Sagen von Eisenach und der Wartburg, dem Hörselberg, Reinhardsbrunn und der Ruhl
Saga
Thüringer Sagenbuch
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ISBN: 9788728010358
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
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Ich bring’ Euch treu gewunden den reichen Sagenkranz;
Ich reich’ ihn dar den Freunden des trauten Heimatlands.
Oft war in stillen Stunden, die Musengunst beschied,
Thüringen meine Freude, mein Saitenspiel, mein Lied.
Und sollte nicht erwecken das Land der Lieder Klang?
Und sollt’ es nicht begeistern zu feierndem Gesang?
Das Land, so reich an Reizen, so mancher Sage Schoss,
Des Gegenwart so blühend, Vergangenheit so gross?
Schon alte Lieder tönen Dein Lob, Thüringerland,
Die Herzen Deiner Kinder sind stets Dir zugewandt.
Aus Palästinas Fluren kehrt’ heim ein Rittersmann,
Der pries die güldne Aue hoch über Kanaan.
Die Bergegipfel ragen empor zur Wolkenbahn,
Und kräft’ge Wälder tragen die Kronen himmelan.
Süsstraulich murmelnd plätschert ein Bach durch jedes Tal;
Von manchem Felsen stürzt sich ein lichter Wasserstrahl.
Auf Deinen Bergen stand ich, oft rastend, ohne Ruh,
Und Deinen Tälern sandt’ ich dann tausend Grüsse zu.
In Deinen Seen erglänzte der Sonne Flammenbild,
Und Abendrot umkränzte manch liebliches Gefild.
Die stillen Seen, umflüstert von windbewegtem Rohr,
Sie schlagen Liebesaugen zum Himmel fromm empor;
Der Himmel tauchet nieder in die krystall’ne Flut,
Als woll’ er drunten kühlen sich von des Tages Glut.
Der Burgen Trümmer schauen herab von wald’gen Höh’n;
Wir wollen drum nicht trauern, dass sie zerbrochen stehn.
Noch glühn die alten Warten, geküsst vom Abendstrahl,
Gleich blutigen Standarten hoch über manchem Tal.
Und in der Täler Schatten ruht mancher Klosterbau,
Verlassen, und verfallen, die Mauern starr und grau.
Wo Hymnen fromm ertönten und Psalm und Bussgesang,
Schallt jetzt des Schäfers Flöte zu Herdenglockenklang.
Oft ist mir in Ruinen im Abenddämmer, spät,
Der Vorzeit Geist erschienen, und hat mich leis umweht,
Als wollt’ er mich zum Sänger des Heimatlandes weihn,
Und ich will nun nicht länger dem Ruf entgegen sein.
Thüringerland, Du hast mich zum Dichter ja geweiht,
Du sandtest einen Stern mir, ach, in gar trüber Zeit,
Und eine Rose zeigtest Du mir, so blühend schön;
Gut, dass wir Rosen weiter als ihre Dornen sehn.
Wer musste nicht erfahren Verkennung oder Neid?
Auch mir, in frühen Jahren, ward oft mein Lied zum Leid.
Doch da nun schön’re Richtung der Himmel mir beschied,
Ward oft mein Schmerz zur Dichtung, und ward mein Leid zum Lied.
Mir blühn Erinnerungen an schöne Zeiten still,
Die hält mein Herz umschlungen, das sie nicht missen will.
Ich las der Freundschaft Segen aus manchem treuen Blick
Und fand auf Blumenwegen der Jugendliebe Glück.
Die Gera sah ich wallen durchs Tal mäanderisch,
Dort sangen Nachtigallen sanftflötend im Gebüsch;
Wie hab’ ich Lustakkorden stillauschend oft gesäumt
Und an den Blumenborden der Werra süss geträumt!
Wie rauschen Ilm und Saale an heitern Städten hin!
Wie blickt zum Hörseltale der Burgen Königin!
