Das Buch

Coppola II ist ein abgelegener und streng abgeschirmter Planet im Eigentum des Order of Technology. Der Planet gilt gemeinhin als High-Tech-Schrottplatz, da die Betreiber überall in der Galaxis defekte Technik aufkaufen und hertransportieren. Tatsächlich aber werden hier seit Jahrzehnten schon geheime Robotik-Experimente und illegale Versuche mit künstlicher Intelligenz durchgeführt – mit dem Ergebniss, dass auf dem Planeten inzwischen eine Parallelgesellschaft entstanden ist, in der hochentwickelte Roboter nach der letzten Verbindung zum menschlichen Leben suchen. Als ein Trupp von Justifiers zu einem Routineauftrag nach Coppola II geschickt wird, ist das dunkle Geheimnis von Coppola II in Gefahr – und plötzlich stehen die Justifiers einer ganzen Stadt von todbringenden Robotern gegenüber …

Der Autor

Christian von Aster, Jahrgang 1973, hat Germanistik und Kunst studiert. Bereits früh hat er mit dem Schreiben von zahlreichen phantastischen Kurzgeschichten und Romanen begonnen. Zusammen mit Boris Koch und Markolf Hoffman veranstaltet Christian von Aster die Phantastik-Lesereihe Stirnhirnhinterzimmer in Berlin.

Der Herausgeber

Markus Heitz, 1971 in Homburg geboren, ist einer der erfolgreichsten deutschen Autoren. Zahlreiche seiner Bücher standen monatelang auf allen Bestsellerlisten. Mit dem Roman »Collector« hat er das Tor in das JUSTIFIERS-Universum geöffnet.

Der Umschlagillustrator

Oliver Scholl, geboren 1964 in Stuttgart, ist Production Designer in Hollywood und hat an vielen großen Science-Fiction-Filmen wie Independence Day , Godzilla , Time Machine und Jumper mitgearbeitet.

Mehr Informationen unter:

www.justifiers.de

www.justifiers-romane.de

CHRISTIAN VON ASTER

ROBOLUTION

Roman

Mit einer Kurzgeschichte von

Markus Heitz

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

JUSTIFIERS®

ist ein Rollenspiel-Universum

von Markus Heitz

Originalausgabe 01/2013

Redaktion: Catherine Beck

Copyright © 2013 für den vorliegenden Roman

by Markus Heitz und Christian von Aster

Copyright © 2013 dieser Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlagillustration: Oliver Scholl

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich

ISBN: 978-3-641-08630-5

www.justifiers.de

www.heyne-magische-bestseller.de

MISSION REPORT

2794315-2OT429V

Sicherheitsfreigabe: vertraulich

Beteiligte Organisationen: Order of Technology

Aufgabe: Aufklärung und Deeskalation auf Coppola II

System: diverse

Planet: diverse

Zeit: 22/10–24/10/3042

Autor: Christian von Aster

ROBOLUTION

ADDENDUM 2794315-2OT429V-ADD

Autor: Markus Heitz

Operation Vade Retro III

ATTACHMENT 2794315-2OT429V-GLS

GLOSSAR

CHRISTIAN VON ASTER

ROBOLUTION

PROLOG

DATUM: 22.10.3042 (Erdzeit)

SYSTEM: Prokrustes

ZEIT: 05:20 PM

ORT: Orbit von Coppola II

Ion Trent warf einen kurzen Blick auf das Instrumentenpanel des Cockpits. Einige Anzeigen waren ausgefallen, andere spielten verrückt, und die wenigen, die noch funktionierten, waren nicht relevant.

Seinen Schätzungen zufolge würde es das Schiff höchstens noch eine Viertelstunde lang machen. Alles in allem kein schlechtes Ergebnis – er hatte beileibe schon schlimmeren Schrott durchs Weltall reiten müssen.

2OT Technology jedenfalls, der Konzern, der ihn hier raufgeschickt hatte, würde zufrieden sein können.

