Ludwig Nohl

Beethoven

Eine Musikerbiografie

Ludwig Nohl

Beethoven

Eine Musikerbiografie

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2020
1. Auflage, ISBN 978-3-962817-21-3

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Inhaltsverzeichnis

Vor­wort

1. Die Ju­gend und die ers­te Schaf­fens­zeit.

2. Eroi­ca und Fi­de­lio.

3. Cmoll­sym­pho­nie, Pas­to­ra­le und Sie­ben­te.

4. Die *Mis­sa so­len­nis* und die Neun­te Sym­pho­nie.

5. Die letz­ten Quar­tet­te.

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»Un­ser Zeit­al­ter be­darf kräf­ti­ger Geis­ter!«

Vorwort

Die Mu­sik, so sehr sie die po­pu­lärs­te al­ler Küns­te ist und jede Brust mit weh­muts­vol­ler Freu­de er­füllt, ja selbst blo­ße Sin­nen­we­sen zu freu­di­gem Auf­zu­cken durch­bebt, ist doch in ih­ren letz­ten Er­zeug­nis­sen ein selt­sam vor­nehm ab­ge­schlos­se­nes We­sen, und nicht ohne Grund ver­langt man Bil­dung und Vor­übung, ja An­la­ge und Ent­wick­lung für die Auf­nah­me ih­rer Ge­heim­nis­se. »Von sei­nes­glei­chen will man mit dem Ver­stan­de ge­hört sein, Rüh­rung passt nur für Frau­en­zim­mer, dem Man­ne muss die Mu­sik Feu­er aus dem Geis­te schla­gen«, so un­ge­fähr sag­te Beetho­ven selbst, und wir wis­sen, wie lang­sam des größ­ten Sym­pho­ni­kers Wer­ke sich all­ge­mein Ge­hör und Aner­ken­nung er­run­gen ha­ben.

Und den­noch, wer kennt heu­te nicht den Na­men Beetho­ven! – Und wen er­füllt nicht, wenn ihm ein Werk die­ses Hero­en ent­ge­gen­tritt, auch so­gleich die Ah­nung ei­ner er­ha­be­nen all­wal­ten­den Macht, die aus den tiefs­ten Quel­len al­les Le­bens stammt! Mit dem Ge­fühl ei­ner ge­hei­men Ver­eh­rung er­greift uns schon der blo­ße Name, und wir glau­ben gern, wenn be­rich­tet wird, dass vor der von Ge­stalt zwar klei­nen, aber in ih­rer ge­drun­ge­nen Kraft den­noch im­po­nie­ren­den Er­schei­nung mit der vor­wärts stre­ben­den Hal­tung und dem auf­ge­rich­te­ten Haupt mit wal­len­dem Haar und fast ste­chen­dem Blick selbst der Frem­de in ei­ner ge­wis­sen Ehr­furchts­scheu zu­rück­wich. Jene bei­den Koh­len­bren­ner aber hiel­ten so­gar in ei­nem Hohl­weg ihr schwer­be­la­de­nes Fuhr­werk an, als ih­nen der in der gan­zen Um­ge­bung Wiens wohl­be­kann­te »krau­pe­te Mu­si­kant« be­geg­ne­te, der sin­nend stand und sum­mend wei­ter­ging, wenn er so bie­nen­gleich von Son­nen­auf­gang an in der Na­tur um­her­schweif­te und das No­tir­buch in Hän­den hielt, von dem er wie Jean­ne d’Arc sag­te: »Nicht ohne mei­ne Fah­ne darf ich kom­men!«

