Heinrich Hansjakob

Der steinerne Mann von Hasle

Ausgewählte Erzählungen Band 3

 

 

 

Heinrich Hansjakob: Der steinerne Mann von Hasle. Ausgewählte Erzählungen Band 3

 

Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Wilhelm Hasemann, Pfarrer Heinrich Hansjakob.

 

ISBN 978-3-7437-0721-4

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-0692-7 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-0697-2 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck dieser Auswahl: Stuttgart, Bonz, 1898.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Der steinerne Mann von Hasle

1.

Der Schwarzwald läuft nach Südosten in den großen alemannischen Gau aus, der die Bar genannt wird. Seine waldigen Berge umfangen noch diese rauhe Hochebene. Auf einem Bergkegel derselben, unweit der Quellen der Donau, erhob sich das ganze Mittelalter herauf die gewaltige Burg und Feste Fürstenberg, weithin leuchtend wie ein riesiger Adlerhorst. Sie war so groß, daß in ihren Mauern noch eine kleine Stadt gleichen Namens Schutz fand.

In dieser Burg saßen im Hochsommer des Jahres 1286 die Söhne des ersten Fürstenbergers: Friedrich, Egino, Konrad und Gebhard, um das Erbe, so der Vater ihnen zwei Jahre zuvor hinterlassen, zu teilen.

Dieser, Heinrich mit Namen, Graf von Urach und Freiburg, ein Großneffe des letzten Zähringers, hatte mit seinem Bruder Konrad die ihrem Geschlechte vom Großoheim zugefallenen zähringischen Besitzungen im Breisgau und auf dem Schwarzwald geteilt.

Konrad nahm die ersteren mit der Stadt Freiburg, Heinrich die letzteren mit den Städten Villingen und Hasela (Haslach).

Auf der Burg Fürstenberg schlug er um das Jahr 1250 seine Residenz auf, nannte sich Graf von Urach-Fürstenberg und ward so der Stammvater der Grafen und späteren Fürsten von Fürstenberg.

Sie haben viel zu teilen, die genannten Söhne. So weit sie schauen von ihrer Felsburg herab – und sie überschauen die ganze Baar und den Schwarzwald bis hinüber zum Feldberg und hinab zum Kniebis – gehört alles ihnen: Dörfer, Burgen, Wald, Wunn und Waid. Nur Städte haben sie wenige – nur zwei namhafte, das größere Villingen und das kleinere Hasela drunten im Kinzigtal, wo noch viel Gut ihrer ist und manch ein Dienstmann von ihnen sitzt.

Und selbst diese zwei Städte hat man ihrem Geschlecht von Reichs wegen streitig gemacht, als der letzte Zähringer mit Tod abging. Erst 1283 hatte König Rudolf, der Habsburger, ihren Vater, seinen Vetter und Freund, aufs neue mit Villingen und Hasela belehnt, um aus dem Streit einen Ausweg zu finden.

Die Söhne hatten nach des Vaters Hinscheiden (1284) den Bürgern von Villingen, die es also verlangt, versprochen, innerhalb zweier Jahre einen von ihnen der Stadt zum Herrn zu setzen.

Heute sind sie nun auf dem Fürstenberg beisammen, um zu teilen und denen von Villingen gerecht zu werden. Es sind lauter junge Männer, die vier Grafen, der jüngste, Gebhard, kaum dem Knabenalter entwachsen. Den beiden älteren, Friedrich und Egino, hat vor vier Jahren erst König Rudolf zu Villingen den Ritterschlag erteilt. Konrad, dem Alter nach der dritte, ist in den geistlichen Stand getreten und bereits Domherr zu Konstanz.

Als Protokollführer und Ausfertiger der Teilungsurkunde ist auf Fürstenberg erschienen der alte Notar ihres Vaters, Meister Albert von Horb.

Um einen großen eichenen Tisch sitzen die Herren in der Ritterstube, ein Knappe trägt gefüllte Humpen auf, und die Tagfahrt beginnt.

»Teilen«, so hub Graf Friedrich, der älteste der Brüder, an, »ist kein Geschäft, das Geschlechter groß macht. Das zähringische Erbe, so unserem Hause zufiel, wurde schon einmal geteilt, als unser Vater die Herrschaft antrat, die wir heute wieder teilen sollen.«

»Aber es bleibt uns nichts anderes übrig. Die Gevatter Krämer, Tuchmacher und Schneider in den Städten Deutschlands tragen den Kopf hoch seit der kaiserlosen Zeit. So auch unsere Gevattern in Villingen. Wir haben vor zwei Jahren bei geschworenem Eide zugesagt, ihnen einen aus uns Vieren zum Herrn zu geben. Sie haben darüber Brief und Siegel von uns und unseren Freunden und Sippen: obenan Bischof Rudolf von Konstanz.«

»Also Wort halten müssen wir, ob wir wollen oder nicht, aber ohne zu teilen geht es nicht. Mich zum Herrn von Villingen zu küren und mir des Vaters ganzes Erbe zuzuteilen, verlange ich nicht und kann ich nicht verlangen, und du, Egino, würdest, so wie ich dich kenne, es auch nicht dulden.«

»Ich schlage deshalb zunächst vor, dich zum Herrn von Villingen zu machen. Du wirst eher fertig mit dem trotzigen Bürgervolk, als ich; du kannst auch trotzen und fährst wie ein Wetter drein, wenn's nicht geht, wie du willst.«

»Auch Hasela drunten an der Kinzig und die dazu gehörige Herrschaft kannst du haben, Egino«, fuhr Friedrich fort. »Die von Hasela krakeelen und rumoren gern, und was die Villinger verlangen, wollen sie am Ende auch. Ich will meine Ruhe haben und von dieser Burg herab meine braven Fürstenberger und die Bauern der Baar und des mittleren Schwarzwalds regieren. Und eine Stadt habe ich ja auch noch, Wolfa im Kinzigtal drunten, meiner Ehefrauen Udelhilt Erbe. Die von Wolfa sind friedliche Bürger und halten was auf ihre Herren. Mit denen komm' ich aus.«

