„Nichts ist auf der Welt so gerecht verteilt wie der Verstand.

Denn jedermann ist davon überzeugt, dass er genug davon habe.“

René Descartes (1596-1650)

Über den Autor:

Gunter Maier, Jahrgang 1972, studierte Betriebswirtschaftslehre und Sozialwissenschaften. In seiner letzten beruflichen Funktion war er verantwortlich für die Aus- und Weiterbildung in einem internationalen Industrieunternehmen. Inspiriert durch seine vielseitigen Berufserfahrungen in der Erwachsenenbildung und der stetig steigenden Komplexität im Berufsalltag, spezialisierte er sich in den letzten Jahren im Bereich der Führungskräfteentwicklung. Seit über 30 Jahren beschäftigt er sich zudem mit verschiedenen modernen und klassischen Kampfkunststilen und hat hierzu diverse technische Graduierungen sowie Lehr- und Prüflizenzen inne. Sein Forschungsansatz ist interdisziplinär und vor allem realitätsorientiert. In diesem Sinne systematisiert und kultiviert er bewährtes Praxiswissen, um es der modernen Führungskräfteentwicklung als ganzheitliches Lehrkonzept zur Verfügung zu stellen.

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2. Auflage 2019

Illustration und Coverdesign: Gunter Maier

Bildquellen (Cover): www.fotalia.de; ©Sebastian Duda; © 123creativecom

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7357-0755-0

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur zweiten Auflage

Im April 2015 veröffentlichte ich die erste Auflage des vorliegenden Buches. Es war in der Motivation verfasst worden, heutigen Führungskräften bei turbulenten Rahmenbedingungen Orientierung zu geben. Genauer gesagt wollte ich ihnen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie sich mit Hilfe der Strategielehre gezielt weiterbilden können. Dieses Lehrbuch enthält ein strategisches Curriculum sowie Informationen darüber, wie es entstanden ist. Doch mein Anspruch ging weiter. Es wurde mir recht schnell bewusst, dass ein Curriculum nur der erste Schritt sein kann und der Bedarf für ein holistisches Lehrkonzept besteht. Ein solches wollte ich erstellen.

Bei diesem Unterfangen begleitete mich nun eine Grundproblematik, die es zu lösen galt. Während der letzten Jahrzehnte, eigentlich seit dem zweiten Weltkrieg dominiert in der westlichen Welt die formale Bildung. Dies bedeutet, dass die Führungskräfte überwiegend im Rahmen formaler Ausbildungssysteme (Hochschulen) durch Vermittlung von theoretisch-akademischen Wissen auf ihre späteren beruflichen Aufgaben vorbereitet wurden und nach wie vor werden. Strategisches Wissen ist nur in überschaubarem Umfang inbegriffen. Nun gibt es zwei Problemstellungen, die nicht von der Hand zu weisen sind. Zum einen beinhaltet die strategische Lehre einen hohen Anteil an Praxiswissen, das formal nicht ohne Weiteres lehrbar ist. Zum anderen bringt Wissenserwerb in der Hochschule noch lange keine Handlungskompetenz. Und diese ist entscheidend für den Erfolg der Organisation, in der sich die Führungskraft befindet. Es war notwendig ein bedarfsgerechtes Lehrkonzept inklusive geeigneter Lehrformate zu entwickeln, um diese Probleme zu beheben.

Praxiswissen wird hautsächlich durch informelle Lernprozesse erworben. Diese Tatsache ist mittlerweile allgemein anerkannt. Informelle Bildung ist aber dem Wesen nach kein geleiteter Prozess, sondern unterliegt in hohem Maße den jeweiligen Rahmenbedingungen und damit auch dem Zufall. Wenn also eine junge Führungskraft das Glück hat, längere Zeit mit einem erfahrenen und weitsichtigen Praktiker zusammenzuarbeiten, stellt sich automatisch ein Bildungsprozess jenseits des formalen ein, denn das Wissen des Erfahrenen geht auf den Lernenden im Rahmen der täglichen Arbeit über. Wissenselemente sind dabei gewissermaßen wie ein positives Virus, das sich überträgt, und es kann sich dabei vermehren. Andere Führungskräfte haben nicht diese Möglichkeit oder das Glück mit erfahrenen Mentoren zusammenzuarbeiten und hier stellen sich diese Bildungsprozesse nicht ein. Dieses Grundproblem der informellen Bildung musste also in dem zu schaffenden Lehrkonzept berücksichtigt werden. Es galt daher, informelles strategisches Wissen zu erfassen und vor allem zu systematisieren, so dass der Zufall im Lernprozess beherrschbar ist. In diesem ersten Schritt entstand das vorliegende Curriculum der Lehre. Das Lehrwerk beinhaltet also die Lernelemente, welche in der Summe den Werkzeugkasten des Strategen darstellen. Doch das Curriculum ist weitaus mehr als die Summe der einzelnen Komponenten. Durch die Beschreibung, wie die einzelnen Werkzeuge kombiniert werden können, ist ein ganzes System entstanden. Zudem - unüblich für formale Lehrbücher - wurde die Methodik dargelegt, wie das Curriculum schrittweise erarbeitet wurde. Diese Informationen sind elementar wichtig für den Lernenden, denn sie geben zum einen Orientierung, zum anderen schaffen sie das Vertrauen, dass die Lehre auch wissenschaftlich abgesichert ist.

Nun bekam ich im Laufe der letzten drei Jahre auch wichtige Rückmeldungen aus der Praxis, woraus viele bereichernde Diskussionen entstanden sind. Dabei kristallisierte sich ein Manko heraus. Es fehlte, bildlich gesprochen, der Schlussstein im Gewölbe dieser strategischen Lehre. Und dieser Schlussstein war das Wissen über die Funktionsweise des menschlichen Geistes. Es ging also nicht nur um die Werkzeuge des Strategen, auch die Werkstatt selbst musste Gegenstand des Lehrkonzepts sein.

