Die Geschichtenwundertüte
Anthologie
Herausgegeben von
Zoe M. Lucille und Larissa Baiter
Das Buch
Die Geschichtenwundertüte ist ein Buch, das viele, kunterbunte Kurzgeschichten umfasst. Der Gesamterlös dieser Anthologie wird dem Verein Flaschenkinder e.V. gespendet.
Die Geschichten sollen Fragen aufwerfen, Mut machen, Freude wecken und auf eine wunderbare Reise mitnehmen. Die Kindergeschichten eignen sich für Jung und Alt, Groß und Klein und laden ein, gemeinsam zu entdecken und zu erzählen.
Die Autorinnen und Autoren
Die Geschichtenerzählerinnen und Geschichtenerzähler dieser Kurzgeschichtensammlung stammen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mit ganz unterschiedlichen Hintergründen bereichern sie diese Anthologie und steuern ganz verschiedene und einzigartige Geschichten bei. Alle zusammen vereint, um den Kindern ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, ihre Augen zum Leuchten zu bringen und einen guten Zweck zu unterstützen.
Die Herausgeberinnen
Zoe M. Lucille und Larissa Baiter sind zwei Autorinnen, die schon einmal ein Projekt für den guten Zweck gestemmt haben. „Die Geschichtenwundertüte“ entstand aus einem guten Gedanken und dem Bedürfnis etwas Fröhliches zu erschaffen. Neben den Koordinations-, Organisations- und Kommunikationsarbeiten, stemmten sie auch das Korrektorat, das Lektorat und den Buchsatz. Für das Cover konnten sie eine Coverdesignerin aus der Schweiz gewinnen. Sie bedanken sich bei allen mitwirkenden Autorinnen und Autoren für das Beisteuern der tollen Geschichten.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2020 Larissa Baiter und Zoe M. Lucille
1. Auflage
Illustration: Larissa Baiter und Zoe M. Lucille in Zusammenarbeit der mitwirkenden Autorinnen und Autoren
Cover: Kind steht Kopf (Cover 1) von Tina Matzinger
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand, Norderstedt
ISBN Hardcover: 978-3-7519-8451-5
ISBN E-Book: 978-3-7494-7879-8
Wir grüßen euch kleine und große Leserinnen und Leser und auch euch Vorleserinnen und Vorleser und
wünschen euch viel Spaß mit diesem Buch!
Habt Mut! Habt Spaß! Lacht viel!
Die Geschichtenwundertüte – Inhaltsverzeichnis:
Ein Wort zum Anfang: Das Buchstabenkarussell
Ein Wort zum Anfang: Die Pinselschwingerin
Rena Hardt Hardtloff * Es war einmal ...
Imme Tröger * Der kleine Regenwurm
Harald Müller * Richtige kleine Helden
Dorothea Schmolz * Der kleine Bücherfloh
Fabienne Caldana * Nachtwind und das Einhorn
Zoe M. Lucille * Helmut, die Brummelhummel
Kaia Rose * Ostern mal anders
Rosemarie Benke-Bursian * Emil mit den vielen Füßen
Larissa Baiter * Ein Netz der Freundschaft
Bianca Schmidl * Das Geheimnis der Zaubersprache
Virginia Anemona * Die Maus wäre lieber eine Katze und die Katze lieber eine Maus
Ramona Lopez * Farben des Regenbogens
Martina Grünebaum * Valerie, die Schmusespinne
Rebecca-Lea Glauche * Mit allen Wassern gewaschen
Holger Spiecker * Stupsi und Fridolin
Larissa Baiter * Übung macht den Meister
Dorothea Schmolz * Max und Toni
Imme Tröger * Gustav und Fridolin
Peter Futterschneider * Der Schmolk
Kaia Rose * Omas Baum
Virginia Anemona * Der traurige Stern
Der gute Zweck
Danksagungen
Ein Wort zum Anfang: Das Buchstabenkarussell
Aus drei Ländern haben sich 16 Schreibende zusammengefunden und ein Buch mit 21 kleinen Geschichten geschaffen, die Mut machen und Spaß bringen sollen. Tierische Freunde fehlen auch nicht. Das Ganze ist für den guten Zweck ins Leben gerufen worden. Alle Geschichtenerzähler kommen aus den unterschiedlichsten Genres und es erzählen Neulinge und auch Erfahrene.