Das Einzige, was Trent vor dem Start hatte checken müssen, war der Zustand der Rettungskapsel gewesen. Alles andere ging ihn nichts an. Für ihn spielte es keine Rolle. Seine Aufgabe war es, die Blackbox und das Antriebsaggregat auszuwerfen und sich mit beidem rechtzeitig abzuseilen, bevor es das Schiff hier draußen im All zerlegte.

Wie die meisten anderen auch war auch dieses Test-Shuttle des Konzerns eine modifizierte Variante der Dolphin-Klasse, etwas kompakter und leichter und mit eben gerade so viel Technik ausgestattet, um einen Antriebstest mit allen relevanten Parametern durchzuführen. Schiffe wie dieses, deren Zerstörung schlussendlich Teil ihrer Bestimmung war, bestanden nur aus dem Nötigsten. Aufgrund der Abhörgefahr und der fortgeschrittenen Technologien, derer man sich inzwischen in der Industriespionage bediente, gab es an Bord außerdem weder Funk noch anderweitige direkte Datenübertragung. Ein normaler Pilot wäre wahrscheinlich niemals mit einem solchen Schiff geflogen. Auf derartigen Initialflügen war Risiko Programm. Aber genau dafür beschäftigten Konzerne schließlich auch Tech-Söldner wie Ion Trent. Und ihr Aufgabenfeld war alles, was außerhalb der Simulationskammern getestet werden musste. Wenn es ernst wurde, ließ man sie ran, ob es sich nun um Prothesen, Waffen, Raumschiffe, Bergbautechnologie oder Portaltechnologie handelte.

Trent selbst hatte schon für eine ganze Reihe Konzerne gearbeitet, und ihm war im Lauf seines Lebens so ziemlich alles um die Ohren geflogen.

Dies war bereits sein dritter Flug für 2OT Technology. Beim zweiten hatte er vor einem knappen halben Jahr seinen Arm verloren, was aber – abgesehen von einer entsprechenden Zulage – nur bedeutete, dass er auf diesem Flug zusätzlich die Omniprot Pro9G aus der BigGear-Serie testen durfte. Eine Armprothese mit Nanofusion, optimierten Reflexen und hoch entwickelter KI. Schon im Zuge der Reha hatte gemerkt, dass dieses Ding seinem alten Arm in jeder Hinsicht überlegen war, und wahrscheinlich hätte die KI darin ihn bei einem Schachspiel alt aussehen lassen. Darüber hinaus halfen ihm der Nanofusionsprozessor und die gesteigerten Reflexe nicht unwesentlich bei seiner Arbeit, bei der am Ende jede Sekunde zählte. Je länger ein Tech-Söldner im Rahmen eines solchen Flugs an Bord blieb, desto mehr gab die Blackbox am Ende her. Und jedes gewonnene Datenfragment bedeutete bares Geld.

Eben darin lag aber auch die Gefahr des Jobs. Im Finden des richtigen Zeitpunkts zwischen sicherem Ausstieg und sicherem Tod, in dem kleinen Moment, in dem Gier und Sicherheit in Konflikt gerieten. Das waren die beiden Pole, zwischen denen sich seinesgleichen bewegte. Eine Tatsache, die mehr als einen seiner Kollegen das Leben gekostet hatte. Andererseits war es kein Geheimnis, dass dieser Job alles andere als ungefährlich war. Im Gegenzug war er mindestens ebenso lohnend, denn die Erprobung neuartiger Technologien war der Krieg der Neuzeit. Und der Wettstreit der Konzerne fand ohne Schonung statt. Die Samthandschuhe waren – wenn sie in diesem Zusammenhang jemals getragen worden waren – längst härteren Bandagen gewichen. Wobei Trents Arbeit natürlich bei Weitem ehrenwerter war als schnöde Industriespionage. Er galt vor allem als Fachmann für experimentelle Antriebe. Dabei hatte er einige Jahre für Gauss Industries gearbeitet und genug Sprünge hinter sich, um eine Ahnung vom Irrsinn des Interim geschmeckt zu haben. Auch wenn die Konzerne ihren Söldnern die bestmögliche medizinische Behandlung angedeihen ließen, wusste er doch, dass er nicht als Freak enden wollte. Und genau das war es, was das Interim aus einem machte, wenn man darin zu viel umhersprang. Darum war es ihm schließlich eine Freude gewesen, sich von 2OT Technology abwerben zu lassen und so von den Sprungantrieben wegzukommen.

