Ludwig Nohl

Haydn

Eine Musikerbiografie

Ludwig Nohl

Haydn

Eine Musikerbiografie

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2020
1. Auflage, ISBN 978-3-962817-27-5

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Inhaltsverzeichnis

1. Die Ju­gend und ers­te Bil­dung.

2. Beim Fürs­ten Es­ter­ha­zy.

3. Die ers­te Lon­do­ner Rei­se.

4. Kai­ser­lied, Schöp­fung und Jah­res­zei­ten.

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»Frei muss das Ge­müt und die See­le sein!«

1. Die Jugend und erste Bildung.

(1732–53)

»Sieh, mein lie­ber Hum­mel, das Haus, wo der Haydn ge­bo­ren wur­de, eine schlech­te Bau­ern­hüt­te, wo ein so großer Mann ge­bo­ren wur­de!« die­ses Wort sprach 1827 auf sei­nem To­des­bet­te über den Schöp­fer der Sym­pho­nie und des Quar­tetts der­je­ni­ge, der bei­den die schöns­te Kro­ne auf­set­zen soll­te, Beetho­ven.

Es war in dem Markt­fle­cken Rohrau bei Bruck an der Lei­t­ha in Nie­der­ös­ter­reich, also hart an der un­ga­ri­schen Gren­ze, wo am 31. März 1732 Jo­seph Haydn das Licht der Welt er­blick­te. Der klei­ne Ort ge­hör­te den Gra­fen Har­rach, die denn auch in den 1790er Jah­ren dem von sei­nen Lon­do­ner Tri­um­phen heim­keh­ren­den Meis­ter in ih­rem Park ein Denk­mal er­rich­tet ha­ben.

Haydns Va­ter war Wa­gner. Das Ge­schäft be­stand seit lan­gem in der Fa­mi­lie. Er selbst war nach Hand­werks­brauch ge­wan­dert und soll da­bei bis Frank­furt am Main ge­kom­men sein. Sei­ne Ehe war mit zwölf Kin­dern ge­seg­net, von de­nen je­doch nur die Hälf­te am Le­ben blieb. Die­se wur­den in ih­rer ka­tho­li­schen Con­fes­si­on zur Got­tes­furcht er­zo­gen und weil sie arm wa­ren, auch zu Spa­ren und Fleiß an­ge­hal­ten. »Mei­ne El­tern ha­ben mich schon in der zar­tes­ten Ju­gend mit Stren­ge an Rein­lich­keit und Ord­nung ge­wöhnt, die­se bei­den Din­ge sind mir zur zwei­ten Na­tur ge­wor­den«, sag­te Haydn im Al­ter selbst. Die Mut­ter war aufs zärt­lichs­te für sein Wohl be­sorgt, und we­nigs­tens der Va­ter er­leb­te auch noch den Lohn sol­cher bra­ven Er­zie­hung, Haydns An­stel­lung als Ka­pell­meis­ter. Die Art, wie die­ser vie­le Jah­re spä­ter in sei­nem Te­sta­men­te auch des Gra­bes der Mut­ter ge­denkt, be­zeugt, dass sie ihm der­einst viel ge­we­sen war.

