Über dieses Buch:

Nordgallien im Jahre 486: Dem jungen Frankenkönig Chlodwig gelingt es, den Römern eine empfindliche Niederlage zuzufügen. Nun gehört das Reich Soissons zwischen Somme und Seine ihm und seinen Männern. Doch während seine Vettern brandschatzen und morden, hat Chlodwig andere Pläne. Er will die Bevölkerung für sich gewinnen und ein eigenes Reich begründen, das dem der Römer in nichts nachsteht. Für dieses Ziel ist er bereit, jedes Gesetz zu missachten und alles zu opfern …

Die fesselnde Familiensaga über eine der mächtigsten Familien des frühen Mittelalters, die mit Blut und Schwert Geschichte schrieb: die Merowinger.

Über den Autor:

Robert Gordian, geboren 1938 in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasst er historische Romane und Erzählungen. Robert Gordian lebt in Eichwalde, einem Vorort Berlins.

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits zwei historische Romanserien:

ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN

Erster Roman: Demetrias Rache

Zweiter Roman: Saxnot stirbt nie

Dritter Roman: Pater Diabolus

Vierter Roman: Die Witwe

Fünfter Roman: Pilger und Mörder

Sechster Roman: Tödliche Brautnacht

DIE MEROWINGER

Erster Roman: Letzte Säule des Imperiums

Zweiter Roman: Schwerter der Barbaren

Dritter Roman: Familiengruft

Vierter Roman: Zorn der Götter

Fünfter Roman: Chlodwigs Vermächtnis

Sechster Roman: Tödliches Erbe

Siebter Roman: Dritte Flucht

Achter Roman: Mörderpaar

Neunter Roman: Zwei Todfeindinnen

Zehnter Roman: Die Liebenden von Rouen

Elfter Roman: Der Heimatlose

Zwölfter Roman: Rebellion der Nonnen

Dreizehnter Roman: Die Treulosen

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Überarbeitete Neuausgabe Dezember 2014

Die komplett überarbeiteten und erweiterten Neuausgaben der Merowinger-Romane von Robert Gordian, die bei dotbooks erscheinen, beruhen auf einer Tetralogie, die zwischen 1998 und 2005 in verschiedenen Verlagen veröffentlicht wurde. Teile des vorliegenden zweiten Romans der Serie erschienen erstmals 2005 in Der Wolfskönig, veröffentlicht im Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin.

Copyright © der Originalausgabe 2005 Aufbau Taschenbuch Verlag GmbH, Berlin

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Motiv von © Olemac / Shutterstock.com-

ISBN 978-3-95520-512-6

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Robert Gordian

DIE MEROWINGER

Schwerter der Barbaren

Zweiter Roman

dotbooks.

Was bisher geschah

Im Jahre 486 ist die Absetzung des Kaisers und der Zusammenbruch des Weströmischen Reiches schon zehn Jahre her. Nur eine letzte Säule des stolzen Imperiums steht noch, und auch diese wackelt bedenklich: das kleine Reich von Soissons in Nordgallien. Hier, zwischen Somme und Loire, herrscht als Statthalter der Patricius Syagrius.

Noch ist die Völkerwanderung im vollen Gange, von allen Seiten bedrängen kriegerische Germanen das römische Rumpfgebilde. Die größte Gefahr droht von Nordosten, wo sich zahlreiche Stämme und Sippen (u. a. Brukterer, Sugambrer, Tubanten, Chamaven) zu einem Stammesverbund vereinigt haben: den Franken – das heißt den Freien und Mutigen.

Immer mehr Germanen kommen, teils freiwillig, teils vertrieben, über den Rhein. Es wird eng in dem kleinen Stammesgebiet der Franken im heutigen Belgien und dem Nordostzipfel Frankreichs.

Beherrscht werden die Franken von Kleinkönigen; sie sitzen in Tournai, Cambrai, Tongeren und anderswo. Alle entstammen der einzigen Herrscherfamilie, den Merowinger, die nach dem allgemeinen Glauben das »Königsheil« haben. Sie sind zwar Föderaten der Römer, also für Hilfsgelder zum Kriegsdienst verpflichtet, doch das hindert sie nicht, regelmäßig als Mordbrenner und Plünderer in römisches Gebiet einzufallen.

In Soissons trifft wieder eine Unglücksnachricht ein: Die Franken haben unter ihrem zwanzigjährigen König Chlodwig das große Gut eines gallorömischen Senators vollkommen ausgeraubt. Man berät Gegenmaßnahmen. Bischof Remigius von Reims, der bisher mit seinen Bekehrungsversuchen bei den heidnischen Franken kein Glück hat, rät dem Statthalter, seine Föderaten zu beschäftigen und abzulenken, indem er sie gegen Eindringlinge aus Britannien einsetzt.