Trent war lang genug Pilot gewesen, um die meisten Schiffe dieser Größenordnung in- und auswendig zu kennen. Er spürte sie. Wusste, wann wo welcher Defekt auftrat und wie lange ihm, je nachdem, ob es sich um Ultra- oder Sternenstahl oder um neumodische Verbindungen wie Omniminium handelte, nach dem ersten Riss in der Außenhülle blieb.

Abgesehen von Gauss und seinem gegenwärtigen Arbeitgeber hatte er auch für einige andere gearbeitet. Selbst für den einen oder anderen, der offiziell nicht einmal existierte. Die Konzerne schätzten Trent, seine Kühnheit und die diskrete Kompetenz, denn wenn es um neue Antriebe ging, war Geheimhaltung das oberste Gebot. Wer danach trachtete, dem TransMatt-Monopol der TTMS etwas entgegenzusetzen, der tat es besser so lange wie möglich im Geheimen. Wenn die falschen Leute von ihnen erfuhren, explodierten Labors und Fertigungsstätten für neue Technologien recht schnell. Den meisten Raum in Trents Verträgen nahmen dementsprechend auch Verschwiegenheitsklauseln ein, und die besagten im Großen und Ganzen, dass die Konzerne jedes seiner Organe verkaufen und den Rest einem Rudel wilder virgilisischer Windhundaliens zum Fraß vorwerfen durften, wenn er redete. Aber Trent war dafür bekannt, seine Verträge zu erfüllen. Darum überboten sich Konzerne regelmäßig, wenn irgendein neues Schiff in die Erprobungsphase ging. Ion Trent war Mr. Testflug, und tatsächlich hatte er einen großen Anteil der gegenwärtig verwendeten Raumfahrttechnologien als Erster ins All hinausgeflogen.

Inzwischen hatte 2OT Technology ihn allerdings fest unter Vertrag. Der Konzern hatte ihm ein Angebot unterbreitet, das auszuschlagen vollkommen unmöglich gewesen wäre. Die neue Untersparte des Konzerns, die sich ausschließlich mit experimenteller Antriebstechnologie befasste, war seine Chance auf einen frühen Ruhestand. Die kürzlich erfolgte Gründung von 2OT Drive Technology Ltd. hatte einiges an Sternenstaub aufgewirbelt. Auf jedem Testflug ruhten seither die wachsamen Blicke von Konzerngiganten wie TTMS und Gauss, denen jede Innovation in diese Richtung ein Dorn im Auge war …

Natürlich hatte man Trent einiges für seinen Ausstieg geboten: Schutz, Geld und mehr. Er hätte nur den Kurs des Shuttles ändern und dort landen müssen, wo man den Antrieb ausbauen und untersuchen konnte. Er aber stand zu seinen Verträgen. Immer.

Wenn man einmal von dem ganzen intriganten Konzerngeklüngel absah, war der Job einfach: Man musste nur wissen, wann man aussteigen musste. Es ging um nichts anderes als Timing. Mut war dabei das eine, die Kenntnis der Grenzen das andere. Ion Trent verfügte über beides und darüber hinaus natürlich über die kraft-, reflex- und präzisionsverstärkte Omniprot Pro9G, die vermutlich mehr wert war als die meisten Schiffe, in denen er bis heute gesessen hatte.