Die Unstrut kommt gezogen gar brausend oft und wild
Und tränkt mit vollen Wogen ein blühendes Gefild.
Du, Wartburg, schaust herunter vom Berg, Du stolze Zier,
Ein Greisenbild, doch munter naht frohe Jugend Dir.
Ihr Gleichen, einsam ragend auf Euern Bergeshöhn,
Scheint nicht ein Flüstern klagend von Euch durchs Tal zu wehn?
Die Sage wandelt sinnend durchs Land von Ort zu Ort
Und pflanzt in ihrem Garten der Dichtung Blumen fort.
Sie weilet in Ruinen, sie lauscht am Felsenhang,
In Hainen rauscht ihr Flüstern, wie ferner Harfenklang.
Sie schwebt um stolze Burgen, sie weilt beim Halmendach,
Sie thront auf Felsenstirnen, sie spielt am Waldeabach,
Sie hat sich mit dem Lande so liebend treu vermählt,
Dass sie fast allerorten von alter Zeit erzählt.
Wie duften fühl im Schatten die Waldeskräuter frisch,
Wie blühn die grünen Matten so bunt und zauberisch!
Melodisch klingt im Walde das läutende Getön,
Wenn auf der Bergeshalde die Herden weidend gehn.
Waldeinsamkeit! Wie grüsst mich die grüne heil’ge Nacht!
Von weitem seh’ ich prangen der Wunderblume Pracht!
Die Zauberglocken klingen, zum Berg hinan! hinan!
Bald find dem sel’gen Finder die Pforten aufgetan!
Ludwig Bechstein.
Die Sage ist die Mutter der Geschichte, ist die purpurfarbige Morgenröte, welche dieser Sonne vorangeht. Die Sage ist ein Heiligtum des Volks und ein Gemeingut des Volks, still und treu bewahrt in seinen heimatlichen Fluren und Wäldern und Bergen, nie prangend und prunkend zur Schau gestellt; sie ist ein sinniges Kind, das nie altert, das in unvergänglich-frischer Jugendblüte die Menschen erfreut.
Jegliches Land hat seine Sagen, seine mythische Zeit, mehr oder minder entwickelt, gesondert und abgegrenzt, mehr oder minder glanzreich durch den Völkermorgen strahlend, oder noch überhüllt von duftigen Nebelschleiern, doch in jeder Gestalt vom Volk geliebt und getragen und von einem freundlichen Echo immer in den alten einfachen Lauten den späteren Geschlechtern zugerufen und zugeflüstert. Die Sage lebt ihr unvergängliches Leben im Munde des Volks, in Liedern, in Sprüchen und Scherzreden, selbst in gegenseitigen Neckereien benachbarter Stämme und Gaue und Orte, wo mancher Wisspfeil flüchtig berührend an den Saiten der Sagenharfe vorüberrauscht und sie erklingen macht von den längst geschehenen Dingen.
Eines der sagenreichsten Länder ist das alte Thüringerland, durchklungen und durchsungen von mancher Mär nach allen Richtungen hin; vornehmlich aber rauschen lieblich und traulich schaurig, und geheimnisvoll die Märchenstimmen durch und aus dem Thüringerwald, der dunkelgrünen Heimat manchen Liedes, das aus der fernen Zeit herüberklingt.
Es zog ein Sänger wohl ab und auf durch das ganze liebe Thüringerland; talaus und -ein, durch die schattigen Wälder, den murmelnden Bächen entlang; er klimmte hinauf zu den Felsenkanten, zu Burgtrümmern und starren, einsamen Warten; er weilte im Talfrieden bei verfallenen Abteien und las von halbverwitterten Leichensteinen längstverklungene Namen. So wandernd und rastend und immer horchend auf den Mund der Sage und freundlich sprechend mit Schäfern und Hirten, Jägern und Bergleuten, Köhlern und Holzhauern, kam ihm manche Mär, wie von ohngefähr, ward ihm vieles kund aus des Volkes Mund. Auch lauschte, der Sänger den Liedern der Mädchen, die sie abends vor den Türen fangen, und nahm sich wackere, gerne plaudernde Knaben zu Führern oder auch ergraute Waldleute, die viel zu erzählen wussten. Da fand er die Wunderblume, mit der er den Schatz der Sagen an das Licht zu heben bemüht war.
