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Gerhard Jelinek

Affären, die die Welt bewegten

 

Gerhard Jelinek

Affären, die die Welt bewegten

Ein Seitensprung
durch die Geschichte

 

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Gerhard Jelinek

Affären, die die Welt bewegten

Ein Seitensprung durch die Geschichte

 

 

 

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Umschlagidee und -gestaltung: kratkys.net

 

 

 

1. Auflage

© 2011 Ecowin Verlag, Salzburg

Lektorat: Dr. Arnold Klaffenböck

Gesamtherstellung: www.theiss.at

Gesetzt aus der Sabon

Printed in Austria

ISBN 978-3-7110-5017-5

 

www.ecowin.at

Inhalt

Vorwort

Adam und Eva Die Sünde macht den Menschen

Julius Cäsar und Kleopatra Die Vereinigung von West und Ost

Abaelard und Heloisa Die Liebe des Abts zur Äbtissin

Rodrigo Borgia und Giulia Farnese Der Papst und die „Braut Christi“

Martin Luther und Katharina von Bora Der Mönch und die entlaufene Nonne

Karl V. und Barbara Blomberg Der Kaiser und die Bürgerstochter

Bianca Cappello und Francesco de’ Medici Die Schöne und das Gift

Elizabeth I. und Robert Dudley Die Liebe zur jungfräulichen Königin

Giacomo Casanova und Manon Balletti Der Frauenheld und die versprochene Ehe

Friedrich der Große und Hans Hermann von Katte Der Kronprinz und sein Offizier

Katharina II. und Grigori Alexandrowitsch Potemkin Die Zarin und der einäugige General

Napoleon und Marguerite-Joséphine Weimer Der Kaiser und Mademoiselle George

Ludwig I. und Lola Montez Nummer 16 in der Schönheitengalerie

Franz Joseph I. und Anna Nahowski Der Monarch und seine Liebe zum Morgengrauen

Luise Antoinette und André Giron Die Kronprinzessin und der Hauslehrer

Alma Mahler und Oskar Kokoschka Die Muse und der Maler

Gabriele D’Annunzio und Eleonora Duse „Ich bereue es so! So sehr.“

Alfred Redl und Stefan Horinka Der Oberst, sein Geliebter und der Verrat

Benito Mussolini und Margherita Sarfatti Der Faschist und die rote Jungfrau

Edward VIII. und Wallis Simpson Ein Königreich für die Liebe

Joseph Goebbels und Lída Baarová Die Leinwand-Göttin und der Nazi-Hetzer

John Profumo und Christine Keeler Die verratenen Liebesgeheimnisse

John F. Kennedy und Marilyn Monroe Der Präsident und die Schauspielerin

Bill Clinton und Monica Lewinsky „I did not have sexual relations with that woman“

Keine Affäre

Vorwort

Die Geschichte der Menschheit ist eine Abfolge von Affären. Und schon die erste Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau hatte weitreichende Konsequenzen: Adam und Eva brachten Verführung, Leidenschaft und Sünde in die Welt. Am Anfang des Menschengeschlechts steht eine Affäre. Dem Ende der Unschuld folgt die Vertreibung aus dem Paradies. Der Mensch wird zum Menschen.

Mit Adam und Eva beginnen Affären, die die Welt bewegten und sie manchmal auch veränderten. Wären Mythen, Legenden und Künste ohne Liebe, Leiden und Leidenschaft denkbar? Wie stark und mächtig ist ein Gefühl, das den Verstand ausschaltet, die Vorsicht vergessen lässt, das Königskronen aufs Spiel setzt und für Momente der Lust den Tod in Kauf nimmt?

Cäsar und Kleopatra riskierten mit ihrer Affäre das römische Weltreich. Abaelard und Heloisa – die Nonne und der Theologe – gingen als großes Liebespaar in die Geschichte ein. Petrus Abaelard zahlte für die leidenschaftliche Affäre mit seiner Schülerin einen hohen Preis: Er wurde entmannt.

Rodrigo Borgia, der Renaissance-Papst ohne Skrupel, entführte die jugendliche Giulia Farnese vor ihrer Hochzeitsnacht und machte sie zur Geliebten im Vatikan. Martin Luther forderte Nonnen zum Verlassen ihres Klosters auf. Der Augustinermönch aus Wittenberg predigte so überzeugend, dass er Katharina von Bora, eine der Flüchtigen, geheim ehelichen musste.

Friedrich der Große wurde als Kronprinz auf Befehl seines Vaters Friedrich Wilhelm I. gezwungen, die Enthauptung seines Lehrers und Geliebten Hans Hermann von Katte mit anzusehen. Luise Antoinette, Kronprinzessin von Sachsen, floh mit dem Hauslehrer ihrer fünf Kinder aus dem ehelichen Palast. Österreichs Kaiser Franz Joseph I. suchte menschliche Wärme jenseits der Mauern des Schlosses Schönbrunn in seiner zwölf Jahre währenden Beziehung zum Vorstadt-Mädel Anna Nahowski.

Diese Affären bewegten die Welt, lange bevor es Klatschmagazine, „Yellow Press“, Paparazzi und einschlägige TV-Sendungen gab. Das Liebesleben der Mächtigen, der Schönen und Reichen erregte zu jeder Zeit die Fantasie der Völker. Geschichte als Abfolge rationaler Entscheidungen, als taktisches Schachspiel mit Soldaten, die geopfert werden wie die Bauern auf dem Brett, das beschreibt nur eine Seite der historischen Medaille.

Verrat, Hass, Betrug, Wollust, Ekstase, Ausschweifung und – ja – auch Liebe haben Geschichte gemacht. Ist das Leben John F. Kennedys ohne seine zahlreichen Affären, ohne Marilyn Monroe, vollständig beschrieben? Wäre die Weltgeschichte anders verlaufen, hätte der englische König Edward VIII. auf die Ehe mit der geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson verzichtet und die Krone des britischen Weltreichs behalten? Und wäre das expressionistische Werk des Malers Oskar Kokoschka ohne seine Muse Alma Mahler denkbar? Hätten die Beatles ohne John Lennons Affäre mit der japanischen Künstlerin Yoko Ono weitere unsterbliche Lieder geschrieben, oder wären sie in Mittelmäßigkeit versunken?

Was ist Ehe, was bedeutet Treue, wie drückt sich Liebe aus und wer be- und verurteilt, was eine Affäre ist? Die Begriffe, ihre Inhalte und ihre moralische Aufladung haben sich seit Adam und Eva (und Lilith!) mehrfach verändert. Die Ehe war über Jahrtausende als wirtschaftliche Zweckgemeinschaft definiert. Es ging um die erbrechtlich abgesicherte Zeugung von Nachkommen, darum, Besitz weiterzugeben oder Arbeitskräfte sowie Altersversorgung in einer bäuerlichen Subsistenzwirtschaft zu sichern. Liebe war nur ein Wort.