Der Va­ter war ein »von Na­tur aus großer Lieb­ha­ber der Mu­sik« mit ei­nem leid­li­chen Te­nor und hat­te »ohne eine Note zu ken­nen« auf der Wan­der­schaft die Har­fe klim­pern ge­lernt. Abends nach der Ar­beit san­gen sie mit­ein­an­der, und voll Rüh­rung ge­dach­te noch der Greis die­ser mu­si­ka­li­schen Ju­gen­d­er­göt­zung. Er selbst, der klei­ne »Sep­perl«, hat­te da­bei durch fei­nes Ge­hör und eine gute Stim­me über­rascht, ja er sang dem Va­ter schon bald »alle sei­ne sim­peln kur­z­en Stücke or­dent­lich nach.« Eben­so ahm­te er mit ei­nem klei­nen Ste­cken das Gei­gen­spiel nach, und ein Ver­wand­ter aus der Nähe be­ob­ach­te­te bei sol­cher Ge­le­gen­heit das si­che­re Ton- und Takt­ge­fühl des fünf­jäh­ri­gen Kna­ben. Die­ser Ver­wand­te, wel­cher Schul­meis­ter und Chor­re­gent in dem na­hen Städt­chen Hain­burg war, nahm ihn, der ei­gent­lich dem geist­li­chen Stan­de be­stimmt war, dann auch ei­nes Ta­ges mit sich dort­hin, um ihn eine Kunst er­ler­nen zu las­sen, die ihm die Er­rei­chung je­nes Zie­les un­fehl­bar er­öff­nen wer­de. Haydn kam seit­dem nicht an­ders als zum Be­su­che in die Hei­mat zu­rück. Aber dass er ih­rer und sei­ner meist un­be­mit­tel­ten Ver­wand­ten zeit­le­bens in Lie­be und Ach­tung ge­dach­te, sagt sein Wort aus al­ten Ta­gen: »Ich lebe we­ni­ger für mich, als für mei­ne ar­men Ver­wand­ten, de­nen ich nach mei­nem Tode et­was zu hin­ter­las­sen wün­sche.« Er schäm­te sich sei­ner nied­ri­gen Her­kunft so we­nig, dass er viel­mehr selbst oft da­von sprach, sa­gen die Bio­gra­fi­schen No­ti­zen über ihn. Eben­so ge­dach­te er aber im Te­sta­men­te des Pfar­rers und Schul­leh­rers wie der ar­men Kin­der sei­nes be­schei­de­nen Ge­burts­or­tes. Und 1795, als er selbst bei der Ein­wei­hung je­nes Har­rach­schen Denk­mals dort wie­der an­we­send war, war er in der vä­ter­li­chen Wohn­stu­be nie­der­ge­kniet, hat­te die Schwel­le ge­küsst und zu­gleich selbst auf die Ofen­bank hin­ge­wie­sen, wo er einst die klei­nen Spiel­küns­te ge­übt hat­te, die der An­lass sei­ner großen Künst­ler­lauf­bahn wur­den. »Jun­ge Leu­te wer­den an mei­nem Bei­spie­le se­hen kön­nen, dass aus dem Nichts doch Et­was wer­den kann: was ich bin, ist al­les ein Werk der drin­gends­ten Not«, sag­te er bei Erin­ne­rung die­ser al­ler­dings sehr ge­rin­gen An­fän­ge.

Die »mu­si­ka­li­schen An­fangs­grün­de samt an­de­ren ju­gend­li­chen Not­wen­dig­kei­ten« er­lern­te nun in der al­ten Heu­nen­burg Haydn bei je­nem »Herrn Vet­ter« Matt­hi­as Frankh. »Gott der All­mäch­ti­ge, wel­chem ich al­lein so un­er­mes­se­ne Gna­de zu dan­ken habe, gab mir be­son­ders in der Mu­sik so viel Leich­tig­keit, in­dem ich schon in mei­nem 6. Jah­re ganz dreist ei­ni­ge Mes­sen auf dem Chor her­absang und auch et­was auf dem Kla­vier und Vio­lin spiel­te«, sagt er selbst um 1776 in ei­ner au­to­bio­gra­fi­schen Skiz­ze, die sich in den »Mu­si­ker­brie­fen« (2. Aufl. Leip­zig 1873) be­fin­det. Aber er lern­te zu­gleich dort sämt­li­che üb­li­chen In­stru­men­te ken­nen und die meis­ten selbst spie­len. »Ich dan­ke es die­sem Man­ne noch im Gra­be, dass er mich zu so vie­ler­lei an­ge­hal­ten hat, wenn ich gleich da­bei mehr Prü­gel als zu es­sen be­kam«, lau­tet hier­über sein spä­te­res hu­mo­ris­ti­sches Be­kennt­nis. Lei­der ent­sprach die­ser letz­te­ren An­kla­ge auch die üb­ri­ge Be­hand­lung im Hau­se sei­nes Herrn Vet­ters. »Ich muss­te mit Schmer­zen wahr­neh­men, dass die Un­rein­lich­keit den Meis­ter spiel­te, und ob ich mir gleich auf mei­ne klei­ne Per­son viel ein­bil­de­te, so konn­te ich doch nicht ver­hin­dern, dass nicht dann und wann die Spu­ren der Unsau­ber­keit sicht­bar wur­den, die mich auf das emp­find­lichs­te be­schäm­ten, ich war ein klei­ner Igel«, sagt er wie­der selbst. Er trug schon da­mals »der Rein­lich­keit we­gen« eine Per­rücke, ohne wel­che man al­ler­dings den »Papa Haydn« sich nicht wohl zu den­ken ver­mag.