Und wenn Herbst und Winter und Vorfrühling rauh stürmten, wenn die singenden Stimmen der Talbäche verstummt waren und gebunden von Frostfesseln die lebendigen Wellen, die Waldpfade verschneit, unzugänglich die Berghöhen und unwegsam die Wege, da sass der Dichter in traulichstiller Einsamkeit und hatte um und neben sich viele stumme und doch wohlberedte sagenkundige Erzähler, alte Legenden- und Chronikenbücher des Thüringerlandes, alte Lieder, fliegende Blätter, gerettet aus dem Sturm der Zeit und heilig aufbewahrt; nicht minder manches gute neue Buch und manches schöne neue Lied, die, zum Widerhall des alten geworden, Thüringens Vorzeit verherrlichen helfen wollten.
Dieser Sänger ist und war nun, mit Deiner Erlaubnis lieber Leser, kein anderer, als der Herausgeber des Thüringischen Sagenschtzes, ein Mann, der Thüringen kennt und liebt (zwei Eigenschaften, die zu solchem Vorhaben unerlässlich sind), und der sich wohl ohne Eitelkeit und Selbstschmeichelei sagen darf, dass auch er an manchen Orten Thüringens gekannt und geliebt sei und daher mit seinen Gaben immer willkommen. Thüringische Sagen durchklangen schon den frühen Morgen seiner Kindheit, seiner Knabenjahre; der Jüngling lieh ihnen ein offenes Ohr, ein empfängliches Herz, und der Mann sammelte sie, um wieder damit aufblühende Jugend zu erfreuen. Er sammelte und hob jedoch den Sagenschatz nicht für die leichte Unterhaltung einiger flüchtiger Stunden, er hob ihn für das Vaterland und legt ihn zugleich auf den Altarstufen der Geschichte nieder, ein frommgebrachtes Opfer seiner Liebe.
Mit der blauen Farbe begabt die Sage selbst jene Wunderblume, durch deren Kraft es dem glücklichen Finder gelingen soll, die versunkenen Schätze zu heben, sie aus verschlossenen Bergeshöhlen herauf zu bringen; blau ist die Farbe der Treue, und treu und einfach bieten sich die in diesem Werk erzählten Sagen dar, in ihrer ungeschmückten Echtheit, in ihrer oft wörtlichen Überlieferung. Die Treue festzuhalten, nicht durch Zutaten eigner Erfindung und Phantasie den holden Reiz der Einfachheit zu verunstalten, die Kindlichkeit der Sagen nicht zu zerstören, den urkräftigen Krystallborn durch fremdartige Beimischung nicht zu trüben, machte sich der Verfasser zum festen Grundsatz und fürchtet nicht, dass dadurch eine grosse Anzahl seiner Leser abgeschreckt werde.