Und das Versprechen „bis dass der Tod euch scheidet“ hatte keineswegs das Gewicht jahrzehntelanger Ehebanden. In der Antike, aber vor allem im europäischen Mittelalter betrug die durchschnittliche Lebenserwartung wenige Jahrzehnte. Die Chance (das Risiko) für einen Mann, schon nach wenigen Ehejahren Witwer zu sein, weil seine Frau nach einigen Geburten dem Kindbettfieber erliegen würde, war groß. In Herrschafts- und Adelskreisen diente die Ehe – lange vor dem Satz „Bella gerant alii, tu felix Austria nube!“ – als Mittel, Wohlstand, Reichtum und Macht zu erwerben, zu vergrößern, zu erhalten. Die ehemalige Schweizer Grafenfamilie der Habsburger sicherte sich durch geschickte Ehebündnisse im 15. Jahrhundert das reiche Burgund, Spanien (inklusive der Kolonien), später die Länder der böhmischen Krone und Ungarn. Die Ehen wurden als machtpolitische Bündnisse geschlossen. Braut und Bräutigam sahen einander regelmäßig erst beim Jawort (und oft nicht einmal dann), schon Kinder wurden per Stellvertreter verehelicht, manchmal vor ihrer Geburt versprochen. Ein Fürst, gar ein König heiratete aus Staatsräson eine Frau, die er nie gesprochen, deren gemaltes Bildnis ihm – im günstigsten Fall – gezeigt worden war. Ehen – vor Gott geschlossen – sind die Voraussetzung für den Seitensprung.

Affären abseits des Ehebetts stellten keineswegs die Ausnahme dar, sondern die akzeptierte Regel. Eine Zweitfrau (sehr oft waren es dutzende „Zweitfrauen“) provozierte noch keinen Skandal. Und außereheliche Kinder blieben zwar von der Erbfolge ausgeschlossen, konnten aber durchaus Karriere machen. Don Juan de Austria, der Sieger gegen die Türken bei der Seeschlacht von Lepanto, war Ergebnis der Liebe zwischen Kaiser Karl V. und der Bürgerstochter Barbara Blomberg. Die Untertanen, „Bürger“ im demokratischen Sinn gab es ja erst ab dem 19. Jahrhundert, erfuhren höchstens durch mündliche Überlieferung, gelegentlich durch „Schmähgedichte“, vom Liebesleben ihrer Herrschaft.

Es galt ohnehin der Grundsatz des „zweierlei Maß“. Was den Herren erlaubt war, das untersagte Mutter Kirche ihren Gläubigen. Das Leben „in Sünde“ war durch die Jahrtausende eher Regel als Ausnahme. Zwischen den sozialen Klassen, zwischen Adel und Volk, denen da oben und denen da unten, herrschte auch und gerade auf sexuellem Gebiet keine Gleichheit der Rechte. Der Mächtige – in aller Regel war es ein Mann – nahm sich, was er brauchte. Eine „ehrbare“ Frau hatte daheim zu bleiben, ihren Gemahl zu erdulden und Affären schweigend hinzunehmen. Umgekehrt ging das gar nicht. Hielt sich ein Fürst Mätressen, dann hatte das niemanden zu stören. Auch die hohe Geistlichkeit schaute weg, benahm sich in vielen Fällen äußerst weltlich. Eine Frau konnte die außerhäusliche Liebe buchstäblich den Kopf kosten. Verhältnisse der Herrschaft wurden schamhaft verschwiegen, die Doppelmoral zur Norm. Im barocken Frankreich wandelte sich der Seitensprung zur offiziellen Staatsaffäre. Die jeweilige Favoritin des Königs bekam gar einen Titel und einen Rang am Hof. Als „Maîtresse-en-titre“ erhielt die Bettgefährtin des Monarchen Zugang zur absolutistischen Macht, Einfluss und die Chance, durch Korruption ein ungeheures Vermögen zusammenzuraffen. Die Position blieb aber äußerst vage. Verlor der König sein sexuelles Interesse oder wurde die Mätresse gar zu mächtig, konzentrierten sich die politische Kritik, Neid, Missgunst und Hass auf das korrupte System sehr oft auf die Nebenfrau, der alle Schuld in die Seidenpantoffeln geschoben wurde.

Was das einstige Tabuthema Sexualität betrifft, leben wir heute, im dritten Jahrtausend, wahrscheinlich in einer der freiesten Gesellschaften. Jedenfalls bilden wir uns das ein. Per Gesetz, Moral und Konvention ist alles erlaubt, was dem Partner nicht mit Gewalt aufgezwungen wird. Niemand wird wegen seines Lebenswandels bestraft, die Liebe zwischen den Geschlechtern ist in allen denkbaren Varianten erlaubt und wird öffentlich demonstriert. Das Normale darf nicht „normal“ genannt werden, weil es das Abnormale als „abnormal“ diskriminieren würde. In voller sexueller Offenheit hat eine neue Form des Tugend-Konformismus Einzug gehalten, mit schweren gesellschaftlichen Sanktionen. Unsere heutige Gesellschaft (die westliche Wertegemeinschaft – was, wer immer, darunter verstehen mag) ist plakativ sexualisiert. Sex funktioniert in jeder Ausformung als beherrschendes Signal in den Massenmedien, der Werbung und der Populärkultur. Sex sells. Ulrich Greiner schreibt in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“: „Die Sexualität, früher die wichtigste Nebensache der Welt, ist zur unwichtigsten Hauptsache geworden.“

Aber: Noch immer sind die in unseren Genen veranlagten Stimuli wirksam. Und immer wieder gibt es Affären, die die Welt bewegen. Wenn ein amerikanischer Präsident mit einer drallen Praktikantin während der Dienstzeit Oralsex hat, wenn ein ehemaliger Kraftsportler als kalifornischer „Gouvernator“ die Haushälterin schwängert oder wenn ein Weltbank-Boss an die Unterwäsche eines Zimmermädchens geht, dann haben diese „Affären“ politische Auswirkungen. Der Präsident wird zur politisch „lahmen Ente“, der Ex-Gouverneur vom starken Mann zur Lachnummer und der Weltbanker verspielt das französische Präsidentenamt. Die Mächtigen, die Reichen, die Schönen sind heute einer weltumspannenden Öffentlichkeitsindustrie ausgeliefert. Jeder Kuss wird von gewerbsmäßigen Paparazzi dokumentiert und vermarktet, Liebes-E-Mails und vertrauliche SMS von kriminellen „Aufdecker“-Medien geknackt. „Die da oben“ genießen im krassen Gegensatz zu früheren Zeiten keine Immunität für ihre Privat- oder Intimsphäre – im Gegenteil. Konnten sich Kaiser und Könige, Fürsten und Grafen, Päpste und Ketzer mit Geld und Gewalt Freiheit von Moral und gesellschaftlichen Zwängen erwirken, schlägt eine egalitäre Gesellschaft heute gnadenlos zurück: Des Kaisers neue Kleider sind gefallen, darunter sind alle nackt, bloßgestellt.

