SANDRA NAVIDI

DAS FUTURE PROOF MINDSET

WIE SIE IM ZEITALTER DER DIGITALISIERUNG ZUKUNFTSSICHER WERDEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Originalausgabe, 2. Auflage 2021

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Projektleitung: Georg Hodolitsch, Isabella Steidl

Redaktion: Christine Rechberger

Umschlaggestaltung: Tobias Prießner; Karina Braun, München

Umschlagabbildung: Shutterstock.com/BAIVECTOR

Abbildungen Innenteil: Shutterstock.com/razum; buffaloboy; limeart; GiduStock; VoodooDot

Satz: ZeroSoft, Timisoara; Andreas Linnemann, München

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ISBN Print 978-3-95972-454-8

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-858-4

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-859-1

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INHALT

VORWORT
Die Entstehungsgeschichte dieses Buches

ERSTES KAPITEL
Das Disruptions-Beben: Wie Automatisierung und Künstliche Intelligenz Ihr Leben verändern werden

Die Zukunft: Kommt schneller, als Sie denken

»Robogeddon«: Werden Sie durch eine Maschine ersetzt?

Silicon Valley: Die Zukunftsmanufaktur

Rückblick: Die Wirkkräfte der Globalisierung

Ausblick: Die Wirtschaft der Zukunft

Arbeitsmarkt: Die Folgen der Digitalisierung

Pandemien – COVID-19: Disruptions-Beschleuniger

Gesellschaft: Die Auswirkungen der Disruption

ZWEITES KAPITEL
Wie Sie lernen, innovativ zu denken

Mental-Disruption: Hinterfragen Sie sich und stellen Sie sich neu auf

Selbst-Erkenntnis: Setzen Sie sich mit sich auseinander

Veränderungs-Bewältigung: Realisieren Sie Ihr Zukunftspotenzial

Meistern Sie den Umgang mit Ungewissheit

Lernen Sie, das Beste aus Veränderungen zu machen

Gestalten Sie Ihre Zukunft zielstrebig

Eigen-Verantwortlichkeit: Denken Sie unternehmerisch

Konzentrations-Management: Fokussieren Sie Ihre Aufmerksamkeit

Denk-Konzepte: Machen Sie sich neue Denkansätze zu eigen

Denken Sie konnektiv und kontextuell

Denken Sie unvoreingenommen

Denken Sie systemisch

Denken Sie wie ein »Start-up-Designer«

Denken Sie agil und oblique

Resilienz-Entwicklung: Wie Sie Misserfolge überwinden und Ihre Widerstandskraft stärken

Erfolgs-Management: Geben Sie Ihrem Glück eine Chance

DRITTES KAPITEL
Finden Sie Ihre Nische: Ihre optimale Positionierung

Was ist Ihre Nische?

Zukunftsplanung: Das sollten Sie berücksichtigen

Strategie: Spezialisierung oder Generalisierung?

Selbstbestimmung: Nehmen Sie Ihr Schicksal proaktiv in die Hand

Jobwahl: Passion oder Vernunft?

Ihr Mehrwert: Kultivieren Sie Ihren individuellen Wettbewerbsvorteil

Risikotoleranz: Definieren Sie, welcher Risikotyp Sie sind

Zusätzliche Erwägungen: Was man noch beachten sollte

Erfolgsrezepte: Chancen aufspüren und ergreifen

Wie wichtig ist Ihre Ausbildung?

Welche Fähigkeiten werden gefragt sein?

Technologische Kompetenzen

EQ: Emotionale Intelligenz und soziale Kompetenz

Lernbegierde

Kreativität

Agilität

Kommunikationsfähigkeit

Was sind die Jobs der Zukunft?

Technologiesektor

»Gig-Wirtschaft«

Einzelhandel und Verkauf

Gesundheitswesen

Lehrkräfte und andere pädagogische Berufe

Menschliche »Zuwendungsjobs«

Finanzdienstleister und Unternehmertum

Unternehmensführung und -strategie

Kreative Berufe: Kunst

Superstars in der Sport-, Medien- und Eventbranche

Staat: Politik, Rechtswesen, Strafverfolgung, öffentlicher Dienst

VIERTES KAPITEL
Personal Branding: Etablieren Sie Ihre persönliche Marke

Unverwechselbar: Ihre Eigenmarke

Was Branding, also Markenerschaffung, bedeutet

Warum Ihre Eigenmarke unerlässlich ist

Narrativ: Ihre Brand-Story

Marketing-Power: Ihre Public Relations

FÜNFTES KAPITEL
Super-Connect: Wie man am effektivsten Beziehungen, Netzwerke und Plattformen aufbaut

Technologisierung: Auswirkungen auf das Netzwerken

Warum Netzwerken für Sie unerlässlich ist

Wie Sie Ihre Abneigung gegen das Netzwerken überwinden können

Wie Sie ein Netzwerk an nachhaltigen Beziehungen knüpfen

Kultivieren Sie eine holistische Networking-Mentalität

Bauen Sie das für Sie richtige Netzwerk auf

Entwickeln Sie Netzwerkwährung: Das Sozialkapital

Praktische Networking-Anleitung: So wird’s gemacht

Konversation leicht gemacht

Tipps für Introvertierte

So bewältigen sie »herausfordernde« Begegnungen

Machtbeziehungen

Mentoren

Online-Networking

Wie Sie Communitys und Plattformen aufbauen

Gemeinsame Ziele und Werte

Eintrittsbarrieren

Die Mitgliederbasis: Homogene oder diverse Teilnehmer?