Noch sei ein Wort vergönnt über die Einteilung in Sagenkreise. In andern und grössern Ländern ziehen sich die ältesten Sagen meist wie milde Planeten um das leuchtende Sonnenbild eines Helden: Sagenkreis der Nibelungen, Karl des Grossen, des Königs Artus und der Tafelrunde u. a., hier aber, wo nicht bloss Heldensage beachtet werden kann, ja, wo sie sogar in den Hintergrund tritt und wo nur einzelne Helden und Heiligengestalten kräftig und sagengefeiert hervortreten, wie Bonifatius, mehrere Landgrafen, die heilige Elisabeth, möchte die Einteilung nach Gebieten, um doch nötige Ruhepunkte und Übersichten zu gewinnen, weder zwecklos, noch geradezu verwerflich sein. Es liegt auf der Hand, dass diese Kreise nicht geographisch bezeichnet werden und feste Grenzen erhalten können, oft müssen sie wie Kettenglieder sich berühren und ineinander schlingen; ebensowenig wird man verlangen, dass die Sagen chronologisch geordnet erscheinen, da ja ihrer ein grosser Teil sich auf keine Weise geschichtlich geltend macht. Man wird dem Herausgeber, dies hofft und bittet er, in der Anordnung der Sagenkreise eine scheinbare Willkür zugute halten, und die, welche das Land und seine Sagen kennen, werden finden, dass nicht einmal Willkür war, was als solche anfänglich erscheinen möchte.
Ludwig Bechstein.
An den äussersten nördlichen Grenzen des Thüringer Waldes ruht die altergraue Wartburg, wie ein Markstein, wie eine ewige Denksäule, daran ein Jahrhundert nach dem andern schmückende Kränze aufgehangen. Ernst und still und ehrwürdig sitzt die Königin der thüringischen Burgen auf ihrem hohen Steinthron und blickt herab auf die regsame und geräuschvolle Stadt zu ihren Füssen, die mit ihr alt geworden, aber öfter wie sie die Gewänder getauscht; in der sie ein Menschenalter nach dem andern aufblühen und abwelken sieht. Wie ein heiliges Memnonbild im Strahl der Frühe erglühend, ragt sie empor, und es ist, als klänge aus ihr ein wunderbarer Schall, die Harfe der Erinnerung tönt von den frühen Zeiten. Rings umgibt die Greisin jugendliches, blühendes Leben, eine reiche und herrliche Natur umprangt mit zauberischem Reiz das alte Schloss. Weit in die Ferne streifen die Blicke von jener Höhe, weit über das Thüringerland, aber sie kehren immer wieder zurück in die freundliche Nähe dieser dunkelgrünen Waldungen, dieser gesegneten Fluren, und durchirren Sie tiefen Talgründe, weilen auf Felskolossen, und umfangen freudig das blühende Leben der Gegenwart.
Aus allen deutschen Gauen kommen von den ersten Frühlingstagen bis zu denen des Spätherbstes jahraus, jahrein zahllose. Waller gezogen und grüssen fröhlichen Mutes die berühmte Feste, die deutsche Burg, die Burg Deutschlands. Zwar haben dieses Loretto die Engel nicht auf den Berg getragen, und kein Gnadenbild verheisst hier Ablass, die Pilger müssen selbst sehen, wie sie mit ihren Sünden zurecht kommen, aber dennoch ist’s, als durchwehe eine unsichtbare Flamme der Läuterung den alten Bau, und gar herrlich bewährt sich auf Wartburg das alte: Introite, et hic Dii sunt! Ja, wie ein ernstes, gottgeweihtes Tempelhaus ist schon manchem die Wartburg erschienen, ein Allerheiligstes mitten in dem grossen Naturtempel, den sich die schaffende Allmachthand der ewigen Weisheit und Güte hier selbst erbaut.
Hier, wo durch drei und ein halbes Jahrhundert die mächtigen Gebieter des Thüringerlandes wohnten und herrschten, wo herrliche deutsche Frauen, aus kaiserlichem und königlichem Stamm, lebten, liebten und litten, wo die grössten Dichter der deutschen Vorzeit sich zum Liederwettkampf zusammenfanden, hier endlich, wo der Eine gotterfüllte, gottbegeisterte, der Mann der Kraft, des Mutes und des Sieges weilte, waltete und segensreich wirkte, hier ist Tag und licht genug, um die Hand des Herrn zu erkennen, die auch in diesen Räumen — kein Mene Tekel, sondern das flammende Amen der Bestätigung schrieb, dass unser Gott „eine feste Burg“, und dass die Feinde, die. Verfolger, die Unterdrücker der Wahrheit, des Lichts und der geistigen, sittlichen Freiheit, das Wort sollen lassen stahn, das ihre Ohnmacht weder hindern, noch fesseln, noch vernichten kann.