Das ist ein Buch über Liebesbeziehungen, die Geschichte gemacht haben. Es sind Erzählungen über Affären und ihre gesellschaftlichen, moralischen und politischen Bezüge. In den Geschichtsbüchern werden der Charakter und das Privatleben der Herrschenden völlig ausgeblendet, als ob Mätressen und Geliebte keinen Einfluss auf den Lauf der Welt genommen hätten. Ist die Affäre Cäsars mit der ägyptischen Königin Kleopatra nur eine sexuell aufgeladene Episode mit orientalischen Räucherstäbchen oder war die (sexuelle) Unterwerfung einer griechischen Aristokratin nicht eine große Versuchung, das Gravitationszentrum des römischen Weltreichs in den Osten zu verlagern, von der schmutzigen Provinz-Hauptstadt Rom in die glitzernde Millionen-Metropole Alexandria? Hätte die „jungfräuliche“ Königin Elizabeth I. nicht das Bett mit ihrem Geliebten Robert Dudley geteilt, wäre sie dann ohne Ehemann, ohne europäischen Bündnispartner geblieben? Wäre die Affäre von Kaiser Karl V. mit der Regensburger Bürgerstochter Barbara Blomberg folgenlos geblieben, hätte dann ein anderer Feldherr als Don Juan de Austria die Türken in offener Seeschlacht besiegt? Hätte der britische Monarch Edward VIII. nicht auf den Thron verzichtet, weil er die geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson heiraten wollte, wäre die Geschichte des Zweiten Weltkriegs gleich verlaufen? Wäre der Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels mit seiner tschechischen Geliebten Lída Baarová als Botschafter nach Japan gegangen, hätte dann ein anderer Hitler-Paladin den „totalen Krieg“ ausgerufen? „Wäre-wenn“-Fragen sind unter Historikern verpönt, Autoren und Leser dürfen in ihrer Fantasie Antworten geben. Ein Seitensprung durch die Geschichte.

Adam und Eva
Die Sünde macht den Menschen

Adam und Eva. Der erste Mann und die erste Frau. Falsch.

Die Geschichte der Menschheit beginnt in einem Dreiecksverhältnis. Gott erschafft Adam, den Menschen. Weil dieser sich einsam fühlt und das bunte Liebesleben der paarweise erschaffenen Tiere mit wachsendem Missvergnügen betrachtet, bittet er Gott, ihm ein Gegenstück zu schaffen. Gott zeigt sich verständnisvoll. In der Kabbala wird jener uralte Menschheitsmythos so überliefert: Als Gott den ersten Menschen erschaffen hatte, sagte er: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“, und schuf ihm eine Frau – gleich ihm – aus Erde und nannte sie Lilith (Zohar 1 148a).

Der Herr des Himmels und der Welt geht also nach dem gleichen bewährten Rezept vor. Wie bei Adam nimmt er Erde, Staub, Lehm und formt ein Geschöpf „nach seinem Ebenbild“. Mit Haut und langen Haaren. Es wird Lilith heißen. „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie einen Mann und ein Weib“ (1. Mose 1:27, Lutherbibel 1915). Dieser erste Schöpfungsbericht verleiht dem Mann und der Frau Gleichheit vor Gott.

Adam hat eine Frau. Er kann nun die heißen sumerischen Nächte zu zweit verbringen. Aber der Ur-Mann Adam erweist sich als einfallsloser Liebhaber, seine Lilith ist eine selbstbewusste Partnerin. Sie pocht auf Gleichberechtigung in allen Lagen. Schließlich habe Gott sie aus dem gleichen Stoff geformt wie das männliche Pendant. Auch in ihrer Sexualität will Lilith gleichberechtigt sein, ihre Wünsche sind denen des Mannes nicht nachgeordnet. Wieder beschreibt die alte Überlieferung die Szene im Garten Eden klar und deutlich. Bald begannen die beiden zu streiten. Lilith sagte zu Adam: „Ich will nicht unter dir liegen.“ Und er sagte: „Ich will nicht unter dir liegen, sondern auf dir, weil du verdienst die Unterlegene zu sein und ich der Überlegene.“ Sie sagte zu ihm: „Wir sind beide gleich, weil wir beide aus Erde gemacht sind.“ Der Geschlechterkampf hat also schon im Paradies begonnen. Aber Lilith fackelt nicht lange herum. Sie erhebt sich in „die Lüfte der Welt“ und ist weg.

Adam, dessen Rolle allen später geborenen Männergenerationen nicht zur Ehre gereicht, ruft wieder einmal Gott an und beklagt sich bitterlich. Die Frau sei ihm davongelaufen.

Gott ist in diesem – offenbar hauptsächlich von Männern am Lagerfeuer weitererzählten – Ur-Mythos gegenüber Adam sehr verständnisvoll. Er rügt seine erste Schöpfung nicht, weil diese sich wenig partnerschaftlich benommen hat. Nein, Gott schickt Lilith Engel nach, die sie zur Rückkehr an den paradiesischen Herd überreden sollen. Doch wieder zeigt sich der starke, stolze und selbstbestimmte Charakter von Adams erster Frau. Sie denkt gar nicht daran, den Aufforderungen und Bitten nachzukommen.

Lilith widersetzt sich Gott – vorerst folgenlos. Der Herr geht neuerlich ans Werk und formt eine weitere Partnerin für Adam. Dieser ist allerdings sehr anspruchsvoll und lehnt Gottes zweiten Versuch empört ab. Wiederum ist der oberste Weltenlenker nachsichtig und macht sich ein drittes Mal ans Werk. Doch diesmal transplantiert Gott eine Rippe des tief schlafenden Adam und baut um diese Rippe ein schönes Wesen, dem er auch einiges von der Sinnlichkeit und Verführungskraft Liliths mitgibt. Gott nennt sein Geschöpf Eva (oder hebräisch Chawach). Da unsere Geschichte aber im heutigen Südirak zu lokalisieren ist, wird Eva wohl einen sumerischen Namen getragen haben.

Das Erste Buch Moses lässt eine ungefähre geografische Eingrenzung des Paradieses zu. Gesucht wurde es über Jahrhunderte, gefunden bis heute nicht. Achtzig, hundert und mehr Theorien gibt es, wo sich der biblische Garten Eden befunden haben könnte. Er war Ziel von Gelehrten und schwer bewaffneten Kreuzrittern. Sie glaubten tatsächlich, das Paradies mit dem Schwert erobern zu können. Der britische Ägyptologe David Rohl fand den Garten Eden in der iranischen Stadt Täbris. Ein deutscher Professor für Altorientalische Philologie formulierte die These, dass in der mesopotamischen Vorlage zur Genesis-Erzählung der Garten Eden im Tempelgarten Eridu zu finden sei. Und er hatte gute Gründe dafür. Vor gut 8000 Jahren beherbergte Eridu das wichtigste Heiligtum des Gottes Enki. Er galt als Herr der Welt, des Süßwassers, des Todes und des schöpferischen Geistes. Es ist die Stätte und jene Stadt, in der Geschichte begann. Im sumerischen Epos „Enki und Nammu“, eine der ältesten überlieferten Mythen der Menschheit, wird die Erschaffung des Menschen geschildert. Dort werden die Göttinnen Nammu und Ninmach vom Gott Enki beauftragt, den Menschen nach dem Abbild der Götter zu schaffen. Aus der Verbindung von Lehm und dem heiligen Wasser des Urozeans soll der Mensch geformt und von den Göttern geführt und gelenkt werden.

