Friedrich Schleiermacher

Monologen

Eine Neujahrsgabe

 

 

 

Friedrich Schleiermacher: Monologen. Eine Neujahrsgabe

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

ISBN 978-3-8430-9356-9

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9307-1 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9308-8 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Berlin 1800. Die zweite Ausgabe erschien 1810, die dritte 1821.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Friedrich Schleiermacher's Monologen. Herausgegeben, erläutert und mit einer Lebensbeschreibung Schleiermachers versehen von J. H. von Kirchmann, Berlin: L. Heimann, 1868 (Philosophische Bibliothek, Bd. 6).

 

Dieses Buch folgt in Rechtschreibung und Zeichensetzung obiger Textgrundlage.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Vorrede zur zweiten Ausgabe

Da dies Büchlein vergriffen war, wollte ich nicht weigern, dass es wieder gedruckt würde. Denn theils bin ich ihm Dank schuldig, weil es edle Gemüther auf eine mir fast unerwartete Weise an sich gezogen, und mir Freunde erworben hat, deren Besitz mir sehr theuer ist; theils könnte auch die Weigerung fälschlich als Widerruf ausgelegt werden. Darum sei diesen Blättern mein Dank dadurch abgestattet, dass ich ihnen aufs neue das Leben friste, und zugleich durch die That den Lesern die Erklärung abgelegt, dass noch immer alle hier geäusserten Gesinnungen so vollkommen die meinigen sind, wie nur irgend ein Bild aus früherer Zeit dem älteren Manne gleichen kann und darf. Nur bekenne ich dabei, dass ein solches aufzufrischen oder wohl gar zu verbessern zu grosse Schwierigkeiten hat wegen der Gefahr durch unvermerkte Einmischung von Zügen aus späterer Zeit die innere Wahrheit zu trüben, oder durch Aenderungen, welche willkürlich scheinen könnten, freundliche Leser zu stören. Darum gebe ich es lieber mit allen Mängeln wieder, die ich daran kenne, und habe ausser Kleinigkeiten im Ausdruck nur[21] einige bald nach der ersten Erscheinung angemerkte Aenderungen aufgenommen, welche Undeutlichkeiten abzuhelfen und Missverständnissen zuvorzukommen schienen. Was also jemand nicht an dem Dargestellten, sondern an der Darstellung tadelt, das wolle er nicht mir dem jetzigen, sondern noch immer dem damaligen zuschreiben. Wenn aber Andere sich in die Gesinnung selbst nicht finden, und von dem, was sich auf die Idee eines Menschen bezieht, das was von seiner Erscheinung gilt, nicht unterscheiden wollen oder können, denen sei unverwehrt, den ungesalzenen Spott wieder aufzuwärmen, der auch vor zehn Jahren hier und dort gehört wurde.

Berlin im April 1810.

Dr. Fr. Schleiermacher.[22]

 

Vorrede zur dritten Ausgabe

Auf obige Rechtfertigung beziehe ich mich auch bei diesem dritten Abdruck des Büchleins, und möchte nur noch ein paar Worte für diejenigen versuchen, welchen die Abzweckung desselben wirklich sollte entgangen sein. Ein mir von langem her innig befreundeter Mann hat seitdem das gar sehr hierher gehörige treffende Wort gesagt, das erscheinende Leben eines jeden Menschen schwanke zwischen seinem Urbild und seinem Zerrbild. Nur die der ersten Richtung folgende Selbstbetrachtung kann etwas öffentlich Mittheilbares enthalten; die andere verliert sich zu tief in die Dunkelheiten des einzelnen Lebens bis zu den Punkten hin, die, wie auch sonst schon ein Weiser gesagt, der Mensch am besten auch sich selbst verbirgt. Wer nun, wie hier versucht ward, diese verschweigend jene mittheilt mit einem sichtbaren Bestreben vorzüglich die Oerter für die Verschiedenheit der Urbilder aufzusuchen, dessen Meinung wird wohl ganz verkannt, wenn man ihm vorwirft, dass er nur sich selbst ins Schöne sehe, und lächerlicher als ein geistiger Narziss die verliebten Worte, mit denen er sein eigenes Bildniss angeredet,[23] der Welt noch weit und breit verkünde. Eben jener Abzweckung ist es auch zuzuschreiben, dass hier die Selbstbetrachtung sich rein ethisch gestaltet, und das im engeren Sinne Religiöse darin nirgend hervortritt. Doch wünschte ich nicht, dass hieraus die Ansicht einen Gewinn zöge, als ob die religiöse Selbstbetrachtung nur die entgegengesetzte Richtung nach dem Zerrbilde hin nehmen müsste. Vielmehr war es schon lange mein Vorsatz, auch diese einseitige Vorstellung durch die That zu widerlegen, und durch eine ähnliche Reihe religiöser Selbstgespräche dieses Büchlein zu ergänzen. Die Zeit aber hat es bis jetzt nicht gestattet.