Und deshalb stieg ich wieder tief in die Wissenschaften ein und beschäftigte mich eingehend mit neusten Forschungsergebnissen der Sozialpsychologie, der Emotionsforschung und der Neurowissenschaften. Dabei entstand ein weiteres Lehrbuch: "Die Verborgene Grammatik der Strategie - die Logik des Irrationalen". Dieser Folgeband beschreibt die Funktionsweise des menschlichen Geistes und gibt dem Lernenden eine Vielzahl von Handlungsempfehlungen zur Verbesserung seiner eigenen kognitiven Fähigkeiten. Darüber hinaus beschäftigt sich das Werk sehr intensiv mit dem Irrationalen und arbeitet Muster, Regeln und Logiken heraus, die Strategen wissen müssen, um die gesamte Bandbreite an strategischen Instrumenten erfolgreich einsetzen zu können. Im Resultat wurde mit beiden Bänden die prinzipienorientierte Strategielehre, kurz PRIORI, geschaffen. Sie repräsentiert das über mehr als 2500 Jahre gereifte strategische Praxiswissen aus vier Kulturkreisen.

Da eine gute Lehre nicht nur informieren, sondern auch Handlungskompetenz aufbauen möchte, sind die beiden Bände durch eine zugrunde liegende didaktische Systematik gekennzeichnet, um den Bedürfnissen der Zielgruppe - Manager und Leader - gerecht zu werden.

Das Gesamtwerk ist zum einen unterteilt in einen Wissensbereich und einen hinführenden Bereich, der darstellt, wie das strategische Wissen als System generiert wurde. Der Wissensbereich selbst ist strukturiert in aufbauende Themenblöcke, die im Bedarfsfall weitere Vertiefung erfahren können, aber auch separat in Verbindung mit passenden Lehrmethoden geschult werden können. Zudem enthält das System einen umfangreichen Katalog, der alle bekannten strategischen Prinzipien in alphabetischer Reihenfolge auflistet. Dieser Katalog dient der Orientierung, dem Nachschlagen wie auch als Grundlage zum Aufbau von speziellen Schulungseinheiten.

Der Grund für diese modular-flexible Struktur liegt in den Besonderheiten der Zielgruppe. Manche Führungskräfte bilden sich rein informell durch Medien und haben, oft bedingt durch ihr fortgeschrittenes Alter, keinen Zugang mehr zu formalen Lernorten der Erwachsenenbildung. Andere wiederum haben nicht die notwendigen zeitlichen Ressourcen Fortbildungen zu besuchen und müssen sich autodidaktisch weiterbilden. Dann gibt es noch eine Gruppe, tendenziell die Jüngeren, die formal erreicht und geschult werden können, allerdings beinhalten die formal-theoretischen Curricula nicht die vorliegenden Wissensinhalte. Hier dient das systematisierte Praxiswissen von PRIORI als Unterrichtsinhalt. Andere wiederum werden durch erfahrene Mentoren auf ihre zukünftigen Aufgaben vorbereitet. PRIORI kann hier der Leidfaden sein.

Das Format in Form zweier Lehrbücher ist daher multifunktional und wird dem sich verändernden Bildungsrahmen unserer Zeit gerecht. PRIORI ist dem Wesen und der Zielsetzung nach ein klassisches Lehrbuch, es unterscheidet sich aber durch die didaktische Struktur, welche den Bänden ein anderes Erscheinungsbild als gewohnt verleiht. Durch diese Vorgehensweise wurden zwei Ziele erreicht, die formale Bildung und ihre zugehörige Bildungsmedien nicht leisten können. Zum einen zeigt das Konzept, wie man informelle Bildung systematisch aufarbeiten und lehren kann, und diese Vorgehensweise ist dabei auch auf andere Lernfelder übertragbar. Zum anderen repräsentierten die beiden Lehrwerke ein holistisches Ausbildungskonzept, denn PRIORI ist ein in sich geschlossenen ganzheitliches Mindset-Konzept, das am Ende nicht mehr und nicht weniger als den menschlichen Verstand schult.

Dabei klärt sich auch die vieldiskutierte Frage, ob denn Strategie angesichts des hohen Anteils an implizitem Wissen überhaupt lehrbar sei. Die Frage ist eindeutig mit ja zu beantworten. Hierzu muss man sich jedoch von formalen Denkschienen entfernen und akzeptieren, dass es Wissensbestände gibt, die nicht oder nur unter besonderen Voraussetzungen formal lehrbar sind. Informelle Bildung verlangt eine eigene Didaktik, eine eigene Methodik und auch eigene Lehrwerke. Die beiden Bände bilden eine Grundlage dafür, wie man die unkoordinierte informelle Bildung systematisch in geleitete Lernprozesse münden lassen kann.

Gunter Maier im Februar 2019

Vorwort (zur ersten Auflage)

Als ich im Jahre 2008 erstmals offiziell mit der disziplinarischen Führung von Mitarbeitern beauftragt wurde, war ich gezwungen mich innerlich komplett neu aufzustellen. Zuvor war ich lange Jahre als Marketing-Spezialist eines internationalen Konzernes verantwortlich für Kundenzufriedenheit und hierzu unterwegs in aller Herren Länder. Meine Arbeitsweise damals war dominiert durch Projektarbeit, wobei ich stets eigenverantwortlich und zielorientiert die Bedürfnisse der Kunden und die der Organisation in Einklang zu bringen hatte. Personalverantwortung hatte ich damals nicht, jedoch verlangten die Projekte an sich eine gewisse feinfühlige Steuerung der interdisziplinären Projektteams.

