Inhalt

Vorwort

Kindheit und verkürzte Jugendjahre

Grundausbildung und erste Erfahrungen

Einmarsch in Ungarn

Feuertaufe

Die letzte Granate

Westwärts

Weiter nach Westen

Mit der Bahn nach Süden

Flucht oder russische Gefangenschaft

Hans, was nun?

Wieder zur Flucht gezwungen

Umwege zu gesichertem Lebensunterhalt

Vorwort

Berichte in der Süddeutschen Zeitung und im Münchner Merkur erweckten mein Interesse. Der Hinweis des Verfassers eines Artikels über Hans Fackler im Münchner Merkur, Landkreis Ebersberg in Oberbayern, führte mich zu dem heute hochbetagten Mann. Herr Fackler schilderte mir seine Erlebnisse als junger Soldat und die schwierigen Jahre danach, und ich versuchte, ihn möglichst wortgetreu wiederzugeben.

Dieses Buch möchte alles sein, nur keine Verherrlichung von Heldentaten im Krieg. Es möchte vielmehr jüngeren Generationen ungeschminkt vor Augen führen, dass Frieden zu allen Zeiten immer nur die Zeit zwischen zwei Kriegen gewesen ist. Auch in unserer Zeit ist es keineswegs selbstverständlich, dass vor allem wir West- und Mitteleuropäer uns die Köpfe nicht mehr gegenseitig einschlagen.

Seit dem 8. Mai 1945 dürfen wir nach anfangs erheblichen Schwierigkeiten schon 73 Jahre lang – das sind viel mehr als zwei Generationen – wenigstens in unserem Land und in einigen mit uns verbündeten Staaten den Frieden genießen. Diese Tatsache darf vor allem junge Politikerinnen und Politiker, die die Schrecken des Krieges nicht am eigenen Leib verspüren mussten, nicht dazu verleiten, den Frieden als selbstverständlich, als gegeben zu betrachten. Ganz im Gegenteil. Dieser fragile Zustand kann mit jeder unbedachten Handlung, ja schon mit einem unklugen Wort gefährdet werden.

Wir können nur wünschen und hoffen, dass es weiterhin gelingen möge, den Frieden in Europa zu erhalten, unsere Staatengemeinschaft aus bewaffneten Konflikten herauszuhalten, bei denen erfahrungsgemäß überwiegend die Zivilbevölkerung zu leiden hat, und im Rahmen unserer Einflussmöglichkeiten weltweit Frieden zu stiften, wo heute noch Krieg herrscht.

Grafing im Frühjahr des Jahres 2018

Der Verfasser

Kindheit und verkürzte Jugendjahre

Kurz vor meiner Geburt verunglückte mein Vater tödlich mit seinem Auto in der Nähe von Berlin, sodass ich als Halbwaise aufwuchs. Meine Mutter zog mit mir in eine Mietwohnung nach München, und dort ging ich auch zur Schule. Unsere Lehrer standen noch ganz unter dem Eindruck des verlorenen Ersten Weltkriegs, hatten den Nationalismus der Kaiserzeit in die Jahre der Republik hinübergerettet und haderten mit der Niederlage und dem in ihrer aller Augen schmachvollen Friedensvertrag von Versailles.

Auch unser Klassenlehrer berichtete uns oftmals mit spannenden Erzählungen von seinen Erlebnissen als Offizier an der Westfront. Mich beeindruckte am meisten seine Schilderung, wie er in französische Gefangenschaft geraten war und mit anderen Kameraden auf einem umzäunten Gelände vor einem ausgebrannten Fabrikgebäude hatte lagern müssen. Trotz strenger Bewachung war es ihnen gelungen, in nächtelanger Arbeit einen Durchschlupf unter dem Zaun hindurch zu graben und den dabei entstandenen Erdaushub unbemerkt zu verteilen.

»Mit mir zusammen konnten 15 Mann unbemerkt durch diesen Fluchtweg entkommen und sogar wieder zur Truppe zurück gelangen.«

Diese Erzählungen endeten meist mit ahnungsvollen Worten: »Wahrscheinlich werdet ihr alle in einen neuen Krieg hineinwachsen.« Denn seit einigen Jahren waren Hitler und seine NSDAP an der Regierung, und die gewaltigen Anstrengungen des Regimes zur Wiederaufrüstung der deutschen Armee und zur Militarisierung der Gesellschaft durch eine aggressive Propaganda waren nicht mehr zu übersehen.

Wir freilich nahmen diese Prophezeiungen nicht allzu ernst, denn der Krieg erschien uns wie ein großes Abenteuer. Wir genossen nach wie vor unbeschwert unsere freien Stunden, auch den Dienst im »Jungvolk«, denn dieser war für zehn- bis vierzehnjährige deutsche Jungen staatlicherseits erwünscht und ab Frühjahr 1939 obligatorisch. Die Uniformen – Braunhemden und kurze schwarze Hosen im Sommer – und vor allem die schwarzen Koppel mit den Lederscheiden für die Fahrtenmesser übten auf uns eine große Anziehungskraft aus – in einer Zeit, in der das Bild der Gesellschaft von Uniformen geprägt war.

