Das Buch

I’m off(line)!

Für die 14-jährige Maja beginnt das größte Abenteuer ihres Lebens: ein Jahr mit ihrer Familie um die Welt backpacken! Traumhafte Strände, exotisches Essen, niedliche Koalas und gleich zwei Jungs, die Majas Herz zum Höherschlagen bringen – all das würde sich perfekt für schnellen Social-Media-Fame eignen, doch Majas Eltern machen ihr einen Strich durch die Rechnung. Gleich am Anfang der Reise kassieren sie ihr Handy ein! Digital Detox. Oder: die Teenager-Hölle. Aber Maja lässt sich nicht unterkriegen und stellt fest: Ihr Leben braucht weder Filter noch Follower, um unglaublich zu sein.

Leicht, frisch, frech – der perfekte Roman für Reiselustige, Weltenbummler und Ganz-weit-weg-Träumer.

Die Autorin

© Privat

Schon in der Grundschule schrieb Marieke Bruns, Jahrgang 1991, ihren Wunsch auf, später einmal Autorin zu werden. Zum Studium verschlug es sie schließlich nach Berlin, wo sie heute mit Freund und Hund lebt. Beruflich beschäftigt Marieke Bruns sich als Teil des Podcasts Puppies and Crime mit internationalen Verbrechen.

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

Für Mama, Papa und Jonas

Wenn die eigenen Eltern verrückt werden

Ein Jahr Reisen. Ein Jahr keine Schule. 1001 perfekte Instagram-Motive. Wenn ich könnte, würde ich mich selbst beneiden. Dachte ich.

Bis wir eben nach gefühlt tagelanger Odyssee endlich in unserem Hotel in Bangkok angekommen sind und Mum meine Frage nach dem Wifi-Passwort mit »Schatz, darüber müssen wir mit dir reden« und einem gequälten Lächeln beantwortet hat. Oder eher nicht beantwortet hat.

Der mitleidige Blick auf mein Samsung. Der Hilfe suchende Blick zu Dad. Und dann, viel zu schnell für mein gejetlagtes Gehirn, der Todesmove: Mit einer blitzschnellen Bewegung wurde mein geliebtes Handy aus meinen unvorbereiteten Händen gerissen wie ein Neugeborenes aus den Armen seiner Mutter.

»Wir halten es für besser, wenn du das Jahr ohne Handy erlebst. Ohne Instagram und, äh, Snapchat … Oder so. Einfach mal abschalten. Beziehungsweise ausschalten … Haha. Back to Basics.«

Das Einzige, was hier Back to Basics ging, war mein Hirn. Jegliches Denkvermögen ausgeschaltet.

Mit der existenziellen Bedrohung konfrontiert fokussierte sich mein gesamtes Sein nur noch auf eine Sache. Mein Leben in Mums Händen. Also mein digitales Leben in Form meines Handys. Wie ein Tiger sprang ich nach vorne und wollte es Mum mit letzter Kraft entreißen.

Vergeblich.

Mit blitzschnellen Reflexen wurde mein geliebtes Samsung von Mums Händen in die von Dad befördert und so endgültig meinen Zugriffsmöglichkeiten entzogen.

Entschuldigendes Lächeln von Dad mit zusammengepressten Lippen.

»Das kann nicht euer fucking Ernst sein!«

»Maja, was hatten wir besprochen mit dem F-Wort?«

Typisch Mum, meinen Schimpfwortgebrauch kritisieren, während ihre ganze Erziehung offensichtlich auf Lügen und Diebstahl beruht.

Normalerweise wäre jetzt der Moment gewesen, in mein Zimmer zu stürmen und dramatisch und mit viel Schwung für den optimalen Knalleffekt meine Tür zuzuschmeißen.

Mangels dieser Möglichkeit (danke, Vier-Personen-Zimmer) musste ich mit dem Bad vorliebnehmen.

Jetzt sitze ich auf dem Klodeckel und schreibe, statt Millionen Likes für meinen ersten Reise-Post zu bekommen.

Und ich kann nicht mal Rückflugtickets googeln!