Von der Art der mu­si­ka­li­schen Un­ter­rich­tung in Hain­burg hö­ren wir auch we­nigs­tens einen Zug. Es war eben in der Char­wo­che, in wel­cher vie­le Pro­ces­sio­nen ab­ge­hal­ten wer­den. Frankh war durch den Tod sei­nes Pau­ken­schlä­gers in große Ver­le­gen­heit ge­setzt. Er warf also sein Auge auf den klei­nen Sep­perl, die­ser soll­te in der Eile Pau­ken schla­gen ler­nen. Er zeig­te ihm die Hand­grif­fe und ließ ihn dann al­lein. Der Kna­be nahm einen Korb, wie ihn die Bau­ern zum Mehl beim Brod­ba­cken ge­brau­chen, über­spann­te den­sel­ben mit ei­nem Tu­che, stell­te ihn auf einen mit Zeug über­zo­ge­nen Stuhl und pauk­te nun mit so viel Be­geis­te­rung dar­auf los, dass er gar nicht merk­te, wie das Mehl aus dem Körb­chen staub­te und den Stuhl verd­arb. Er be­kam wol einen Ver­weis, al­lein sein Leh­rer war rasch be­sänf­tigt, als er mit Stau­nen be­merk­te, dass Jo­seph so ge­schwind ein fer­ti­ger Pau­ken­schlä­ger ge­wor­den war. Da nun aber Sep­perl noch sehr klein von Ge­stalt war, konn­te er den bis­he­ri­gen Pau­ken­trä­ger nicht er­rei­chen und man muss­te ihm einen klei­ne­ren Men­schen ge­ben, der je­doch zum Un­glück buck­lig war, wo­durch selbst in der Pro­ces­si­on La­chen er­regt ward. Al­lein Haydn ge­wann so auch von die­sem In­stru­men­te ge­naue prak­ti­sche Kennt­nis, und be­kannt­lich spielt der Pau­ken­schlag in sei­nen Sym­pho­ni­en sei­ne be­son­de­re Rol­le: Haydn ist der ers­te, der das In­stru­ment nach sei­ner vol­len In­di­vi­dua­li­tät und zu frei­en künst­le­ri­schen Zwe­cken in der In­stru­men­tal­mu­sik ver­wen­det. Er ließ sich denn auch gern in die­ser Kunst lo­ben und gab, wie wir se­hen wer­den, spä­ter noch in Lon­don dem Pau­ken­schlä­ger Nach­hil­fe in ih­rer Ver­wen­dung.

Die­ser ers­te prak­ti­sche Er­folg aber be­stärk­te den Schul­meis­ter selbst dar­in, dass im Grun­de Mu­sik Haydns zu­künf­ti­ge Be­rufs­be­schäf­ti­gung sei. Sein »ge­leh­ri­ger Fleiß« wur­de denn auch bald all­ge­mein be­lobt und sei­ne an­ge­neh­me Stim­me blieb zu­dem die bes­te per­sön­li­che Emp­feh­lung. So kam es, dass er be­reits nach zwei Jah­ren in große und man darf sa­gen, größ­te mu­si­ka­li­sche Ver­hält­nis­se kam, nach Wien.

Der Stadt­pfar­rer stand mit dem k. k. Hof­ka­pell­meis­ter Reut­ter in en­ger Freund­schaft, sie wa­ren Ge­vat­tern. Es muss­te sich fü­gen, dass Reut­ter in Ge­schäf­ten von Wien durch Hain­burg reis­te und bei dem Stadt­pfar­rer auf kur­ze Zeit ab­ge­stie­gen war, bei wel­cher Ge­le­gen­heit er auch von dem Zweck sei­ner Rei­se sprach, dass er näm­lich Kna­ben su­che, wel­che schö­ne Stim­me und Fä­hig­keit ge­nug be­sä­ßen, um Chor­diens­te tun zu kön­nen. Der Pfar­rer er­in­ner­te sich so­gleich un­se­res Jo­se­phs. Reut­ter woll­te den ge­schick­ten Kna­ben se­hen. Er er­schi­en. Reut­ter frag­te ihn: ›B­überl, kannst du einen Tril­ler schla­gen?‹ Jo­seph moch­te der Mei­nung sein, es sei nicht er­laubt mehr zu kön­nen als an­de­re ehr­li­che Leu­te, und be­ant­wor­te­te da­her die Fra­ge mit den Wor­ten: ›Das kann ja der Schul­meis­ter auch nicht.‹ ›Schau‹, er­wi­der­te Reut­ter, ›ich will dir einen Tril­ler vor­ma­chen, gib recht acht, wie ich ihn ma­che.‹ Kaum hat­te er den­sel­ben ge­en­digt, so stell­te sich Jo­seph mit der größ­ten Frei­mü­tig­keit vor ihn hin und schlug nach höchs­tens zwei Ver­su­chen einen so voll­kom­me­nen Tril­ler, dass Reut­ter vor Ver­wun­de­rung bra­vo rief, in die Ta­sche griff und dem klei­nen Vir­tuo­sen einen Sieb­zeh­ner (50 Pf.) schenk­te. So er­zählt der Ma­ler Dies, der Haydns Um­gang von 1805 bis zu des­sen Tode ge­noss und da­nach 1810 die so wert­vol­len »Bio­gra­fi­schen Nach­rich­ten« über ihn her­aus­gab.

