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Haupttitel

Inhalt

ÜBER AUTOR UND HERAUSGEBER

ÜBER DAS BUCH

IMPRESSUM

HINWEISE DES VERLAGS

Eugen Drewermann

Das Richtige im Leben tun

Wie wir unseren Weg finden

Herausgegeben von Stephan Cartier

Patmos Verlag

INHALT

Vorwort

Einleitung

I. Sich selbst verstehen – warum wir denken, fühlen und handeln, wie wir es eigentlich nicht wollen

Fremd sein

Gewalt gegen Kinder

Stress

Urlaub

Leben mit Lügen

Betrug

Untreue

Verlust von Freunden

Schuldgefühle

Waschzwang

Esssucht

Narzissmus

Fetischismus

Sadomasochismus

Todesangst

Alkoholiker

Gutes Gewissen

Krankheit

Sucht nach Harmonie

Angst vor Menschengruppen

Wissen, das man träumt


II. Die Richtung ändern – Krisen, Glück und andere Entscheidungen

Wochenend-Ehe

Vaterliebe

Familienstreit

Überbehütet

Ehebruch

Von den Kindern getrennt

Enkelkinder entzogen

Entschuldigen

Trauma nach der Schwangerschaft

Hoffnung

Computerspiele

Schizophrenie

Schuldenfalle

Hartz IV

Verantwortung

Alkoholismus

Alzheimer


III. Das Richtige im Leben tun – wie wir unseren Weg finden

Folgenschwere Lüge

Wahrheit

Eltern

Respekt

Neue Ziele

Arbeitslosigkeit

Familiengründung

Fehlende Erlebnisse

Zeiterfahrungen

Angst vor neuer Beziehung

Mutter im Seniorenheim

Sehnsüchte

Traumsymbole

Behinderung als Schicksal

Vertrauensverlust


IV. Sagen, was man wirklich will – Vertrauen in sich selbst stärken

Zur Ruhe kommen

Erbe

Geschwisterstreit

Selbstzweifel

Hilflosigkeit

Schwiegereltern

Nachgeben


V. Die Macht der Gefühle – wir sind traurig, weil wir weinen

Neu verliebt

Schuldzuweisung

Bestrafung

Seitensprung

Missbrauch

Gefühle

Die Farbe der Träume

Brustkrebs

Heimatgefühl

Depressionen

Instinktive Wahrheit


VI. In Frieden gehen – Augenblicke des Abschieds

Vorbereiten auf den Tod

Abschied nehmen

Tod des Partners

Kindstod

Trauerarbeit

Selbsttötung

Hilfe bei der Trauer

Organtransplantation

Vorwort

Wenn du etwas wissen willst und es

durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir,

mein lieber, sinnenreicher Freund: mit dem nächsten Bekannten,

der dir aufstößt, darüber zu sprechen.

HEINRICH VON KLEIST


»Mit anderen Worten«


Es gibt Antworten, bei denen man nicht glauben mag, dass es Fragen für sie gibt. Immer wieder sind wir im Team, das seit mehr als fünf Jahren die Radiosendung »Redefreiheit« mit Eugen Drewermann im Nordwestradio produziert, verblüfft über die Umwege des Lebens, die sich an den Fragen unserer Hörerinnen und Hörer ablesen lassen.

Da ist die 72-jährige Anruferin, die berichtet, dass sie ihren Mann während einer Kreuzfahrt mit einer anderen Passagierin in flagranti in der Kabine erwischte. Sie liebt ihn dennoch, hat ihm vergeben – doch nun sei er es, der sich nicht mehr mit ihr versöhnen wolle. Und da ist der Mann, der sich noch nach Jahrzehnten an eine Ohrfeige seines Vaters erinnert und unter der damaligen Ungerechtigkeit bis heute leidet. Da ist die Mutter und Großmutter, die ihre Enkel nicht mehr sehen darf, weil ihr Schwiegersohn sie für den Tod seiner Frau, also ihrer Tochter, verantwortlich macht.