»Du Konrad und du Gebhard, ihr kommt bei der Teilung nicht in Betracht. Ihr müßt der Hausmacht ein Opfer bringen im geistlichen Stand. Konrad, du bist schon Domherr, und den Gebhard hat unsere Mutter bei seiner Geburt der Kirche gelobt. Er soll drum mit dir in die Domschule nach Konstanz und ein Kleriker werden. Die zwei jüngeren Brüder des Vaters sind auch geistlichen Standes gewesen, Graf Gebhard Domherr in Straßburg und Graf Gottfried ein solcher in Konstanz. Es ist also schon von früher her geistlich Blut in unserem Geschlecht, und ihr zwei werdet wohl auch was davon geerbt haben.«

»Egino und ich geben jedem von euch eine Anzahl Höfe, Kirchensätze und Pfründen in unseren Herrschaften, und damit habt ihr ein Herrenleben. Auch könnt ihr, wenn ihr Glück habt, noch zu einem Bistum gelangen, und dann seid ihr viel größere Herren als Egino und ich zusammen.«

»So, das wär' meine Meinung«, schloß Graf Friedrich.

Jetzt nahm Egino das Wort und sprach:

»Bruder Friedrich, du hast gesprochen wie ein kluger Mann. Auch ich weiß, daß das Teilen schwächt, drum soll, so weit's, auf mich ankommt, zum letztenmal geteilt sein das Erbe, so die Uracher von den Zähringern erhalten. Aber diesmal muß ich meinen Teil haben. Du weißt, Bruder, ich bin mit dir zum Ritter geschlagen worden und habe ein Jahr darauf mit unserem König eine Heerfahrt gemacht nach Savoyen und mich bewährt als rechten Mann. Ein armer Ritter, ein Ritter ohne Land, ist aber nur ein halber Mann. Ich hab' kein Allod, nicht einmal die alte Burg Zindelstein im Bregtal drüben, die ich jetzt bewohne, gehört mir, sie ist unserem Gebhard bestimmt, ihm vermacht vom Onkel Götz, dem Domherrn. Meine Hausfrau ist eine Hachbergerin, die mir einiges Geld, aber kein Gut brachte. Darum bin ich sehr dafür, daß wir zwei teilen.«

»Du sollst aber das Vorrecht haben. Und wenn du Villingen nicht willst, nehm' ich's; aber, was in seiner Nähe im Brigtal liegt, gehört dazu. Und da du Städte nicht liebst, außer Fürstenberg, das winzige, und Wolfa, das zahme, so gib mir noch das Städtlein Vörinbach und das Bregtal bis hinab zu meinem Zindelstein.«

»Daß du mir auch Hasela, das lustige, – und natürlich sein Gebiet dazu – geben willst, weil dir die von Hasela zu unruhigen Geistes sind, dafür dank' ich dir, Bruder, von Herzen.«

»Schon als Knabe war's mir die größte Freude, wenn wir in der Herbstzeit mit der Mutter von hier aus dorthin ritten und auf der dortigen Burg einige Zeit blieben. In der Kirche daselbst hab' ich auch, ein Sechzehnjähriger, die Schwertleite empfangen.«

»Seit dem Tode des Vaters sitze ich meist viel lieber in der schönen Zähringerburg zu Hasela, als auf dem einsamen Zindelstein, und mein junges Weib, die Verene, schwärmt für Hasela.«

»Hier hab' ich alles, was einem Ritter in Friedenszeiten gebührt – an den Berghalden hin einen vürtrefflichen Wein, und in den Hochwäldern scheucht das Jagdhorn den Wolf auf, den Bär, den Wisent, den Ur, den Edelhirsch und den Steinbock.«

»Und die Bürger dort sind mir tausendmal lieber als die patzigen Villinger, die vom Hansabund und vom schwäbischen Städtebund träumen und glauben, Villingen käme gleich nach Paris.«

»Die von Hasela sind zufrieden, wenn man sie ruhig räsonieren und ihren Wein trinken läßt und nicht viel Steuer von ihnen verlangt. Sie schimpfen gern über ihre Herren, aber es kommt immer aus gutem Herzen, und sie leiden nicht an Größenwahn wie die Villinger.«

»Der alte Minnesänger Jörg von Günterstal, der als von Freiburg her zu unserem Vater kam, wenn er in Hasela residierte, hat gerne mit den Bürgern der Stadt verkehrt, manchen Humpen mit ihnen geleert, und sie in einem Lied trefflich also gezeichnet:

 

Zuo Hasela drin im Swarzwaldt hûst

Ein stamm von guoter art.

Der mann ist mann und keiner zûst

Ihm ungestraft den bart.

Wehren kann jedes kind sich

Zuo Hasela an der Kinzig.

 

Das schafft und freit, das denkt und schwazt,

Wie grad sein sinn ihm stât,

Ja, wer sich baß zum trinken sazt,

Hat doch ein mûl, das gât.

Die maaßkrüg sind nit winzig

Zuo Hasela an der Kinzig.«

 

»Solche Untertanen lieb ich, wie ich auch einen guten Trunk liebe. Drum wird, wenn's nach meinem Wunsch geht, Hasela vom kommenden Verenentag an meine Residenz sein, und ich will fortan mich nennen von Fürstenberg-Hasela. Meiner Linie erstes Hausgesetz aber soll sein, daß nicht mehr geteilt wird.«

»So, das ist meine Meinung und meine Absicht, und wenn du, Friedrich, damit einverstanden bist, ist die Teilung gemacht.«

»Ich bin's«, sprach Graf Friedrich und reichte Egino die Rechte zum Zeugnis.