Als Angehöriger des Jahrgangs 1926 gehörte auch ich wie alle meiner Altersgenossen nach meiner Volksschulzeit vom 14. Lebensjahr der HJ (Hitlerjugend) an. Diese war die einzige von den Nazis zugelassene und geförderte Jugendorganisation. Eine zu Beginn des Jahres 1939 erlassene Verordnung der Reichsregierung verpflichtete jeden deutschen Jungen zur Mitgliedschaft. Wir empfanden diese Pflicht jedoch keineswegs als Last. Das Zusammengehörigkeitsgefühl, der Hauch von Abenteuer im Zeltlager am lodernden Lagerfeuer, die Geländespiele und ähnliche paramilitärische Veranstaltungen haben uns durchaus gefallen. Auch ich habe während meiner Lehrzeit als Schreiner (Tischler) mit meinen vierzehn Jahren begeistert an Veranstaltungen der HJ teilgenommen. Die begleitende ideologische Indoktrinierung habe ich als gegeben hingenommen.

Wir wohnten in jenen ersten Kriegsjahren in der Münchener Robert-Koch-Straße 14 in einem Mietshaus, und meine Mutter pflegte Milch, Eier und andere Lebensmittel in einem kleinen Kramerladen zu kaufen. Lebensmittel waren rationiert, und heißhungrige Jugendliche wie ich wurden nur selten satt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Mutter eines Tages sehr verärgert mit leerer Einkaufstasche in unsere Wohnung zurückkehrte und aufgebracht erzählte: »Heute konnte ich mich nicht mehr beherrschen, weil der Laden wieder einmal wie leer gefegt war. Nicht einmal Brot hatten sie in ihren Regalen. Dabei ist mir herausgerutscht: ›Der Hitler kann mich bald am Arsch lecken, wenn er nicht einmal genug Lebensmittel für seine Volksgenossen beschaffen kann!‹«

Der folgende Tag war ein Sonntag. Wir saßen gerade vor unserem kargen Frühstück am Küchentisch, als die Klingel an unserer Wohnungstür schrillte. Als ich öffnete, stand ich zwei Herren mittleren Alters gegenüber. Beide waren mit grauen Mänteln und breitkrempigen Hüten fast uniform gekleidet. Vor allem der Ältere der beiden musterte mich streng, aber auch irgendwie erstaunt. Weil ich in einer halben Stunde in den Alten Hof zum Appell der HJ gehen wollte, trug ich Braunhemd und schwarze Hose, eben die vorschriftsmäßige HJ-Uniform.

»Ist deine Mutter da?«, fragte indessen der andere.

»Ja! Warum?«

»Das werden wir ihr gleich selbst sagen!«

Kaum war ich zur Seite getreten, da drängten die beiden in die Küche und musterten meine Mutter mit strengen Blicken. Dann fragte der Ältere: »Frau Fackler, was haben Sie sich gestern eigentlich gedacht, als Sie beim Einkaufen unseren Führer so lautstark in aller Öffentlichkeit beleidigt haben?«

Über die unerschrockene Antwort meiner Mutter konnte ich mich nur wundern: »Beim Einkaufen sagen Sie! Das ist maßlos übertrieben, denn es gab wieder einmal nichts! Es tut mir leid, dass mir das bei meinem Ärger so herausgerutscht ist. Mit meiner Gesinnung hat dies nichts, aber auch gar nichts zu tun, wenn Sie das meinen! Da können Sie gern alle im Haus fragen.«

»Das haben wir schon getan, Frau Fackler! Sie können von Glück sagen, dass alle Auskünfte über Ihre Person günstig für Sie ausgefallen sind! Wir sind nämlich von der Gestapo (geheime Staatspolizei). Dennoch müssen wir Ihnen hiermit eine strenge mündliche Verwarnung erteilen. Sollten wir über Sie nochmals auch nur das Geringste hören, kommen Sie nicht noch einmal so glimpflich davon!«, Nach dieser Drohung standen die beiden stramm, streckten den rechten Arm bis in Augenhöhe vor und riefen: »Heil Hitler!«

Unwillkürlich stand auch ich stramm und tat es ihnen gleich. Dabei sah ich aus den Augenwinkeln, dass auch Mutter ihren Arm zum »Deutschen Gruß« hob, während die beiden unheimlichen Herren schon aus der Wohnung hinausstapften.