Führung

Netzwerkstruktur und -dynamik

Globalisierung: Vernetzung über kulturelle Grenzen hinweg

SECHSTES KAPITEL
Die Auswirkung der Disruption auf die Karriere von Frauen: Bedrohung und Gegenmaßnahmen

Ausgangspunkt: Allumfassende Ungleichbehandlung

Leistungsbeurteilung: Für Frauen gilt ein anderer Maßstab

Ausverkauft: Geringere Bezahlung für gleiche Arbeit

Selbst-Sabotage: Frauen-Selbstvertrauen

Sexismus: Nicht nur Symptom, sondern Ursache

Digitalisierung: Disruption der Gleichberechtigung

Die Coronavirus-Pandemie: Virulente Ungleichheit

Vorurteile: Das grundlegende Problem

Künstliche Intelligenz: Vorprogrammierte Vorurteile

Kollektive Wahrnehmung: Gesellschaftliche Vorurteile

Beitritt unerwünscht: Männliche Netzwerke und Seilschaften

Frauen auf Erfolgskurs: Ein Aktionsplan

Frauen: To-do-Liste

Bekämpfung unbewusster Vorurteile

Politik-Maßnahmen

Wirtschafts-Initiativen

Verwaltungsratsgremien und Investoren

Gesellschaft

Medien

Anmerkungen

VORWORT
Die Entstehungsgeschichte dieses Buches

An einem sonnigen Sommernachmittag saß ich im Finanzdistrikt von Downtown Manhattan auf den Stufen der erhabenen Federal Hall an der Wall Street, um die Zeit zwischen zwei Terminen zu überbrücken. Plötzlich fiel mir ein, dass ich für das nächste Meeting noch mein Buch signieren musste, das ich für meinen Kunden mitgebracht hatte. Mit dem Buch auf dem Schoß und dem Stift in der Hand sinnierte ich über eine passende persönliche Widmung, als ich spürte, dass mich jemand anschaute. Noch bemüht, das Gefühl zu ignorieren, bemerkte ich einen jungen Mann, der sich zögerlich näherte. Gekleidet in das übliche »Wall-Street-Outfit« – Button-down-Hemd und dunkelblaue Fleeceweste –, fragte er verlegen: »Entschuldigen Sie, dass ich Sie einfach so anspreche, aber – haben Sie dieses Buch geschrieben?« Lächelnd nickte ich. Daraufhin entgegnete er begeistert: »Oh my God, ich kann Ihnen gar nicht sagen, was für eine Offenbarung $uper-hubs für mich war! Mir war nicht klar, wer in der Finanzwelt die Strippen zieht, wie all diese Netzwerke funktionieren und was das für den Rest der Welt bedeutet.« Dann zögerte er kurz, bevor er mit der Sprache herausrückte und mir gestand, was ihn wirklich bewegte: »Könnten Sie mir vielleicht einen Tipp geben, wie ich ein Super-hub werden kann?«

In $uper-hubs porträtiere ich die einflussreichsten Menschen in der globalen Finanzwelt und erkläre, wie sie durch die Netzwerke ihrer persönlichen Beziehungen beispiellosen Einfluss ausüben. Die zugrunde liegende Prämisse des Buches ist eine Gesellschaftskritik hinsichtlich der negativen gesellschaftlichen Auswirkungen solch elitärer Netzwerke. Um jedoch erklären zu können, wie die Vertreter der globalen Elite überhaupt zu sogenannten Super-hubs werden, also zu den zentralen »menschlichen Knotenpunkten« solcher Netzwerke, musste ich anekdotisch illustrieren, wie sie ihre Beziehungen aufbauen und pflegen, um an die Spitze zu gelangen. Während der gesellschaftskritische Gesichtspunkt des Buches in den Medien große Beachtung fand, faszinierte die Leser zu meiner Überraschung vor allem der Netzwerkaspekt. Seither kann ich mich vor Anfragen nach Netzwerktipps, Mentoring und Zugang zu meinem Netzwerk kaum retten.

Da ich unmöglich auf all diese Anfragen persönlich reagieren kann, kam mir die Idee, die Antworten gebündelt in Buchform zu geben. Mir schwebte eine Art Arbeitsbuch zu $uper-hubs vor, in dem ich die Erfolgsprinzipien der erfolgreichsten Menschen der Welt analysieren und eine entsprechende Anleitung für meine Leserinnen und Leser geben würde. Zwar kann nicht jeder Mensch ein Super-hub an der Spitze der globalen Finanzwelt werden, aber ein Super-hub in seinem eigenen Leben und Umfeld allemal.

Je länger ich allerdings über dem Konzept brütete, desto klarer wurde mir, dass sich die Welt in den letzten zwei Jahrzehnten aufgrund der digitalen Disruption so grundlegend verändert hatte, dass die Vorgehensweisen, die den Super-hubs zum Erfolg verholfen hatten, im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz nicht mehr uneingeschränkt anwendbar waren. Während einige Karrieregrundsätze »Klassiker« sind, die auch heute noch gelten, sind viele mittlerweile überholt und müssen durch innovativere Vorgehensweisen ersetzt werden. Auf der Grundlage dieser Erwägungen überarbeitete ich mein Buch in den nachfolgenden drei Jahren, soweit es meine hauptberufliche Tätigkeit zeitlich erlaubte.

Und dann wurde auch ich von »Disruption«, also einschneidenden Veränderungen, überrascht. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie machte die Welt eine Vollbremsung. Was in dieser Zeit allerdings deutlich an Schwung zunahm, war die Verbreitung bereits im Vormarsch befindlicher disruptiver Technologien wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Daher musste ich mich selbst und mein Manuskript »disrupten«, also hinterfragen und anpassen.

Inspiriert hat mich hierbei insbesondere die Arbeit des Wirtschaftsnobelpreisträgers Edmund Phelps.1 Professor Phelps ist unter anderem Direktor des Zentrums für Kapitalismus und Gesellschaft an der Columbia University in New York, in dem auch ich Mitglied bin.2 Seine Erkenntnisse über das Gedeihen des Menschen auf der Grundlage erfüllender Arbeit haben mein Denken geprägt.3 Er argumentiert, dass Innovation durch den Einzelnen auf modernistischen Werten wie Neugier, Fantasie und Kreativität beruhe und dass das Überwinden von Ungewissheit, Herausforderungen und Widerständen Voraussetzung für Erfolg und Erfüllung sei.4 Professor Phelps ist der Auffassung, dass es wichtig sei, in Menschen eine »Leidenschaft für das Neue« zu entfachen und sie zu inspirieren. Genau das ist die Zielsetzung des Future-Proof-Mindset.

In diesem Buch destilliere ich auch die Erkenntnisse, die ich im Rahmen meiner Zusammenarbeit mit den erfolgreichsten Führungspersönlichkeiten der Welt gewonnen habe und die normalerweise meinen Kunden vorbehalten sind. Es liefert somit auch Ihnen Strategien und »mentale Werkzeuge«, die es Ihnen ermöglichen, Chancen zu erkennen und zu ergreifen, sich optimal zu positionieren und Ihr Potenzial zu verwirklichen – anwendbar in fast allen Branchen und Karrierestadien.

