Harn- und Stuhlinkontinenz sind noch immer ein gesellschaftliches Tabu. Egal, in welchem Alter die Inkontinenz auftritt, die Betroffenen schämen sich, ihre Blase oder ihren Stuhl nicht kontrollieren zu können. Es ist ein Thema, über das man lieber schweigt.
Inkontinenz beeinflusst jedoch die Lebensqualität der Betroffenen entscheidend. Die Angst, ungewollt Urin oder Stuhl zu verlieren, ist ständig präsent. Die Angst, das Umfeld könnte es mitbekommen, treibt von Inkontinenz Betroffene in die Isolation. Eltern schämen sich für ihre Kinder, die ins Bett nässen oder stuhlinkontinent sind. Familien sind diesbezüglich großen Belastungen ausgesetzt. Pflegende Angehörige fühlen sich häufig im Stich gelassen, wenn Vater oder Mutter inkontinent und auf Pflege angewiesen sind.
Nicht zuletzt ist Inkontinenz, besonders bei älteren Menschen, oft ein Grund für eine ambulante Pflege oder sogar den Eintritt ins Pflegeheim. Inkontinenz ist jedoch keine hinzunehmende Alterserscheinung, obwohl die Praxis allerdings häufig zeigt, dass es noch Nachholbedarf bezüglich einer Kontinenzförderung in der Pflege gibt. Zu schnell werden älteren Menschen Inkontinenzhilfsmittel angeboten, obwohl es Möglichkeiten gibt, eine gewisse Kontinenz wieder zu erreichen. Auch im Alter ist eine Förderung der Kontinenz möglich, wenn die Rahmenbedingungen dementsprechend gestaltet werden und den älteren Menschen die nötige Unterstützung und aktivierende Pflege zu Teil wird.
Im Gegensatz zur Harninkontinenz, die bereits in den Medien thematisiert wird, z. B. was die Hilfsmittel betrifft, wird häufig alles tabuisiert, was mit Stuhlinkontinenz verbunden ist. Selbst in der Fachliteratur ist häufiger die Rede von Harninkontinenz als von Stuhlinkontinenz. Ein erwachsener Mensch hat seinen Darm „unter Kontrolle“ und stuhlinkontinente Menschen werden mit Kleinkindern verglichen und somit auf eine frühe Stufe ihrer Entwicklung gestellt. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Es ist an der Zeit, das Thema Inkontinenz öffentlich zu machen und über die Ursachen der Inkontinenz in jeder Altersstufe aufzuklären. Unkenntnis und Vorurteile sind häufig der Grund, warum sich inkontinente Menschen ausgegrenzt und hilflos fühlen.
Inzwischen gibt es sehr viele Möglichkeiten zur Prävention und Förderung der Kontinenz, die unbedingt zu nutzen sind. Neben speziellen Maßnahmen tragen allgemeine Maßnahmen wie eine gesunde Lebensweise, die Vermeidung von Stress und ausreichend Bewegung schon wesentlich zur Prävention und Kontinenzförderung bei.
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, auch wenn Geduld und Ausdauer gefragt sind. Dafür werden von Inkontinenz Betroffene mit neuer Lebensqualität und neuem Selbstwertgefühl belohnt.
Dabei spielt es keine Rolle, in welchem Alter die Inkontinenz auftritt. Kein Betroffener sollte seine Symptome einfach so hinnehmen, sondern sich informieren und für sich die geeignete Maßnahme zur Kontinenzförderung finden.
In diesem Buch werden verschiedene Möglichkeiten der Kontinenzförderung vorgestellt, die in der Praxis angewandt werden, sei es im häuslichen oder stationär pflegerischen Bereich.
Ein häufiger starker Harndrang, ungewollter Harnverlust, oft unbemerkt und durch den Willen nicht beeinflussbar wird auch mit den Begriffen „Blasenschwäche“, „Reizblase“ oder mit dem medizinischen Fachbegriff „Harninkontinenz“ beschrieben.
Frauen sind von einer Harninkontinenz häufiger betroffen als Männer. Nach den Wechseljahren, nach der Menopause, führt der Mangel am Sexualhormon Östrogen zu einer Rückbildung von Muskulatur und Bindegewebe im Urogenitaltrakt. Außerdem bildet sich im Alter die Muskulatur insgesamt zurück. Auch bei Geburten kann es zu Schädigungen der Muskulatur und des Beckenbodens kommen.