»Es war zu allen Zeiten fürstlicher und gräflicher Familien Art, daß die jüngeren Söhne im Erbe zurückstehen mußten« – begann jetzt Konrad, der jugendliche Domherr von Konstanz. »Drum wollen Gebhard und ich nicht rechten. Es ist unsern zwei geistlichen Oheimen auch nicht besser ergangen. Und wenn ihr zwei uns ordentlich ausstattet mit Pfründen, Höfen, Mühlen und Zehnten, dann können wir auch leben. Das geistlich Kleid drückt ohnehin diejenigen, so adeligen Herkommens sind, nicht schwer in unsern Tagen. Wir können auch noch, wenn Lust oder Not kommt, zum Harnisch und zum Schwert greifen und die Ritter spielen, wie ihr.«

»Ihr seid überhaupt heutzutag mehr als wir«, warf Egino bitter lächelnd ein. »Seitdem die Hohenstaufen im Kampfe mit Rom unterlegen sind, spielt die Geistlichkeit die erste Violine auch in Deutschland, und der Bannstrahl des Papstes oder selbst eines Bischofs trifft sein Opfer bis ins Mark hinein.«

»Es ist ein wahres Glück, Egino«, entgegnete der Domherr, »daß es auf Erden noch eine Macht gibt, welche ihr weltlichen Herren mit eurem Gewaltsinn zu fürchten habt. Dir aber möcht' ich den Rat geben, die Sache mit denen von Villingen nicht so leicht zu nehmen. Mir ahnt's, als ob unser Geschlecht für die Dauer weder in Freiburg, noch in Villingen imstande sein wird, die mächtig aufstrebenden Städte unter Botmäßigkeit zu halten.«

»Heute schon – ich hab's zu des Vaters Lebzeiten an Ort und Stelle gesehen – benehmen sich die in Villingen regierenden reichen Bürgergeschlechter wie dem Adel ebenbürtig. Und wenn auch die Handwerker und mindern Bürger ihre Stadtherren ›Müßiggänger‹ nennen und ihnen nicht hold sind, so machen sie doch gemeinsame Sache mit ihnen, wenn's gegen uns Fürstenberger geht.«

»Ich will dir, Egino, beistehen, so gut ich kann. Drum verlange ich von euch zunächst die Pfarrei in Villingen, die seither unser Oheim Götz innegehabt. Fromm sind sie und gut päpstlich, die Villinger, und ein Pfarrherr hat Einfluß bei ihnen. Ich will dann öfters im Jahr dort residieren. Auch der Bau des Münsters, den unser Vater begonnen, interessiert mich.«

»Dann hat, wie ihr wißt, unsere Mutter1 in Villingen den Schleier genommen, wohnt dort und tut viel Gutes den Armen. Ihr Einfluß mag unserm Hause auch zu gut kommen.«

»Weder die Mutter als Nonne, noch du als Pfarrer, noch Egino als Herr werden mehr viel ausrichten«, nahm jetzt Graf Friedrich das Wort.

»Die Villinger haben heute schon zu viel Rechte und werden noch mehr wollen. Dem Menschen, der nach Freiheit strebt, steht nichts im Weg; zudem wissen die Philister im Brigtal, daß ihre Stadt uns von Reichs wegen streitig gemacht wurde und jeder neue König im deutschen Lande uns ins Recht stehen kann. Ich wünsche unserm Egino alles Gute, aber seine Not wird er haben mit unserer größten Stadt.«

»Überlassen wir das Gott, meiner Klugheit und meinem Schwert«, meinte Egino, »und bringen wir die Teilung vollends zu Ende, indem wir den zwei geistlichen Herren ihre Kirchensätze, Höfe, Mühlen und Zehnten zuweisen.«

»Ich«, so sprach der Brüder jüngster, Gebhard, jetzt zum Schluß, »ich möchte gerne, wenn ich einmal Priester bin, Pfarrer in Pfohren werden. Dorthin hab' ich als Knabe den Vater so gerne begleitet auf die Entenjagd. Wir nahmen jeweils nach der Jagd einen Imbiß beim Leutpriester, und der Vater sagte oft zu mir: ›Gebhard, du wirst einmal Pfarrer in Pfohren, dann kannst du Enten schießen in der Donau, so viel du willst!‹«

»Das sollst du haben, Pfohren und die alte kaiserliche Pfalz dazu als Wohnsitz« – riefen die zwei älteren Brüder. Und Egino fügte noch bei: »Auch Grüningen droben im Brigtal sollst bekommen, da kannst du Forellen fangen.«

Bald waren so die zwei Opfer der Hauspolitik, Konrad2 und Gebhard,3 ausgestattet und die Teilung vollzogen, an deren Schluß die vier Grafen sich noch das Versprechen gaben, allzeit treu und brüderlich zusammenzuhalten.

»Und jetzt«, rief Egino, »die Humpen frisch gefüllt vom besten Oberkircher eigenen Gewächses und eins getrunken auf das Wohl der Häuser Fürstenberg-Wolfa und Fürstenberg-Hasela und auf die Zukunft der zwei Bischofskandidaten von Konstanz!«

»A propos, da fällt mir ja gerade noch ein, daß wir noch nichts geteilt haben im Renchtal, wo die Burg Fürsteneck und das Städtchen Oberkirch uns gehören und wo ein Wein gedeiht, der selbst den schlägt, so in meinem lieben Hasela am Herrenberg wächst.«

»Du weißt, Egino«, erwiderte Friedrich, »daß der König erst im April dieses Jahres uns beide mit jener Herrschaft belehnt hat. Was der König aber vereint hat, das sollen Grafen und Ritter nicht trennen. Wir behalten also die Besitzungen im Renchtal gemeinschaftlich, teilen im Herbst den Klevner und Klingelberger, schicken den zwei Herren in Konstanz ein Faß, und ich wohne mit meiner Familie zur Herbstzeit auf der Burg Fürsteneck im Renchtal.«

»In Wolfa und auf dem Fürstenberg wachsen nur Tannenzapfen; in Hasela bist du im Weinland, ich will also auch einige Zeit in einer Gegend leben, wo Wein wächst.«

»Einverstanden, Bruder!« riefen die andern, Egino voran.

Eben trug der Knappe frisch gefüllt die Humpen auf, gefüllt mit dem besten, als auch der Burgvogt hinter ihm drein in die Ritterstube trat und dem Grafen Friedrich meldete, der Ritter Hug von Almeshofen sei vor dem kleinen Burgtor und begehre Einlaß.