Es sind Geschichten, die so unglaublich verschlungen klingen – dennoch passieren sie, und in der »Redefreiheit« haben die Menschen, die sie erlebten, ein Forum, um mit dem Theologen und Psychoanalytiker Eugen Drewermann hierüber zu sprechen. Kein Thema ist tabu, kein Problem zu klein oder zu groß, zu tragisch. Und zum Glück hören wir auch immer wieder Geschichten wie die von der Frau, die ihren Brustkrebs überwand und seitdem jeden Tag aufs Neue erfährt, was Glück bedeuten kann.

Aus diesen Fragen und Antworten ist das Buch »Das Richtige im Leben tun« erwachsen – verdichtet aus rund 100 Radiostunden. Es zeigt Eugen Drewermann von einer anderen Seite als viele seiner bisherigen Werke. Dort sind es meist die wortwörtlich ganz großen Fragen des Glaubens und des Lebens, die ihn beschäftigen; hier ist es das Leben selbst. Bewusst wurden in unserem Buch rein persönliche Fragen aufgenommen, nicht die Anfragen zu philosophischen oder geschichtlichen Problemen. Alle Beiträge wurden anonymisiert, auch diejenigen, die ursprünglich mit Namen gesendet wurden. Dies schien uns wichtig, um Personen zu schützen, denn die Öffentlichkeit einer Radiosendung ist flüchtiger als die des gedruckten Wortes.

Im Januar 2008 ging die »Redefreiheit« erstmals auf Sendung. Die Idee war einfach: Einmal im Monat, jeweils am letzten Samstag, sollten Hörerinnen und Hörer mit Eugen Drewermann reden können. Für drei Stunden sitzt er zusammen mit dem Moderator Jörg-Dieter Kogel im Sendestudio des Nordwestradios, der Gemeinschaftswelle von Radio Bremen und dem Norddeutschen Rundfunk, und beantwortet Fragen. Viele Ratsuchende schreiben E-Mails, einige rufen an oder »chatten«, wie es auf Neudeutsch heißt.

Die Segnungen des Internets bescheren Eugen Drewermanns »Redefreiheit« mittlerweile Hörer weltweit. Den Rekord hält die Mail eines Deutschen aus Los Angeles. In der Schweiz versammeln sich nachweislich ganze »Radiogemeinden« am letzten Samstagabend des Monats um den Empfänger, und auch aus Albanien erreichte uns schon einmal eine Mail. So kommt es, dass die »Redefreiheit« Menschen in New York und Castrop-Rauxel auf dem Umweg eines Hörfunkstudios nahe der Weser in Bremen miteinander verbindet. Ein schöner Gedanke, der durch dieses Buch nun weitergetragen wird.

Oft erreichen uns nach einer Sendung Anfragen von Hörern, ob man ihnen das Manuskript zusenden könnte; was wir immer mit Bedauern verneinen müssen – weil es schlicht kein »Drehbuch« für die Sendung gibt. Eugen Drewermann beantwortet alle Fragen spontan und ohne Vorbereitung. Seine Argumente, seine Erfahrungen und Vergleiche kommen aber so unglaublich souverän daher, dass der Eindruck abgelesener Texte nicht Wunder nimmt. Deswegen haben wir die übliche Logik der Buchproduktion herumgedreht. Es entstand ein Skript nach der wörtlichen Rede, jener allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Sprechen, wie Heinrich von Kleist sie 1806 als Programm für gute Ratsuchende empfahl.

Einem so systematischen Denker und umsichtigen Formulierer wie Eugen Drewermann ist dieses Verfahren nicht fremd, ähnelt es doch eben jener Gesprächssituation, die er als Psychotherapeut und Seelsorger kennt. Gleichwohl hat Eugen Drewermann bei der Vorbereitung des Buches immer wieder Ergänzungen in die Transkriptionen eingefügt und dort Erläuterungen angebracht, wo sie den Leserinnen und Lesern das Verständnis der damaligen Situation erleichtern. Die Gespräche, die er mit den Hörerinnen und Hörern der »Redefreiheit« führte, sind trotz ihrer Kürze keine Rezepte. In ihrer komprimierten Form zeigen sie aber, dass sich die überwältigenden Probleme, die einen Einzelnen beschweren, auf einen Kern reduzieren lassen. Und über diesen kann man in aller Freiheit sprechen und etwas für sich und andere erfahren.

