Sisi in der Normandie und andere Kurzgeschichten

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Originalausgabe

Ein Contrabasta-Projekt, www.contrabasta.de

© 2021 by Pierre Dietz, alle Rechte vorbehalten!

Fotografen: Ingrid Ruch, Martin Fenske, Pierre Dietz

Satz und Gestaltung: pierre-dietz.de

Erstleser: Martin Fenske

Herstellung und Verlag:

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-75570-237-5

In Erinnerung an Cricri und Dieter

Inhalt

Foto: Public Domain

Sisi in der Normandie

Eine Kaiserin in der Sommerfrische

Mit aller Kraft stemmt sich die junge Monarchin gegen den Druck der einsetzenden Ebbe. Der Sog der Strömung steigt merklich an. Die Steilküste entfernt sich rasant. Je mehr die geübte Schwimmerin gegen die Gezeiten ankämpft, desto eher schwinden ihre Kräfte.

„Hilfe!“, ruft die Verzweifelte mehrfach zur dampfbetriebenen Jacht »Le Bordeaux« hinüber.

***

Wien im Jahr 1874

Elisabeth, die Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn, hat den unbändigen Drang nach körperlicher Betätigung. Ihr ist nach Ablenkung von der unsäglichen Langeweile bei Hofe.

„Marie braucht dringend Luftveränderung!“, kommt ihr der kaiserliche Leibarzt Doktor Widerhofer zu Hilfe.

Sofort wendet sich Sisi an ihren Gemahl Franz-Josef.

„Die Staatsgeschäfte erlauben mir derzeit nicht“, erwidert der Kaiser, „Wien zu verlassen!“

„Ich fahre zu meinem Bruder nach Garatshausen! Die Gesundheit unserer Tochter fordert keinen Aufschub!“

„Louis wird sich sicher freuen, dich und die Kleine mal wiederzusehen.“

„Der Würmsee erinnert mich stets an meine Kindheit!“

„Was hat denn die Kleine?“

„Marie bekommt oft Atemnot.“

„Widerhofer soll unsere kleine Erzherzogin gründlich untersuchen. Der Herr Doktor wird dich ohnehin auf der Reise begleiten.“

***

Nach Differenzen mit ihrem Bruder zieht Sisi eine Woche später nach Bad Ischl in die kaiserliche Sommerresidenz.

Dr. Herman von Widerhofer

Foto: Privatarchiv Max Cabot

Die Kaiserin bittet ihren Arzt um ein Gespräch unter vier Augen.

„Die Berge machen mich verrückt! Ich fühle mich eingeengt und bekomme keine Luft. Außerdem kann ich keinen Schritt ohne Reporter machen. Ich will mich frei bewegen! Was soll ich nur tun?“

„Da kann ich Ihrer Majestät nur einen Badeurlaub anraten. Die Meeresluft ist heilsam. Besonders für die kleine Erzherzogin. “

„Österreich liegt nicht gerade am Meer!“

„Reisen Sie nach Frankreich! Ich selbst bin einmal in der Normandie gewesen. Das Klima dort ist gut gegen Depressionen!“

„Frankreich wird mir gefallen. Dort muss ich mich an keine Regeln halten!“

„Die Franzosen haben die Monarchie abgeschafft, zeigen sich dennoch gerne in der Gesellschaft des Hochadels. Ich denke, ich kann Ihnen die Küste der Normandie wärmstens ans Herz legen!“

„Mein Gatte wird niemals einverstanden sein!“

„Ich werde Ihrer Majestät für die Tochter ein Attest ausstellen. Die Kleine benötigt dringend Seebäder. Das wird ihn überzeugen. Die Gesundheit ihrer Tochter liegt dem Kaiser immer am Herzen!“

***

Zurück in Wien trägt Sisi ihrem Gatten ihr Anliegen vor.

„Frankreich?“, ist der Kaiser schockiert.

„In einen Staat ohne Monarchie zu reisen ist für mich weniger anstrengend, da ich dort keine Pflichtbesuche abstatten muss!“

„Dank deren Linken pflegen wir keine guten Beziehungen zu diesem Volk! Die Franzosen gewähren unseren Anarchisten Asyl! Dort ist dein Schutz nicht gewährleistet! In diesem Land wird dir ein Unglück geschehen!“

„Was soll mir denn schon passieren?“

„Ich sehe, du hast deinen Entschluss bereits gefasst und wirst nicht umzustimmen sein! Aber bedenke, welchen Eindruck dein Aufenthalt auf die Monarchie in Berlin haben wird. “

„Ich werde keinen offiziellen Staatsbesuch daraus machen und inkognito reisen. Deine Worte bezüglich meiner Sicherheit geben mir zu denken! Ich werde noch vor meiner Abreise mein Testament aufsetzen. “

„Ich werde Baron von Nopcsa beauftragen, für deine Sicherheit zu sorgen! Graf Linger, unser Hofsekretär, leitet das Vorauskommando, um eine standesgemäße Unterkunft für dich zu finden. “

