Killerdiplomat

Regionalkrimi Österreich

Günther Zäuner


ISBN: 978-3-902784-72-8
1. Auflage 2015, Marchtrenk, Österreich
© 2015 Verlag federfrei

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Lektorat: S. Bähr
Umschlagabbildung: © alexstepanov - Fotolia.com
Autorenportrait: © Manfred Burger
Dieser Thriller ist reine Fiktion. Namen und Personen, verschiedene Ereignisse, Orte und Zeiten sind teilweise real, teilweise erfunden. Manche Menschen sind real, andere fiktiv.
Ähnlichkeiten der erfundenen Figuren mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

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Inhalt

»Journalismus ist zu veröffentlichen, was andere nicht gedruckt sehen wollen; alles andere ist Öffentlichkeitsarbeit.«

George Orwell (1903 – 1950, engl. Schriftsteller, Journalist und Essayist)

 

»Wenn die Wahrheit nicht reicht, dann schaffen wir uns eben eine neue Wahrheit.«

Nursultan Nazarbayev (Kasachischer Präsident auf Lebenszeit; in: Rakhat Aliyev, Tatort Österreich. The Godfather-in-law II, Wien 2013, S. 12)

 

»Wenn ich unerwartet sterben sollte, dann weder eines natürlichen Todes noch durch meine eigene Hand.«

Edward Snowden, Hongkong, Juni 2013

Prolog

Wien

September 2013

Kein Tag ist gut zum Sterben.

Warum darüber groß philosophieren?

Leben und Tod sind untrennbar miteinander verbunden.

Auch an diesem traumhaft sonnigen Spätsommertag bringt der Sensenmann seine Ernte ein. Keine Wolke trübt den strahlend blauen Himmel. Es ändert nichts, das Plansoll muss erfüllt werden.

Die letzten Körner der Lebenssanduhr rinnen durch.

Viel zu schnell, viel zu früh.

Mitten aus dem Leben gerissen … in der Blüte der Jahre … am Zenit der Schaffenskraft … wird in wenigen Tagen als üblicher pathetischer Schmus auf seiner Trauerkarte stehen. Auf der letzten Seite seines imaginären Lebensbuches ist seit seiner Geburt vermerkt, dass er heute für immer selbst den Deckel schließen wird.

Noch gestern hätte er jeden für verrückt erklärt, wäre ihm gesagt worden, vierundzwanzig Stunden später würde er sich umbringen. Auch am Morgen, auf dem Weg zu seiner Dienststelle, verschwendete er nicht einmal den Anflug eines Gedankens daran.

Jetzt gibt es keinen Ausweg mehr.

Durch das geöffnete Fenster dringen helles Lachen und Gekreische von spielenden Kindern aus dem Hof in das Wohnzimmer der Eigentumswohnung herauf. Er ist allein zu Hause. Seine Frau ist unterwegs, der Sohn in der Schule und die Tochter im Ballettunterricht.

Schlag neun Uhr morgens brach alles in sich zusammen. Unbemerkt von der großen Welt, lag plötzlich seine kleine in Trümmern. Er wurde in das Büro seines Vorgesetzten zitiert, musste sich eine Reihe von massiven und schwerwiegenden Vorwürfen anhören, bekam eine saftige Standpauke verpasst, die mit seiner augenblicklichen Suspendierung endete, er nicht mehr sein Büro betreten darf und Hausverbot erteilt bekam. Die Einleitung des Disziplinarverfahrens, das sich letztendlich zu einem Strafprozess ausweiten wird, ist ihm längst egal. Das können sie sich sparen. Er wird beides nicht mehr erleben.

Zum letzten Mal geht er langsam durch die Räume der geschmackvoll und mit Liebe zum Detail eingerichteten Wohnung, wofür größtenteils seine Frau verantwortlich zeichnet, verharrt im Zimmer seiner Tochter, betrachtet die Poster ihrer Ballettidole an den Wänden, hofft, dass ihr großer Traum in Erfüllung gehen möge und sie eines Tages als Primaballerina auf allen großen Bühnen dieser Welt tanzt.

Sachte schließt er die Türe, geht hinüber in das Zimmer seines Sohnes, wo wie immer das totale Chaos herrscht. Doch was ist diese Unordnung gegen das irreparable Durcheinander im Leben seines Vaters, das nur mehr mit einem radikalen, endgültigen Schnitt bereinigt werden kann.

Im Schlafzimmer setzt er sich er auf das Bett, betrachtet lange das Hochzeitsfoto. Es waren sehr gute zweiundzwanzig Jahre, die nur selten von Tiefs getrübt waren. Im Hinausgehen streichen seine Fingerkuppen zum letzten Mal über das Gesicht seiner geliebten Frau auf dem Bild.

Selbst in den letzten Minuten seines Lebens bleibt er das, was er immer gewesen ist. Ein korrekter Mensch sowohl im Beruf wie im Privaten. In seinem kleinen Arbeitszimmer liegen auf dem Schreibtisch drei weiße Kuverts. Abschiedsbriefe für seine Frau und seine Kinder. Sehr persönlich, sehr bewegend, ohne dass die Worte und Sätze im Selbstmitleid ertrinken. Heute geschrieben, nachdem man ihm die Tür gewiesen hatte. In seiner wunderschönen Handschrift, wenn er will, und mit dem Füllfederhalter, den seine Frau ihm zu seinem fünfundvierzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Neben den Umschlägen liegen sein Testament, das er schon aus beruflichen Gründen vor Jahren verfasst hatte, und ein Ordner mit seinen persönlichen Dokumenten.