Das weibliche Becken ist grundsätzlich flexibler als das männliche Becken, Schwangerschaft und Geburt sind damit möglich. Der weibliche Beckenboden wird dadurch jedoch auch stärker beansprucht. Dies schwächt die Festigkeit des muskulären Beckenabschlusses.
Junge Frauen leiden häufig unter einer reinen Belastungsinkontinenz. Mit zunehmendem Alter treten eher Dranginkontinenz und Mischkontinenz auf. Bei Männern ist eine Belastungsinkontinenz selten, denn die Prostata sorgt für eine erhöhte Stabilität des Verschlusssystems. Eine Belastungsinkontinenz entsteht daher bei Männern oft durch äußere Einflüsse wie Operationen oder Unfälle.
Da der männliche Beckenboden nicht der Druckbelastung durch Schwangerschaft und Geburt ausgesetzt ist, sind junge Männer weitaus seltener von Harninkontinenz betroffen als Frauen. Bei ihnen tritt eine Harninkontinenz oft nur als Folge einer neurologischen Erkrankung (z. B. Schlaganfall, Querschnittslähmung) oder durch Blasen- und Harnröhrenverengungen, Harnsteine sowie Blasenentzündungen auf. Eine sogenannte angeborene männliche Inkontinenz aufgrund anatomischer Defekte ist ebenfalls selten und kann bereits im Kindesalter operativ korrigiert werden. Eine erschwerte Blasenentleerung mit Restharnbildung kann bei älteren Männern auf eine gutartige Vergrößerung der Prostata hindeuten.
Harninkontinenz ist ein „unwillkürlicher, ungewollter Urinabgang (zu ungelegener Zeit an unpassendem Ort)“ (Hafner & Meier 2009, S. 72). Nach der Definition der International Continence Society (ICS) ist der Urinabgang „unfreiwillig, objektivierbar, regelmäßig und bedeutet ein soziales Problem“ (Hafner & Meier 2009, S. 72). Damit ist jeder ungewollter Harnabgang gemeint, wenn es dem Betroffenen nicht möglich ist, Zeitpunkt und Ort der Blasenentleerung zu kontrollieren. Dabei kann der Harn entweder ständig oder nur in bestimmten Situationen tröpfchenweise abgehen.
Harninkontinenz stellt kein eigenes Krankheitsbild dar. Sie ist ein Symptom für eine zugrunde liegende Erkrankung des Harnsystems, das sich unterschiedlich äußern kann und unterschiedlich ausgeprägt sein kann.
Normalerweise wird die Blasenentleerung ganz bewusst durch unseren Willen gesteuert. Das heißt, wir können den Zeitpunkt, wann wir zur Toilette gehen, weitgehend selbst bestimmen, denn wir „merken“ normalerweise, wenn wir Wasser lassen müssen.
Die Blase zählt zu den „ableitenden Harnwegen“. Sie ist ein Hohlorgan, das hauptsächlich aus Muskelgewebe besteht. Sie ist flexibel, das heißt, sie kann sich ausdehnen. Diese Flexibilität ermöglicht es der Blase, Urin zu speichern, der in den Nieren gebildet und dann in die Blase weitergeleitet wird. Die Blase eines Erwachsenen kann etwa bis zu 500 ml Flüssigkeit fassen.
Am Beginn der Harnröhre befindet sich der Schließmuskel. Er ist normalerweise angespannt und verhindert, dass wir unkontrolliert Urin verlieren. Über Rezeptoren in der Blasenwand wird unserem Gehirn der Füllzustand der Blase gemeldet und ab einer gewissen Füllmenge verspüren wir Harndrang und suchen eine Toilette auf.
Bei der Blasenentleerung arbeiten die Muskeln der Blasenwand und der Schließmuskel koordiniert zusammen. Bei willentlich entspanntem und lockerem Schließmuskel zieht sich gleichzeitig der Muskel der Blasenwand zusammen und treibt den Urin aus der Blase. Nach vollständiger Entleerung der Blase entspannt sich der Blasenwandmuskel und der Schließmuskel verschließt die Blase durch Anspannung wieder.