»Laß ihn ein! Der kommt uns gerade recht«, sprach der Schloßherr. »Egino, du wirst doch demnächst deine Herrschaften übernehmen und in deinen Städten dir huldigen lassen wollen. Der von Almeshofen, mein Dienstmann, könnte Botschaft bringen nach Villingen und Hasela.«

»Recht so!« rief Egino. »Am Verenentag, dem Namenstag meiner Hausfrau, will ich, wie schon gesagt, in meine Residenz Hasela einziehen, vorher aber mich den Herren Villingern vorstellen. Ich könnte das letztere etwa acht Tage eher tun, sagen wir am Bartholomäustag. Und wenn du mir den Almeshofer und einige andere Ritter der Umgegend als Boten zur Verfügung stellst, ist's mir recht.«

»Der Ritter Hug wird gleich eintreten«, entgegnete Graf Friedrich; »dem gib deine Befehle nach deinem Gutdünken. Über meine Dienstmannen in der Baar kannst du verfügen.«

»Hug!« rief Egino dem bald darauf eintretenden Ritter zu, ihm die Hand zum Willkomm entgegenstreckend, »ihr müßt mir mit Erlaubnis eures einzigen Herrn – denn eben haben wir geteilt – die nächsten Tage auf Botschaft reiten. Ihr kommt dann wieder einmal aus euerm alten Nest in dem sumpfigen Ried drunten fort und habt überall gut Quartier und guten Trunk.«

»Ich stehe ganz zu Befehl, Herr Graf«, antwortete der Almeshofer. »Seit der selige Herr, euer Vater, tot ist, kommt man nimmer so viel in die Welt hinaus, drum reit' ich für euch um so lieber.«

»Meister Albert«, fragte jetzt Egino den Schreiber, »wie lange braucht ihr, um denen von Villingen und Hasela zu schreiben, daß ich komme zur Huldigung?«

»In zwei Stunden ist das geschehen, Herr Graf!«

»Gut! Dann wartet der Hug und nimmt die Briefe gleich mit. Und nun paßt auf, Almeshofer; was ich jetzt sage, das besorgt ihr pünktlich und mündlich. Ihr reitet morgen zu euern Nachbarn, zum Brun von Kürnegg, zum Heinrich von Blumenegg, zum Walter Esel von Dürrheim und zum Rudolf von Baldingen. Ihr fünf teilt euch in die Botschaft nach Villingen, nach Hasela und zu den folgenden Herren: zum Grafen Albrecht von Hohenberg, unserem Schwager, zum Markgrafen Heinrich von Hachberg, zu den Grafen Egon und Heinrich von Freiburg, Ulrich von Montfort, Mangold von Nellenburg und Götz von Tübingen. Diese Herren, unsere lieben Freunde und Vettern, sind in meinem Namen zu bitten, auf Sankt Bartholomäustag in Villingen einzureiten und mir Zeugen zu sein bei der Huldigung. Ich will den Villingern imponieren mit meinen Zeugen.«

»Meister Albert, schreibt euch die Namen nochmals auf, damit die Ritter keinen vergessen. Die Kosten unterwegs von Burg zu Burg und von Stadt zu Stadt bezahle ich, wenn die Boten nicht Ritterburgen und gute Freunde am Wege finden. Als Lohn und Angedenken bekommt jeder ein Paar silberne Sporen.«

»Und nun. Knappe, hole dem Ritter Hug einen Humpen. Er trinkt mit uns, bis Meister Albert die Briefe geschrieben und ich sie gesiegelt habe.«

»Du, Friedrich, reitest natürlich auch mit mir nach Villingen. Ihr zwei Jungen aber habt noch keine Siegel, ihr könnt mit oder nicht. Noch könntest du, Konrad, deine künftige Pfründe ansehen bei der Gelegenheit und Gebhard die Mutter besuchen. Aber den Meister Albert brauch' ich. Es sind von heut' an noch 14 Tage bis Sankt Bartholomä; bis dahin hat er alle unsere Teilungsurkunden fertig, dann kann er wohl mit mir nach Villingen und Hasela und mir den Sekretär machen.«

»Wir werden deiner Brautfahrt nicht anwohnen, Egino«, nahm nun Konrad das Wort. »Wir zwei Siegellose reiten übermorgen von Fürstenberg ab und besuchen die Mutter in Villingen. Von da geht's dem Heuberg zu, um unsere Schwester Margaret zu besuchen auf Hohenberg. Sie will unsern Gebhard wieder einmal sehen, und ich bin immer gern beim Hohenberger Schwager. Graf Albrecht ist Minnesänger und drum in seiner Burg stets heiteres Leben, und Heiterkeit lieb' ich auch als Kleriker.«

»Sie haben in diesem Frühjahr den König Rudolf, ihres Mannes Freund, zu Besuch gehabt, und da wird Margaret viel zu erzählen wissen.«

»Von Hohenberg reiten wir weiter hinab ins Neckartal und nach Tübingen; wollen sehen, wie es unserer Elisabeth geht bei ihrem neuen Gemahl, dem Pfalzgrafen. Ich glaub' aber nicht, daß es mir dort so gut gefallen wird, wie einst auf der Burg Falkenstein im romantischen Bernecktale drunten im Schwarzwald, wo Elisabeth mit ihrem ersten Gemahl hauste.«

»Von Tübingen reiten wir dann dem Bodensee zu. Es wird, bis diese Besuche abgemacht sind, Maria Geburt werden, und nach diesem Feiertag beginnt für Gebhard die Domschule in Konstanz.«

»Im kommenden Frühjahr will ich dann dich, Egino, einmal in Hasela besuchen, wenn die Maiglöcklein blühen in den sonnigen Wäldern des Kinzigtales.«

Solche und ähnliche Reden gingen neben dem Trinken her bis gen Abend. Dann ritt Egino mit seinen zwei Knappen und mit dem Ritter Hug von Almeshofen vom Fürstenberg herab, er hinüber ins Bregtal, der Burg Zindelstein zu, und der Ritter ins Ried auf seine Burg. Unterwegs gab der Graf seinem Begleiter noch den Auftrag, die Grafen von Freiburg und den Markgrafen von Hachberg einzuladen, am Vorabend von Sankt Bartholomä auf dem Zindelstein Quartier zu nehmen, da ihr Weg nach Villingen sie in die Nähe führe.

Andern Tags ritt der Almeshofer zu seinen Nachbarn, und die Botschaftsritte begannen. Und bald kam von allen, die zur Huldigungsfahrt nach Villingen geladen worden, die Botschaft auf den Zindelstein, sie würden gerne dem Grafen Egino zu Willen sein und mit ihm an Sankt Bartholomä in Villingen einreiten.