„Das wird ihm die Gelegenheit geben, seiner neuen Königin dienlich zu sein. Sage den Herrschaften, ich wünsche mir entweder ein rustikales an der Küste gelegenes oder ein ländliches Château!“

Baron Franz von Nopcsa

Foto: Privatarchiv Max Cabot

„ Was sagt denn Widerhofer zum Thema Unterkunft?“

„Der Doktor hat mir Fécamp empfohlen. Das Hafenstädtchen liegt an einer Küste mit rauem Klima. Selbst im Sommer ist die Normandie angenehm kühl und der Ort liegt in einer waldreichen Gegend!“

„Ist das nicht zu weit von der Zivilisation entfernt?“

„ Wenn dort kein Zug hinfährt, haben die Bewohner ihre Ursprünglichkeit und ihre Sitten bewahrt!“

***

Mai 1875

Graf Linger und der Baron Franz Freiherr von Nopcsa von Felsőszilvás kommen in Fécamp an. Zu ihrer Verwunderung ist der halbe Ort eine Baustelle. Entlang des »Strandes der Seilereien« (Plage des Corderies) sind weitreichende Umbaumaßnahmen in Gang. In diesem Ort einen würdigen und lärmfreien Wohnraum für die Kaiserin aufzutreiben ist unmöglich.

„Da hat uns der Widerhofer ein salziges Süppchen eingebrockt!“, beschwert sich Graf Linger über die bevorstehende Aufgabe.

„Jeder mietet sich eine Droschke!“, schlägt Baron von Nopcsa vor. „So erkunden wir den Küstenabschnitt gleichzeitig nach Norden und nach Süden hin. “

„Ich kenne mich in der Normandie nicht aus! Sie sprechen wenigsten Französisch! Ohne Sie bin ich nicht in der Lage, jemanden zu befragen! Warum suchen wir nicht gemeinsam nach einem geeigneten Schloss?“

Eingang zum Schloss von Sassetot-le-Mauconduit.

Foto: Privatarchiv Max Cabot

„Weil das die Suche nach der Nadel im Heuhaufen ist.

Knapp fünfzig Leute müssen untergebracht werden. Das erfordert ein geräumiges Haus, das am Meer liegt und gleichzeitig landestypisch ist. “

„ Wir brauchen ein entsprechendes Hotel. An der Mündung der Seine, in Le Havre, befinden sich Villen für Pariser Gäste. “

„Die Kaiserin verabscheut Hotels! Die gnädige Dame möchte privat unterkommen. Sisi fürchtet den Ansturm der Presse und den Andrang der Offiziellen. “

***

Am nächsten Morgen macht sich Baron von Nopcsa auf die Suche. Der Obersthofmeister hat vor, nach einer ländlichen Unterkunft zu suchen. Zufällig führt ihn der Weg nach Sassetotle-Mauconduit. Dort steht ein passables Chateau mit einem royalen Garten. Dahinter erstreckt sich eine private Pferderennbahn. Der Baron ist begeistert und klingelt. Kurze Zeit später öffnet ein Portier das Gittertor.

„Kann ich bitte den Eigentümer sprechen?“

„Monsieur Perquer? Sie sind nicht aus Frankreich - nicht wahr? Sie haben einen recht deutschen Akzent!“

„Ich komme aus Österreich!“

„Seit dem Krieg von 1870 mögen wir nichts, das uns an Preußen erinnert!“

„Kann ich Herrn Perquer sprechen?“

„Schon möglich! Gehen Sie hinein!“

Vor dem dreißig Meter langen Bauwerk steht der Schlossherr. Der Nachfahre der Normannen hat eine erstaunliche Körpergröße. Seine listigen Augen beobachtet den Ankömmling, der auf ihn zu schreitet. Der Ausländer nimmt militärische Haltung an.

„Habe ich die Ehre, mit Herrn Perquer zu sprechen?“

„Höchstpersönlich! “

Der Überraschungsgast verneigt sich höfisch.

Foto: Privatarchiv Max Cabot

„Ich bin Baron Franz von Nopcsa“, setzt der Gesandte in fehlerfreiem Französisch fort. „Ich bin Rittmeister der österreichischen Armee. Verzeihen Sie meinen nicht angekündigten Besuch!“

„Kommen Sie herein!“

Perquer bittet den Fremden in den Salon und fordert ihn auf, sich auf das Sofa unter der Zimmerpalme zu setzen.

„Ich komme im Auftrag einer namhaften österreichischen Dame, die ungenannt zu bleiben wünscht. Ich suche für die Besagte ein malerisches und recht geräumiges Schloss für den Sommer. Ihr Anwesen scheint mir das Richtige zu sein. Daher meine Frage, ob Sie dieses Anwesen vermieten?“

Die Anfrage macht Herrn Perquer zunächst sprachlos.