Wir beginnen klassisch mit einem Märchen und Renate Doms, die Fantasy für Groß und Klein, sowohl les- als auch hörbar, schreibt. Unter eigenem Namen und dem Pseudonym Rena Hardt Hardtloff bringt sie das wahre Leben ins Bücherregal und zeigt noch andere Facetten.
Imme Tröger spricht meistens im Radio oder ihr hört sie auf Hörspielen oder im Konzertsaal, denn Musik, Stimme und Klang sind ihr Leben. Außerdem ist sie Musiktherapeutin und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Die studierte Sängerin schreibt dazu in verschiedenen Genres und brachte für dieses Projekt ihre Stimme auf das Papier.
Harald Müller, geboren 1979 in Krefeld, studierte Medizin und arbeitet als Arzt. Sein Interesse an Geschichte führte ihn schließlich zum Schreiben. Harald Müller ist politisch und sozial engagiert. Er lebt und arbeitet in Cottbus.
Dorothea Schmolz ist in der Krankenpflege mit dem Schwerpunkt ›Demenz‹ tätig. Sie schuf den kleinen Jungen Honeysugl, der bereits in den Büchern »Honeysugl auf der Suche nach dem Zuckerstein« und »Honeysugl, der Glückspilz« Abenteuer erleben durfte und unterstützt hier mit zwei weiteren Geschichten aus Honeysugls Nachbarschaft.
Aus dem Institut und von der Wissenschaft hat sich Fabienne Caldana auf eine Reise zurück in ihre Kindheit gemacht, wo die ersten Geschichten entstanden und zwei davon sogar in einem von ihrem Gymnasium veröffentlichten Buch erschienen. Die zeichnende Pferdenärrin bringt als Neuling eine Fantasiegeschichte um ihren liebsten Vierbeiner in die Kinderzimmer und spricht damit ein brandaktuelles Thema an.
Zoe M. Lucille war mit 11 Jahren so kreativ ein ganzes Kinderbuch zu schreiben und zu malen. »Das Leben der Oryxantilope Jonny« wurde 2018 unverändert und mit eben dieser kindlichen Sicht veröffentlicht. Zusammen mit Larissa Baiter veröffentlichte sie ein Jahr später »Seelenwandel – Geschichten über das Schicksal« und machte einen Sprung in die Erwachsenenwelt. Für diese Anthologie jetzt besann sie sich auf ihre Anfänge und steuerte eine liebevolle Geschichte rund um eine brummelige Hummel bei.
Kaia Rose ist die Juristin und vierfache Mutter im Bunde und verarbeitet die vielfältigen Eindrücke aus ihrem turbulenten Leben in Gedichten, Kurzgeschichten und Romanen. Ihre Bandbreite geht durch alle Altersklassen. Im Jahr 2020 erschienen ihre Werke »Schlechtes Karma« im Arunya Verlag und »Das Lied des Regenbogens« bei PUPUT BOOKS.
Rosemarie Benke-Bursian ist erfahrene Kinderbuch-autorin und mit ihren Büchern und Kurzgeschichten, sogar eine preisgekrönte darunter, unterhält sie kleine Leserinnen und Leser. Sie schreibt aber auch gerne Krimis. Rosemarie arbeitet dazu als freiberufliche Wissenschaftsjournalistin und bringt wissenschaftliche Artikel im pharmazeutischen Bereich zu Papier, wenn sie nicht gerade Jungautoren fördert und formt. Sie bringt eine längst vergessene Geschichte mit.
Larissa Baiter brachte 2018 ihre eigene, liebevolle und bezaubernde Kurzgeschichtensammlung rund um Weihnachten heraus. 2019 wurde sie dann noch als Herausgeberin der Gemeinschaftsanthologie »Seelenwandel – Geschichten über das Schicksal« für den guten Zweck tätig und festigte ihren Stand als Autorin. Als freischaffende Journalistin schreibt sie zudem für Magazine und Plattformen der Onlinewelt. Für unser Projekt steuert sie zwei Kindergeschichten bei.