»Mit anderen Worten…« ist eine immer wiederkehrende Formulierung Eugen Drewermanns in seinen Antworten. Dies klingt eigentlich wie eine Entschuldigung für eine Wiederholung. Doch für mich ist sie vielmehr die Formel zum Erfolg dieser Sendung und für Eugen Drewermann Kunst der Beratung: das Bekannte etwas anders zu formulieren, um hierdurch etwas Neues im Alten zu finden.

So nehmen manche Gespräche eine ganz eigene, unerwartete Wendung. Eines begann beispielsweise mit der Frage nach dem Umgang mit dem nahenden Tod, und Eugen Drewermann fand einen großartigen und unerwarteten Satz wie diesen, der zeigt, dass sich in jeder, aber auch jeder Lage ein Hoffnungsschimmer gewinnen lässt: »Die beste Vorbereitung auf den Tod ist ein richtiges Leben.« Es ist nie zu spät, etwas anzufangen.

Am Ende des Anfangs zu diesem Buch ist noch besonders wichtigen Menschen dafür zu danken, dass es entstehen konnte. Da ist zunächst Karen Krug, die die Gespräche von der Rede aufs Papier übertrug, dann Thomas Nahrmann, der Lektor des Patmos Verlags, den das Projekt dieses Buches sofort überzeugte und der es weit über das technische Maß intensiv begleitete, dann Jürgen Francke, der die Hörer und Anrufer der »Redefreiheit« seit fünf Jahren souverän begrüßt und durch die Sendung leitet, und natürlich Jörg-Dieter Kogel, der die »Redefreiheit« im Nordwestradio nicht nur moderiert, sondern auch erfunden hat. Der größte Dank geht aber an die eigentlichen Hauptpersonen: Die Hörerinnen und Hörer, die uns an ihrem Leben teilhaben und daraus lernen lassen.


STEPHAN CARTIER

Einleitung


Was es nicht ist, aber sein könnte


Nein, dies ist nicht und will nicht sein das tausendste Ratgeberbuch für alle Fälle. Beim »Ratgeben« steht ein vermeintlich Wissender jemandem gegenüber, der von sich tatsächlich glaubt, in diesem oder jenem sich nicht auszukennen. Doch beide irren sich. Niemand weiß besser über den Ratsuchenden Bescheid als dieser selbst, und drum kommt alles darauf an, dieses sein unbewusstes Wissen um sich selbst zu aktivieren – durch ruhiges Zuhören, einfühlendes Begleiten, nicht festgelegtes Vorstellen von Möglichkeiten und Faktoren, die das Geschilderte beeinflussen, und durch den möglichst völligen Verzicht auf eigenes Bewerten und Beurteilen. Ganz so wird hier versucht zu reden, doch: Zuhören, Austausch in Wechselrede, Pausen des Nachdenkens und stillen Nacharbeitens können nur begrenzt Teil einer Rundfunksendung sein. Da ist ein Anruf – man hört eine Stimme, und wie sie spricht (rasch, langsam, zittrig, fest, erregt, verschüchtert…), kann manchmal mehr besagen als das inhaltlich Gesagte. Dank den Möglichkeiten heutiger Technik gehen manche Strompostsendungen ein, und da gilt dasselbe: Wie stellt jemand sich dar, wie ist die Art seines Ausdrucks, wie leitet der Moderator Jörg-Dieter Kogel den Text ein, wie, als sein erster Interpret und Zuhörer, liest er ihn vor …?