Er betrachtete die kybernetische Prothese, führte die künstlichen Finger über die schadhaften Bedienelemente des Schiffs und versuchte noch einige sinnvolle Werte zu erhalten. Seit der Zuschaltung des Antriebsaggregats waren noch keine zwanzig Minuten vergangen. Die zurückgelegte Strecke war bemerkenswert. Er war beeindruckt. Es war mehr, als er auf den beiden vorangegangenen Flügen zusammen geschafft hatte. Was immer dieses Schiff antrieb, würde die Bosse dort draußen zittern lassen. Das Ding hatte Wumms, genau genommen sogar ein wenig zu viel. Denn die von ihm ausgehenden Umgebungskräfte, Rückstoß und Mikrovibrationen schadeten nicht nur der Schiffshülle, sondern auch den außen liegenden Teilen des Antriebs. Die Geschwindigkeit zu verringern, war jedoch keine Option. Trent war nicht hier, um zu bremsen. Er kontrollierte die Anzeige auf einem der letzten funktionierenden Screens. Fünfundsiebzig Prozent Schiffsintegrität.

Als sie auf vierundsiebzig sank, betätigte er den kleinen totenkopfförmigen Timer, den er wie üblich zu Beginn des Flugs über die Instrumententafel gehängt hatte. Auf dem Schädel hatte er eine Siebenunddreißig eingeritzt, die exakte Anzahl der von ihm getesteten neuen Technologien. Sprungtriebwerke, Schubtriebwerke und alles andere, was einen von einem Sonnensystem ins nächste brachte. Siebenunddreißig Mal hatte er für ein paar C sein Leben riskiert. Beim vierzigsten würde er Schluss machen. Das war der Plan.

Als der Totenkopftimer einen Countdown von zwei Minuten begann, spürte Trent, wie das Adrenalin durch seine Adern toste. Russisches Hightech-Roulette in den Weiten des Alls: Das war sein Leben. Und Vorsätze hin oder her, das Aufhören würde ihm schwerfallen.

Er überprüfte die Koppeltaschen seines leicht gepanzerten Armeeraumanzugs, den Sitz des Diamond Knife in seinem Gürtel und den der Arclight im Schnellziehholster. Messer und Laserpistole hatten sich im Rahmen der Notlandungen mehr als einmal bewährt. Vor allem, als er mit zerschmettertem Arm drei Wochen auf einem gottverlassenen Planetoiden irgendwo in Zeta Retikuli auf das Rettungsteam hatte warten müssen.

Mit drei Griffen checkte er das Survivalpackage. Komprimiertes Wasser, Sanitäts-Kit und die Ultra9-Rationen, eine SynthFood-Mischung aus Kaugummi, Keks und Adrenalinstimulator. Außerdem verfügte er über die verkleinerte Version einer klassischen Signalpistole. Und das war alles, was er brauchte, um unter normalen Umständen ein paar Wochen auf jedem erdenklichen Planeten durchzuhalten.

Trent warf einen weiteren kurzen Blick auf seinen Timer. Inzwischen waren alle Instrumente ausgefallen. Das Schiff flog bei Weitem nicht mehr so ruhig wie zuvor. Ein Zittern durchlief seinen Rumpf, und langsam weiteten sich die Risse in der Hülle aus. Als wenig später die ersten Sicherungssysteme versagten und der Timer auf 01:20 sprang, begann irgendwo im Hintergrund der Evakuierungscountdown.

Trent zog die Ohrstöpsel aus seiner Brusttasche hervor, öffnete auf dem Unterarmscreen das Menü des Musicplayers und programmierte die Playlist. Als Erstes wählte er Charmageddon, einen schnellen und harten Song der Gorecore-Combo Iron Siren. Die Jungs, die sich in der direkten Tradition von Bands wie Disaster Area oder Bot’o’war sahen, waren vor achtzig Jahren im Rahmen einer ihrer spektakulären Pyrobühnenshows verbrannt, aber er hörte sie immer noch gern. Vor allem, wenn es spannend wurde. Die Bässe hämmerten in seinem Schädel, und die Gitarren ließen seine Synapsen vibrieren.

O ja! Ion Trent war wach. Gottverdammt scheißwach.

Bei 01:05 stoppte er den Antrieb, erhob sich zum rhythmischen Lärm von Iron Siren aus dem Pilotensessel und schritt, im Bestreben, die Unruhe des Schiffs auszugleichen, gemächlich zur Antriebseinheit im hinteren Teil. Per Knopfdruck versiegelte er den Helm seines Raumanzugs und bewegte sich an der kollabierenden Außenhülle vorbei.

