Lise Bourbeau

Höre auf deinen Körper und vergiss dein Gewicht

Bauchgefühl statt Selbstkontrolle

Aus dem Französischen übertragen
von Claudia Seele-Nyima

Wichtiger Hinweis

Titel der Originalausgabe:

Übertragen aus dem Französischen von Claudia Seele-Nyima

Windpferd Taschenbuch

3. Auflage 2018

Vollständige Taschenbuchausgabe der im Windpferd Verlag erschienenen Erstausgabe Vertraue, iss und beende die Kontrolle

© 2014 Windpferd Verlagsgesellschaft mbH, Oberstdorf

Printed in Germany

Inhalt

Dank

Einführung

Kapitel 1
Warum so viel Kontrolle?

Was ist Kontrolle?

Die Verbindung zwischen Kontrolle und Seelenwunden

Kontrolle, Angst, Überzeugungen und Seelenwunden

Die Aktivierung einer Wunde

Die Wunde der Ablehnung

Die Wunde des Verlassenwerdens

Die Wunde der Demütigung

Die Wunde des Vertrauensbruchs

Die Wunde der Ungerechtigkeit

Sich das Ausmaß der Kontrolle bewusst machen

Kapitel 2
Die Verbindung zwischen Kontrolle und Ernährung

Der Einfluss des Verhaltens der Mutter

Die Wunde der Ablehnung und die Ernährung

Die Wunde des Verlassenwerdens und die Ernährung

Die Wunde der Demütigung und die Ernährung

Die Wunde des Vertrauensbruchs und die Ernährung

Die Wunde der Ungerechtigkeit und die Ernährung

Die Auswahl der Nahrung

Verschiedene Arten des Essverhaltens

Kapitel 3
Kennst du die Bedürfnisse deines Körpers?

Die sechs Nährstoffe

Das Kauen

Langsam essen und schmecken

Dem eigenen Körper geben, was er braucht

Hungrig sein, aber nicht wissen, was man essen soll

Kapitel 4
Dich selbst anhand deiner Ernährung erkennen

Ein tägliches Ernährungsprotokoll führen

Sechs weitere Beweggründe, etwas zu essen oder zu trinken

Die Verbindung zwischen Tagesereignissen und dem Beweggrund

Interpretation der fünf Beweggründe

Zwanghaftes Essen

Rückblick

Kapitel 5
Ernährung und Gewicht

Der Einfluss der Wunde der Ablehnung auf das Gewicht

Der Einfluss der Wunde des Verlassenwerdens auf das Gewicht

Der Einfluss der Wunde der Demütigung auf das Gewicht

Der Einfluss der Wunde des Vertrauensbruchs auf das Gewicht

Der Einfluss der Wunde der Ungerechtigkeit auf das Gewicht

Zusammenfassung

Sich wiegen oder lieber nicht?

Selbsthilfegruppen zur Gewichtsreduktion beitreten

Bewusster werden und zunehmen

Plötzliche Gewichtszunahme

Kapitel 6
Loslassen und Ernährung

Das Idealgewicht

Die täglichen Bedürfnisse variieren

Die Bedürfnisse anderer respektieren

Konflikte bei den Mahlzeiten vermeiden

Wissen, wann du hungrig bist und wann du keinen Hunger mehr hast

Das essen, was du gerne magst

Das essen, was du nicht gerne magst

Allergien und Lebensmittelunverträglichkeiten

Angst vor dem Hunger zwischendurch

Abwechslungsreich essen

Natürliche Ernährung

Sportliche Betätigung zur Entgiftung des Körpers

Die Atmung

Licht, Energie und Dank

Wissen, ob etwas gut für dich ist

Bulimie

Binge-Eating

Anorexie (Magersucht)

Zwanghaftes Verhalten

Kapitel 7
Uns in dem, was wir gewählt haben, akzeptieren und lieben

Deine Wunden entdecken

Wunden heilen

Emotionen und Beschuldigungen

Schuldgefühle

Ängste um sich selbst

Verantwortung

Frieden mit den Eltern schließen

Sein, was du sein willst

Dein Gewicht akzeptieren

Das Gewicht anderer akzeptieren

Auf die Bedürfnisse deiner drei Körper hören

Meditation

Dich respektieren und lieben

Transformation und physische Heilung

Zusammenfassung und Fazit

Das Protokoll ausfüllen

Ein kleiner Rat für Perfektionisten

Fazit

Lise Bourbeau

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Dank

Es fällt mir sehr schwer, anlässlich dieses Buches nur einigen wenigen zu danken. Angespornt von meiner Leidenschaft für dieses Thema, erforsche ich es seit fast dreißig Jahren. Ich habe unzählige Berichte von Menschen aus verschiedenen Ländern, unterschiedlichen Kulturen und jeden Alters gesammelt, sowohl in meinem Privatleben als auch beruflich.

