Über das Buch

Juni 1914. Es ist die Woche, die alles entscheidet. Die Woche, in dersich drei junge Serben auf den Weg nach Sarajevo machen. Dort soll Franz Ferdinand, Thronfolger Österreich-Ungarns, einem Militärmanöver beiwohnen – und sterben. Gavrilo Princip und seine Gefährten haben sich seit Monaten auf diesen Tag vorbereitet. Doch dem Geheimdienst sind Gerüchte zu Ohren gekommen, und Major Rudolf Markovic tut alles, um den Thronfolger zu retten und eine diplomatische Katastrophe zu vermeiden … Ulf Schiewe lässt uns diese entscheidende Woche der europäischen Geschichte hautnah miterleben – packend und extrem spannend.

Über den Autor

Ulf Schiewe wurde 1947 im Weserbergland geboren und wuchs in Münster auf. Er arbeitete lange als Software-Entwickler und Marketingmanager in führenden Positionen bei internationalen Unternehmen und lebte über zwanzig Jahre im Ausland, unter anderem in der französischen Schweiz, in Paris, Brasilien, Belgien und Schweden. Schon als Kind war Ulf Schiewe ein begeisterter Leser, zum Schreiben fand er mit Ende 50.

Historischer Thriller

PROLOG

Um ihn herum die Menge der Schaulustigen. Alles blickt erwartungsvoll in die gleiche Richtung. Er drängt sich vor, nähert sich dem Rinnstein, dort, wo man der heranfahrenden Fahrzeugkolonne am nächsten ist. In der Hosentasche die Pistole. Er spürt sie am Oberschenkel. Sie beult die Tasche ein wenig aus. Ob es auffällt? Jemand könnte erraten, was er bei sich trägt.

Vorsichtshalber schiebt er die Hand in die Tasche, legt sie über das kühle Metall. Die Waffe ist nicht schwer, wiegt an die sechshundert Gramm. Sie ist handlich, die Kanten sind rund, kein Hammer, der sich in der Kleidung verhaken könnte. Ein Leichtes, sie schnell zu ziehen, gleich, in wenigen Augenblicken, wenn der Motorwagen, auf den er wartet, um die Ecke kommt.

Noch vor Wochen hatte er von Waffen keine Ahnung, hat nie eine in der Hand gehalten. Aber inzwischen weiß er alles über diese Pistole. Ein gewisser Mister Browning aus Amerika hat sie entworfen, und eine belgische Firma hat sie angefertigt. Nun steckt sie in seiner Tasche, eine Browning der Fabrique Nationale, bereit, benutzt zu werden.

Man hat ihm alles beigebracht. Wie man sie entsichert, wie nah man an sein Ziel herantritt. Es ist gar nicht so leicht, mit einer Pistole zu treffen. Er hat gelernt, sie mit ausgestreckten Armen und beiden Händen zu halten, zu zielen und zu feuern. Es ist eine halbautomatische Pistole, die mit dem Rückstoß die nächste Patrone in die Kammer schiebt. Mindestens ein Dutzend Mal hat er sie auseinandergenommen, den Lauf gereinigt, die Teile mit einem öligen Tuch abgewischt, sie wieder zusammengesetzt, den Abzug geprüft, das Magazin mit Patronen gefüllt. Sechs Schuss. Sechs Kugeln. Eine davon genügt, um seinen Auftrag zu erfüllen. Vorausgesetzt, er trifft beim ersten Schuss. Oder dem zweiten. Für einen dritten wird er sicher kaum Gelegenheit haben.

Jede Nacht hat er in den letzten Tagen davon geträumt. Er hat sich an die Waffe gewöhnt. Sie liegt gut in der Hand. Als gehöre sie da hinein. Mit dem Daumen lässt sie sich leicht entsichern. Der Widerstand des Abzugs ist ihm vertraut, bis zum Punkt, an dem sich der Schlagbolzen löst, auf die Zündkapsel der Patrone trifft, und die Explosion die Kugel durch den Lauf jagt. Er hat sich vorbereitet, körperlich und geistig. Die Browning ist zum Zentrum seiner Existenz geworden. Alles konzentriert sich auf sie, jetzt, wo es darum geht, den Schuss abzufeuern, der die Welt verändern wird. Seine Aufmerksamkeit, sein beschleunigter Puls, sein Atem, sein ganzes Wesen dienen nur diesem Zweck.

Er hört Motorengeräusche. Der Wagen, auf den er wartet, biegt um die Ecke, kommt ihm entgegen. Da ist die Uniform, der Federbusch auf dem Kopf seiner Zielperson, die breite mit Orden behängte Brust, das leutselige Lächeln, die Hand, die der Menge zuwinkt.

Wie von selbst kommt die Waffe aus der Hosentasche. Er entsichert noch in der gleichen Bewegung, tritt zwei Schritte vor, hebt beide Arme, die rechte Hand hält die Pistole, die linke stabilisiert den rechten Arm. Das Ziel ist ganz nah. Jetzt!

Er zieht den Abzug durch.

