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HAYMON verlag

Christoph W. Bauer

Der Buchdrucker
der Medici

Erzählung

© 2009
HAYMON verlag
Innsbruck-Wien
www.haymonverlag.at

Hommage an Michael Wagner

Inhalt

Der Buchdrucker der Medici

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Blättert Wagner im Buch, das ihm die Erinnerung in die Hand drückt, fallen ihm Glück wie Unglück gleichermaßen zu. Zuweilen ist ihm, als wüchsen aus den Sätzen Landschaften und Orte, Straßen und Häuser, selbst Stimmen vermeint er zu hören. Freilich, ab und an spielt ihm das Gedächtnis einen Streich; doch vierhundert Jahre füllen viele Seiten, da darf man sich schon einmal vertun. Auch bringt ihn der Marsch durch die Jahrhunderte ins Schwitzen, Schweiß perlt ihm von der Stirn in die Augen und die Bilder verschwimmen.

Deutlich sieht Wagner das vom Dullbach durchflossene Seitental der Schmutter. Dort verbringt er seine Kindheit, dort wird er geboren, in Deubach bei Augsburg im Jahr 1610.

Lesend kehrt er zurück ins Dorf grüner Tage, das eine Schlossanlage überragt, nur noch eine kleine Kirche zeugt heute von ihr, die einstige Schlosskapelle. Im Schloss wohnt die Familie Zech, deren Oberhaupt sich Ratskonsulent von Augsburg nennen darf.

Er hat es weit gebracht, der alte Zech, erzählt man sich im Dorf, er stamme aus Schwaz in Tirol, habe in Ingolstadt studiert, sei Stadtschreiber gewesen. Vor allem aber habe er vorzüglich geheiratet, seine Söhne und Enkel stünden ihm darin um nichts nach. Erst kürzlich sei Hans Wolf Zech mit Anna Corona Rehlinger vor den Traualtar getreten, einer Tochter aus bestem, ja führendem Augsburger Patrizierhaus.

Solcherart Reden prägen Wagner und schon früh ahnt er, worauf es im Leben ankommt.

Von Kindheit an begleitet Wagner seinen Vater nach Augsburg. Allein die Ausmaße der Stadt imponieren ihm, beinahe 50.000 Einwohner zählt sie. Schon von Weitem sind die Türme des Doms und der Basilika St. Ulrich und Afra zu erblicken. Gerade ist ein neuer Prachtbau im Entstehen, das Rathaus, seine Eleganz weist nach Florenz, mit dem sich die Reichsstadt gerne misst.

Über den Weinmarkt, vorbei an den Fuggerhäusern. Ein Palast reiht sich an den nächsten. Selbst wohlhabende Kaufleute und reiche Handwerker residieren wie Bischöfe und Fürsten. Und in den Straßen und Gassen herrscht ein Trubel, dass kaum ein Durchkommen ist. Augsburg ist der bedeutendste Umschlagplatz für Handelsgüter aller Art im Süden des Reichs.

In der Osterzeit und zu St. Michael im September finden die Dulten statt. Zur Zeit der Jahrmärkte platzt die Stadt aus allen Nähten. Von überallher kommen Händler und Kaufleute. Eine Branche hat es Wagner besonders angetan. Immer wieder drängt es ihn zu den Budeln jener Trödler, die mit Büchern und Drucken handeln. Er ist fasziniert von den mannshohen Stößen von Papier, den feilgebotenen Folianten, von Titelbordüren, Letternzügen und Schnörkeln. Und erst die Buchmalereien, sie lassen sein Herz höher schlagen. Neben dicken Wälzern macht er Bücher im Quart- und Oktavformat aus. Volkstümlichen Inhalts seien sie, erklärt der Vater. Auch verschiedene Schrifttypen erkennt Wagner, die Fraktur, die Antiqua und – die Schwabacher, die gefällt ihm bei Weitem am besten.