Dann übertrug mir jenes Unternehmen auf einen Schlag die Verantwortung über vier Abteilungen bzw. Bereiche mit dem Auftrag, diese unter einem Dach zusammenzufassen und zu harmonisieren. Als neuer Leiter der Aus- und Weiterbildung stand ich nun vor einem neuen Projekt, welches zum Ziel hatte die Abteilungen Ausbildung, Weiterbildung, Werkzeugbau und Duale Hochschulbildung den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen und, natürlich unter Beachtung der Kosteneffizienz, in eine neu geschaffenen Einheit aufgehen zu lassen.

Im Resultat entstand eine sehr heterogene Abteilungsstruktur mit ca. 70 Mitarbeitern und zusätzlicher Weiterbildungsverantwortung für zwei komplette Unternehmensstandorte. Die Zusammenführung der Bereiche ließ sich recht gut bewerkstelligen, doch die Leitung des Tagesgeschäftes erwies sich aufgrund der Heterogenität, des Mangels an echten Vorgesetzten für die jeweiligen Bereiche, des allgemeinen Drucks in einer Sandwichposition und der hohen Erwartungen von Geschäftsleitung und Betriebsrat als Drahtseilakt. Unglücklicherweise halfen mir die theoretischen Erkenntnisse meines BWL-Studiums dabei in keiner Weise. Ich erinnerte mich in diesen Tagen oft an eine Aussage einer meiner Professoren, welcher zu sagen pflegte:

„… was Sie wirklich im Beruf benötigen, lernen Sie nicht im Studium…“

Ich entwickelte daraufhin, wohl eher intuitiv, einen prinzipienorientierten Führungs- und Handlungsstil, der es mir ermöglichte schnell zwischen den unterschiedlichen Anliegen meiner Mitarbeiter bzw. den verschiedenen geschäftlichen Angelegenheiten hin- und herzuspringen und mir rasch eine fundierte Einschätzung der jeweiligen Sachlage zu verschaffen. Ich arbeitete immer effizienter, die Ergebnisse der Abteilung konnten sich sehen lassen und auch die regelmäßig durchgeführte Mitarbeiterbefragung bescheinigte der Abteilung sehr hohe Zufriedenheitswerte.

Im Rahmen meiner Beratungsfunktion im Bereich der Führungskräfteentwicklung stellte ich in den Gesprächen mit jüngeren Managern immer wieder fest, dass der Spagat zwischen den Erwartungen von Geschäftsleitung und Mitarbeitern unter den realen Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts immer weniger zu bewerkstelligen ist und dringender Handlungsbedarf besteht, um die Führungskräfte im mittleren Management letztendlich nicht zu verheizen. In der Tat, viele berichteten, dass sie im Zuge ihrer Ausbildungen nicht wirklich auf die Anforderungen an heutige Führungskräfte vorbereitet worden seien und äußerten den Wunsch nach gezielter Weiterbildung, ausgerichtet auf den erfolgreichen Umgang mit ihren Mitmenschen. Bei einer anderen Gruppe von jungen Führungskräften beobachtete ich interessanterweise einen gewissen Übermut, welcher wohl aus einer (zu) frühen Verantwortungsübertragung durch die Geschäftsleitung resultierte. Diesen Führungskräften fiel es schwer das reale Geschehen in ihren Abteilungen zu erfassen, stattdessen konzentrierten sie sich auf den Fortgang ihrer Karriere. Die nicht-intendierten Auswirkungen ihres Handelns registrierten sie selten, dies war zumindest meine Beobachtung. Ein ausscheidender Manger, der anfangs für mich eine Art Mentor gewesen war, zog mich diesbezüglich einmal bei einer Feier auf die Seite und beklagte:

„…was wir auf der Straße gelernt haben, dass wissen die alle nicht mehr …“.

Über diesen Ausspruch dachte ich lange nach und fragte mich immer wieder: Was war das eigentlich, was man früher auf der Straße lernte? Den Handlungsbedarf, genauer gesagt den Schulungsbedarf hatte ich somit registriert. Alsbald machte ich mich dann auf die Suche nach geeigneten Konzepten und Trainingsanbietern, um diesen jungen Führungskräften unter die Arme zu greifen. Dabei standen die Anwendungsorientierung und Pragmatik immer im Vordergrund, ich wollte keine weitere Theorie präsentieren.

Fündig wurde ich aber letztendlich über die Jahre nicht wirklich. Der Weiterbildungsmarkt bietet für diese Personengruppe wenig geeignetes Handwerkzeug, um das reale Tagesgeschäft einigermaßen stressfrei bewältigen zu können. Zu viele theoretische Konzepte liegen den Seminaren zugrunde, sie geraten unter realen Bedingungen allzu oft ins Wanken. Bemerkenswert fand ich auch, dass viele Führungskräftetrainer selbst niemals eine Abteilung geleitet haben. Ich fand es mutig, sich ohne Führungskräfteerfahrung vor eine Gruppe von Führungskräften zu stellen und diese für den Umgang mit ihren Mitarbeitern zu schulen. Für mich war das so befremdend wie ein Fahrlehrer ohne eigenen Führerschein. Weiterhin standen diese Konzepte isoliert im Raum, es gab nichts Verbindendes und vor allem nichts Ganzheitliches. Kurzum, die Voraussetzungen waren nicht gerade optimal, um sich als Führungskraft die notwendigen Kompetenzen anzueignen.

Im Jahre 2008 stellte sich eine weitere Veränderung in meinem Leben ein, welche weitreichender war, als ich je erahnen konnte. Im Rahmen meines ehrenamtlichen Engagements als Kampfsporttrainer war ich schon lange auf der Suche nach realitätsbasierten Trainingskonzepten, quasi als Gegenpol zu den modernen Kampfsportarten. Mehr oder weniger durch Zufall besuchte ich ein Karate-Seminar in Berlin. Bei diesem Seminar war ein Co-Referent anwesend, welcher uns die Ursprünge und die Entwicklung der modernen Kampfkünste auf sehr anschauliche Weise näherbrachte. Dieser Referent war Tobin E. Threadgill, als Amerikaner der erste Nicht-Japaner, der in der Geschichte der Kampfkünste zum legitimen Oberhaupt einer japanischen Traditions-Schule aufgestiegen war. Ich war durch seine Lehrmethode, insbesondere durch seine Fähigkeit, tiefer liegende Aspekte für westliches Lernverständnis aufzubereiten, beeindruckt, so dass ich unmittelbar darauf um Aufnahme in seine Schule bat. So wurde ich damals als offizieller Schüler einer klassischen japanischen Jiu-Jitsu-Schule akzeptiert und damit Teil einer Jahrhunderte alten Kampfkunst-Kultur.

