Theodor Storm

Gedichte

(Ausgabe 1885)

 

 

 

Theodor Storm: Gedichte. (Ausgabe 1885)

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Hans Fuglsang, Dorfstraße bei Husum, 1914

 

ISBN 978-3-7437-0054-3

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-86199-769-6 (Broschiert)

ISBN 978-3-86199-770-2 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Nach der Ausgabe letzter Hand: Theodor Storm: Gedichte, 7. Ausgabe, Berlin (Gebr. Paetel) 1885.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Theodor Storm: Sämtliche Werke in vier Bänden. Herausgegeben von Peter Goldammer, 4. Auflage, Berlin und Weimar: Aufbau, 1978.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Erstes Buch

Oktoberlied

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

Schenk ein den Wein, den holden!

Wir wollen uns den grauen Tag

Vergolden, ja vergolden!

 

Und geht es draußen noch so toll,

Unchristlich oder christlich,

Ist doch die Welt, die schöne Welt,

So gänzlich unverwüstlich!

 

Und wimmert auch einmal das Herz –

Stoß an und laß es klingen!

Wir wissen's doch, ein rechtes Herz

Ist gar nicht umzubringen.

 

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

Schenk ein den Wein, den holden!

Wir wollen uns den grauen Tag

Vergolden, ja vergolden!

 

Wohl ist es Herbst; doch warte nur,

Doch warte nur ein Weilchen!

Der Frühling kommt, der Himmel lacht,

Es steht die Welt in Veilchen.[109]

 

Die blauen Tage brechen an,

Und ehe sie verfließen,

Wir wollen sie, mein wackrer Freund,

Genießen, ja genießen![110]

 

Abseits

Es ist so still; die Heide liegt

Im warmen Mittagssonnenstrahle,

Ein rosenroter Schimmer fliegt

Um ihre alten Gräbermale;

Die Kräuter blühn; der Heideduft

Steigt in die blaue Sommerluft.

 

Laufkäfer hasten durchs Gesträuch

In ihren goldnen Panzerröckchen,

Die Bienen hängen Zweig um Zweig

Sich an der Edelheide Glöckchen,

Die Vögel schwirren aus dem Kraut –

Die Luft ist voller Lerchenlaut.

 

Ein halbverfallen niedrig Haus

Steht einsam hier und sonnbeschienen;

Der Kätner lehnt zur Tür hinaus,

Behaglich blinzelnd nach den Bienen;

Seif Junge auf dem Stein davor

Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.

 

Kaum zittert durch die Mittagsruh

Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten;

Dem Alten fällt die Wimper zu,

Er träumt von seinen Honigernten.

– Kein Klang der aufgeregten Zeit

Drang noch in diese Einsamkeit.[110]

 

Weihnachtslied

Vom Himmel in die tiefsten Klüfte

Ein milder Stern herniederlacht;

Vom Tannenwalde steigen Düfte

Und hauchen durch die Winterlüfte,

Und kerzenhelle wird die Nacht.

 

Mir ist das Herz so froh erschrocken,

Das ist die liebe Weihnachtszeit!

Ich höre fernher Kirchenglocken

Mich lieblich heimatlich verlocken

In märchenstille Herrlichkeit.

 

Ein frommer Zauber hält mich wieder,

Anbetend, staunend muß ich stehn;

Es sinkt auf meine Augenlider

Ein goldner Kindertraum hernieder,

Ich fühl's, ein Wunder ist geschehn.

 

Sommermittag

Nun ist es still um Hof und Scheuer,

Und in der Mühle ruht der Stein;

Der Birnenbaum mit blanken Blättern

Steht regungslos im Sonnenschein.

 

Die Bienen summen so verschlafen;

Und in der offnen Bodenluk',

Benebelt von dem Duft des Heues,

Im grauen Röcklein nickt der Puk.

 

Der Müller schnarcht und das Gesinde,

Und nur die Tochter wacht im Haus;

Die lachet still und zieht sich heimlich

Fürsichtig die Pantoffeln aus.[111]

 

Sie geht und weckt den Müllerburschen,

Der kaum den schweren Augen traut:

»Nun küsse mich, verliebter Junge;

Doch sauber, sauber! nicht zu laut.«[112]

 

Die Stadt

Am grauen Strand, am grauen Meer

Und seitab liegt die Stadt;

Der Nebel drückt die Dächer schwer,

Und durch die Stille braust das Meer

Eintönig um die Stadt.

 

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai

Kein Vogel ohn Unterlaß;

Die Wandergans mit hartem Schrei

Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei

Am Strande weht das Gras.

 

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,

Du graue Stadt am Meer;

Der Jugend Zauber für und für

Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,

Du graue Stadt am Meer.

 

Meeresstrand

Ans Haff nun fliegt die Möwe,

Und Dämmrung bricht herein;

Über die feuchten Watten

Spiegelt der Abendschein.

 

Graues Geflügel huschet

Neben dem Wasser her;[112]

Wie Träume liegen die Inseln

Im Nebel auf dem Meer.