Die Grundrezeptur bleibt also gleich – in der Bibel, in den sumerischen Epen, in der hebräischen Überlieferung und in der erst später entstandenen Kabbala. Immer ist es der knetbare Stoff Lehm, Staub mit Wasser vermischt, aus dem der Mensch geformt wird. „Von Staub bist Du gekommen, zu Staub kehrst Du zurück“ – diesen Satz sprechen katholische Priester alle Jahre am Aschermittwoch, wenn sie den Gläubigen das Aschenkreuz als Symbol für die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens auf die Stirn malen.

Die ersten biblischen Menschen lebten also am Persischen Golf und mit Sicherheit nicht dort, wo die Mormonen das Paradies ansiedeln, nämlich in Jackson County, US-Bundesstaat Missouri. Für den deutschen Mönch Martin Luther waren die Versuche, das himmlische Paradies geografisch zu verorten, ohnehin lächerlich. „Möglich ist’s, dass es also gewesen ist, dass Gott einen Garten gemacht oder ein Land beschränkt hat, aber nach meinem Dünken wollt ich gern, dass es so verstanden möchte werden, dass es der ganze Erdboden wäre.“

Seit mindestens 6000 Jahren gehört die Vorstellung vom Paradies zur Gedankenwelt der Menschen. Das Paradies ist ein Garten: „Eden“. Der sumerische Begriff bedeutete eigentlich nur Steppe. Die sumerischen, später biblischen Mythen erzählen von einer Entwicklung, die heute als Klimaerwärmung bekannt ist. Am Ende der letzten Eiszeit veränderten sich die Temperaturen derart, dass aus üppigen Landschaften schwierig zu bebauendes Steppen- und Ackerland wurde. Wollten die Menschen nicht verhungern, mussten sie bessere Technologien für die Nahrungsproduktion finden. Adam wird damit zum Bauern. Er muss säen, ernten und Vorräte anlegen, um seine Eva (seine Lilith) und viele Nachkommen zu ernähren. Mit dem Ackerbau beginnt eine neue Kultur.

Das Paradies der Sumerer war konkret ausgeformt: Eine Kulturlandschaft, wie sie Jean-Jacques Rousseau gemalt haben könnte. „Rein, sauber, hell“ soll der Garten Eden sein, seine Bewohner, auch die gewalttätigsten, sind friedlich. Der Löwe tötet nicht und der Wolf raubt kein Schaf. Die Beschreibung dieser paradiesischen Zustände ist älter als die Schöpfungsgeschichte der Bibel, viel älter. Das Alte Testament ist also abgeschrieben? Nein, das Heilige Buch der Juden und der Christen belegt die ungebrochene mündliche Tradition uralter Mythen. Die Texte, die heute als Altes Testament gelten, wurden rund 900 Jahre vor Christi Geburt erzählt und erst viel später in Alexandria niedergeschrieben. Für Gläubige zweier Weltreligionen stellen sie das Wort Gottes oder zumindest die Wahrheit dar, andere bewundern die Bibel als literarisches Werk höchsten Ranges.

Die biblische Erzählung gehört zum abendländischen Basiswissen. Wer die Geschichte von Adam, Eva, dem Apfel und der Schlange nicht im Buch Genesis gelesen hat, der kennt die Geschichte – und sei es nur aus der Kunstgeschichte, in der das Bild von Mann, Frau, Apfelbaum und böser Schlange zu den Stereotypen der Malerei und Bildhauerei zählt.

Adam und Eva – so weit folgt die Genesis den älteren sumerischen Dichtungen – leben im Garten Eden. Es geht ihnen gut, keine Rede von Streit. Lilith, die Vorgängerin Evas, kommt gar nicht vor, sie ist aus dem biblischen Blickwinkel verschwunden. Eva dürfte sich aber ein wenig gelangweilt haben. Denn im Gegensatz zum sumerischen Mythos erzählt die Bibel nichts vom Geschlechtsleben. Adam, der aus Erde Gemachte, und seine Eva sind – bis zum „Sündenfall“ – kinderlos.

Sie kennen keine Lust, keine Scham, sie vermehren sich nicht, sie sind nach Gottes Ebenbild gemacht. Sie sind eigentlich noch keine Menschen in unserem heutigen Sinn. Um sich von Gott zu unterscheiden, bedarf es des Fehlers, des Widerspruchs, des Ungehorsams, vor allem der Sterblichkeit.

Der Mensch wird zum Menschen, indem er eigenständigen Willen zeigt. Und es ist die Frau, die den ersten Schritt weg vom Gott-Ähnlichen zum Menschen macht. Sie will vom Baum der Erkenntnis naschen. Die Schlange als Symbol für das Böse, den Teufel, braucht es dazu gar nicht. Sie wird als Ausrede ins Bild gerückt. Eva will das Verbotene tun. Sie beißt in eine Feige, denn um einen Feigenbaum wird es sich wohl gehandelt haben. „Malus“ – das Böse – steht nur im Lateinischen für „Apfel“. Es ist der Baum des Bösen, an dem die verbotenen Früchte wachsen, und es ist – welche Gleichsetzung – auch der Baum der Erkenntnis. Wissen kann zur Auflehnung gegen Gott führen. Wird der Mensch zu klug, zu besserwisserisch, lehnt er sich gegen Gott auf, dann folgt die Strafe auf den Fuß. Adam und Eva werden aus dem Paradies vertrieben – sie beginnen als Menschen zu leben. Sie lernen Angst und Leiden, Lust und Freude kennen. Sie beginnen zu lieben und sich zu vermehren. Es gibt paradiesische Momente, aber auch teuflisches Leid. Und es gibt den Tod.

Schuld an dem Schlamassel hat die Frau. Adam, der wiederum nicht souverän reagiert, schiebt alles auf Eva, und diese bezichtigt die Schlange. Gott reagiert empört und vertreibt die beiden aus dem Garten Eden. Adam muss fortan als Bauer den kargen Boden bearbeiten und Feldfrüchte fürs Überleben der Menschheit anbauen. In den Worten aus Genesis 3,19 (Luther-Bibel 1545): „Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.“

Eva erlebt in der Sünde Lust, muss aber unter Schmerzen Kinder auf die Welt bringen. Erst nach dem Griff zum Baum der Erkenntnis beginnt das Bevölkerungswachstum. Das erste Paar zeugt drei Söhne, Kain, Abel und Set, außerdem eine nicht genau bezifferte Zahl an Töchtern und einige unbekannte Söhne. Da Adam das fürwahr „biblische“ Alter von 930 Jahren erreicht, kann er die Weltbevölkerung schon in erster Generation deutlich steigern.