 

Fußnoten

 

1 Die Mutter war Agnes, Gräfin von Truhendingen. Sie starb nach 1492.

 

2 Er wurde Pfarrer in Villingen und später auch in Dornstetten.

 

3 Wurde Pfarrer in Grüningen und Pfohren und nach dem Tode seines Bruders, um 1320, auch Kanonikus in Konstanz und Pfarrer in Villingen. Er starb 1887.

 

2.

Hug von Almeshofen hatte die Einladung an den Grafen Egino zu Freiburg, an dessen Bruder Heinrich zu Badenweiler und an den Markgrafen von Hachberg selber besorgt.

Die Burg zu Freiburg war die schönste in deutschen Landen und ihr Besitzer Egino I. ein gastfreundlicher, leichtlebiger und darum mit Schulden behafteter Herr. Der arme Ritter aus dem Ried zwischen Brig und Breg versprach sich drum einen guten Tag beim lustigen Grafen auf dem Schloßberg an der Dreisam.

Es war hohe Mittagszeit, als Ritter Hug über den Schwarzwald her auf das Schloß von Freiburg geritten kam. Der Graf machte eben seinen Schlaf in der Kemenate, und der Burgvogt bewirtete indes in der Ritterstube den Gast mit Trunk und Imbiß.

»Gott willkommen, Hug, alter Freund aus jungen Tagen!« rief bald darauf Egino, in die Stube tretend, dem Ritter zu, »Ihr habt gewiß Botschaft von meinen Vettern auf dem Fürstenberg, haben sie eine Fehde oder sind reiche Kaufleute um den Weg, die du mir melden sollst?«

»'s ist nicht mehr so gut niederwerfen, wie vor zehn Jahren. Seitdem der Leibsänger unseres Königs, Ottokar von Horneck, gesungen:

 

Von Friburg graf Egen

Uf straßen und uf wegen

Lîden von ihm große schwer

Des kunigs und des rîches burger

 

und seitdem der König selbst mich in meinem Neste belagerte, gilt's Vorsicht.«

»Hab' ungefährliche Botschaft, Herr Graf«, erwiderte der Ritter. »Ich soll euch laden zur Huldigung nach Villingen auf Sankt Bartholomä demnächst. Meine Herren haben geteilt. Graf Egino nimmt Villingen und Hasela, und Graf Friedrich wird Herr in der Baar. Ihr werdet aber gebeten, den Weg über den Zindelstein zu nehmen und von dort aus mit unserm Herrn Egino nach Villingen zu reiten.«

»Da wünsch' ich«, antwortete der Herr von Freiburg, »meinem Vetter Egino Glück, wenn er Herr von Villingen wird. Er wird seine liebe Not haben mit den Städtebürgern. Ich kenn's; meine Freiburger da drunten haben mich's gelehrt, was es heißt, Herr sein über Philister. Die Kerle wollen immer mehr Freiheiten und immer weniger bezahlen. Unsereiner aber braucht Geld, viel Geld. Wegelagern duldet der alte Habsburger, unser König, nicht, und die Bürger, so am meisten Geld haben, wollen nichts herausgeben. In solchen Zeiten, lieber Hug, mag der Teufel Graf von Freiburg sein. Schöne Aussicht hat man hier oben auf meiner Burg, aber schlechtes Einkommen, Freund! Doch mir verderben die da drunten den Humor nicht. Ich laß' mir nichts abgehen und mache bei den Juden in Basel Schulden, welche die Freiburger bezahlen dürfen.«

»Doch, um auf eure Botschaft zurückzukommen, ich werde zur Huldigung erscheinen und am Vorabend auf dem Zindelstein einreiten mit stattlichem Gefolge, das meinem Vetter Ehre machen soll bei den Bürgern in Villingen.«

»Ihr aber, Ritter, bleibt bei mir bis morgen und berichtet dann euere Botschaft weiter. Ihr könnt mich gegen Abend hinabbegleiten in die Stadt. Ich will euch das bald fertige Münster zeigen, das mein Vater Konrad drunten mit der Bürger Hilfe gebaut hat, ein ewig Denkmal für ihn, für unser Geschlecht und für die Bürger. Und dann will ich euch noch was sehen und hören lassen, worüber euch als Kriegsmann die Augen mehr überlaufen werden, als wenn ihr am Wunderbau des Münsters hinaufschaut.

Das Vesperglöcklein hatte eben vom südlichen Hahnenturm aus den Bürgern von Freiburg die Zeit zum Unterbrot verkündet, als Graf Egino mit dem Ritter von Almeshofen in der untern Stadt an der Pforte des Barfüßerklosters erschien.

»Ich will«, sprach der Graf zum demütig ihn grüßenden Bruder Pförtner, »meine alten Ritter besuchen, den Rettich, den Kohmann, den Thurner und den Schretter, die vor kurzem sich bei euch haben scheren lassen und Mönche geworden sind.«

»Meldet's dem Guardian, daß er sie in die Konventstube beordert, und dann wollen wir zwei auch noch zu dem Teufelskerl in seine Zelle, zu dem schwarzen Berthold oder wie er heißt. Er muß von seinen Teufelskünsten uns was vormachen.«

»Zu allererst will ich aber noch den Bruder Albrecht, den Lesemeister, sprechen. Er soll«, fuhr der Graf zu seinem Begleiter redend fort, »meinen drei jüngeren Buben, dem Egino, dem Heinrich und dem Gebhard, Lesungen halten in der Gottesgelahrtheit. Sie müssen mir alle drei in den Kirchendienst4, meine Herrschaft genügt kaum dem Nettesten. Mein Schwager, der Bischof von Straßburg,5 soll für die andern sorgen.«

Am offenen Fenster seiner Zelle, auf der Ostseite des Klosters, saß an diesem Abend, den Rosenkranz in der Hand, der greise Bruder Berthold. Er ließ während des Betens seine Blicke bald in den Klostergarten, bald auf den zu ihm herabschauenden, fast vollendeten Münsterturm gleiten.

Den ganzen Nachmittag über hat er studiert und experimentiert und will jetzt im Gebet ausruhen und seinen Geist ablenken von den irdischen Dingen, die ihn ohnedies Tag und Nacht beschäftigen.