Mit scharfem Knall löst sich der Schuss. Fast explosionsartig atmet er aus. So konzentriert war er, dass er zu atmen vergessen hat. Schweiß steht ihm auf der Stirn. Er versucht, sich zu entspannen.

»Und?«, fragt er, ohne sich umzudrehen.

»Nicht schlecht«, hört er Pavle hinter sich sagen. Gavrilos Herz schlägt ihm bis zum Hals. Nicht schlecht also. Aber gut genug?

Wer dieser Pavle ist, weiß er nicht, nur dass der Mann Mitglied der Schwarzen Hand ist, des serbischen Geheimbunds. Er redet nicht viel, trägt meist eine grimmige Miene zur Schau, lächelt fast nie. Aber ein Komitatschi und Freischärler soll er gewesen sein. Er ist hier, um ihnen das Schießen beizubringen. In einem Wald, ganz in der Nähe der Stadt. Wahrscheinlich heißt der Mann gar nicht Pavle. Und mehr als ihre Vornamen kennt er auch nicht. Besser so.

Gavrilo ist noch ganz in seiner Fantasie gefangen. Er atmet tief durch. Der Pappkamerad, den zwei serbische Soldaten an einer Leine entlanggezogen haben, um einen fahrenden Wagen nachzuahmen, kommt zum Stehen.

Major Vojislav Tankosić, der gekommen ist, um ihre Fortschritte zu überprüfen, tritt näher und sieht sich das Einschussloch an. »Nicht genau im Zentrum, aber immerhin. Für ein bewegliches Ziel ganz gut. Noch ein paarmal üben, dann hast du es raus.«

Gavrilo Princip, neunzehn Jahre alt, wechselt die rauchende Pistole von der einen in die andere Hand und betrachtet seine Rechte. Vom vielen Schießen hat er Schmauchspuren an den Fingern. Den Tankosić, inzwischen Major der serbischen Armee, kennt er von früher, als Tankosić bei den Tschetniks war und eine Freischärlergruppe gegen die Türken angeführt hat. Gavrilo wollte bei ihm anheuern. Aber Tankosić wies ihn ab. Er sei zu jung und zu schmächtig, um bei den Tschetniks zu kämpfen, hat es damals geheißen.

Nun ja, mit einem Meter sechzig ist er klein geraten. Und schwächlich war er auch schon immer. Für das, was sie jetzt vorhaben, bin ich dem Major wohl nicht zu jung, denkt Gavrilo. Und auch nicht zu schmächtig. Schließlich genügt es, eine oder zwei Kugeln ins Ziel zu bringen. Dafür zählt nicht, wie groß und stark man ist, es zählen nur Mut und Entschlossenheit.

»Wann geht es endlich los, Herr Major?«, fragt er.

»Nicht so laut«, raunt Tankosić und dreht den beiden Soldaten, die in einiger Entfernung stehen, vorsichtshalber den Rücken zu. »Ihr könnt es wohl nicht abwarten, was?«

Gavrilo sieht zu den beiden anderen jungen Männern, die mit ihm die Schießübungen absolvieren. Seine Freunde Trifko und Nedeljko, beide ebenfalls neunzehn Jahre alt. Und auch Danilo Ilić, den sie aus Sarajevo kennen, ist gekommen, um zu sehen, wie sie mit den Waffen zurechtkommen. Danilo gehört ebenfalls zur Schwarzen Hand, hat angeblich sogar eine Vertrauensstellung in der Organisation, obwohl er selbst erst dreiundzwanzig ist. Er hat die ganze Sache eingefädelt. Alle vier sind fest entschlossen, den Plan durchzuführen, um endlich etwas Großartiges für ihr Vaterland zu leisten. Für die serbische Sache.

»Ich glaube, wir sind so weit, Herr Major«, sagt Gavrilo leise.

Tankosić nickt. »Bald, mein Junge. Der Thronerbe wird in Sarajevo für den 28. Juni erwartet. Einige Tage vorher wird Pavle euch über die Grenze schmuggeln. Bis dahin müsst ihr euch gedulden.«

Der Mann, der sich Pavle nennt, nickt. Dann ruft er den beiden Soldaten zu, eine neue Zielscheibe anzubringen und wieder an den Ausgangspunkt zu ziehen. Er zeigt Gavrilo ein weiteres Mal, wie die Waffe zu halten ist. Und wie man trotz Rückstoß auch den zweiten Schuss ins Ziel bringt. »Jetzt noch mal«, sagt er. »Zwei Schüsse dicht hintereinander. Und diesmal mitten ins Herz, wenn ich bitten darf.«

MONTAG, 22. JUNI 1914

Neue Freie Presse

Wien, Samstag, den 20. Juni 1914

Durazzo ist gerettet. Die Befehlshaber der österreichisch-ungarischen und der italienischen Kriegsschiffe sind ermächtigt, die Kanonen in Tätigkeit zu setzen, wenn die Aufständischen in die Stadt dringen sollten und für den Hof, für die Gesandtschaften oder für die fremden Kolonien eine unmittelbare Gefahr bestünde. Das ist zureichend, um den rebellischen Bauern einen unzerbrechlichen Riegel vorzuschieben und den Weg nach Durazzo zu versperren. Der Befehl an die Kommandanten war die Antwort auf den Notschrei des Fürsten, der von den Mächten wiederholt militärische Hilfe verlangt hat und durch so viele bange Tage ohne jede Unterstützung und ohne jedes Zeichen wirksamer Sympathie geblieben ist. Der Auftrag, die Stadt gegen die Barbaren zu schützen, hätte sehr leicht zu spät eintreffen können.