Bevor er heute Vormittag zum letzten Mal nach Hause gegangen war, machte er noch einen Umweg zum Postamt. Dort steckte er den USB-Stick, den er seit Monaten selbst vor der eigenen Familie unbemerkt um den Hals trug und von dem er dachte, das kleine Ding wäre seine Lebensversicherung, in ein Kuvert, schrieb noch ein paar begleitende Zeilen auf einen Zettel und gab die Sendung eingeschrieben auf. Der Empfänger wird wissen, wie er diese Informationen verwerten kann und was sie wert sind.

Wer ihn so sieht, wird niemals annehmen, dass er fest entschlossen ist, in wenigen Minuten seinem Leben ein Ende zu setzen. Bevor er die Wohnung betrat, wechselte er noch ein paar freundliche Worte mit der Nachbarin im Flur. Niemand merkt die tiefe Verzweiflung und hat die geringste Ahnung von dem Drama, das sich in seinem Inneren abspielt, und der Tragödie, die seinen Tod auslösen wird.

Er geht hinaus in das Vorzimmer, versperrt die Eingangstüre, lässt den Schlüssel im Schloss stecken. Keinesfalls will er, dass die Familie seine Leiche vorfindet, will ihr den schrecklichen Anblick ersparen. Dann wechselt er hinüber in sein Arbeitszimmer, öffnet den kleinen Tresor, der hinter einer Kopie von Gustav Klimts Gemälde »Der Kuss« in der Wand eingebaut ist. Aus einer Metallkassette nimmt er seine private Pistole, für die er einen ordnungsgemäßen Waffenpass besitzt, steckt nur eine Patrone in das Magazin und entsichert sie. Er ist ein geübter Schütze und versteht es, mit Waffen umzugehen.

Zuerst überlegte er, ob er sich nicht irgendwo an einsamer Stelle am Stadtrand aus dem Leben schießen soll, doch er verwarf wieder den Gedanken. Er will in gewohnter Umgebung sterben, zum allerletzten Mal ein vertrautes Bild vor Augen haben, bevor er abdrückt.

Für seinen Abgang wählt er seinen Lieblingsplatz auf dem Balkon. Wenn sein Beruf und die Zeit es erlaubten, saß er gerne abends mit seiner Frau bei einem Glas Wein zusammen. Sie besprachen den vergangenen Tag, diskutierten oft über Gott und die Welt.

Bei diesen Gedanken zeigt er erstmals Wirkung, kommt ins Wanken, ob er tatsächlich diesen finalen Schritt setzen soll. Doch die Angst vor den Konsequenzen, besonders für seine Familie, wenn alles auffliegt, überwiegt. Die Hintermänner sind zu mächtig, und sie scheuen vor nichts zurück. Dagegen ist er als kleiner Staatsdiener und Beamter chancenlos. Bedenkenlos würden sie ihn über die Klinge springen lassen, er wäre nur ein Bauernopfer, und die Drahtzieher kämen ungeschoren davon. Seine nachträgliche Rache ist in dem USB-Stick verborgen, und er weiß, die Daten darauf werden in die richtigen Hände kommen. Wenn er sich selbst aus dem Weg räumt, wird man seine Familie unbehelligt lassen. Ihm bleibt keine andere Wahl. Ein größeres Opfer zu bringen, ist nicht möglich, und er will nicht sinnlos sterben.

So penibel wie im Beruf ist er ebenso pedantisch zu Hause. Sein plötzlicher Tod wird genug Scherereien und Probleme heraufbeschwören. Diese Wohnung ist immer sein Zufluchtsort gewesen, wenn im Beruf wieder einmal alles drunter und drüber gegangen ist. Sobald er die Türe hinter sich schloss, fühlte er sich von einer schweren Last, zumindest für ein paar Stunden, in seiner Schutz- und Trutzburg befreit.

Er hat den Balkon mit Plastikfolie ausgelegt, die Gartenmöbel abgedeckt, da er genau weiß, was seine Pistole mit diesem Kaliber anrichten wird. Die letzten Züge der Zigarette sind verraucht. Er schaltet sein Handy ab, überprüft nochmals, ob seine Waffe scharf ist, bevor er einen kräftigen Schluck Wasser nimmt, die Flüssigkeit jedoch im Mund behält. Mit zitternden Händen hält er den Kolben der Pistole, die Mündung ist dicht vor seinen Lippen. Der rechte Daumen berührt den Abzugshahn. Einen Spaltbreit öffnet er seinen Mund, Wasser rinnt aus den Mundwinkeln, tropft auf sein Hemd. Sein Körper krampft sich zusammen, als er den eiskalten Lauf zwischen die Zähne steckt. Der Daumen presst sich gegen das Metall, verweigert den Befehl des Gehirns, sich zu krümmen und endlich abzudrücken. Erst der vierte Versuch löst das Inferno aus.

Ungefähr in einer Stunde wird es in der beschaulichen Wohnhausanlage für längere Zeit mit der Ruhe vorbei sein.