Max Weber
Politik als Beruf
Max Weber wurde am 21. April 1864 in Erfurt geboren. Seine Eltern waren der Jurist und Reichstagsabgeordnete der Nationalliberalen Partei Max Weber senior (1836–1897) und Helene Weber, geb. Fallenstein (1844–1919).
Nach dem Abitur in Berlin-Charlottenburg studierte Weber von 1882 bis 1886 Jura, Nationalökonomie, Philosophie und Geschichte in Heidelberg, Göttingen und Berlin. Nach dem Ersten Juristischen Staatsexamen wurde er in seiner Referendariatszeit in Berlin zum Dr. jur. promoviert.
Nach der Habilitation für die Fächer Römisches Recht und Handelsrecht wurde er zum Außerordentlichen Professor für Handelsrecht und Deutsches Recht an der Juristischen Fakultät der Berliner Universität bestellt. 1894 erfolgte eine Berufung auf ein Ordinariat für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg, 1897 auf ein Ordinariat für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Heidelberg. 1903 legte er, wegen einer schweren Krankheit, sein Lehramt nieder.
Anschließend lebte Weber als Privatgelehrter in Heidelberg, bis er 1919 die Nachfolge von Lujo Brentano an der Universität München antrat. Er starb an den Folgen der Spanischen Grippe am 14. Juni 1920 in München.
Obwohl Weber auch als Rechtswissenschaftler und Nationalökonom arbeitete, ist er vor allem als Soziologe bekannt geworden, der sich mit der vergleichenden und entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung der Menschheitskulturen beschäftigte. Max Webers Interesse galt vor allem den kulturellen und institutionellen Erscheinungen der westlichen Gesellschaft, zum Beispiel dem bürokratischen Verfassungsstaat, der Naturwissenschaft, und dem Kapitalismus. Weber verfolgte einen historischen Erklärungsansatz, der sowohl gegen die Beschränkungen der materialistischen wie auch der idealistischen Geschichtsbetrachtung gerichtet ist.
Der bloße „Machtpolitiker“, wie ihn ein auch bei uns eifrig betriebener Kult zu verklären sucht, mag stark wirken, aber er wirkt in der Tat ins Leere und Sinnlose. Darin haben die Kritiker der „Machtpolitik“ vollkommen recht. An dem plötzlichen inneren Zusammenbruch typischer Träger dieser Gesinnung haben wir erleben können, welche innere Schwäche und Ohnmacht sich hinter dieser protzigen, aber gänzlich leeren Geste verbirgt. Sie ist Produkt einer höchst dürftigen und oberflächlichen Blasiertheit gegenüber dem Sinn menschlichen Handelns, welche keinerlei Verwandtschaft hat mit dem Wissen um die Tragik, in die alles Tun, zumal aber das politische Tun, in Wahrheit verflochten ist.
„Politik als Beruf“ wurde am 28. Januar 1919, also im deutschen Revolutionswinter nach dem Ersten Weltkrieg, im Rahmen einer Vortragsreihe in München gehalten. Trotz der politischen Wirren und gewaltsamen Kämpfe, die damals den Untergang des Deutschen Kaiserreiches prägten, ist Webers Rede durch wissenschaftliche Distanz und Analytik geprägt. Diese Zeitlosigkeit des Ansatzes ist sicherlich einer der Gründe, warum dieser Vortrag zu einem Klassiker der modernen Politikwissenschaft geworden ist. Auch wer heute grundsätzlich über Gesellschaft, Staat und die Rolle der Politiker in diesem Spannungsverhältnis nachdenkt, kommt an vielen Überlegungen Webers nicht vorbei.
Nach Webers Definition ist der „Staat ... diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich mit Erfolg beansprucht“. Und die Politik wiederum ist das Streben, den Staat zu leiten beziehungsweise zu beeinflussen. „Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden", erklärt Weber, um dann deren unterschiedliche Legitimitätsansprüche zu beschreiben, auf den sich Herrschaft stützt. Dabei unterscheidet er idealtypisch drei Formen von legitimer Herrschaft: die traditionale Herrschaft, die wie das Patriarchat oder Königtum auf dem Glauben an Traditionen beruht, die charismatische Herrschaft, die wie beim Prophetentum auf Hingabe an die Vorbildlichkeit, Heldenkraft oder Heiligkeit einer Person und der von ihr geschaffenen Ordnung beruht sowie die rationale Herrschaft, die den Glauben an die Legalität gesetzter Ordnungen voraussetzt.