Syagrius will den Rat befolgen, aber es ist zu spät: Chlodwig und seine Franken rüsten bereits zum entscheidenden Schlag. Als die Römer ahnungslos im Palast von Soissons ein Fest feiern, erscheinen plötzlich Zehntausende »Barbaren« vor den Toren der Stadt. Chlodwig verlangt von Patricius, das Gebiet zwischen Somme und Seine vollständig zu räumen, damit er dort seine Germanen ansiedeln kann. Dies wird entrüstet zurückgewiesen. Chlodwig fordert den Statthalter daraufhin für den nächsten Tag zum Entscheidungskampf heraus. Im Fall einer Niederlage, droht er, werde der Römer nicht nur die Hälfte seiner Provinz, sondern alles verlieren, auch das Gebiet zwischen Seine und Loire.

Der Patricius nimmt die Herausforderung an, obwohl er schlecht vorbereitet ist. Seine Frau Titia wirft ihm vor, die Gefahr unterschätzt und seine Zeit mit Vergnügungen vertändelt zu haben. Seine Geliebte, die Griechin Scylla, zweifelt an seinem Feldherrntalent. Sie selbst muss im Fall einer Niederlage Schlimmes befürchten: Mit Chlodwig wird dessen Vertrauter Baddo kommen, ein ehemaliger Reitertribun, den sie zum Mord an ihrem Ehemann angestiftet und dann der Justiz ausgeliefert hatte. Doch Baddo hat auch eine offene Rechnung mit Chlodwig – als Bluträcher. Dessen verstorbener Vater schändete und ermordete einst seine Schwestern.

Am Vorabend der Schlacht von Soissons stehen sich nicht nur feindliche Heere, sondern auch unversöhnliche Rächer und Verfolger gegenüber.

Dramatis personae

Chlodwig, König der salischen Franken (Tournai)

Basina, Chlodwigs Mutter

Sunna, Chlodwigs Gemahlin

Audofleda, Chlodwigs älteste Schwester

Albofleda, Chlodwigs Schwester

Lanthild, Chlodwigs jüngste Schwester

Baddo, früher Reitertribun, Chlodwigs Vertrauter

Ansoald, Gefolgsmann Chlodwigs, Mundschenk

Bobo, Gefolgsmann Chlodwigs, Majordomus

Ursio, Gefolgsmann Chlodwigs, Seneschalk

Droc (Droctulf), Gefolgsmann Chlodwigs

Ragnachar, König der salischen Franken (Cambrai)

Richar, Bruder des Ragnachar

Rignomer, Bruder des Ragnachar

Farro, Gefolgsmann und Liebhaber Ragnachars

Chararich, König der salischen Franken (Tongeren)

Syagrius, Patricius, römischer Statthalter

Scylla, Geliebte des Syagrius

Leunardus, Comes palatii, Ratgeber des Syagrius

Structus, Legat, Befehlshaber der Römer

Remigius, Bischof von Reims

Gaius Larcius, Präfekt von Paris

Genovefa, in Paris als Heilige verehrt

Kapitel 1

Syagrius verbrachte die Nacht in der Halle seines Palastes, die sich in kurzer Zeit aus einem Ort der Lustbarkeit und des Leichtsinns in das Quartier der Heeresführung verwandelte. Waffengeklirr und Kommandogebrüll klangen schmerzhaft in seinen Ohren.

Der Patricius wusste, dass sich an diesem Tag, der langsam heraufdämmerte, sein Schicksal entscheiden würde.

Man beachtete ihn kaum, obwohl er, so schwer es ihm fiel, nicht in seiner gewohnten Untätigkeit versinken wollte. Unentwegt erteilte er Befehle und sandte Boten an die Befehlshaber der in der Stadt verteilten Manipel und Kohorten. Längst war es aber Gewohnheit unter den Offizieren, die widersprüchlichen und wirren Anordnungen ihres höchsten Vorgesetzten möglichst zu ignorieren.

Seine Diener zwängten ihn in ein Panzerhemd, zogen ihm Stiefel an und stülpten ihm einen Helm mit feuerrotem Rossschweif auf, und er ließ sich die Brust mit allen goldenen Lanzen und Fähnchen dekorieren, die er sich selber verliehen hatte. So stolzierte er umher, in der Pose des Feldherrn, mit dem Ausdruck unerschütterlicher Siegesgewissheit.