Für meine Recherchen habe ich aus diversen Quellen geschöpft, bin aber vor allem ausgehend von meinen eigenen Erfahrungen wie auch denen vieler anderer Menschen zu einer Synthese gelangt. Mein Dank gilt euch allen, die ihr mir geholfen habt – oft genug, ohne es zu beabsichtigen oder euch dessen bewusst zu sein!

Ich möchte dennoch all jenen danken, die zum Zustandekommen dieses Buches beigetragen haben. Die Idee dazu schlugen mir zuerst zwei Workshop-Veranstalter in der deutschsprachigen Schweiz mit großer Begeisterung vor (danke Stella und David!). Als ich ihnen erzählte, was ich in den vielen Jahren aus meiner Ernährung gelernt und welche allgemeinen Schlüsse ich daraus gezogen hatte, gaben sie sich alle Mühe, mich zu motivieren, dieses Buch noch schneller zu schreiben. Sie haben mir zu der Erkenntnis verholfen, dass dies eigentlich schon seit geraumer Zeit von mir gefordert wurde, ohne dass ich es besonders beachtet hätte.

Mir liegt daran, meinen beiden Korrektorinnen Micheline St.-Jacques und Nathalie Thériault für ihre ausgezeichnete unterstützende Arbeit zu danken.

Ein großes Dankeschön auch an Jean-Pierre Gagnon, den Leiter meines Verlages, für die wertvolle Zusammenarbeit und seinen ausgezeichneten Einsatz bei der Realisation dieses Buches.

Mein unendlicher Dank gilt Monica Shields, meiner Tochter und Leiterin der Schule ÉCOUTE TON CORPS INTERNATIONAL, für ihre ausgezeichneten Vorschläge nach der Lektüre der ersten Rohfassung des Buches. Ich danke ihr außerdem für ihre bemerkenswerte Kreativität beim Design der Titelseite wie auch beim Layout des Buches.

Einführung

Achtundzwanzig Jahre, nachdem ich meine Schule des Lebens Écoute Ton Corps gegründet habe, ist mir nun das Vergnügen vergönnt, mich mit euch über all das zu unterhalten, was wir aus unserer Ernährung über uns selbst lernen können. 1981, ein Jahr, bevor ich meine Schule eröffnete, kam ich auf die Idee, alles, was ich aß und trank, aufzuschreiben, weil ich meine Ernährung für die Ursache meiner Gewichtszunahme (zehn Kilo) hielt. Zu jener Zeit war ich weit davon entfernt zu erkennen, dass diese Entscheidung mein Leben von Grund auf ändern würde. Es war eine unvergessliche Erfahrung, und vor allem war es der Auslöser für den Übergang von der Welt des Geistes zur Welt des Spirituellen.

In den fünfzehn Jahren, die Écoute Ton Corps vorausgingen, war die geistige Dimension sehr wichtig für mich. Da ich im Bereich des Verkaufs tätig war, ermunterten mich meine Vorgesetzten dazu, mich für positives Denken zu interessieren. Damals schien dies ein sehr wichtiges Erfolgskriterium im geschäftlichen Bereich zu sein. Ich hatte mir daher angewöhnt, mich beim geringsten Problem, mit dem ich konfrontiert wurde, im Geiste zu konditionieren. Trotz der guten Ergebnisse, die ich durch eine solche Selbstprogrammierung erzielte, erkannte ich nicht, dass ich fortwährend wieder von Neuem begann. Ich drang nicht unmittelbar zum Kern des Problems vor. Es gelang mir allenfalls, es dank meiner geistigen Programmierung zu kontrollieren.

In den Monaten nach meiner Entscheidung, alles, was ich am Tag aß und trank, aufzuschreiben, erlangte ich mein natürliches Ausgangsgewicht zurück – ohne jegliche Kontrolle meinerseits. Ich entdeckte, dass alles, was ich über mich selbst gelernt hatte, sehr viel wichtiger für mich war als das Lösen meines Gewichtsproblems. Dank der Untersuchung meiner Essgewohnheiten war ich mir endlich dessen bewusst geworden, wer ich war, ebenso wie mehrerer meiner Ängste und Überzeugungen. Ein weiteres sehr schönes Geschenk, das sich aus diesen Forschungen anhand meiner Ernährung ergab, war es festzustellen, dass in den Monaten, die auf diese Arbeit folgten, zahlreiche meiner langjährigen Beschwerden verschwanden.