Das sollte nicht die einzige Überraschung dieses Tages bleiben. Denn später, als ich zusammen mit meinem Freund Gerhard Hugel und einem anderen Kameraden meines HJ-Fähnleins den Saal betreten wollte, mussten wir an einer mit einer fliegerblauen Uniform bekleideten sehr hübschen jungen Frau vorbei, die an einem kleinen Tisch vor der Tür saß und von jedem von uns Namen, Anschrift und Geburtsdatum notierte. Wir blickten uns alle drei etwas erstaunt an. Doch nun kam ein junger, strammer und mit dem Ritterkreuz ausgezeichneter Oberleutnant auf uns zu, begrüßte uns freundlich und fragte: »Möchtet ihr nicht auch Angehörige der ›Hermann-Göring-Division‹ werden? Einige Kameraden konnte ich schon anwerben.«

Der zusammen mit Gerhard und mir eingetroffene Kamerad rief sofort laut: »Jawoll! Hiermit melde auch ich mich als Freiwilliger zu dieser Elitedivision!«

»Danke! Ich gratuliere zu diesem lobenswerten Entschluss!«

Dann stellte er Gerhard die gleiche Frage. Dieser trat vor, und ich hörte ihn sagen: »Danke, Herr Oberleutnant! Das darf ich mir aber noch überlegen.«

»Natürlich! Aber ich frage mich, was es für einen gesunden deutschen Jungen da noch zu überlegen gibt.«

Danach blickte er mich fragend an, und ich rief ohne lange nachzudenken: »Herr Oberleutnant! Ich schließe mich der Meinung meines Freundes an!«

Mit einer nicht unfreundlichen Handbewegung bedeutete mir der Werber, mich zu meinen aufgeregt durcheinander schwatzenden Kameraden in den Saal zu begeben.

Im Sommer 1942 wurde auch ich von der HJ als Sechzehnjähriger in eines der damals üblichen Wehrertüchtigungslager ins Schloss Hohenkammer befohlen. Das war für mich eine willkommene Abwechslung vom arbeitsreichen Alltagstrott. Das altehrwürdige Schlossgebäude liegt in der malerischen, teilweise bewaldeten Hügellandschaft nordwestlich von München. Hier erlebte ich erstmals militärischen Drill, dazu unbedingten Gehorsam und körperliche Ertüchtigung. Dazu lernten wir den Umgang mit Handfeuerwaffen.

Wir waren in jenen ersten Kriegsjahren begeistert von den Erfolgen der anscheinend unüberwindlichen, siegreichen deutschen Wehrmacht, die der Rundfunk immer wieder in Form von Sondermeldungen bekannt gab.

Der Leiter des Lagers und seine Ausbilder schienen den größten Wert darauf zu legen, dass wir schnurgerade ausgerichtet marschieren und dabei laut singen konnten.

»Schön kann es ja klingen, natürlich, aber laut muss es unbedingt sein.« So brüllten wir denn, mehr als wir sangen, Soldaten- und Propagandalieder wie das folgende:

Es zittern die morschen Knochen
der Welt vor dem großen Krieg
.
Wir haben den Schrecken gebrochen,
für uns war’s ein
großer Sieg.
Wir werden weiter marschieren,
wenn alles in Scherben
fällt.
Denn heute da hört uns Deutschland
und morgen die ganze
Welt.

Kaum einem von uns war bewusst, dass uns die Partei auch mit Liedern wie diesem zu ideologisch zuverlässigen Kämpfern zu erziehen versuchte. Für fast jeden war es nicht nur während dieser Tage eine Selbstverständlichkeit, so bald wie möglich Soldat zu werden, um den schon errungenen Siegen weitere hinzuzufügen.

Von den etwa hundert jungen Burschen im Lager fielen drei immer wieder durch ihr kaum verhohlenes Desinteresse und ihr defensives, eigenbrötlerisches Verhalten auf. War es von unseren Ausbildern nur geduldet, oder kam die Idee sogar von ihnen? Jedenfalls wurden die drei schon während einer der ersten Nächte kahl geschoren, in einen Sack gesteckt und jämmerlich verprügelt.

Als ich wieder zu meiner Mutter nach München zurückkehrte, zeigte sie mir einen Artikel in einer Zeitschrift, der von unserem Lagerleben berichtete. Ein Bild zeigte unsere Marschkolonne. Wegen meines hohen Wuchses marschierte ich in der ersten Reihe und war deutlich zu erkennen. Sie schien stolz auf mich zu sein und bewahrte die Zeitschrift als Andenken auf. Wahrscheinlich fiel sie später wie so vieles andere den durch Bombenangriffe auf meine Heimatstadt verursachten Bränden zum Opfer.

Nach meiner Gesellenprüfung, mit 17 Jahren, bekam ich sogleich eine Aufforderung zur Musterung im Hofbräukeller. Meine Mutter und ich konnten uns Wirtshausbesuche nicht leisten. So hatte ich keine Ahnung von den Münchner Gaststätten und meldete mich versehentlich im Hofbräuhaus – sehr zum Gaudium des dortigen Personals.

»Was willst du denn hier bei uns? Hier wird nicht gemustert. Du möchtest ein Münchner sein und verwechselst das Hofbräuhaus mit dem Hofbräukeller!«

Ein großer, schlanker und schon grauhaariger Kellner trat auf mich zu, musterte mich mit spöttischen Blicken und meinte: »Bub, bei uns hier wird nicht gemustert, und jetzt schleich dich!«

Beschämt verabschiedete ich mich. Bisher war ich mit meiner Arbeit als Lehrling, den Heimabenden der HJ oder auf dem Fußballplatz vollauf beschäftigt gewesen und kannte kaum eine Gastwirtschaft von innen. Trotzdem ärgerte ich mich, dass ich mich deshalb so dumm hatte anreden lassen müssen.