Was die­se Män­ner des Volks mit un­will­kür­li­chem Re­spekt vor der Wür­de er­griff, die die­se gan­ze Er­schei­nung um­floss, er­greift uns bei Nen­nung sei­nes Na­mens, wie viel mehr beim An­hö­ren sei­ner Mu­sik! Hier ist, das füh­len wir, der Geist tä­tig, der alle Welt be­lebt und er­hält und stets neu­es Le­ben schafft. Selbst dem Lai­en hallt aus die­sen ho­hen Schöp­fun­gen die Ge­wiss­heit des Wal­tens des schöp­fe­ri­schen Geis­tes ent­ge­gen und er­tö­nen die­se Lau­te als die Stim­men der tiefs­ten Men­schen­brust, die das all­ge­mei­ne Weh- und Won­ne­we­sen un­se­res Ge­schlechts im In­ners­ten ge­teilt hat. Es über­kommt uns die si­che­re Über­zeu­gung, dass der hier spricht, uns wirk­lich et­was zu sa­gen hat und zwar von un­se­rem ei­ge­nen Le­ben, weil er, was wir alle füh­len und le­ben, tiefer fühl­te und leb­te als wir an­de­ren, und al­les was wir lie­ben und lei­den, tiefer lieb­te und litt als sonst die Staub­ge­bor­nen. Durchaus tritt uns hier ein Mann ent­ge­gen, der an Ge­müt wie an Geis­tes­kraft wirk­lich groß war und uns zu ei­nem er­ha­be­nen Vor­bil­de wer­den konn­te, weil er das Le­ben wie das künst­le­ri­sche Schaf­fen ernst nahm und es sich zur Pf­licht mach­te, »für sich nicht, nur für an­de­re Mensch zu sein.« Es ist der hohe Grad selbst­ver­leug­nungs­vol­ler Kraft, was aus die­ser Künst­ler­er­schei­nung her­vor­strahlt und uns selbst wie­der er­hebt. Hier wur­den, wie nur je bei ei­nem großen Künst­ler, die Auf­ga­ben des Le­bens mit der glei­chen Treue er­fasst wie die der Kunst. Sein Le­ben ist völ­lig auch die Grund­la­ge sei­nes Schaf­fens: der große Künst­ler floss aus dem großen Men­schen. Wenn ir­gend­wo, so deckt hier die Dar­stel­lung des Le­bens auch in ei­ner sol­chen bloß über­schau­en­den Skiz­ze die in­ne­ren Quel­len des künst­le­ri­schen Schaf­fens selbst auf, und wir wer­den er­ken­nen, was sich hier dar­stellt, es ist ein Stück Ge­schich­te des hö­he­ren geis­ti­gen Le­bens un­se­rer Zeit und der Mensch­heit.

1. Die Jugend und die erste Schaffenszeit.

(1770–94)

Lud­wig van Beetho­ven ward am 17. De­zem­ber 1770 in Bonn – ge­tauft. Nur die­ses, der Tag der Tau­fe, ist uns fest­ge­stellt, und so hat man den 17. De­zem­ber zu­gleich als den Ge­burts­tag gel­ten zu las­sen.

Sein Va­ter Jo­hann van Beetho­ven war kur­fürst­li­cher Ka­pell­sän­ger in Bonn. Doch stamm­te die Fa­mi­lie aus den Nie­der­lan­den. Erst der Groß­va­ter war (1732) nach Bonn ge­kom­men, nach­dem er als Kna­be we­gen ei­nes Strei­tes ei­gen­wil­lig das El­tern­haus ver­las­sen hat­te. Er hat­te sich als Bass­sän­ger in Kir­che und Thea­ter her­vor­ge­tan und war so 1763 kur­fürst­li­cher Hof­ka­pell­meis­ter ge­wor­den. Auch sonst hat­ten ihm Fleiß und Ord­nung einen wohl­be­stell­ten Haus­stand und ein per­sön­li­ches An­se­hen be­grün­det. Ein klei­ner Wein­han­del er­laub­te ihm »sich eher zu rüh­ren.« Doch trug eben die­ser Ne­ben­be­trieb bei, sein ei­ge­nes Glück wie das sei­nes Soh­nes zu un­ter­gra­ben. Sei­ne Frau Jo­se­pha Poll ver­fiel dem Las­ter des Trun­kes und muss­te zu­letzt nach Köln in ein Klos­ter ge­tan wer­den. Und lei­der teil­te die­sen Feh­ler der ein­zi­ge über­le­ben­de Sohn, – »Jo­hann van Beetho­ven ver­stand sich schon früh gut auf die Wein­pro­ben«, sagt der Be­richt sei­ner Ju­gend­ge­spie­len, – und bald nahm die üble Schwä­che so über­hand, dass eine tie­fe Stö­rung des Haus­we­sens ein­trat und schließ­lich gar Amts­ent­set­zung folg­te. Beetho­vens Ju­gend­freund Ste­phan von Bre­uning sah selbst ein­mal, wie er den trun­ke­nen Va­ter auf of­fe­ner Stra­ße aus den Hän­den der Po­li­zei be­frei­te.