Neben seiner Zelle hat er seine »Küche«, in der er siedet und verbrennt und schmelzt und stoßt und mischt und in der er einen großen Teil des Tages und oft auch der Nacht verbringt. Manchmal ruft nach Mitternacht das Glöcklein ihn und seine Mitbrüder zur Mette und zum Aufstehen, während er selbst noch nicht einmal ans Schlafen gedacht hat.

Er eilt dann ungeschlafen durch den dunklen Kreuzgang der Kirche zu und zum Chorgebet. Seine Mitbrüder aber schauen ihn alle scheu und finster an. Sie haben ihn im Verdacht eines Bundes mit dem Teufel, seitdem er das höllische Pulver erfunden. Sie hätten ihn, wie seinen weit berühmteren Ordensgenossen in England, Roger Bacon, längst eingekerkert; aber Albrecht, der Lesemeister, war sein Freund, und der trat mit seiner ganzen Beredsamkeit und Gelehrsamkeit für den schwarzen Berthold ein. So nennen sie ihn wegen seiner schwarzen, unheimlichen Kunst.

Es klirren Schritte im Kreuzgang, und bald öffnet Bruder Albrecht die Zelle des greisen Forschers und spricht: »Berthold, unser gnädiger Herr, der Graf Egino, will euch besuchen und noch ein fremder Rittersmann mit ihm.«

Der alte Pulvermann hatte sich erhoben, eine ehrwürdige, hohe Gestalt, kaum gebeugt von den vielen Jahren, die sie trug. Zwei große, dunkle Augen über einer mächtigen Adlernase und das ungeschorene weiße Barthaar gaben seinem Gesicht den Ausdruck eines Sehers des alten Bundes.

»Gott grüß euch, ihr Herren, in meiner Zelle!« also begann er. »Was ist euer Begehr? Ich stehe gern zu Diensten, so weit ein armer Barfüßer sie leisten kann. Unser edler Herr, der Graf, hat mich schon einmal mit einem Besuch beehrt. Es ist viel Ehre für ein Freiburger Bürgers-Kind, daß er ein zweitesmal kommt!«

»Bruder Berthold«, entgegnete Egino, dem Alten die Hand schüttelnd, »ich hab' vom Ritter Golin, meinem Burgvogt, gehört, daß ihr in diesen Tagen eine neue Erfindung gemacht hättet, und die wollt' ich sehen und auch diesem Herrn da zeigen, dem gestrengen Ritter Hug von Almeshofen, der heute mit einer Botschaft meiner Vettern, der Fürstenberger, zu mir kam.«

»Als ich vor Jahren einmal bei euch war, hattet ihr eben das Teufelszeug erfunden, das ihr Pulver nennt. Jetzt hör' ich, ihr hättet auch ein Rohr gemacht, aus dem ihr Feuer schießt.«

»Gerne, mein gnädiger Herr«, erwiderte der Mönch, »will ich euch meine Feuerwaffe und ihre Kraft zeigen, 's ist zwar kein Geschäft für einen Barfüßer und Sohn des heiligen Franziskus, derlei Dinge zu treiben; aber mein Geist plagte mich und ließ mir Tag und Nacht keine Ruhe, bis ich wußte, was mit dem Pulver anzufangen wäre.«

»Mich plagt kein solcher Geist, alter Berthold«, gab der Graf zurück, »ich will nichts erfinden. Was mich plagt, sind die Schulden und meine Freiburger, die sie nicht zahlen wollen. Wenn euch wieder einmal der Geist keine Ruhe läßt, etwas zu erfinden, so lernt Gold und Silber machen und bringt mir die Kunst aufs Schloß. Ich will dann den Barfüßern alle meine Zehnten und Gülten im Breisgau dafür verschreiben.«

»Ich bin jetzt demnächst achtzig Jahre alt«, fuhr der Bruder fort, »und schon mehr denn fünfzig Jahre suche ich nach ›dem roten und dem weißen Löwen6.‹ Drum hab' ich allzeit mit Quecksilber operiert und bin schließlich aufs Pulver gekommen – aber nicht auf Gold und Silber. Ich mein', es wird auch keinem je gelingen, diesen ›Stein der Weisen‹ zu finden, und drum werden, Herr Graf, die Schulden ewig, wie Gottes Wort, durch die Zeiten schreiten.«

»Aber nun muß ich die Herren bitten, wenn sie meine Feuerwaffe kennen lernen wollen, mit mir in den Garten hinaus zu gehen.«

Bruder Berthold nahm aus seiner Küche ein eisernes Rohr, einen kleinen Mörser, Pulver und Kugeln mit und schritt dem Grafen, dem Ritter und Albrecht, dem Lesemeister, voraus dem Klostergarten zu. Hier lud er zunächst das Rohr mit Pulver und Blei und schoß unter Blitz und Knall die Ladung auf die alte Gartentür ab, die in ihren Angeln erzitterte, als der Schuß sie traf.

Erschrocken und sprachlos schauten die beiden Rittersleute zunächst sich und dann den Bruder an.

Als der Graf Worte fand, sprach er: »Das ist ja Blitz und Donner in Menschenhand. Sagt Bruder, steht ihr im Bunde mit dem Himmel oder mit der Hölle?«

»Mit dem Himmel, hoff' ich, Herr Graf. Dem Teufel hab' ich alle Tage meines Lebens entsagt, so gut ich konnte. Gott hat den Menschen jenen Geist gegeben, der sie plagt, bis sie eines Rätsels Lösung gefunden. Der Herr des Himmels hat die Natur und ihre Elemente geschaffen, damit der Menschengeist sie erforsche. Meine Mitbrüder, brave, fromme Mönche, die dem Flug meines Geistes nicht zu folgen vermögen, diese glauben, meine Erfindung sei Teufelswerk, und sind mir gram. Aber ich tröste mich mit dem Weltheiland. Als der seine neuen, gewaltigen Ideen in die Menschheit warf, sagten die Kinder der Zeit, er sei mit dem Teufel im Bunde. Und jetzt, da ich mit meiner Feuerwaffe eine neue Epoche in der Weltgeschichte einleite, muß ich auch des Teufels sein. Nur einer in diesem Kloster versteht mich, es ist mein jüngerer Freund hier, Albrecht, der Lesemeister. Ohne ihn läg' ich wahrscheinlich in Ketten und Banden als ein Teufelskünstler.«

Des alten Mönchs Augen leuchteten bei diesen Worten geisterhaft, und er stand da wie ein Seher, der fühlt, daß er Großes verkündet und in die Zukunft schaut.