Lilith erlebt – geschätzte 6000 Jahre nach ihrer Schöpfung – eine ungeahnte Wiedergeburt. Die sumerische Figur der ersten Frau, die von Adam gleichberechtigt und selbstbewusst ihre Rechte einfordert, wird zu einer Ikone des Feminismus. Während die biblische Eva in einer patriarchalischen Tradition steht, symbolisiert Lilith die Selbstständigkeit der Frau und ihren Widerstand gegen männliche Unterdrückung.

Dabei erlaubt die Bibel – wörtlich genommen – beide Denkarten. Christa Chorherr analysiert die Frauenrollen in den Weltreligionen: „Die in den Zehn Geboten enthaltene Forderung, Mutter und Vater zu ehren, spiegelt jene ursprüngliche Gesellschaftsform wider, in der die Macht der Frauen ebenso wichtig war wie die der Männer: ‚Da schuf Gott den Menschen in seinem Ebenbilde, in dem Ebenbilde Gottes erschuf er ihn, männlich und weiblich schuf er sie.‘ Dieser erste Schöpfungsbericht verleiht dem Mann und der Frau prinzipielle Gleichheit vor Gott – gemäß Gottes Wunsch, sich beide Geschlechter ebenbildlich zu machen.“

Und was passierte eigentlich mit Lilith, die im Streit mit Adam das Paradies verlassen hatte? Aus Angst, die beiden Frauen könnten sich miteinander und gegen ihn verbünden, baut Adam eine Mauer. Er grenzt sich und seine Eva ab. Er grenzt Lilith aus. Die jüdische Feministin Judith Plaskow vertieft sich in die Gedankenwelt von Eva: „Bisher hatte sie gedacht, sie sei die einzige Frau weit und breit. Oft dachte sie nur daran, wie schön und stark Lilith ausgesehen hatte. Sie fing an, über die Mauer rund um ihren Garten nachzudenken und über die anderen Grenzen ihres Lebens.“ Die Theologin am Manhattan College in New York beschreibt ein feministisches Märchen aus der Mythenwelt dreier Weltreligionen. Eva und Lilith begegnen einander, überwinden Adams Mauer und werden Freundinnen.

In der literarischen Geschichte geistert Lilith in vielerlei Gestalt durch die Jahrhunderte. Zuerst Nachtdämon, dann Verführerin. In Goethes „Faust“ taucht sie in der Walpurgisnacht auf. Mephistopheles erklärt Faust: „Lilith ist das. Adams erste Frau. Nimm dich in Acht vor ihren schönen Haaren, vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt. Wenn sie damit den jungen Mann erlangt, so lässt sie ihn sobald nicht fahren.“

Der Dichterfürst strickt im „Faust“ ein Muster der Verführung und der Affären. Schuld ist am Ende immer die Frau, weil sie den schwachen Mann verführt und der sich einfach nicht erwehren kann. Auch 6000 Jahre nach der Aufzeichnung sumerischer Überlieferungen stehen Männer in der Tradition ihres Ahnvaters: Adam.

*

Die Bibel – Einheitsübersetzung, Stuttgart, Katholisches Bibelwerk, Jahresausgabe 2011.

Manfred Barthel, Was wirklich in der Bibel steht, Wien/Düsseldorf 1989.

Christa Chorherr, Wer wirft den ersten Stein?, Graz 2010.

Vera Zingsem, Lilith, Stuttgart 2005.

 

http://bibeltext.com/genesis/1-27.htm

http://www.bibelwerk.de/home/einheitsuebersetzung

http://kwakuananse.twoday.net/stories/5498639/

Julius Cäsar und Kleopatra
Die Vereinigung von West und Ost

Eine Frau wird Opfer der politischen Propaganda und dadurch zur unsterblichen Legende. 2000 Jahre nach ihrem Tod ist Kleopatra VII. noch immer eine der berühmtesten Frauen der Menschheitsgeschichte. Sie hat das antike Ägypten 22 Jahre lang regiert, in einer extrem unsicheren Zeit zwei der mächtigsten Männer des damaligen Erdkreises zu ihren Geliebten gemacht, vier Kinder geboren und den östlichen Teil des Mittelmeers kontrolliert. Nebenbei hat die Königin noch ihre Schwester verfolgen und ihre Brüder ermorden lassen. Nach heutigem Maßstab gelten diese Gewalttaten als unfeine politische Mittel. Vier Jahrzehnte vor Beginn unserer Zeitenrechnung legten Herrscher und Beherrschte andere Richtschnüre an – die Durchsetzung von Machtinteressen mit Gift und Schwert war übliche Praxis. Kleopatra beflügelte überdies die sexuellen Fantasien vieler Generationen und inspirierte William Shakespeare zu seinem Drama „Antonius und Cleopatra“. Die im März 2011 verstorbene Leinwand-Göttin Liz Taylor verdankt ihren filmischen Ruhm auch der Darstellung von Kleopatra 1963 in einem der großen Hollywood-Schinken. In mehr als einem Dutzend Filmen aller Preis- und Qualitätsklassen spielt Kleopatra die Hauptrolle, personifiziert von Stars wie Sophia Loren, Monica Bellucci und Vivian Leigh.

Königin Kleopatra ist eine der Hauptfiguren des historischen Boulevards. Projektionsfläche erotischer Wünsche, eine Frau, die durch ihre Liebeskünste tapfere römische Helden verführt, sie durch orientalische Sinnesfreuden verwirrt, den mächtigen Cäsar von der planmäßigen Erfüllung seiner Kriegsgeschäfte abbringt, seine Rückkehr nach Rom verzögert, ihn durch ausschweifende sexuelle Erlebnisse seiner rechtmäßigen Ehefrau entfremdet, in unvorstellbarem Luxus lebt, den antiken Rechthabern wie Cicero mit Überheblichkeit begegnet und die Konventionen bricht, weil eine junge Frau über größeren Reichtum verfügt als die Weltmacht der römischen Republik.

Kleopatra ist eine einzige Provokation für die Spießbürger in Rom, das vier Jahrzehnte vor der Geburt von Jesus Christus und aus der Sicht einer Königin, die sich in einer direkten Ahnenlinie zu Alexander dem Großen wähnen kann, ein ziemlich chaotisches Provinznest ist. Das Kolosseum ist noch längst nicht errichtet, das Pantheon nicht einmal eine Idee, die Caracalla-Thermen bleiben späteren Jahrhunderten vorbehalten, die Kaiserpaläste sind unerbaut und Stadtplanung (da trifft sich das antike Rom mit der Gegenwart) unbekannt. Roms Straßen sind eng, verwinkelt, schmutzig, laut und stinkend. Das Forum erinnert noch immer an die Kuhweide, die es war. Dabei betrachten sich die römische Republik und die Stadt auf den berühmten sieben Hügeln als Nabel der Welt. Dank der erfolgreichen Kriegstechnik der römischen Legionen hat Rom zur Zeit Cäsars die Macht im Mittelmeerraum erkämpft. Wichtige Technologien haben die römischen Stämme von den geheimnisvollen Etruskern übernommen. Die Stärke des jungen Gemeinwesens, das sich da von Mittelitalien aus anschickt, die Welt (zumindest jenen Teil, den die Römer damals gekannt haben) zu erobern, liegt in der Organisationskraft, in der praktischen Anwendung von Erfindungen anderer und in einer militärischen Disziplin, die nicht besonders sympathisch, aber erfolgreich ist.