Eine halbe Stunde später stand ich in einer langen Warteschlange und schließlich vor einem Arzt, der uns einer eher flüchtigen als gründlichen Untersuchung unterzog. Mich überraschte es nicht, dass ich als »KV« (kriegsdienstverwendungsfähig) eingestuft wurde, denn ich war kerngesund, durchaus sportlich und zudem alles andere als verweichlicht.

Schon eine Woche nach der Musterung bekam ich die Einberufung zum RAD (Reichsarbeitsdienst). In einem Barackenlager in Zellmühleck musste ich mich melden. Dieser kleine Weiler liegt im bayerischen Oberland am Alpenrand in den Wäldern unweit des Kochelsees und besteht auch heute noch aus nur wenigen Bauernhöfen. Bei gutem Wetter sahen wir von unserem Lager aus die Gipfel von Herzogstand und Heimgarten sowie die mächtigen Wasserrohre, die vom höher gelegenen Walchensee zum Elektrizitätswerk am Ufer des Kochelsees herabführen.

Wir jungen Burschen waren in drei großen Baracken untergebracht, die in Stuben für je zwölf Mann aufgeteilt waren. Die Einrichtung bestand aus einfachen Stockbetten in Fichtenholz. Drei dieser sogenannten Doppeldecker standen rechts und links eines schmalen Durchgangs von der Tür zum Fenster, und dazwischen standen unsere Spinde an den Wänden. Schon beim Einräumen dieser schmalen Schränke machte uns ein Unterführer klar, dass im Lager ein knapper, militärischer, um nicht zu sagen: rauer Umgangston herrschte.

Zusammen mit mir und einigen anderen war Fritz Berger aus München mit der Bahn angereist und wurde mir in der Zeit unseres Arbeitsdiensteinsatzes ein guter Freund. Während einer besonders zackigen Ansprache unseres Vorgesetzten flüsterte er mir ins Ohr: »Hans, lass doch diesen Gernegroß brüllen, wie er will. Die sechs Monate werden wir trotzdem überstehen.«

Unsere Vorgesetzten, z. B. unser Feldmeister, bewohnten eine besser ausgestattete Baracke, die erhöht über unserer Unterkunft lag und ihren Bewohnern einen schönen Ausblick über die hügelige Voralpenlandschaft gewährte. Diesen Vorzug gönnte ich ihnen gern, denn sie mussten im Gegensatz zu uns auf Dauer hier hausen.

In den folgenden Sommermonaten bauten wir Forststraßen, verbreiterten eine Brücke über einen Bach und wurden immer wieder militärisch gedrillt. Besonders zuwider war mir das sogenannte Griffeklopfen mit blankpoliertem Spaten. Dabei erwiesen sich nicht die höherrangigen Vorgesetzten, sondern die Unterführer als die schlimmsten Schinder. »Wenn ihr nach euren sechs Monaten hier bei uns endlich Kasernenhöfe bevölkert, lassen wir uns von euch nicht unseren Ruf als Ausbilder beschädigen! Reißt euch also gefälligst am Riemen, ihr Schlappschwänze! Wir sind doch hier kein Kindergarten!«

Solche und ähnliche Rufe schallten oftmals über den schon nach wenigen Tagen gekiesten Hof vor unseren Baracken, der uns allen bald verhasst war.

Waschen konnten wir uns nur im Freien. Aus einigen Wasserhähnen über einem langen Steintrog (so wie er heute noch vor Almhütten als Viehtränke üblich ist) floss nur kaltes Wasser. Wehe demjenigen, der nach den Reinigungsprozessen unseren Vormännern nicht sauber genug erschien. Die Folgen waren nicht nur schmähliche Beschimpfungen, sondern bestanden oftmals aus Kniebeugen, Liegestützen oder Häschen-Hüpf (in Hockstellung mit vorgestreckten Armen um den Platz hüpfen). Die Fantasie einiger Vormänner schien unerschöpflich zu sein, und unser Mitgefühl für die Betroffenen hing vom jeweiligen Grad ihrer Beliebtheit ab.

Dreimal während unserer RAD-Zeit erschütterten Luftangriffe auf München unsere bisher ungetrübte Siegeszuversicht. Aber kaum einer von uns wagte dies laut zu äußern, weil es als Wehrkraftzersetzung ausgelegt werden konnte. Unsere Vorgesetzten würden so etwas keinesfalls dulden.