Ein Name ist bei den Krämern in aller Munde: Georg Willer, ein Augsburger Verleger. Schon sein Vater habe den Buchmarkt revolutioniert und den ersten Messkatalog drucken lassen, hört Wagner. Zweimal jährlich erscheint der Katalog bereits, enthält einen ersten Teil mit lateinischen, griechischen und orientalischen Büchern, einen zweiten mit deutschsprachigen Novitäten. Damit sei man Kollegen aus anderen Zweigen weit voraus, jubeln die Verkäufer.

Bald weiß Wagner, die Händler nennen sich Buchführer. Mit einem Fass, in dem sie ihre Waren verstauen, reisen sie landauf, landab, von einer Messe zur nächsten. Die Messreisen seien allerdings beschwerlich und lang. Von Augsburg nach Frankfurt am Main habe man zu Pferd gut sieben Tage zu veranschlagen. Doch nach Frankfurt müsse man eben. Es sei neben Leipzig das Buchzentrum schlechthin. Wagner malt sich die Städte aus, fest entschlossen, sie einmal aufzusuchen.

Früh lernt Wagner, was goldenen Boden hat. In seiner Kindheit gibt es in Augsburg noch über hundert registrierte Verleger. Ferner Buchführer, Buchbinder, Formschneider und Kupferstecher in großer Zahl. Hinzu kommen die Drucker und deren Konkurrenten, die Briefmaler.

Briefmaler sei ein schöner Beruf, bekundet Wagner seinem Vater gegenüber. Ob er denn in ärmlichen Verhältnissen enden wolle, bekommt er als Antwort, das sei doch eine aussterbende Zunft. Die meisten Briefmaler würden ja jetzt schon im Barfüßlerviertel wohnen oder in der Jakobervorstadt zwischen Ross-, Sau- und Rindermärkten.

Aber Schultes –

Schultes sei eine Ausnahme und befinde sich außerdem stets mit den Druckern im Streit. Er hätte Schachtelmacher bleiben sollen, donnert der Vater.

Johannes Schultes ist eine stadtbekannte Persönlichkeit. Durch Heirat Bürger von Augsburg geworden, verdient er seinen Lebensunterhalt zunächst mit der Herstellung von Papierschachteln. In Dillingen hat er sich aber auch zum Buchdrucker ausbilden lassen. Nun druckt er Kalender, Andachtsbücher und Musikalien – gegen den hartnäckigen Widerstand der Buchdrucker, die eine Konkurrenz aus der Briefmalerzunft nicht dulden wollen und ihn in langjährige Prozesse verwickeln.

Überhaupt sind sich die einzelnen Sparten spinnefeind. Der Buchdrucker druckt, was der Buchführer zu den Messen und Märkten führt, der Buchbinder bindet die Bücher ein. Klingt logisch und sorgt doch immer wieder für Streit. Denn die Drucker und Buchführer verlegen sich vermehrt auf den Handel mit Büchern, obwohl das eigentlich nur den Buchbindern zusteht.

Lieber wolle er ohnehin Buchführer werden, fährt Wagner fort. Dieser Idee kann sein Vater noch weniger abgewinnen. Er nennt die Buchkrämer Studienabbrecher, schon ein altes Sprichwort besage: Ein verdorbener Student gebe einen guten Buchführer oder Landsknecht. Er habe ein rechtschaffenes Handwerk zu erlernen! Und wenn es schon die Buchbranche sein müsse, solle er Drucker werden, denen gehöre die Zukunft.

Seit einigen Jahren erst gibt es die wöchentlich erscheinende Ordinari-Zeitung. Zudem gilt die Stadt als ein bedeutender Druckort für Flugschriften. Nicht schwer also, hier eine Offizin zu finden, in der man eine Lehre absolvieren kann.