Als der Countdown endete, erreichte er die Antriebssektion, wo er sofort den zentralen Geräteschacht öffnete. In seinem Geschäft waren es die Sekunden nach dem Ende der üblichen Evakuierungsspanne, die sich am meisten lohnten. Er kannte dieses Schiff besser als irgendein verschissenes Messgerät es tat. Während das Charmageddon in seinen Ohren anschwoll, legte Trent seine Hände auf die beiden Auswurfhebel.

Schließlich legte er sie zeitgleich um. Mit derselben Bewegung zog er sowohl die Blackbox als auch einen kompakten Zylinder mit einer matt blau schimmernden Vorrichtung darin aus ihren Schächten.

Von einem Moment zum nächsten verlosch das Licht. Während die Notaggregate anliefen, konnte er einen Blick auf das Label des Antriebsaggregats werfen, wo in informellen schmucklosen Armeebuchstaben das Wort Perpetuum geschrieben stand. Unter seinem Helm musste er schmunzeln. Er hätte gern gewusst, was für eine Gehaltsklasse der Typ hatte, der sich die Namen dieser Dinger ausdachte.

Zusammen mit der Blackbox hängte Trent das Antriebselement in seinen Schultergurt ein und blickte sich noch einmal nach dem Timer um, der in einiger Entfernung im Notlicht des Cockpits baumelte. 00:42.

Ein wenig zügiger als zuvor trat er an den Einstieg der Rettungskapsel, öffnete diese via Handabdruckscanner und schwang sich ins Innere, wobei er die Technik in zwei Magnetschächte gleiten ließ und den Startmechanismus aktivierte. Umgehend setzte der verkürzte Countdown ein, und eine elektronische Stimme zählte von fünf abwärts.

Bevor sich die Luke hinter ihm schloss, erkannte Trent, wie sein Timer im Cockpit auf 0:32 Sekunden zurücksprang.

Vier Sekunden später wurde die Kapsel mitsamt ihm selbst zu einem der härtesten GoreCore-Songs überhaupt aus dem Inneren des Schiffs und in die Finsternis des Weltalls hinausgeschleudert.

Trent wurde in den Sitz gepresst, legte die Gurte an und schloss die Augen. Er atmete tief durch, als der nächste Song begann. Klassik. Das Beste, wenn man aus dem Schiff erst mal raus war. Und dieser Track war ein wirklicher Klassiker der Weltraummusik. Richard Strauss’ Also sprach Zarathustra. Während Trent sich beruhigte und die Augen wieder öffnete, sah er in einiger Entfernung, exakt zwischen dem Ende der beiden Countdowns, das Schiff implodieren.

Schaudernd genoss er den Anblick – jedes Mal wieder. Es gab nur wenig, das ihn wirklich berührte. Aber die Schönheit implodierender Schiffe im All war mit nichts zu vergleichen.

Und wenn dazu dann auch noch die richtige Musik lief …

Zufrieden lehnte er sich in seinem Sitz zurück und bemerkte dabei verwundert das blaue Leuchten aus einem der beiden Magnetschächte neben sich. Es war das Perpetuum. Obwohl das eigentlich nicht möglich war. Schließlich war der Antrieb inaktiv. Und doch sah Trent das Leuchten und spürte stirnrunzelnd das ihn umgebende Kraftfeld, ein leichtes Vibrieren, das von dem Aggregat ausging.

Das aber war gegenwärtig nicht sein Problem, denn er musste sich auf den Atmosphäreneintritt vorbereiten.

Vor ihm lag, umgeben von einem mattroten Gürtel, Coppola II. Und hinter dem Mond, riesig und finster: Olimpia.

Coppola II war einer von drei Monden, die den Planeten umkreisten. Es war der, den der Computer der Rettungskapsel als optimalen Platz für seine Notlandung errechnet hatte.