Künstliche Intelligenz wird unsere Welt grundlegend verändern. Jedoch zeigt die Geschichte, dass Zeiten des Umbruchs auch große Chancen mit sich bringen. Wir können die externen Entwicklungen nicht kontrollieren, aber es liegt an uns, zu entscheiden, wie wir darauf reagieren. Am besten bereitet man sich auf die Zukunft vor, indem man sie selbst gestaltet und seine Chancen nutzt. Das Future-Proof-Mindset zeigt Ihnen, wie das geht.

 

GEWIDMET

Meinem Vater

Anoushiravan Navidi

ERSTES KAPITEL
Das Disruptions-Beben: Wie Automatisierung und Künstliche Intelligenz Ihr Leben verändern werden

 

Die Zukunft: Kommt schneller, als Sie denken

»Die Zukunft hat viele Schattierungen. Für die Schwachen verkörpert sie das Unerreichbare. Für die Furchtsamen bedeutet sie eine Herausforderung. Für die Mutigen ist sie eine Chance.«

Victor Hugo

Was bringt meine Zukunft? Kaum eine Frage beschäftigt uns mehr als diese. Seit Jahrhunderten konsultieren Menschen Orakel, Astrologen und Wahrsager, in der Hoffnung, einen Blick in die Zukunft zu erhaschen. Mithilfe unserer Vorstellungskraft versuchen wir uns auszumalen, was vor uns liegt, und stützen uns dabei auf Erfahrungen aus der Vergangenheit. Soweit ich mich zurückerinnern kann, hatte ich mir eine konventionelle berufliche Laufbahn vorgestellt, wie dies auch meine Eltern getan hatten. Um sicherzustellen, dass ich etabliert und finanziell unabhängig sein würde, drängten sie mich zu einem Medizinstudium, denn »Ärzte werden immer gebraucht«. Alternativ waren sie bereit, sich mit einem Jurastudium zufriedenzugeben, denn Jurist zu sein war in ihren Augen fast so gut wie Arzt zu sein. Diese Sichtweise bestand in meiner Familie seit Generationen und meine Eltern gingen automatisch davon aus, dass ich ebenfalls eine konventionelle Karriere verfolgen würde. Tja, wie sich die Zeiten ändern! Mein Berufsleben sollte nicht ganz so linear verlaufen wie erwartet.

Steve Jobs war der Ansicht, dass man Punkte nur für die Vergangenheit, nicht jedoch für die Zukunft verbinden könne.5 Wie sich herausstellen sollte, hatten meine Familie und ich einen grundlegenden Denkfehler begangen, der den meisten Menschen bei Zukunftsprognosen unterläuft. Forschungsergebnisse belegen, dass unser Urteilsvermögen beim Blick in die Zukunft durch kognitive Beschränkungen beeinträchtigt wird. Wir sind geneigt, unser Leben als Kontinuum zu betrachten und uns unsere Zukunft innerhalb jener Koordinaten vorzustellen, die uns aus der Vergangenheit vertraut sind. »Aufgrund unserer evolutionären Entwicklung sind wir darauf angelegt, in ungewissen Situationen mentale Abkürzungen durch Rückschlüsse aus der Vergangenheit zu nehmen. Wir beurteilen Dinge aufgrund der fälschlichen Annahme, dass unsere Realität eine permanente Größe ist und grundlegend unverändert bleibt. Darüber hinaus neigen wir dazu, nur das zu glauben, was unsere bereits bestehenden Ansichten bestätigt.«6 Außerdem fällt es uns schwer, Vorgänge objektiv wahrzunehmen, wenn wir ein Teil ihrer sind.

Aber selbst wenn das Urteilsvermögen von meiner Familie und mir nicht durch kognitive Beschränkungen beeinträchtigt gewesen wäre, hätten wir aller Wahrscheinlichkeit nach kaum die in der Zukunft liegenden, komplexen Entwicklungen einschätzen können, wie beispielsweise das Fortschreiten der Digitalisierung und der Globalisierung. Zwar war damit zu rechnen, dass Maschinen Menschen graduell aus klassischen Arbeiterberufen mit manuellen, wiederkehrenden Tätigkeiten – wie es etwa am Fließband der Fall ist – verdrängen würden. Doch nur wenige haben vorhergesehen, wie schnell und umfangreich Künstliche Intelligenz (KI) und Hochleistungsrechner auch in Bereiche von top ausgebildeten Angestellten vordringen würden, die sich als unersetzbar gewähnt hatten. Die Professoren Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), die an vorderster Front über Künstliche Intelligenz forschen, haben bereits frühzeitig darauf hingewiesen, dass »Computer zunehmend in der Lage sein werden, maßgebliche Bereiche überwiegend kognitiver Tätigkeiten auszuführen, wie beispielsweise die Auswahl von Aktien, die Diagnose von Krankheiten oder die Erteilung von Bewährung«.7

Sie sind Anwalt? Arzt? Steuer- oder Finanzberater? Dann sollten Sie sich anschnallen, denn diese hochqualifizierten Berufe werden sich in Zukunft stark verändern. Ein aufschlussreiches Experiment, durchgeführt an der Columbia University, in dem die Leistungsfähigkeit von menschlichen Juristen mit jener der Künstlichen Intelligenz verglichen wurde, gibt bereits einen Vorgeschmack. In Tests sollten Schwachstellen in Verträgen gefunden werden. »Die KI spürte 95 Prozent solcher Schwachstellen auf, während Menschen nur 88 Prozent fanden.« Der Clou war allerdings, dass »die menschlichen Probanden 90 Minuten [benötigten], um die Texte zu durchforsten, während die KI die Aufgabe bereits nach nur 22 Sekunden fertiggestellt hatte. Spiel, Satz und Sieg für die Roboter.«8 In vielen dieser Art von Aufgaben wird sich Künstliche Intelligenz voraussichtlich »als kostengünstiger, effizienter und potenziell objektiver erweisen als der Mensch«.9

Technologie hat die Art, wie wir uns begegnen, leben und arbeiten grundlegend verändert. Die jüngeren Leserinnen und Leser kennen vielleicht nur diese Welt, aber für die meisten von uns hat sich diese im Laufe unseres Lebens drastisch gewandelt. Auch auf die Gefahr hin, uralt zu wirken: Ich kann mich zum Beispiel noch an Schreibmaschinen, Polaroidkameras und Wählscheibentelefone erinnern. Das exorbitante Ausmaß und Tempo des technologischen Fortschritts haben unsere Realität und viele unserer Annahmen und Hypothesen auf den Kopf gestellt.