Weniger zuversichtlich waren diejenigen, die die Verantwortung für den Aufmarsch der Truppen und ihre taktische Einstellung trugen.

Es stellte sich bald heraus, dass man in erheblicher Unterzahl gegen die Franken antreten musste. Einige Hundertschaften lagen zehn Meilen entfernt in Berny, einer ländlichen Festung, wo sie einen Teil des Staatsschatzes bewachten. Auch andere Truppenteile waren, um ihren Unterhalt zu erleichtern, aufs Land detachiert. Unmöglich war es, sie rechtzeitig herbeizuholen.

Man konnte sich also nur auf die Mannschaften stützen, die in den verschiedenen Quartieren der Stadt lagen und denen sonst die Bewachung der Festung oblag. Da der Patricius jahrelang kriegerischen Verwicklungen ausgewichen war, hatte man sie für eine Feldschlacht nur ungenügend gerüstet und ausgebildet. Alle wurden zum Sammeln in das Amphitheater beordert, von wo bei Sonnenaufgang der Ausmarsch in die Ebene vor der Stadt erfolgen sollte.

Der tatsächliche Oberbefehlshaber Structus, unterstützt von Leunardus und anderen Würdenträgern des Hofes, machte im Laufe der Nacht zwei weitere Versuche, den Patricius umzustimmen und doch noch zu erreichen, dass er einer Belagerung durch die Barbaren den Vorzug gab. Der erste wurde starrsinnig abgewiesen. Der zweite, noch dringlicher vorgebracht, hatte beinahe Erfolg. Aber ein Zwischenfall stärkte Syagrius wieder in seiner unnachgiebigen Haltung.

Gerade begann der Morgen zu dämmern, als Soldaten einen jungen Bauern in die Halle führten, der sich am Südtor der Festung den Wachen bemerkbar gemacht hatte. Auf einem Karren mit Kohlköpfen war er hereingekommen, in der langen Reihe der frühen Marktlieferanten, die man trotz oder gerade wegen des Kriegszustands nicht abgewiesen hatte. Er wies eine in ein Tuch gewickelte Wachstafel vor, die eine Botschaft aus dem fränkischen Lager enthielt.

Der Absender, der nur mit »R« unterzeichnet hatte, teilte in gestelzter Formulierung, die den Gebildeten verriet, das Folgende mit: Nicht alle Franken seien so niedrig gesinnt, die heiligen Schwüre ihrer Väter zu brechen. Deshalb würden sie nur zum Schein auf der Walstatt gegen den Patricius antreten. Die aus »C« würden in der Nachhut den Kampf zu verzögern suchen, die aus »T« als Reserve nicht eingreifen und im geeigneten Augenblick auf die römische Seite übergehen.

Das war der dunkle Inhalt der Botschaft.

Der junge Bauer konnte dazu keine erhellende Auskunft geben. Als er seinen Karren nach der Stadt lenkte, sei plötzlich ein Bewaffneter aus dem Gebüsch hervorgetreten. Er sei sehr erschrocken gewesen, doch der Mann, den er in der Dunkelheit kaum wahrnehmen konnte, habe ihn in gebrochenem Latein beruhigt und ihm einen Goldsolidus und das Päckchen zugesteckt, das er in den Palast bringen sollte. Dort würde er, habe der Franke – denn natürlich sei es ein Franke gewesen – hinzugefügt, für die Botschaft vielleicht noch einen zweiten Goldsolidus erhalten. Bevor er ihn noch etwas habe fragen können, schloss der Bauer seinen Bericht, sei der Mann verschwunden gewesen.

Structus und mehrere andere äußerten sogleich ihre Zweifel. Dies könnte eine perfide Kriegslist der Franken sein – mit dem Ziel, die römische Seite sorglos zu machen und zur Leichtfertigkeit zu verleiten. Aber Syagrius wies das zurück. Wer war »R«? Für ihn ohne Zweifel der Häuptling Ragnachar, der Stotterer. Und »C« stand für Cambrai, »T« hieß Tongeren. Natürlich konnte »T« auch Tournai bedeuten, aber das würde keinen Sinn ergeben. Die Botschaft konnte nur dies bedeuten: Die braven Cambraier und Tongerer würden das Unternehmen ihres größenwahnsinnigen Stammesgenossen nicht mitmachen, sich zurückhalten und im entscheidenden Augenblick sogar die Seite wechseln.

Der Sieg war damit nicht mehr in Frage gestellt. Wozu sollte man sich also noch der Strapaze einer Belagerung aussetzen!