Wie kommt man auf so einen Scheiß? Und dann auch noch ohne Vorwarnung. Keine Zeit, sich emotional darauf einzustellen oder sich zu weigern, in den Flieger nach Thailand zu steigen.

Ich hätte verdammt noch mal das Jugendamt anrufen können, wenn ich das gewusst hätte. Ein Herz für Kinder. Oder Mark Zuckerberg. Amnesty International.

Ich habe Rechte. Menschenrechte. Mein Zugang zum Internet muss doch geschützt sein. In der UNO-Menschenrechts-Erklärung oder so. Diese interessante, die Substanz unserer Gesellschaft berührende Frage hätte ich jetzt theoretisch googeln und damit meinen politischen Horizont erweitern können. Aber nein, dank Digital Detox kann ich stattdessen höchstens Badfliesen zählen oder Mücken totschlagen. So viel zu »pädagogisch wertvoll«.

Mum versucht durch die Tür ihre verfehlte Erziehungsmethode zu rechtfertigen:

»Wir wollen dich nicht bestrafen oder dir das Leben schwer machen, Süße. Du sollst die Möglichkeit haben, völlig frei und unbeschwert das Jahr zu genießen. Den Moment zu leben. Das richtige Leben kennenzulernen.«

Ernsthaft?

Zu Zeiten von Charles Dickens gab es auch kein Internet. Hat das den Kids in den Armenhäusern damals eine unbeschwerte Kindheit ermöglicht? Eben.

Wie soll ich bitte schön ein Jahr (!) mit diesen Verrückten aushalten, ohne über Online-Kanäle mein Leid klagen zu können? Meine Prognose: Das digitale Entgiften führt nicht zu glücklichem Im-Moment-Leben, sondern zu Mord, Totschlag und auf direktem Weg in die Nervenklinik. Aber ruckizucki.

Mist, Gustav klopft. Er muss auf Klo. Muss Schmoll-Aktion verlegen.

Vielleicht passe ich in den Kleiderschrank.

Affenhitze in BKK

Zweiter Tag in Bangkok. Temperatur gefühlt 3000 Grad Celsius. Affenhitze. Luftfeuchtigkeit: 100 Prozent. Die Anstrengung körperlicher Betätigung kann man sich auch gleich sparen und sich stattdessen direkt in einen Eimer Schweiß legen. Bäh.

Die ganze Stadt ist wie ein lauter, bunter und verrückter Ameisenhaufen unter einer Smogglocke aus Abgasen und Dunst. Lungentechnisch gesehen wahrscheinlich nicht der beste Aufenthaltsort.

Die Straße überqueren ist eine selbstmörderische Angelegenheit. Bunte Taxis, Tuk Tuks, Tausende Motorroller, die sich durch jede kleine Ritze zwischen den Autos quetschen und die gewagtesten Fahrmanöver an den Tag legen. Dazu Gehupe und eine komplette Gleichgültigkeit gegenüber Ampeln und Zebrastreifen.

Wie respektvoll mit Zebrastreifen beziehungsweise den Menschen, die sich auf besagten Zebrastreifen befinden, umgegangen wird, lässt sich ja in drei grobe Kategorien einteilen:

1.Zebrastreifen ist Gesetz. Der Zebrastreifen wirkt wie eine unsichtbare und unzerstörbare Mauer, die den jeweiligen Fußgänger schützt und Autofahrer am Fahren und Überfahren hindert.

2.Zebrastreifen als höfliche Empfehlung. Zebrastreifen dient als unverbindlicher Vorschlag anzuhalten und die alte Omi, die mit ihrem Krückstock über die Straße will, passieren zu lassen. Wäre voll nice, ist aber kein Muss. Erst recht nicht bei Nicht-Omis.

3.Zebrastreifen als Streetart. Oh, hübsch! Ein paar Streifen auf der Straße. Da können wir uns den Zoobesuch sparen. Beim Drüberbrettern zu bewundern.

Bangkok gehört definitiv in die letzte Kategorie.