Wie eine in Stein gegrabene Chronik, ein altes Buch voll ehrwürdigen Bilderschmucks, liegt die Wartburg auf dem Bergaltar, um dessen Fuss sich, wie eine mit buntem Teppich bedeckte Schwelle, das heitere Eisenach zieht. Vieles ist in dem Buche selbst zu lesen, vieles ist als deutsame Arabeske dem Teppich eingewebt, noch anderes durchrauscht wie Quellengeriesel die grüne Waldung, und von Fels und Höhle flüstern Märchenstimmen dem Wanderer zu.
Zieht hinaus, ihr Kinder, wie es zu Eisenach üblich ist von alters her, zum fröhlichen „Sommergewinnen“! Tragt den Popanz Winter, den kalten Ernst, das steife, kleinliche und peinliche Vorurteil, den Tod des frischkräftigen Lebens hinaus, und gewinnt euch den Lenz der Poesie, den grünenden Wunderstab, die Sommersonne der blühenden Romantik. Zieht auch ihr hinaus, vaterländische Sägen, und gewinnt euch aufs neue die Herzen freundlicher Leser und Hörer und ihre warme Liebe!
Ludwig Bechstein.
Ein gar mächtiger Herr in Thüringen war Graf Ludwig, den das Volk den Springer nennt. Als dieser einstmals am Hange des Inselberges dem edlen Weidwerk oblag, traf er auf ein Wild, das er eifrig verfolgte, immer weiter und weiter bis zu dem Flüsschen Hörsel und bis gen Nieder-Eisenach und von dannen wieder bis an den Berg, darauf jetzt die Wartburg stehet. Dort verzog er eine Weile, harrend des Wildes, dass es wieder aus dem Walde laufen möchte. Derweilen betrachtete er die schöne Gegend und vornehmlich den steilen Felsenberg, dachte bei sich selbst und sprach: „Wart’, Berg, du sollst mir eine Burg werden!“ So mit grosser Luft, auf den Berg zu bauen, trachtete er auf Mittel und Wege, es füglich zu beginnen, denn der Berg gehörte den Herren von Frankenstein, die nahe dabei schon eine Burg besassen, der Mittelstein genannt, so vor der Wartburg die beste Burg in Thüringen war. Der Frankensteiner Stammschloss aber stand jenseits des Waldes, nicht weit von Salzungen, über der Werra.
Graf Ludwig aber hatte zwölf Ritter bei sich, tapfere, freie Männer. Mit denen pflog er heimlich Rates, wie er den Berg wohl an sich bringen möchte, und es ward vereinbart, dass des Nachts vom Schauenberg, der dem Grafen zu eigen war, Erde in Körben auf den Wartberg getragen und gestreut werde. Als solches geschehen, schlug der Graf daselbst mit Gewalt eine Burgfriede auf, dahinter er sich verteidigen konnte. Nun kamen die Herren vom Mittel- und Frankenstein, vermochten aber dem Grafen auf seiner Felsenfeste nichts anzuhaben. Derhalben verklagten sie ihn bei Kaiser und Reich, wie er sich das Ihrige mit Gewalt freventlich anmasse. Auf des Reiches Befragen entgegnete der Graf, dass er die Burg auf das Seine gebaut, wolle sie auch nach Urteil und Recht, wie er verhoffe, wohl behalten. Darauf erkannte das Reich, so er mit zwölf redlichen Männern beweisen und beschwören könne mit leiblichem Eid, dass das Land, darauf er gebaut, sein wäre, solle er es behalten. Da erkor der Graf seine zwölf Ritter zu Eideshelfern, trat mit ihnen auf den Berg, steckten allesamt ihre Schwerter in die zuvor hinaufgetragene Erde und schwuren, dass ihr Herr, Graf Ludwig, auf dem Seinen stünde, und schon vor alters dieser Boden, nämlich der hinaufgetragene, zum Lande und zur Herrschaft Thüringen gehöret habe. Damit behielt er den Berg.