Gemurmel in Deubach, hektisches Treiben. Die Alten schlagen ein Kreuz, starren verängstigt zum Himmel. Auch Wagner wirft den Kopf in den Nacken, dort oben, deutlich zu sehen – ein Komet. Unheil künde er, das Weltengericht stehe bevor, dessen sind sich die Dorfbewohner sicher. Und sehen ihre Reden bestätigt, als ein Jahr später italienische und Tiroler Soldaten an Augsburg vorbei Richtung Böhmen marschieren.

Ein Krieg nimmt seinen Anfang, dreißig Jahre wird er dauern. Dass den religiösen Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken andere Interessen überlagern, versteht Wagner so wenig wie seine Deubacher Nachbarn. Aber er und seine Familie wissen, auf welcher Seite sie stehen. Sie sind katholisch durch und durch.

Wagner ist neun Jahre alt, für ihn und die Dorfkinder ist der Krieg Anlass zum Spiel. In Gruppen teilen sie sich auf, fallen übereinander her. Keine Notiz nehmen sie davon, dass in der nahen Residenzstadt erste Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden. Über tausend Mann Fußvolk werden angeworben, dazu eine Hundertschaft von Reitern.

Besucht Wagner allerdings mit seinem Vater die Dulten, wundert er sich über die Verstärkung der Wachen an den Toren. Auch die Tumulte vor den Bäckerläden verwirren ihn. Ablenkung findet er stets bei den Bücherständen. Als er aber einmal sieht, wie sich zwei Buchführer an der Plünderung eines Brotgeschäftes beteiligen, drängt er sich verängstigt an seinen Vater.

Die Versorgungslage spitzt sich zu. Missernten lassen die Getreidepreise in die Höhe schnellen. Zudem setzt eine enorme Münzentwertung ein. Oft hört Wagner seine Eltern vom „schlechten Geld“ reden. Kein guter Zeitpunkt, ihnen mit einem Berufswunsch in den Ohren zu liegen. Außerdem, das Druckergewerbe ist fest in protestantischer Hand. Erst vor wenigen Jahren hat sich endlich wieder ein katholischer Drucker in Augsburg niedergelassen. Und überhaupt: Um Buchdrucker werden zu können, bedarf es einer soliden schulischen Ausbildung und der Kenntnisse in Latein. Solche sind in Deubach nicht zu erlangen.

Neidisch blickt Wagner hinüber zum Schloss, er weiß, die Kinder des Hans Wolf Zech dürfen eine Lateinschule besuchen. Und er fasst sich ein Herz, fleht seinen Vater so lange an, bis der endlich des lieben Feierabendfriedens willen grünes Licht gibt. Wagner darf in die Schule nach Augsburg. So groß seine Freude ist, die besorgten Blicke seiner Eltern –

Erste Berichte von marodierenden Truppen kursieren, verbreiten sich wie ein Lauffeuer.

In der Schule herrscht eiserne Disziplin. Nach einem grundlegenden Unterricht in Latein, Musik und Religion stehen in den höheren Klassen die Fächer Mathematik, Rhetorik, Poesie und Griechisch auf dem Programm.

Wann immer es die Zeit erlaubt, sucht Wagner die Buchkrämer auf, ihre Geschäfte gleichen Lagerräumen voller Ballen und Pakete. Regale erblickt er, die sich unter der Last verschnürter Stöße von Rohbögen und Unmengen von bedrucktem Papier gefährlich biegen. Spärlich der Bestand an gebundenen Büchern. Dafür aber nennt jeder Händler ein wuchtiges Holzfass sein Eigen –

Als Laufbursche sammelt Wagner erste Erfahrungen im Buchhandel. Seine Wege führen ihn bei den Buchbindern vorbei, die er beim Falzen und Heften beobachtet. Vor ihren Geschäften haben sie Anschläge angebracht, werben mit Titelblättern diverser Novitäten. Oft begegnen ihm Kunden, die er kurz zuvor noch in den Gewölben der Buchkrämer angetroffen hat. Nun kommen sie mit den erstandenen Druckbögen und lassen sie zu Büchern binden.