Während die Kapsel in den roten Gürtel des Monds eintrat, rief Trent die zentralen Informationen über den Himmelskörper ab. Den Daten zufolge war er unbewohnt. Dennoch sollte es Wasser und spärliche Vegetation geben, sodass die Oberflächengegebenheiten am ehesten mit Proteus 2 oder Aegis IV vergleichbar waren.

Wenn man die Koordinaten und die Entfernung zum nächsten Stützpunkt bedachte – Pygmalion, kaum zwei Tagesreisen entfernt –, war damit zu rechnen, dass ihn das Bergungsteam innerhalb kürzester Zeit hier rausholen würde. Die Überlebensbedingungen auf dem Mond waren laut Analyse auf mittlerem Niveau, was ihn wieder an den Planetoiden im Zeta-Retikuli-System erinnerte. Damals waren beide Peilsender beim Aufprall beschädigt worden, sodass das Team ihn schließlich ohne Ortung hatte finden müssen.

Die Notsender waren an die Blackbox und das Aggregat gekoppelt und strahlten nur zusammen ein Signal ab, damit Tech-Söldner wie er nicht auf den Gedanken kamen, eines von beidem zurückzulassen. Wenn sie es nach Hause schaffen wollten, mussten sie bei dem Sender und somit bei den Geräten bleiben. Auf den meisten Planeten war das ihre einzige Chance, wieder heil zurückzukommen. Oder zumindest überwiegend heil.

Trent betrachtete noch einmal seine Prothese und glaubte dabei plötzlich zu sehen, wie auch sie für den Bruchteil eines Augenblicks von einem blauen Leuchten durchzuckt wurde. Dann setzte die Musik kurz aus. Er stutzte. Bis jetzt hatte die Prothese noch nie eine Fehlfunktion gezeigt.

Während die Rettungskapsel weiter auf den Planeten zuraste, lockerte er seine Gurte und wandte sich dem Aggregat zu. Im Inneren des Schachts pulsierte es tatsächlich noch immer blau. Er war wirklich irritiert. Und das war noch untertrieben. Das Perpetuum war von allem anderen getrennt und hätte in diesem Zustand nicht mehr sein dürfen als ein totes Stück Metall. Was immer 2OT Technology in diesem Ding verbaut hatte, hätte schlichtweg nicht leuchten dürfen. Stattdessen schien das Licht, das von diesem Ding ausging, sogar noch stärker zu werden.

Trent runzelte die Stirn und fragte sich, mit was für einem experimentellen Scheiß der Konzern ihn hier wieder einmal hochgeschossen hatte. Dann setzte die Musik ganz aus. Trent kam aber nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn im nächsten Augenblick erfolgte der Atmosphäreneintritt. Und selbst im Inneren der Kapsel spürte er, während er in den Sitz gedrückt wurde, die unglaublichen auf die Außenhülle einwirkenden Kräfte und die daraus erwachsende Hitze.

Während der folgenden Minuten konnte er im Inneren der durchgeschüttelten Kapsel keinen klaren Gedanken fassen. Dennoch nahm er noch immer das blaue Leuchten wahr, das sich nun sogar ausbreitete und nach und nach auf alle technischen Elemente überging, bis schließlich selbst das HUD seines Helms von filigranen bläulichen Blitzen durchzuckt wurde.

Die Oberfläche des Monds kam unaufhaltsam näher. Immer schneller raste die Kapsel darauf zu. Trent hoffte, dass sich das sonderbare Leuchten nicht auf die Technik der Kapsel auswirkte. Vor allem auf den Umkehrschub.

Seine Finger krampften sich um die Bedieneinheit, Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er mochte abgebrüht sein, drei Wochen in der Wildnis überleben, einem mutierten Gorilla nur mit einem Messer bewaffnet gegenübertreten können – aber wenn der Umkehrschub versagte, würde 2OT Technology nur noch seine Reste und die ihrer Technik von der Oberfläche dieses Monds kratzen können.

Kurz bevor der Umkehrschub schließlich zündete, meinte er in einiger Entfernung hinter einer Hügelkette für einen kurzen Moment ein rotes Positionslicht zu erkennen. Aber auch das war auf einem unbewohnten Planeten schlichtweg nicht möglich. Und doch glaubte er, es für den Bruchteil eines Augenblicks rot aufleuchten zu sehen.