Die Kraft des Schließmuskels ist normalerweise so groß, dass bei einsetzender Füllung der Blase der Urin gehalten werden kann. Auch bei Druckbelastungen im kleinen Becken wie Husten, Pressen oder schweres Heben hält die Kraft des Schließmuskels stand. Urin kann gehalten werden bis ein gewisser Füllstand wieder das Signal zum Harndrang gibt und wir wieder zur Toilette gehen. Voraussetzung dafür ist, dass das Zusammenspiel zwischen dem willentlich gesteuerten Nervensystem und den beteiligten Strukturen der Harnblase stimmt, ansonsten kommt es zu ungewolltem Harnverlust. Das bedeutet, wenn das Zusammenspiel der verschiedenen Muskeln und Nerven gestört ist, kommt es zur Inkontinenz.
Der Beckenboden ist der aus Bindegewebe und Muskeln bestehende Boden der Beckenhöhle beim Menschen. Die Muskulatur ist mit dem knöchernen Becken verbunden. Steißbein, Schambein und die beiden Sitzbeinhöcker bilden die äußeren Begrenzungen des Beckenbodens.
Der Beckenboden bildet den Verschluss des Beckenausgangs, welcher aus drei muskulösen Schichten besteht: äußere, mittlere und innere Beckenbodenmuskulatur.
Die innere Muskulatur verläuft zwischen dem vorne liegenden Schambein bis zum hinten liegenden Steißbein. Sie ist sehr stabil, denn auf ihr lastet der größte Druck durch die Organe. Die mittlere Muskulatur verläuft quer zur inneren Schicht zwischen den Sitzknochen und liegt unterhalb der Blase im vorderen Bereich des Beckens. Die äußere Muskulatur umgibt die Schließmuskeln des Afters und der Harnröhre. Bei Frauen umfasst sie außerdem die Scheide und bei Männern den Penisansatz.
Als Detrusor („Musculus detrusor vesicae“) bezeichnet man die Muskulatur, die an der Entleerung der Harnblase beteiligt ist. Man nennt die Detrusor-Muskulatur demnach auch „harnaustreibende Muskeln“.
Zum Beckenboden gehört auch der Damm. Bei Frauen befindet er sich zwischen Scheide und After, bei Männern zwischen Skrotum und After. Der Beckenboden gibt den Organen im Bauchraum den nötigen Halt und erfüllt dabei drei wesentliche Aufgaben: Anspannen und Entspannen der Muskulatur sowie Anspannung als eine Reaktion auf eine Druckerhöhung im Bauchraum (z. B. beim Husten, Niesen, Lachen, Heben schwerer Lasten usw.), wobei ein höherer Druck auch einen stärkeren Verschluss bedeutet.
Der Beckenboden muss demzufolge kräftig genug sein, um die Bauch- und Beckenorgane zu stützen, deren Lage stabil zu halten sowie die Schließmuskulatur von Harnröhre und After zu unterstützen. Außerdem muss sich der Beckenboden beim Stuhlgang und beim Wasserlassen sowie bei Frauen beim Geschlechtsverkehr und der Geburt öffnen können.
Die Bänder und Muskeln des Beckenbodens sind mit der Wirbelsäule verbunden. Haltungsfehler können daher die Spannung des Beckenbodens ebenso negativ beeinflussen.
Eine Harninkontinenz kann verschiedene Ursachen haben und weist daher auch unterschiedliche Symptome auf. Die Harninkontinenz wird in verschiedene Formen unterteilt. Zu den häufigsten Formen zählen (Tab. 1.1):
Tab. 1.1: Formen der Harninkontinenz
Form |
Merkmal/Ursache |
Belastungsinkontinenz/ |
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Ursache: schwache Beckenbodenmuskulatur |
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Dranginkontinenz/ |
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Ursache: überaktive oder überempfindliche Blase |
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Mischkontinenz |
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Überlaufinkontinenz |
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Ursache: Abflusshindernis (z. B. gutartige Vergrößerung der Prostata); Schwäche des Blasenmuskels (z. B. durch dauerhafte Überdehnung) |
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Neurogene Blasenentleerungsstörungen |
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Ursache: Nervenverbindungen zwischen Harntrakt und Gehirn/Rückenmark gestört |
Bei Frauen zählt die Belastungsinkontinenz, auch Stressinkontinenz genannt, zu den am häufigsten auftretenden Formen der Harninkontinenz. Bei der Belastungsinkontinenz verlieren die Betroffenen bei körperlicher Belastung, z. B. beim Husten, Niesen, Lachen, Heben von schweren Gegenständen oder auch bei sportlichen Aktivitäten kleine bis größere Mengen Urin.