Belgrad, 7:32 Uhr, im Park der Festung

Sie treffen sich an der Türbe, dem Grabmal des Damad Ali Pascha, eines Großwesirs des Osmanischen Reichs, gefallen 1716 im Kampf gegen das österreichische Heer unter der Führung von Prinz Eugen und hier beigesetzt. Das Monument liegt im Parkbereich der Festung von Belgrad, hoch über dem Zusammenfluss der Save und der Donau. Ein geschichtsträchtiger Ort für dieses Treffen.

Der Himmel ist bedeckt, und ein leichter Dunst steigt vom Ufer empor. Die beiden Männer sind in Zivil, sehen nicht anders aus als die üblichen Flanierer im Park, obwohl außer ihnen kaum jemand zugegen ist. Dazu ist es zu früh am Morgen. Nur ein alter Mann humpelt an ihnen vorbei. Er geht am Stock, zieht ein Bein nach. Vielleicht ein kriegsversehrter Veteran.

Oberst Dragutin Dimitrijević lässt sich auf einer nahen Bank nieder. Er ist siebenunddreißig Jahre alt und Chef des serbischen Militärgeheimdienstes. Sein Gesprächspartner sieht sich um, um sich zu vergewissern, dass niemand sie beobachtet. Es ist Vojislav Tankosić, zweiunddreißig Jahre alt, Major der serbischen Armee und ehemaliger Tschetnik im Kampf gegen die Osmanen.

Tankosić ist nervös. Er weiß, dass die Österreicher Spitzel in Belgrad unterhalten. Auch die eigene serbische Regierung soll nichts von dem wissen, was sie hier zu besprechen haben. Sein misstrauischer Blick liegt auf dem Rücken des humpelnden Alten, der sich langsam entfernt.

»Nun setz dich schon, und steh nicht so rum«, brummt Dimitrijević. »Hier kann uns niemand belauschen. Also beruhige dich.«

Beide Männer tragen Schnauzbärte im Gesicht, mit gewachsten, hochgezwirbelten Enden, wie es Mode ist. Aber damit endet jede Ähnlichkeit. Dimitrijević ist ein Bär von einem Kerl. Nicht besonders groß, aber mit ausladenden Schultern, einem Brustkasten wie ein Fass, kräftigen Oberarmen und einem breiten Schädel, auf dem nur noch spärlich Haare wachsen. Seit Studententagen hängt ihm der Spitzname Apis an – der geheiligte Stier von Memphis in der altägyptischen Mythologie.

Vojislav Tankosić dagegen ist hochgewachsen und äußerst schlank. Seine Wangen sind so hohl, dass man denken könnte, er hätte seit Wochen nichts Vernünftiges zu essen bekommen. Davon abgesehen ist er ein gut aussehender Mann mit dichtem schwarzen Haar, einer, dem auf der Straße die Frauen nachschauen.

Beide sind Mitglieder des berüchtigten nationalistisch-serbischen Geheimbundes, der Schwarzen Hand. Tankosić gehört zur Führungsebene. Dimitrijević ist mehr als das, er ist Mitbegründer und Anführer der Vereinigung. Mit ihm ist nicht zu spaßen, wie Tankosić weiß. Der Mann ist kaltblütig berechnend und ohne Skrupel. Vor elf Jahren waren sie beide an der Ermordung des serbischen Königs Aleksandar Obrenović beteiligt, der wegen seiner österreich-freundlichen Haltung unbeliebt gewesen war. Die Verschwörer waren nachts in den Palast eingedrungen, hatten den König und seine Frau mit unzähligen Kugeln erschossen, die Leichen mit Säbeln fast zerstückelt und anschließend aus dem Fenster geworfen. Nein, mit Dimitrijević ist nicht zu spaßen.