Dann schlug er mit halbem Umkehrschub auf. Seine Rettungskapsel bohrte sich in das poröse Mondgestein und schoss, sich langsam tiefer wühlend, knapp hundert Meter über die unwirtliche Oberfläche dahin, bevor sie schließlich in den Boden einbrach, ins Innere einer Höhle krachte, gut drei Meter senkrecht hinabstürzte und schließlich liegen blieb.

Fluchend fuchtelte Trent mit den Armen und versuchte sich aus dem Sicherheitsschaum zu befreien, der bei ungebremsten Stürzen freigesetzt wurde. Das Zeug stank fürchterlich. Und auch wenn er auf seinem Schicksalsplanetoiden damals nach zwei Wochen überlegt hatte, es über dem Feuer zu rösten, hatte er doch gehofft, es nie wieder riechen zu müssen.

Er drückte die zähflüssige Masse beiseite und wühlte sich frei, um nach den Trageriemen zu greifen, die beiden Techkapseln mit Antrieb und Blackbox herauszuziehen und zuletzt die Luke aufzusprengen.

Hastig zog er sich inmitten des Schaums empor und stemmte sich aus dem Inneren der Kapsel. Noch während er sich in der finsteren Höhle auf den Boden gleiten ließ, bemerkte er aus dem Augenwinkel, wie das vom Perpetuum ausgehende blaue Leuchten intensiver wurde. Seit dem Ausfall seines Musicplayers war sein Bedürfnis, dieses Ding loszuwerden, stetig gewachsen. Damit es ihm so schnell wie möglich gelang, wollte er eilig die Peilsender kontrollieren. Zu seiner Verwunderung musste er jedoch feststellen, dass es keine gab. Beide fehlten. Keines der Geräte war mit einem ausgestattet. Was zum roten Zwerg noch eins … Bevor seine Verwunderung in Wut umschlug, versuchte Trent eine logische Erklärung zu finden. Aber auch dafür blieb ihm keine Zeit.

Das blaue Licht des ominösen Aggregats pulste heller und heller, bis schließlich unverwandt mattweiße LED-Stränge an der Höhlendecke aufflammten, deren Licht sich in silbern gefliesten Wänden spiegelte. Trent musste unweigerlich an die Amputationsklinik auf Automaton Prime denken, wo man ihm seine Prothese angepasst hatte. Dabei war die Tatsache, auf einem vermeintlich unbewohnten Planeten einen gefliesten beleuchteten Raum wie diesen vorzufinden, noch nicht mal das Erstaunlichste. Weit erstaunlicher war nämlich, was sich noch in diesem Raum befand: Im grellen, vereinzelt von blauen Blitzen durchzogenen Licht erkannte Trent auf dem silbern schimmernden Boden der Halle die leblosen Körper von vielleicht fünf Dutzend Robotern.

Er erkannte auf den ersten Blick, dass es sich um technoide Kadaver handelte, denen Batterien und Energiezellen entfernt worden waren, um sie funktionsuntüchtig zu machen. Und auch wenn es ausnahmslos ältere Modelle aus der Zeit um 2900 zu sein schienen, hatte er sich im Zuge seiner Arbeit lange genug mit Rudimentär-Robotik auseinandergesetzt, um auch davon noch einige zu kennen.

Wenn er an den Hephaiston-Zwischenfall dachte, war es ein gutes Gefühl zu wissen, dass die Energieversorgung dieser Bots gekappt worden war.

Im blauweißen Licht des Perpetuums und der Deckenbeleuchtung sah er sich um und atmete schließlich, kaum dass er eine Tür entdeckte, auf. Daneben prangte wohltuend vertraut auf einer Emblemplakette die mechanische Hand, das Logo von 2OT Technology, und darunter das ihm allzu bekannte Motto: Wir ersetzen den menschlichen Makel. Verdammt noch eins, und wie sie das taten …

Daneben gab es noch ein weiteres Logo mit zwei verschlungen Cs vor einer Skyline, das Trent jedoch nicht kannte.