Und in diesem Moment wurde mir klar: Dadurch, dass ich auf meine Nahrungsbedürfnisse hörte, eröffnete sich mir die Möglichkeit, gleichzeitig auch auf meine emotionalen und geistigen Bedürfnisse zu hören. Ich entdeckte, dass wir die drei Körper nicht voneinander trennen können und dass die Arbeit an einem Körper sich automatisch auch auf die anderen beiden Körper auswirkt. Aus diesem Grund verschwanden meine Beschwerden. Dies war der Ausgangspunkt für meine Schule des Lebens Écoute Ton Corps – „Höre auf deinen Körper“.

Achtundzwanzig Jahre später habe ich mich daher auf Bitten der stetig wachsenden Anzahl der Workshop-Teilnehmer von „Écoute Ton Corps“ und auch, damit meine zahlreichen Leserinnen und Leser Nutzen daraus ziehen können, entschlossen, dieses Buch zu schreiben. Du wirst alles darin finden, was ich im Lauf meiner Erfahrung gelernt habe, wie auch die Erfahrungen anderer, die diesen Prozess ebenfalls durchlaufen und mir ihre Ergebnisse mitgeteilt haben.

Zur Information möchte ich erwähnen, dass ich meine Leser nach wie vor duzen werde. Dies hilft mir, eine vertraute und einfühlsame Kommunikation aufzubauen.

Ich möchte klarstellen, dass es nicht Ziel dieses Buch ist, dir dabei zu helfen, bestimmte Regeln der „richtigen Ernährung“ anzuwenden. Es gibt ein ganzes Arsenal sehr guter Bücher zu diesem Thema. Mein Ziel ist es vielmehr, dir zu helfen …

herauszufinden, auf welche dir eigene Art und Weise du dich kontrollierst und in welchem Ausmaß;

dir deiner Ernährungsweise besser bewusst zu werden;

die Verbindung herzustellen zwischen deiner Ernährung und dem, was du auf emotionaler, geistiger und spiritueller Ebene lebst;

zu entdecken, warum es so schwierig ist, auf deine wahren Bedürfnisse zu hören;

schnell die Seelenwunden zu erkennen, die dich daran hindern, dich gut zu nähren, auf physischer wie auf psychischer Ebene;

dahin zu gelangen, systematisch auf die Bedürfnisse deines Körpers zu hören, bevor du etwas verzehrst,

dich selbst in deinem physischen Körper und vor allem in dem, was du in jedem Augenblick bist, zu lieben und anzunehmen.

Viel Freude beim Lesen!

Kapitel 1

Warum so viel Kontrolle?

Ein Mensch, der sich im Leben nicht kontrolliert, erlaubt sich, ganz er selbst zu sein – sei es im positiven oder im negativen Sinne. Er bewertet sich nicht. Er klagt sich selbst nicht an. Er akzeptiert sich selbst so, wie er ist, in jedem Moment des täglichen Lebens.

Unsere Art zu leben wird gleichzeitig in unserem geistigen, emotionalen und physischen Körper widergespiegelt. Da der physische Körper für uns besonders greifbar und sichtbar ist und eher in unser Bewusstsein dringt, ist er der Körper par excellence, auf den wir uns verlassen können, um festzustellen und zu erfahren, was in den beiden anderen, subtileren Körpern vor sich geht.

Kontrolle, die wir alle in unterschiedlichem Ausmaß und in verschiedenen Situationen ausüben, beginnt auf der psychischen Ebene. Da wir die drei Körper, die unsere materielle Hülle bilden, nicht voneinander trennen können, spiegelt sich diese – geistige oder emotionale – Kontrolle bald in unserer physischen Welt wider, darunter auch in der Ernährung. Wenn du zum Beispiel auf Schokolade verzichtest, meinst du vielleicht, es handle sich nur um eine körperliche Kontrolle. Sei jedoch eines Besseren belehrt: Sie geht weit über das Körperliche hinaus und vollzieht sich gleichzeitig auf den anderen Ebenen.