»In Albanien geht’s ziemlich rund«, sagt Tankosić. »Hast du gelesen, was über Durazzo in den Zeitungen steht?«

»Wozu brauche ich Zeitungen? Ich bin Leiter des Geheimdienstes. Ich bin schneller und besser informiert als jeder Schreiberling.«

»Natürlich. Will nur sagen, dass die Österreicher und Italiener jetzt Kriegsschiffe in Stellung gebracht haben. Die schießen die moslemischen Rebellen zusammen.«

Dimitrijević zuckt mit den Schultern. »Hab doch gleich gesagt, dass nichts wird mit diesem Bauernaufstand. Die Alliierten lassen ihren deutschen Fürsten nicht fallen. Aber selbst wenn sie diesen Aufstand niederschlagen, ist die Lage für uns Serben nicht besser geworden.« Er gähnt und reibt sich übers Gesicht, als wäre er noch nicht ganz wach. »Aber das soll uns nicht weiter kümmern. Wie geht es deinen Jungs?«

»Sie sind aufgeregt. Verständlich, unter den Umständen. Ist der Besuch des Thronfolgers immer noch sicher für den Achtundzwanzigsten?«

»Ja. Daran hat sich nichts geändert.« Dimitrijević starrt lange auf seine Fingernägel. »Hör zu«, sagt er schließlich. »Ich weiß, du hast die Burschen rekrutiert. Aber ich habe jetzt doch Zweifel bekommen. Ich denke, wir sollten die Sache abblasen.«

»Bist du verrückt? Es ist eine einmalige Gelegenheit. Die dürfen wir uns nicht entgehen lassen. Ein solcher Schlag wird die k. und k. Monarchie erschüttern, vielleicht sogar stürzen.«

»Ich weiß. Aber deine Kerle sind blauäugige dumme Jungs. Schüler, verdammt noch mal!«

»Du kennst doch Danilo Ilić. Der ist mit ihnen befreundet und kennt sie gut. Er bürgt für sie. Außerdem wird er die drei in Sarajevo führen, damit nichts schiefgeht.«

Dimitrijević nickt. »Nichts gegen Ilić. Der ist verlässlich. Aber die drei Jüngelchen, die das erledigen sollen … Wie heißen die noch mal?«

»Gavrilo Princip, Nedeljko Čabrinović und Trifko Grabež. Alle drei bosnische Serben, wie du weißt. Die hassen die Österreicher.«

»Das mag sein. Aber sie sind unerfahren. Die werden alles vermasseln. Daran wird auch Ilić nichts ändern. Außerdem kennen sie dich. Wenn man sie schnappt, werden sie dich als Ersten verraten. Ist dir das nicht klar?«

»Ich gebe ihnen Zyanidkapseln mit. Sie sind bereit zu sterben.«

»Bist du sicher?«

Tankosić nickt. »Alle drei. Sie wissen, dass sie keine Chance haben davonzukommen. Und keiner von ihnen will lebend gefasst werden. Es ist ein Todeskommando. Sie wissen das.«

»Ich frage dich noch einmal: Bist du dir da sicher?«

»Ich schwör’s! Ich hab es hundertmal mit ihnen durchgesprochen, hab ihnen die Kapseln gezeigt und erklärt, was sie tun müssen. Ich weiß, sie sind jung, aber sie sind glühende Patrioten und begierig, ihr Leben für die Sache zu geben. Für das serbische Volk. In ihnen lebt der Geist von Märtyrern.«

Dimitrijević schüttelt den Kopf und seufzt. »Im Kaffeehaus ist glühender Patriotismus nicht schwer, Vojislav. Im Gefecht sieht es dann anders aus. Da scheißen die Herren Pennäler sich in die Hose. Du warst selbst im Krieg. Du weißt, wie es ist. Wer will schon sterben?«

»Mach dir keine Sorgen, Dragutin. Ich lege meine Hand für die drei ins Feuer. Besonders für Gavrilo Princip. Der ist ihr Anführer, die anderen beiden tun, was er sagt. Alle drei haben sich schon an verschiedenen Protesten beteiligt. Den Princip haben sie in Sarajevo deswegen von der Schule geworfen. Vor zwei Jahren hat er sich bei den Tschetniks gemeldet, wollte unbedingt gegen die Osmanen kämpfen. Ich sage dir, der ist wild darauf, etwas zu unternehmen. Und so entschlossen, dass es zum Fürchten ist.«

»Wie alt ist der Knabe?«

»Neunzehn. Genau wie die anderen beiden.«

»Neunzehn?« Dimitrijević verdreht ungläubig die Augen. »Ich fasse es nicht. Die sind doch noch gar nicht stubenrein.«

»Die Jüngsten sind oft die Tapfersten. Du weißt das.«

»Ja, weil sie keine Ahnung von der Welt haben.«

»Herrgott noch mal, Apis! Die müssen doch nur mit der Pistole abdrücken und vielleicht ’ne Bombe werfen. Was soll daran so schwer sein?«

Dimitrijević blickt auf den Boden und schweigt.