Das jedenfalls war der Weg nach draußen. Was auch immer das auf diesem Mond bedeuten mochte.

Dennoch verstand Trent nicht, was hier vor sich ging. Der Konzern, für den er arbeitete, hatte ihn also auf einem ihrer eigenen Planeten notlanden lassen. Und das konnte kein Zufall sein. Vielleicht, so schoss es ihm durch den Kopf, erklärte das auch die fehlenden Peilsender. Auf diesem Mond brauchten sie die Dinger vielleicht gar nicht, um ihn zu finden …

Noch bevor er diesen Gedanken zu Ende bringen konnte, bemerkte Trent aus den Augenwinkeln eine Bewegung.

Seine Hand zuckte hinab zu seiner Arclight, und noch während er die Waffe zog, fuhr er in einer geschmeidigen Bewegung herum, um sie auf die vermeintliche Bedrohung zu richten. Und dann musste Ion Trent schlucken. Keine sieben Meter entfernt von ihm richtete sich eine der Roboterleichen mit ruckartigen Bewegungen wie in Zeitlupe auf. Ein Claim-Boy 3P, Schürfroboter der dritten Generation, unbewaffnet, zumindest in der Standardausführung.

Fassungslos starrte Trent auf die offene Brustplatte des Bots, hinter der anstelle des Energieblocks eine leere Höhlung zu erkennen war, die von irisierenden blauen Blitzen durchzuckt wurde. Während der Claim-Boy sich noch vom Boden erhob, bemerkte Trent weitere Bewegungen. Überall um ihn herum begannen sie aufzustehen. Da waren unter anderem ein GarbGrab 900, der Prototyp eines Entsorgungsbots, ein Defendor T4, ein ursprünglich zur Unterstützung der Planetenmilizen entwickelter SicherheitsBot, sowie eine DD2015, eine Hoch-KI-Antiterrordrohne. Einige der anderen Modelle waren ihm nicht bekannt, aber er war sich sicher, dass ein Teil von ihnen über Waffensysteme verfügte, gegen die sich seine Arclight jämmerlich ausnehmen würde. Und dabei hätte keiner von ihnen überhaupt aktiv sein dürfen! Sie verfügten über keinerlei Energie, waren quasi untot. Ihre leeren Batteriefächer gähnten ihm entgegen, einzig vom blauen Widerschein lautloser bläulicher Blitze erfüllt.

Mit seiner Laserpistole würde er keine Chance haben. Was Präzision und Geschwindigkeit anging, waren ihm die meisten Bots in diesem Raum überlegen, da würde ihm auch die reflexgestützte Prothese nicht helfen. Sie würden das Feuer auf ihn eröffnen, bevor er auch nur drei von ihnen niedergestreckt hatte.

Trents Kopf zuckte herum, fieberhaft suchte er nach einem Ausweg. Und dann begriff er: Das Perpetuum! Der experimentelle Antrieb musste diese Horde Roboterzombies entfesselt haben.

Hastig streifte er die Vorrichtung von dem Aggregat ab und hob seine Arclight. Scheiß was auf das C, dachte er, während er auf den experimentellen Antrieb zielte. Was auch immer sie ihm zahlten, für ein Weltraumbegräbnis war es zu wenig.

Doch Ion Trent kam nicht dazu, den Abzug zu betätigen. Unvermittelt erhob sich direkt vor ihm ein Roboter, den er mit Schaudern erkannte. Mit einem seiner humangesteuerten Nachfolger hatte man ihm ein halbes Jahr zuvor seine Pro9G angepasst. Dieser hier aber war ein vollautomatisierter Amputron 3000, wie man ihn früher in Kriegsgebieten für Massenamputationen eingesetzt hatte.

Trent spürte das Scanfeld des Roboters über seinen Körper gleiten und sah, wie im nächsten Augenblick ein halbes Dutzend Klingen aus dem Korpus schnellte.

Und dann kam der Amputron auf ihn zugerast.