»Ihr Herren«, fuhr er ruhiger fort, »habt Donner und Blitz gehört und gesehen, jetzt müßt ihr aber auch ihre Wirkung schauen.«

Er führte nun die beiden Gäste an die Gartentüre, zeigte ihnen, wie die Kugel sie durchschlagen und in der Kirchenmauer sich festgerannt hatte.

»Da ist ja kein Mensch mehr des Lebens sicher«, meinte hoch verwundert Hug von Almeshofen – »wenn euere Feuerwaffe in die Welt kommt, Bruder!«

»Euere Zeit, ihr Herren Ritter«, sprach kühn und ernst der Alte, »wird überhaupt um sein, wenn meine Kunst allgemein bekannt und geübt wird. Man wird große Feuerrohre konstruieren und sie mit Riesenkugeln laden. Diese werden nicht bloß im Kriege die Ritterscharen wie Mücken niederwerfen, sie werden auch die Mauern eurer Burgen niederlegen, selbst wenn diese noch so hoch in den Lüften auf Felsen säßen.«

»Zum Teufel, Bruder, du machst uns schöne Aussichten«, rief jetzt Graf Egino zornig, »Das fehlt noch, daß die Bürger und Bauern unsere Burgen beschießen und man nicht mehr weiß, wer Herr und Knecht, Ritter und Volk ist!«

»Kann euch nicht helfen, ihr Herren«, gab der Bruder furchtlos zurück, »meine Erfindung wird der Freiheit eine Gasse machen. Sie wird in Zukunft das große Wort reden in der Weltgeschichte, und von der Wirkung meiner Feuerwaffe wird das Geschick von Fürsten und Völkern abhängen. Und der Europäer wird, mit ihnen ausgestattet, neue heidnische Länder erobern und der Zivilisation zugänglich machen.«

»Wahres und Großes sprichst du, Bruder Berthold«, nahm jetzt der Lesemeister das Wort; »auch ich glaube, daß deine Erfindung die Uhr der Weltgeschichte um eine neue, große Stunde vorrücken wird. Und dein Name wird noch nach Jahrtausenden genannt werden unter allen Völkern der Erde. Und es wird unserem Orden zum ewigen Ruhm gereichen, daß du, jetzt ein so verkannter Mann, eines seiner Glieder warst.«

Der Graf und der Ritter standen vor den zwei Mönchen, die so begeistert von einer neuen Zeit redeten, wie Leute, welche Dinge hören, die sie nicht verstehen und nicht glauben können und wollen.

»Ich glaub', ihr zwei Kuttenträger habt den Verstand verloren«, hub Graf Egino hohnlächelnd an, »daß ihr so redet vor euerem Herrn. Hab' gut im Sinn, ich brenn' euch das Kloster über dem Kopf zusammen samt der ganzen Lumperei, die den Rittern und Burgherren den Garaus machen soll. Doch 's ist eigentlich nur zum Lachen, daß Kugeln Ritterscharen niedermähen und sich in die Lüfte schwingen sollen, um Mauern zu zerstören. Um dieser Narrheit willen werd' ich euch verzeihen, Bruder Berthold. Vor euerem Donnern und Blitzen hab' ich Respekt, aber euere Kugeln fürchten wir Grafen und Ritter auf unseren Burgen nicht. Ihr mögt damit ungeharnischte Leute erschießen, uns werden sie nicht schaden.«

»Um die Zukunft der Weltgeschichte kümmern wir uns nicht. Über solchen Firlefanz kann allenfalls ein Lesemeister und Klosterbruder nachdenken, aber nicht unsereiner. Aber darum keine Feindschaft, ihr Brüder, weil ich euere Reden und euere Schießerei nicht ernst nehme.«

»Ich will euch, Herr Graf, noch eine Probe machen«, sprach Bruder Berthold, »und im übrigen nehmt's dann, wie ihr's wollt.«

Er füllte nun den Mörser mit Pulver, setzte einen Holzpfropf darauf und machte die zwei Ritter aufmerksam, dem Holzpfropf, den er jetzt in die Lüfte jagen wolle, nachzuschauen. Der Pulvermann schlug Feuer aus einem Stein und zündete den Mörser an. Es donnerte und blitzte so gewaltig, daß die zwei Ungläubigen rasch einige Schritte rückwärts machten. Der schwarze Bruder aber rief ihnen zu: »Seht ihr den Holzpfropf in der Höhe? Er ist so hoch oben, als jetzt das Münster im Bau ist. Was meint ihr nun, ihr Herren, wenn der Mörser größer ist und mehr Pulver faßt, ob er nicht auch eiserne Kugeln so in die Höhe werfen und Burgmauern treffen kann?«

»Bei allen Heiligen, Mönch!« rief der Graf, »jetzt glaub' ich bald, die Geschichte könnte ernst werden mit der Zeit. Aber dir, Bruder, dank's der Teufel!«

»Was meint ihr, Herr«, redete ruhig weiter Berthold, »wenn auch jenes Handrohr, vergrößert, große, schwere Kugeln auf eine Rittermasse schleudert, wie dann Rosse und Reiter übereinander stürzen werden? Wenn die kleine Kugel dort jenes eichene Brett durchschlug, was wird eine große in Gebein und Fleisch von Menschen und Tieren anrichten?«

»Und das sagt ihr so ruhig und denkt nicht an das Unglück, das ihr in der Welt anrichten wollt, und fürchtet euch keiner Sünde, ein so menschenmörderisches Instrument erfunden zu haben?« sprach ernst und vorwurfsvoll der Ritter von Almeshofen.