Mum und ich standen heute Morgen von 8.46 Uhr bis 8.59 Uhr an einem Zebrastreifen in der bescheidenen Hoffnung, einmal die Straße überqueren zu dürfen, um im Laden auf der gegenüberliegenden Straßenseite eiskalte, kribbelige Softdrinks und Chips zu besorgen.

Wir hätten genauso gut versuchen können, mit einer Luftmatratze den Indischen Ozean zu überqueren. Nach 13 vergebenen Minuten braven Wartens am Zebrastreifen und dem Abgasäquivalent einer Schachtel Zigaretten in unseren Lungen sind wir mit hängenden Schultern zurück ins Hotel geschlurft und mussten uns mit lauwarmer Sprite aus dem Hotelkühlschrank zufriedengeben.

Dagegen kommt mir Berlin vor wie ein kleines, idyllisches Alpendörfchen. Wenn wir in einem Jahr zurück sind, werde ich wahrscheinlich jedem Autofahrer, der die Güte besitzt, an einem Zebrastreifen zu halten, die Motorhaube oder den Mercedesstern küssen.

Mittagessen gab es an einem kleinen Straßenstand. Ich habe versucht, das Thema »Smartphoneverbot – gute Idee oder Menschenrechtsverletzung?« noch einmal anzusprechen. Ich war ruhig und sachlich. Exzellente Argumente. Ein herzerweichender Appell für mehr Nächstenliebe in diesen turbulenten Zeiten. Mein trauriger Hundeblick war on point.

Aber Mum und Dad blieben hart. Einzig im Falle einer akut auftretenden und kausal durch den Internetentzug verursachten Depression würden sie das Ganze eventuell, vielleicht noch einmal ein bisschen überdenken.

»Aber Maja, wir machen das doch, damit du und Gustav nicht depressiv werdet. Social Media ist nicht die Realität! Immer mehr junge Menschen können das nicht auseinanderhalten und werden dann …«

»… depressiv.« Jaja. Schon klar. Aber nur, weil es einigen Leuten safe durch Social Media schlecht geht, bedeutet das doch im Umkehrschluss nicht, dass man ohne Social Media automatisch happy ist.

Meine einzige Hoffnung scheint also starke depressive Verstimmung zu sein, die eindeutig auf Internetmangel zurückzuführen ist. Muss weiter überlegen, ob das machbar wäre. Alternativ Amnesty International kontaktieren.

Hippie-Ritas Internetverschwörung

Der Rest der Family ist unterwegs Tempel angucken. Mein Tempellimit ist längst erreicht.

Bin stattdessen am Hotelpool, trinke frischen O-Saft und schreibe Tagebuch. Ich fühle mich sehr erwachsen und geerdet. Wie eine waschechte digitale Nomadin. Nur ohne MacBook. Und ohne Blog. Oder Instagram. Oder Internet. Oder beachy, flowy sonnengeküsste Locken. Also immerhin zehn Prozent digitale Nomadin.

Tilda, meine BFF, die nun zur BTSBF – Best Travel Support Buddy Forever – promoted wurde, hat eine ganz eigene Theorie, wer meinen Eltern diesen Digital-Detox-Irrsinn in den Kopf gesetzt hat. Mum hatte mir heute Morgen gnädigerweise für ganze siebeneinhalb Minuten das Handy überlassen, die ich sofort genutzt habe, um eine Notnachricht an Tilda zu schicken. Die SOFORT geantwortet hat, um mir emotionalen Beistand zu leisten, obwohl es in Deutschland mitten in der Nacht war. That’s my girl. Ich würde behaupten, meine Finger sind noch nie so schnell über die virtuellen Tasten geflogen. Auf jeden Fall hat Tilda sehr überzeugende Argumente dafür, wer das Superhirn hinter dem bösen Plan ist, mein Leben zu versauen.

Sie glaubt, dass es die Idee von Hippie-Rita war. Hippie-Rita ist die Yoga-Lehrerin von Mum und Tildas Mutter. Sie ist leicht durchgeknallt. Scherz. Hart gestört trifft es eher. Früher war sie mal Bank-Managerin. Dann ist sie zur Selbstfindung nach Indien gegangen und jetzt hilft sie anderen dabei, ihre innere Göttin zu befreien. In Berlin gibt es dafür sehr großen Bedarf.