Es war aber dazumal im Thüringerland, ja allerorten, grosse Hungersnot und grosses Sterben, und erhielt durch den Burgbau das arme Volk sein Brot, darum allein es arbeitete. Der Graf liess die Steine zum Bau im Seeberg bei Gotha brechen und herbeifahren, errichtete das Haus und Kemnaten und Türme, wollte auch gar die Burg mit Kupfer decken und selbiges übergolden lassen; doch das Reich erhob Einspruch, und so liess er’s bei einem Bleidach bewenden. Als nun das Schloss gar köstlich erbauet war, führte der Graf auch die Ringmauer auf, darin heute die Stadt Eisenach liegt; denn vordem war diese Stadt viel weiter von der Wartburg gelegen und war ein offener Flecken am St. Petersberg, zwischen der Hörsel und der Nesse. Es musste aber zu diesem Mauerbau ein jedes Dorf im Thüringlande helfen mit Fuhren und Handreichung und jedes ein Stück der Mauer aufrichten, von welcher verschiedenen Arbeit noch heute die Spuren ersichtlich sind.
Also ward die Wartburg erbauet und das jetzige Eisenach begründet und mit Mauern umgeben.
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Landgraf Ludwig, des Springers Sohn, war in seiner Jugend gütig und demütig gegen Edle und Unedle, sanft und verträglich. Eben darum aber fürchteten ihn seine Mannen nicht, und er gewann unter ihnen viel mutwillige Leute, die das Land schädigten und das Volk hart bedrückten. Seine Edlen hielten ihn für einen Toren, seine Bürger und Bauern aber fluchten ihm und gedachten seiner übel, darum, dass sie um seiner Güte und Geduld willen verarmten und verdarben. Die Edlen sahen und wussten das wohl, verschwiegen es aber dem Fürsten zu ihrem eigenen Nutzen, liessen auch die klagenden Armen nicht vor ihn gelangen.
Nun geschah es, dass der Landgraf einstmals jagte, wie er oft zu seiner Kurzweil tat, und dabei von den Seinen abkam. Dazu brach die Nacht herein. Als er lange den Forst durchirrt, leuchtete ihm das Feuer einer Waldschmiede in der Ruhl hell entgegen. Da trat er hin zu dem Schmied in grauem Gewand und mit seinem Jägerhorn und bat ihn um Herberge. Laut fragte ihn der Schmied, wer er wäre, und er sprach: „Des Landgrafen Jäger“. Da antwortete ihm der Schmied: „Pfui, pfui, des Kunzenherrn, wer seinen Namen nennt, sollte allemal den Mund danach wischen.“ Weiter schalt er übel auf ihn, dann aber sprach er: „Ich will dich gern beherbergen, aber nicht um seinetwillen. Ziehe dein Pferd in den Schuppen; da findest du Gras. Und behilf dich diese Nacht, denn hier ist kein Bettgewand vorhanden.“ Darauf tat der Landgraf, wie ihm geheissen war. Aber der Schmied in der Ruhl pflegte in der Nacht grosser und harter Arbeit, brannte und hitzte das Eisen und schlug dann mit dem grossen Hammer darauf, dass die Funken stoben. Dabei fluchte und schalt er auf den Landgrafen also: „Landgraf Ludwig, werde hart, werde hart! Du schmählicher, unseliger Herr, werde hart! Deine Edelleute schmeicheln dir ins Angesicht und brandschatzen dein Volk, sie unterwinden sich deiner Macht, einer verunrechtet dir die Deinen, ein anderer beraubt sie, sie werden von dem Deinen reich, und du verarmst mit den Deinen. Landgraf Ludwig, werde hart, werde hart!“