»Recht so, Hug«, – meinte Graf Egino, »predige dem Bruder Moral. Es ist traurig, daß ein Ritter einen Barfüßer erinnern muß an Sünde und Schuld. Sonst war's bisher umgekehrt der Fall.«

»Ihr Herren«, gab der greise Mönch beiden zur Antwort, »sprecht in Pulversachen zu einem verstockten Sünder. Nichts und niemals hat die Menschheit etwas erreicht ohne Blut und Tränen. Die Erlösung und die Gnade des Christentums ging durch Ströme von Blut und durch den Tod von Millionen erst zum Sieg.«

»Meine Erfindung soll, wie schon gesagt, der Freiheit des Volkes eine Gasse machen: aber ohne Blutvergießen gibt's keine Freiheit auf Erden.«

»Kriege sind des ferneren Geißeln Gottes. Gott muß aber Werkzeuge haben, um diese Geißeln zu schwingen, und ich stelle nach seiner Zulassung ein neues in die Welt.«

»Aber meine Erfindung trägt auch unmittelbaren Segen in sich. Sie wird, wie Feuer, Wasser und Sonnenlicht, bald segnend und bald verheerend durch die Welt gehen. Ich will den Herren von ihrem unmittelbaren Nutzen eine Ahnung beizubringen suchen.«

»Seht da den Strunk dieses alten Apfelbaumes – und dann tretet weg von ihm der Kirche zu, damit die Stücke, in die ich ihn zerreiße, eurem Leib keinen Besuch machen.«

Die Ritter entfernten sich mit dem Lesemeister, der bisher leuchtenden Auges seinem greisen Mitbruder zugehört hatte, der Kirche zu. Bald trat auch Bruder Berthold wieder zu ihnen – aber gleich darauf donnerte und blitzte es; Holzstücke flogen an die Zellengitter und nach allen Seiten hin vor den staunenden Blicken des Grafen und seines Gastes.

»Schaut, ihr Herren, so wie diesen Baum, zerreiße ich auch Felsen und Steine. Und wenn einmal einer von euch auf schroffes Waldgestein eine neue Burg bauen will, ebne ich ihm in wenig Zeit den Platz mit meinem Pulver.«

»Ich will, Herr Graf, euch jetzt nochmals in die Zukunft schauen lassen, so wenig ihr euch auch darum kümmert, und sage euch: ›Der Menschengeist wird in den kommenden Zeiten noch manch' eine Naturkraft in seinen Dienst stellen, und ich schaue es im Geiste, wie Jahrhunderte nach uns die Menschen mit Windeseile mitten durch die gewaltigsten Berge fahren, die meine Erfindung durchbohrt hat, und wie Nationen und Länder in wenig Stunden sich verbinden.‹«

»In jenen Tagen wird man den Barfüßer-Bruder, den man heute als Teufelsknecht hinstellt, bewundern und segnen als einen Mann, der in Gottes Geiste gedacht und erfunden hat.«

»Längst werden die Ritterburgen unserer Zeit alle in Staub gesunken sein, wenn man noch reden wird vom schwarzen Berthold. Und Freiburg wird in jenen fernen Tagen nicht nur stolz sein auf den Wunderbau, der da drüben sich erhebt, sondern auch auf den armen Barfüßer, der heute vor euch steht.«

»Seht's nicht als Überhebung an, wenn ich, ein elender Sünder vor Gott, so von mir rede; aber mein Geist in mir ist's, der mir diese Worte eingibt und mich zwingt, sie heute zu sagen.«

Wie einst Moses, da er mit den Gesetzestafeln Gottes vom heiligen Berge kam, in übernatürlichem Lichte leuchtete, so stand bei diesen Worten im stillen Klostergarten der Bruder Berthold vor seinen Zuhörern.

Albrecht, der Lesemeister, ergriff, mächtig bewegt und eine Träne im Auge, die Hand des Greises, küßte sie und konnte nur dies sagen: »Berthold, du bist ein König im Reiche der Geister und wirst es bleiben, so lange diese Sonne, die jetzt eben niedersinkt, aufgeht über unserer Erde.«

Jetzt reichte auch Graf Egino dem Bruder die Rechte und sprach: »Bei Gott, Bruder, euere Sache ist keine Narrheit. Mich überkam's bei eueren Worten, als ob ich vor einem überirdischen Geiste stünde und nicht vor einem Menschen, und als ob ich eine Offenbarung hörte aus einer anderen Welt. Also, Bruder, wir wollen gut Freund sein. Ihr kommt zu mir auf's Schloß und macht mir Feuerschlünde, mit denen ich meine rebellischen Freiburger und ihre Häuser beschieße, und dann werden sie gerne meine Schulden bezahlen und Respekt vor mir haben.«

»Herr Graf«, entgegnete der schwarze Mann, »ihr habt gemerkt, daß ich rede, wie ich denke; drum werdet ihr mir auch das nicht verübeln, was ich jetzt sage: ›Ich, Konstantin Angelisen, genannt Bruder Berthold, eines Bürgers Sohn von Freiburg, werde nun und nimmermehr auf Bürger schießen. Wenn's geschossen sein muß, schieß' ich lieber den Bürgern zu Ehren und ihrer Freiheit zu lieb auf den Schloßberg hinauf, als von dort herunter.‹«

»Wenn ich das wüßte, ließ ich euch heute noch in Ketten und Eisen schlagen!« rief der Graf aus. »Das fehlte noch, daß ihr denen in der Stadt das Schießen lehrtet!«

»Seid unbesorgt, Herr«, begütigte lächelnd der Bruder. »Es werden viele Jahre ins Land gehen, bis man so weit ist, um so große Röhren und Kugeln herzustellen. Wir beide werden es nimmer erleben. Mit mir kann's ohnedies jeden Tag zu Ende gehen.«

»Dann bin ich zufrieden«, gab Egino zurück, »Wenn's nur mich noch aushält dort droben, ehe sie hinausschießen. Aber das müßt ihr mir versprechen, so lang ihr lebt, euer Geheimnis niemanden zu verraten.«

»Das will ich, Herr Graf, und das muß ich. Meine Obern haben es mir so schon befohlen, weil sie fürchten, der ganze Orden käme in Mißkredit wegen des Teufelswerks, während ich der Welt so gerne zeigen möchte, daß wir Mönche nicht so dumm sind, wie man gewöhnlich sagt.«