Der Klei­ne be­nutz­te nun die Zwi­schen­zeit bis zum 8. Le­bens­jah­re, wo er erst ins Ka­pell­haus ein­tre­ten konn­te, zu Ge­sang­übun­gen, – denn dies hat­te der Herr Hof­ka­pell­meis­ter, als er dem Va­ter die Zu­sa­ge ge­ge­ben hat­te, für des Kna­ben Fort­kom­men zu sor­gen, zur Be­din­gung ge­macht, – er be­dien­te sich dazu, da er kei­nen re­gel­rech­ten Leh­rer fand, aus ei­ge­ner Er­fin­dung der na­tür­lichs­ten Metho­de, schlecht­weg die Töne der Ton­lei­ter zu sin­gen, und mach­te da­durch so ra­sche Fort­schrit­te, dass Reut­ter, als der Kna­be in Wien an­kam, über sei­ne Fer­tig­keit in Stau­nen ge­riet.

Das Ka­pell­haus war das der Ste­phans­kir­che. Al­lein die Ka­pell­kna­ben hat­ten auch au­ßer bei den oh­ne­hin sehr häu­fi­gen Got­tes­diens­ten noch in aus­wär­ti­gen Auf­füh­run­gen man­nich­fa­cher Art mit­zu­wir­ken und wa­ren da­durch in ih­rer ei­ge­nen Aus­bil­dung be­deu­tend ge­hemmt. Haydn sagt zwar selbst, dass er hier »nebst dem Stu­die­ren die Sing­kunst, das Kla­vier und die Vio­li­ne von sehr gu­ten Meis­tern er­lernt« und so­wol in der Kir­che wie bei Hofe mit großem Bei­fall ge­sun­gen habe. Al­lein wenn schon das »Stu­die­ren« nur der not­dürf­ti­ge Un­ter­richt in Re­li­gi­on, Schrei­ben, Rech­nen und La­tein war und dar­in zu­letzt doch wie­der er selbst sein ei­gent­li­cher Leh­rer zu sein hat­te, so stand es mit der Kunst in der Haupt­sa­che noch schlech­ter. Denn der Herr Hof­ka­pell­meis­ter be­küm­mer­te sich nicht viel um sei­ne Ka­pell­schü­ler und er­scheint oben­drein als ein et­was hoch­fah­ren­der Herr. »Ich war auf kei­nem In­stru­men­te ein He­xen­meis­ter, aber ich kann­te die Kraft und Wir­kung al­ler, ich war kein schlech­ter Kla­vier­spie­ler und Sän­ger und konn­te auch ein Kon­zert auf der Vio­li­ne vor­tra­gen«, durf­te trotz­dem Haydn spä­ter sa­gen. Das Sin­gen aber war schon rein prak­tisch ge­nom­men sei­ne Haupt­übung und dem­ge­mäß auch sei­ne Stär­ke, wes­halb er denn auch als deut­scher In­stru­men­tal­kom­po­nist zu­erst ge­sang­mä­ßig, das heißt me­lo­di­ös schrieb. Da­rum leg­te er aber auch dar­auf zeit­le­bens großen Wert und ta­del­te es oft, dass so vie­le Kom­po­nis­ten nichts da­von ver­stän­den. In die­sen bei­den Din­gen be­stand also, ab­ge­se­hen von dem prak­ti­schen Mu­sik­un­ter­richt, der Haupt­sa­che nach das­je­ni­ge, was er in die­ser sei­ner zehn­jäh­ri­gen Ka­pell­h­aus­zeit in Wien als künst­le­ri­sche Ju­gend­schu­lung ge­noss: er hör­te stets viel a ka­pel­la, d. h. rei­ne Chor-Mu­sik mit ih­rem kon­tra­punk­ti­schen Ge­we­be und lern­te eben­so jede Art von So­lo­ge­sang und In­stru­men­tal­mu­sik ken­nen, und bei­des umso ein­dring­li­cher, als er selbst bei al­lem mit­wirk­te. Doch sind ihm auch gan­ze zwei Stun­den in der mu­si­ka­li­schen Theo­rie von dem »bra­ven Reut­ter« ge­ge­ben wor­den.

