet werden.

Im jüngst vergangenen Jahrhundert kam jedoch noch eine andere mächtige Tendenz auf, die gerade dieser gemeinsamen Vormeinung entgegenwirkt. Ihr zufolge erübrigt es sich, den Subjektsinn zu destruieren. Er ist vielmehr zu trivialisieren. Damit lösen sich die Erwartungen, die an die Subjektphilosophie gebunden waren, ebenso auf wie die Motive, die zu dem vergeblichen Versuch zwangen, jede Rede von dem Menschen als Subjekt unter Verdacht zu stellen. Strategische Kraft kann man dieser Tendenz nicht absprechen. Denn es trifft zu, dass die Philosophie, die sich an einem Subjektbegriff orientierte, in der Subjektivität eine singuläre Grundtatsache sah. Sie verlangt deshalb nach einer eigenen Weise der Aufklärung, verspricht dann aber auch einen Aufschluss, der gleichermaßen für Theorie und Leben von Bedeutung ist. In der Subjektkritik wurde diese Erwartung nicht zurückgenommen, sondern nunmehr nur auf die Verabschiedung der Orientierung am Subjekt übertragen. Mit der Trivialisierung des Subjektsinnes sollen aber beide Erwartungen zugleich in sich zusammenfallen.

Wird das, was ein Subjekt ausmacht, aus einem trivialen Sachverhalt heraus erklärt, so heißt das nicht eo ipso, dass auch diese Erklärung als solche der Trivialität zu bezichtigen wäre. Sie könnte sogar beträchtliches philosophisches Raffinement aufbieten. Die Philosophie hatte überdies von jeher in dem Widerspiel zwischen einem Abbau von Illusionen und der Verteidigung von unverzichtbarem Tief- und Hintersinn ihren Weg zu finden. Wer also im Subjektbegriff eine für die Theorie und die Interpretation des Lebens wesentliche Orientierung festmachen will, der muss sich auf die Argumente, welche diesen Subjektsinn trivialisieren, nicht weniger als auf die Argumentation der Subjektkritik einlassen. Das soll nun auch so knapp wie möglich geschehen.

Die Trivialisierungsversuche sind dort von besonderem Interesse, wo sie daran anschließen, dass sich das Verfahren der Reflexion auf die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken inzwischen als Mittel der philosophischen Aufklärung vielfältig bewährt hat. Der einfachste Versuch solcher Art geht (mit Hans Reichenbach) davon aus, dass das Indexwort ›ich‹ die Subjektstellung im Denken bereits vollständig erklärt. Die Bedeutung dieses Wortes ist es, auf den Sprecher zu verweisen, der dies Wort jeweils gebraucht. Wer also das Indexwort bedeutungsgerecht gebraucht, der steht damit im Verhältnis zu sich.

Nun muss aber der Gebrauch des Wortes nicht nur de facto regelgerecht vollzogen werden. Das kann auch ein Automat leisten, der keinen Gedanken über das, was in ihm verlautet, zu fassen vermag. Soll von einem Sprecher, der seine Sprache, wie man sagt, ›beherrscht‹, überhaupt die Rede sein, so muss man es ihm zuschreiben, dass er selbst versteht, was er zum Ausdruck bringt, und dass er das, was er meint, denen, zu denen er spricht, zu verstehen geben will. Insofern wird durch den Gebrauch des Wortes ›ich‹ die Subjektstellung zwar wohl bezeugt, aber nicht konstituiert. Sie ist im Gebrauch von ›ich‹ vielmehr offenkundig vorausgesetzt.

Ganz anders setzt das Unternehmen von Peter Strawson ein. Es betrachtet die Bedeutung des Indikators ›ich‹ als eingefügt in den Zusammenhang des Systems der anderen indizierenden Ausdrücke wie ›du‹ und ›er‹, denen auch ›ich‹ zugehört. Sie alle setzen voraus, dass sich der, der diese Ausdrücke verwendet, als ein Einzelnes identifizieren kann, und zwar als jenes, das mit den Ausdrücken gemeint ist. Nur wird die Identifikation im Gebrauch der Ausdrücke nicht vollzogen, sondern nur als jederzeit möglich impliziert. Strawson folgert daraus, dass schon im einfachen ›ich‹-Gebrauch eine Welt von bestimmter Verfassung vorausgesetzt ist: In ihr gibt es Personen, also solche einzelne Dinge, die über ihre Körper identifiziert werden können, die aber zugleich und ursprünglich des intelligenten Sprachgebrauchs fähig sind.