Um Herrschaft auszuüben, bedarf es allerdings immer eines Verwaltungsapparates. Das Beamtentum unterscheidet sich nun nach Weber ganz wesentlich von der politischen Führung. Der Beamte soll nun gerade das nicht tun, was den parteiischen Politiker und seine Anhänger auszeichnen: einen Kampf führen. Aufgabe des Beamten ist es, die politischen Vorgaben unvoreingenommen, gewissenhaft und so auszuführen, als ob er seiner eigenen Überzeugung folgte. Der Politiker hat dagegen immer die letztliche Verantwortung für das, was er tut oder nicht tut. Diese Verantwortung kann er nota bene nicht auf andere abwälzen. Diese scharfe Unterscheidung kontrastiert mit vielen politischen Systemen, in denen sich Verantwortungslosigkeit häufig durch unklare Macht- und Kompetenzverteilungen institutionalisiert.
Zu den bekanntesten Teilen des Weber‘schen Vortrages gehören seine Überlegungen zu den Qualitäten, die einen guten Politiker auszeichnen sollten. Er hält drei Eigenschaften für essentiell: Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß. „Leidenschaft im Sinn von Sachlichkeit: leidenschaftliche Hingabe an eine „Sache“ ... Nicht im Sinne jenes inneren Gebarens, welches mein verstorbener Freund Georg Simmel als „sterile Aufgeregtheit“ zu bezeichnen pflegte, ... welches jetzt in diesem Karneval, den man mit den stolzen Namen einer „Revolution“ schmückt, eine so große Rolle auch bei unsern Intellektuellen spielt: eine ins Leere verlaufende „Romantik des intellektuell Interessanten“ ohne alles sachliche Verantwortungsgefühl. Denn mit der bloßen, als noch so echt empfundenen, Leidenschaft ist es freilich nicht getan. Sie macht nicht zum Politiker, wenn sie nicht, als Dienst in einer „Sache“, auch die Verantwortlichkeit gegenüber ebendieser Sache zum entscheidenden Leitstern des Handelns macht. Und dazu bedarf es – und das ist die entscheidende psychologische Qualität des Politikers – des Augenmaßes, der Fähigkeit, die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen, also: der Distanz zu den Dingen und Menschen. „Distanzlosigkeit“, rein als solche, ist eine der Todsünden jedes Politikers und eine jener Qualitäten, deren Züchtung bei dem Nachwuchs unserer Intellektuellen sie zu politischer Unfähigkeit verurteilen wird. Denn das Problem ist eben: wie heiße Leidenschaft und kühles Augenmaß miteinander in derselben Seele zusammengezwungen werden können? Politik wird mit dem Kopf gemacht, nicht mit anderen Teilen des Körpers oder der Seele. Und doch kann die Hingabe an sie, wenn sie nicht ein frivoles intellektuelles Spiel, sondern menschlich echtes Handeln sein soll, nur aus Leidenschaft geboren und gespeist werden. Jene starke Bändigung der Seele aber, die den leidenschaftlichen Politiker auszeichnet und ihn von den bloßen „steril aufgeregten“ politischen Dilettanten unterscheidet, ist nur durch die Gewöhnung an Distanz – in jedem Sinn des Wortes – möglich. Die „Stärke“ einer politischen „Persönlichkeit“ bedeutet in allererster Linie den Besitz dieser Qualitäten.