Als es hell wurde, begab sich Syagrius in das Amphitheater. »Zur Sicherheit«, wie er sagte, ließ er sich bis vor den Eingang in einer geschlossenen Sänfte tragen. Angeblich fürchtete er, dass einige aus der fränkischen Abordnung heimlich in der Stadt geblieben waren und einen Anschlag auf sein Leben vorhatten.

Tatsächlich aber saß er sehr schlecht zu Pferde. Man musste ihn dann auch stützen, als er auf der sanftesten Stute, die zu finden war, in die Arena einritt.

Kein Zuruf, kein Jubel begrüßte ihn.

Schweigend hörten die angetretenen Mannschaften, vorwiegend Alamannen und Rheinfranken, seine schwunglose Ansprache. Er war übermüdet, zerstreut und gereizt, suchte immer wieder nach Worten und schloss zur allgemeinen Verwunderung mit einer Huldigung des Kaisers.

»Meint er den in Konstantinopel?«, fragte ein Legionär seinen Nebenmann. »Der hätte wahrscheinlich nichts dagegen, wenn hier heute alles zum Teufel ginge.«

»Vielleicht meint er sich selber«, erwiderte der andere spöttisch. »Er ist ja die letzte Säule des Imperiums.«

Der Ausmarsch erfolgte durch das Südtor, das dem feindlichen Lager abgewandt war. So sollte vermieden werden, dass die Franken über die beiden Legionen in verminderter Mannschaftsstärke und ihre Hilfstruppen herfielen, bevor die Schlachtordnung eingenommen werden konnte.

Am Tor hatte sich Frau Titia mit einigen aristokratischen Emigrantinnen postiert, um die ausmarschierenden Truppen anzufeuern. Die Damen klatschten und jubelten, ohne damit jedoch auf die Gesichter der germanischen Söldner so etwas wie Begeisterung zaubern zu können. Schließlich erinnerte sich eine daran, dass Geld immer Wunder bewirkt. Sie ließ den Vorüberziehenden kleine Münzen in die Hand drücken, was aber nur die Wirkung hatte, dass es zwischen den Beschenkten zum Streit kam und die Marschordnung gestört wurde. Ein Zenturio musste einschreiten und die freigebige, empörte Dame wegführen lassen.

Der Patricius stieg auf die Mauer, um die Schlacht von der Brustwehr aus zu beobachten.

Da er überzeugt war, dass es hier auf ein persönliches Beispiel von Wagemut nicht ankam, hielt er es für verantwortungslos, sich als unersetzbarer Leiter und Lenker auf dem Schlachtfeld den Geschossen des Feindes auszusetzen. Er fand vielmehr, dass es wichtig war, aus dieser hohen, unverletzlichen Position den Legionen den Rücken zu stärken. Sein weithin leuchtender, feuerroter Helmbusch würde auch jeden, der sich etwa zur Flucht wenden sollte, daran gemahnen, dass ihn das strenge Auge seines obersten Feldherrn sah. Er schloss natürlich nicht aus, im Falle einer kritischen Wendung selbst das Schwert zu ergreifen. Dass aber ein solcher Fall eintreten würde, hielt er für unwahrscheinlich.

Zunächst schien er damit recht zu behalten.

Die Franken, die sich in dichten Haufen formiert hatten, zögerten mit dem Angriff und wichen sogar zurück, als die Legionen unter dem Geschmetter der Tuben und Hörner vorrückten.

Ein Pfeilregen prasselte auf sie nieder, und der Patricius sah erfreut, dass die Geschosse ihr Ziel fanden. Bald machte er zwanzig, dreißig, fünfzig am Boden liegende Barbaren aus, und eiliger – ja, hastiger, als gelte es, die lästige Sache rasch hinter sich zu bringen, marschierten die Legionäre in breiter Front vorwärts.

Die Sonne stieg auf, und Syagrius ließ einen Schirm gegen die blendenden Strahlen bringen. Er nahm sich auch vor, den Helm, der ihn an den Schläfen drückte, bald abzusetzen und gegen einen weichen, griechischen Hut zu vertauschen.

»Bedauerlich«, scherzte er, an ein paar Würdenträger gewandt, die mit ihm an der Brustwehr standen, »dass dieses unterhaltsame Schauspiel nur kurz sein wird. Doch ich verspreche euch, es zu verlängern. Das gibt ein paar schöne Prozesse … gegen die Rädelsführer, die ihre Föderatenverträge gebrochen haben. Hoffentlich überleben sie – für die Todesurteile. Ich werde euch nicht enttäuschen, Freunde!«

Die Herren lachten – aber nicht lange.