Und der Wandel geht immer schneller vonstatten. In nur wenigen Jahren sind Unternehmen wie Amazon, Alibaba, Apple, Uber, Expedia, Airbnb und Facebook zur Bedrohung für ganze Branchen geworden – für den stationären Einzelhandel, Taxiunternehmen, Reisebüros, Hotelketten und Finanzberater.10 Durch den Vormarsch der Technologie laufen zahllose, zurzeit noch erfolgreiche Unternehmen auf der ganzen Welt Gefahr, früher oder später einen »Kodak-Moment« zu erleben. Dieser Begriff war ursprünglich ein Werbeslogan, der sich später im allgemeinen Sprachgebrauch etablierte. Als »Kodak-Momente« galten ursprünglich Situationen, die so einmalig waren, dass man sie unbedingt mit einer Kodak-Kamera festhalten musste – Geburtstage, Urlaube oder Abschlussfeiern. Später jedoch wurde der Begriff dazu verwendet, um auf den Punkt zu bringen, dass das amerikanische Traditionsunternehmen Eastman Kodak die existenzielle Bedrohung durch Smartphone-Fotografie verkannt und es versäumt hatte, den Konzern rechtzeitig darauf einzustellen.11 Der Rest ist Geschichte. Seither hat es immer wieder Unternehmen gegeben, die ihren »Kodak-Moment« erlebt haben und gescheitert sind – wie die einstmals so erfolgreiche Videokette Blockbuster, die von Netflix vom Markt gefegt wurde. Inzwischen muss Netflix selbst davor auf der Hut sein, von immer innovativeren Technologien verdrängt zu werden. Weitere Beispiele für Unternehmen, denen es ähnlich erging wie Kodak, sind Xerox, BlackBerry und Nokia.

Teil des Problems ist, dass »die großen Konzerne aus einem anderen Jahrhundert stammen und auf Sicherheit und Stabilität ausgerichtet sind. […] Sie sind nicht darauf angelegt, schnell fortschreitenden, radikalen Umwälzungen standzuhalte.« Richard Foster, Professor an der Yale University, geht davon aus, dass »40 Prozent der Fortune-500-Unternehmen in einem Jahrzehnt durch Start-ups ersetzt sein werden, die wir heute noch nicht einmal auf dem Radar habe«.12 Sogar Amazon ist nicht vor Disruption gefeit. Ein Trend, der stark an Schwung gewinnt und dem Unternehmen, zumindest in Teilbereichen, einmal zur Konkurrenz werden könnte, ist der »D2C«-Trend, was für »Direkt-zum-Verbraucher« (»Direct-to-Consumer«) steht. Hersteller von Konsumgütern umgehen den Mittler, in den meisten Fällen eine Plattform wie Amazon, indem sie sich über soziale Medien direkt an den Verbraucher wenden und alle Prozesse von der Bestellung bis hin zum Versand selbst abwickeln. Auf diese Weise behalten sie die Kontrolle über und profitieren von allen Teilen der Wertschöpfungskette. Beispiele für erfolgreiche D2C-Unternehmen sind die Optikerkette Warby Parker, der Rasierzubehörhersteller Dollar Shave Club und das Windelunternehmen Diapers.com.

Doch Disruption gefährdet nicht nur etablierte Unternehmen, auch Startups müssen auf der Hut sein. Vor zehn Jahren galt das Start-up Bloom Energy Corp. als vielversprechender Disruptor der Energiebranche, da es eine Technik konzipiert hatte, mit der große Teile des Energieverbrauchs in den Vereinigten Staaten hätten abgedeckt werden können. Dann aber wurde es selbst disrupted,13 weswegen es auf Wasserstoff-Brennstoffzellen umsattelte und nun versucht, neue Wachstumsmärkte aufzutun.

Die Gefahr der Disruption besteht aber nicht nur für Unternehmen, sondern droht jedem Einzelnen von uns. In einer Welt, in der Wandel die einzige Konstante ist, müssen wir auch uns selbst laufend hinterfragen, neu positionieren und anpassen, um zukünftig relevant zu bleiben.

»Robogeddon«: Werden Sie durch eine Maschine ersetzt?

Silicon Valley: Die Zukunftsmanufaktur

Als ich in die Grundschule ging, pflegte meine Großmutter ein Ritual: Am Vorabend einer Klassenarbeit legte sie mir ein Buch unters Kopfkissen. Einem Aberglauben zufolge sollte sich so das Wissen über Nacht übertragen. Vermutlich wollte meine Großmutter mir mit dieser Geste Mut machen. Funktioniert hat der Trick jedoch leider nie.

Stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn wir nichts mehr lernen, lesen oder uns merken müssten. Wenn wir Informationen sozusagen direkt in unser Gehirn herunterladen könnten. Wäre das nicht praktisch, wenn wir unser Wissen auf einer Art Festplatte speichern könnten, indem wir es in eine Cloud hochladen? Ihnen mag das abstrus vorkommen, aber während wir mit Alltagsdingen beschäftigt sind, arbeitet die Techelite im Silicon Valley, dem malerischen und außerordentlich wohlhabenden südlichen Teil der San-Francisco-Bay-Region, bereits an einer solchen Zukunft. Dort beheimatet ist auch Ray Kurzweil, einer der prominentesten Vertreter der Techelite. Kurzweil ist Chefingenieur bei Google, Zukunftsforscher und Erfinder. Inzwischen über 70, hegte er schon seit frühester Jugend eine Faszination für den menschlichen Neokortex. Zeit seines Lebens ist er von dem Bestreben besessen gewesen, Mensch und Maschine zu einer Einheit zu verschmelzen. Zu diesem Zwecke arbeitet er unter anderem auch daran, Informationen aus dem Gehirn in Computer hochzuladen und Informationen aus der Cloud ins Gehirn herunterzuladen. Laut Kurzweil werden wir schon bald »gottgleich« und »unsterblich« sein und »das Universum beherrschen«! Nach seiner Auffassung lassen sich sämtliche menschliche Prozesse auf elektrische und biochemische Prozesse reduzieren und in Algorithmen übersetzen. Auf Kurzweil geht das Konzept der »Singularität« zurück, nach dem der »digitale Urknall« die nächste Evolutionsstufe darstellt, auf der Mensch und Maschine zu einer Einheit verschmelzen, was bis spätestens 2045 passieren soll.