Dieser Versuch läuft, wie Sie sehen, bereits auf einen der Ansätze dazu hinaus, eine Verschränkung zwischen einem Subjektsinn und einem Weltganzen nachzuweisen. Als Aufklärung über Subjektivität versagt er jedoch. Das wird offensichtlich, wenn man sich fragt, wie es denn zu verstehen ist, dass einer jenes umfassende Begriffssystem, das ein Weltganzes impliziert, in Gebrauch hat. Dazu genügt es offenbar nicht, dass er zusammen mit irgendeinem Weltbegriff auch über den Begriff der Person verfügt. Er muss ihn nämlich auf sich selbst anzuwenden wissen. Um dies zu können, muss er vorab verstehen, was es überhaupt heißt, sich selbst als etwas zu kennen und zu verstehen. So müsste Strawson also, was er aber nicht tut, den Erwerb des Begriffssystems zusammen mit dem Erwerb der Fähigkeit der Selbstanwendung zu rekonstruieren versuchen. In der Selbstanwendung des Begriffs der Person würde sich also eine Person in ihrer Eigenschaft, Subjekt zu sein, allererst bekunden.

Nun ist es aber nicht zulässig, diese Selbstanwendung aus dem Erlernen des Gebrauchs des Wortes ›ich‹ herzuleiten, das in einem mit dem Gebrauch des Sinnes von ›Person‹ etwa auch erlernt wird. Haben wir doch gerade eben gesehen, dass der Gebrauch von ›ich‹ das Wissen von sich voraussetzt und es nicht konstituiert. Daraus versteht es sich ja im Übrigen auch, dass Kinder den Gebrauch von ›ich‹ so spät zu beherrschen lernen. Das Kind gelangt nicht mit diesem Gebrauch in ein Selbstverhältnis. Es gibt anderen kund, dass es in ihm steht und dass es nunmehr auch dies versteht, von seinem Selbstverhältnis her zu sprechen. Der ›ich‹-Gebrauch setzt also ein indirektes, ein reflektiertes Verhältnis zum eigenen Wissen von sich voraus. Das wiederum macht es zwar gut verständlich, dass Sprachen, die über ein Indexwort der ersten Person verfügen, auch besonders dazu geeignet sind, dem Verlangen nach Selbständigkeit und Selbstgeltung Ausdruck zu geben. Aber dieser Umstand sollte doch niemanden dazu verführen, die Subjektivität als solche aus dieser aktivischen Seite des realisierten ›ich‹-Gebrauchs und das diesem Gebrauch vorausliegende Wissen von sich dann auch noch aus einem Herrschaftswillen herzuleiten.

Das Wissen von sich kann nicht erlernt werden, und gewiss kann es schon gar nicht durch das Erlernen bestimmter Worte ins Dasein kommen. Indem das Kind in das Wissen von sich gelangt, realisiert es zugleich sein Personsein. Das heißt umgekehrt für den Personsinn, dass er nur unter Einschluss der wissenden Selbstbeziehung definiert werden kann.

Diese wissende Selbstbeziehung hat nun aber eine komplexe Verfassung. Über diese Verfassung auch noch ein Wissen zu haben ist allerdings weder Sache des Kindes noch von Personen überhaupt. Dennoch vollziehen sie ihr Leben in der Komplexion solchen Wissens – so dass sie sich also sehr wohl entfremdet fühlen können, wenn eine philosophische Konzeption auf das Dementi dessen hinausläuft, worin sie sich selbst doch immer wiedererkennen.

Der Kern, an den sich viele weitere Facetten dieser Komplexion anschließen, ergibt sich daraus, dass man im Wissen von sich das, wovon man etwas weiß, und das Wissen dessen, dass man selbst es ist, worüber man etwas weiß, nicht voneinander abtrennen kann. Es ist auch nicht möglich, dies Wissen aus der Kombination von zwei Faktoren zu erklären – dem, wovon ich weiß, und dem, dass ich es von mir weiß –, um weiter zu sagen, dass es zum Selbstwissen erst dann kommt, wenn auch der zweite Faktor zum ersten hinzugetreten ist. Zwar kann ich etwas wissen, was de facto zu mir gehört, ohne zu bemerken, dass ich selbst es bin – etwa wie meinen Schatten in einem Spiegel. Aber im Wissen von sich gehören das Was und das Wie des Selbstwissens untrennbar zueinander. Und dennoch kann nicht gesagt werden, dass sie gar nicht voneinander unterschieden sind.