Das Ziel der ersten beiden Kapitel dieses Buches ist es daher, dass du dir der verschiedenen Arten der Kontrolle bewusst wirst, die du einsetzt, und der Frage nachzugehen, wie sie deine Ernährung beeinflussen.

Was ist Kontrolle?

Sich selbst zu kontrollieren oder andere kontrollieren zu wollen heißt überwachen, auf der Lauer sein. Insgesamt bedeutet es, beherrschen zu wollen und unser Ego um jeden Preis den Sieg davontragen zu lassen. Es ist nämlich unser Ego, das all unsere Ängste nährt und uns gemäß seinen Anschauungen handeln und reagieren lässt, in der Gewissheit, es sei besser so für uns. Leider weiß unser Ego nicht, dass wir jedes Mal, wenn eine Angst uns lenkt, nicht mehr wir selbst sind und nicht mehr auf unsere wahren Bedürfnisse hören. Da das Ego mittels unserer geistigen Energie geschaffen wurde, existiert und weiterlebt, besteht es nur aus Erinnerung, und daher kann es auch nur in der Vergangenheit leben. Es ist ihm nicht möglich, die Bedürfnisse unseres Wesens in der Gegenwart zu kennen.

Darum ist es so wichtig, dass wir uns bewusst machen, was unser Leben lenkt, und dass wir erkennen, wo wir in den Zustand des Kontrollierens geraten sind. Darüber hinaus hilft uns die jeweilige Kontrollart, auf die wir zurückgreifen, eine unserer Seelenwunden bewusst zu erkennen.

Die Verbindung zwischen Kontrolle und Seelenwunden

Ich möchte also die Art der Kontrolle gemäß der Wunde aufführen, die jeweils aktiviert wird. Für diejenigen, die nicht mit den fünf an der Schule Écoute Ton Corps gelehrten wichtigsten Seelenwunden vertraut sind, seien sie hier noch einmal genannt: ZURÜCKWEISUNG, VERLASSENWERDEN, DEMÜTIGUNG, VERTRAUENSBRUCH und UNGERECHTIGKEIT. Jede Wunde ist mit einer unterschiedlichen Art, sich selbst oder andere zu kontrollieren, verknüpft.

Jedes Mal, wenn dein Leben nicht in Freude, Glück, Frieden und Harmonie verläuft – also bei jedem unangenehmen Gefühl, jeder Angst, jedem Unbehagen, jeder Krankheit, sei es auf körperlicher, emotionaler oder geistiger Ebene – ist dies ein Hinweis darauf, dass eine deiner Wunden aktiviert worden ist und du darauf reagierst. Du bist nicht mehr du selbst; diese Wunde, die berührt wird, bewirkt, dass du eine Maske anlegst – bei jeder Wunde eine andere. Wir tragen diese Maske und meinen, dadurch davor geschützt zu sein, den mit der Wunde einhergehenden Schmerz zu empfinden. Mehr über solche Masken und Seelenwunden im Allgemeinen erfährst du in meinem Buch zu diesem Thema.1

Ich rufe dir in Erinnerung, dass wir alle mit den meisten der fünf Wunden geboren werden, doch sind sie bei jedem unterschiedlich stark ausgeprägt. Diese Wunden hindern die Seele daran, in die Vereinigung mit dem Geist, die vollkommene Harmonie des Seins zurückzukehren. Darum reinkarnieren wir uns unaufhörlich: um sie uns wieder bewusst zu machen, damit sie heilen können und uns so dabei helfen, wieder zu uns selbst zurückzufinden. Solche Wunden werden zunächst von unseren Eltern geweckt – oder von allen Personen, die für uns die Elternrolle übernommen haben –, und zwar von der Empfängnis an bis zum Alter von sieben Jahren. Später werden sie von jedem aktiviert, der dir irgendeine Begebenheit in Erinnerung ruft, die du mit deinen Eltern oder mit jenen, die ihre Stelle eingenommen haben, erlebt hast.

Denn wenn wir aufgrund einer oder mehrerer berührter Wunden reagieren, sind wir nicht mehr wir selbst, hören wir nicht mehr auf unsere wahren Bedürfnisse, sind also in den Zustand der Kontrolle geraten. Eine Überzeugung, die mit einer aktivierten Wunde verknüpft ist, beeinflusst uns dergestalt, dass wir auf eine Angst hin agieren, statt auf unsere Bedürfnisse zu hören.