Die Singularitätsthese hat eine quasireligiöse Gefolgschaft unter den einflussreichsten »Techies« des Silicon Valley. Generell unterscheidet die Techelite zwischen »evolutionärer« und »humanistischer« Künstlicher Intelligenz. Nach Auffassung der KI-Humanisten wie etwa dem Yale-Professor David Gelernter werden Menschen aufgrund ihrer einzigartigen menschlichen Eigenschaften auch in Zukunft im Zentrum unserer Existenz stehen. Sie glauben, dass Menschen die Macht über die Maschinen behalten und diese lediglich zur Steigerung der menschlichen Leistungsfähigkeit einsetzen werden. Im Gegensatz dazu sind KI-Evolutionisten wie Google-Chefingenieur Ray Kurzweil der Meinung, dass Maschinen Menschen in absehbarer Zeit überlegen sein, aber der Menschheit das Erreichen einer höheren Entwicklungsstufe ermöglichen werden.14

Bisher hatten die KI-Evolutionisten den größeren Einfluss auf die Erschaffung neuer Technologien, doch die Kritik aus den eigenen Reihen wächst. Die Stanford University, deren Forscher federführend zur Entwicklung Künstlicher Intelligenz beigetragen haben, hat inzwischen das Stanford Institute for Human-Centered Artificial Intelligence gegründet, das von einigen der einflussreichsten Techtitanen wie dem ehemaligen Google- und Alphabet-Chef, Eric Schmidt, und dem Mitbegründer von LinkedIn, Reid Hoffman, unterstützt wird. Zwar waren es Stanford-Wissenschaftler, die einst den Begriff der Künstlichen Intelligenz geprägt hatten, jedoch möchte die Universität heute einer Innovation Vorschub leisten, die den Menschen und die Ethik in ihren Mittelpunkt stellt – in der Hoffnung, dass die nächste Generation von Studenten »aufgeklärtere und humanere Werte vertritt, als das bisher der Fall war«.15

Kurzweils Visionen mögen utopisch erscheinen, aber man sollte sie nicht vorschnell abtun. Vor über zwei Jahrzehnten machten visionäre Innovatoren wie die Gründer von Apple, Steve Jobs, von Microsoft, Bill Gates, und von Amazon, Jeff Bezos, Zukunftsprognosen, die sich als so zutreffend herausgestellt haben, dass es geradezu unheimlich anmutet. In den 1980er-Jahren sagte Steve Jobs recht konkret den Siegeszug des iPhone voraus. Bill Gates beschrieb das Internet der Dinge, als normale Menschen es sich noch nicht einmal vorstellen konnten, und Jeff Bezos prognostizierte die Übermacht des Onlinehandels, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Die Techtitanen erobern unsere Welt Byte für Byte – mit sehr konkreten, analogen Folgen für uns alle. Daher ist es enorm wichtig zu verstehen, wie sie denken, denn sie gestalten unsere Zukunft, und ihre Mentalität ist eine ganz andere als die konventioneller CEOs. Wie groß ist denn nun das Potenzial beziehungsweise die Bedrohung, die der technische Fortschritt für uns alle darstellt?

Nach Ansicht von Marc Benioff, CEO von Salesforce, ist »Technologie an sich weder gut noch schlecht – es kommt ganz darauf an, wie man sie einsetzt«. Techgenie und KI-Unternehmer Jeremy Howard meint, dass die industrielle Revolution ein Klacks gewesen sei im Vergleich zu dem, was uns noch bevorsteht.16 Google-CEO Sundar Pichai geht sogar so weit zu sagen, dass Künstliche Intelligenz bahnbrechender sei als Elektrizität oder Feuer.17 Klaus Schwab, der Gründer und Vorsitzende des Weltwirtschaftsforums und Autor von Die Vierte Industrielle Revolution meint, dass diese Revolution »die grundsätzliche Frage aufwerfe […], was Menschsein bedeutet«.18 Andere malen ein düsteres Bild. Viele Ökonomen sind der Ansicht, dass sich diese Revolution grundlegend von früheren industriellen Revolutionen unterscheidet.19 Der renommierte Wirtschaftshistoriker Robert Skidelsky sieht in Robotern sogar eine Gefahr für die Menschheit.20 Yuval Noah Harari, israelischer Historiker und Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem, skizziert ein regelrechtes Schreckensszenario. Er schreibt: »Die Verschmelzung von Infotech und Biotech könnte schon bald Milliarden von Menschen den Job kosten und sowohl Freiheit als auch Gleichheit untergraben. Big-Data-Algorithmen könnten digitalen Diktaturen Vorschub leisten, in denen sich die gesamte Macht in den Händen einer kleinen Elite konzentriert, während die meisten Menschen nicht unter Ausbeutung zu leiden haben, sondern unter etwas noch viel Schlimmerem – nämlich der Tatsache, dass sie auf einmal gänzlich überflüssig sind.«21 Manche Wissenschaftler befürchten ebenfalls eine bevorstehende »Robokalypse«, weil Roboter unsere Jobs an sich reißen und die Kontrolle übernehmen könnten.22 Der ehemalige Facebook-Produktmanager Antonio García Martínez beschreibt ein »Robogeddon«-Szenario, in dem der »Techadel bereits Überlebenscamps für sich errichtet, während der Rest von uns schlafwandlerisch auf die Apokalypse zusteuert«.23 Der MIT-Professor und Co-Autor von The Second Machine Age, Erik Brynjolfsson, warnt vor Revolution und Gewalt, wenn sich die Gesellschaft nicht adäquat auf diese Herausforderungen einstellt.24

Die Geisteshaltung der Tech-Genies erscheint gespalten: Einerseits glauben sie, über fast gottgleiche Schöpfungskraft zu verfügen, während sie andererseits Angst vor dem sogenannten Exit haben – und das bedeutet in diesem Zusammenhang nicht Börsengang. Mit »Exit« oder »Event« meinen sie den Eintritt eines katastrophalen Ereignisses, beispielsweise den Ausbruch sozialer Unruhen, den durch Cyberkriminalität ausgelösten Zusammenbruch der Infrastruktur, den Ausbruch von Pandemien sowie Umwelt- und anderen Katastrophen. Um für diese Risiken gewappnet zu sein, entwerfen sie Fluchtpläne und planen den Rückzug in Survival Camps.