Bianca Schmidl schreibt humorvolle Ratgeber und Romane im Verlag SchriftStella. Mit »Frau Bodenschlampe - Abnehmen ist nichts für Mädchen« und »Hummeltaille - Aufgeben ist nichts für Mädchen« sagt sie der Waage und Diäten den Kampf an. Als Familienmensch und Mutter eines hörgeschädigten Kindes zeigt sie ihre nachdenkliche Seite und spricht über die Themen ›Taubheit‹ und ›Gebärdensprache‹.
Virginia Anemona bringt als freischaffende Künstlerin den Feingeist ins Autorenteam. Mit ihrem Erstwerk »Ajena und der Wasserperlenbaum« machte sie bereits Mut und setzt dies hier fort.
Bereits in der Grundschule entstanden erste Geschichten. Ramona Lopez schrieb unter anderem die Schicksalsromane »The truth« und »Fate of lies«. Jüngst veröffentlichte sie die ersten beiden Teile ihrer Kinderbuchserie »Luis und Lias Reise durch die Nacht«. Für uns bringt sie Farbe in die Kinderzimmer.
Martina Grünebaum ist im wahren Leben Betriebswirtin. Ihre ersten Geschichten entstanden im Kinderzimmer. Sie mixt Spannung, Humor und Emotionen. Tierische, fantastische und außergewöhnliche Themen sind die ›Zutaten‹ für die Bücher aus dem Sauerland und bieten Lesestoff für Jung und Alt, wie z.B. die Werke »Nebenbei die Welt sortieren«, »Mäuse K.O.« und »Alle anderen sind komisch« zeigen.
Rebecca-Lea Glauche gab im Sommer 2014 ihr tiefsinniges Debüt über das Leben zweier Männer. Sie veröffentlichte später ihr kleines »Textkonfetti – Rebeccas erste Kurzgeschichtensammlung«, womit sie durch verschiedenste Genre führt. Durch ihre Kurzgeschichten unterstützt sie verschiedene Projekte.
›Abwechslung‹ ist das Zauberwort des glühenden Fußballfans Holger Spiecker. Sein Roman »Schwarzer Schwur« kommt nicht von ungefähr auch mit viel Magie und Mystik daher, welche auch in seinem ›kleinen Schwur‹ zauberhaft in die Kinderzimmer schweben.
Im normalen Leben macht er Theater in Gifhorn. Er bringt seine Bücher für Jung und Alt auf die Bühne. Er hat sich sein inneres Kind bewahrt und bringt dem Publikum ein Lächeln. Peter Futterschneider bringt seine Geschichte für uns in ein Buch.
Diese 16 haben sich auf kuriosem Wege gefunden und dazu noch Worte für ein ganzes Buch finden können. 21 Kurzgeschichten erzählen in aller Vielfalt davon Mut zu haben und von Tieren, die man einfach gern haben muss.
Als kleines Sahnehäubchen haben wir die schwere Aufgabe auf uns genommen, für euch zu malen. Wir haben dies ungehindert unserer eigenen Fähigkeiten getan, denn auch wir Erwachsenen können nicht immer alles. Einige haben dies an die kleinen Künstler in ihrem Hause abgegeben.
Ein Wort zum Anfang: Die Pinselschwingerin
Illustration von Tina Matzinger
Durch glücklichen Zufall bekamen wir professionelle Unterstützung aus der Schweiz, was das Malen anging.
Das Cover und die Klappe sind der Kreativität von Tina Matzinger entsprungen.
Sie ist ausgebildete Grafikerin und wenn sie nicht gerade beruflich mit malen, zeichnen, illustrieren und fotografieren unterwegs ist, dann kümmert sie sich um Bauernhoftiere, gärtnert, wandert oder ist als Schaustellerin auf Mittelaltermärkten zu sehen.
Unter dem Künstlernamen Lalinga zeigt sie weitere Projekte und ihre Vielseitigkeit in den Themen und Techniken.
Tina Matzinger
Thundorferstrasse 7
9548 Matzingen
tina.matzinger.ch@gmail.com
https://www.tina-matzinger.com
Rena Hardt Hardtloff * Es war einmal ...
Illustration von Dörthe Saathoff
Es war einmal …
… eine Prinzessin.