Bei der Belastungs- oder Stressinkontinenz ist das Verschlusssystem der Blase gestört. Die Ursache dafür ist eine Schwäche der Beckenbodenmuskulatur. Das Muskelgeflecht, das den unteren Teil der Harnröhre sowie die Schließmuskeln der Harnblase und des Anus unterstützt, wird so stark beansprucht, dass die Betroffenen unfreiwillig Urin verlieren. Der äußere Blasenschließmuskel wird aufgrund der geschwächten Beckenbodenmuskulatur weniger unterstützt (siehe Kap. 1.2).
Dieses Problem tritt häufig bei Frauen auf, die mehrere Kinder geboren haben. Aber auch Übergewicht, Operationen oder hormonelle Veränderungen in den Wechseljahren können zu einer Schwächung der Beckenbodenmuskulatur führen. Die Belastungsinkontinenz oder Stressinkontinenz wird in drei sogenannte Schweregrade unterteilt (vgl. dazu Hafner & Meier 2009, S. 75):
1. |
Grad: |
Harnverlust beim Husten, Lachen und Niesen; |
2. |
Grad: |
Harnverlust beim Springen, Treppensteigen, schweren Heben und Tragen; |
3. |
Grad: |
Harnverlust im Liegen und beim Gehen. |
Mithilfe des „Pad-Tests“ (Vorlagen-Test, umgangssprachlich auch Windeltest) kann die Stärke des Urinverlusts bei einer Harninkontinenz bestimmt werden (vgl. dazu Racz 2002, S. 25).
Unter einer Dranginkontinenz ist ein plötzlicher, häufiger und ungewollter Harndrang zu verstehen, egal, ob der Betroffene sitzt, steht oder liegt. Der Betroffene kann die Toilette nicht rechtzeitig erreichen, da sich die Blase unkontrolliert entleert. Verantwortlich dafür ist entweder eine überaktive oder überempfindliche Blase.
Bei einer überaktiven Blase (= OAB – overactive bladder) zieht sich die Blasenmuskulatur ständig zusammen und signalisiert somit eine volle Blase. Dabei kann die Blase auch nur gering gefüllt sein und dennoch einen starken und willentlich nicht zu unterdrückenden Harndrang aufgrund einer Übererregbarkeit des Blasenmuskels auslösen.
Dem Gehirn wird die falsche Information übermittelt, dass die Blase voll sei und sie dringend geleert werden muss. Die Blasenwand zieht sich reflexartig zusammen, ohne dass dies die Betroffenen verhindern können. Gleichzeitig öffnen sich ebenfalls reflexartig die Schließmuskeln.
Bei der überempfindlichen Blase sind häufig Veränderungen in der Blasenwand, z. B. Entzündungen, die Ursache dafür, dass Falschmeldungen an das Gehirn weiter gegeben werden und es zu Störungen kommt.
Ursache hierfür können psychische Belastungssituationen (Stress, Aufgeregtheit) sein. Aber auch chronische Blasenentzündungen, Blasensteine, Nervenerkrankungen oder Stoffwechselstörungen können zu einer hyperaktiven Blase führen. Bei älteren Menschen kann auch eine fortgeschrittene Rückbildung des Blasenmuskels der Grund für eine überaktive Blase sein.