Gleichzeitig zählt für Weber in der Politik Verantwortungsethik mehr als Gesinnungsethik: Gesinnungsethik steht für ein Handeln, bei dem ein ethisch reines Motiv des Handelns immer wichtiger ist als das Handlungsergebnis. Eine Haltung, die heute vielfach mit dem Begriff des „Gutmenschentums“ beschrieben wird, das ständig Gefahr läuft, mit sich selbst in Widerspruch zu geraten. Weber schreibt: „In der Welt der Realitäten machen wir freilich stets erneut die Erfahrung, dass der Gesinnungsethiker plötzlich umschlägt in den chiliastischen Propheten, dass zum Beispiel diejenigen, die soeben „Liebe gegen Gewalt“ gepredigt haben, im nächsten Augenblick zur Gewalt aufrufen, – zur letzten Gewalt, die dann den Zustand der Vernichtung aller Gewaltsamkeit bringen würde, – wie unsere Militärs den Soldaten bei jeder Offensive sagten: es sei die letzte, sie werde den Sieg und dann den Frieden bringen. Der Gesinnungsethiker erträgt die ethische Irrationalität der Welt nicht.“
Sie sehen: Die Lektüre dieses Vortrags, der vor über 100 Jahren gehalten wurde, bietet eine Vielzahl von Anregungen, sich einmal grundsätzlich mit der aktuellen Lage der Politik auseinanderzusetzen.
(Erweiterte Schriftfassung eines Vortrags vom 28. Januar 1919 in München)
Der Vortrag, den ich auf Ihren Wunsch zu halten habe, wird Sie nach verschiedenen Richtungen notwendig enttäuschen. In einer Rede über Politik als Beruf werden Sie unwillkürlich eine Stellungnahme zu aktuellen Tagesfragen erwarten. Das wird aber nur in einer rein formalen Art am Schluss geschehen anlässlich bestimmter Fragen der Bedeutung des politischen Tuns innerhalb der gesamten Lebensführung. Ganz ausgeschaltet werden müssen dagegen in dem heutigen Vortrag alle Fragen, die sich darauf beziehen: welche Politik man treiben, welche Inhalte, heißt das, man seinem politischen Tun geben soll. Denn das hat mit der allgemeinen Frage: was Politik als Beruf ist und bedeuten kann, nichts zu tun. – Damit zur Sache!
Was verstehen wir unter Politik? Der Begriff ist außerordentlich weit und umfasst jede Art selbstständig leitender Tätigkeit. Man spricht von der Devisenpolitik der Banken, von der Diskontpolitik der Reichsbank, von der Politik einer Gewerkschaft in einem Streik, man kann sprechen von der Schulpolitik einer Stadt- oder Dorfgemeinde, von der Politik eines Vereinsvorstandes bei dessen Leitung, ja schließlich von der Politik einer klugen Frau, die ihren Mann zu lenken trachtet. Ein derartig weiter Begriff liegt unseren Betrachtungen vom heutigen Abend natürlich nicht zugrunde. Wir wollen heute darunter nur verstehen: die Leitung oder die Beeinflussung der Leitung eines politischen Verbandes, heute also: eines Staates.
Was ist nun aber vom Standpunkt der soziologischen Betrachtung aus ein „politischer“ Verband? Was ist: ein „Staat“? Auch er läßt sich soziologisch nicht definieren aus dem Inhalt dessen, was er tut. Es gibt fast keine Aufgabe, die nicht ein politischer Verband hier und da in die Hand genommen hätte, anderseits auch keine, von der man sagen könnte, dass sie jederzeit, vollends: dass sie immer ausschließlich denjenigen Verbänden, die man als politische, heute: als Staaten, bezeichnet, oder welche geschichtlich die Vorfahren des modernen Staates waren, eigen gewesen wäre.
Man kann vielmehr den modernen Staat soziologisch letztlich nur definieren aus einem spezifischen Mittel, das ihm, wie jedem politischen Verband, eignet: der physischen Gewaltsamkeit. „Jeder Staat wird auf Gewalt gegründet“, sagte seinerzeit Trozkij in Brest-Litowsk. Das ist in der Tat richtig. Wenn nur soziale Gebilde beständen, denen die Gewaltsamkeit als Mittel unbekannt wäre, dann würde der Begriff „Staat“ fortgefallen sein, dann wäre eingetreten, was man in diesem besonderen Sinne des Wortes als „Anarchie“ bezeichnen würde.