Ein­zeln­hei­ten über die­se Ju­gend­zeit er­zählt noch Dies. Jo­seph sei trotz al­ler Ver­nach­läs­si­gung sei­ner Aus­bil­dung mit sei­nem da­ma­li­gen Stan­de zu­frie­den ge­we­sen, und zwar, weil Reut­ter von sei­nem Ta­len­te so ein­ge­nom­men war, dass er dem Va­ter er­klär­te, »und wenn er zwölf Söh­ne hät­te, so wür­de er für alle sor­gen.« So ka­men noch zwei Brü­der, dar­un­ter der spä­te­re Salz­bur­ger Ka­pell­meis­ter Mi­cha­el Hayd­n, der aus der Bio­gra­fie Mo­zarts be­kannt ist, ins Ka­pell­haus nach Wien, und Jo­seph hat­te die »un­end­li­che Freu­de« sie un­ter­rich­ten zu müs­sen. Schon da­mals be­schäf­tig­te er sich üb­ri­gens eif­rig mit Kom­po­nie­ren. Auf je­des Blätt­chen Pa­pier, das er fand, zog er mü­he­voll Li­ni­en und steck­te sie voll No­ten­köp­fe, denn er mein­te, es sei schon recht, wenn nur das Pa­pier recht voll sei. Reut­ter über­rasch­te ihn ein­mal in ei­nem Au­gen­blick, wo er ein sol­ches zwölf­stim­mi­ges Sal­ve re­gi­na d. i. der eng­li­sche Gruß auf ei­nem mehr als el­len­lan­gen Pa­pie­re vor sich aus­ge­brei­tet lie­gen hat­te. »He, was machst du da, Büberl?« sag­te er, sah aber dann das lan­ge Blatt doch durch, lach­te herz­lich über die rei­che Aus­saat des Wor­tes sal­ve (Ge­grü­ßet seist du), noch mehr über den rie­sen­mä­ßi­gen Ein­fall, als Kna­be sich an zwölf Stim­men zu wa­gen und füg­te hin­zu: »O du dum­mes Büberl, sind dir denn zwei Stim­men nicht ge­nug?« »Aus sol­chen hin­ge­wor­fe­nen kur­z­en An­mer­kun­gen wuss­te Jo­seph Nut­zen zu zie­hen«, heißt es da­bei. Wei­ter riet ihm aber Reut­ter, die in der Kir­che auf­ge­führ­ten Stücke auf be­lie­bi­ge Art zu va­ri­ie­ren, und die­se Übung brach­te ihn früh auf ei­ge­ne Ide­en, wel­che dann Reut­ter cor­ri­gier­te. »Das Ta­lent lag frei­lich in mir, da­durch und durch vie­len Fleiß schritt ich vor­wärts. Wenn mei­ne Ka­me­ra­den spiel­ten, nahm ich mein Kla­vierl un­tern Arm und ging da­mit auf den Bo­den, um un­ge­stör­ter mich auf sel­bem üben zu kön­nen«, sagt Haydn selbst.

Wenn also Dies wei­ter von die­ser Ju­gend­zeit be­rich­tet: »Ich muss­te je­doch die Um­stän­de er­ra­ten, denn Haydn er­zähl­te mit ei­ner Be­hut­sam­keit und Ach­tung ge­gen sei­nen Leh­rer, die sei­nem Her­zen zur Ehre ge­reicht«, so ha­ben wir dies umso hö­her zu stel­len, als wir da­bei das Fol­gen­de hö­ren. »Was aber für ihn sehr emp­find­lich war und in sei­nem Al­ter schmerz­haft sein muss­te, war der Um­stand, dass es schi­en, als lie­ße man ab­sicht­lich mit dem Geis­te zu­gleich den Kör­per ver­hun­gern. Jo­se­phs Ma­gen muss­te sich an im­mer­wäh­ren­des Fas­ten ge­wöh­nen. Doch such­te er sich bei vor­fal­len­den mu­si­ka­li­schen Aka­de­mi­en, wo den Chor­kna­ben et­was zur Stär­kung ge­reicht wur­de, für eine Wei­le zu ent­schä­di­gen. So­bald Jo­seph die­se für sei­nen Ma­gen wich­ti­ge Ent­de­ckung ge­macht hat­te, be­kam er eine un­glaub­li­che Zu­nei­gung zu den mu­si­ka­li­schen Aka­de­mi­en. Er be­fliß sich so schön wie mög­lich zu sin­gen, um als ein ge­schick­ter Sän­ger be­kannt und über­all hin­ge­ru­fen zu wer­den, da­mit er Ge­le­gen­heit fin­de, sei­nen na­gen­den Hun­ger zu stil­len.« Da­bei steck­te er sich denn auch ge­le­gent­lich die Ta­schen voll Nu­deln oder sonst et­was Gu­tem. Reut­ter hat­te eben selbst kei­ne große Ein­nah­me für sei­ne Chor­kna­ben. So muss­ten sie dar­ben.