Auch hier war ich nun gezwungen mit allem Erlernten zu brechen und mich komplett neu aufzustellen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich über zwei Jahrzehnte die modernen Sportarten Karate und Kobujutsu (Waffenkampf) trainiert und war der Meinung in den asiatischen Kampfküsten gut ausgebildet zu sein. Doch als ich tiefer in die Lehre der Alten Schulen einstieg, stellte ich schnell fest, dass dem nicht so war.

All die mühsam erlernten Techniken und Bewegungsabläufe dienten bis dahin eher stilistischer Ästhetik oder bestenfalls dem Gewinnen von Wettkämpfen unter regulierten Bedingungen. Zudem beschränkte sich das Training der mentalen Seite auf rein taktische Aspekte des Wettkampfes, d.h. einer Auseinandersetzung mit willkürlich festgelegten Regeln, ohne dabei eine Spur von Strategie aufzuweisen. All dies hatte wenig mit der Realität zu tun, wie ich nach und nach begriff. Die modernen Kampfsport-Curricula sind im Gegensatz zu den klassischen theoretisiert, da sie in Zeiten des Friedens und Wohlstandes entwickelt wurden. Sie sind im Grunde nicht für die reale Anwendung konzipiert. Die Erprobung unter realen Bedingungen wird dabei gerne vermieden, um die Fassade des Stils nicht zu beschädigen. Koryu-Stile, d.h. die alten Schulen dagegen hatten ihre Curricula einzig und allein an den Bedingungen der Realität ausgerichtet und bilden nach wie vor ihre Schüler aus, mit dieser Realität umzugehen.

In diesen Jahren des Umdenkens bekam ich immer wieder einen Satz von meinem Lehrer Tobin Threadgill zu hören. Während der Seminare prüfte er immer wieder kritisch die Bewegungsabläufe und betonte:

„…I teach principles, not techniques...“.

Damit trichterte er uns ein, dass wir uns nicht auf das Erlernen und Abspulen eines äußeren Bewegungsablaufes beschränken, sondern uns mit den Konzepten auf den darunter liegenden Ebenen beschäftigen sollen, den Prinzipien. Diese Erkenntnis brauchte eine lange Reifezeit, doch mittlerweile stelle ich fest, dass mein Handeln auf sportlicher Ebene wesentlich flexibler, gelassener und auch intuitiver geworden ist.

Inspiriert durch diese antike Lehrphilosophie mit ihrer Betonung von Prinzipien entschloss ich mich dann vor drei Jahren selbst eine reales und vor allem substantielles Basiskonzept für die Führungskräfteentwicklung zu schaffen und begann mit dem diesem Buch zugrundeliegenden Forschungsprojekt. Dabei setzte ich mir die Maxime, dass sich der Forschungsprozess im Kern einzig und allein an den Gegebenheiten der Realität orientieren darf und theoretische Konzepte lediglich als Ergänzung dienen können. Ich wollte damit vermeiden der Dominanz des aktuellen Mainstreams zu unterliegen und lediglich die vorhandene und empirisch nicht nachgewiesene Theorie zu reproduzieren. Ich folgte stattdessen dem Grundsatz:

„Wenn die moderne Wissenschaft nichts Passendes zu bieten hat, dann muss man sich der Lehren unserer Vorväter bedienen.“

Denn ich bin der Meinung, dass in unserer westlichen Hemisphäre zu schnell Altbewährtes über Bord geworfen und durch zweifelhafte Theorien ersetzt wird. Ein Trend, dem fernöstliche Kulturen nicht folgen. Meine Gedanken kreisten dabei immer mehr um die Prinzipien, welche doch in den alten Kampfkünsten den Erfolg garantierten, entstanden in einer Zeit, als es noch keine Theorie in der Lehre gab. Fündig wurde ich irgendwann, als ich die Klassiker der Strategielehre studierte. Ich bemerkte sehr schnell, dass diese immer wieder über die gleichen Sachverhalte schrieben, nämlich über die Prinzipien. Auffallend war weiterhin, dass diese Prinzipien immer im Kontext menschlicher Interaktion dargestellt wurden. Das passte auch zu den Problemstellungen heutiger Führungskräfte. Und so entschloss ich mich dann ein ganzheitliches System aus realen Prinzipien als Basis für moderne Managerausbildung zu erstellen, wobei ich gewissermaßen den Code der sozialstrategischen Interaktion zu entschlüsseln und auch offenzulegen versuchte.

Als das Konzept des Forschungsprozesses gereift und der Umfang desselben absehbar war, nahm ich – auch aus familiären Gründen – eine Forschungsauszeit und begann mich damit an Universitäten als externer Doktorand zu bewerben. Wegen der hohen Interdisziplinarität kontaktierte ich Professoren unterschiedlichster Disziplinen: Berufspädagogen, Betriebswirte, Psychologen und Soziologen, doch ein wirkliches Interesse an der Arbeit war zunächst nicht vorhanden. Erst der Kontakt mit den wenigen, leider aber bereits emeritierten Wissenschaftlern aus dem Bereich der Strategischen Studien bestärkte mich in meinem Vorhaben, da sie den Erkenntniswert des Projektes abschätzen konnten. Eine Betreuung als Doktorand war jedoch aus verschiedenen organisatorischen Gründen – vor allem wegen der mittlerweile nicht mehr besetzten oder schlichtweg abgeschafften Lehrstühle – zu jenem Zeitpunkt nicht realisierbar, sodass ich mich entschloss das Forschungsprojekt trotzdem umzusetzen und auf diesem Wege zu veröffentlichen. Hier darf keinesfalls eine Enttäuschung herausgelesen werden, das Gegenteil ist der Fall, denn das Nicht-Zustandekommen einer Betreuung ist ein Zeichen dafür, dass in diesem Feld der Wissenschaft noch sehr viel Pionierarbeit geleistet werden kann.