Gewaltsamkeit ist natürlich nicht etwa das normale oder einzige Mittel des Staates: – davon ist keine Rede –, wohl aber: das ihm spezifische. Gerade heute ist die Beziehung des Staates zur Gewaltsamkeit besonders intim. In der Vergangenheit haben die verschiedensten Verbände – von der Sippe angefangen – physische Gewaltsamkeit als ganz normales Mittel gekannt. Heute dagegen werden wir sagen müssen: Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes – dies: das „Gebiet“, gehört zum Merkmal – das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht. Denn das der Gegenwart Spezifische ist: dass man allen anderen Verbänden oder Einzelpersonen das Recht zur physischen Gewaltsamkeit nur so weit zuschreibt, als der Staat sie von ihrer Seite zulässt: Er gilt als alleinige Quelle des „Rechts“ auf Gewaltsamkeit. „Politik“ würde für uns also heißen: Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er umschließt.
Jeder Herrschaftsbetrieb, welcher kontinuierliche Verwaltung erheischt, braucht einerseits die Einstellung menschlichen Handelns auf den Gehorsam gegenüber jenen Herren, welche Träger der legitimen Gewalt zu sein beanspruchen, und andrerseits, vermittelst dieses Gehorsams, die Verfügung über diejenigen Sachgüter, welche gegebenenfalls zur Durchführung der physischen Gewaltanwendung erforderlich sind: den personalen Verwaltungsstab und die sachlichen Verwaltungsmittel.
Das entspricht im Wesentlichen ja auch dem Sprachgebrauch. Wenn man von einer Frage sagt: sie sei eine „politische“ Frage, von einem Minister oder Beamten: er sei ein „politischer“ Beamter, von einem Entschluss: er sei „politisch“ bedingt, so ist damit immer gemeint: Machtverteilungs-, Machterhaltungs- oder Machtverschiebungsinteressen sind maßgebend für die Antwort auf jene Frage oder bedingen diesen Entschluss oder bestimmen die Tätigkeitssphäre des betreffenden Beamten. – Wer Politik treibt, erstrebt Macht, – Macht entweder als Mittel im Dienst anderer Ziele – idealer oder egoistischer – oder Macht „um ihrer selbst willen“: um das Prestigegefühl, das sie gibt, zu genießen.
Der Staat ist, ebenso wie die ihm geschichtlich vorausgehenden politischen Verbände, ein auf das Mittel der legitimen (das heißt: als legitim angesehenen) Gewaltsamkeit gestütztes Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen. Damit er bestehe, müssen sich also die beherrschten Menschen der beanspruchten Autorität der jeweils herrschenden fügen. Wann und warum tun sie das? Auf welche inneren Rechtfertigungsgründe und auf welche äußeren Mittel stützt sich diese Herrschaft?
Es gibt der inneren Rechtfertigungen, also: der Legitimitätsgründe einer Herrschaft – um mit ihnen zu beginnen – im Prinzip drei. Einmal die Autorität des „ewig Gestrigen“: der durch unvordenkliche Geltung und gewohnheitsmäßige Einstellung auf ihre Innehaltung geheiligten Sitte: „traditionale“ Herrschaft, wie sie der Patriarch und der Patrimonialfürst alten Schlages übten. Dann: die Autorität der außeralltäglichen persönlichen Gnadengabe (Charisma), die ganz persönliche Hingabe und das persönliche Vertrauen zu Offenbarungen, Heldentum oder anderen Führereigenschaften eines einzelnen: „charismatische“ Herrschaft, wie sie der Prophet oder – auf dem Gebiet des Politischen – der gekorene Kriegsfürst oder der plebiszitäre Herrscher, der große Demagoge und politische Parteiführer ausüben. Endlich: Herrschaft kraft „Legalität“, kraft des Glaubens an die Geltung legaler Satzung und der durch rational geschaffene Regeln begründeten sachlichen „Kompetenz“, also: der Einstellung auf Gehorsam in der Erfüllung satzungsmäßiger Pflichten: eine Herrschaft, wie sie der moderne „Staatsdiener“ und alle jene Träger von Macht ausüben, die ihm in dieser Hinsicht ähneln.