Titel
Zu diesem Buch
Leserhinweis
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Widmung
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Teil 2
11
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Teil 3
27
28
29
30
31
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33
34
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36
37
Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Emma Scott bei LYX
Impressum
Be My Tomorrow
Roman
Ins Deutsche übertragen
von Stephanie Pannen
Vor zehn Jahren wurde Zeldas Leben zerstört, seitdem versucht sie vergeblich, mit der Trauer und der Schuld klarzukommen. Ihren Schmerz verarbeitet sie in einer Graphic Novel. In der Hoffnung, dort einen Verlag zu finden, fährt sie nach New York. Doch niemand will ihre Geschichte veröffentlichen. Als sie auch noch ausgeraubt wird, ist Zelda völlig am Boden zerstört. Aber dann trifft sie auf Beckett, der zwei Jahre im Gefängnis saß und sich nun als Fahrradkurier mehr schlecht als recht über Wasser hält. Auch er trägt die Last einer Schuld, die ihn nicht loslässt. Da Beckett mit der Miete im Verzug ist, überredet Zelda ihn, sie als Mitbewohnerin aufzunehmen. Aus ihrer Zweckgemeinschaft wird schon bald Freundschaft, und Zelda merkt, dass sie es mit Becketts Hilfe endlich schafft, der Geschichte ihrer Graphic Novel das Leben einzuhauchen, das ihr fehlte. Zum ersten Mal seit Jahren verspürt sie Hoffnung auf Vergebung … und vielleicht sogar Liebe. Zelda und Beckett beginnen ihre Herzen füreinander zu öffnen – bis zu dem Moment, an dem sie gezwungen werden, sich zu entscheiden, ob sie an ihrem Schmerz festhalten oder dem Glück eine Chance geben wollen.
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.
Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
21 Pilots: Heathens
Journey: Don’t Stop Believing
Frank Sinatra: My Way
Prince: Purple Rain
Blondie: One Way Or Another
Chicago: You’re The Inspiration
Frank Sinatra: I’ll Be Home For Christmas
Oasis: Wonderwall
Fitz and The Trantrums: HandClap
Rag ’n’ Bone Man: Human
The Cinematic Orchestra: To Build A Home
Für Robin, meinen Leuchtturm im Nebel.
Ich mag gelegentlich vom Weg abgekommen
und ziellos umhergewandert sein,
doch dank dir war ich nie verloren.
»Meine Rache ist meine Schuld.«
Ovid: Metamorphosen
29. November
»Kein Herz«, flüsterte ich in meinen Mantelkragen.
Ein eisiger Wind heulte durch die belebte New Yorker Straße, peitschte meine langen schwarzen Haare nach hinten und riss mir die Worte aus dem Mund. Meine Augen brannten, aber das kam nur vom Wind. Ich weinte nicht. Nie. Nicht mal, nachdem ich von drei der größten Comic-Verlage in Manhattan abgewiesen worden war. Meine Augen tränten vom Wind.
Drei Absagen in zwei Tagen. Die leitenden Redakteure der einzelnen Verlage verschmolzen in meiner Erinnerung zu einem einzigen Mistkerl, der mit arrogant hochgezogenen Augenbrauen meine Arbeit betrachtete. Ein bisschen beeindruckt, aber nicht beeindruckt genug.
»Interessantes Konzept und ausgezeichnetes Artwork. Aber nein.«
Die dritte Absage, von BlackStar Publishing, wurde jedoch von einem winzigen Hoffnungsschimmer begleitet. Der leitende Redakteur war zwar nicht interessiert, doch nach dem Treffen zog mich seine Assistentin beiseite. Iris Hannover wirkte kaum älter als ich mit meinen vierundzwanzig Jahren, mit dunklem Haar, rotem Lippenstift, modischer Brille und hartem Blick. Einem harten Blick, aber keinem gemeinen. Sondern eher einem, als würde sie mich mustern.
»Es ist noch nicht mal Dezember, aber alle sind schon im Feiertagsmodus«, hatte Iris gesagt. »Wenn Sie es noch einmal überarbeiten und mir innerhalb der nächsten paar Wochen die Storyboards liefern können, sorge ich dafür, dass mein Chef einen zweiten Blick darauf wirft.«
»In welche Richtung soll ich es überarbeiten?«, fragte ich.
»Sie haben da etwas Interessantes.« Iris tippte auf meine Zeichenmappe. »Ihr Stil ist fantastisch, aber der Story fehlt etwas. Sie ist reine Prämisse, sie hat keinen Herzschlag. Finden Sie das Herz!«
»Kein Herz«, flüsterte ich erneut.
Blinzelnd sah ich auf die 6th Avenue, wo sich ein langsamer Tross aus Pkws und Taxis in Richtung Uptown bewegte. Alles war grau. Der Himmel, der Bürgersteig, die Gebäude. Eine trostlose Stadtlandschaft in Kohle und schwarzer Tinte, in der das einzige Detail, an das sich der Kolorist erinnert hatte, das Gelb der Taxis war. Passanten rempelten mich an, gegen die Kälte dick eingemummelt mit Mützen und Schals. Sie eilten vorbei, denn anders als ich wussten sie, wohin sie gingen und was als Nächstes kam.
Ich presste meine Zeichenmappe fester an mich. Darin befand sich meine Seele. Die Skizzen für meine Graphic Novel Mutter, darf ich …?
Und sie hat kein Herz.