»Da ist noch was, das du wissen solltest«, fährt Tankosić fort. »Ilić meint, Gavrilo ist lungenkrank und weiß, dass er nicht lange zu leben hat.«

»Ach, und deshalb ist es ihm egal, dass er dabei draufgeht?«

»Er will nicht abtreten, bevor er etwas Großes für Serbien getan hat.«

»Mmh.« Dimitrijević kratzt sich nachdenklich das Kinn. »Und die anderen beiden?«

»Die sind ebenso entschlossen. Čabrinović wurde in der Kindheit regelmäßig von seinem Vater verprügelt. Der Alte ist Feuer und Flamme für Österreich. Čabrinović will es ihm heimzahlen.«

Dimitrijević zischt verächtlich durch die Zähne. »Dumme Bengel! Ich wurde auch verprügelt und bin deshalb kein Märtyrer geworden.« Er schweigt eine Weile und überlegt. »Wenn wir mehr Zeit hätten, ihnen einen richtig guten Waffendrill zu verpassen …«

»Wir haben häufig geübt. Gavrilo hat sich als besonders guter Schütze erwiesen. Er ist körperlich nicht der Kräftigste, aber mit der Pistole kann er umgehen. Und Čabrinović soll eine Bombe werfen.«

»Und der Dritte?«

»Pistole. Zur Sicherheit an anderer Stelle entlang der Straße.«

»Die Route ist bekannt?«

Tankosić nickt. »Route und Protokoll wurden in allen Einzelheiten veröffentlicht.«

»Die machen es uns leicht.« Dimitrijević schüttelt den Kopf über die Dummheit der österreichischen Behörden. »Üb auf jeden Fall noch ein paarmal mit ihnen, bevor du sie in den Tunnel schickst.«

Damit meint er die geheime Untergrundorganisation von Vertrauensleuten der Schwarzen Hand, mittels der das Bündnis Männer und Waffen nach Kroatien, Bosnien oder Montenegro schmuggelt. Und mit deren Hilfe sie in die umgekehrte Richtung Männer in Sicherheit bringt, die von der Polizei verfolgt werden.

Tankosić spürt plötzlich Dimitrijević’ kalte Augen auf sich ruhen. »Eines muss dir klar sein, mein lieber Vojislav: Du bist mein Freund, und ich kenne deine feste Gesinnung. Aber unter der Folter redet so mancher. Geht die Sache schief und die Jungs werden geschnappt, dann werden wir alles abstreiten und keinen am Leben lassen, der direkt damit zu tun hatte. Wir können nicht zulassen, dass der Bund in Gefahr gerät, solltest du deine Aufgabe vermasseln. Haben wir uns verstanden?«

Tankosić muss schlucken, bevor er antworten kann. »Es wird alles so verlaufen, wie wir uns das wünschen, Apis. Ich verspreche es.«

Sarajevo, 8:02 Uhr, in einer Pension nahe der Altstadt

Durch einen Spalt zwischen den schweren Brokatvorhängen dringt grelle Morgensonne und zwickt Major Rudolf Markovic in die Nase. Er öffnet erst eines, dann das andere Auge. Sein Kopf schmerzt vom Champagner der vergangenen Nacht, und die Zunge fühlt sich pelzig an. Das sind die ersten Wahrnehmungen.

Zu seiner Verwunderung liegt eine weibliche Hand auf seiner Brust. Und auf dem Oberschenkel ein nacktes Bein. Dabei gehören die Gliedmaßen nicht zur gleichen Person. Er kann sich überhaupt nicht erinnern, wem zum Teufel sie gehören. Vom Nachttisch her hört er seinen Wecker ticken. Ein Blick darauf lässt ihn erschrecken, als ihm dumpf klar wird, dass er verschlafen hat. Er muss vergessen haben, das Ding zu stellen.

»Verdammte Scheiße!« Er schiebt die fremde Hand von seiner Brust. »Huber!«, brüllt er. »Beweg deinen Arsch her! Aber dalli!«

Er lässt den Kopf aufs Kissen sinken und versucht, sich zu erinnern, wie viel er gestern getrunken hat. So wie sein Schädel brummt, kann es nicht nur der Champagner gewesen sein. Ich muss mal wieder mit dem Slibowitz übertrieben haben, denkt er zerknirscht. Damit machen sie uns am Ende fertig, diese Bosnier. Mit ihrem verfluchten Slibowitz.

Die nackte Frau, der die Hand gehört, stöhnt schlaftrunken und dreht ihm den hübschen Hintern zu. Die zweite lässt ihr Bein, wo es ist, und drängt sich noch enger an ihn. Ihr Gesicht mit den geschlossenen Augen kommt ihm bekannt vor. Etwas regt sich in ihm. Er ist versucht, die süße Bekanntschaft zu erneuern. Aber da ist der Wecker, der vorwurfsvoll tickt. Auf einmal dämmert es ihm: Die beiden sind Tänzerinnen des einzigen Kabaretts der Stadt, das diesen Namen verdient. Er hat sie nach der Vorstellung aufgegabelt und mit nach Hause genommen. Die Blonde ist aus Wien, wie sie behauptet, die andere aus der ungarischen Provinz. Jedenfalls ihrem Akzent nach zu schließen.

»Huber!«, brüllt er noch mal. »Wo zum Teufel steckst du?«

Die vollbusige Blonde setzt sich auf und blinzelt ihn an. »Was schreist du denn so, Schatzi?«

»Nix Schatzi! Zeit, dass wir alle aus den Federn kommen.«

Er setzt sich auf und reibt sich die stoppeligen Wangen. Die alte Wirtin der Pension, in der er logiert, drückt, was Damenbesuche angeht, beide Augen zu. Schließlich verdient sie sich durch stundenweises Vermieten ihrer Zimmer selbst gern etwas dazu. Meist an liebeshungrige Leutnants der österreichisch-ungarischen Armee. Also lässt sie ihm alle Freiheiten, solange er es nicht übertreibt oder sie wegen Kuppelei anzeigt.