Patienten, die unter einer Überlaufinkontinenz bzw. Inkontinenz bei chronischer Retention, leiden, hatten meist schon vorher Probleme mit dem Wasserlassen. Bei der Überlaufinkontinenz kann die Blase nicht mehr richtig entleert werden, Restharn verbleibt, der wiederum ständigen Harndrang auslösen kann. In der Folge kann es bei ihnen nun zu einem sogenannten „Harntröpfeln“ kommen. Eine willentliche Blasenentleerung ist kaum mehr möglich, denn die Blase läuft sozusagen über, wenn sie stark gefüllt ist, daher das „Tröpfeln“. Verschiedene Ursachen können zu einer Überlaufinkontinenz führen:
Diese Ursache kommt bei Männern häufiger vor. Der Grund ist eine gutartig vergrößerte Prostata, die bei den meisten Männern ab einem Alter von etwa 40 Jahren zu wachsen beginnt. Die Beschwerden können dann mit dem Alter zunehmen. Die vergrößerte Prostata kann die Harnröhre zusammendrücken, so dass eine Überlaufblase entsteht.
Eine Schwäche des Blasenmuskels ist bei Frauen die häufigste Ursache für eine Überlaufinkontinenz. Dafür können verschiedene Gründe verantwortlich sein (vgl. Hafner & Meier 2009, S. 78):
Wenn ständig neuer Urin produziert wird, der nicht ablaufen kann, kommt es irgendwann zu einem Rückstau in den Nieren, der die Nieren schädigen kann bis hin zu einer Urosepsis. Ein Rückstau muss unbedingt verhindert bzw. behandelt werden!
Bei neurogenen Blasenentleerungsstörungen funktioniert das Zusammenspiel zwischen dem Blasenmuskel und dem Schließmuskel der Harnröhre nicht mehr. Ursache kann eine unvollständige Blasenhalsöffnung oder eine Querschnittläsion sein.
Eine Reflexinkontinenz entsteht, wenn die Nervenverbindungen zwischen Harntrakt und Gehirn/Rückenmark gestört sind. Es ist keine willentliche Blasenentleerung mehr möglich, sondern die Entleerung erfolgt reflexartig. Dabei wird zwischen einer spinalen Reflexinkontinenz, wo das Rückenmark betroffen ist, und einer supraspinalen Reflexinkontinenz, wo das Gehirn betroffen ist, unterschieden. Je nachdem, welcher Bereich betroffen ist, können die Auswirkungen unterschiedlich sein.
Häufig treten auch Mischformen auf, das heißt die Patienten leiden sowohl an einer Belastungsinkontinenz als auch unter einer Dranginkontinenz. Eine Form steht dabei meist im Vordergrund, behandelt werden aber beide. Häufig werden tagsüber kleinere Mengen Urin verloren. Es besteht leichter Harndrang und Urin kann auf dem Weg zur Toilette abgehen.
Eine ausführliche Diagnostik ist die Voraussetzung für eine adäquate Therapie sowie für spezielle Maßnahmen zur Kontinenzförderung (Tab. 1.2). Die allgemeine Anamnese ist der Ausgangspunkt bei der Diagnostik einer Harninkontinenz.
In einem Arzt-Patienten-Gespräch sollte offen über das Problem der Harninkontinenz gesprochen werden und ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, welches schließlich die Basis für eine erfolgreiche Therapie ist.
Im Aufnahmegespräch geht es vor allem um die Abklärung individueller Miktionsgewohnheiten, der medizinischen Vorgeschichte, Begleiterkrankungen und Lebensgewohnheiten. Bei Frauen spielen außerdem Schwangerschaft, Geburt und Wechseljahre eine Rolle. Mithilfe einer Miktionsanamnese können vorliegende Speicher- bzw. Verschlussprobleme der Harnblase erkannt werden. Trink- und Miktionsgewohnheiten des Patienten werden analysiert, z. B. in welchem Verhältnis die tägliche Trinkmenge und die Anzahl der Toilettengänge am Tag und in der Nacht zu einander stehen, bzw. auch das Zurückhalten von Urin sowie das Pressen beim Wasserlassen. Die Toilettengänge werden in einem sogenannten Miktionsprotokoll über 2 bis 3 Tage vom Patienten dokumentiert (Anhang A). Der Arzt kann daran den Schweregrad und die Form der Harninkontinenz einschätzen. Eine weitere Form der Diagnostik ist die klinische Untersuchung, hierbei wird auf Entzündungen oder Schleimhautveränderungen geachtet. Sie beinhaltet (APO-GEPHA Arzneimittel GmbH, 2012):
Zur Diagnostik gehört außerdem eine Urinuntersuchung mit einem frischen Mittelstrahlurin am Morgen, um eventuell Blut, Eiweiß und Bakterien im Urin nachzuweisen sowie den pH-Wert zu bestimmen.