Ein Beispiel ist Peter Thiel, der erste Investor in Facebook sowie Mitgründer von PayPal, Palantir und des Founders Fund. Er erwarb die neuseeländische Staatsbürgerschaft und schuf sich einen an einem See gelegenen sicheren Rückzugsort, ausgestattet mit eigener Landebahn und – so munkelt man – sogar einem unterirdischen Bunker. Gleichzeitig finanziert er zusammen mit anderen Silicon-Valley-Schwergewichten Unsterblichkeitsforschung. Fluchtgedanken sind vermutlich auch die Motivation für das Bestreben einiger Techtitanen, den Weltraum zu erobern. Jeff Bezos investiert Milliarden seines eigenen Geldes in sein Unternehmen Blue Origin, mit dem Ziel, Billionen Menschen in Weltraumkolonien anzusiedeln. Weil wir seiner Meinung nach die Erde zerstören, sei der einzige Ausweg die Bevölkerung des Weltalls. Ebenso steckt der notorisch eigenwillige Tesla-Erfinder Elon Musk ein Vermögen in sein Weltraumunternehmen SpaceX, um eine Million Siedler auf den Mars zu verfrachten. Steve Jobs brachte das Mindset der Innovationspioniere und ihren Einfluss treffend auf den Punkt: »Gelobt seien die Verrückten. Die Unangepassten. Die Rebellen. Die Unruhestifter. […] Man sollte sie nicht ignorieren. Weil sie der Menschheit mit ihren Veränderungen Fortschritt bescheren. Und während manche sie für verrückt erklären, erkennen wir ihr Genie. Weil Menschen, die so verrückt sind zu glauben, dass sie die Welt verändern können […], diejenigen sind, die es auch schaffen.«25

Rückblick: Die Wirkkräfte der Globalisierung

Aristoteles war seiner Zeit weit voraus mit der These, dass eines Tages alle nötigen Arbeiten von mechanischen Sklaven erledigt werden würden, sodass die Menschen das Leben genießen könnten.26 Aus der Perspektive eines Philosophen im antiken Griechenland waren das sicherlich vielversprechende Aussichten. Für uns jedoch, die wir heute leben, ist weniger klar, worauf diese Entwicklung letztendlich hinauslaufen wird.

Viele Institutionen wie Universitäten, Denkfabriken, Zentralbanken und Beratungsunternehmen, haben Studien über die bevorstehenden Arbeitsplatzverluste erstellt. Die Schätzungen variieren, doch eines ist ihnen gemeinsam: Die Auswirkungen werden enorm sein und zu erheblichen gesellschaftlichen Verwerfungen führen.

Einer Studie des McKinsey Global Institutes zufolge, im Rahmen derer 800 Berufsgruppen in 46 Ländern untersucht wurden, dürften »bis zu 800 Millionen Arbeitnehmer weltweit bis 2030 ihre Jobs verlieren und durch robotergestützte Automation ersetzt werden«.27

Die Universität Oxford kommt in einer viel beachteten Studie zu dem Schluss, dass bis 2030 Automation, Künstliche Intelligenz und Digitalisierung in den USA ungefähr die Hälfte aller Arbeitsplätze kosten werden.28 Ebenso prognostiziert das Weltwirtschaftsforum, dass Künstliche Intelligenz, Robotik und Nanotechnologie menschliche Arbeitnehmer ersetzen werden, wovon bis 2030 „fast ein Drittel aller Arbeitsplätze im Vereinigten Königreich betroffen sein wird“29 und in Deutschland beinahe 60 Prozent aller Stellen.30 Die Prognosen der Bank of England fallen ähnlich aus. Sie geht davon aus, dass in den nächsten 20 Jahren wahrscheinlich Arbeitsplätze im zweistelligen Millionenbereich in den USA und im Vereinigten Königreich wegfallen werden.31 Andy Haldane, Chef-Volkswirt der Bank of England, gibt zu bedenken, dass »die Nachfrage nach Tätigkeiten, die nur von Menschen ausgeführt werden können, weiter sinken wird, je intelligenter Maschinen werden«.32

Ein ähnliches Schicksal droht Arbeitsplätzen in Schwellenländern in Asien, Afrika und Südamerika. Zwar hatten diese in den vergangenen Jahren einen deutlichen Zuwachs zu verzeichnen, dieser ist jedoch wegen der steigenden Lohnkosten und dem vermehrten Übergang zu maschineller Herstellung wieder rückläufig. Um Kosten zu sparen, investieren Unternehmen auch dort deutlich mehr in Automatisierung. Der taiwanesische Produzent Foxconn, einer der größten Apple-Zulieferer, hat sich zum Ziel gesetzt, letztlich fast alle menschlichen Arbeitskräfte durch Maschinen zu ersetzen, was allein in China über eine Million Arbeitnehmer beträfe.33 Die durch Automatisierung bedingten Jobverluste in Schwellenländern werden zusätzlich dadurch vergrößert, dass viele Unternehmen aus Industrieländern wie zum Beispiel den USA begonnen haben, die Produktion zurückzuverlagern – sie also aus Schwellenländern wieder nach Hause zu holen, weil dies Transport- und Logistikkosten spart und sie in automatisierten Produktionsprozessen vor Ort zeitnaher und preisgünstiger produzieren können.

Hinzu kommt, dass die Leistungsfähigkeit und die Kosten von Robotern präziser messbar sind als die von Menschen.34Einer Studie zufolge sind zwei Drittel aller CEOs der Auffassung, dass Robotik, Automation und Künstliche Intelligenz deutlich mehr Wert schöpfen als Menschen. Fast die Hälfte glaubt, dass Technologie Menschen in ein paar Jahren »weitgehend irrelevant« machen wird. Viele »Unternehmen und Investoren betrachten Automation als wertschöpfend für Aktionäre, schon allein weil diese Lohnkosten senkt«.35 Aufgrund des Drucks von Aktionären, investieren CEOs denn auch vorzugsweise in reale, messbare Vermögenswerte wie Maschinen. Schätzungen zufolge werden Investitionen in Industrieroboter in den 25 größten Exportländern bis Ende 2025 um 10 Prozent pro Jahr wachsen.36