Am liebsten begibt sich Wagner in die Offizinen der Drucker. Dort sieht er die Setzer mit Winkelhaken hantieren, um jeder Zeile die gleiche Länge zu geben. Eine Zeile um die andere fertigen sie damit an, heben sie auf eine rechteckige Metallplatte, das Setzschiff. Dann wird der Text angedruckt, korrigiert und endlich mit dem Schließzeug in die Druckform gebracht. Das Papier müsse feucht sein, damit es die Farbe besser annehme, hört Wagner. Daher werde der Papierstapel bereits am Vorabend gewässert, üblicherweise in Mengen zu 250 Bögen. Hernach sind die Drucker am Zug. In größeren Offizinen arbeiten sie meist im Gespann. Einer verreibt Farbe zwischen zwei Ballen, die mit Hundeleder bezogen sind, der andere richtet unterdessen die Presse ein und schiebt den Karren unter den Tiegel der Druckpresse. Dann zieht er kräftig an einer herausstehenden Stange, dem Bengel, um den Druck durchzuführen. Anschließend wird der bedruckte Bogen zum Trocknen aufgehängt.

Mehr als einmal steht Wagner den Druckergesellen im Weg. Unter wilden Flüchen jagen sie ihn aus der Offizin. Wieder auf der Straße, bekreuzigt sich Wagner rasch.

Tuet Buße und betet, um die göttliche Strafe abzuwenden, rufen die Stadtoberen die Menschen auf. Kurz schließt Wagner die Augen. Doch die Bilder sind im Kopf, lassen sich nicht verdrängen. Leichenberge sieht er, hört die Totengräber stöhnen. 1628 wütet die Pest in Augsburg und fordert über 9.000 Todesopfer. Soldaten hätten die Seuche eingeschleppt, heißt es.

Kaum lässt die Pestilenz etwas nach, erfasst der Krieg die Stadt. Sie wird zum Exerzierplatz der Rekatholisierung. Die protestantische Religionsausübung wird untersagt, ein rein katholischer Stadtrat bestellt. Beamte, die nicht zur Konversion bereit sind, werden entlassen.

Im Buchgewerbe hat der konfessionelle Gegensatz bisher keine große Rolle gespielt. Jetzt kommt die Tätigkeit der protestantischen Drucker beinahe zum Erliegen. Ganz zur Freude des einzigen katholischen Druckers der Stadt. Wagner kennt ihn, Andreas Aperger, unzählige Male geht er in dessen Offizin am Frauentor aus und ein.

Aperger hat das Amt des Stadtbuchdruckers inne. Er druckt für einen durch kaiserliches Privileg geschützten Verlag. Und auf Privilegien kommt es an, das lernt Wagner rasch. Wer über keine Druckbefugnis verfügt, dem nützt der beste Umgang mit dem Winkelhaken nichts. Censores durchstreifen die Stadt, einen von ihnen kennt Wagner seit Kindheitstagen – Hans Wolf Zech.

Und noch etwas begreift Wagner früh: Gutes Einvernehmen mit den Jesuiten ist der Karriere förderlich. Aperger verfügt über hervorragende Kontakte zu den Ordensmännern. Der Jubel seiner Gegner im protestantischen Lager ist dementsprechend groß, als die Katholischen im nahen Rain am Lech eine verheerende Niederlage erleiden. Bald darauf muss Aperger die Stadt verlassen.

Mit brennenden Lunten ziehen auch die bayerischen Besatzer ab. Augsburg wird kampflos den schwedischen Truppen übergeben. Vier Tage nach deren Einmarsch kommt der Schwedenkönig selbst, Löwe aus Mitternacht nennen sie ihn.

Wagner ist Zeuge, wie Gustav Adolf von einem Fenster des Fuggerpalastes aus die Huldigung der Bürgerschaft entgegennimmt. Er hat mittlerweile seine Lehre als Buchdrucker abgeschlossen. Nichts mehr hält ihn in der Stadt – doch wohin?