„Das Schloss vermieten?“, kehrt nach tiefem Schnaufen seine Fassung zurück. „Welch eine absurde Idee!“

„Ernsthaft?“, macht der Baron seiner Enttäuschung Luft.

„Ich versichere Ihnen, Monsieur, meine Auftraggeberin wird nicht auf den Preis schauen. “

„Ihr Geld interessiert mich nicht! Ich bedaure, die Vermietung des Schlosses ist ausgeschlossen. “

„In Frankreich ist nichts unmöglich“, versucht der Baron zu scherzen, „sagt der Volksmund!“

Der Normanne erhebt sich.

„In diesem Landstrich, dem »Pays de Caux«, Herr Baron, sind die Verhältnisse anders!“

Nopcsa steht ebenfalls auf.

„Äußerst bedauerlich! Wenn Sie ihre Meinung ändern,...“

„Ich wiederhole, da ist nichts zu machen, mein Herr!“

Perquer schaut dem Fremden fest in die Augen.

„Nennen Sie mir den Namen dieser Frau!“

Der Baron zuckt zusammen und verursacht durch sein Nachdenken einen langen Moment der Stille.

„Ihr Schweigen zwingt mich, auf meiner Entscheidung zu beharren!“

Nach einem Rundgang durch den Park trifft der Österreicher erneut auf den Portier.

„Haben Sie Herrn Perquer angetroffen?“

„Einen vorzüglich angelegten Garten, den Sie da haben!“

***

Am nächsten Tag erhält die Kaiserin ein Telegramm. Linger empfiehlt ihr ein Anwesen in Étretat. Nopcsa berichtet von den Schwierigkeiten mit dem sturen Schlossherrn. In ihren Fernschreiben stellt Sisi immer wieder Fragen zu den beiden Orten. Die beiden Herren pilgern täglich zum Postamt, um diese zu beantworten. Nach zwei Wochen fällt der Groschen. Nopcsa fährt mit erweiterten Vollmachten erneut nach Sassetot. Monsieur Perquer schlendert ihm von Weitem entgegen.

„Zwei Wochen lang haben wir uns über ihren letzten Besuch amüsiert!“

„Mein erneutes Vorsprechen versetzt Sie nicht in Erstaunen, Monsieur?“

„ Wir haben uns über Ihr Ausbleiben gewundert! “

„Ihr Haus entspricht exakt den Vorstellungen meiner Auftraggeberin! Wenn Sie erfahren, wer jene ist, ändern Sie Ihre Meinung. “

„Denken Sie Herr Baron?“, fragt Perquer, dem offen ausgesprochene Beharrlichkeit zuwider ist. „Die Frauen in Ihrem Land scheinen teuflisch stur zu sein!“

„Monsieur!“, sagt der Österreicher mit feierlichem Unterton. „Ich bin der Gesandte der Gräfin Hohenems.“

Perquer schaut ihn ratlos an.

„ Und diese Gräfin von Hohenems hat eine hohe gesellschaftliche Stellung in Ihrem Land? Mir scheint nie von ihr gehört zu haben. “

Schloss von Sassetot-le-Mauconduit.

Foto: Privatarchiv Max Cabot

Der Baron beugt sich vor und flüstert dem Schlossherrn die Antwort ins Ohr. Die Wirkung ist niederschmetternd.

„Ach! Das ist natürlich eine andere Situation! Ich bin angenehm überrascht, Monsieur! Sagen Sie der Gräfin von Hohenems, ich fühle mich geehrt und bin glücklich, mein Anwesen Ihrer Majestät zur Verfügung zu stellen!“

Der Baron legt bedeutungsvoll seinen Zeigefinger auf seine Lippen.

***

Sisi begibt sich mitsamt ihrem Gefolge von siebzig Bediensteten auf den Weg nach Frankreich. Mit einem Sonderzug erreicht die Kaiserin den Bahnhof von Le Havre. Ein Konvoi an Kutschen bringt die Gefolgschaft nach Sassetot-le-Mauconduit. Nach kurzer Eingewöhnungszeit in das Backsteingebäude im Stil Louis XIV genießt die Monarchin ihre Ferien. Durch ihre abweisende Art gegenüber heimischen Würdenträgern sind diese nicht gut auf die Fremde zu sprechen.

Graf Charles Linger engagiert den Weinhändler Pierre Milon aus Fécamp täglich das Lager des Schlosskellers aufzufüllen. Eines Tages bittet Baron Nopcsa den Lieferanten um ein Gespräch.

„Wir beabsichtigen, Ausflüge auf dem Meer zu unternehmen. Der französische Staat hat uns bereits ein Schiff angeboten.

Ihre Majestät weigert sich, von offizieller Seite Geschenke anzunehmen und besteht auf eine kleine Jacht. Besteht die Möglichkeit, in Fécamp ein Boot dieser Art zu mieten?“