Sie hörte auf den wunderschönen Namen Sielia und lebte in dem kleinen Königreich ‚Herzensfreude‘. Eine frische, klare Quelle entsprang aus seinem winzigen Gebirge und ergoss sich in ein schmales Flüsslein, welches am Fuße des Schlosses vorbei plätscherte. Eigentlich hieß der Fluss ‚Nebelbach‘, doch die Prinzessin nannte ihn ‚Feenhaar‘. Wenn die Mittagssonne sich im Wasser spiegelte und man bis zur Quelle hinaufschauen konnte, sah es so aus, als ob das silbrige Haar einer Fee aus der Gebirgskette fiel und durch das Tal waberte.
Sielia liebte den kleinen Fluss sehr, erinnerte er sie doch stets an ihre liebe Mutter, mit der sie viele schöne Stunden hier verlebt hatte.
So viele Märchen hatte die Königin ihrer Tochter dort erzählt und Sielia hatte den Worten ihrer Mutter gespannt gelauscht. Sielia liebte Märchen und Geschichten über alles.
Königin Ticis war eine herzensgute Frau und im ganzen Königreich über alles beliebt. Sie war mutig und vor allem gütig und immer freundlich.
Eines Tages wurde die Königin sehr krank und starb, als die Prinzessin gerade ihr zehntes Lebensjahr zählte. Sielias Vater, König Toreen, war seither voller Traurigkeit und auch Sielia fühlte, dass nichts mehr so war, wie einst. Die Jahre zogen ins Land, aber die Fröhlichkeit wollte nicht wirklich wieder ins Königreich Herzensfreude zurückkehren. Und wenn das Volk der Prinzessin genau ins Gesicht schaute, so war etwas verlorengegangen, was sie so liebenswürdig und einzigartig machte ... ihr Lächeln …. Und das übertrug sich auf all die Menschen, die im Königreich lebten. Das ganze Land verfiel in eine Traurigkeit, von der es sich sehr lange Zeit nicht zu erholen vermochte.
Eines Morgens, Sielia saß mit ihrem Vater beim Frühstück, räusperte sich König Toreen.
»Mein liebes Töchterlein, du zählst nun bereits das siebzehnte Jahr und ich denke, dass es an der Zeit ist, dir einen Gemahl zu suchen. Ich bin sicher, dass deine Mutter, wäre sie hier bei uns, ebenso dächte. Zu lange beherrscht die Traurigkeit unser Land. Und ich habe beschlossen, dass damit nun Schluss sein soll. Du bist nun eine junge Frau und ich möchte dich wieder lächeln sehen und singen hören«, sagte der König.
Sielia starrte ihren Vater unverwandt an.
»Aber Vater, ich will keinen Gemahl. Da gehe ich lieber jeden Tag am Feenhaar Frösche küssen«, sagte die Prinzessin trotzig.
»Sielia, sieh mal, ich bin ein alter Mann geworden und ich vermag nicht zu sagen, wie lange ich noch König sein kann. Ich möchte unser schönes Königreich in Sicherheit wissen, wenn ich von dieser Welt gehe und weiß nur zu gut, wie unsagbar schwer es ist, ein Königreich, egal wie groß oder klein es sein mag ganz allein zu führen und zu leiten. Deshalb steht mein Entschluss fest. Wir werden dir einen Gemahl suchen. Und bis dahin kannst du gerne am Fluss die Frösche küssen gehen. Wer weiß, vielleicht ist ja in der Tat ein Prinz dabei«, sagte der König, stand auf und ging in sein Arbeitszimmer.
Sielia war nun noch betrübter als ohnehin schon. Sie hätte schon gerne einen stattlichen Prinzen, der um ihre Hand anhält. Sie war schließlich eine junge Prinzessin und die träumten doch alle von der wahren Liebe. Aber alle Prinzen, die sie bisher kennengelernt hatte, waren einfältig, arrogant und eingebildet. Sie plusterten sich wie Pfauen auf und stolzierten vor ihr her.
Also tat die Prinzessin genau das, was sie ihrem Vater angekündigt hatte.
Jeden Tag ging Sielia ans Ufer des Flusses und küsste Frosch um Frosch, doch keiner der vielen grünen Hüpfer wollte sich in einen Prinzen verwandeln. Die Prinzessin hatte viele Frösche geküsst und so manches Mal wünschte sie sich von Herzen, dass sich doch nur einer verwandeln würde.
In einen stattlichen Prinzen, der mich meine Traurigkeit vergessen lässt und mich wahrhaftig liebt, dachte sie sich verträumt, als sie an dem Flussufer saß.