Alois Huber, der sein Zimmer nebenan hat, steckt den Kopf durch die Tür. »Sie wünschen, Herr Major?«

»Warum, zum Teufel, hast du mich nicht früher geweckt? Ich muss in weniger als dreißig Minuten im Hauptquartier sein. Hast du wenigstens die andere Uniform ausgebürstet und die Stiefel gewienert?«

»Hab ich. Soll ich Sie rasieren, Herr Major?«

»Mach ich selber.« Markovic springt splitternackt aus dem Bett. Und bereut es gleich, als ihm bei der heftigen Bewegung der Schmerz durchs Hirn zuckt. Verdammte Sauferei! Aber dann reißt er sich zusammen. »Ihr beiden Hübschen macht euch jetzt aus dem Staub«, sagt er. »Danke für den schönen Abend. War mir eine Ehre.«

Die Mädchen studieren aufmerksam seine Nacktheit. Wie Katzen, die Fliegen fangen. Aber das stört ihn nicht weiter. Ist schließlich nicht das erste Mal, dass Frauenaugen ihn wohlgefällig betrachten. Er gibt jeder einen Kuss auf die Wange, dann tritt er zur Kommode mit dem Waschbecken und dem Spiegel. Markovic ist ein gut aussehender Mittdreißiger mit dunklem Haar und einem Grübchen im Kinn. Seine Augen sind heute Morgen etwas glasig und gerötet. Ansonsten sieht man ihm den Kater nicht an. Er schäumt den Rasierpinsel ein.

Huber, der junge Offiziersdiener, lungert derweil im Zimmer herum, den Blick fest auf die beiden nackten Frauen gerichtet. Seine Gegenwart hindert sie nicht daran, sich beim Anziehen ungeniert Zeit zu lassen. Im Gegenteil. Es scheint ihnen Spaß zu machen, dass der Bursche mit offenem Mund dasteht und die Augen nicht von ihren Brüsten lassen kann.

»Hör auf, die Weiber anzustarren!«, schnauzt Markovic. »Hol mir lieber die Uniform.«

»Zu Befehl!«, murmelt Huber widerstrebend und verlässt mit rotem Kopf und einem sehnsüchtigen Blick das Zimmer. Die Mädchen kichern.

Markovic wischt die letzten Schaumspuren von den Wangen und kämmt sich das militärisch kurz geschnittene Haar. Er kleidet sich hastig an, bindet sich die Uhr ums Handgelenk und wirft einen nervösen Blick darauf. Es ist eine jener noch seltenen, eigens für Flieger gefertigten Armbanduhren, eine Santos von Cartier, Geschenk seines Vaters, auf das er sehr stolz ist. Wesentlich praktischer als die üblichen Westentaschenuhren, besonders für einen Militär.

Noch zwanzig Minuten. Das dürfte reichen. Trotzdem Zeit, sich auf den Weg zu machen. Ein letzter kritischer Blick in den Spiegel. Markovic ist wie immer glatt rasiert, in perfektem Uniformschick und blank polierten Reitstiefeln. Auch wenn er sich in seiner Freizeit gern ausschweifenden Vergnügungen hingibt – schließlich ist er Junggeselle –, vieles beim Militär nicht so tierisch ernst nimmt und auch seinem Burschen einiges durchgehen lässt, so hört bei drei Dingen der Spaß auf: Das sind seine Ehre als Offizier, die Sorgfalt, mit der er die beruflichen Pflichten erfüllt, und nicht zuletzt seine militärische Garderobe. Nie würde er es sich erlauben, anders als in tadelloser Uniform in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Das ist ihm seit der Kadettenschule eingebläut worden. Und er hält sich daran.

Ungeduldig dreht er sich zu den beiden Hübschen um, die es mit dem Anziehen nicht besonders eilig haben. Eine ist noch im Unterrock und sucht nach ihren Schuhen. Die Blonde zwängt sich gerade in ihr eng geschnittenes Kleid vom Vorabend und hat Mühe, den üppigen Busen unterzubringen.

»Ich muss jetzt los«, sagt er. »Ich kann nicht auf euch warten. Seid bitte leise, wenn ihr geht. Die Alte unten macht mir sonst Scherereien.«

»Versprochen, Schatzi«, sagt die Blonde und wirft ihm eine Kusshand zu. »War schön mit dir. Lass dich mal wieder sehen.«

»Sicher doch«, murmelt er abwesend und ruft noch mal seinen Burschen ins Zimmer. »Du kümmerst dich bitte um die Damen.«

Huber nickt eifrig. Er weiß, was erwartet wird. Er soll darauf achten, dass die Mädchen möglichst bald und diskret das Haus verlassen und vor allem nichts aus Markovic’ Zimmer mitgehen lassen. Nicht, dass es dort besonders Wertvolles gibt. Aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Huber lässt sich auf einem Stuhl nieder und grinst der Ungarin zu, die nun endlich ihre Schuhe gefunden hat.