Berlin im December 1821.

Sch.[24]

 

Darbietung

Keine vertrautere Gabe vermag der Mensch dem Menschen anzubieten, als was er im Innersten des Gemüthes zu sich selbst geredet hat: denn sie gewährt ihm das Geheimste, was es giebt, in ein freies Wesen den offenen ungestörten Blick. Keine zuverlässigere: denn mit Dir durchs Leben zieht die Freude, vom reinen Anschaun des Befreundeten erregt; und innere Wahrheit hält Deine Liebe fest, dass Du gern öfter zur Betrachtung zurückkehrst. Auch keine bewahrst Du leichter gegen fremde Lust oder Tücke; denn da ist kein verführerisch Nebenwerk, das den Unberechtigten herbeilockte, oder das missbraucht könnte werden zu geringem und schlechtem Zweck. Und steht auch einer seitwärts mit schelem Blick unser Kleinod musternd, und will Unechtes Dir entdecken an Zeichen, die Dein gerades Auge nicht wahrnimmt: so möge Dir weder zersplitternde Krittelei noch schaler Spott die Freude rauben, wie es mich niemals gereuen wird, Dir mitgetheilt zu haben, was ich hatte. – So nimm denn hin die Gabe, der Du des Geistes leises Weben verstehen magst! Es töne Dein innerer Gesang harmonisch zum Spiel meiner Gefühle! Es werde, was jetzt magnetisch sanft Dich durchzieht, jetzt wie ein elektrischer Schlag Dich erschüttert bei der Berührung meines Gemüthes, auch Deiner Lebenskraft ein erfrischender Reiz.[25]

 

I. Betrachtung

Auch die äussere Welt, mit ihren ewigen Gesetzen wie mit ihren flüchtigsten Erscheinungen, strahlt in tausend zarten und erhabenen Bildern gleich einem Zauberspiegel unseres Wesens Höchstes und Innerstes auf uns zurück. Welche aber den lauten Aufforderungen ihres tiefen Gefühles nicht gehorchen, welche die leisen Seufzer des gemisshandelten Geistes nicht vernehmen, an diesen gehen auch die wohlthätigen Bilder verloren, deren sanfter Reiz den stumpfen Sinn schärfen soll und spielend belehren. Selbst von dem was der eigene Verstand erdacht hat und immer wieder hervorbringen muss, missverstehen sie die wahre Deutung und die innerste Absicht. So durchschneiden wir die unendliche Linie der Zeit in gleichen Entfernungen, an oft nur willkürlich durch den leichtesten Schein bestimmten Punkten, die für das Leben, weil alles abgemessene Schritte verschmäht, ganz gleichgiltig sind und nach denen nichts sich richten will, weder das Gebäude unsrer Werke, noch der Kranz unserer Empfindungen, noch das Spiel unserer Schicksale: und dennoch meinen wir mit diesen Abschnitten etwas mehr als eine Erleichterung für den Zahlenbewahrer, oder ein Kleinod für den Chronologen; bei jedem vielmehr knüpft sich daran unvermeidlich der ernste Gedanke dass eine Theilung des Lebens möglich sei. Aber Wenige dringen ein in die tiefsinnige Allegorie, und[26] verstehen den Sinn der vielfach wiederkehrenden Aufforderung.