Während der ersten dieser Bombennächte standen wir vor unseren Baracken und konnten den Feuerschein über der Stadt sehen. Mein Kamerad Heinz Strauch war im Münchner Stadtteil Solln zu Hause. Er stand neben mir und rief wütend: »Die können also ihre schweren Koffer fast ungestört abladen. Ist denn unsere Luftabwehr so schwach? Dabei hat unser dicker Herr Luftmarschall Göring einmal laut verkündet: ›Wenn nur ein einziges feindliches Flugzeug unser Reichsgebiet überfliegt, will ich Meier heißen.‹ Von Hamburg, Köln und anderen Städten will ich gar nicht reden. Unser Herr Obermeier sollte sich schämen!«

Prompt klang eine Stimme aus dem Dunkel: »Heinz! Das will ich überhört haben. Du hast ja schon öfter laut gedacht. Halt dein loses Mundwerk, sonst könnte es passieren, dass du schneller als du glaubst irgendwo anders arbeiten wirst – in einem KZ zum Beispiel!«

Als Antwort knurrte Heinz einige unverständliche Worte vor sich hin.

Am darauffolgenden Morgen wurden wir zu Aufräumarbeiten nach München befohlen.

Zusammen mit einigen Kameraden begannen wir in der Villa unseres obersten RAD-Chefs Glasscherben zu fegen, Fenster neu zu verglasen, den beschädigten Dachstuhl zu erneuern und die Lücken im Dach mit neuen Dachziegeln zu schließen. In unseren Reihen waren doch alle Berufszweige vertreten. Auch zu anderen Villen im Nobelstadtteil Grünwald wurden wir abkommandiert.

Heinz Strauch arbeitete neben mir und raunte mir halblaut, aber hörbar erbost ins Ohr: »Hans! Hier wohnen lauter Parteibonzen. Wahrscheinlich haben sie diesen Vorort deshalb bombardiert. Aber wie du siehst, gibt’s hier alles, was wir zum Ausbessern der Schäden benötigen. Gestern Abend mussten wir beide feststellen, dass sich unten in der Stadt kein Mensch außer einigen HJ-lern um die entstandenen Schäden kümmerte. Die Leute müssen alles selbst machen und froh sein, wenn sie ein paar Bretter zum Vernageln der kaputten Fenster bekommen. Dabei ist genug Glas vorhanden …«

»Heinz, denk nicht wieder so laut«, flüsterte ich zurück. »Unseren Familien ist doch nichts geschehen.«

»Nur weil sie verdammtes Schwein gehabt haben«, entgegnete er leise.

Von Montag bis Samstag waren wir in Grünwald beschäftigt. Wir schliefen in einer Turnhalle auf Stroh und bekamen wesentlich bessere Verpflegung als im Lager. In den Folgemonaten wurden wir noch zweimal zu sogenannten Aufräumungsarbeiten in der Stadt eingesetzt.

Im Herbst 1943 stürzte ein amerikanisches Jagdflugzeug in den Kochelsee oder dessen bewaldete Steilufer. Die genaue Absturzstelle konnte niemand angeben. Wir empfanden es als Abwechslung vom RAD-Trott, dass wir zwei Tage lang vergebens nach dem Piloten suchen mussten. Nach jedem dieser Tage fand abends in unseren Buden Kleiderappell statt. Die Unterführer begutachteten dabei machtbewusst und peinlich genau alle unsere Ausrüstungsgegenstände und natürlich auch unsere Wäsche und Uniformen. Einigen meiner Kameraden bescherte dies unruhige Nächte, wenn beispielsweise ihre Stiefel nicht wieder sauber geputzt waren, der Spind nicht ordentlich genug befunden wurde oder ihnen irgendeine andere Kleinigkeit angelastet werden konnte. Dabei hatte ich immer Glück und brauchte mich von keinem der wild tobenden Unterführer mit laut gebrüllten Befehlen über den Barackenhof jagen zu lassen.

Eines bereitete mir und wahrscheinlich auch drei anderen Kameraden aus meinem ungefähr vierzig Mann starken Zug Spaß. Außer mir gab es noch drei weitere Schreinergesellen, wir konnten also gut mit Holz umgehen. In einer Werkstatt des Lagers bastelten wir am Abend nach getaner Arbeit entsprechend den Vorgaben des WHW (Winterhilfswerk) kleine Schiffe, Wiegen, Autos und dergleichen Spielzeug aus Holz. Diese Dinge waren angeblich für bedürftige Kinder bestimmt, deren Väter irgendwo als Soldaten getrennt von ihren Familien leben mussten.

Als ich hörte, dass der damals von uns gesuchte amerikanische Kampfpilot tot aus dem Kochelsee geborgen worden war, diente ich schon als Rekrut bei den Pionieren in Ingolstadt. Die Stadt an der Donau ist von alters her auch Garnisonsstadt, der ihre Vergangenheit als bayerische Landesfestung den Beinamen »Schanz« eingebracht hat.