Kulturell spielt die Stadt am Tiber eine Nebenrolle. Alexandria ist das Paris der Antike, größer, schöner, kosmopolitischer und viel reicher als Rom. Und in und über Alexandria herrschen die Abkommen jener Feldherren, die Alexander den Großen beerben durften: die Ptolemäer. Kleopatra stammt aus altem makedonischen Adel. Die Personifikation der ägyptischen Herrscherin ist daher Griechin, spricht griechisch und lebt eine griechische Kultur, die im ersten Jahrhundert vor der Geburt eines jüdischen Sektenführers, der später als Jesus Christus eine weltumspannende Religion gründen sollte, ihren klassischen Höhepunkt längst überschritten hat. Ein bisschen zynisch kann die Zeit des „Hellenismus“ als „griechisches Zeitalter, in dem die Griechen keine Rolle spielten“ definiert werden. Gerhard Dobesch schreibt über die beginnende römische Kaiserzeit und den Niedergang des griechisch dominierten Ostens: „Das komplizierte Machtgefüge des Hellenismus brach vor Rom wie ein Kartenhaus zusammen. Der Hellenismus selbst erwies sich als äußerst überlebensfähig.“ Kleopatra war eine der letzten hellenistischen Herrscherinnen, die mitspielen wollte, die eine ptolemäische Herrschaft in einem ägyptischen Großreich sichern wollte. Den Preis dafür zahlte sie an die Schutzmacht Rom.

Diese Epoche wird einst mit unserer europäischen Gegenwart verglichen werden. Verfeinerte Kultur, Lebensart, Mode, Stil und Literatur werden in Paris, London und New York gelebt. Die wirtschaftliche und politische Macht aber konzentriert sich in den „neuen Roms“, die Peking oder Shanghai heißen.

Kleopatra war ein Kind des Hellenismus. Sie wurde etwa 69 v. Chr. als dritte Tochter des Ptolemaios XII. Auletes geboren. Sie hatte auch zwei Halbschwestern, die über Ägypten herrschten, Berenike IV. und Arsinoë IV. Letztere war nach einem Staatsstreich gegen ihren Vater an die Macht gekommen. Familienmitglieder wurden in diesen Kreisen als Konkurrenten um Macht und Geld, als potenzielle Mörder oder zu Ermordende eingestuft. Es ging in diesen Herrscherfamilien drunter und drüber.

Als Julius Cäsar im Jahr 47 v. Chr. Ägypten eroberte, versuchte Kleopatra ihre Machtstellung unter seiner Protektion zu erhalten – oder vielmehr wiederzuerlangen. Dafür war der 21-Jährigen jedes Mittel recht, denn ihre Chancen standen schlecht. Sie war vor ihrem Bruder und seiner Armee in die Syrische Wüste geflüchtet, lebte in einem schäbigen Zelt, unterstützt von einer Söldnerbande, weit weg vom Luxusleben eines Palastes. Sie hatte die Regentschaft mit ihrem gerade erst 13-jährigen Bruder teilen müssen, mit dem Kleopatra auch noch verheiratet worden war. Die Familienverhältnisse in diesen fernen Zeiten sind eigentümlich.

Die doppelten Bande verhinderten aber keineswegs, dass die Berater ihres Ehemann-Bruders – er hieß praktischerweise auch Ptolemaios, genauer der Dreizehnte – Kleopatra als höchst überflüssige Mitregentin einstuften und sie sich der Ermordung nur durch Flucht bis nach Syrien entziehen konnte. Ihre Versuche, sich mit ihrer Armee nach Alexandria durchzukämpfen, scheiterten an den Festungsmauern von Pelusium. Die Stadt lag im Altertum am östlichsten Nilarm und wird im Alten Testament „Sin, die Festung Ägyptens“ genannt. Kleopatras Lage war dementsprechend hoffnungslos.

Und ausgerechnet an diesem Ort sollte in diesen Tagen ein entscheidendes Kapitel des römischen Bürgerkrieges enden. Am Strand vor Pelusium landet der große Pompeius, erbitterter Gegner Cäsars im Bürgerkrieg. Geschlagen und bar jeder Truppen erhofft er sich vom ptolemäischen König Schutz gegen Julius Cäsar.

Eine Fehlkalkulation. Der ägyptische König – vielmehr seine Berater – wägen die Erfolgsaussichten der Unternehmung ab und setzen ihre Jetons auf Cäsar. Kaum an den Strand gewatet, ermorden sie den großen Pompeius, schlagen ihm sein Haupt ab und präsentieren die schauerliche Trophäe drei Tage später dem siegreichen Cäsar in Alexandria. Dieser soll darob nicht eben begeistert gewesen sein. Immerhin war Pompeius ein Römer gewesen, wenn auch Gegner und erbittert bekämpfter Todfeind, aber doch ein großer römischer General. Die nach Rom gesendeten Kuriere berichteten, Cäsar habe sich mit Schrecken abgewandt und angesichts des schon leicht verwesten Hauptes bittere Tränen geweint. Ein solch menschliches Rühren kam propagandistisch bei den Anhängern des Pompeius recht gut an, immerhin war ja der General und Konsul auch Cäsars Partner und Schwiegersohn gewesen.

Traurig, aber doch zufrieden konnte Cäsar einen strategisch günstigen Teil des Palastviertels beziehen, schließlich war den Bewohnern Alexandrias ja nicht zu trauen. Denn Cäsar war weniger Eroberer als Gefangener seiner gepriesenen Schnelligkeit. Er hatte sich mit relativ wenigen Truppen zu weit vorgewagt, saß im gewaltigen Palast von Alexandria und wurde von den Einheimischen monatelang belagert, ehe es seinen Legionen gelang, aus Syrien bis ins Nilland vorzudringen.

Für die rivalisierenden Parteien in der ägyptischen Hauptstadt beginnt ein Rennen um die Gunst des verhassten, aber mächtigen Römers. Kleopatra ist strategisch im Nachteil. Sie sitzt im Zelt vor Pelusium, kann nicht in die Hauptstadt. Doch dann hat ihr Vertrauter Apollodorus aus Sizilien eine brillante Idee. Sie wird die Truppen ihres Bruders austricksen, ein Boot bringt sie den Nil aufwärts bis Memphis, das heutige Luxor. In acht weiteren Tagen segelt sie einen anderen Nilarm abwärts zurück nach Alexandria. Um nicht erkannt zu werden, lässt sich die junge Königin in einen Ledersack (oder Teppich – die Überlieferung nimmt es nicht so genau) einrollen. Im Schutz der Dämmerung legt ein kleines Ruderboot an den Kaimauern an. Apollodorus nimmt seine Königin huckepack auf die Schulter und trägt sie in den Palast. So will es die Legende wissen.