Hier ha­ben wir nun so­gleich den Ein­blick in eine Ju­gend­zeit, die Beetho­vens Geis­tes- und Ge­müts­kraft hart er­prob­te. Denn nach der an­ge­se­he­nen Stel­lung des Groß­va­ters und durch sei­ne ei­ge­ne frü­he An­stel­lung als kur­fürst­li­cher Ho­f­or­ga­nist wie die be­deu­ten­de Ent­wick­lung sei­nes Ta­len­tes ge­noss Beetho­ven frü­he den Um­gang der bes­se­ren Ge­sell­schaft und wirk­te als Künst­ler in den Fa­mi­li­en des Adels wie bei Hofe. Doch wird be­rich­tet, dass es stets mit der größ­ten Zart­heit ge­sch­ah, wenn sie, er und sei­ne zwei jün­ge­ren Brü­der, den Va­ter ins Haus zu­rück­zu­brin­gen such­ten, und nie­mals hö­ren wir ein har­tes Wort über den Mann, der sei­ne Ju­gend zu ei­ner so schwe­ren ge­macht, ja ein sol­ches von ei­nem Drit­ten mach­te ihn ge­ra­de­zu böse. Al­lein die Ver­schlos­sen­heit und eine ge­wis­se Trot­zig­keit sei­nes Ju­gend- und Man­nes­we­sens müs­sen doch auf sol­che frü­hen her­ben Er­fah­run­gen zu­rück­ge­führt wer­den.

Und wer kennt die Ver­wi­cke­lun­gen, die hier das Un­heil über­hand neh­men lie­ßen! Denn wenn es gleich heißt: »Jo­hann van Beetho­ven hat­te einen flüch­ti­gen Geist«, so wis­sen doch auch die­se Ju­gend­ge­spie­len von sei­nem Cha­rak­ter nichts Schlim­mes zu sa­gen. Nur Jäh­zorn und Hals­star­rig­keit schei­nen sein alt­nie­der­län­di­sches Erb­teil ge­we­sen zu sein, und die­ses zeig­te in reich­li­chem Maße auch un­ser Meis­ter. Doch wäh­rend der Groß­va­ter sich zu so gu­ter Stel­lung auf­ge­schwun­gen und stets eine sol­che Hal­tung zu be­wah­ren ge­wusst hat­te, dass Beetho­ven ihn förm­lich als ein Vor­bild sei­nes Le­bens neh­men und als von ei­nem »Ehren­man­ne« noch spä­ter gern von ihm spre­chen konn­te, brach­te es sein Va­ter nicht über den ge­ring­be­sol­de­ten Ka­pell­sän­ger. Und nicht ein­mal die­sem Stan­de ent­sprach die Wahl sei­ner Frau.

Mag­da­le­na Ke­we­rich aus Ehren­breit­stein, eine »hüb­sche schlan­ke Per­son«, die ei­ni­ge Zeit als Kam­mer­jung­fer bei vor­neh­men Herr­schaf­ten ge­dient hat­te und schon mit neun­zehn Jah­ren die Wit­we ei­nes kur­trier­schen Leib­kam­mer­die­ners war, wur­de 1763 Jo­hann van Beetho­vens Frau. Da nun die­se Hei­rat nicht nach des Hof­ka­pell­meis­ters Sinn sein konn­te, so zog der Sohn, der bis­her mit dem ver­ein­sam­ten Va­ter zu­sam­men ge­wohnt hat­te, in ein Ne­ben­ge­bäu­de des Hau­ses Nr. 515 der Bonn­gas­se, wel­ches also Beetho­vens Ge­burts­haus ward.