Der Mensch kenne nichts als sein Dasein in der Zeit und dessen gleitenden Wandel hinab von der sonnigen Höhe des Genusses in die furchtbare Nacht der Vernichtung; Vorstellung und Empfindung auseinander entwickelnd und in einander verschlingend, so meinen sie, ziehe eine unsichtbare Hand den Faden seines Lebens fort, und drehe ihn jetzt loser, jetzt fester zusammen, und weiter sei nichts. Je schneller seiner Gedanken und Empfindungen Folge, je reicher ihr Wechsel, je harmonischer und inniger ihre Verbindung, desto herrlicher sei das bedeutende Kunstwerk des Daseins vollendet; und wer noch überdies seinen ganzen Zusammenhang mechanisch erklären und auch die geheimsten Springfedern dieses Spiels aufzeigen könne, der stände auf dem Gipfel der Menschheit und des Selbstverständnisses. So nehmen sie das zurückgeworfene Bild ihrer Thätigkeit für ihr eigentliches Thun, die äusseren Berührungspunkte ihrer Kraft mit dem, was nicht sie ist, für ihr innerstes Wesen, die Atmosphäre für die Welt selbst, um welche sie sich gebildet hat. Wie wollten Solche die Aufforderung verstehen, welche in jener Handlung liegt, der sie nur gedankenlos zusehen! Der Punkt, der eine Linie durchschneidet, ist nicht ein Theil von ihr, er bezieht sich auf das Unendliche eben so eigentlich und unmittelbarer, als auf sie; und überall in ihr kannst Du einen solchen Punkt setzen. So auch der Moment, in welchem Du die Bahn des Lebens theilst, soll selbst kein Theil des zeitlichen Lebens sein: anders soll er sich erzeugen und gestalten, um Dir ein unmittelbares Bewusstsein von Deinen Beziehungen mit dem Ewigen und Unendlichen zu erregen; und überall wo Du willst, kannst Du so den Strom des zeitlichen Lebens hemmen und durchschneiden. Darum erfreue ich mich als einer bedeutungsvollen Mahnung an das Göttliche in mir der schönen Einladung zu einem unsterblichen Dasein ausserhalb des Gebietes der Zeit, und freigesprochen von ihrem Gesetz! Die aber um den Beruf zu diesem höheren Leben nicht wissen mitten im Strom der flüchtigen Gefühle und Gedanken, finden ihn auch dann[27] nicht, wenn sie, ohne zu wissen was sie thun, die Zeit messen und das irdische Leben abtheilen. Wenn sie lieber nichts merkten von dem, was ihnen gesagt werden soll, dass nicht ihr eitles Thun und Treiben, indem es der hehren Einladung zu folgen strebt, so schmerzlich mein Gemüth bewegte! Wohl mögen auch sie einen Punkt haben, den sie nicht ansehen als flüchtige Gegenwart, nur dass sie nicht verstehen ihn als Ewigkeit zu behandeln. Oft auf einen Augenblick, bisweilen auf eine Stunde, nun gar auf einen Tag sprechen sie sich los von der Verpflichtung so emsig zu handeln, so eifrig Genuss und Einsicht anzustreben, wie es sonst auch der kleinste Theil des Lebens von ihnen verlangt, wenn er sie mahnt, dass er eben so bald Vergangenheit sein wird, als er noch kürzlich Zukunft war. Dann ekelt es sie Neues wahrnehmen, oder geniessen, wirken oder hervorbringen; sie setzen sich ans Ufer des Lebens, aber können nichts thun, als in die tanzende Welle lächelnd hinabweinen. Gleich der trübsinnigen Wuth, die an des Mannes Grabe Weiber oder Sklaven mordet, so schlachten sie am Grabe des Jahres den Tag, der in leeren Phantasien vergeht, ein vergebliches Opfer.