 

Ich höre des gärenden Schlammes

Geheimnisvollen Ton,

Einsames Vogelrufen –

So war es immer schon.

 

Noch einmal schauert leise

Und schweiget dann der Wind;

Vernehmlich werden die Stimmen,

Die über der Tiefe sind.[113]

 

Im Walde

Hier an der Bergeshalde

Verstummet ganz der Wind;

Die Zweige hängen nieder,

Darunter sitzt das Kind.

 

Sie sitzt in Thymiane,

Sie sitzt in lauter Duft;

Die blauen Fliegen summen

Und blitzen durch die Luft.

 

Es steht der Wald so schweigend,

Sie schaut so klug darein;

Um ihre braunen Locken

Hinfließt der Sonnenschein.

 

Der Kuckuck lacht von ferne,

Es geht mir durch den Sinn:

Sie hat die goldnen Augen

Der Waldeskönigin.[113]

 

Elisabeth

Meine Mutter hat's gewollt,

Den andern ich nehmen sollt;

Was ich zuvor besessen,

Mein Herz sollt es vergessen;

Das hat es nicht gewollt.

 

Meine Mutter klag ich an,

Sie hat nicht wohlgetan;

Was sonst in Ehren stünde,

Nun ist es worden Sünde.

Was fang ich an?

 

Für all mein Stolz und Freud

Gewonnen hab ich Leid.

Ach, wär das nicht geschehen,

Ach, könnt ich betteln gehen

Über die braune Heid!

 

Lied des Harfenmädchens

Heute, nur heute

Bin ich so schön;

Morgen, ach morgen

Muß alles vergehn!

 

Nur diese Stunde

Bist du noch mein;

Sterben, ach sterben

Soll ich allein.[114]

 

Die Nachtigall

Das macht, es hat die Nachtigall

Die ganze Nacht gesungen;

Da sind von ihrem süßen Schall,

Da sind in Hall und Widerhall

Die Rosen aufgesprungen.

 

Sie war doch sonst ein wildes Kind;

Nun geht sie tief in Sinnen,

Trägt in der Hand den Sommerhut

Und duldet still der Sonne Glut

Und weiß nicht, was beginnen.

 

Das macht, es hat die Nachtigall

Die ganze Nacht gesungen;

Da sind von ihrem süßen Schall,

Da sind in Hall und Widerhall

Die Rosen aufgesprungen.

 

Im Volkston

1.

Als ich dich kaum gesehn,

Mußt es mein Herz gestehn,

Ich könnt dir nimmermehr

Vorübergehn.

 

Fällt nun der Sternenschein

Nachts in mein Kämmerlein,

Lieg ich und schlafe nicht

Und denke dein.[115]

 

Ist doch die Seele mein

So ganz geworden dein,

Zittert in deiner Hand,

Tu ihr kein Leid![116]

 

2.

Einen Brief soll ich schreiben

Meinem Schatz in der Fern;

Sie hat mich gebeten,

Sie hätt's gar zu gern.

 

Da lauf ich zum Krämer,

Kauf Tint' und Papier

Und schneid mir ein' Feder,

Und sitz nun dahier.

 

Als wir noch mitsammen

Uns lustig gemacht,

Da haben wir nimmer

Ans Schreiben gedacht.

 

Was hilft mir nun Feder

Und Tint' und Papier!

Du weißt, die Gedanken

Sind allzeit bei dir.

 

Regine

Und webte auch auf jenen Matten

Noch jene Mondesmärchenpracht,

Und stünd sie noch im Waldesschatten

Inmitten jener Sommernacht;

Und fänd ich selber wie im Traume

Den Weg zurück durch Moor und Feld,

Sie schritte doch vom Waldessaume

Niemals hinunter in die Welt.[116]

 

Ein grünes Blatt

Ein Blatt aus sommerlichen Tagen,

Ich nahm es so im Wandern mit,

Auf daß es einst mir möge sagen,

Wie laut die Nachtigall geschlagen,

Wie grün der Wald, den ich durchschritt.

 

Weiße Rosen

1.

Du bissest die zarten Lippen wund,

Das Blut ist danach geflossen;

Du hast es gewollt, ich weiß es wohl,

Weil einst mein Mund sie verschlossen.

 

Entfärben ließt du dein blondes Haar

In Sonnenbrand und Regen;

Du hast es gewollt, weil meine Hand

Liebkosend darauf gelegen.

 

Du stehst am Herd in Flammen und Rauch,

Daß die feinen Hände dir sprangen;

Du hast es gewollt, ich weiß es wohl,

Weil mein Auge daran gehangen.

 

2.

Du gehst an meiner Seite hin

Und achtest meiner nicht;

Nun schmerzt mich deine weiße Hand,

Dein süßes Angesicht.[117]

 

O sprich wie sonst ein liebes Wort,

Ein einzig Wort mir zu!

Die Wunden bluten heimlich fort,

Auch du hast keine Ruh.