Grundausbildung und erste Erfahrungen

Wegen meiner Körpergröße marschierte ich mit zwei fast gleich großen Kameraden immer in der ersten Reihe unserer Marschkolonne. Nicht unbedingt schön, auf jeden Fall aber laut singend marschierten wir aus der Kaserne durch die Stadt zu unseren verschiedenen Ausbildungsstellen. Die weniger großen Marschierer in den hinteren Reihen ermahnten uns immer wieder. »Macht doch nicht so große Schritte! Wir haben ja keine Luft mehr zum Singen und können euer Tempo kaum mithalten. Nicht jeder hat so lange Beine wie ihr drei!«,

Diese mahnenden Bitten erreichten uns nur im Flüsterton. Unsere strengen Ausbilder durften sie keinesfalls hören, denn einige von uns erfuhren schon während der ersten Tage in der Kaserne eine sogenannten »Sonderbehandlung« wegen unerlaubten Sprechens oder anderer geringfügiger Verfehlungen.

Nur wenige, aber endlos erscheinende Tage waren es, an denen wir an der Donau gründlich lernten, in Rekordzeit mit sogenannten Pontons, das waren schwimmfähige Unterlagen aus stabilem Metall für Brückenteile, die beiden Flussufer miteinander zu verbinden. Sogar schwere Fahrzeuge konnten auf unseren Brücken fahren, und ich ertappte mich mehrmals dabei, dass mich unser Werk ein wenig stolz machte. Ob es Zufall war weiß ich nicht, aber viele von uns Rekruten hatten Handwerksberufe gelernt und waren abgehärtete Burschen. Die wenigen Mamasöhnchen taten mir manchmal leid, wenn sie nicht nur von den unerbittlichen Ausbildern, meistens Unteroffizieren, manchmal auch von beobachtenden Offizieren oder auch von einigen meiner Kameraden verspottet wurden.

Andererseits machte sich bei der überwiegenden Anzahl von uns die paramilitärische Ausbildung bei der HJ bemerkbar. Auch hier galt das Motto: Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl, flink wie die Windhunde, ein deutscher Junge weint nicht, aber ein Mann keinesfalls! Kaum einem von uns war bewusst, dass wir schon seit Jahren zu möglichst gut funktionierenden soldatischen Robotern herangebildet wurden. Nicht nur auf dem Schießplatz wurde uns immer wieder eingeschärft: »Das Gewehr ist die Braut des Soldaten! Behandelt es immer sorgfältig! Euer Leben kann einmal davon abhängen, dass ihr gut damit umgehen könnt!«

Natürlich wusste ich schon aus der Zeit im Wehrertüchtigungslager, dass ich ein guter Schütze war. Als ich aber schon beim ersten Scharfschießen das beste Ergebnis von uns allen erzielte, war ich selbst überrascht. Innerhalb kurzer Zeit galt ich als der beste Schütze unserer Kompanie. Natürlich brachte mir dies das Wohlwollen meiner Vorgesetzten ein, und ich musste mich selbst dazu ermahnen, nicht übermütig zu werden. Den freien Tag, der mir einmal wegen eines besonders guten Schießergebnisses gewährt wurde, genoss ich in der Stadt in vollen Zügen.

Kaum jemand wird bestreiten, dass die Menschheit von alters her viel Zeit und Geld aufwendete, um Waffen oder Kriegsgerät zu erfinden und weiterzuentwickeln. Jetzt wurden auch wir geschult, Minen zu verlegen oder zu entschärfen oder mit panzerbrechenden Waffen umzugehen. Wir jungen Burschen glaubten, dass wir diesen Krieg gewinnen würden, keinesfalls aber verlieren durften. Wir waren alle, jedenfalls hatte ich dieses Gefühl, mit Leib und Seele bei der Sache.

In den letzten Novembertagen des Jahres 1943 marschierten wir in voller Kampfausrüstung und begleitet von den Klängen einer Blaskapelle zum Bahnhof. Wir wurden mit unserem technischen Gerät in Güterwaggons zum Transport mit uns noch unbekanntem Ziel verladen. Jedoch machte schon im Bahnhof von Salzburg das Gerücht von Waggon zu Waggon die Runde: »Wir fahren nach Jugoslawien! Die Bewohner dieses Landes sind seit Generationen untereinander zerstritten! Nun haben sie aber uns als ihren gemeinsamen Gegner entdeckt, und ihr Anführer, dieser Tito, hat sie geeint!«, … »Diese Kerle sollen inzwischen frech geworden sein!«, … »Was wird uns dort unten erwarten?«

Dunkle Ahnungen stiegen in mir auf. Partisanenkrieg? Da gibt es doch keine klaren Frontlinien; da weiß niemand, wo der Gegner versteckt ist, aus welchem Hinterhalt er schießen wird. Na prost Mahlzeit!

Laut wagte ich meine Gedanken nicht zu äußern. Doch dann jedoch gewann die Unbekümmertheit der Jugend wieder die Oberhand, und ich dachte mir: Hans, dir wird schon nichts passieren. Deshalb lachte ich mit meinen Kameraden und zusammen mit einigen hübschen und ebenfalls noch jungen Rotkreuzschwestern auf dem Bahnsteig um die Wette. Der Tee, den die jungen Salzburgerinnen an uns ausgaben, schmeckte nicht besonders gut. Eine der jungen Damen schien dies zu bemerken. Sie blinzelte mir zu, trat dicht vor mich hin und goss aus einer kleinen, flachen Flasche einen tüchtigen Schuss Rum in meine Tasse. »Ist’s jetzt besser?«, fragte sie und zwinkerte dabei schelmisch mit ihren strahlend blauen Augen.