Dillingen hat Wagner schon mit seinem Lehrherren besucht. Die Stadt genießt großes Ansehen unter den Druckern, namhafte Meister bringt sie hervor. Doch Dillingen ist von den Schweden besetzt. Ebenso Ulm, Memmingen, Kempten. Nach Ingolstadt? Hier seien Gustav Adolfs Truppen nach einwöchiger Belagerung unverrichteter Dinge wieder abgezogen. Auch könnte er in der Stadt auf die Unterstützung der Jesuiten hoffen. Oder doch nach München? Bereits drei Offizinen gibt es dort, in denen Zeitungen gedruckt werden.

Fest steht, Wagner muss weg, allein der Konfession halber. Noch ein letztes Mal am Dullbach entlang nach Deubach. Der Abschied von der Familie herzlich, aber kurz. Die Wanderschaft gehört zur Ausbildung. Wenn nur der Krieg nicht wäre.

Ein Fremdgeschriebener ist Wagner jetzt, ein Handwerker auf der Walz. Mit einem Fass, in dem er seine Druckerutensilien, ein paar Werkproben und einige Bücher verstaut, macht er sich auf den Weg. Richtung Süden, rät ihm die Angst vor dem Löwen aus Mitternacht. Doch wo Wagner auch hinkommt, ist der Krieg schon vor ihm gewesen. Und was sich der Krieg nicht krallt, fällt der Pest zum Opfer. Immer noch tobt die Seuche in großen Teilen Süddeutschlands.

Schreckensbilder im Raum München. Ismaning, Bogenhausen in Schutt und Asche gelegt. Andere Gemeinden bis auf den Kirchturm abgebrannt. Viele Bewohner fliehen hinter die Mauern Münchens. Die Residenzstadt ist zum Bersten voll. Wagner sieht, wie die Schweden ihre Beute auf dem Markt feilbieten. Die Städter selbst bleiben von Plünderungen verschont. Nun können sie das bei ihren Nachbarn geraubte Hab und Gut zu Spottpreisen erstehen. Das Angebot ist übergroß, die Preise fallen ins Bodenlose. Eine Kuh, konstatiert Wagner, kostet gerade einmal einen Gulden – so viel wie vor dem Schwedeneinzug ein Pfund Schmalz.

Als er München verlässt, sucht er Schutz in den Wäldern. Dort trifft er auf zahlreiche Dorfbewohner, die aus ihren Ortschaften geflohen sind. Als Fremder wird er mit Argwohn bedacht.

Mager sind die Einkünfte. Abgerechnet wird nach des Herren Gelegenheit. Und die lässt manchmal lange auf sich warten. Da die Lohnhöhe zudem erst nach einer Probezeit vereinbart wird, darf Wagner sich von Anfang an keine Fehler leisten. Er verdingt sich mal hier, mal dort als Druckergehilfe. Ab und zu erhält er vom Prinzipal Kost und Bett, manchmal muss er sich selbst eine Unterkunft mieten. Letzteres gestaltet sich oft schwierig, da viele Städte Quartiere für durchziehende Soldaten bereitstellen müssen. Arbeitet er übers Tagwerk hinaus, steigert das seine Einnahmen. Steht er allein an der Presse, muss er statt der täglich geforderten 3.000 Drucke 1.200 abliefern. Stets hofft Wagner auf große Auflagen. Sie kommen ihm bei der Arbeit im Stücklohn entgegen, da für jedes Werk neu zugerichtet werden muss.

Immer öfter betätigt er sich als Buchführer für diverse Druckerherren. Zwar ist denen ausschließlich der Verkauf von eigenen Erzeugnissen gestattet, aber sie halten sich so gut wie nirgendwo daran. Mit einem Repertoire aus Gebet- und Erbauungsbüchern, Kalendern, Schwanksammlungen sowie Hochzeits- und Leichencarmina reist Wagner landauf, landab, besucht Dulten und Wochenmärkte. Gerade die Kalender erweisen sich als begehrte Artikel. Vor allem in den kleineren Städten, die über keine Offizin verfügen.