Plötzlich änderte sich das Bild. Wie eine Schwertspitze stieß ein fränkischer Trupp in den vorderen, bisher fast unversehrten römischen Heeresblock. Die Spitze verlängerte sich zu einer monströsen Klinge, die zweischneidig rechts und links alles niedermähte. Als gewaltiger Keil drangen die tollkühnen Franken schräg ein in die Streitmacht der letzten gallischen Römer, teilten sie in zwei ungleiche Hälften. Die kleinere war so gut wie verloren. Die größere sammelte sich und formierte sich neu.

Schon erreichte die Spitze des Keils die Nachhut der Römer. Unter den Ersten war ein riesenhafter Kerl mit langen, wehenden Haaren, dessen Schwert, die Spatha, den breitesten Raum in der Gasse schlug.

Der Patricius an der Brustwehr erkannte ihn. »Chlodwig«, murmelte er. »Wer hätte gedacht, dass dieses dreckige junge Großmaul auch kämpfen kann!«

Die Spitze der Franken war schon in Schussweite, und so befahl er den Bogenschützen, auf Chlodwig anzulegen.

Zwei Männer fielen an der Seite des Frankenkönigs. Chlodwig blickte herauf, stieß ein Hohngelächter aus und rief dem Patricius etwas zu, was aber im Kampflärm nicht verstanden wurde.

»Warum erledigt denn keiner den Hurensohn?«, schrie Syagrius. »Hundert Goldsolidi für seinen Leichnam! Legt an! Schießt ihn ab!«

Doch die Pfeile erreichten Chlodwig nicht mehr.

Man sah ihn zurückstürmen, um hinten auszuhelfen, wo seine Franken in Bedrängnis gerieten. Bei dem blitzartigen Vorstoß war die Verbindung zu den Nachrückenden abgerissen. Die fränkische Nachhut hing weit zurück und schob sich nur schrittweise vor. So konnten die durch den Keilangriff abgedrängten und schon verloren geglaubten Manipel wieder eingreifen.

Wie gelähmt hatten sie darauf gewartet, dass die Reserve der Franken, die seitlich am Flussufer aufgestellt war, über sie herfiel. Aber der gewaltige Haufen, weit über tausend schwerbewaffnete Kämpfer, rührte sich nicht.

»Die Botschaft!«, frohlockte Syagrius. »C und T sind auf unserer Seite. Die Cambraier halten sich zurück. Die Tongerer tun überhaupt nichts. Wusste ich doch, dass auf meine braven Franken Verlass ist. Ich werde Ragnachar und Chararich die goldene Lanze verleihen. Sieg! Sieg!«

Das dritte »Sieg!« blieb ihm im Halse stecken.

Hinter einem der flachen Hügel, die das Schlachtfeld umgaben, erhob sich plötzlich eine riesige Staubwolke. Gleich darauf preschten Reiter hervor … hundert, zweihundert, dreihundert … Im Galopp, ihre Lanzen schleudernd, die Schwerter schwingend, fuhren sie mitten hinein in die dichteste Masse der Söldner.

Unmöglich war es, sie aufzuhalten. Ein schwacher römischer Reitertrupp, der dem Fußvolk Flankenschutz bot, machte kehrt, stob davon, die Standarte zurücklassend.

Im Zentrum wankte der Adlerträger. Der fränkische Reiterschwarm kreiste die Legionäre ein und machte sie reihenweise nieder.

Wer einem Schwerthieb oder Lanzenstich entging, geriet unter die Hufe oder stürzende Pferdeleiber. Viele warfen alles von sich und rannten …

»Auch für dich wird es Zeit, großer Feldherr. Fliehe! Mach dich davon, ehe es zu spät ist!«

Syagrius fuhr herum und sah Scylla, die anstelle der unbemerkt verschwundenen Würdenträger neben ihn an die Brustwehr getreten war. Sie trug einen weiten Reisemantel.

»Ich weiche nicht!«, sagte er und versuchte, seiner Stimme Festigkeit zu geben.

»Es war schon immer dein Fehler, nicht zu erkennen, wann alles verloren ist.«

»Ganze Manipel stehen noch.«

»Einer ergibt sich dort gerade. Siehst du es? Sie werfen die Waffen weg und laufen den Franken entgegen. Ihr Adler ist schon gefallen.«

»Verräter!«

»Und dort – deine dalmatinischen Reiter, auf die du so stolz warst! Sie ergeben sich ihrem früheren Hauptmann.«

»Ist es Baddo?«

»Erkennst du ihn nicht?«

»So unterliegen wir Verbrechern und Sklaven. Das Ende der Weltordnung naht!«

»Wenn du es hier erwarten willst, müssen wir uns jetzt voneinander verabschieden.«

»Ich weiche nicht!«, wiederholte er.