Ver­mö­gen be­saß die jun­ge Frau eben­falls nicht, und so trat, nach­dem ziem­lich rasch meh­re­re Kin­der ge­kom­men wa­ren, von de­nen der 1774 ge­bo­re­ne Kar­l und der 1776 ge­bo­re­ne Jo­hann eine Rol­le in Beetho­vens Le­ben spie­len, bald ma­te­ri­el­le Be­dräng­nis ein. An­fangs hat­te der wohl­ha­ben­de Groß­va­ter nach­ge­hol­fen, und sei­ne statt­li­che Ge­stalt im ro­ten Rock, mit dem großen Kopf und den »di­cken Au­gen« blieb bei dem Kna­ben Lud­wig, der mit der größ­ten In­nig­keit an ihm ge­han­gen, auch tief haf­ten, ob­wol er erst drei Jah­re zähl­te, als der Groß­va­ter starb. Bei zu­neh­men­der Be­dräng­nis mach­te der Va­ter ei­ni­ge Ge­su­che um Auf­bes­se­rung. Al­lein sei­ne nur »ziem­li­che« Auf­füh­rung und sei­ne »ab­gän­gi­ge« Stim­me lie­ßen sie fehl­schla­gen. So such­te er sich denn mit Un­ter­richt­ge­ben wei­ter zu hel­fen und wirk­te auch im Thea­ter mit, denn er spiel­te zu­gleich Vio­li­ne. Doch bald ver­schlan­gen Krank­hei­ten auch die im­mer­hin nicht be­deu­ten­de Erb­schaft: die Glas- und Por­zel­lan­schrän­ke wan­del­ten nebst dem Sil­ber­ser­vice und der Lein­wand, »die man durch einen Ring hät­te zie­hen kön­nen«, eins nach dem an­de­ren zum Tröd­ler, und die Not selbst konn­te wie­der den Va­ter nur mehr sei­ner Schwä­che ver­fal­len las­sen.

Doch ei­nes stand von früh an als ein Hoff­nungs­stern an dem trü­ben Him­mel sei­ner Exis­tenz: das Ta­lent sei­nes Soh­nes Lud­wig. Denn das­sel­be zeig­te sich eben­falls be­reits in ers­ter Kind­heit und konn­te dem Va­ter, der selbst im­mer­hin ein »gu­ter Mu­si­ker« war, am we­nigs­ten ent­ge­hen. Und wenn er auch selbst den vol­len Er­folg hier nicht mehr er­le­ben soll­te, es war in der Tat die­ses Ta­lent, durch wel­ches spä­ter­hin ein­zig die Fa­mi­lie vor dem Un­ter­gang ge­ret­tet und ihr Name so­gar wie­der zu hel­lem Klan­ge er­ho­ben wer­den soll­te. Denn als zu­mal nach der Ge­burt je­nes jüngs­ten Bru­ders und ei­ner klei­nen bald ver­stor­be­nen Schwes­ter die Ver­hält­nis­se sich stets mehr zer­rüt­te­ten, ver­fiel der Va­ter dar­auf den Sohn gleich dem klei­nen Mo­zart, der kurz zu­vor auch in Bonn ge­we­sen war, zu ei­nem Wun­der­kin­de her­an­zu­bil­den, um dann auf Rei­sen mit ihm die so sehr be­durf­ten wei­te­ren Exis­tenz­mit­tel zu ge­win­nen. So ward denn der Kna­be mit Ernst an­ge­hal­ten Kla­vier und bald auch Vio­li­ne zu spie­len, und es muss bei die­sen täg­li­chen Übun­gen här­ter zu­ge­gan­gen sein, als zu ei­ner re­gel­rech­ten Aus­bil­dung er­for­der­lich ist. Denn er wur­de so­gar vom Spie­len mit den Kin­dern weg­ge­holt, und die Ju­gend­freun­de sa­hen ihn auf ei­nem Bänk­chen vor dem Kla­vie­re ste­hen und wei­nend sei­ne Auf­ga­ben üben. Auch Stra­fen fehl­ten nicht und selbst mah­nen­de Freun­de brach­ten den Va­ter nicht von sol­cher un­er­bitt­li­chen Stren­ge ab. Doch ward der Zweck er­reicht, und die an­hal­ten­de und re­gel­mä­ßi­ge Übung leg­te den Grund zu ei­ner Fer­tig­keit, die ihn schon als sie­ben­jäh­ri­gen Kna­ben vor die Öf­fent­lich­keit führ­te. In ei­ner Köl­ner Zei­tung kün­de­te der Va­ter an, dass am 26. März (Beetho­vens To­des­tag!) 1778, »sein Söhn­chen von 6 Jah­ren mit ver­schie­de­nen Kla­vier­kon­zer­ten die Ehre ha­ben wer­de auf­zu­war­ten, wo er al­len ho­hen Herr­schaf­ten ein völ­li­ges Ver­gnü­gen zu leis­ten sich schmei­che­le, umso mehr, da er zum größ­ten Ver­gnü­gen des gan­zen Ho­fes sich hö­ren zu las­sen die Gna­de ge­habt habe.« Der Kna­be ward, da­mit das Wun­der umso grö­ßer sei, um ein Jahr jün­ger ge­macht, und dies er­zeug­te in ihm selbst einen Irr­tum über sein Al­ter, der noch den na­he­zu Vier­zig­jäh­ri­gen täusch­te.