Vorbei sind die Zeiten, als eine vierköpfige Familie noch von einem Gehalt leben konnte, Bildung bezahlbar war und sich die private Verschuldung in Grenzen hielt. Die Jahre nach der Großen Depression von 1929 in den USA waren geprägt von einem Sinn für Loyalität. Unternehmen unterstützten die Interessen der Gesellschaft und generierten Millionen von Arbeitsplätzen, auch um Kunden für ihre Produkte zu schaffen. Verkörpert wurde dieser Geist insbesondere durch Henry Ford, der die viel zitierte Maxime prägte, dass es für Industriemagnaten eine Regel gebe, nämlich die hochwertigsten Produkte zu niedrigsten Kosten bei höchstmöglichen Löhnen herzustellen. Seiner Ansicht nach war es offensichtlich, dass man seine Arbeiter angemessen bezahlen müsse, damit sie sich die hergestellten Produkte leisten könnten. Durch dieses Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben die USA enormen Wohlstand erfahren. Es herrschte ein Gefühl der Einigkeit darüber, in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden zu sein. Selbst als die fortschreitende Technologisierung und die Globalisierung zunehmend mehr Jobs kosteten, waren Unternehmen wie Kodak bereit, Gewinneinbußen hinzunehmen, um die negativen Auswirkungen auf ihre Mitarbeiter abzufedern, indem sie diese umschulten oder ihnen halfen, andere Anstellungen zu finden.37

Derartige Loyalität gehört mittlerweile weitgehend der Vergangenheit an. Fortschritt und Globalisierung haben dem ehemals geltenden Gesellschaftsvertrag die Geschäftsgrundlage entzogen. Global zusammenwirkende strukturelle Kräfte wie der Wettbewerb mit Billiglohnländern wirkten sich negativ auf die Gewinne von Unternehmen aus. Diese passten sich an, beispielsweise durch Outsourcing, was auf Kosten von Löhnen, Sozialleistungen und Arbeitsplatzsicherheit ging. Langsam, aber sicher verlagerte sich der Fokus weg von der Beachtung auch gesellschaftlicher Belange ausschließlich und obsessiv auf die Interessen der Aktionäre. Und während die CEOs großer Unternehmen über 300-mal mehr als durchschnittliche Beschäftigte verdienen, werden Letztere zunehmend als vermeidbarer Kostenfaktor betrachtet. Technologie hat zu größerer gegenseitiger Unabhängigkeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern geführt, aber vor allem hat sie die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer geschwächt.38

Ausblick: Die Wirtschaft der Zukunft

In unserer Wissenswirtschaft sind Daten das neue Öl, Gold und Wasser. Was auch immer das Geschäftsmodell ist – die Macht von Unternehmen liegt in datengestützten Netzwerken. Die größten Wettbewerbsvorteile basieren auf Konzentration und Konnektivität, denn in unserem technologisierten Wirtschaftssystem bedeutet beste Vernetzung auch gleichzeitig größte Produktivität. Die Dynamik der sogenannten Superstar-Wirtschaft, ein von dem Ökonomen Sherwin Rosen in den 1980er-Jahren geprägter Begriff39, hat zu Monopolismus geführt, da Unternehmen, die bereits über einen großen Marktanteil verfügen, aufgrund von Netzwerkeffekten die optimalen Voraussetzungen haben, diesen automatisch weiter zu vergrößern.

Vor allem Techkonzerne schaffen gigantische Ökosysteme, innerhalb derer sie ihren eigenen Waren und Dienstleistungen den Vorzug geben. Tauchen potenzielle Konkurrenten am Markt auf, dann kaufen sie diese mit ihren schier unbegrenzten finanziellen Ressourcen einfach auf – entweder, um sie in den Konzern zu integrieren, oder aber, um sie abzuwickeln. Die daraus resultierende Konzentration führt zu Eintrittsbarrieren, was im Umkehrschluss bedeutet, dass weniger gut aufgestellte Unternehmen noch schlechter performen. Der Datenreichtum der Techkonzerne hat zudem eine Informationsasymmetrie zur Folge, weil die Unternehmen vollumfängliches Wissen über ihre Beschäftigten, Kunden und Endverbraucher erlangen, während diese wiederum über keinerlei Einblicke in die undurchdringliche Dynamik der Algorithmen verfügen. Dieser Trend zum Monopolismus wird durch einen Mangel an Regulierung noch weiter verschärft.

Ein Beispiel dafür ist Amazon. Kontinuierlich ist das Unternehmen in fast alle Bereiche unseres Lebens vorgedrungen. Angefangen hat es mit dem Onlineverkauf von Büchern. Dann erweiterte es seine Produktpalette auf Konsumgüter, später auf Lebensmittel, Streaming- und Cloud-Dienste, Medikamente, Finanzdienstleistungen, stationäre Buchläden und lokale Supermärkte. Derzeit erwägt die Geschäftsführung, auch den Versand selbst zu übernehmen.40 Amazon kann seinen »Footprint«, also seine Absatzmärkte, beliebig vergrößern, weil es überproportional von Algorithmen profitiert. Die in einem Segment gewonnenen Daten kann es auch in anderen Segmenten nutzen; und der Gesamtüberblick über alle Daten ermöglicht dem Unternehmen einen optimalen, kommerziellen Einsatz. Konventionelle, eindimensionale Firmen können da kaum mithalten.

Aus all dem folgt, dass Wettbewerb zunehmend zwischen den großen »Superstar«-Konzernen ausgetragen wird. Diese Dynamik dürfte sich weiter verstärken, denn dem Moore’schen Gesetz zufolge verdoppelt sich die Rechenleistung von Computern circa alle 18 Monate, während die Kosten fallen. Skeptiker bezweifeln, dass dieses Gesetz noch vollumfänglich greift, weil ihrer Ansicht nach Technologien mittlerweile an ihre physischen Grenzen stoßen. Doch selbst wenn sich der Anstieg der Leistungsfähigkeit verlangsamen sollte, ist davon auszugehen, dass es sich um eine Entwicklung handelt, die sich mittlerweile zumindest selbst perpetuiert.