Mithilfe einer Sonografie kontrolliert der Facharzt bei gefüllter und leerer Blase die oberen und unteren Harnorgane, vor allem die Nieren und Harnleiter. Damit sollen ebenfalls Entzündungen oder Transportstörungen ausgeschlossen werden.
Tab. 1.2: Basisdiagnostik der Harninkontinenz
Allgemeine Anamnese |
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Miktionsanamnese |
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Miktionsprotokoll |
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Klinische Untersuchung |
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Urinuntersuchung |
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Sonografie |
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Die Ergebnisse der hier aufgeführten Untersuchungen können bereits Aufschluss über die Form und Ursache der Harninkontinenz geben. Ist das nicht ausreichend oder haben anschließende Therapien nicht zum gewünschten Erfolg geführt, sind u. U. weiterführende diagnostische Maßnahmen bei einem Urologen erforderlich (Tab. 1.3).
Bei der Blasenspiegelung (Zystoskopie) werden Blase und Harnröhre endoskopisch untersucht. Mithilfe dieser sogenannten Video-Urethrozystoskopie kann der Blasenschließmuskel untersucht werden. Außerdem wird die Blase auf Veränderungen wie z. B. Fremdkörper, Tumoren oder Entzündungen überprüft.
Um die Funktionsweise der Harnblase zu überprüfen, findet eine Urodynamik statt. Während sich die Blase füllt, wird der Blasendruck in Ruhe und bei Anstrengung gemessen. Dabei können unwillkürliche Kontraktionen des Blasenmuskels erkannt werden, z. B. beim Husten. Der Arzt sieht außerdem, ob und wie viel Urin der Patient beim Füllen der Blase verliert sowie die Größe des Blasenvolumens.
Bei der weiterführenden Diagnostik einer Harninkontinenz werden auch Bildgebende Verfahren eingesetzt. Über Ultraschall- als auch Röntgenuntersuchungen der Blase und Harnröhre werden u. a. Fisteln, Harnröhrenverengungen, Prostatavergrößerungen und unvollständige Entleerungen der Blase sichtbar gemacht. Eine Möglichkeit, den Harnfluss während der Blasenentleerung zu messen, bietet die Uroflowmetrie. Besteht der Verdacht, dass die Ursache der Harninkontinenz Störungen des Nervensystems sein könnten, sind neurologische Untersuchungen notwendig. Ergänzend können Laboruntersuchungen durchgeführt werden, z. B. zur Bestimmung des Blutzuckerspiegels oder um Infektionen und andere Erkrankungen der Harnblase auszuschließen.
Tab. 1.3: Weiterführende Diagnostik
Zytoskopie |
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Urodynamik |
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Bildgebende Verfahren |
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Uroflowmetrie |
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Laboruntersuchungen |
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Die Therapie richtet sich gewissermaßen nach der Diagnostik und nach den Ursachen der bestehenden Inkontinenz.
Nach Möglichkeit werden konservative Behandlungsmethoden angewandt. Dazu gehören z. B.
Das Katheterisieren ist keinesfalls als Therapie zu verstehen, sondern als Möglichkeit zur Versorgung, wenn keine Therapie erfolgreich ist. Es geht dabei lediglich darum, den Abfluss des Urins sicherzustellen, um Nierenschäden zu vermeiden!
Zu den operativen Behandlungsmethoden zählen z. B.
Eine Sphincterprothese (Prothese des Schließmuskels) kommt bei schweren Störungen des Harnröhrenverschlusses in Betracht und ist sowohl für Frauen als auch Männer geeignet. Dazu wird ein hydraulisches System mit einer manuell zu betätigenden Pumpe in den Hoden bzw. in die Schamlippen implantiert.
Medikamente werden vor allem bei der Behandlung von Dranginkontinenz eingesetzt. Sie wirken dem Parasympathikus entgegen, wobei sich der Blasenmuskel entspannt und der Druck in der Blase reduziert wird. Diese Medikamente ermöglichen dem Betroffenen somit ein gezieltes Blasentraining (siehe Kap. 3.3.1). Sie sind verschreibungspflichtig und der Arzt sollte die Behandlung sorgfältig überwachen.