Ich erinnere dich daran, dass jede Angst stets eine Angst um dich selbst ist. Wenn du davon überzeugt bist, Angst um jemand anderen zu haben, solltest du Folgendes wissen: Die wahre Angst ist jene, die du um dich hast, wenn du daran denkst, dass das, was du für den anderen befürchtest, eintritt.

Wenn wir meinen, Angst um jemand anderen zu haben, dann spielt uns unser Ego einen Streich, damit wir uns der wahren Ursache des Problems möglichst nicht bewusst werden. Hier ein Beispiel für eine solche Situation: Bei einem Paar aus meinem Bekanntenkreis war es so, dass die Ehefrau ihren Mann unaufhörlich daran erinnerte, was er essen sollte, wann er es essen sollte und wann er wieder aufhören sollte. Er litt an Diabetes und war übergewichtig. Sie kontrollierte außerdem seine Medikamente. Eines Tages trafen mein Mann und ich sie im Restaurant, als beide gerade von einer Kur in einer Diätklinik zurückgekehrt waren, um einige Kilo abzunehmen. Es war ihre erste „richtige“ Mahlzeit seit zwei Wochen. Als sie sah, wie er Wein trank, begann sie, ihm tadelnde Blicke zuzuwerfen (nonverbale Kontrolle). Dann zog sie ihm den Brotkorb weg und stellte ihn in möglichst weiter Entfernung von ihm ab. Ebenso verfuhr sie mit der Butter (Kontrolle auf physischer Ebene). Sie wagte nicht, das, was sie dachte, laut zu äußern (Kontrolle auf geistiger Ebene), doch der Zorn, den sie in ihrem Inneren aufstaute, war leicht zu spüren.

Was sie am meisten zu stören schien, war der Umstand, dass ihr Mann alles, was er aß und trank, in vollen Zügen genoss und vorgab, nichts zu bemerken. Beim Dessert angelangt, bestellte er schließlich zwei Kugeln Eis mit Sahne. Genau in diesem Moment platzte ihr der Kragen, und sie schrie ihn im Restaurant an, er sei ein Idiot, völlig unbewusst … und alles Weitere erzähle ich lieber nicht. Vor allem rief sie ihm die beträchtliche Geldsumme in Erinnerung, die er gerade für seine Kur ausgegeben hatte, und all das für nichts und wieder nichts, fügte sie wütend hinzu.

Kurz darauf, als ich mit ihr allein war, fragte ich sie, warum sie so zornig sei. Ganz offensichtlich deshalb, weil es ihr nicht gelang, ihren Mann in demselben Maße zu kontrollieren wie sich selbst. Schließlich gestand sie mir ihre große Angst, ihren Mann zu verlieren, wenn er sich weiterhin solchen Exzessen hingab. Da ich wusste, dass sie mir nicht ihre wahre Angst offenbarte, stellte ich ihr weiter Fragen, bis ich die wahre Natur ihrer persönlichen Angst erfuhr: dass ihr Mann eventuell sterben könnte.

Ich erfuhr also, dass ihr erster Partner sehr schlechte Ernährungsgewohnheiten gehabt hatte. Als Geschäftsmann war er immer unterwegs, und er starb an einem Herzanfall. Noch Jahre später fühlte sie sich deswegen schuldig. Sie war davon überzeugt, dass sie seinen Tod hätte verhindern können, wenn sie sich nur mehr um die Ernährung ihres Mannes gekümmert hätte. Schon allein der Gedanke, den Tod eines zweiten Partners auf dem Gewissen zu haben, ängstigte sie so sehr, dass er für sie zu einer Zwangsvorstellung geworden war.

Kontrolle, Angst, Überzeugungen und Seelenwunden

Wie du feststellen kannst, sind in diesem Beispiel Kontrolle, Angst und Überzeugung zu erkennen. Das weist darauf hin, dass eine Wunde aktiviert worden ist. In diesem Fall lassen sich zwei Wunden konstatieren, nämlich Ungerechtigkeit und Vertrauensbruch. Ein Mensch, der unter der Wunde der Ungerechtigkeit leidet, strebt nach Perfektion in allem. Daher macht meine Bekannte sich Vorwürfe, dass sie ihrem ersten Mann nicht die vollkommene Ehefrau war, und tut alles, um sich beim zweiten zu bessern. Sie trägt folglich die Maske der „Starrheit“. Wer unter der Wunde des Vertrauensbruchs leidet, hat wiederum Schwierigkeiten, zu vertrauen. In diesem Fall nimmt sie es ihrem Mann übel, dass er ihr nicht vertraut, dass er nicht alles, was sie für ihn tut, wertschätzt. Diesmal trägt sie also die Maske der „Kontrolle“.