»Dann leb wohl. Noch sind das Süd- und das Westtor frei. In einer Stunde wirst du nicht mehr von hier fortkommen. Oh, ich bin stolz auf dich, ich bewundere dich! Ich hielt dich immer für einen schlechten Verlierer. Aber du zeigst Größe im Untergang. Als Held wirst du sterben!«

Sie küsste ihn, drückte seine Hand und sah ihn mit einem langen, schmerzerfüllten Blick an. Seine Lippen bebten, aber er reckte das Kinn und drückte den Helm, den er der Bequemlichkeit halber in den Nacken geschoben hatte, fest in die Stirn.

Er war sich bewusst, dass er diesen erhabenen Augenblick nicht verderben durfte.

»Ich bin entschlossen!«, sagte er. »Ich weiß, was ein römischer Feldherr in meiner Lage zu tun hat. Varus hat uns das Beispiel gegeben.«

Der Legat Quinctilius Varus hatte sich vor knapp fünfhundert Jahren nach einer Niederlage gegen germanische Haufen in sein Schwert gestürzt.

»Leb wohl!«, sagte Scylla noch einmal und fügte einen Schluchzer hinzu.

Dann wandte sie sich rasch ab und eilte leichtfüßig den Wehrgang entlang zur nächsten Leiter.

Kapitel 2

Syagrius sah sie hinuntersteigen, und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er an der Brustwehr allein war. Auch die Bogenschützen waren fort, verschwunden die Bedienungsmannschaften der Wurfgeschütze. Die Wachtürme links und rechts waren nicht mehr besetzt. Unten auf dem Feld vor der Stadt hielt das Gemetzel noch an, aber nur an den Rändern.

Seltsamerweise hatten sich nunmehr, da alles entschieden war, die Nachhut und die Reserve der Franken noch in Bewegung gesetzt, um auf kleine, versprengte, ungefährliche Grüppchen der Legionäre Jagd zu machen.

In der Mitte hatten die fränkischen Reiter schon einen Kreis gebildet, in dem Hunderte Gefangene zusammengetrieben waren. Und an die tausend lagen verwundet oder tot im Grase der Flusswiesen.

Da packte Kleinmut den eben noch so heroisch Entschlossenen. Er war einer Ohnmacht nahe. Es drängte ihn fort, seine Füße trotzten seinem ehernen Willen und trugen ihn davon.

Um auf den Bohlen des Wehrgangs nicht auszugleiten, tastete er sich mit beiden Händen an den rauhen Steinen der Brustwehr entlang. Keuchend und schwitzend gelangte er an die Leiter. Eine schadhafte Sprosse brach unter seinem Gewicht. Mit einem kläglichen Schrei glitt er die restlichen sechs, sieben Fuß hinab und fiel hin. Er verspürte einen Schmerz in der Schulter, raffte sich aber auf, sah sich um.

Die zwanzig Männer seiner Leibwache, die ihn herbegleitet hatten, waren ebenso verschwunden wie die Diener mit seiner Sänfte. Das Gefühl, von allen verlassen und verraten zu sein, übermannte ihn. Tränen traten ihm in die Augen.

In seiner Verwirrung schlug er den falschen Weg ein, wankte an der Mauer entlang in Richtung des Nordtors.

Ein paar Frauen kamen ihm entgegen, schrien ihm etwas zu, liefen vorüber. Ein hochbeladener Wagen, von vier Pferden gezogen, raste heran und streifte ihn. Vom Verdeck fiel eine Kiste herab, traf ihn wie ein Geschoss und warf ihn zu Boden. Und nur der Umstand, dass er noch immer den Helm mit dem roten Busch trug, rettete den letzten Statthalter Roms in Gallien vor einem zufälligen und schmählichen Ende.

Er lag noch im Staub, als ihn Hände ergriffen und hochzerrten. Er wehrte sich heftig, schrie, schlug um sich – das mussten ja schon die Franken sein! Gleich würden sie ihn vor Chlodwig schleppen, demütigen, foltern und umbringen.

Eine Stimme sprach heftig auf ihn ein. Er brüllte dagegen und protestierte gegen diese Behandlung. Doch plötzlich erkannte er die Stimme. Als er aufblickte, sah er Leunardus.

Voll tiefer Besorgnis starrte der Weißbart ihn an.

»Patricius!«, sagte er hastig. »Komm zu dir! Was tust du hier? Es ist höchste Zeit! Sie werden gleich hier am Nordtor sein. Aber wir kommen noch fort. In ein paar Tagen sind wir in Paris!«

»Wo sind meine Leute?«, keuchte Syagrius.