Gleich­wohl fehl­te auch die­sem so emp­find­lich ein­ge­eng­ten Da­sein der ju­gend­lich hei­te­re Über­mut nicht. Un­ser Dies er­zählt: »Zur­zeit, als der Hof das Lust­schloss zu Schön­brunn er­bau­en ließ, muss­te Haydn die Pfingst­fei­er hin­durch dort in den Kir­chen­mu­si­ken sin­gen. Au­ßer der Zeit, die er in der Kir­che zu­brin­gen muss­te, ge­sell­te er sich zu an­de­ren Kna­ben, be­stieg die Bau­ge­rüs­te und lärm­te auf den Bre­tern um­her. Was ge­sch­ah? Die Kna­ben er­bli­cken plötz­lich eine Dame. Es war Ma­ria The­re­sia selbst, die so­gleich je­man­den be­or­der­te, die lär­men­den Kna­ben von dem Gerüst zu ent­fer­nen und mit Schil­lings­stra­fe (Prü­gel) zu be­dro­hen, wenn sie sich wie­der auf dem­sel­ben se­hen las­sen wür­den. Haydn war am fol­gen­den Tage vom Vor­witz ge­trie­ben, be­stieg al­lein das Gerüst, wur­de er­hascht und er­hielt rich­tig den ver­spro­che­nen Schil­ling. Vie­le Jah­re nach­her, als Haydn schon im Diens­te des Fürs­ten Es­ter­ha­zy stand, war die Kai­se­rin einst in Es­ter­haz (in Un­garn). Haydn stell­te sich vor die­sel­be hin und mach­te sei­ne un­ter­tä­nigs­te Dank­sa­gung für den er­hal­te­nen Schil­ling. Er muss­te den gan­zen Vor­fall er­zäh­len, wor­über viel ge­lacht wur­de.«

Hier se­hen wir denn zu­gleich un­se­ren Hel­den schon als Meis­ter in Amt und Wür­den. Wie dor­nen­voll war die Bahn dort­hin!

»Sei­ne schö­ne Stim­me, mit wel­cher er sich bis­her so man­chen ge­sät­tig­ten Ma­gen er­sun­gen hat­te, ward ihm plötz­lich un­treu, sie brach sich und wank­te zwi­schen Dop­pel­tö­nen«, er­zählt Dies. Bei den Fei­er­lich­kei­ten des Leo­polds­ta­ges in dem na­hen Stif­te Klos­ter­neu­burg er­schi­en ge­wöhn­lich auch die Kai­se­rin. Sie hat­te schon Reut­ter im Scherz be­deu­tet, Haydn sin­ge nicht mehr, er krä­he! So hat­te der­sel­be zum Sin­gen bei die­sem Fes­te schon den jün­ge­ren Bru­der Mi­cha­el ge­wählt, der dann der Kai­se­rin so sehr ge­fiel, dass sie ihm 24 Du­ka­ten schenk­te. Reut­ter aber war jetzt, wo Haydn ihm »kei­nen Geld­nut­zen mehr brin­gen konn­te« und er über­haupt Er­satz für den­sel­ben hat­te, kurz ent­schlos­sen den un­nüt­zen Kost­gän­ger zu ver­ab­schie­den. Eine ju­gend­li­che Un­ge­zo­gen­heit be­schleu­nig­te die Ent­las­sung Haydns: er hat­te ei­nem an­de­ren Chor­kna­ben, der ge­gen de­ren Sit­te sein Haar im Zop­fe trug, den­sel­ben ab­ge­schnit­ten. Reut­ter ver­ur­teil­te ihn hart ge­nug zu Stock­schlä­gen auf die fla­che Hand. Der Au­gen­blick der Stra­fe er­schi­en. Haydn, jetzt im 18. Le­bens­jah­re ste­hend, such­te alle Mit­tel der Be­frei­ung von der­sel­ben und er­klär­te end­lich, er wol­le nicht mehr Chor­kna­be sein, wenn er nicht ge­straft wer­de. »Da hilft nichts«, er­wi­der­te Reut­ter, »du wirst erst ge­prü­gelt und dann marsch!«