»Angriffsziel Moskau« heißt ein Film, der in der Zeit des »Kalten Krieges« spielt: Eine Staffel des strategischen Luftwaffenkommandos der Amerikaner befindet sich im Anflug auf die sowjetische Hauptstadt und wird sie atomar vernichten, – sie ist nicht mehr zurückzurufen, doch alles ist ein schrecklicher Irrtum, und der US-Präsident versucht dem Kreml-Chef zu erklären, dass es sich nicht um einen geplanten Angriff, sondern um ein Versehen handelt, – er möge auf einen Vergeltungsschlag verzichten, er möge nicht ein weltweites Inferno auslösen… In dieser Situation sind die Dolmetscher gefragt. Sie dürfen nicht einfach übersetzen, was gesagt wird, sie müssen die Tonlage, die emotionalen Schwingungen, die Persönlichkeit des Sprechenden zu erfassen suchen, denn das entscheidet über die Bedeutung, die dem Inhalt zukommt.

In den Sendungen der »Redefreiheit« ging und geht es nicht gleich um den Untergang der ganzen Welt, wohl aber oft genug um Leben und Tod, Sinnsuche und Verzweiflung, Liebe und Angst, Sehnsucht und Einsamkeit, – um den Bestand der Welt, die jeder für sich selbst entwirft oder in die hinein er sich geworfen sieht. Ein paar – manchmal verrauschte – Sätze und man erahnt darinnen eine ganze Welt in einem Krisenaugenblick, an einem Punkt, an dem sich vieles, wenn nicht alles, jetzt entscheidet. »Ratgeben« kann da niemand, wohl aber durch Respekt belohnen, dass da jemand wagt, sich mitzuteilen, und sein Vertrauen bestätigen für ihn und alle, die mit zuhören. Man kann und will und darf nicht sagen: »So ist das also bei Ihnen«, doch andeuten, erwägen, vorstellen, verarbeiten, lässt sich die Vielzahl vorschwebender Möglichkeiten, in denen sich dann jeder für sich selber angesprochen fühlen mag. In keinem wirklichen Gespräch würde man so verfahren; man würde warten, wie der andere sich Schritt für Schritt in Stückchen klarer sieht und mitteilt; jedoch an was sich alles denken lässt und dass es nichts gibt, was man als Gefühl nicht äußern oder als Gedanken nicht mitteilen dürfte, – das ist eine Grundhaltung, die es wohl lohnt, Gehör zu finden.

Die Gesprächssituation ist schon durch ihre Kargheit konzentrierend: das Mikrophon, ein abgedunkeltes Studio, in das die Beleuchtung eines Innenhofes und der angrenzenden Restauranträume hereinfällt, sowie das Gesicht, die Hände, die Gestalt des Moderators Jörg-Dieter Kogel – alles andere kann für die nächsten drei Stunden egal sein. Eingespielt wird in gewissen Abständen Musik (Beethoven, Brahms, Chopin…), die hilft, Gefühle, Eindrücke, Gestimmtheiten anklingen oder ausklingen zu lassen, vorab ausgewählt entsprechend der Thematik und den zu erwartenden Schwerpunkten, die damit verbunden sind. Auch ist sie eine Anregung, hören zu lernen auf sich selbst. »Das Wichtigste geschieht einfach von innen her, – durch Begleiten, Dabeisein, Zuhören und ein vorsichtiges Anregen von Möglichkeiten.« Zu Recht hat Stephan Cartier seine Gesprächsauswahl auf diesen Schlusssatz hingeführt, denn gerade darauf läuft’s hinaus: Zugang gewinnen zu den versperrten Zonen der Seele lässt sich nur, indem man den verdrängten Gefühlen die Wortvorstellung zurückgibt, indem man die Ängste und Schuldgefühle im Hintergrund des Erlebens zur Sprache bringt und indem man die Poesie und Phantasie träumender Sehnsüchte und Wünsche wiedererweckt.

Dass solche »Redefreiheit« sei, ist Sinn der Sendung, die Jörg-Dieter Kogel konzipiert und eingerichtet hat. Der Dank an ihn und alle Hörer verbindet sich deshalb zugleich auch mit dem Wunsch, es möchte das freimütige Gespräch, begonnen in einem abendlichen Studio in Bremen, fortwirken in vermehrtem Mut zur eigenen Person, in größerer Selbstachtung und Beachtung dessen, was die Seele, wenn auch noch so leise, sagt, und in der Zuversicht, ein offenes Ohr zu finden beim Versuch, es mitzuteilen.


Von Herzen


EUGEN DREWERMANN