Markovic schüttelt den Kopf und verlässt das Appartement. Er steigt die Treppe hinunter, am Frühstückszimmer vorbei, und tritt vor die Tür der Pension. Auf der Straße bleibt er kurz stehen, um erst mal tief durchzuatmen, denn die frische Morgenluft wirkt wie Balsam auf die Kopfschmerzen. Sein Blick wandert zum schlanken Minarett der nahen Gazi-Husrev-Beg-Moschee, das sich blendend weiß vor dem strahlend blauen Himmel abhebt. Die Luft ist mild, die Berge ringsum leuchten in sattem Sommergrün. Es verspricht ein schöner Tag zu werden. Markovic sieht noch einmal auf die Uhr und macht sich auf den Weg.

Die Pension, in der er logiert, liegt etwas nördlich vom alten Basar. Es ist ungewöhnlich für einen k. u. k. Offizier, im moslemischen Teil der Stadt zu wohnen, aber Markovic findet es hier interessanter als in den neuen, modernen Vierteln westlich der Altstadt, wo seit der österreichischen Besetzung im Jahre 1878 viele Wohn- und Amtsbauten entstanden sind, Schulen, Kasernen und Offizierskasinos. Von der Pension bis zum Hauptquartier der Militärverwaltung im Konak, dem einstigen türkischen Gouverneurspalast auf der südlichen Seite des Flusses, ist es nicht weit. Auch ein Grund, warum Markovic die Pension gewählt hat, denn als Chef des Militärgeheimdienstes von Bosnien-Herzegowina belegt er im Konak eine kleine Flucht von Räumen.

Sein Weg führt mitten durch die Baščaršija, den türkischen Basar der Altstadt. Er liebt es, über den Basar zu wandern. In den schmalen Gassen herrscht wie immer das Treiben eines geschäftigen Wochentages, das unablässige Stimmengewirr vieler Menschen, übertönt von den Rufen der Händler, die ihre Waren anpreisen. Hier gibt es immer etwas Interessantes zu sehen, auch wenn im Augenblick die Zeit drängt.

In einem Bereich des Basars werden Obst und Gemüse angeboten, in einem anderen Fleisch und Flussfische. Da sind die Gassen der Brokatsticker, der Gerber und der Goldschmiede. Aus winzigen Werkstätten klingt das Hämmern der Kesselflicker und Schuhmacher. Menschen jeglichen Standes, jeglicher Herkunft und Religion wandern an den offenen Läden vorbei, meist klapprige Buden aus Holz mit Verschlägen, die sich zur Gasse hin öffnen und so vollgestopft sind mit Waren, dass man meinen könnte, sie würden unter der Last zusammenbrechen. Alles gibt es hier zu kaufen, das Nötige und das Unnötige, das Edle und das Profane. Gebrauchte Kleidung oder neue, aus feinem Tuch. Bestickte Kissen, Seidentücher, Ketten aus Glasperlen, Bernstein- und Silberschmuck, Rosenkränze, Koran oder Bibel. Händler schmeicheln und umgarnen Kunden, die das Angebot kritisch betasten und beäugen und lautstark um den besten Preis feilschen. Darunter Frauen bei ihren täglichen Einkäufen, nicht selten nach osmanischer Tradition gekleidet, weite Pluderhosen, darüber die Feredza, ein unförmiges Gewand, das jegliche Körperform verbirgt, und um dem Kopf ein langes Tuch, das nicht viel mehr als Augen und Nasenspitze erkennen lässt.

Markovic schiebt sich an einem Bauern vorbei, der ein Pferd hinter sich herzieht, macht einer Christin in kurzer Weste Platz, ebenso einem ehrwürdigen Popen mit langem Bart, der nicht auf den Weg achtet, weil er sich angeregt mit einem Mönch unterhält. Ein kleiner Junge steht allein in der Menge und schreit zum Erbarmen, bis die Mutter auftaucht und ihn auf den Arm nimmt. Es herrscht ein Gedränge und Geschiebe zwischen den Buden, schnell kommt man nicht voran. Den vielen Garküchen entströmt schon jetzt am Morgen ein Geruch von Knoblauch und gegrilltem Hammelfleisch, ein Geruch, der in Markovic’ verkatertem Magen ein Gefühl von Übelkeit hervorruft. Vor einem Kaffeehaus ist ein heftiger Streit zwischen zwei Männern entbrannt. Ein dritter versucht, sie auseinanderzuhalten. Zum Glück sind zwei Beamte der städtischen Polizei zur Stelle, leicht zu erkennen an ihrer blauen Uniform mit dem roten Fez.