Doch traurig und enttäuscht erkannte die Prinzessin eines Tages, dass die wahren Prinzen wohl ausgestorben waren. So verging einige Zeit und die Prinzessin verlor den Glauben daran, dass es da draußen einen Prinzen gäbe, der all das verkörpert, was sie sich so sehr wünschte ….
Sei es drum, dachte Sielia eines Tages entschlossen.
Sie würde ihrem Vater den Wunsch erfüllen und sich einen Prinzen suchen. Aber sie würde das auf ihre eigene Weise tun. So beschloss die Prinzessin, ein großes Turnier abzuhalten und der Sieger bekäme ihre Hand zum Preise. König Toreen gefiel diese Idee und er willigte ein. So wurden Boten durch das ganze Land gesandt und Prinzen aus aller Herren Ländern strömten herbei ….
Und es kamen schöne Prinzen. Groß gewachsen, mit starken Muskeln. Sie hatten prachtvolle Rösser und jeder von ihnen buhlte um die Gunst der Prinzessin. Allesamt waren sie von ihrem Antlitz betört, ihrer hinreißenden Gestalt, doch keiner sah sie wirklich an. Jeder wollte um jeden Preis das kleine Königreich regieren und König Toreens Nachfolge antreten.
Die großen, schönen Prinzen taten wahrhaftig vieles, um ans Ziel ihrer Träume zu gelangen. Letztlich zogen sie aber enttäuscht von dannen, als sie merkten, dass dieser Wunsch unerfüllt blieb.
Die Prinzessin lehnte jeden der Prinzen ab. Denn sie merkte rasch, dass dieses Begehr der Prinzen das einzige war, weshalb alle zu diesem Turnier strömten. Keiner der Prinzen vermochte das Herz der Prinzessin zu erobern. Aus diesem Grunde dachte sich Sielia zahlreiche Prüfungen aus, um die Spreu vom Weizen zu trennen.
Nach vielen Tagen des Turniers blieb ein einziger Bewerber übrig. Die letzte Prüfung bestand darin, der Prinzessin ihr zauberhaftes Lächeln wiederzugeben. Sielia nahm auf ihrem Thron, neben ihrem Vater, dem König, im großen Audienzsaal Platz und ließ den letzten Bewerber zu sich bitten.
Als der Prinz den Thronsaal betrat, glaubte Sielia ihren Augen nicht zu trauen. Da kam doch tatsächlich eine merkwürdige Gestalt auf sie zu, die es wagte, sich im Narrenkostüm der Prinzessin zu präsentieren und begann sehr merkwürdige Kunststücke zu vollführen. Als er zum Schluss seiner äußerst fragwürdigen Darbietung einen Handstand versuchte, dabei das Gleichgewicht verlor und der Prinzessin um ein Haar ihre Krone vom Haupt riss, erzürnte Sielia sich so sehr, dass sie aufsprang und den Prinzen kurzer Hand in den Kerker werfen ließ.
»Er soll über sein unschönes Betragen nachdenken«, wies sie die Wachen an.
Nach ein paar Tagen Bedenkzeit besann sich Prinzessin Sielia.
Sie ließ Prinz Tymaiss aus dem Lande zwischen Wald, Moor und Meer erneut zu sich bitten.
Als dieser den Thronsaal betrat, verneigte er sich, wie es die Etikette von ihm verlangte, vor der Prinzessin und dem König. Doch anstatt irgendwelche Kunststücke zu vollführen, kniete er sich neben der Prinzessin nieder und begann ihr ein Märchen zu erzählen.
Und tatsächlich schaffte es der Prinz im Narrenkostüm, der Prinzessin ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Denn Sielia liebte Geschichten. Sie verschonte sein Leben.
Von nun an durfte der Prinz auch weiterhin für die Erheiterung im Schloss sorgen.
Und eines schönen Tages wurde dann Hochzeit gefeiert. Die Prinzessin hatte endlich ihren Prinzen gefunden und Sielia begann nun ihrerseits selber Geschichten zu schreiben. Gemeinsam mit ihrem Prinzen trug sie diese Geschichten den Menschen im Königreich vor und sie brachten so gemeinsam die Freude ins Königreich zurück.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute und verbreiten Freude durch ihre Geschichten ...