Hippie-Rita hält »das Internet« und »den Strom« für die größten Probleme der Menschheit. Mir würden da ja noch Krieg, Klimawandel, Umweltverschmutzung, Rassismus und soziale Ungleichheit einfallen … aber okay.

Hippie-Rita hat es sich übrigens auch nicht nehmen lassen, uns vor dem Abenteuer unseres Lebens noch schnell den Support aller Reisegötter zu organisieren. Dieses superauthentische Ritual hat sie angeblich in Indien von ihrem Großmeister gelernt. Macht ja auch Sinn, sich auf die Beweihräucherung und Beschwichtigung von Reisegöttern zu spezialisieren, wenn die eigene Anhängerschaft dreimal pro Jahr mit dem Flugzeug angejettet kommt, um sich dann in Indien in Bescheidenheit, Achtsamkeit und Verzicht zu üben.

Die große Ehre der Reisegöttersegnung, der meine Eltern aus unerfindlichen Gründen zugestimmt hatten, war uns natürlich nur unter der Voraussetzung zuteilgeworden, dass wir das Wifi in unserer Wohnung mindestens eine halbe Stunde vor Ritas Ankunft ausschalten würden. Strahlung! Kein Problem. Mit dem Erklingen von Ritas Schnaufen im Treppenhaus war der Router pflichtbewusst von Dad ausgestöpselt und, sicherheitshalber, auf den Balkon befördert worden, von wo er uns dann halb vorwurfsvoll und halb verächtlich angestarrt hatte.

Zusätzlich zu einem fetten Bündel Salbei zum Ausräuchern der bösen Geister hatte es als Mitbringsel »leckeren veganen, gluten-, zucker-, palmöl-, fett- und sojafreien Kuchen« gegeben. Auch bekannt als Klump. So nennt Dad den soliden Molekülbrocken, der keinerlei Kucheneigenschaften besitzt, aus dem man aber sicher ein prima Ökohaus mauern könnte.

Nachdem befriedigende Mengen zerhackten Klumps verzehrt, beziehungsweise subtil beseitigt worden waren, war die Prozession weiter ins Wohnzimmer gezogen. Das Salbeibündel war angezündet worden. Umhergeschwenkt. Um uns geschwenkt. Rita hatte sich im Salbeinebel hin und her gewiegt wie ein Betrunkener in der U-Bahn. Erst als Gustav angefangen hatte zu husten wie ein Kettenraucher, war Mum aus dem Klump-Koma erwacht, hatte alle Türen und Fenster aufgerissen und sich überschwänglich bei Rita bedankt, um sie und ihr Salbeibündel so schnell wie möglich aus der Wohnung zu bugsieren.

Ich denke, es ist eindeutig, auf wessen Mist das Ganze hier gewachsen ist. Merci beaucoup, Rita.

So, lights off. Morgen früh fahren wir nämlich in den thailändischen Süden auf eine traumhaft tropische Insel. Sweet dreams!

Mit dem Zug am Arsch der Welt

Wir fahren nun schon seit Stunden mit dem ratternden Zug durch die Wildnis Thailands. Saftiges Grün und roter Lehmboden so weit das Auge reicht.

Statt für ein eigenes gemütliches Abteil in der ersten Klasse haben sich Mum und Dad budgetbewusst und maximal abenteuerlustig für die dritte Klasse entschieden. Ich weiß nicht, welcher Teufel sie geritten hat, aber mein Hintern und mein Rücken sind empört. Wer auch immer diese Sitze designt hat, hat entweder nie probegesessen oder eine ganz eigene, sadistische Art von Humor.

Dafür kommen gefühlt alle drei Minuten Verkäufer vorbei und bieten Schokofrösche, Kürbissaft und Butterbier an. Kleiner Scherz. Es gibt hauptsächlich Obst und leckere Nudeln in kleinen Päckchen aus Bananenblättern. Sehr Instagram-worthy und voll nachhaltig.