Dies soll wiederum nicht bedeuten, dass das Projekt ohne wissenschaftlichen Beistand realisiert wurde. Fünf Personen unterstützten mit ihren wertvollen Hinweisen und Gedanken, welchen ich hiermit nochmals meinen Dank aussprechen möchte. Prof. Dr. Markus Groß unterstützte mich permanent in literarischen und kulturhistorischen Angelegenheiten. Prof. Dr. Albert Stahel schärfte meine Sinne entscheidend in Bezug auf die Anwendung und Tragweite des Konzeptes. Prof. Dr. Rainer Zimmermann stellte die Forschungsfragen und ermutigte mich trotz aller Hürden das Projekt zu realisieren und Prof. Dr. Lothar Auchter war mein Ansprechpartner für die Themen Ethik und Moral. Jürgen Buchwald schließlich, Kampfkunstweggefährte und Germanist, überprüfte in regelmäßigen Abständen die Stimmigkeit der Forschungsergebnisse und las die Zwischenergebnisse Korrektur.

Um es abschließend zusammenzufassen: Die zugrundeliegende Motivation meiner Arbeit liegt darin, Strategie mit all ihren Facetten lehrbar zu machen, für jeden, der sie in seiner täglichen sozialen Interaktion benötigt, sei es im Beruf oder im Alltag. Ich folge dabei der Grundauffassung, dass es keine Überlegenheit eines strategischen Konzeptes gibt, alle haben ihre Stärken und Schwächen und unterliegen auch der Veränderung. Was zählt, ist die Überlegenheit des Strategen als Person und Anwender. Und diese Überlegenheit wird maßgeblich beeinflusst durch seine Biografie und seinen Entwicklungsprozess und somit letztendlich durch den Prozess der Lehre. Aus diesem Grunde liegt der Fokus der Forschung speziell auf der Lehre von Strategie. Dieses Werk ist daher als Grundsteinlegung zu betrachten.

Gunter Maier, im Januar 2015

1. Einleitung

1.1 Die Perspektive der sozialen Interaktion

Obwohl die vorliegende Thematik sehr interdisziplinär ist, lässt sie sich im Kern dem Fach Strategische Studien zuordnen. Diese Wissenschaftsdisziplin beschäftigt sich vornehmlich mit Konflikt- und Kriegsforschung und arbeitet somit hauptsächlich den Politik- und Militärwissenschaften zu. Zudem hat sie aber auch schon immer Grundlagen gebildet, welche den Ökonomen in ihren Forschungen hilfreich waren. Allerdings erfolgte Mitte des letzten Jahrhunderts eine Art Abkopplungsprozess und die Ökonomie entwickelte ein eigenes Verständnis, d.h. eine eigene Strategielehre, welche sich insbesondere mit Konzepten der strategischen Unternehmensführung befasste1.

Die Perspektive des vorliegenden Werkes orientiert sich nicht an einer speziellen Ausrichtung strategischer Forschung, sie nimmt vielmehr eine übergeordnete Position ein und betrachtet Strategie ganz allgemein aus Sicht der sozialen Interaktion. Begründet wird dies durch den Ursprung des Begriffs Strategie, welcher sich von dem griechischen Wort strategós – „Feldherr“ ableitet, welches seinerseits aus den Elementen stratós – „Heer“ und agein – „führen, treiben“ zusammengesetzt ist2. Die Aufgabe des Feldherrn bestand sehr übergeordnet betrachtet darin, im Krieg durch geeignete Mittel und Wege die eigenen Interessen durchzusetzen und den Gegner dabei zu überwältigen. Krieg ohne Gegner ist nicht möglich. Daraus ergibt sich logischerweise, dass in diesem Handlungsfeld immer mindestens zwei Akteure vorhanden sind, welche in der Regel gegeneinander handeln bzw. deren Handeln sich auch gegenseitig beeinflusst. Um in der Terminologie konform mit der altgriechischen Betrachtung zu bleiben, werden im Verlaufe des Buches die Akteure jeweils als PROTAGONIST (der Haupt- oder Ersthandelnde) und als ANTAGONIST, (der Gegenspieler) bezeichnet. Als Ergänzung fungiert zusätzlich der SYNERGIST. Hierunter ist der Mitstreiter des Protagonisten zu verstehen, er unterstützt also im Handeln. Alle drei Begriffe stammen ursprünglich aus dem alt-griechischen Drama3. Folgt man der Logik der Interaktion, ist jegliches Handeln, welches keinen direkten Antagonisten einbezieht, kein echtes strategisches Handeln, sondern eher Planung bzw. Programmatik.

Beide Handlungsarten werden jedoch in den gängigen Sichtweisen der Strategie zugeordnet4, da sie strategischen Grundwissens bedürfen und gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt in soziale Interaktion münden. Um das Anliegen dieses Werkes zu erfassen, ist es allerdings notwendig sich ein klares Verständnis zu verschaffen, bei welchem Handeln tatsächlich Interaktion erfolgt bzw. nicht.