Imme Tröger * Der kleine Regenwurm
Illustration von Luisa Gerlach
Tief im Waldboden kriecht und bohrt es. Das ist Jonathan.
Jonathan lebt schon sein ganzes Leben hier im Waldboden, und einst war der kleine Regenwurm sehr traurig.
Was bin ich schon? Wühle hier im Erdboden herum und bin zu nichts nütze, dachte er oft und steckte den Kopf aus der Erde.
Wenn er mal an die Oberfläche kam, dann sah er all die flinken Tiere und die großen, kräftigen Bäume. Sie mussten keine Angst haben von einem Vogel gefressen zu werden, und die Bäume und die Tiere sind auch nicht so nackelig wie Jonathan. Sie haben entweder ein schönes, weiches Fell oder eine schöne Rinde. Und ihm fiel auf, wie klein und hässlich er war.
Er musste sich immer erst abklopfen, wenn er irgendwo eingeladen war, weil er immer so schmutzig vom Erdboden war. Und auch wenn Vögel gefährlich sind, … Jonathan bewunderte die großen Flieger. Wie tollkühn sie sich in der Luft bewegen und was sie alles sehen und erfahren von der Welt da draußen. Er bewunderte überhaupt alles und jeden. Das war viel besser, als auf sein kleines, unbedeutendes Leben zu schauen. Und so lebte der kleine Regenwurm sehr unglücklich in seinem Erdboden. Im Wald nannten ihn manche sogar schon den ‚traurigen Jonathan‘.
Wozu aufstehen? Ich wühle ja sowieso wieder nur in der Erde herum, dachte sich der kleine Regenwurm Morgen für Morgen.
Und so wühlte er hier und schob Erde da zusammen und von Zeit zu Zeit setzte er sich auf ein Blatt und schaute traurig in die Gegend. Das sanfte Flügelschlagen eines Schmetterlings riss ihn aber aus seinen Gedanken.
»Warum bist du so traurig?«, wollte der Schmetterling wissen.
»Weil ich zu nichts nütze bin und hässlich bin ich auch. Sieh mich doch nur an«, antwortete Jonathan. »Du bist ein schöner Schmetterling«, fügte er noch hinzu und schaute dann wieder traurig.
»Nun ja, ... aber bevor ich ein Schmetterling wurde, war ich eine Raupe und glaub mir, … als Raupe hat man es auch nicht leicht auf der Welt«, gab der Schmetterling zurück.
»Ja, aber jetzt bist du ein schöner Schmetterling und erfreust die Menschen. Ich bleibe immer ein Regenwurm. Mich stecken die Menschen höchstens an einen Angelhaken als Fischfutter«, sagte Jonathan.
Was sollte der Schmetterling da noch sagen?
Er wollte nicht, dass der kleine Regenwurm so traurig war, aber er hatte ja im Grunde Recht.
»Sei nicht traurig«, sagte er. »Jeder hat seinen Platz auf der Welt und ein Ding wozu er nütze ist«, so sagte der Schmetterling und erhob sich dann wieder in die Lüfte.
Jonathan sah ihm nach und überlegte kurz, ob das vielleicht stimmen könnte. Als er aber die viele Erde vor sich sah, schien es ihm nicht möglich zu sein. Außerdem hatte er in der Zwischenzeit Durst bekommen und kroch in Richtung Waldsee, der ganz in der Nähe lag und in dem die Abendsonne immer so schön funkelt, kurz bevor sie untergeht.
Von Weitem schon entdeckte er einen Schwan, der am Uferrand im Schilf vor sich hinschwamm und ein Nickerchen zu halten schien.
Was für ein schöner Vogel, dachte Jonathan.
Weiß wie das Blütenmeer im Frühling auf der Waldlichtung und wie anmutig er über das Wasser gleiten konnte. Jonathan wurde es wieder schwer ums Herz.
Der Schwan linste mit einem Auge zum Ufer, als er Jonathan seufzen hörte.
»Warum bist du so traurig?«, fragte er.
»Weil ich zu nichts nütze bin und hässlich bin ich auch«, antwortete Jonathan.
Der Schwan legte seinen Kopf schief.
»Nun ja, ... weißt du denn nicht, wie ich aussah, bevor ich ein erwachsener Schwan wurde? Kennst du denn die Geschichte vom hässlichen Entlein nicht? Das war ich und alle haben mich ausgelacht. Und nun schau, was aus mir geworden ist«, gab der Schwan zurück.