»Kümmere dich nicht um sie. Die meisten sind schon übergelaufen. Alle Wachen ergeben sich. Die Schlacht ist verloren, aber du kannst dich noch retten. Du hast noch andere Städte und Festungen. Und ein paar hundert Mann sind dir treu geblieben. Wir konnten auch noch einen Teil des Schatzes hinausschaffen. Auch deine Gemahlin ist schon fort.«

»Wie? Sie ist fort? Titia ist ohne mich aufgebrochen?«

»Verzweifelt. Sie hatte Fieberanfälle. Aber sie konnte noch ihre Juwelen hinausbringen.«

Diese Mitteilung hatte eine ernüchternde Wirkung auf den Patricius.

Plötzlich empfand er Selbstmitleid, Zorn und Empörung. Er hatte sich in sein Schwert stürzen, mit seinem Blut die Ehre Roms retten wollen. Fast wäre er, von allen verlassen, verwundet, als letzter Verteidiger seinen Feinden in die Hände gefallen.

Hier aber dachte man nur an Juwelen und Schätze und wie man mit heiler Haut davonkam!

Er erkannte, dass die Gesellschaft dieses heruntergekommenen Restimperiums seiner Aufopferung nicht würdig war, und entschied – sich den Flüchtenden anzuschließen.

Man hob ihn in den mit Söhnen, Töchtern und Fluchtgepäck vollgestopften Reisewagen des Leunardus. Nochmals in den Palast zurückzukehren, blieb keine Zeit mehr. Nicht einmal sein geliebtes Spielbrett und seine Sammlung von Lärminstrumenten konnte er mitnehmen.

Ohne Verzug ging es quer durch die Stadt nach dem Südtor.

***

Als sie in die Gasse einbogen, an deren Ende sich das Tor öffnete, gerieten sie in ein Gedränge.

Alle möglichen Arten von Beförderungsmitteln stauten sich hier, vom eleganten Reisewagen bis zum schäbigsten Bauernkarren. Die Kutscher fluchten und peitschten die Pferde und Ochsen. Die Insassen der Wagen beschimpften einander. Höherrangige beanspruchten Durchlass, wurden jedoch grob zurückgewiesen.

Ein Senator, der seinem Kutscher befahl, ein armseliges Gefährt, das den Weg versperrte, beiseitezuräumen, wurde von seiner Carruca gerissen und verprügelt. Die Wütenden warfen den Wagen um, schlugen auch die Frau, die Kinder und Diener des Mannes und bemächtigten sich seines Gepäcks.

Mit der Niederlage des Militärs löste sich jede Ordnung auf. Vornehme Emigranten irrten in ihrer panischen Furcht vor den Barbaren umher und boten Höchstpreise, um befördert zu werden. Zwischen den Wagen drängte sich zweifelhaftes Volk – zurückgelassene, herrenlose Sklaven zumeist –, das nicht die Absicht hatte zu fliehen. Es wollte nur zugreifen, bevor die Franken kamen und nichts mehr übrig ließen. Man riss Perlenketten von Hälsen, schnitt Geldbeutel von Gürteln, schleppte Kleider und sogar Möbel fort.

Während es ruckweise vorwärtsging in Richtung des Tors, verbargen sich Syagrius und Leunardus anfangs hinter dem halb geschlossenen Vorhang des Wagens. Aber dann wurden sie doch erkannt.

Ein Zornesgewitter entlud sich von allen Seiten auf ihre Häupter. Sie wurden bezichtigt, die Katastrophe leichtfertig verursacht, das Gemeinwesen sehenden Auges ins Verderben geführt zu haben. Dieselben Damen und Herren, die den Patricius am Abend zuvor als Schirm und Schutz seines Volkes und Retter des Vaterlands gepriesen hatten, begeiferten ihn jetzt als Versager, Prasser und Möchtegern-Kaiser.

Ein fetter Kahlkopf mit Ringen an allen zehn Fingern trat an den Wagen und brüllte: »Ruiniert hast du mich, du Hund! Sicherheit hast du uns versprochen! Die Steuern hast du ständig erhöht, angeblich um Truppen anzuwerben. Da hast du dein unbesiegbares Heer! Einen Sauhaufen hast du angeworben! Was bleibt mir jetzt noch mit Ausnahme dessen, was ich am Leibe trage? Mein Geld habe ich für dein Wohlleben ausgegeben. Meine Häuser, mein Gut – das alles gehört jetzt den Franken. Was habe ich vor mir? Ein Leben als Flüchtling, als Bittsteller bei Verwandten! Das verdanke ich dir, Verfluchter, und diesem alten Affen, deinem Palastgrafen. Ihr verdient nicht, dass euch die Sonne bescheint. Ich werde euch … werde euch …«

Schon packten behaarte Pranken den Patricius am Arm und am Hals.