Der Fokus dieser Forschung liegt daher auf der eigentlichen sozialen Interaktion und folgt weiterhin dem Verständnis, dass Strategie kein linearer, sondern eher ein frei fließender Prozess ohne wirkliches Ende ist, der durch das wechselseitige Handeln der Akteure bestimmt ist. Der tatsächliche Handlungsverlauf ist aus diesem Grunde nur schwer vorhersehbar. Dies soll nicht bedeuten, dass Planungsaktivitäten keinen Stellenwert haben. Jeder gute Stratege plant sein Handeln und versucht dabei die Handlungsoptionen des Antagonisten mit einzubeziehen, aber in den seltensten Fällen wird der Verlauf der ursprünglichen Planung entsprechen und somit der Protagonist gezwungen sein, aufgrund sich ändernder Konstellationen sein Handeln anzupassen oder ggf. die ursprüngliche Planung komplett aufzugeben.

Das vorliegende Werk befasst sich ganz allgemein betrachtet mit der komplexen Fragestellung, wie der Stratege sein Handeln in der sozialen Interaktion optimieren kann. Es ist dabei unerheblich, ob diese Interaktion im militärischen, beruflichen, familiären oder alltäglichen Kontext erfolgt. Um schon eine Erkenntnis der Forschung vorwegzunehmen, die zugrundeliegenden Mechanismen menschlichen Handelns sind immer dieselben. Somit erhebt das HANDBUCH DER STRATEGISCHEN PRINZIPIEN den Anspruch einer universellen Grundlage für alle Disziplinen, die sich mit menschlichem Handeln befassen.

1.2 Vorgehensweise

Es ist die Absicht, sowohl den wissenschaftlich Interessierten als auch den pragmatischen Strategieanwender mit diesem Werk anzusprechen. Aus diesem Grunde sei im Folgenden der zugrundeliegende Forschungsprozess inklusive seiner Systematik auf einfache und nachvollziehbare, aber auch wissenschaftlich fundierte Weise dargestellt. Es wird mit einer übergreifenden Analyse aktueller Problemstellungen aus den Bereichen Ökonomie und Militär begonnen, um die gemeinsamen Problemfelder und Handlungsbedarfe herauszuarbeiten. Im weiteren Verlauf wird als Lösungsansatz der Versuch einer schrittweisen Annäherung an den Begriff der Strategischen Prinzipien unternommen. Dies erfolgt durch die vergleichende Betrachtung prinzipienorientierter Lehren weltweit bekannter, aber auch einiger fast vergessener Klassiker der Strategie, als Ursprung strategischen Handelns. Um ein besseres Verständnis für die Lehre und Anwendung Strategischer Prinzipien auf einen konkreten Zweck hin zu bekommen, werden zwei japanische Samurai-Schulen betrachtet, welche nach wie vor ihre jahrhundertealten Curricula und die verbundenen Lehrmethoden anwenden, um ihre Schüler prinzipienorientiert auszubilden.

Der eigentliche Forschungsprozess zur Erstellung eines holistischen Systems aus Strategischen Prinzipien erfolgt mittels der Grounded Theory, einer sehr pragmatischen Forschungsmethodik aus den Qualitativen Sozialwissenschaften. Dabei werden ausgewählte Klassiker aus 2500 Jahren Zeitgeschichte und vier Kulturkreisen analysiert. Im Ergebnis entsteht die empirisch gewonnene Grundlage für neue Lehrkonzepte der Strategie.

Um die Ergebnisse in den Kontext existierender Lehren einzubetten, werden im weiteren Verlauf notwendige Grundlagen und Definitionen strategischer Konzepte erläutert, wie z.B. die zeitlichen und menschlichen Ebenen strategischen Handelns. Dies stellt zum einen den Versuch dar, Ordnung in unterschiedliche Betrachtungsweisen zu bringen, zum anderen soll dem Anwender Strategischer Prinzipien dazu verholfen werden eine klare Vorstellung über sein Handeln zu erlangen. Die Ausführungen über Ethik und Moral sind unerlässlich im Kontext der Strategie, da Strategie grundsätzlich wertefrei ist. Ethik und Moral sind die Elemente, welche den Anwender in seinem Handeln begrenzen, denn ein umfangreiches zur Verfügung stehendes Handlungsrepertoire verleitet geradezu, es zu seinen Vorteilen anzuwenden und die Grenzen normativer Grundlagen zu überschreiten.

Das übergeordnete Ziel dieser Publikation liegt in der Kompetenzerweiterung strategischer Player, ungeachtet ob es sich dabei um Führungskräfte, Sicherheitskräfte, Politiker oder andere Personengruppen handelt. Maßgeblich ist, dass deren Alltag durch ein hohes Maß an sozialer Interaktion bestimmt ist. Der letzte Baustein befasst sich deshalb mit dem Entwicklungsprozess des interessierten Lesers und den Fallstricken, die dabei zu beachten sind. Die Kompetenz, welche der Anwender nach und nach entwickelt, wird als SOZIALSTRATEGISCHE KOMPETENZ bezeichnet und ist als Metakompetenz zu verstehen.

1.3 Ziele des Werkes

Mit der Publikation dieses Buches wird eine Reihe von Zielen verfolgt. So soll eine disziplinübergreifende Basis für die Strategische Lehre geschaffen werden, welche bis dato nicht existiert. Es soll das verfügbare Wissen zu Strategischen Prinzipien zusammengetragen, in einem System vereint und der Forschung und natürlich auch der Diskussion zur Verfügung gestellt werden. Diese Basis ist in vielerlei Hinsicht notwendig. Sie soll beispielsweise dazu anregen unser westliches Strategieverständnis zu überdenken und sinnvoll zu erweitern, um den Herausforderungen der globalisierten und schnelllebigen Welt des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden, sei es im Bereich der Ökonomie, der Konfliktforschung oder in anderen Bereichen, die tangiert sind. Es handelt sich auch um eine Basis, die befähigt sich von eingefahrenen Denkweisen abzuwenden, um sich neue Handlungsspielräume erschließen zu können. Strategische Prinzipien können beispielsweise sehr erfolgreich zur Konfliktlösung eingesetzt werden, ja sie können sogar Konflikte vermeiden, bevor sie entstehen.