Auf der Walz lernt er fahrende Kollegen kennen. Ihr Wunsch ist auch der seine: sich irgendwo als Meister niederlassen zu können. Das ist alles andere als leicht. Damit er in einer Stadt selbständig ein Gewerbe ausüben darf, ist der Besitz des Bürgerrechts erforderlich. Und das erhält man nur unter strengen Auflagen, gerade in Kriegszeiten.

Der Konkurrenzkampf unter den Gesellen ist groß. Neben handwerklichen Fähigkeiten muss man über ein gutes Auge verfügen. Alle halten sie Ausschau nach einer goldenen Witwe. Eine solche zu heiraten, ist die einzige Möglichkeit, die Bewilligung zur Führung eines Betriebs zu erhalten.

Abends sitzen die Handwerker zechend zusammen, erzählen einander von Erlebnissen mit Druckerherren. So erfährt Wagner von Daniel Paur in Innsbruck. Der Name der Stadt ist ihm von Jugend an vertraut. Viele Augsburger Händler unterhalten Geschäftsbeziehungen nach Tirol. Zudem liegt die Innstadt auf der Handelsroute nach Florenz. Auch kommt es nicht selten vor, dass der Innsbrucker Hof in Augsburg drucken lässt.

Daniel Paurs Vater, Hans Paur „Agricola“, ist einst auf Empfehlung der Dillinger Jesuiten nach Tirol berufen worden. Am Inn sei eben alles Katholische Pflicht, hört Wagner einen Gesellen lachen. Von einem Hans Gäch spricht der nun. Diesen Namen glaubt Wagner zu erinnern. Hatte ihn nicht ein Buchführer aus München erwähnt? Gäch besitze ebenfalls eine Offizin in Innsbruck. Doch um seine Gesundheit stehe es schlecht. Auch mangle es ihm an Aufträgen, Paur hingegen –

Hans Wolf Zech kommt Wagner in den Sinn. War nicht dessen Großvater gebürtiger Tiroler? Und wie mag es dem Schlossherren gehen? Augsburg, heißt es, sei von einem Belagerungsring umgeben. In der Stadt herrsche furchtbarer Hunger, ein Flugblatt kursiere: Die Augsburger benötigten keine Katzen mehr, da sie selbst ihre Mäuse essen müssten.

An das Kloster Oberschönenfeld muss Wagner denken, wenige Kilometer Fußmarsch von Deubach ist es entfernt. Einer der Kollegen hatte erzählt, auch der Konvent sei mehrfach geplündert worden. Alpträume plagen Wagner, sie haben das Gesicht von Verwandten und Freunden, die er in der Heimat zurückgelassen hat.

Durch das Schwabentor nach Freiburg, es gehört zu Vorderösterreich, wird von Innsbruck aus regiert. Das erste Mal vernimmt Wagner die französische Sprache, weiter nach Straßburg? Dort wirkte Adolf Rusch, schon Drucker und Verleger, als der Buchdruck noch in der Wiege lag. Als Erster verwendete er nördlich der Alpen die Antiqua. Verheiratet war Rusch mit der Tochter des Johannes Mentelin, der die erste Bibel in deutscher Sprache schuf. Auch Gutenberg hielt sich mehrere Jahre in Straßburg auf, warum also nicht – Oder den Rhein entlang in die Schweiz? Das neutrale Basel gewährt vielen Katholiken Unterschlupf. Zudem unterhält die Stadt berühmte Offizinen, da müsste sich doch Arbeit finden lassen. Allerdings legen Wagners Erfahrungen aus der Buchführerei nahe, Kleinstädte aufzusuchen. Im Breisgau kann er auf keinen Fall bleiben. Soll er sich von Ratten ernähren, wie mehrfach gesehen in der Region?