In Cäsars Gemächern wird Kleopatra aus dem Ledersack gebeutelt. Daraus lässt sich schließen: Kleopatra war relativ klein und ziemlich schlank. Viel mehr wissen wir nicht über ihr Äußeres. Statuen und Bildnisse auf Münzen stellen sie mit einer ausgeprägten Nase dar, nicht unbedingt eine Schönheit nach klassischen Idealen. Ihr Auftritt gerät zum absoluten Coup. Gehen wir davon aus, dass sich die Königin nach ihrem Reiseabenteuer für den Auftritt vor Cäsar frisch gemacht hat. Der römische Herrscher ist jedenfalls beeindruckt. Eine wagemutige Aktion ist ganz nach seinem Geschmack.

Die junge Ptolemäerin hatte nur zwei Optionen: Gegen die römischen Eindringlinge zu kämpfen oder sich mit ihnen zu verbünden, um die Einheit und Selbstständigkeit des ägyptischen Reiches zu erhalten. Um gegen die militärische Übermacht und den Expansionsdrang Roms zu kämpfen, fehlten Kleopatra alle Mittel. So nutzte sie die eine Chance, unterwarf sich dem um Jahrzehnte älteren Feldherrn und gab ihm ein paar gute Gründe, die Ptolemäerin als Ägyptens Königin zu inthronisieren.

Julius Cäsar galt schon unter seinen antiken Zeitgenossen als Weiberheld. Und männliche Macht wurde damals auch durch die körperliche Unterwerfung von Frauen demonstriert. Im alten Rom besaßen Frauen nur sehr geringe Rechte. Eheschließungen dienten in Cäsars Kreisen der Macht- und Geldvermehrung. Von Liebe war keine Rede. Cäsar selbst war vier Mal verheiratet, opferte seine Ehen und seine Töchter für politische Allianzen.

An den Iden des März im Jahr 44 v. Chr. wurde schließlich der Diktator Julius Cäsar Opfer einer Verschwörung innerhalb seines engsten Kreises von Vertrauten. Es war eine blutige Intrige, ein Machtkampf um gewaltige Pfründe. Nicht das hehre Wohl der Republik trieb die Mörder an, sondern die Angst, ein allmächtiger Cäsar könne sich an ihren zusammengerafften ungeheuren Besitztümern bereichern, sie ermorden oder zumindest in die Verbannung schicken.

Rund um den römischen Jahresanfang verdichtet sich die Stimmung in Rom. Die Nervosität scheint zum Greifen. Es ist ruhig in der Stadt, ruhig wie vor einem Gewitter. Die „Iden des Mars“ werden in der römischen Tradition ausgelassen gefeiert. Das Ende des Winters, der Beginn eines neuen fruchtbaren Jahres lässt das Volk Hemmungen und Schranken überwinden. Es wird getrunken, gevöllert, die Triebe sprießen. Doch dieses Mal will diese Volksfeststimmung nicht aufkommen – Cäsars Frau habe von drohenden Gewittern geträumt. Nachträglich wird man Zeichen gedeutet haben, Vorboten einer Katastrophe. Dann: Am späten Vormittag verbreitet sich eine unglaubliche Botschaft wie ein Lauffeuer durch die enge Stadt. Der Imperator Cäsar wurde ermordet! Die Bevölkerung gerät in Panik. Krawalle erschüttern die Stadt. Unschuldige werden massakriert, Häuser verwüstet, die Senatoren verstecken sich. Und Cäsars „magister eqitum“ (der Stellvertreter des Diktators), Marcus Aemilius Lepidus, lässt das Forum Romanum von cäsartreuen Veteranen besetzen.

Julius Cäsar war zu mächtig geworden, viel zu mächtig. Dabei hatte gerade jener Senat, der sich von Cäsar bedroht fühlte, den Feldherrn und Konsul durch immer neue Ehrungen, Auszeichnungen und Lobpreisungen in liebedienerischer Art gleichsam den Menschen entrückt und ihn auf den Weg der „Vergöttlichung“ gedrängt. Formal war Cäsar erst vor wenigen Wochen für zehn Jahre zum Alleinherrscher, zum Diktator gewählt und bestellt worden. Dieser Vorgang war einmalig, erfolgte aber immer noch im Rahmen der staatsrechtlichen Möglichkeiten.

Kleopatra lebte während Cäsars letzter Jahre in Rom. Von ihrem Palast am Esquilin hatte sie einen guten Überblick über die Intrigen in der Hauptstadt des römischen Reiches. Ihre Anwesenheit und ihr durchaus nicht bescheidenes Auftreten wurden von alteingesessenen Polit-Clans als zusätzliche Bedrohung ihrer Macht empfunden. Sie war eine orientalische Königin in einer noch immer nach republikanischen Grundsätzen regierten Stadt. Sie war eine selbstbewusste Frau in einem Gemeinwesen, wo Männer dominierten. Sie war die exotische Geliebte eines römischen Diktators. Daheim eine Königin, in Rom eine Kurtisane. Kleopatra war reich, reicher als jeder Mann in der Tiber-Stadt. Und sie zeigte den Reichtum. Sie trug Schmuck, wie ihn noch keine Frau in Rom gesehen hatte (die besten Stücke ließ sie ohnehin in Alexandria). Plinius bezifferte den Wert der Perlen, die sie als Ohrgehänge vorzugsweise trug, mit 420 Talenten pro Stück. Bei den römischen Immobilienpreisen konnte man mit einer Perle eine fashionable Villa am Mittelmeer erstehen.

Kleopatra fiel aus allen Ordnungsrahmen. Sie war eine sichtbare Provokation. Sie war unter Cäsars Schutz unantastbar. So musste Cäsar selbst sterben.

Im Senat wird der Diktator auf seinem erhöhten Stuhl von Bittstellern umringt. Ein Dutzend Senatoren drängen zu Cäsar, ziehen Messer aus der Toga und stechen zu. Er schreit auf, wehrt sich, brüllt wie ein wildes Tier. Ins Gesicht, in die Brust, in den ganzen Körper dringen die Messerspitzen ein. Der Feldherr kann sich losreißen, stürzt auf den Marmorboden des Senats, seine Toga blutig, zerfetzt. Cäsar greift ein Stück seines Gewandes, verbirgt sein Gesicht. Die brechenden Augen des Sterbenden soll niemand sehen.