Sie, die aufgehört hat, sie selbst zu sein, und vor allem nicht mehr auf ihr Bedürfnis hört, eine gute Mahlzeit mit Mann und Freunden zu genießen, hat automatisch reagiert. Sie fand sich in einer kontrollierenden Haltung wieder, was ein Hinweis darauf ist, dass sie Masken trug, die mit ihren Wunden verknüpft waren.

Die Aktivierung einer Wunde

Wenn ich von einer aktivierten Wunde spreche, dann möchte ich damit sagen, dass unsere Wunden zwar ständig tief in unserem Inneren vorhanden, jedoch nicht immer aktiviert sind. Sie werden aktiv, wenn jemand anders sie erweckt, und deswegen kommt es zu unserer Reaktion.

Es ist auch möglich, dass eine deiner Wunden aktiviert wurde, ohne dass im betreffenden Augenblick jemand bei dir ist. Du bist zum Beispiel allein zu Hause und würdest am liebsten ein paar Stunden faulenzen, und plötzlich sagt dir eine kleine Stimme in deinem Kopf, du hättest kein Recht, faul zu sein, Faulenzen gehöre sich nicht. Selbst wenn du allein bist, wird die Angst, die dich erfasst, durch eine Überzeugung hervorgerufen, die du schon jung erworben hast, im Allgemeinen von einem Elternteil. Diese Angst, als faul beurteilt zu werden, lebt weiterhin in dir fort und beeinflusst dich, eher aktiv als faul zu sein, und dies aus Angst, auf frischer Tat beim Faulsein ertappt zu werden, oder weil du fürchtest, jemand könnte erfahren, dass du mitunter faul bist. Eine Wunde wird also stets durch jemandes Angst aktiviert, ebenso wie durch eine Überzeugung, und mit dem Ziel, zu vermeiden, dass diese Befürchtung Realität wird.

Ich kenne sogar Leute, die ihre bereits verstorbenen Eltern immer noch fürchten. Wagen sie es einmal, in ihrem Sein oder Handeln nicht mit den Auffassungen der Eltern übereinzustimmen, dann sind ihre Angst und ihre Schuldgefühle sofort in diesem Ausspruch erkennbar: Wenn meine Mutter mich jetzt sähe, würde sie sich im Grab umdrehen.

Jede Wunde kann auf dreierlei Art und Weise und oft sehr unbewusst ausgelöst werden: 1. durch die Angst, vom anderen verletzt zu werden; 2. durch die Angst, den anderen zu verletzen; 3. dadurch, dass man sich selbst verletzt.

Man kann nicht nur dann von Kontrolle sprechen, wenn wir es unterlassen, etwas Bestimmtes zu tun oder zu sein, sondern auch jedes Mal, wenn es uns nicht gelungen ist, uns zu kontrollieren. Auch wenn wir uns sehr schuldig fühlen, machen wir uns Vorwürfe, dass wir uns nicht zu kontrollieren vermochten.

Den größten Teil der Zeit ist es den meisten von uns noch nicht einmal bewusst, dass eine Wunde aktiviert ist – es ist vor allem unsere Reaktion auf eine Situation oder eine Person, die uns darauf hinweist. Alle in diesem Kapitel vorgestellten Arten, sich zu kontrollieren, sind Reaktionen und keine willentlichen Handlungen. Im folgenden Kapitel wirst du sehen, inwiefern diese Reaktionen einen Einfluss darauf ausüben, wie du isst und trinkst. So wirst du eine neue Art und Weise entdecken, dir bewusst zu machen, dass eine Wunde aktiviert worden ist.

Hier nun also die verschiedenen Arten der Kontrolle, wie sie jeweils der aktivierten Wunde entsprechen.

Die Wunde der Ablehnung

Beginnen wir mit der Wunde der ABLEHNUNG. Wie kontrollierst du dich, wenn du fürchtest, abgelehnt zu werden oder andere abzulehnen, oder du dich selbst ablehnst?