Gustav spielt Angry Birds auf dem Tablet. Mum liest ganz fancy eine englische Vogue, die sie irgendwo aufgetrieben hat, und Dad ist fleißig dabei, Fotos am Laptop zu bearbeiten, wie sich das für einen ordentlichen Fotografen so gehört. Das macht er momentan sehr viel. Manchmal frage ich mich, ob er ab und zu vielleicht heimlich im Internet ist. Bisher habe ich diese Vermutung mit niemandem geteilt. Ich weiß nicht, wem ich in dieser heiklen Situation vertrauen kann. Sollte sich mein Verdacht erhärten, wird das ein Fall für den Familienrat.

I’m on a boat

Der nächste Morgen.

Wir haben die Zugfahrt überlebt, all unsere Habseligkeiten scheinen vollständig und selbst die einstündige Achterbahnfahrt im arktisch-klimatisierten Backpackerbus haben wir ohne Totalschaden überstanden. Wir haben nun endlich das Festland mit seiner üppigen Vegetation hinter uns gelassen und schippern auf einem vollbesetzten, wenig vertrauenerweckenden Kahn in Richtung Insel.

Das ganze absolut-schrottreife-verrostete-und-schwarze-Rauchwolken-in-die-Luft-speiende-Wasserfahrzeug ist voll mit vielen jungen Ritas (und männlichen Versionen von Rita). Lauter Nasenpiercings, Dreadlocks, weite Wallehosen, große Rucksäcke mit den Aufnähern verschiedenster Länder.

Frisch fertig mit dem Abi und dann einmal nice um die Welt jetten, Party machen, unter Palmen übers Leben philosophieren, aus Kokosnüssen trinken und nebenbei ganz demütig alle Zuhausegebliebenen durch Instagram neidisch machen. Pardon, an der eigenen spirituellen Reise teilhaben lassen und inspirieren. Die Zuhausegebliebenen schaufeln sich dann morgens missmutig ihre Cornflakes in den Mund und hassen alle Reisenden.

Also warten, bis ich 18 bin. Dann packe ich Tilda ein und wir reisen einfach los, sehen super aus, lassen uns Federn in die Haare flechten und posten jeden Tag mega die Travel-Inspo.

Das Wasser hat sich, während wir gemütlich vor uns hinschippern – und so viel schwarzen Rauch in den blauen Himmel pusten, dass Greta Thunberg wahrscheinlich ohnmächtig würde –, langsam, aber sicher von schlammigem Latte Macchiato in strahlend blaues Fidschi-Wasser verwandelt. Es lädt zum Reinköppern geradezu ein.

Problem 1: Ich kann keinen Köpper.

Problem 2: Muss erst herausfinden, ob es in Thailand Haie gibt. Laut Dad: nein. Sollte aber zur Sicherheit noch mal recherchieren. Er ist schließlich kein Meeresbiologe.

Problem 3: Es scheint weder Rettungsboote noch Rettungsreifen zu geben. Also echt gute Chancen, dann wie eine verlassene Boie den Rest meines Lebens (bis entweder a) Haiangriff oder b) Ertrinken) auf dem Meer herumzutreiben.

Immer noch on a boat

Insel in Sicht! Insel in Sicht!

Das gelobte Land!

Und auch höchste Zeit.

Eine der Mini-Ritas hat vor einer halben Stunde eine Ukulele aus ihrem schmuddeligen Rucksack geholt und singt seitdem. Ununterbrochen. Ein Lied.

Wonderwall von Oasis.

Der Klassiker für Lagerfeuer, Straßenmusiker und Schulfreizeiten. Scheinbar auch das einzige Lied, dessen Akkorde Mini-Rita beherrscht.

Ich habe lange überlegt, mit mir gerungen und gehadert, und mich dann dazu entschlossen, Gustav vorzuschicken, um sie zu fragen, ob sie auch was Aktuelles spielen kann. Taylor Swift. Selena Gomez. Namika. I don’t care.