Für Kleopatra ist der Tod ihres Geliebten und politischen Beschützers eine Katastrophe. Sie verdankt ihr Reich und ihre Herrschaft über Ägypten Cäsars Legionen. Sie muss rasch handeln. Bei der Öffnung von Cäsars Testament erlebt sie eine Enttäuschung. Der Herrscher Roms erwähnt sie mit keinem Wort, erwähnt auch den gemeinsamen Sohn Cäsarion nicht. Cäsar setzt seinen Neffen Gaius Octavian zum Erben seines ungeheuren Vermögens ein. Die Villa und die Gärten, in denen Kleopatra lustwandelt, schenkt er dem römischen Volk. Zusätzlich erhält jeder erwachsene Römer 75 Drachmen. Die posthume Großzügigkeit Cäsars lässt die öffentliche Stimmung kippen. Cäsars Mörder fliehen aus der Stadt, einige werden gelyncht. Mark Anton, Stellvertreter des großen Cäsars, nimmt die Zügel fest in die Hand. Seine Rede vor dem Leichnam Cäsars geht in die Geschichte ein. Sie ändert den Lauf der Welt. Kleopatra verlässt Rom, sie fühlt sich nicht mehr sicher. Sie muss heim in ihr Reich nach Alexandria. Noch einmal wird sie Leib und Seele einem Mann unterwerfen, um ihre Macht zu sichern. Cäsars Epigone wird auch sein Nachfolger in Kleopatras Bett.

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Allan Massie, Cäsar – Brutus erzählt, München 1993.

Stacy Schiff, Cleopatra – A Life, New York 2010.

Abaelard und Heloisa
Die Liebe des Abts zur Äbtissin

Die Liebeslust währte nur wenige Wochen, vielleicht Monate. Das Liebesleid plagte Abaelard und Heloisa ein Leben lang. Der Theologe verführte seine Schülerin. Diese verehrte ihn, auch wenn er sie schlug.

Am Ende ihrer beider Leben wurden sie in einem Grab, später sogar in einem Sarg gemeinsam zur ewigen Ruhe gebettet. Während ihres Lebens waren die beiden zwar Mann und Frau, aber hunderte Kilometer voneinander getrennt – hinter Klostermauern eingesperrt.

Die Geschichte von Abaelard und Heloisa ist die Biografie einer großen Liebe, die Entdeckung sexueller Leidenschaft, eine menschliche Tragödie und ein geistesgeschichtlicher Kampf für die Vernunft und die reine Liebe, wider mittelalterliche Konventionen und theologische Zwänge.

Der Briefwechsel der beiden Liebenden stammt aus der Zeit um 1130. Überliefert sind die zwölf Briefe in Fassungen aus dem 13. Jahrhundert. Wer die Schreiben zusammengefasst, redigiert oder vielleicht neu „interpretiert“ hat, ist nicht mehr festzustellen. Die Geschichte von Abaelard und Heloisa hat aber ohnehin längst den Boden eines historischen Tatsachenberichts verlassen, ist aufgestiegen in die Legenden und Liebesmythen, vergleichbar nur mit Romeo und Julia, Tristan und Isolde, Paris und Helena.

Der Übergang vom 11. zum 12. Jahrhundert stellt eine Zeitenwende dar. Im christlichen Europa tobt der sogenannte „Investiturstreit“. Es ist die Entscheidungsschlacht um die Vormacht zwischen kirchlichen und weltlichen Machtbefugnissen. Woher nehmen Kaiser, Könige und alle anderen weltlichen Herrscher das Recht, über ihre Untertanen zu regieren? Von Gott – das ist im Hochmittelalter unbestritten. Doch hat Gott von den zwei Schwertern der Macht das geistliche dem Papst und das der weltlichen Herrschaft dem Kaiser übertragen? Oder beide Schwerter dem Papst als Stellvertreter Christi auf Erden gegeben und dieser hat es gnadenweise an den Kaiser weitergeleitet? Die Antwort auf diese – für Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts – eher merkwürdigen Fragen ist für das Mittelalter entscheidend. Es geht um Macht, Geld, Einfluss, es geht um die Vorherrschaft in der damaligen Welt.

Der 26-jährige deutsche König Heinrich IV. hat den Papst in Rom herausgefordert, ihn gar für abgesetzt erklärt. Gregor VII., ein früherer deutscher Mönch, schlägt mit der schärfsten Waffe zurück. Er verhängt den Kirchenbann über seinen weltlichen Rivalen und entbindet dessen Untertanen von ihrem Treueid. Es ist eine gefährliche Situation für Heinrich. Dieser muss auf hohem Ross und im Winter den gefährlichen Weg über die Alpen antreten. Er überrascht den Papst, der selbst auf dem Weg zu einem Fürstentag nach Augsburg ist. Gregor VII. flüchtet in die Burg Canossa am Nordhang des Apennins. Drei Tage lang „belagert“ der König in Eiseskälte die Burg. Schließlich gibt der Kirchenfürst nach. Er verlässt die Festung und trifft den „bußfertigen“ König. Der Papst muss Heinrich vom Kirchenbann lösen. Die scheinbare Erniedrigung des deutschen Königs vor einem deutschen Mönch wandelt sich zum diplomatischen Erfolg des weltlichen Herrschers. Der „Canossa-Gang“ wird die weltliche Vorherrschaft über die kirchlichen Machtansprüche de facto besiegeln.

Die Kirche selbst befindet sich wieder einmal in einer ernsten Krise. Der Kauf von Kirchenämtern ist Allgemeingut, Priester und Ordensleute ignorieren großflächig moralische Auflagen und den Zölibat, viele Klöster sind in Sittenlosigkeit verkommen. Reformen nach innen werden mit dem Angriff auf den islamischen Feind nach außen propagandistisch abgesichert. Der Konflikt zwischen Morgenland und Abendland eskaliert. Der erste Kreuzzug endet 1099 mit der Eroberung Jerusalems durch ein Ritterheer. Der Krieg bringt für Europa eine Erweiterung des religiösen, kulturellen, aber auch wirtschaftlichen Horizonts. Diese politische und intellektuelle Aufbruchsstimmung wird als „Renaissance des Mittelalters“ bezeichnet.

In dieser Zeit wird Pierre Abaelard 1079 in Le Pallet östlich von Nantes an der Mündung der Loire geboren, als erster Sohn einer bescheidenen Ritterfamilie. Eigentlich sollte Pierre wie sein Vater die Ritterlaufbahn einschlagen, vorher jedoch etwas lernen. Sein Vater schickte ihn zu Roscelin von Compiègne, einem später wegen Häresie verurteilten Mönch, der den Knaben für die Geisteswissenschaft begeistern kann. Pierre, oder lateinisch Petrus, will über Logik disputieren und zieht eine Gelehrtenlaufbahn dem Reiten, Stechen und Hauen vor. Nach seiner fünfjährigen Ausbildung reist der junge Mann durch die Lande. Den Wanderphilosophen – nichts Ungewöhnliches im Hochmittelalter – zieht es nach Chartres, damals ein Zentrum zeitgenössischer Gelehrsamkeit. Dort wird ihm der Name „Abaelard“ gegeben. Der Mann aus der Provinz fühlt sich immer stärker vom intellektuellen Zentrum seiner Zeit angezogen: Paris mit der Domschule von Notre-Dame auf einer Insel in der Seine, wo „von alters her diese Wissenschaft in höchster Blüte stand“, wie Abaelard in seinem ersten Brief, einer Art Autobiografie in Form eines „Trostbriefes“ („Historia Calamitatum“), an einen – wohl fiktiven – Freund schreibt.

http://www.suite101.com/content/the-romance-of-abelard-and-heloise-a85098#ixzz16thX4Rb6

www.abaelard.de