Für den soll es kein Nachdenken und keine Betrachtung geben, der doch nicht das innere Wesen des Geistes darin erkennt! der soll nicht streben, sich loszureissen von der Zeit, der doch in sich nichts kennt, was ihr nicht angehört! Denn wohin sollte er ihrem Strome entsteigen, und was könnte er sich erstreben, als fruchtloses Leiden und herbes Vernichtungsgefühl? Vergleichend wägt der Eine ab Genuss und Sorge der Vergangenheit, und will das Licht, das ihm aus der zurückgelegten Ferne noch nachschimmert, in ein einziges kleines Bild vereinigen, unter dem Brennpunkt der Erinnerung. Ein Anderer schaut an, was er gewirkt, den harten Kampf mit Welt und Schicksal ruft er gern zurück; und froh, dass es noch so geworden, sieht er hier und da auf dem neutralen Boden der gleichgiltigen Wirklichkeit ein Denkmal stehen, das er sich aus dem trägen Stoff herausgebildet, obwohl Alles weit hinter seinem Vorsatz zurückgeblieben. Es forscht ein Dritter, was er wohl gelernt, und schreitet stolz[28] in viel erweiterten und vollgefüllten Speichern der Kenntnisse daher, erfreut, wie doch so vieles sich in ihm zusammendrängt. O kindisches Beginnen der eitlen Einbildung! Dem fehlt der Kummer, den die Phantasie gebildet, und den aufzubewahren das Gedächtniss sich geschämt; es fehlt jenem der Beistand, den Welt und Schicksal selbst geleistet, wiewohl er beide jetzt nur feindlich begrüssen möchte; und dieser bringt nicht mit in Anschlag das Alte, was von dem Neuen verdrängt ward, die Gedanken, die er unter dem Denken, die Vorstellungen, die er unter dem Lernen wieder verlor, und niemals ist die Rechnung richtig. Doch wäre sie es, wie tief verwundet es mich, dass Menschen denken mögen, dies sei Selbstbetrachtung, dies heisse Sich erkennen. Dafür auch wie dürftig endet das hochgepriesene Geschäft! die Phantasie ergreift das treue Bildniss der vergangenen Zeit, mit schöneren Umgebungen nicht sparsam, malt sie es in den leeren Raum der nächsten Zukunft, und sieht oft seufzend auf das Urbild noch zurück. So ist die letzte Frucht nur jene eitle Hoffnung, dass Besseres kommen werde, oder jene gemeine Klage, dass dahin sei, was so schön gewesen, und dass der Stoff des Lebens mehr und mehr von Tag zu Tage schmelzend der schönen Flamme bald das Ende zeige. So zeichnet die Zeit mit leeren Wünschen und mit eitlen Klagen brandmarkend schmerzlich ihre Sklaven, die entrinnen wollten, und macht den Schlechtesten dem Besten gleich, den sie eben so sicher sich wieder hascht. Wer statt der Thätigkeit des Geistes, die verborgen in seiner Tiefe sich regt, nur ihre äussere Erscheinung kennt und sieht; wer statt Sich anzuschauen nur immer von fern und nahe her ein Bild des äusseren Lebens und seines Wechsels sich zusammenholt: der bleibt der Zeit und der Nothwendigkeit ein Sklave; was er sinnt und denkt, trägt ihren Stempel, ist ihr Eigenthum, und nie, auch wenn sich selbst er zu betrachten wähnt, ist ihm vergönnt, das heilige Gebiet der Freiheit zu betreten. Denn in dem Bilde, was er sich von sich entwirft, ist er sich selbst zum äusseren Gegenstand geworden, wie alles andere ihm ist: und alles darin ist nur durch äussere Verhältnisse bestimmt. Wie ihm sein Dasein erscheint,[29] was er dabei sich denkt und fühlt, alles hängt ab vom Gehalt der Zeit, und von desjenigen Beschaffenheit, was ihn berührt hat. Wer mit thierischem Gemüthe nur den Genusssucht, dem scheint sein Leben arm oder reich, nachdem der angenehmen Augenblicke viel oder wenig verstrichen sind in gleicher Zeit; und dieses Bild betrachtet er mit Wohlgefallen oder nicht, je wie das günstigste darin das erste oder letzte war. Wer ein anmuthiges und gepriesenes Leben bilden wollte, hängt ab von Anderer Urtheil über sich, vom Boden, auf dem er stand, und von dem Stoff, den seiner Arbeit das Schicksal vorgelegt; so auch wer wohlthätig zu wirken strebte. Die beugen alle sich dem Zepter der Notwendigkeit, und seufzen unter dem Fluch der Zeit, die nichts bestehen lässt.