Obwohl Gustav so süß ist, hat sie ihn nur angelacht und meinte, sie möge nur echte (!) Musik von echten (!) Künstlern und keinen amerikanischen Kaugummi-Kapitalisten-Pop.

Arrogante Kuh. Keine Ahnung von Musik. Und vor allem kein Herz, wenn sie Gustavs Hundeblick widerstehen kann.

Angekommen im Paradies

Paradies, Paradies, Paradies! Palmen, weißer Sand, superblaues Wasser und wir haben zwei Bungalows! Mit echten Wänden und Klimaanlage. Nach dem Dritte-Klasse-Debakel auf der Hinfahrt hatte ich uns schon unter zwei Palmenwedeln am Strand hausen sehen.

Keine schlaflosen Nächte mehr, weil Mum schnarcht wie eine mammutbaumfällende Kettensäge oder es einen Schwarm Mutantenmoskitos nach unserem süßen Blut dürstet.

Nun heißt es ab an den Strand für ein fabelhaftes Abendessen mit Meerblick und Kerzenschein.

Ich hoffe nur, dass wir nicht beim Dessert von einer Kokosnuss erschlagen werden.

Strand statt Schule

Als empathischer und großherziger Mensch schwanke ich jeden Morgen beim Aufstehen, wenn ich den Blick über den Strand schweifen lasse, der Sand meine Zehen kitzelt und ich an meine armen, daheimgebliebenen Mitschüler denke, zwischen Mitleid und einer Genugtuung, die fast an Schadenfreude grenzt.

Nimm das, Nessie, du Queen-Bitch der 9. Klasse. Während dein Hintern über Schulbänke und U-Bahn-Sitze schubbert, liege ich am Strand und lebe das Leben.

Zu Hause geht jetzt die Schule los. Arme Tilda. Keine Ahnung, wie sie ein ganzes Schuljahr ohne mich überstehen soll.

Schlechte Neuigkeiten

Na toll. Da schwelgt man in der eigenen, schulfreien Überlegenheit und wird dann, Karma-mäßig wahrscheinlich erwartbar, ganz unsanft auf den sandigen Boden des Insellebens zurückgeholt.

Mum und Dad haben gerade angekündigt, dass wir ab morgen gemeinsam und voller Motivation daran arbeiten werden, bildungstechnisch in Topform zu bleiben.

Brutale Überraschung so direkt nach dem Aufstehen. Auf leeren Magen.

Mum hat uns tatsächlich gefragt, ob das okay für uns sei. Also dass die Schule jetzt auch für uns losgeht. Als hätten wir eine Wahl. Seriously! Als ob hier demokratische Verhältnisse herrschen würden.

Neue Nachbarn!

Neue Nachbarn-Alert! In die Bungalows gegenüber ist eine Familie eingezogen. Bis jetzt habe ich vier Personen gesichtet. Vater, Mutter und zwei Kinder. Ein kleiner Junge, so in Gustavs Alter, und ein älterer Junge. Ich tippe auf 16. Ein junger Mann. Sehr interessant. Sitze nun draußen auf der Terrasse und schreibe bei Kerzenschein, um besser Beobachten zu können. Observieren. Ganz unauffällig. Vielleicht sollte ich später zur Kriminalpolizei. So CSI-mäßig. Wäre ich bestimmt gut drin. Der ältere Junge, also Teenboy, sieht echt richtig gut aus. Supercute. Wuschelige braune Haare und sportlich. Braun gebrannt. Miau. Mehr lässt sich aus der Ferne und so im Dunkeln leider nicht erkennen.

Vielleicht liegt doch keine große Karriere beim CSI vor mir.

Mum kam gerade raus und hat mich ausgelacht. Sie hat gefragt, ob ich den neuen hübschen Nachbarn ausspionieren würde. Dann hat sie unauffällig versucht in mein Tagebuch zu gucken. Bodenlose Dreistigkeit.

Also wenn mir die Fähigkeit zum heimlichen Bespitzeln fehlt, dann liegt das auf jeden Fall an ihren Genen. Danke für nichts, Mum.