Was ich bin, kann ferner nicht in dem aufgehen, was das Wissen von mir selbst ausmacht. Ich weiß von mir, wenn ich von mir weiß, von mehr als nur von meinem Wissen von mir. Das ergibt sich schon daraus, dass das Wissen von sich nicht ein allgemeiner Sachverhalt ist, so wie etwa der gesamte Bestand des Wissens über das Wissen oder der Inbegriff des Wissens, das in der Menschheit versammelt ist. Vom Wissen von sich unterscheidet man leicht und klar einen Wissenssinn solcher Art, also ein Wissen, welches deshalb anonym zu nennen ist, weil es niemandem exklusiv zu eigen ist. Mein Wissen von mir kommt nicht dadurch zustande, dass sich mir irgendein anonymes Wissen erschließt, sondern ich stehe für mich ursprünglich und allein in wissender Selbstbeziehung. Insofern versteht sich ein Subjekt auch unabhängig davon, dass es in irgendeine wirkliche Beziehung zu anderen Subjekten getreten ist, immer als eines unter unbestimmt vielen. In seinem Für-sich-Sein ist es mit sich ganz allein, obwohl es zu diesem Wissen nur über eine Symbiose mit anderen hat aufwachsen können. Aber nicht nur aus der Erfahrung dieses Mitseins, sondern aus der Verfassung seines Wissens von sich heraus weiß es, dass es nicht das einzige oder alleinige ist. Und als ein solches eines muss es sich von anderen unterscheiden – nicht allein durch sein Für-sich-Sein, sondern durch andere Eigenschaften.

Zu diesen unterscheidenden Eigenschaften gehören solche, die selbst in den weiten Bereich des Wissens gehören – der Zusammenhang seiner Erfahrungen und Überlegungen etwa, die dem Ganzen eines bewusst geführten Lebens zugehören. Aber das Subjekt ist eines, zu dem, wie es weiß, andere in Beziehung stehen können, und das im Gedanken von sich den Gedanken einer Beziehung auf andere mit sich führt. In sein eigenes Für-sich-Sein können andere aber nicht eintreten. Würden sie das tun, dann würden sie selbst in dem Für-mich-Sein des Anderen stehen und insoweit geradezu in ihm aufgehen. So wären sie mit dem identisch geworden, den sie doch als Anderen sich erschließen wollten. Subjekte können also nur ein Dasein füreinander haben, indem sich ihr jeweils eigenes Für-mich-Sein unmittelbar in ein Medium übersetzt, in dem es einem anderen Subjekt als anderes Für-sich-Sein zugänglich wird, ohne dass es deren eigenes Für-Mich-sein werden muss. Daraus ergibt sich einer der Gründe dafür, dass Subjekte auch als Körper und im sprachlichen Austausch wirklich sind. Eine der folgenden Vorlesungen wird sich diesem Thema zuwenden.

Aber dies und alles andere, was mit dem Subjektsein in wesentlichem Zusammenhang steht, würde doch niemals für sich allein die Bedeutung der Rede von einem Subjekt ausmachen können. Denn ein Subjekt, das nicht von sich weiß, kann überhaupt nicht als Subjekt gelten. So muss also das Wissen von sich immer mit gemeint sein, wenn von irgendetwas die Rede ist, was einem Subjekt zukommen soll. Denn es ist nicht nur so, dass ein Subjekt durch sein Wissen von sich in einem Verhältnis zu sich selbst steht. Dies Verhältnis macht vielmehr aus, was es als Subjekt ist. Wir sahen zwar, dass sich an dieses sein Für-sich-Sein andere Charaktere von Subjekten anschließen und dass sie darum von ihm her – in einem gewissen Sinne – auch begriffen werden können. Zu ihnen gehören Körper und Sprache, ohne die es kein Füreinander verschiedener Subjekte geben könnte, aber auch andere Bedingungen, die mit der Ausbildung eines kontinuierlichen Wissens von sich in einsichtigem Zusammenhang stehen, darunter vieles von dem, was unter dem Problemtitel ›Bewusstsein‹ zum Thema gemacht werden kann. Gäbe es aber kein Wissen von sich, so würden auch alle diese anderen Charaktere zur Subjektivität in keinerlei Beziehung stehen. Nun kann es ein Wissen für sich nur in Gedanken geben, und eine wissende Selbstbeziehung tritt nur in einem Denken ein, dessen Sachbezug und Sachgerechtsein in diesem Falle außer Zweifel steht. So wird man also wieder zu der Folgerung geführt, dass das, was uns als Subjekt ausmacht, geradezu darin wirklich ist, dass ein bestimmter Gedanke unterhalten ist und sich durch ein Leben kontinuiert – mit Notwendigkeit und ohne all das, was als eine Anstrengung im Denken vollzogen werden muss.

Wir wollen diese bemerkenswerte Tatsache, die dem Cartesius eine neue und vielleicht überraschende Aktualität verleiht, jetzt nur festhalten und uns auf einen anderen Aspekt konzentrieren, der mit dem Subjektsinn insofern im Zusammenhang steht, als Subjekte einzig von ihrer Wirklichkeit eine Gewissheit haben.