Wenn du unaufhörlich grübelst, weil dir etwas, was zu tun oder zu sagen ist und dir Angst macht, nicht aus dem Kopf geht, oder auch etwas, was du in Bezug auf dich selbst gehört hast und das deine Wunde berührt oder wieder zum Leben erweckt hat;

Wenn du wegen einer Überflutung mit geistigen Aktivitäten an Schlaflosigkeit leidest;

Wenn du einer Situation ausweichst, indem du dich rasch von dem Ort, an dem du dich befindest, davonmachst oder dich in dein geistiges Wolkenkuckucksheim zurückziehst (nicht bei der Sache bist);

Wenn du eine Situation leugnest und sie nicht so sehen willst, wie sie wirklich ist. Dies kann sich darin äußern, dass du dir weismachst, die Person oder die Situation hätten dich überhaupt nicht gestört, berührt, ergriffen; hätten überhaupt keine Gefühlsaufwallungen in dir ausgelöst. Diese Art der Kontrolle ist im Allgemeinen unbewusst. Wir sollten die uns nahestehenden Menschen bitten, uns dabei zu helfen herauszufinden, wann wir vor der momentanen Situation davonlaufen, indem wir sie verleugnen;

Wenn du leugnest, dass ein Kompliment wahr und zutreffend ist, weil du glaubst, die Person hätte dir dieses Kompliment niemals gemacht, würde sie dich wirklich kennen.

Wenn du dich schämst, zu SEIN, was du bist, und vor allem nicht willst, dass es herauskommt;

Wenn du dich verschließt, dich zurückhältst, etwas zu sagen oder zu tun, aus Angst, dass dein Gegenüber dich dann nicht mehr mag, dich nicht mehr schätzt.

Ein wichtiger Punkt, den wir im Zusammenhang mit der Wunde durch ABLEHNUNG im Kopf behalten sollten: Diese Wunde wird stets durch Angst auf der Ebene des SEINS aktiviert, und nicht auf der Ebene des HABENS oder TUNS. Musst du zum Beispiel vor einem Publikum sprechen oder auftreten, kann es sein, dass du dich übermäßig vorbereitest oder deswegen nicht schlafen kannst. Deine wahre Angst ist nicht, deine Sache schlecht zu machen, sondern eher, als VERSAGER beurteilt zu werden, wenn du sie nicht perfekt, gemäß den Erwartungen der anderen und vor allem in Übereinstimmung mit deinen eigenen – meist unrealistischen – Erwartungen machst.

Gehörst du zu dieser Kategorie von Menschen, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass du dich in dem kontrollierst, was du tust und sagst, vor allem, um geliebt und gemocht zu werden und um dich so, wie du bist, angenommen zu fühlen, statt als Versager angesehen zu werden.

Die Wunde des Verlassenwerdens

Wir wollen nun weitergehen zum kontrollierenden Verhalten, das du zeigst, wenn du Angst hast, verlassen zu werden, jemand anderen zu verlassen oder wenn du dich selbst verlässt.

Wenn du vorgibst, fröhlich, heiter und glücklich zu sein, um deinem Partner zu gefallen;

Wenn du dich den Bedürfnissen anderer fügst und dir weismachst, dies mache dich glücklich;

Wenn du weinst, um deine Ziele zu erreichen und um Aufmerksamkeit zu erhalten;

Wenn du einen weinerlichen Ton anschlägst, um etwas zu fordern oder deine Unzufriedenheit mitzuteilen;

Wenn du ständig die anderen störst, um Aufmerksamkeit zu erhalten;

Wenn du das Opfer spielst, das heißt, unbewusst Probleme für dich anziehst;

Wenn du das, was dir geschieht, dramatisch und übertrieben wiedergibst;

Wenn du eine Krankheit zum Anlass nimmst, den anderen zu manipulieren, damit er sich um dich kümmert;

Wenn du nicht auf deine Bedürfnisse hörst, aus Angst, der andere könnte denken oder glauben, dass du ihn verlässt und fallen lässt;

Wenn du etwas beginnst und es wieder aufgibst, resignierst, bevor du dein Ziel erreicht hast, und häufig (und fälschlich) die Person beschuldigst, die dich deiner Meinung nach hätte unterstützen sollen;

Wenn du nichts mit dir anzufangen weißt, sobald du allein bist, und kein Interesse für irgendetwas aufbringst;

Wenn du es brauchst, alles, was dir passiert, jemandem am Telefon oder persönlich zu erzählen;

Wenn du meinst, nicht in der Lage zu sein, dem bevorstehenden Tod eines geliebten Menschen ins Auge zu sehen;

Wenn du alles Mögliche erträgst, weil du fürchtest, verlassen zu werden, normalerweise von einem Partner oder einem Kind;

Wenn du dich nicht entscheiden kannst, eine Beziehung zu beenden, aus Angst, allein zurückzubleiben, selbst, wenn du weißt, dass es besser für dich ist;

Wenn du jemanden um Hilfe bittest, noch bevor du überprüft hast, ob du es auch allein schaffst;

Wenn du jemand anderen unterbrichst, um von deinen eigenen Problemen zu sprechen;

Wenn du deine eigenen Probleme für viel wichtiger hältst als die der anderen.