Unser Haufen kam zwar überwiegend aus Süddeutschland, war aber durchsetzt mit Berlinern, Rheinländern, Ostpreußen oder Sudetendeutschen, was der Kameradschaft keinen Abbruch tat.

Nach etwa einer Stunde wurde unser uns er angenehmer Aufenthalt in Salzburg jäh beendet: »Alles einsteigen!«

Während unser langer Güterzug langsam aus dem Salzburger Bahnhof rollte, lehnte ich mich weit aus der Waggontür und winkte meiner lustigen Wohltäterin so lange zu, bis ich ihr weißes, über ihrem Kopf hin und her wedelndes Tuch nicht mehr erkennen konnte.

»Hans, die scheinen es nicht eilig zu haben«, bemerkte Fritz, ein munterer Bursche aus Hamburg, als während der Nacht unser Zug in einem Bahnhof in Kroatien auf einem langen Nebengleis anhielt. Ein mit Panzern beladener Zug überholte uns, und Hörmann, unser »Wiener Striezi«, bemerkte dazu: »Die sind nicht für Jugoslawien bestimmt! Die fahren nach Griechenland!«

»Woher möchtest denn du des wissen?«, fragte eine kräftige Baritonstimme aus dem Hintergrund in unverkennbar schwäbischem Dialekt.

»Ich kenn’ Leutnant Zwerger, den Zugführer vom zweiten Zug. Er stammt aus St. Pölten. Er hat mir in Salzburg erzählt, dass uns hier irgendwo dieser Panzertransport überholen wird! Das sei eingeplant.«

»Schade! Die Panzer könnten wir gegen diesen Tito auch gut brauchen.«

»Diesen Kerl räuchern wir doch auch ohne diese paar Panzer aus«, rief ein anderer dazwischen, und alle lachten.

Der erste Zug unserer Kompanie, zu deren 60 Mann auch ich gehörte, bezog anderntags ein kleines inmitten von Weinbergen gelegenes Schloss in Ladutsch (wir sprachen diesen Ortsnamen so aus). Die Ortschaft liegt in einer hügligen Landschaft eingebettet inmitten von Weinbergen, etwa 30 Kilometer von Agram, dem heutigen Zagreb, entfernt. Der zweite Zug marschierte zu einem etwa einen Kilometer weiter gelegenen Dorf, um dort Quartier zu beziehen. Wo damals unser dritter Zug geblieben ist, weiß ich heute nicht mehr.

Bevor wir unsere Unterkunft betreten durften, ließ uns Hauptmann Möller antreten und deutete dabei auf mehrere dunkle Flecke an der weiß getünchten Außenwand:

»Alle mal herhören! Das sind Blutflecken! Deutsches Blut! Hier war vor uns eine SS-Einheit untergebracht. Ihre Wachen haben wohl geschlafen! Sie haben ihre Unachtsamkeit mit dem Leben bezahlt. Die Partisanen können jederzeit überall auftauchen! Seid also wachsamer, als diese Toten es gewesen sind.«

Danach wandte er sich an Leutnant Schreiner, unseren Zugführer. »Teilen Sie jeweils vier Doppelposten rund um die Uhr ein! So etwas darf sich nicht wiederholen!«, Nach diesem Befehl wendete er sich auf seinen Absätzen um, stelzte eine kleine Außentreppe zum Eingang des Schlosses hinauf und entschwand unseren Blicken.

Fritz neben mir flüsterte: »Hans, wir wohnen also in einer Feldherrnhalle! Mit der Hälfte unserer Offiziere unter einem Dach!«

»So ist es leider. Mir wäre es auch lieber, wenn wir weiter von diesen Herren entfernt unsere Strohlager beziehen könnten!«

»Fackler!«, hörte ich den Leutnant laut rufen und antwortete: »Hier!«

»Ziegler!« – »Hier!« Es folgten noch vier weitere Namen. »Sie übernehmen die ersten vier Stunden der Wache. Von diesem kleinen Pavillon dort können Sie den Vorhof und einen Teil der Straße gut überblicken, ohne selbst gesehen zu werden! Ein Hinweis auf Ihre Verantwortung für uns alle erübrigt sich! Wegtreten!«

Mit unseren Karabinern in der Hand gingen wir zu dem kleinen Holzhäuschen. »Scheiße!«, meinte Fritz, lehnte seine Knarre an die Wand und legte sich ungeniert auf die Holzbank im Innern unseres Wachhäuschens. »Hans! Einer von uns und die anderen vier sind genug Aufmerksamkeit. Diese Brüder kommen doch nicht zweimal innerhalb so kurzer Zeit. Klar? Wenn etwas sein sollte, weckst du mich. Wenn eine Kontrolle kommt, siehst du das ja auch. Die nächsten beiden Stunden kannst du dich hier lang machen.«

»Ist gut Fritz«, meinte ich und nickte dazu zustimmend.