Beachten sollte man auch, dass Technologien, deren Leistungsfähigkeit exponentiell zunimmt, aufeinandertreffen und sich gegenseitig weiter verstärken. Beispielsweise macht die Arzneimittelentwicklung Quantensprünge, weil sie sich Biotechnologie, Künstliche Intelligenz und Supercomputer zunutze machen kann.41 Eine Manifestation dieses Phänomens war auch die rasche Entwicklung von Impfstoffen zum Schutz vor COVID-19-Viren. Jeffrey Snover, führender Software-Architekt bei Microsoft, merkt an, dass »Unternehmen vormals Wert schufen, indem sie Atome bewegten. Demgegenüber schaffen sie heute Wert, indem sie Bits bewegen.« Aktuellen Studien zufolge wird die Zahl der digitalen Bits die Anzahl der Atome auf der Erde innerhalb der nächsten 150 Jahre übersteigen.42

Arbeitsmarkt: Die Folgen der Digitalisierung

In den letzten Jahrzehnten hat unsere Wirtschaft eine Transformation durchlaufen, von einer industriellen hin zu einer wissensbasierten, digitalen Wirtschaft. Im Zuge dessen hat sich fast unbemerkt ein boomender Megatrend gebildet: das Outsourcing von Arbeit an unabhängige Arbeiter, sogenannte Gig-Arbeitnehmer. Dieser Trend zeigt sich in fast allen Branchen. Zwischen 2000 und 2016 hat sich das Dollarvolumen im Zusammenhang mit Outsourcing-Verträgen verdreifacht, von 12,5 Milliarden Dollar auf etwas über 37 Milliarden Dollar.43 Großunternehmen wie Google, FedEx und die Bank of America outsourcen auf diese Weise bereits 50 Prozent ihrer Arbeit. Ziel ist es, letztendlich fast alle Jobs auszulagern, bis auf die des Managements.

»Diese Art von kurzfristiger Zeitarbeit gibt es natürlich schon lange, aber digitale Plattformen, auf denen Menschen für begrenzte Arbeitsleistungen angeheuert werden können, sind neu.«44 In der »On-demand- und Just-in-time-Wirtschaft« bedeutet die Verbrauchernachfrage nach immer neuen Erfahrungen, dass Unternehmen ständig damit beschäftigt sind, mit neuen Waren und Dienstleistungen aufzuwarten. Daher agieren sie meist kurzfristig und auf spekulativer Basis. Jeder Arbeiter ist in dem jeweiligen Moment notwendig, aber entbehrlich, sobald das Projekt abgeschlossen ist.45 Daher passen sich Unternehmen der Nachfrage an und versuchen, flexibel zu bleiben, indem sie sich von Vollzeitbeschäftigten trennen, ihre Arbeiter auf Nachfrage mobilisieren und mithilfe von Algorithmen Management auf Abruf betreiben.46 Gig-Jobs umfassen freiberufliche und selbstständige Tätigkeiten, Nebenjobs, kurzfristige On-demand-Arbeit und vorübergehende Managementtätigkeiten, wie etwa als Interims-CEO. Diese Jobs findet man in der Regel auf Onlineplattformen sowie über Personaldienstleister und andere Vermittler.47 Die genaue Anzahl und Wachstumsrate von Gig-Arbeitern, die ihren Lebensunterhalt durch sogenannte alternative Arbeitsarrangements bestreiten, ist schwer zu schätzen, da diese Zahlen nicht präzise in offiziellen Statistiken festgehalten werden.48

Qualifizierte Arbeitskräfte haben in der Gig Economy die größten Chancen auf Erfolg.49 Ihre Kompetenzen sind gefragt, was ihnen Verhandlungsmacht gibt. Außerdem bietet unabhängige Auftragsarbeit Autonomie, die es ihnen ermöglicht, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten, was für viele durchaus ein attraktives Attribut darstellt.

Geringer qualifizierte Arbeitnehmer haben in der Gig Economy das Nachsehen. Plattformgeschäftsmodelle werden wegen der Möglichkeit zur Unabhängigkeit und Selbstbestimmung gepriesen, weil sie es Menschen ermöglichen, selbst Mikrounternehmer zu werden. Doch schaut man genauer hin, dann wird deutlich, dass diese Geschäftsmodelle eher einer Art Neofeudalismus ähneln als einer sozial gerechteren Form des Kapitalismus. Wer Plattformen wie Uber oder TaskRabbit nutzt, um Arbeit zu finden, ist externer Auftragnehmer, hat bei den unternehmerischen Entscheidungen der Firma keinerlei Mitspracherecht, wird nicht auf Grundlage unternehmerischen Risikos bezahlt und erhält auch keine Firmenanteile. Die Datenerfassung und -verwaltung durch Algorithmen hat eine absolute Informationsasymmetrie zwischen Plattformunternehmen und Arbeitern zur Folge. Techunternehmen wissen heute mehr über ihre Arbeiter und haben mehr Kontrolle über diese als jedes konventionelle Unternehmen zuvor. Sie lagern die unternehmerischen Risiken und Geschäftskosten auf die Arbeiter aus, die zu allem Übel auch noch ohne Arbeitnehmerschutz und Sozialleistungen auskommen müssen. Diese ausbeuterischen Charakteristika sind für die Arbeiter aufgrund des undurchsichtigen Einsatzes von Algorithmen und der Art der Vereinbarungen schwer durchschaubar. Nehmen wir beispielsweise den beliebten Fahrdienst Uber. Das Unternehmen verfügt über sämtliche Daten zu ihren Fahrern und Kunden, die aber wiederum selbst keinen Zugriff darauf haben. Die Preise werden flexibel und automatisch von der Zentrale aufgrund von Daten zu Angebot und Nachfrage durch Algorithmen festgelegt, in die die Fahrer keinen Einblick haben und die sich ihrem Einfluss entziehen.50

Nicht einmal die Techelite ist sich einig darüber, wie genau Technologie unsere Zukunft im Einzelnen prägen wird. Während manche eine Robokalypse fürchten, malen sich andere ein hedonistisches Paradies aus, in dem der Mensch – befreit von sinnentleerter Arbeit – sein Leben genießen kann. Vermutlich wird keines dieser extremen Szenarien eintreten, jedenfalls nicht in absehbarer Zukunft. Wahrscheinlicher ist, dass wir in den kommenden Jahren immer mehr mit Maschinen zusammenarbeiten werden, um unsere Leistungsfähigkeit und Produktivität zu steigern.

Um Hunderttausende von Arbeitsplätzen zu retten, schulen Unternehmen wie Accenture Beschäftigte um und setzen sie dort ein, wo ein Zusammenwirken menschlicher und maschineller Intelligenz Sinn macht.51 So predigen die MIT-Professoren Brynjolfsson und McAfee denn auch, dass der Wettlauf nur zu gewinnen sei, wenn wir nicht gegen Maschinen antreten, sondern mit52