Die Wunde der Demütigung

Falls du unter der Wunde der Demütigung leidest, hier die kontrollierenden Verhaltensweisen, die am häufigsten zum Einsatz kommen, wenn du Angst hast, jemand anderen zu demütigen, selbst gedemütigt zu werden, oder wenn du dich selbst demütigst:

Wenn du widerspruchslos zulässt, dass jemand dich physisch oder psychisch erniedrigt;

Wenn du dich verpflichtest, jemandem, der in Schwierigkeiten ist, zu helfen, und dabei deine eigenen Bedürfnisse vergisst;

Wenn du nicht zulässt, dass du auch nur das geringste Negative über jemand anderen sagst;

Wenn du körperliche Triebe in dem Glauben unterdrückst, dass Gott alles sieht und dich im Auge behält;

Wenn du dich für unsauber, unwürdig, schmutzig hältst;

Wenn du von dir selbst angeekelt bist;

Wenn du andere auf deine Kosten zum Lachen bringst, indem du dich selbst demütigst;

Wenn du ein Kompliment an jemanden zurückgibst, weil du meinst, dieses Kompliment nicht zu verdienen, und vor allem, weil du davon überzeugt bist, der andere sei es eher wert und verdiene dieses Kompliment mehr als du;

Wenn du alles tust, um in den Augen Gottes untadelig zu sein;

Wenn du glaubst, du müsstest das Leiden der anderen, der ganzen Menschheit, lindern,

Wenn du andere über dich selbst stellst, weil du glaubst, ihr Leid sei größer als deins;

Wenn du dich zurückhältst, sinnlichen Genuss zu erleben, weil du fürchtest, für liederlich gehalten zu werden;

Wenn du dich daran hinderst, dir körperlichen Genuss zu verschaffen, aus Angst, als Egoist angesehen zu werden.

Die Wunde des Vertrauensbruchs

Gehen wir nun über zur Wunde des VERTRAUENSBRUCHS. Diese Wunde treibt uns am stärksten dazu, andere kontrollieren zu wollen. Hier die verschiedenen Kontrollarten, die zum Einsatz kommen, wenn du Angst hast, von jemand anderem verraten zu werden oder jemanden zu verraten. Vergiss nicht: Das, was du anderen zufügst, fügst du auch dir selbst zu.

Ich erinnere dich daran, dass man jedes Mal, wenn es zu einem Verrat, einer Lüge, einem nicht eingehaltenen Versprechen, Feigheit, mangelndem Verantwortungsgefühl kommt, das Gefühlt des Vertrauensbruchs erleiden kann. Zudem müssen alle folgenden Formen der Kontrolle mit einem Gegenüber des anderen Geschlechts gelebt werden.

Wenn du das letzte Wort haben willst;

Wenn du lügst;

Wenn du den anderen unterbrichst, bevor er zu Ende geführt hat, was er sagen wollte;

Wenn du schon Schlussfolgerungen parat hältst, bevor der andere geendet hat;

Wenn du grollst und dich verschließt, nicht mehr mit dem anderen sprechen willst;

Wenn du laut wirst und allen Raum in einer Begegnung einnimmst;

Wenn du dem anderen nicht vertrauen kannst, denn du bist auf der Hut und zweifelst an diesem Menschen;

Wenn du alles tust, um Anerkennung als besonderer, starker, fähiger Mensch zu erhalten;

Wenn du etwas erwartest, ohne dass es vorher eine klare Übereinkunft darüber gab;

Wenn du ungeduldig wirst, weil der andere nicht schnell genug ist;

Wenn du in Zorn gerätst, weil die Dinge nicht nach deinen Plänen ablaufen;

Wenn du darauf bestehst, dass der andere deiner Meinung ist, deinen Vorstellungen zustimmt;

Wenn du eine Form der Verführung einsetzt, um deine Ziele zu erreichen;

Wenn du im anderen wegen deines eigenen Versäumnisses, Irrtums oder Verrats Schuldgefühle weckst;

Wenn du den anderen überwachst, damit er seine Aufgaben so ausführt, wie du es gerne hättest;