Geht sie überhaupt nichts an, wen ich hier in meiner Freizeit observiere. Das nennt sich Privatsphäre. Als ob ich da mit ihr drüber rede.

Mittagspause in der Inselschule

Jaja, natürlich gibt es keine echte Inselschule. Gustav und ich sitzen auf der Terrasse und lernen. Englisch macht echt Spaß, aber Mathe.

Hardcore-Kampf. The struggle is real. Außerdem ist die Schlussfolgerung, dass Mum aufgrund ihres Mathematikstudiums die Fähigkeit besäße, mathematische Probleme auf verständliche Art und Weise an die Frau zu vermitteln, absolut unzutreffend. Ernsthaft. Leider geht fachliche Kompetenz nicht automatisch Hand in Hand mit pädagogischer Kompetenz. Hab ich mal gelesen. Mum ist das lebende Beispiel. Ich glaube, allein würde ich das besser hinkriegen. Einfach abwarten. Bestimmt hat sie bald auch keinen Bock mehr.

Aber jetzt erstmal Mittagspause.

Teenboy ist auf der Terrasse, in Badeshorts und cremt sich den Oberkörper mit Sonnencreme ein. Da kann man doch gar nicht weggucken. Also Augen auf und Ohren gespitzt. Versuche noch unauffälliger zu beobachten als gestern.

Subtiles Observationsprotokoll: Objekt Teenboy

1.Sprache: Dem quakenden kleinen Bruder nach zu urteilen Deutsch

2.Familienmitglieder: Vater, Mutter, Teenboy, kleiner Bruder

3.Alter: geschätzt 16 (perfekt)

4.Beschreibung: Groß, athletisch, braune Wuschelhaare, braun gebrannt, Bayern-München-Fan, liest gerne. Offenbar die perfekte Kombination aus Schönheit und Intelligenz.

Haha. Eltern sind so lustig. Nicht. Dad hat mich gerade gefragt, ob ich mir nicht heute Abend auf dem Nachtmarkt ein Fernglas kaufen möchte, um unsere Nachbarn auszuspionieren, damit ich meine Augen nicht so zusammenkneifen muss. Sonst sähe ich bald aus wie Oma mit ihren Falten um die Augen.

Kein Wunder, dass er und Mum geheiratet haben. Die gleiche, völlig unlustige Art von Humor.

Andererseits ist ein Fernglas vielleicht echt keine schlechte Idee, dann kann man das Meer beobachten, Affen, Kängurus, Krokodile … und eventuell ab und zu ganz kurz seine Nachbarn. Auf der anderen Seite kann ich Dad jetzt wohl kaum um Geld für ein Fernglas bitten. Nicht nach dem doofen Spruch. Aber ich könnte Gustav einreden, dass er unbedingt ein Fernglas braucht. …

So, jetzt gleich erstmal an den Strand und dann später auf den Nachtmarkt. Taschen begutachten. Vielleicht eine kaufen. Dad meint, ich hätte ein Taschenproblem. Mit Problem meint er Sucht. Ich denke, lieber ein Taschenproblem als ein Drogenproblem.

Erster Kontakt

Teenboy ist auf der Terrasse. In Sportoutfit. Wie aus dem ASOS-Katalog. So hübsch. Ich sterbe.

Ich glaube, er geht joggen. Hüpft voll professionell von einem Bein aufs andere, tippt auf dem Handy herum und sucht wahrscheinlich gerade seine Spotify-Active-Boy-Playlist.

OMG. Er hat rübergeguckt, gelächelt und »Hey« gesagt.

OMG. Hat er gemerkt, dass ich ihn angestarrt hab?

Habe es trotz der kurzen Panik geschafft, voll cool und abgeklärt zurückzulächeln und eine kleine Mini-Wink-Bewegung mit der Hand zu machen. Vollprofi. Yes!

Leider hat er sich dann seine roten Beats in die Ohren gestöpselt und ist losgejoggt, statt lässig über die Terrassenbrüstung zu springen und mich in ein langes, tiefgründiges Gespräch zu verwickeln.