»Ja, aber jetzt bist du schön und erfreust die Menschen. Ich als Regenwurm, werde immer so aussehen wie jetzt«, erwiderte Jonathan traurig.
Noch bevor der Schwan etwas antworten konnte, schoss plötzlich ein Fisch aus dem Wasser und schnappte nach Jonathan. In letzter Sekunde nur konnte der sich zur Seite winden und dem Fischmaul entkommen. Jonathan zitterte vor Schreck.
»Was ist das nur für eine Welt?«, rief er bestürzt.
»Nutzlos bin ich und wenn sich einer für mich interessiert, dann weil er mich fressen will. ... Was ist das nur für eine Welt?«, jammerte Jonathan.
Was sollte der Schwan da noch sagen? Er wollte nicht, dass der kleine Regenwurm so traurig war, aber er hatte ja im Grunde Recht.
»Sei nicht traurig«, sagte er. »Jeder hat seinen Platz auf der Welt und ein Ding wozu er nütze ist«, so sagte der Schwan und glitt dann über das Wasser hinüber zu den Seerosen.
Das habe ich heute doch schon mal gehört, dachte Jonathan verächtlich, wohl wissend, dass es gelogen war.
Als er am Nachmittag wieder zu Hause ankam, war er sehr müde und der Schreck, dass er um ein Haar gefressen worden wäre, saß ihm noch in allen Gliedern. Er hockte sich auf ein Blatt und dann kullerten ihm kleine Tränchen über das Gesicht.
»Warum weinst du?«, hörte er plötzlich eine zarte Stimme.
Er schaute sich um, konnte aber niemanden sehen.
»Ich bin hier ... zu deiner Rechten«, hörte er die Stimme weiter sagen.
Als er den Kopf nach rechts drehte, sah er ein Veilchen dicht am Waldboden versteckt. Er schniefte kurz.
»Ich weine, weil ich zu nichts nütze bin ... und sieh nur wie hässlich noch dazu.«
Das Veilchen lächelte.
»Sieh mich an«, sagte es. »Wie klein und unscheinbar ich bin. Und dann sieh nur die Rose, die Königin der Blumen. Glaubst du, ich sollte mich auch klein fühlen neben ihr? Weil ich nur eine ganz gewöhnliche, kleine Blume bin?«, fragte das Veilchen sanft.
»Wieso solltest du?«, gab Jonathan erstaunt zurück. »Du bist wunderschön mit deinem zarten Blau und deinen tiefgrünen Blättern. Du bist tausendmal schöner als jede eitle Rose«, sagte er und sprach dann weiter: »Bei mir ist das was anderes. Ich hab kein Blau und keine Blätter, ich bin nackelig und krieche im Erdboden herum.«
»Was lieb ist, ist schön«, sagte das Veilchen sanft. »Du hast wirklich keine Ahnung, was du jeden Tag für mich tust, oder?«, fragte die Blume.
Jonathan staunte.
»Was denn?«, fragte er.
»Du lockerst meinen Boden auf, wenn du durch die Erde kriechst. Ohne dich könnte ich im Waldboden nicht atmen und meine Wurzeln nicht trinken. Wenn es dich nicht gäbe, kleiner Regenwurm, wäre das wohl mein sicherer Tod«, antwortete das Veilchen.
Jonathan sah die kleine Blume ernst an.
»Und hast du mal an all die anderen Blumen auf der Welt gedacht? An all die vielen Pflanzen, die nur wachsen und blühen können, weil deine Brüder und Schwestern auch ihnen den Boden auflockern, sie dadurch atmen und trinken können?«, fragte das Veilchen weiter.
»Das hab ich noch nie so gesehen«, gab Jonathan zurück. »Ich meine, wie hätte ich es auch bemerken sollen? Wir kriechen doch nur durch die Erde.«
»Manchmal ist es gut, wenn man die Welt einmal mit den Augen des Anderen sieht«, sprach das Veilchen.