Also nannte der Schmied alles her, wie es im Lande beschaffen, und verfluchte den Landgrafen in die Hölle. Der hörte alles mit an, schlief gar wenig selbige Nacht und dachte dem nach, was der Schmied gesprochen. Nun ward er in seinem Mute so fest, als er je zuvor weich gewesen. In der Frühe des Morgens ritt er von dannen. Viel gelernt hatte er von dem Schmiede in dieser einen Nacht und übte hernach ein gar streng Regiment. Als er seine widerspenstigen Vasallen allzumal an den Pflug gespannt und sehr gedemütigt hatte, mussten sie ihm Urfende schwören, und er ward von ihnen seitdem bass gefürchtet. Wenn sie nur seinen Namen nennen hörten, erseufzten sie. Alle ihre Freunde in Hessen und Thüringen waren ihm gram und schalten ihn übel, weil er ihnen ihren Willen nicht liess. Sie taten ihm zum Verdruss, was sie nur konnten, und trachteten in mancherlei Weise darauf, wie sie ihn zum Tode brächten. Des wurde der Landgraf häufig gewarnt, und derhalben ging er fortan immer stattlich im Eisenharnisch gerüstet, wo er unter den Herren und ehrbaren Leuten war. Darum nannten sie ihn nun „der eiserne Landgraf“. Welche von denen, die ihm nach dem Leben standen, oder von ihren Freunden und Dienern er auf irgend einer Untat ergriff, oder für Wahrheit erfuhr, dass sie ihm zu schaden gedachten, die liess er alsbald henken oder erwürgen oder ertränken.
Dieses überaus strengen eisernen Landgrafen ehelich Gemahl war Frau Jutta. Selbige begann einstmals, da ihr Herr mit ihrem Bruder Kaiser Friedrich dem Rotbart in Regensburg zusammentraf, um mit ihm gen Italien zu ziehen, bei Weissensee einen Baumgarten anzulegen, umgab den Berg mit Mauern, baute ein Bienenbaus in den Garten und auf dem Berge eine Burg. Dawider setzte sich der Graf von Beichlingen, dem jenes Gebiet zu eigen; doch die Landgräfin sprach, sie wolle nur eine Herberge bauen, wenn sie von der Wartburg gen Neuenburg an der Unstrut führe, dass sie mittelwegs Einkehr halten könne. Der Graf von Beichlingen wollte solches nicht gestatten und verklagte Frau Jutta bei dem Kaiser, dass sie ihm freventlich in das Seine baue und da eine Burg hinstelle. Sie kehrte sich indes nicht an seine Einrede und fuhr fort zu bauen.
Der Kaiser redete darum mit dem Landgrafen Ludwig, und dieser tat, als wäre es ihm leid, schrieb auch einen ernsten Brief an Frau Jutta, dass sie bei seinen Hulden nicht mehr da bauen sollte, sandte aber zugleich am andern Tag einen Boten dem des Grafen von Beichlingen nach, sie möge nicht aufhören, sondern fortbauen.
Da nun der Landgraf wieder heim kam, sandte er zu dem Grafen und tat, als wäre er sehr zornig über sein Weib, da sie ohne sein Wissen und Willen gebaut. Er wolle den Bau gern abbrechen, wäre er gering; da sie aber so ein gar grosses Gut daran gewandt, könne er ihn ohne grossen Verlust und Schaden nicht abtun, wolle ihm aber gern die Stätte bezahlen. Gab dann dem Grafen ein geringes Geld dafür, besetzte die Burg mit wackeren Mannen und baute auch daran Weissensee, die Stadt. So blieb ihm Burg und Stadt und See zum Eigentum, und war dem ehemaligen Herrn, gleichwie bei Schloss Wartburg, der Boden mit Lift genommen.
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