Reut­ter hielt sein Wort. Er riet aber dem jetzt ab­ge­dank­ten Chor­sän­ger sich zum So­pra­nis­ten, wie sie da­mals so viel gal­ten, her­rich­ten zu las­sen. Je­doch Haydn, voll rich­ti­gen Man­nes­ge­fühls, ging nicht auf den so ver­füh­re­ri­schen Vor­schlag ein, und so trat er denn jetzt im Spät­herbst 1749 »hilf­los, ohne Geld, mit drei schlech­ten Hem­den und ei­nem ab­ge­nütz­ten Rock aus­staf­fiert in die große Welt, die er nicht kann­te«. So­gleich die ers­te Nacht muss­te er, nach­dem er von Hun­ger ge­quält die Stra­ßen durch­irrt und sich end­lich er­schöpft auf die nächs­te Bank nie­der­ge­las­sen hat­te, bis zum grau­en­den Mor­gen in der feuch­ten No­vem­ber­luft im Frei­en zu­brin­gen. Da führ­te ihm das gute Glück einen Be­kann­ten zu, der eben­falls Chor­sän­ger und zu­gleich Haus­leh­rer war, und ob­gleich die­ser selbst mit sei­ner Frau und ei­nem klei­nen Kin­de nur ein ein­zi­ges Dach­zim­mer­chen hat­te, nahm er den hilf­los Ent­las­se­nen den­noch bei sich auf, – ein Zug je­ner ös­ter­rei­chi­schen Ge­müts­fül­le, von der ge­ra­de Haydns Kunst spä­ter auch in Tö­nen den schöns­ten Wi­der­hall ge­ben soll­te!

»Sei­ne El­tern wa­ren sehr be­küm­mert«, er­zählt wei­ter Dies. »Vor­züg­lich das wei­che Mut­ter­herz äu­ßer­te ban­ge Be­sorg­nis mit Trä­nen im Auge. Sie bat den Sohn, er möge doch den Wün­schen und Bit­ten der El­tern nach­ge­ben und sich jetzt dem geist­li­chen Stan­de wid­men. Sie lie­ßen ih­rem Soh­ne kei­ne Ruhe. Aber Haydn blieb un­er­schüt­ter­lich. Er wuss­te zwar kei­ne Grün­de an­zu­ge­ben, er mein­te sich aber deut­lich ge­nug zu er­klä­ren, wenn er den ihm un­er­klär­ba­ren in­ne­ren Drang in die we­ni­gen Wor­te zu­sam­men­press­te: Ich mag kein Geist­li­cher wer­den.« – »Seid nur recht brav und flei­ßig und ver­ge­sst nie auf Gott«, hat der 76­jäh­ri­ge Greis noch zu Sän­ger­kna­ben ge­sagt, die ihm vor­ge­stellt wur­den. Man­gel an auf­rich­ti­ger Fröm­mig­keit war es denn auch nicht, was ihn da­mals von dem geist­li­chen Stan­de fern hielt. Er fühl­te eben sei­nen Be­ruf auf an­de­rem und ei­gens­tem Ge­bie­te, und wir wis­sen heu­te, dass sein Ge­fühl und Wün­schen ihn nicht ge­täuscht hat.

Al­lein bei­na­he hät­te die Not selbst ihn den­noch zu je­nem so be­stimmt ab­ge­wie­se­nen Schrit­te ge­trie­ben, denn das Mit­wir­ken bei den Se­re­na­den und Ka­pel­len brach­te nicht viel Geld ein und ließ ihm doch an­de­rer­seits er­wünsch­te Zeit zum Stu­die­ren und Kom­po­nie­ren. Die stil­le Ein­sam­keit in je­nem klei­nen fins­tern, un­ter den Dach­zie­geln ge­le­ge­nen Bo­den­käm­mer­chen, der gänz­li­che Man­gel an Din­gen, die ei­nem mü­ßi­gen Geis­te Un­ter­hal­tung ge­wäh­ren und sei­ne gan­ze küm­mer­li­che Lage führ­ten ihn da­her zu­wei­len zu Be­trach­tun­gen, die oft so ernst­haft wa­ren, dass er sich ge­nö­tigt sah zu sei­ner Mu­sik Zuf­lucht zu neh­men, nur um die Gril­len zu ver­ja­gen. »Einst wa­ren die­se Be­trach­tun­gen ernst­haft ge­nug«, fährt un­ser Ge­währs­mann Dies fort, »oder viel­mehr pei­nig­te ihn der Hun­ger so hef­tig, dass er sich wi­der alle Nei­gung ent­schloss in den Or­den der Ser­vi­ten tre­ten zu wol­len, bloß um sich satt es­sen zu kön­nen. Dies war je­doch nur sein ers­ter Ein­fall, der bei sei­ner Ge­müts­art nie zur Wirk­lich­keit kom­men konn­te. Haydns glück­li­ches zum Froh­sinn ge­neig­tes Tem­pe­ra­ment be­wahr­te ihn vor hef­ti­gen Aus­brü­chen der Schwer­mut. Wenn im Som­mer Re­gen, im Win­ter Schnee durch die Fu­gen des Da­ches drang und er durch­nässt oder be­schneit er­wach­te, so fand er sol­che Vor­fäl­le sehr na­tür­lich und sie dienten ihm als Stoff zu Scher­zen.«