Über sei­ne wei­te­ren Ju­gend­leh­rer kön­nen wir uns kurz fas­sen. Sei­ne Schu­le war vor­zugs­wei­se die Not des Le­bens, die ihn sei­ne Kunst trei­ben und üben hieß, um sie zu be­herr­schen und mit ihr in der Welt vor­wärts zu kom­men. Au­ßer dem Va­ter un­ter­rich­te­te den acht­jäh­ri­gen Kna­ben ein Jahr lang der Sän­ger To­bi­as P­feif­fer, der bei Beetho­vens in Kost und Lo­gis war. Er war ein fer­ti­ger Kla­vier­spie­ler und Beetho­ven er­kann­te ihn auch da­durch als einen sei­ner Haupt­leh­rer an, dass er ihm noch von Wien aus Un­ter­stüt­zung zu­kom­men ließ. Wie je­doch die­ser Un­ter­richt und das Le­ben im Beetho­ven’­schen Hau­se be­schaf­fen war, er­kennt man aus der Erin­ne­rung der Haus­ge­nos­sen, dass wenn Pfeif­fer oft spät in der Nacht mit dem Va­ter von dem Wirts­hau­se kam, der klei­ne Lud­wig noch aus dem Bet­te ge­holt und bis zum frü­hen Mor­gen am Kla­vier ge­hal­ten ward. Da­ge­gen war der Er­folg die­ser Un­ter­rich­tung be­reits ein sol­cher, dass wenn der Kna­be mit sei­nem Leh­rer, der auch Flö­te blies, zu­sam­men »va­ri­ier­te«, die Leu­te drau­ßen ste­hen blie­ben und die schö­ne Mu­sik lob­ten. Im Jah­re 1781 fin­den wir den zehn­jäh­ri­gen Lud­wig denn auch mit sei­ner Mut­ter auf ei­ner Rei­se nach Hol­land, wo er in großen Häu­sern spiel­te und die Leu­te durch sei­ne Fer­tig­keit in Er­stau­nen setz­te. Doch muss es mit dem Er­trag der Rei­se nicht eben­so gut ge­stan­den sein. Denn auf eine Fra­ge ant­wor­te­te der Kna­be: »Die Hol­län­der, das sind Pfen­nig­fuch­ser, ich wer­de Hol­land nim­mer­mehr be­su­chen.«

Der­wei­len war es nun auch an das Or­gel­spiel ge­gan­gen, und ein Bru­der Wil­li­bald im na­hen Fran­zis­ka­ner­klos­ter führ­te ihn dar­in bald so­weit, dass er beim Got­tes­dienst als Ge­hil­fe ge­braucht wer­den konn­te. Sei­ne Haupt­leh­rer in die­ser Kunst wa­ren aber zu­nächst der alte kur­fürst­li­che Ho­f­or­ga­nist van den Ee­den und dann des­sen Nach­fol­ger Chris­ti­an Gott­lob Nee­fe. Der letz­te­re hat auch in der Kom­po­si­ti­on den ers­ten ent­schei­den­den Ein­fluss auf Beetho­ven ge­übt, und er selbst dank­te ihm spä­ter »für den gu­ten Rat bei dem Wei­ter­kom­men in sei­ner gött­li­chen Kunst«. »Wer­de ich einst ein großer Mann, so ha­ben auch Sie Teil dar­an«, schließt der Brief. Er stamm­te aus Sach­sen und stand so ei­ner­seits auf der Grund­la­ge der nord­deut­schen Or­ga­nis­ten­kunst, hat­te aber and­rer­seits in der Kom­po­si­ti­on die Rich­tung der neu­en Ph. E. Bach’­schen So­na­te ge­nom­men und war au­ßer­dem durch all­ge­mei­ne geis­ti­ge Bil­dung und ge­fäl­li­ge­re künst­le­ri­sche Form aus­ge­zeich­net. Schon im Jah­re 1782 konn­te er den elf­jäh­ri­gen Kna­ben als sei­nen »Vi­car« an­neh­men und ihm so die An­wart­schaft auf die Ho­f­or­ga­nis­ten­stel­le selbst ver­schaf­fen. Von ihm stammt denn auch der ers­te öf­fent­li­che Be­richt über Beetho­ven, und hier er­fah­ren wir, dass die Haupt­grund­la­ge die­ses Un­ter­rich­tes Bachs Wohl­tem­pe­rier­tes Kla­vier, je­nes »Non plus ul­tra« der Kon­tra­punk­tik wie der Tech­nik war. Die Bach’­schen Fu­gen wa­ren es da­her auch, durch de­ren aus­ge­zeich­ne­ten Vor­trag er sich spä­ter in Wien zu­erst sei­nen Ruf ver­schaff­te. Aber auch der Kom­po­si­ti­ons­un­ter­richt trug sei­ne Früch­te und ein Heft Va­ria­tio­nen über einen Marsch wie drei So­na­ten er­schie­nen schon da­mals im Druck.