Sehr leichtfüßig, wie er so zwischen den Bananenstauden dahintrabt. Wie Legolas.

Epischer Observierungs-Fail

Die dumme Karma-Bitch-Göttin hat mich kopfüber und mit Anlauf in ein fettes, tiefes und triefendes Fettnäpfchen geschubst. Jegliche Eigenverantwortung für den unglücklichen Verlauf des Desasters möchte ich entschieden von mir weisen.

Hier der detaillierte Ablauf:

1.M. sitzt entspannt lesend (und minimal observierend) auf der Bungalow-Veranda.

2.Teenboy-Family verlässt geschlossen mit komplettem Strandgepäck den Bungalow.

3.M. sieht, dass Teenboy Zeitschriften und Buch auf Bungalow-Terrassen-Tisch hat liegen lassen.

4.M. erkennt wunderbare und einmalige Chance, durch Einsicht in Art des Lesematerials tiefe und einzigartige Einblicke in Seele und Wünsche von Teenboy zu erlangen.

5.M. begibt sich zu Teenboy-Family-Bungalow.

6.M. nähert sich unauffällig, völlig natürlich und beiläufig dem Tisch mit Zielobjekten.

7.M. streckt Hand über Terrassenbrüstung, um Zielobjekte genauer zu inspizieren.

8.M. hört Schritte und sieht, wie sich braune Wuschelhaare dem Bungalow nähern.

9.M. bekommt Panik.

10.M. erkennt, dass einzige Möglichkeit in Deckung zu gehen, darin besteht, unter Terrasse zu robben.

11.M. robbt Bootcamp-mäßig unter Terrasse. Zu den Spinnen. Und Ameisen. Und Kakerlaken.

12.M. stellt – um Enttarnung zu vermeiden – das Atmen ein.

13.Teenboy bleibt stehen. Teenboy beugt sich runter. Teenboy guckt unter die Terrasse. Teenboygesicht zwanzig Zentimeter entfernt.

14.Neongelbes Top keine gute Wahl für Undercoveraktion.

15.Teenboy erkundigt sich nach momentaner Tätigkeit von M. unter seinem Bungalow.

16.M. erlebt Brainfreeze durch akutes Trauma. M. antwortet auf Englisch.

17.M. behauptet nach Ball zu suchen, welcher abhandengekommen ist. Teenboy skeptisch.

18.M. robbt unter Terrasse hervor. M. voller Erde, Zweige und Ameisen.

19.M. wünscht auf Englisch einen guten Tag.

20.M. verlässt die Unfallszene.

21.M. überlegt, ob Duschwasserstrahl stark genug ist, um sich in Dusche zu ertränken.

Was tun?

Shit … shit … shit …

Verdammte Scheiße.

Shiiiiit.

Ob es auffällt, wenn ich den Bungalow nie wieder verlasse?

Im Angesicht der Scham, die mir bei jeder potenziellen Begegnung mit Teenboy sicher ist, vielleicht keine schlechte Idee. Ich wäre wie ein Einsiedlerkrebs. Vielleicht könnte ich es als Biologieprojekt tarnen.

Hm. Allein weiterreisen ist auf jeden Fall auch keine wirkliche Option. Ich habe weder the monies noch die erforderliche Anzahl an Lebensjahren, um allein von der Insel zu flüchten.

Ich sterbe.

Und wieso habe ich so getan, als wäre ich Engländerin? Weil Englischsein eine Erklärung für seltsames und bescheuertes Benehmen ist? Englische Exzentrik? Immerhin Englisch und nicht Französisch. Das wäre noch schlimmer.

Meine einzige, realistische Chance, das Ganze hier mit einem Resthauch von Ehre und Eleganz hinter mich zu bringen, ist Mum und Dad davon zu überzeugen, in der Öffentlichkeit nur noch Englisch mit Gustav und mir zu reden. Das wäre das perfekte Alibi.

Während ich versuche, diesen Plan in die Tat umzusetzen, bete ich einfach, dass ich Teenboy nie wiedersehen muss.

Also