Wieder durch den Schwarzwald zurück und in den Bodenseeraum. Gute Verkäufe in Lindau, schlechte in Bregenz. Dann Hohenems. Dort werkt Bartholomäus Schnell, ein Meister seines Fachs, Buchdrucker, Buchbinder und Buchführer in einem. Auf Konkurrenten kann er verzichten. Also weiter nach Feldkirch. Kein schlechter Umschlagplatz für Bücher, Drucker jedoch brauche man keine.

Einige Tage hält sich Wagner in Bludenz auf. Er lernt den Stadtgerber Thomas Barbisch kennen, der zahlreiche Ämter, unter anderem das des Wehrvogts, innehat. Bisher sei man von militärischer Bedrängnis verschont geblieben, erzählt Barbisch. Von einer Weiterreise ins Montafon rät er Wagner ab, nur kleine Dörfer gebe es dort. Ob er nicht bleiben wolle, fragt er mit unmissverständlichem Blick. Wagner würde das schon gefallen, eine Tochter aus der Familie Barbisch hat es ihm angetan, aber – ein Gedanke lässt ihn seit Längerem nicht mehr los.

Geradewegs auf Innsbruck zu. Kurz zweifelt Wagner, will er wirklich – Der Türmer herrscht ihn an, Wagner muss zweimal hinhören. Hat ihn der Kerl am Stadttor gefragt, ob er Einlass begehre?

Klein ist die Stadt, kein Vergleich zu Augsburg. Die Residenz mickrig, gemessen an den Fuggerpalästen. Und der Wind, nicht auszuhalten! Er reißt Wagner den Hut vom Kopf, der macht einen Satz zur Seite, rempelt einen Marktfahrer an. Hatte der Geselle nicht erzählt, in Tirol sei alles Katholische Pflicht? Der Trödler flucht ihm das Kreuz ab, ihn nach dem Weg zur Offizin des Gäch zu fragen, lässt Wagner lieber bleiben. Als er die Stadtapotheke erblickt, gibt er sich einen Ruck. Rasch den Filzhut abgeklopft, den Staub aus Wams und Hose gebeutelt, die Stulpenstiefel sind – was soll’s.

Wagner tritt ein. Wir schließen, sagt der Apotheker. Er wolle nichts kaufen, entgegnet Wagner und stellt sich vor. Winkler, erwidert der Apotheker und seine Miene hellt sich auf, als Wagner von der Walz erzählt. Er stamme aus Ebersberg bei München, sagt Winkler. Vor fast drei Jahren habe er sich entschlossen, nach Innsbruck zu kommen. Er dreht sich bedächtig um, sein Blick gleitet die Regale mit den Amphoren und Arzneimittelgläsern entlang. Mit einer Hochzeit hat alles angefangen, hört Wagner ihn sagen. Der Apotheker ist ihm sympathisch –

Was er denn bei Gäch wolle? Das sei ein Tunichtgut. Doch Wagner möge sich selbst ein Bild machen.

Nach der Unterhaltung mit Georg Winkler begibt sich Wagner in die Druckerei des Hans Gäch und ist entsetzt. Wie schafft er es, mit diesem Material Bücher zu drucken? Wagner schaut sich in der Werkstatt um und –

Gäch entgeht Wagners vorwitziger Blick nicht. Ob der Geselle an der Machart der Drucke etwas auszusetzen habe? Mitnichten, lügt Wagner. Das wolle er wohl meinen, fährt Gäch fort. Schon dieser Paur sei ihm dumm gekommen, habe sich an der Qualität des Papiers und des Letternsatzes gestoßen und sein Schandmaul erst gehalten, als er ihm für seine Unverfrorenheit eine Tracht Prügel in Aussicht gestellt habe. Gäch gerät in Fahrt, unvermittelt sprudeln die Worte aus ihm heraus. Kein gutes Haar lässt er am Kollegen, er habe einst bei Paur gelernt, selbstsüchtig sei er, dulde keinen Konkurrenten.