»Die­ses jun­ge Ge­nie ver­dien­te Un­ter­stüt­zung, dass er rei­sen könn­te, er wür­de ge­wiss ein zwei­ter Mo­zart wer­den«, hat­te Nee­fe schon in je­nem Be­richt von 1783 ge­schrie­ben. Bald nach­her war dann die Aus­bil­dung des »Ge­nies« auch auf an­de­ren Ge­bie­ten vor­ge­gan­gen: der 12­jäh­ri­ge Or­ga­nis­ten­vi­car hat­te gar, wenn Nee­fe ver­hin­dert war, die Pro­ben im Thea­ter zu lei­ten, und die­ses brach­te da­mals, wie wir noch se­hen wer­den, auch in Bonn die bes­ten Stücke der Zeit. So ge­wan­nen die künst­le­ri­sche An­schau­ung und die tech­ni­sche Fer­tig­keit einen stets wei­te­ren Um­kreis, und es exis­tiert schon aus die­sen frü­hen Jah­ren eine An­ek­do­te, wo­nach er als Ho­f­or­ga­nist, – denn dies war er schon 1784, mit drei­zehn Jah­ren! – ein­mal beim Got­tes­diens­te den sehr ton­fes­ten kur­fürst­li­chen Sän­ger Hel­ler durch sei­ne küh­nen Aus­wei­chun­gen ganz aus dem Tone ge­wor­fen. Der Kur­fürst un­ter­sag­te wol für die Zu­kunft »der­lei Ge­nie­strei­che«, war aber wie sein Ka­pell­meis­ter Lu­che­si von der au­ßer­or­dent­li­chen Be­fä­hi­gung des jun­gen Man­nes ganz über­rascht.

Sol­che Er­fah­run­gen moch­ten denn An­lass sein, dass man an den Un­ter­richt ei­nes wirk­li­chen Groß­meis­ters für ihn dach­te, und in der Tat fin­den wir im Früh­jahr 1787 den Bon­ner Ho­f­or­ga­nis­ten bei Mo­zar­t in Wien.

Die klei­ne Ge­stalt, zwar kräf­tig, aber »fast plump or­ga­ni­siert von Kör­per« und mit ei­ner stump­fen run­den Nase, konn­te beim ers­ten An­blick we­nig Ein­druck ma­chen. Mo­zart be­lob­te das Vor­ge­tra­ge­ne, das er für ein ein­ge­lern­tes Pa­ra­de­stück hielt, et­was kühl, wor­auf ihn aber Beetho­ven um ein The­ma zum Fan­ta­sie­ren bat und dann so spiel­te, dass Mo­zart leb­haft aus­rief: »Auf den gebt Acht, der wird ein­mal in der Welt von sich re­den ma­chen.« Gleich­wol war von Un­ter­rich­tung nicht viel die Rede. Mo­zart stack zu tief in der Kom­po­si­ti­on des Don Juan und man­cher­lei her­ben Er­leb­nis­sen, so­dass er ihm nur we­nig vor­ge­spielt und nur ei­ni­ge Stun­den ge­ge­ben hat. Zu­dem rief den jun­gen Mann die hef­ti­ge Er­kran­kung der Mut­ter schon nach we­nig Wo­chen in die Hei­mat zu­rück, und hier harr­ten sei­ner wei­te­re Schick­sals­schlä­ge: die gute Mut­ter starb und des Va­ters Schwä­che nahm eben dann so über­hand, dass er bald nach­her sei­nes Am­tes ent­setzt wer­den muss­te. Da­durch ward dem äl­tes­ten Soh­ne die Pf­licht auf­er­legt, sei­ne bei­den jün­gern Brü­der zu er­hal­ten und zu er­zie­hen.