»Du hast bisher immer nur gesehen, wozu die Anderen taugen und darüber deine eigene Bestimmung nicht gesehen. Jeder hat seinen Platz auf der Welt und ein Ding wozu er nütze ist. Und du schenkst uns Blumen Leben.«
Jonathan wusste gar nicht, was er sagen oder denken sollte. Er war glücklich, einfach nur glücklich, dass eine so einzigartig schöne Blume blühte, weil es ihn gab. Natürlich wusste er, dass auch noch Andere ihren Anteil daran hatten. Der Regen zum Beispiel, der ihr zu trinken gab oder die Sonne, die sie wärmte. Aber eben auch der kleine Regenwurm, tief im Waldboden. Als er an diesem Abend einschlief, war sein Herz so leicht wie nie zuvor.
Er war ein kleiner glücklicher Regenwurm.
Harald Müller * Richtige kleine Helden
Illustration von Harald Müller
Tom traute sich nicht, Laura um ein Date zu fragen. Tom war ein Bücherwurm, kein Aufreißer-Typ wie Mike oder die anderen Jungs. Er war neu an der Schule und hatte noch keine Freunde. Nun sah Tom Laura im hinteren Bereich des Schulhofs. Als Tom sie erblickte, rutschte ihm das Herz in die Hose. Ihre Bewegungen waren anmutig und erinnerten an die Bewegungen eines Topmodels, wenn es sich im Fernsehen über den Catwalk bewegte. Tom überlegte, Laura anzusprechen, aber ihm fehlte dazu der Mut.
Plötzlich kamen Mike und die anderen Jungs. Mike war das genaue Gegenteil von Tom: der King der Klasse, vor dem alle zitterten. Mit geschwollener Brust baute sich Mike vor Laura auf und baggerte sie an. Wahrscheinlich würde Laura Mikes Date werden. Aus einiger Entfernung beobachtete Tom, wie Laura Mike abblitzen ließ. Sie ließ Mike stehen und ging zur Seite. Aber Mike hielt Laura an ihrem Arm fest und wollte sich anscheinend nicht mit der Abfuhr zufriedengeben. Was erlaubte der Kerl sich? Tom wollte dazwischen gehen, aber im letzten Augenblick rutschte ihm wieder das Herz in die Hose. Mike wirkte wie der Riese Goliath aus der Bibel, nur dass Tom keinen Stein hatte, den er auf ihn schleudern konnte. Tom beschloss daher, Hilfe zu holen. Doch genau in dem Augenblick, als er sich in Richtung Schulgebäude umdrehte, rutschte er auf einer Bananenschale aus und fiel mit einem lauten Geräusch in die Büsche. Um sich aufzurichten, packte er sich einen Ast, der zu seinem Unglück auch noch abbrach. Wie ein Käfer auf dem Rücken strampelte Tom in den Büschen. Die Szene blieb nicht unbemerkt. Mike und seine Gang ließen von Laura ab und kamen auf Tom zu, der sich inzwischen aufgerichtet hatte.
»Hey, du Blödmann,« sprach Mike ihn an. »Was guckst du so blöd? Willst du mit dem Stöckchen etwa schlagen? Ich zeige dir gleich, was passiert. Siehst du die Faust hier, Dreckskerl?«
Tom befürchtete schon das Schlimmste: eine gehörige Tracht Prügel. Bevor Mike zuschlagen konnte, kam der Lehrer Herr Meier.
»Was ist hier los?«, fragte Herr Meier.
»Gar nichts, Herr Meier,« antwortete Tom schnell, der sich nicht noch mehr Ärger einhandeln wollte. Später in der Klasse klopfte ihm Alex auf die Schulter.
»Alter, du bist ja ein Held. Stellst dich Mike mit einem Stock entgegen. Respekt.«
Inzwischen waren auch die anderen Mitschüler herangekommen und staunten. Die Geschichte ging wie ein Lauffeuer herum. Tom wurde der Held, der Laura vor Mike gerettet hatte. Laura hatte Tom seit dem Vorfall nicht mehr gesehen, worüber er auch froh war. Sollte er die Wahrheit sagen, dass er eigentlich hingefallen war? Tom beschloss, erst einmal abzuwarten.
Am nächsten Tag gab es nur ein Thema: Toms Heldentat. Tom fühlte sich in seiner Rolle als Held unwohl. Die Mitschüler tuschelten hinter seinem Rücken. Außerdem fürchtete Tom Mikes Zorn, der sich für den Vorfall rächen würde. Dann würde Tom vom Helden zum Loser und Gespött der Schule werden. Alle würden ihn auslachen.