Auf der anderen Seite können Protagonisten, die sich durch die unmoralische Anwendung von Strategischen Prinzipien (im Sinne von Hinterlist) Erfolg verschaffen möchten, durch die geschaffene Transparenz entlarvt werden. Das Werk legt alle bekannten Handlungsmuster offen und liefert auch Möglichkeiten zu Gegenmaßnahmen, um unethischem Verhalten entgegenzutreten. Somit dient dieses Werk auch den Moralisten, welche gesellschaftsschädliches Handeln identifizieren müssen, denn eines muss man sich immer wieder vergegenwärtigen: Die Strategie an sich kennt keine Moral.

Ein weiteres Ziel besteht darin, ein Bewusstsein zu schaffen für altes, aber wertvolles Wissen, welches über Jahrhunderte gereift ist. In unserer heutigen Gesellschaft zählt nur noch der permanente Fortschritt und die Halbwertszeiten von Wissen werden immer kürzer. Ist dieser Trend gesund? Man muss an dieser Stelle unterscheiden zwischen theoretischem Wissen und Praxiswissen. Letzteres unterliegt sicherlich nicht dem Verfall und sollte daher einen höheren Stellenwert genießen, als es momentan der Fall ist. Praxiswissen muss daher gepflegt und in nächste Generationen überführt werden. Denn eines lehrt die Geschichte: In schwierigen Zeiten sichert das Praxiswissen das Überleben, nicht die Theorie. Nach nunmehr 70 Jahren permanenten Fortschritts und wachsenden Wohlstands in der westlichen Welt ist es schwer vorstellbar, dass nochmals existenzbedrohende Zeiten eintreten, doch auch hier lehrt die Geschichte, dass dies nicht so bleiben muss. Ein Blick in andere Teile dieser Welt führt zu ähnlichen Ergebnissen: Man denke nur an den Zerfall der Sowjetunion und die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen für die Bevölkerungen der betroffenen Länder.

Zuletzt soll dieses Buch dem autodidaktischen Leser individuelle Potentiale aufzeigen und nutzbar machen. Die Welt ist komplexer geworden und die Individuen sind mehr denn je damit beschäftigt den Überblick zu behalten, die notwendigen Kapazitäten dafür werden immer aufwendiger. Das Wissen um Strategische Prinzipien befähigt den interessierten Leser sein Mindset zu verändern, d.h. es wesentlich effektiver zu machen. Er erlernt nach und nach IN MUSTERN ZU DENKEN. Natürlich erlernt man dies nicht durch die Lektüre eines Buches, aber die vorliegende Arbeit ist dazu gedacht, zumindest einen Stein ins Rollen zu bringen.


1 Vgl. Mintzberg / Ahlstrand / Lampel (1), S. 19

2 Vgl. Spengler, S. 34f

3 Vgl. duden, Protagonist / Antagonist / Synergist

4 Vgl. Paparone S.309ff, Anm: Paparone erfasst vier unterschiedliche Bereiche strategischer Logik – einen programmatischen, einen planerischen, einen partizipativen und einen reflexiven Bereich. Die beiden letztgenannten Bereiche sind maßgeblich dominiert durch soziale Interaktion.

2. Das Westliche Strategieverständnis und die Potentiale

2.1 Einführung

Wie bereits andiskutiert wurde gibt es zwei Disziplinen, die sich gezielt und sehr umfangreich mit Strategie auseinandersetzen. Das sind zum einen die Militärwissenschaften und damit verbunden die Konfliktforschung, zum anderen die Ökonomie. Das Verständnis der erstgenannten ist dabei maßgeblich dominiert von den Gedanken des deutschen Militärtheoretikers Carl von Clausewitz (1780-1831) und denen des chinesischen Generals Sun Tsu (ca. 500 v.Chr.) über den Krieg und die Bedeutung von Strategie in diesem Zusammenhang5.

Die Wurzeln des ökonomischen Strategieverständnisses liegen letztendlich in den Ausführungen der Militärwissenschaften. Nach dem zweiten Weltkrieg spalteten sich die Ökonomen allerdings ab und begannen einen eigenen Theorieansatz zu verfolgen, wobei sie den Grundgedanken des „Kampfes“ zunächst einmal beibehielten und „Märkte attackierten“ bzw. „Rivalen besiegten“ 6 . In den folgenden Jahrzehnten entwickelten sich eigene Strategieschulen 7 und Strategiekonzepte, wie z.B. die Competitive Strategy von Micheal Porter, welcher sich mit der intelligenten Positionierung des Unternehmens im Markt befasste und dazu zahlreiche Methoden zur Erfolgsverwirklichung entwickelte8. Im Kern legen die Ökonomen heute den Fokus ihrer strategischen Betrachtungen auf die Analyse der wettbewerblichen Rahmenbedingungen, auf die Potentiale des Unternehmens sowie auf die Entwicklung von geeigneten Positionierungskonzepten. Die gesetzten Schwerpunkte lassen sich überwiegend der strategischen Planung zuordnen, welche die Belange der Unternehmensleitungen adressieren. Eine Anwendung des Strategie-Begriffs auf die Bedürfnisse darunter liegender Hierarchieebenen wird vernachlässigt. Das Strategieverständnis der Ökonomen entwickelte sich dadurch zu einem sehr elitären. Vor dem Hintergrund dieser kurzen historischen Betrachtungen begannen, hauptsächlich im letzten Jahrzehnt, einige wenige Wissenschaftler in der westlichen Welt die Entwicklung des strategischen Verständnisses und der strategischen Lehre zu hinterfragen, da es viele Anhaltspunkte gibt, dass solche Konzepte nicht mehr zeitgemäß sind. Ökonomen, Militärs und Konfliktforscher benennen die Schwachstellen und auch Fehlentwicklungen, die angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zum Tragen kommen. Im Folgenden werden die Forschungsschwerpunkte und Erkenntnisse dieser Personen näher betrachtet und in einen Kontext gestellt.