Nur der Umstand, dass die Pferde im selben Augenblick anzogen, bewahrte ihn vor der Wut des Mannes.

Der sprang zurück, glitt aus und wurde vom nächsten Gespann überfahren. Da waren plötzlich zwei Kerle über ihm, die ihre Äxte vom Gürtel rissen. Sie hackten dem Schreienden rasch und geschickt die zehn Finger ab und warfen sie weg, nachdem sie sie von den Ringen befreit hatten.

Auf der Straße ging es nun zügig voran. Eine endlose Wagenkolonne passierte das Tor und rollte in Richtung Reims. Der Umweg war nötig, weil eine direkte und kürzere Verbindung zwischen Soissons und Paris noch nicht existierte.

Syagrius wurde draußen nicht mehr belästigt. Alles war nur noch darauf bedacht, so schnell wie möglich davonzukommen. Für viele war er jetzt bereits eine vergangene Größe, die kaum noch Aufmerksamkeit verdiente. Zwei Meilen hinter der Stadt konnte er unbehelligt in einen seiner eigenen Wagen umsteigen, die Frau Titia rechtzeitig mit der kostbarsten Habe abgeschickt hatte.

Die Franken verfolgten die Fliehenden nicht. Doch hatte keiner von denen, die am Abend zuvor in der Festhalle waren, Chlodwigs Worte vergessen:

»Kampflos – die Hälfte. Sieglos – das Ganze!«

Kapitel 3

Es war in jener Zeit selbstverständlich, dass eine eroberte Stadt den siegreichen Truppen zur Plünderung überlassen wurde. Kein Feldherr konnte wagen, seinen Soldaten das Beutemachen zu verbieten. Oftmals war dies auch der einzige Zweck eines Überfalls oder einer Belagerung.

Die germanischen Haufen, denen städtisches Leben fremd war und die nicht die Absicht hatten, sich in der eroberten Ortschaft niederzulassen, wüteten gewöhnlich mit hemmungsloser Raubgier. Widerstand, auch der geringste, wurde grausam und rücksichtslos bestraft, und manche blühende Stadt war nach dem Durchzug solcher Horden ein von Leichen übersätes, rauchendes Trümmerfeld. Jahre, manchmal Jahrzehnte vergingen, bis ein derart heimgesuchtes Gemeinwesen sich erholt hatte. Und nicht selten war das Leben sogar für alle Zeiten erstorben. So war es jedenfalls in der Anfangszeit der großen Wanderung germanischer Völker.

Eine gewisse Mäßigung trat ein, als die Eroberer sich in den unterworfenen Gebieten niederließen und ihre Anführer das angenehme Leben in städtischen Residenzen zu schätzen begannen. Die Könige und Herzöge untersagten nun die schlimmsten Exzesse, Man zerstörte ja nicht das Haus, in dem man wohnen wollte.

Auch die Rachsucht der Beraubten und Geschundenen, mit denen man künftig innerhalb der Stadtmauern zusammenleben wollte, durfte nicht unterschätzt werden. Alles in allem war es sogar von Interesse für die Eroberer, die Sympathie eines möglichst großen Teils der Bevölkerung zu gewinnen, ganz besonders des kultivierten, begüterten und einflussreichen. Es war wichtig zu beweisen, dass man imstande war, das Leben in der eroberten Stadt zu gewährleisten und in Gang zu halten und nicht schlechter zu regieren als der frühere Machthaber. Diese Kunst, die die Römer in hohem Maße beherrschten, erlernten allmählich auch die germanischen Fürsten.

Chlodwig wusste dies alles von seinem Vater, der stets mit Bewunderung von den Leistungen der Städter und von ihrer Lebensweise gesprochen hatte. Childerich hatte sich in seiner ländlichen Festung wohl gefühlt, doch manchen langen Tag damit zugebracht, seinen Kindern vom Leben in den Städten zu erzählen. Auf seinen Kriegszügen als Föderat des Aegidius und später des Syagrius hatte er halb Gallien kennengelernt. Bis nach Orléans, Angers und Tours war er gekommen. Er hatte immer wieder die geheimnisvolle Fähigkeit der Städter gerühmt, Wohlstand und viele Annehmlichkeiten zu schaffen. Wie sie das machten und welche Mittel sie anwandten, diesen Wohlstand noch unentwegt zu steigern und – sofern sie ungestört blieben –