Zwei Stunden später weckte er mich und flüsterte. »Hans. Der Mond hat sich verkrochen, und bei diesem Nebel kann ich kaum noch zehn Meter weit sehen. Übernimm du die Straße, und ich bewache den Innenhof. Bei diesem elenden Schmuddelwetter wird mir doch ein wenig mulmig.«

Herbert Schmelig und Karl Meißner lösten uns um 22.00 Uhr ab und erklärten uns den Weg zu unseren Schlafstellen. »Natürlich Strohlager. Die anderen sind auch noch wach. Nachtruhe wurde erst vor wenigen Minuten befohlen.«

Immer noch mit unseren Karabinern im Anschlag gingen wir zur großen Eingangstür. Dabei meinte Fritz: »An diese Umgebung muss ich mich noch gewöhnen. Ob die Leute uns wirklich so feindlich gesinnt sind?«

»Fritz, das werden wir bald herausfinden.«

Anderntags blieben nur die vorgesehenen Wachen im kleinen Landschloss zurück. Wir anderen mussten in den Weinbergen auf feuchtem, schmierigem Boden robben, kriechen laufen, in volle Deckung gehen und alles befolgen, was unseren Unteroffizieren in den Sinn kam. Noch bevor etwa gegen 13.00 Uhr ein kleiner LKW mit dem Küchenanhänger in den Hof rollte, hatten wir schon den ersten Kleiderappell hinter uns. Als wir zum Essen fassen in den Hof hinaustraten, sah jeder von uns schon wieder aus wie aus dem Ei gepellt.

Max Grünwald schimpfte: »Der Fraß aus dieser Gulaschkanone kann meine miese Laune nicht verbessern. Dieser dünnflüssige Eintopf wird bei mir wahrscheinlich unverdaut wieder hinauspfeifen.«

Alle, die den ansonsten immer fröhlichen Max hörten, mussten lachen, nur Hörmann, unser »Wiener Striezl«, rief wichtigtuerisch laut: »Morgen müssen, nein dürfen wir arbeiten!«

»Weißt du auch, wo und was?«, fragte einer.

»Nicht genau. Aber irgendwo haben Partisanen eine Brücke gesprengt. Die dürfen wir zunächst mit Pontons ersetzen und danach wieder aufbauen.«

»Das ist doch immer noch besser als diese Schleiferei im Gelände«, bemerkte ich und erzeugte damit zustimmendes Gemurmel ringsumher.

Innerhalb erstaunlich kurzer Zeit gewöhnten sich fast alle von uns an die fremde Umgebung und irgendwie auch an ihre Bewohner. Es war zwar nicht gern gesehen, aber es wurde uns auch nicht untersagt, die eintönige Verpflegung in der näheren Umgebung unserer Unterkunft mit Frischmilch, Butter, frischem und sehr wohlschmeckendem Maisbrot oder mit Eiern aufzubessern. Dabei erklärte uns aber so mancher der von uns angesprochenen Weinbauern, dass sie nichts mehr hätten. »Deutsche uns alles schon genommen. Hühner weg – keine Eier! Unser Schwein aus Stall genommen! Haben du Salz? Wäre gut! Dann vielleicht ich woanders besorgen können.«

Das eintönige Angebot aus unserer Gulaschkanone sowie Kommissbrot und Kunsthonig machten mich erfinderisch. Ein von mir zu Hause erbetenes großes Paket mit Salz wirkte Wunder und fand rasch Nachahmer bei meinen Kameraden. Plötzlich hatten die Weinbauern wieder Hühner in irgendwo verborgenen Ställen – auch diejenigen, denen die Deutschen zuvor angeblich alles weggenommen hatten. Zumeist war ich bei unseren Einkaufsausflügen mit Fritz Bauer und dem Gefreiten Max Grünwald zusammen. Dabei konnten wir beobachten, dass viele Bauersfrauen Kopftücher trugen und darüber die mit ihren Produkten beladenen Körbe gekonnt auf den Köpfen balancierten, wenn sie zu irgendwelchen Märkten gingen.

Max überraschte Fritz und mich eines Tages mit der Frage: »Wollt ihr zwei mich am Sonntag, also übermorgen, zu einer einheimischen Hochzeitsfeier begleiten?«

Als ich ihn ein wenig verdutzt anblickte, wischte er mit seinem unbeschwerten Jungenlachen nicht nur meine, sondern auch die von Fritz vorgebrachten Bedenken innerhalb weniger Sekunden beiseite. »Jungs! Ihr wisst doch, dass ich nachts schon mehrmals zu meiner Freundin ausgerissen bin. Ihr habt mich doch alle gedeckt, damit meine Abwesenheit nicht aufgefallen ist. Im Haus ihrer Eltern sind wir sicher. Nur auf dem fast einen Kilometer langen Heimweg schleiche ich vorsichtshalber durch die Weinfelder, nicht auf der Straße. Hört zu! Übermorgen heiratet die Schwester meiner Freundin. Denen habe ich schon angedeutet, dass ich euch mitbringen werde.«