2.1 Teaching Strategy in den USA

In den USA, in erster Linie in der Öffentlichkeit, aber auch an den War Colleges und den zivilen Bildungseinrichtungen, die Strategie lehren, entstand im Jahre 2009 eine breite Diskussion über die Qualität der strategischen Ausbildung militärischer Führungskräfte (PME - Professional Military Education) und damit über die generelle Interpretation des Strategiebegriffes9. Die Ursachen dieser Diskussion lassen sich hauptsächlich auf die unglücklichen Verläufe der militärischen Interventionen im Irak und Afghanistan zurückführen. Verschiedene Wissenschaftler der genannten Einrichtungen setzten sich daraufhin in Aufsätzen kritisch mit der eigenen Entwicklung auseinander und liefern zugleich Lösungsansätze. Im Speziellen referieren sie über das der Ausbildung zugrundeliegende Strategieverständnis und versuchen diese Sichtweise zu erweitern. Sie untersuchen dabei die vorherrschende Weber‘sche Zweckrationalität10, welche sich vereinfacht mit der Wahl der Mittel entsprechend einem gesetzten Ziels befasst und stellen fest, dass das strategische Feld wesentlich komplexer ist und eine Perspektivenerweiterung vonnöten wäre. Die Summe dieser Gedanken ergibt eine brauchbare Übersicht und liefert zugleich Vorschläge für eine Neudefinition des strategischen Verständnisses.

G. Marcella und S. Fought stellen fest, dass im Zuge der akademischen Ausbildung an den War Colleges die angehenden Strategen aktuell mehr über Strategie an sich als über die Synthese und Anwendung derselben unterrichtet werden. Dies lässt sich interpretieren als Überbetonung der Theorie und Vernachlässigung der Praxis. Die Synthese von Strategie fällt der Meinung nach in den Bereich der strategischen Kunst (in Abgrenzung zur strategischen Wissenschaft) und fordert daher ein Umdenken in der strategischen Lehre. Strategische Praxis wird heutzutage dominiert durch eine Unmenge von Variablen, welche der Stratege zu beachten hat, so dass es letztendlich eine Kunst ist, die Theorien in adäquate Strategien umzusetzen und diese auch erfolgreich zu implementieren. Eine Beispiel für solche Variablen sind kulturspezifische Aspekte im internationalen Umfeld der Konflikte, die unbeachtet ein Scheitern der gesamten Strategie zur Folge haben können. Es müssen daher die Perspektiven erweitert sowie die Kreativität und Flexibilität der Studenten gefördert werden11.

Robert C. Grey, betont ebenfalls die Kunst in der Strategie und dass diese nicht durch formale Lehrprozesse vermittelt werden kann. Angehende Strategen müssten Freiräume bekommen, in denen Sie sich entwickeln können. Auch die Messung des strategischen Erfolges bedürfe differenzierter Betrachtung und dürfe sich nicht an reinen Kennzahlen orientieren, wie dies beispielsweise im Vietnam-Krieg der Fall war, als man erbeutete Waffen oder getötete Feinde zählte, um Erfolgsindikatoren zu erhalten. Vielmehr müssten funktionierende Feedback-Schleifen im strategischen Plan vorgesehen sein, welche die Führung mit tatsächlich relevanten Informationen versorgen. In der Essenz bringt Grey zum Ausdruck, dass aufgrund der Multidisziplinarität und Multidimensionalität von Strategie eine Standardisierung und Reduzierung auf einfache Nenner zu vermeiden ist. Ein elementarer Faktor ist nach wie vor der Mensch, dessen Interaktion und Psychologie sich sehr komplex gestalten können. Dies gilt es zu beachten bei der Gestaltung zukünftiger Curricula12.

Ein Szenario auf operationaler Ebene betrachtet T. Guedes da Costa. Der Kommandant einer Einheit, welcher beispielsweise ein Fahrzeug an einem Checkpoint stoppt oder in ein Dorf in Kolumbien, Haiti oder im Irak eintritt, sieht sich den besonderen Anforderungen strategischen Handelns ausgesetzt. Er muss intuitiv die Situation erfassen, um auf geeignete Art und Weise reagieren zu können. Sei es durch Verhandeln oder durch Gewalt, zwei Handlungsalternativen, welche grundsätzlich zur Auswahl stehen. Auf jeden Fall wird eine Fehlentscheidung gravierende Folgen nach sich ziehen. Sein Handeln kann letztendlich genau so folgenreich wie das eines Generals sein. Dies bedeutet, dass auch untergeordnete Ränge ausreichend strategisch gebildet sein müssen. Und zu dieser Bildung zählt Da Costa auch sozialwissenschaftliche Inhalte. Er beschreibt weiterhin den Spezialisierungsprozess, der seit dem zweiten Weltkrieg stattgefunden hat, bei dem sich die Strategischen Denker, Planer und Entscheider auseinanderdividiert haben. Die Kompetenzen der Genannten entwickelten sich entsprechend den jeweiligen speziellen Anforderungen. Daraus lässt sich folgern, dass im Zuge dieses Prozesses strategische Generalisten rar wurden und Schnittstellenprobleme zwischen den Gruppen aufkamen. Aufgrund der Bedeutung des Interaktionsaspektes zwischen den Akteuren, wobei sich Entscheidungen gegenseitig beeinflussen bzw. in Abhängigkeit stehen, fordert Da Costa die Erweiterung der Kompetenzen eines Strategen. Insbesondere Kognitive Psychologie, Verhaltensökonomie, Logik, Konfliktmanagement, Spieltheorie sowie Kultur- und Organisationslehre sollten die klassischen Inhalte ergänzen13.

Model of a Quad-Conceptual View of Strategic Reasoning