War nun dies in der Tat eine har­te Schu­le des Le­bens, die aber and­rer­seits dazu diente, sei­nem Cha­rak­ter je­nen eher­nen Halt zu ge­ben, der ihn auch in den schwers­ten Prü­fun­gen nicht un­ter­ge­hen ließ, so ge­wann der Auf­ent­halt in Bonn fort­an für ihn fast die glei­chen Vor­tei­le, die er in der mu­si­ka­li­schen Groß­stadt Wien ge­sucht hat­te. Denn Ma­xi­mi­li­an Franz, aus der »Bio­gra­fie Mo­zarts« (Nr. 1121) als des­sen Freund und Be­schüt­zer be­kannt und seit dem Jah­re 1784 Kur­fürst von Köln, ge­hör­te zu je­nen ed­len Fürs­ten des vo­ri­gen Jahr­hun­derts, die ihre Re­si­denz zu ei­ner Stät­te je­der schö­nen Bil­dung und na­ment­lich der erns­te­ren Kunst­pfle­ge mach­ten.

Als jüngs­ter Sohn Ma­ria The­re­si­as hat­te er die sorg­fäl­ti­ge Er­zie­hung die­ses Kaiser­hau­ses ge­won­nen und be­saß an Jo­seph II. das bes­te Vor­bild. Sei­nen geist­li­chen Be­ruf er­fass­te er mit Ernst, eben­so sei­ne Re­gen­ten­pflicht. Dem We­sen und Trei­ben der »großen Pfaf­fen­gas­se am Rhein« war er eben­so ab­hold wie dem ver­rot­te­ten Zu­stan­de, in dem sei­ne ver­schwen­de­ri­schen Vor­gän­ger das Land hin­ter­las­sen hat­ten. Über­all­hin streb­te er Ord­nung und neu­es Ge­dei­hen zu brin­gen. Es weh­te ein fri­scher Wind durch das gan­ze Le­ben der klei­nen Re­si­denz, so­lan­ge er dort war. Er war selbst noch jung, ein Drei­ßi­ger, und hat­te fei­ne Sit­ten. »Man war viel­leicht bis­her ge­wohnt un­ter Köln sich ein Land der Fins­ter­nis zu den­ken, man wird aber ganz an­de­rer Mei­nung, wenn man an den Hof des Kur­fürs­ten kommt«, sagt ein gleich­zei­ti­ger Be­richt von »die­sem mensch­lichs­ten und bes­ten Fürs­ten«. Be­son­ders die Ka­pel­lis­ten, un­ter wel­che wir uns also auch die­sen jun­gen Ho­f­or­ga­nis­ten be­grif­fen den­ken müs­sen, sei­en ganz auf­ge­klär­te, ge­sund den­ken­de Män­ner von ei­nem sehr ele­gan­ten Ton und Be­neh­men.