Man könnte wohl meinen, dass eben damit, dass die Subjektivität als Fundamentalgedanke beschrieben werden muss, doch das verlässliche Fundament ausgelegt sei, das die Subjektphilosophie der Moderne für sich in Anspruch genommen hatte. Im Subjektsinn, so hieß es, sei das Fundament gelegen, das alle weiteren Fragen dadurch abweist, dass dieser Subjektsinn sich selbst expliziert. Aber es ist entscheidend, sich darüber klar zu werden, dass das Gegenteil der Fall ist. Zwar ist deutlich gemacht worden, dass das Wissen von sich eine Grundtatsache ist. Aus ihr ist auch Aufschluss über viele Implikationen des Subjektsinnes zu gewinnen. Aber man erreicht diese Tatsache nur in einer reflektierenden Besinnung – nicht so, dass man sie etwa von irgendwoher entwickelt, dass man sie sich aus Komponenten oder Konstitutionsbedingungen erklärt hätte oder dass man den Prozess nachvollzieht, in dem sie sich selbst ausbildet.

Des Weiteren ist diese Grundtatsache in sich komplex und von einer solchen Komplexion, dass man keinen Ansatz dafür zu finden vermag, wie sich die Komplexion selbst noch eine weitere Rechenschaft geben ließe – aus anderem oder aus ihr selbst heraus. Würde man die Komplexion nicht nur aufweisen und würde man stattdessen ihre Herleitung versuchen, so würde sich dieser Versuch sogleich in einem der Zirkel verfangen. Wie solche Zirkel sich ergeben, ist schon seit längerem und mehrfach dargelegt worden. Die wissende Selbstbeziehung ist zwar eine letzte Tatsache der Selbstverständigung. Sie ist aber keine in sich differenzlose Tatsache, woraus sich die Neigung versteht, sie aus den Elementen, die sich in ihr unterscheiden lassen, aufbauen oder rekonstruieren zu wollen. Aber sie entzieht sich einer solchen Analyse, die nur so erfolgen könnte, dass sie Elemente der Grundtatsache gegeneinander isoliert. Von den Komponenten, die sie einschließt, kann man aber nur so sprechen, dass man dabei die komplexe Gesamttatsache immer bereits voraussetzt. Diese Analyseresistenz ist deshalb nur die andere Seite des Umstandes, dass es sich um eine Grundtatsache handelt, von der zugleich eingestanden werden muss, dass sie nicht einfach ist.

Daraus ergibt sich eine zweite Folgerung, der in den folgenden Vorlesungen eine Schlüsselstellung zukommen wird. Das Denken, welches sich an die Grundtatsache der Subjektstellung anschließt, muss sich immer in zwei gegenläufigen Richtungen orientieren: Es muss einerseits den Implikationen des Subjektsinnes nachgehen, die im Subjektsinn in Beziehung auf Gedanken mit anderen Gehalten gelegen sind. Der Implikation eines Ausgriffs auf einen vielfältigen Ordnungssinn werden wir uns alsbald zuwenden. In dieser Beziehung auf Ordnung erweist sich der Subjektsinn als mit dem verbunden, was Erkenntnis von Wirklichem ausmacht. Sosehr dabei von dem Subjektsinn ausgegangen werden muss, so sehr ist doch auch klar, dass dieser Subjektsinn selbst nicht in der Weise, in der Erkenntnis von ihm ausgeht, in eine solche Erkenntnis auch einbegriffen werden kann. Seine Fundamentalität, mehr aber noch die in ihm gelegene Resistenz gegen die Auflösung der in ihm gelegenen Komplexion stehen dem definitiv entgegen.

Aber das Subjekt ist doch eben wirklich ein solcher Komplex, und es macht mit dem, was ihm zugehört, etwa seinem Körper, einen noch weiter ausgedehnten und anders verfassten Komplex aus. Wenn also Subjektivität mit Denken und Erkennen verbunden ist, dann werden vom Subjekt immer auch Gedanken über das Subjekt ihren Ausgang nehmen. Und das ist umso mehr der Fall, als das Subjekt überhaupt nur in seinen Gedanken existiert, dass es sich also nicht so präsent ist wie ein Sachverhalt, der ihm vorliegt und den es beschreibt und erklärt. Damit, dass das Subjekt seiner selbst gewiss ist, ist ihm keine Auskunft über sein Wesen gegeben. Aber gerade deshalb wird es als erkennendes Subjekt, und zwar aus einem Lebensinteresse heraus, nach dem Ursprung fragen, aus dem es selbst als das hervorgeht, dessen es in der punktuellen Gewissheit von sich jederzeit inne ist. Die Erkenntnis, die sich im Horizont einer erschlossenen Welt entfaltet, und die Gedanken, die auf die Herkunft des Subjektes samt seiner Welten gehen, sind somit gegenläufig angelegt und ganz verschieden organisiert. Aber sie gehören zueinander in der Verfassung der ihrer selbst gewissen und zugleich doch entzogenen Subjektivität.

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