Bei der Belastungsinkontinenz werden vor allem Medikamente eingesetzt, die den Schließmuskelmechanismus der Blase kräftigen. Die Wirkung dieser Stoffe auf die Muskeln ähnelt der des Sympathikus, der für die Anspannung des Schließmuskels der Blase zuständig ist. Bei Frauen können auch weibliche Geschlechtshormone (Östrogene) die Harninkontinenz lindern.
Bei der Reflexinkontinenz kommen Medikamente zum Einsatz, die die spontanen Aktivitäten der Harnblasenmuskulatur hemmen können. Sie enthalten dieselben Wirkstoffe, die auch gegen Dranginkontinenz einsetzbar sind.
Im Zusammenhang mit der Überlaufinkontinenz beim Mann, können Medikamente mit sogenannten Alphablockern hilfreich sein, die Blase frühzeitig zu entleeren und ein Überlaufen zu verhindern.
Stuhlkontinenz bedeutet die „Fähigkeit, den Darminhalt und Verdauungsgase willentlich zurückzuhalten und abzusetzen“ (Herold et al. 2005, S. 9). Das bedeutet, bei einer Stuhlinkontinenz ist die Fähigkeit, den Darminhalt zu kontrollieren, eingeschränkt oder verlorengegangen. Die Betroffenen leiden an Gasabgang, gelegentlichen, leichten Verschmutzungen der Wäsche mit Spuren von Kot bis hin zum ungewollten Verlieren auch festen Stuhls. Die Symptome sind sehr unangenehm und beeinträchtigen die Lebensqualität erheblich. Das Leben eines Menschen mit Stuhlinkontinenz kann sich dramatisch verändern. Betroffene haben Angst, fühlen sich unsicher, schämen sich und geben sich die Schuld. Aber auch das Umfeld, z. B. Angehörige, kann mit Ekel, Ärger oder vor allem Unverständnis auf den Verlust der Kontrolle über die Ausscheidungen reagieren.
Hinzu kommt die Tabuisierung des Themas Stuhlinkontinenz. Betroffene Patienten leiden möglicherweise über mehrere Jahre darunter, bevor sie sich einem Arzt anvertrauen. Es ist ihnen peinlich und ihre Beschwerden beeinflussen schließlich ihr gesamtes soziales Leben.
Dennoch handelt es sich vermutlich um eine sehr häufige Erkrankung, die eben aufgrund ihres Tabus zu wenig in die Öffentlichkeit gerückt wird. „In Deutschland muss mit einer Zahl von 5 Millionen gerechnet werden, die, in unterschiedlicher Ausprägung, an Stuhlinkontinenz leiden“ (DKG 2011b, S. 4). Die Betroffenen fühlen sich allein und oft hilflos, bevor sie endlich den Schritt zum Arzt wagen. Dabei kann vielen Stuhlinkontinenz-Patienten bereits mittels konservativen (nicht operativen) Therapiemethoden geholfen und ausreichende Behandlungsresultate erzielt werden.
Gerade jüngere Menschen leiden sehr unter den Symptomen einer Stuhlinkontinenz, denn Inkontinenz allgemein wird häufig als Phänomen des Alters gesehen. Dabei kann jeder betroffen sein, egal welchen Alters.
Tatsächlich tritt die Stuhlinkontinenz bei geriatrischen und psychiatrischen Patienten häufiger auf. „Frauen sind im Verhältnis von 4–5:1 häufiger betroffen als Männer“ (ebd.).
Eine Stuhlinkontinenz äußert sich nicht bei jedem Menschen gleich. Es wird zwischen verschiedenen Schweregraden unterschieden (Tab. 2.1). Tabelle 2.1 stellt eine in der Literatur übliche allgemeine Einteilung der Stuhlinkontinenz dar. Häufig treten Mischformen oder Übergangsformen auf.
Tab. 2.1: Verschiedene Schweregrade der Stuhlinkontinenz (Quelle: vgl. Herold et al. 2005, S. 10)
Grad I |
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Grad II |
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Grad III |
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