Der Kur­fürst hat­te 1786 die Uni­ver­si­tät er­öff­net und be­grün­de­te ein öf­fent­li­ches Le­se­zim­mer, das er auch selbst un­ge­niert be­such­te. »Alle die­se An­stal­ten hul­dig­ten in mei­nem Auge ei­nem un­be­kann­ten Ge­ni­us der Mensch­heit und mein Ge­müt ahn­te zum ers­ten Male die Ho­heit der Wis­sen­schaft«, sagt der Ma­ler Ger­hard Kü­gel­gen, ein Lands­mann Beetho­vens von da­mals, und soll­te die­ser selbst an­ders emp­fun­den ha­ben? Die aus­schließ­li­che Hin­lei­tung auf den mu­si­ka­li­schen Un­ter­richt frei­lich hat­te sei­ne Schul­bil­dung we­nig vor­schrei­ten las­sen: schon das Rech­nen ward ihm durchs gan­ze Le­ben schwer, und eben­so lag er mit der Or­tho­gra­fie stets mehr im Streit, als selbst jene Zeit ver­trug. Et­was La­tein und Fran­zö­sisch hat­te er ge­lernt. Al­lein je­ner Hauch ei­ner ed­le­ren Geis­tes­bil­dung, der da­mals Bonn durch­zog und durch den na­hen Ver­kehr mit den ge­bil­dets­ten Män­nern der Stadt auch ihn le­ben­dig be­rühr­te, führ­te ihn schon früh auch in die­ser Hin­sicht auf Hö­hen, die an­de­re Künst­ler und gar Mu­si­ker je­ner Zeit gar nicht kann­ten, die aber ihm stets mehr ein neu­es Schaf­fens­ge­biet für sei­ne Kunst er­öff­ne­ten. Denn so sehr auch sol­che erns­te und viel­sei­ti­ge geis­ti­ge Be­schäf­ti­gung ihm seit­dem stets ein un­ent­behr­li­ches Be­dür­fen war und er, wie er spä­ter selbst sagt, »ohne auch im min­des­ten An­spruch auf ei­gent­li­che Ge­lehr­sam­keit zu ma­chen, sich von Kind­heit an be­streb­te, den Sinn der Bes­sern und Wei­sen je­des Zeit­al­ters zu fas­sen«, so blieb, wie eben­falls Kü­gel­gen von sich sagt, »doch sein Herz lie­be­voll der Kunst zu­ge­wandt«. Und ge­ra­de sei­ne Kunst ward da­mals in Bonn in der Tat mit Ernst und Hin­ge­bung ge­pflegt.

»Der Kur­fürst ist nicht nur selbst Spie­ler, son­dern auch en­thu­sias­ti­scher Lieb­ha­ber der Ton­kunst. Es scheint, als kön­ne er sich nicht satt hö­ren. Im Kon­zert war er – Er nur der auf­merk­sams­te Zu­hö­rer«, sagt der Zeit­be­richt oben. Die mu­si­ka­li­sche Bil­dung der Kin­der Ma­ria The­re­si­as war gleich­falls tüch­tig und in Wien stand ja eben da­mals die­se Kunst in höchs­ter Blü­te: Gluck, Haydn, Mo­zart wirk­ten dort mit­ein­an­der. So ward im Ka­bi­net zu Bonn nur gute Mu­sik ge­macht, und dass da­bei der aus­ge­zeich­ne­te Kla­vier­spie­ler Lud­wig van Beetho­ven mit tä­tig war, ver­steht sich bei ei­nem Fürs­ten, der Mo­zart kann­te und lieb­te, von selbst.

Aber auch die Ka­pel­le und das Thea­ter wur­den mit wahr­haft künst­le­ri­scher Ach­tung be­dacht, so­bald nur die Wie­der­her­stel­lung der ver­kom­me­nen Re­gie­rungs­zu­stän­de dazu Muße und Mit­tel lie­ßen. Be­reits 1784 hat­te Max Franz die Ka­pel­le con­sti­tu­iert, in der der jun­ge Ho­f­or­ga­nist bald eben­falls als Brat­schist mit­wirk­te und die den Gei­ger Ries und den Hor­nist Sim­rock ent­hielt, wel­che in Beetho­vens Le­ben ihre Stel­le ein­neh­men. Ein Jahr dar­auf ist eine Trup­pe in Bonn, die ne­ben ita­lie­ni­schen Opern und fran­zö­si­schen Sing­spie­len Glucks Al­ces­te und Or­pheus gibt. Dann kam auch je­ner geist­vol­le Groß­mann hin, der in der Ge­schich­te der deut­schen Schau­spiel­kunst einen Na­men hat und auch vor al­lem Dra­men brach­te. Sein Re­per­toire um­fass­te Sha­ke­s­pea­re, Les­sing, Schil­ler, Goe­the, die also Beetho­ven schon früh auch auf der Büh­ne ken­nen lern­te. Im Jah­re 1788 aber be­grün­de­te Max Franz ein ei­ge­nes Na­tio­nalthea­ter, und jetzt be­ginnt eine Blü­te­zeit für dra­ma­ti­sche Poe­sie und Mu­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­Rom­ber­g­Reich­a­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­