In einer Nische, neben einem Händler für Geschirr und Tongefäße, hockt ein alter Muslim auf einem abgewetzten Teppich. Sein Bart ist weiß, das braune Gesicht voller Runzeln, auf dem Kopf sitzt ein speckiger Turban. Neben dem Mann steht eine Schubkarre, in der sich Wasserschlauch und Zuckerdose, ein Säckchen mit Kaffeebohnen, eine alte Handmühle und ein Stapel winziger, einfachster Steinguttassen befindet. Auf dem Kohlebecken vor ihm summt eine rußgeschwärzte Kupferkanne und verbreitet einen herrlichen Duft nach türkischem Kaffee. Markovic bleibt stehen. Für einen Kaffee muss Zeit sein, beschließt er. Besonders nach durchzechter Nacht. Soll Potiorek verdammt noch mal warten.

Der Alte schaut auf und schenkt ihm ein zahnloses Grinsen. »Guten Morgen, Efendi«, sagt er in schauderhaftem Deutsch. »Ein Tässchen Mokka? Wie immer?«

Markovic nickt und kramt in der Hosentasche nach einer Münze. Natürlich gibt es auf dem Basar richtige Kaffeehäuser, in denen man auf bequemen Kissen verweilen kann, aber Markovic hat es heute eilig. Außerdem mag er den Alten. Vielleicht, weil er arm ist und sich hier ein paar Kronen verdient, um zu überleben. Und sein Kaffee ist nicht schlechter als anderswo.

Der Alte lässt die Münze verschwinden, nimmt einen Topflappen, um sich nicht zu verbrennen, greift mit seiner großen, schwieligen Rechten, die von lebenslanger harter Arbeit zeugt, zur Kanne, nimmt mit der Linken eine saubere Tasse vom Stapel und gießt schwungvoll ein. Dann reicht er Markovic lächelnd und mit einer salbungsvollen, fast unterwürfigen Bewegung das dampfende Tässchen, ganz so, als handele es sich um etwas wundervoll Kostbares. Und das ist es auch. Markovic nimmt den ersten vorsichtigen Schluck von dem süßen Gebräu und fühlt sich gleich besser.

»Hvala! Danke!«, sagt er und zwinkert dem Alten zu.

Der lacht und erwidert etwas Unverständliches auf Bosnisch.

Die Sprache ist immer noch die größte Barriere, denkt Markovic. Auch für seine Arbeit. Bosnisch und Serbisch sind praktisch identisch. Vielleicht sollte er sich endlich mal dranmachen, die Sprache zu lernen. Obwohl nicht wenige Bosnier inzwischen Deutsch sprechen. Schließlich ist es Amtssprache in Bosnien und Herzegowina.

Markovic ist bereits seit drei Jahren auf diesem Posten in Sarajevo und hat sich immer noch nicht ganz an die erstaunliche Mischung aus West und Ost gewöhnt, an diese Stadt, in der christliche Kirchenglocken neben dem Ruf des Muezzins erklingen, wo man Rabbiner im Gespräch mit bärtigen orthodoxen Priestern antrifft. Ein ungewöhnliches Nebeneinander europäischer Moderne und türkischer Tradition. Sarajevo ist eine Stadt der Gegensätze und der Widersprüche.

Zwei Soldaten in österreichischen Uniformen grüßen ihn im Vorbeigehen. Die müssen heute Ausgang haben. Überhaupt ist wegen der anstehenden Manöver viel Militär in der Stadt. Das lenkt Markovic’ Gedanken unweigerlich auf den Besuch des Thronfolgers und die damit verbundenen Risiken. Denn so friedfertig der Basar sich gibt – in Sarajevo ist nicht alles eitel Sonnenschein. Besonders die bosnischen Serben sorgen für Unruhe. Von den Muslimen seit Jahrhunderten klein gehalten, sehen sie auch in Österreich nur den Unterdrücker. Ständig gibt es Aufruhr in der Stadt, Protestmärsche und Prügeleien mit der Polizei. Attentatsversuche gegen österreichische Amtsträger hat es auch schon gegeben. Serbien selbst mischt hier kräftig mit, das weiß er aus seiner Geheimdiensttätigkeit. Die Stadt ist voller Dunkelmänner und Spitzel. Darunter nicht zuletzt auch Markovic’ eigene Spione.

Ein Blick auf die Uhr, dann trinkt er aus und gibt seine Tasse zurück. Ein paar Schritte weiter biegt er in die Franz-Josef-Straße ein, die zum Appel-Kai und der Miljacka führt, dem Fluss, der Sarajevo in zwei lange Hälften teilt. An der Ecke, beim Feinkostladen Schiller, bleibt er stehen, um ein Pferdefuhrwerk vorbeizulassen, dann überquert er die Straße und betritt die Lateinerbrücke, die den Fluss überspannt. Wenig später erreicht er den Konak, einen dreistöckigen Bau neutürkischer Architektur mit hohen Fenstern und einer breiten Treppe, die zum Eingangsportal führt. Hier gehen österreichische Beamte und Offiziere ein und aus. Einige grüßen ihn. Leichtfüßig eilt er die Treppe hinauf und verschwindet im Innern des Gebäudes.