Er wuss­te nun ei­ni­ge Zeit hin­durch frei­lich nicht recht, wozu sich ent­schlie­ßen, und pro­jek­tier­te tau­send Din­ge, die aber im Ent­ste­hen wie­der ver­wor­fen wur­den. Meist war der Hun­ger die Trieb­fe­der zu ir­gend ei­nem ra­schen Ent­schluss. So zu ei­ner Wall­fahrt nach Ma­ria­zell in Stei­er­mark. Er ging dort so­gleich zum Chor­meis­ter, mel­de­te sich als Ka­pell­schü­ler, zeig­te ei­ni­ge sei­ner Mu­si­ka­li­en vor und trug sei­ne Diens­te an. Der Chor­meis­ter trau­te ihm aber nicht und fer­tig­te ihn, als er im­mer zu­dring­li­cher wur­de, mit den Wor­ten ab: »Es kommt des Lum­pen­ge­sin­dels so viel von Wien hier an, das sich für Ka­pell­kna­ben aus­gibt und wenn es dar­auf an­kommt, kei­ne Note tref­fen kann.« Haydn ging also am an­de­ren Tage auf den Chor, mach­te Be­kannt­schaft mit ei­nem der Sän­ger und bat ihn um sein No­ten­blatt. Der jun­ge Mann ent­schul­dig­te sich je­doch, dass er nicht dür­fe. Nun drück­te ihm Haydn ein Geld­stück in die Hand und blieb ne­ben ihm, bis die Mu­sik an­fing. Plötz­lich riss er ihm das Blatt aus den Hän­den und sang dann so schön, dass der Chor­meis­ter in Ver­wun­de­rung ge­riet und sich nach­her bei ihm ent­schul­dig­te. Die geist­li­chen Her­ren er­kun­dig­ten sich dann eben­falls und lu­den ihn zur Ta­fel. Haydn blieb acht Tage und füll­te, wie er sag­te, für eine Zeit lang sei­nen Ma­gen, ward auch hin­ter­her mit ei­ner klei­nen Sum­me ge­sam­mel­ten Gel­des be­schenkt.

In Haydns Te­sta­ment von 1802 steht un­ter den Le­ga­ten: »Der Jung­frau Anna Buch­holz 100 Fl., weil mir ihr Groß­va­ter in mei­ner Ju­gend und äu­ßers­ten Not 150 Fl. ohne In­ter­es­sen ge­lie­hen, wel­che ich aber schon vor 50 Jah­ren be­zahlt habe.« Die­ses für ihn da­mals an­sehn­li­che Dar­le­hen brach­te ihn nun zu­nächst (1750) zu ei­ner ei­ge­nen Woh­nung, wo er auch ru­hi­ger zu ar­bei­ten ver­moch­te. Dies er­zählt vom Jah­re 1805: »Der Zu­fall führ­te Haydn vor kur­z­er Zeit eine sei­ner ju­gend­li­chen Kom­po­si­tio­nen, de­ren er sich gar nicht mehr er­in­ner­te, in die Hän­de, eine vier­stim­mi­ge kur­ze Mes­se mit zwei ob­li­ga­ten So­pra­nen. Das Wie­der­fin­den die­ses seit 52 Jah­ren ver­lo­re­nen Kin­des ver­ur­sach­te dem Er­zeu­ger eine wah­re Freu­de. ›Was mir an die­sem Werk­chen be­son­ders ge­fällt, ist die Me­lo­die und ein ge­wis­ses ju­gend­li­ches Feu­er‹, sag­te er und ent­schloss sich, ihm eine mo­der­ne Klei­dung an­zu­zie­hen.« Die Mes­se ist da­durch er­hal­ten und als sein ers­tes grö­ße­res Werk zu be­trach­ten. Es stammt also eben aus dem An­fang die­ser 1750er Jah­re.