 

Der Mund, der jetzt zu meiner Qual

Sich stumm vor mir verschließt,

Ich hab ihn ja so tausendmal,

Vieltausendmal geküßt.

 

Was einst so überselig war,

Bricht nun das Herz entzwei;

Das Aug, das meine Seele trank,

Sieht fremd an mir vorbei.[118]

 

3.

So dunkel sind die Straßen,

So herbstlich geht der Wind;

Leb wohl, meine weiße Rose,

Mein Herz, mein Weib, mein Kind!

 

So schweigend steht der Garten,

Ich wandre weit hinaus;

Er wird dir nicht verraten,

Daß ich nimmer kehr nach Haus.

 

Der Weg ist gar so einsam,

Es reist ja niemand mit;

Die Wolken nur am Himmel

Halten gleichen Schritt.

 

Ich bin so müd zum Sterben;

Drum blieb' ich gern zu Haus

Und schliefe gern das Leben

Und Lust und Leiden aus.[118]

 

Lose

Der einst er seine junge

Sonnige Liebe gebracht,

Die hat ihn gehen heißen,

Nicht weiter sein gedacht.

 

Drauf hat er heimgeführet

Ein Mädchen still und hold;

Die hat aus allen Menschen

Nur einzig ihn gewollt.

 

Und ob sein Herz in Liebe

Niemals für sie gebebt,

Sie hat um ihn gelitten

Und nur für ihn gelebt.

 

Noch einmal!

Noch einmal fällt in meinen Schoß

Die rote Rose Leidenschaft;

Noch einmal hab ich schwärmerisch

In Mädchenaugen mich vergafft;

Noch einmal legt ein junges Herz

An meines seinen starken Schlag;

Noch einmal weht an meine Stirn

Ein juniheißer Sommertag.

 

Die Stunde schlug

Die Stunde schlug, und deine Hand

Liegt zitternd in der meinen,

An meine Lippen streiften schon

Mit scheuem Druck die deinen.[119]

 

Es zuckten aus dem vollen Kelch

Elektrisch schon die Funken;

O fasse Mut, und fliehe nicht,

Bevor wir ganz getrunken!

 

Die Lippen, die mich so berührt,

Sind nicht mehr deine eignen;

Sie können doch, solang du lebst,

Die meinen nicht verleugnen.

 

Die Lippen, die sich so berührt,

Sind rettungslos gefangen;

Spät oder früh, sie müssen doch

Sich tödlich heimverlangen.[120]

 

Abends

Warum duften die Levkojen soviel schöner bei der Nacht?

Warum brennen deine Lippen soviel röter bei der Nacht?

Warum ist in meinem Herzen so die Sehnsucht auferwacht,

Diese brennend roten Lippen dir zu küssen bei der Nacht?

 

Wohl fühl ich, wie das Leben rinnt

Wohl fühl ich, wie das Leben rinnt

Und daß ich endlich scheiden muß,

Daß endlich doch das letzte Lied

Und endlich kommt der letzte Kuß.

 

Noch hing ich fest an deinem Mund

In schmerzlich bangender Begier;

Du gibst der Jugend letzten Kuß,

Die letzte Rose gibst du mir.[120]

 

Du schenkst aus jenem Zauberkelch

Den letzten goldnen Trunk mir ein;

Du bist aus jener Märchenwelt

Mein allerletzter Abendschein.

 

Am Himmel steht der letzte Stern,

O halte nicht dein Herz zurück;

Zu deinen Füßen sink ich hin,

O fühl's, du bist mein letztes Glück!

 

Laß einmal noch durch meine Brust

Des vollsten Lebens Schauer wehn,

Eh seufzend in die große Nacht

Auch meine Sterne untergehn.[121]

 

Hyazinthen

Fern hallt Musik; doch hier ist stille Nacht,

Mit Schlummerduft anhauchen mich die Pflanzen.

Ich habe immer, immer dein gedacht;

Ich möchte schlafen, aber du mußt tanzen.

 

Es hört nicht auf, es rast ohn Unterlaß;

Die Kerzen brennen und die Geigen schreien,

Es teilen und es schließen sich die Reihen,

Und alle glühen; aber du bist blaß.

 

Und du mußt tanzen; fremde Arme schmiegen

Sich an dein Herz; o leide nicht Gewalt!

Ich seh dein weißes Kleid vorüberfliegen

Und deine leichte, zärtliche Gestalt. – –

 

Und süßer strömend quillt der Duft der Nacht

Und träumerischer aus dem Kelch der Pflanzen.

Ich habe immer, immer dein gedacht;

Ich möchte schlafen, aber du mußt tanzen.[121]

 

Du willst es nicht in Worten sagen

Du willst es nicht in Worten sagen;

Doch legst du's brennend Mund auf Mund,

Und deiner Pulse tiefes Schlagen

Tut liebliches Geheimnis kund.

 

Du fliehst vor mir, du scheue Taube,

Und drückst dich fest an meine Brust;

Du bist der Liebe schon zum Raube