Ich musste zugeben, dass sie nicht rührselig oder gefühlsbetont war. Keine Romanze, keine Tränen. Es war pure Gewalt und Action. Eine dystopische Zeitreisegeschichte über blutige Rache. Die Mission meiner Heldin bestand darin, Pädophile und Kindesentführer aufzuhalten, bevor diese zuschlagen konnten. Sie tat es, um ihre Seele vor der Schuld und der Reue zu retten, mit der sie seit der Ermordung ihres eigenen Kindes leben musste. Es gab keinen Ritter in glänzender Rüstung, der auftauchen und das für sie erledigen würde.
War es nicht das, was die Leser wollten? Eine Jessica Jones oder Black Widow? Eine toughe Heldin, die ihren Gegnern in den Hintern trat und keinen Mann brauchte, sondern sich selbst rettete? Nein, sie wollten Herz. Viel Glück damit. Mir hatte man das Herz aus der Brust gerissen, als meine damals neunjährige Schwester Rosemary an einem Sommernachmittag vor zehn Jahren aus einem Supermarkt in Philadelphia entführt wurde. Dort, zwischen den Regalen mit Müsli und Suppen, hatte eine Horrorshow begonnen, der ich hilflos hatte zusehen müssen, ohne sie aufhalten zu können. Ich hatte sie hängenlassen, und die Schuldgefühle fraßen mich seitdem von innen auf wie ein Krebsgeschwür. Mutter, darf ich …? war aus diesem unerträglichen Schmerz heraus entstanden.
Es hieß entweder zeichnen oder meinen verdammten Verstand verlieren.
Iris, die Assistentin bei BlackStar, wollte in ein paar Wochen die überarbeiteten Storyboards haben. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich das Herz der Geschichte finden sollte, und auch keinen guten Arbeitsplatz dafür. In den letzten drei Tagen hatten mein Essen, die Taxigebühren und die Miete des heruntergekommenen Hostels, in dem ich untergekommen war, meine Ersparnisse aufgefressen wie ein Heuschreckenschwarm. Ich könnte nach Las Vegas zurückkehren, doch das würde sich wie die absolute Niederlage anfühlen.
Ich brauchte einen ruhigen Ort, um einen klaren Kopf zu bekommen. Diese Ecke der 6th Avenue war dafür nicht geeignet. Ich wischte mir mit dem Ärmel über die brennenden Augen – blöder Wind – und trat mit erhobener Hand an die Bordsteinkante, um ein Taxi zu rufen. Dann fielen mir meine schwindenden Finanzmittel ein.
Keine Taxis mehr, Miss Money Bags, schalt ich mich selbst. Ich würde mich der U-Bahn oder dem Bussystem stellen müssen.
Ich überquerte die Straße zur U-Bahn-Station und nahm die Treppe nach unten. Es war nur eine kurze Fahrt von Midtown bis zum Hostel in der Nähe von Port Authority. Ich stieg an der richtigen Station aus und ging die Straße voller Pornoläden, Headshops und Kautionsagenturen entlang.
Es gab keinen Park in der Nähe des Parkside Hostels, dafür befand es sich aber über einem winzigen Laden, der Touristenkitsch verkaufte: Sweatshirts und Schneekugeln, Schlüsselanhänger und Spardosen in Form der Freiheitsstatue.
Als ich hier vor drei Tagen das erste Mal aus dem Taxi gestiegen war, hatte mich der ganze Touristennepp zum Lächeln gebracht. Ich war so naiv gewesen, eine geschmacklose Postkarte mit der Aufschrift »Ich komm groß raus im Big Apple!« zu kaufen. Sie war unglaublich kitschig, aber sobald mich einer der großen Verlage für Mutter, darf ich …? unter Vertrag genommen hatte, wollte ich diese Postkarte Theo schicken, meinem Freund und ehemaligen Boss aus dem Tattoostudio in Vegas, in dem ich gearbeitet hatte. Sie hätte ihn zum Lachen gebracht.
Nach zwei Schritten in den schmuddeligen Eingangsbereich des Hostels mit seinen dreckigen Fliesen und flackernden Halogenlampen konnte ich bereits Gebrüll und laute Musik von oben hören. Ich konnte kaum hier schlafen, geschweige denn arbeiten.
In meiner ersten Nacht im Parkside hatte ich das Zimmer für mich gehabt. Ich hatte die langen Stunden wie Tom Hanks in Big verbracht: die wacklige Kommode vor die Tür geschoben und in Embryonalstellung auf dem Bett liegend. Ich hatte versucht, mich so klein wie möglich zu machen, während ich einer Küchenschabe dabei zugesehen hatte, wie sie über den Boden gerannt war. Starr vor Angst.
Aber ich hatte nicht geweint.
Ich schloss die Tür zu meinem Zimmer auf. Das helle Rot und Gelb der Postkarte, die ich für Theo gekauft hatte, war das Erste, was mir ins Auge fiel. Das Zweite war, dass abgesehen von dem, was ich am Leibe trug, alle Kleidungsstücke, die ich nach New York mitgebracht hatte, auf dem Boden verstreut lagen, zusammen mit meinen Reisefläschchen Shampoo, Seife und Lotion, ja sogar dem Etui mit der Antibabypille. Das Zimmer hatte zwei Schließfächer. Die Tür des mir zugewiesenen war aufgebrochen und hing nur noch an einer Angel. Am zweiten Abend war eine Zimmergenossin hereingestürmt, hatte ihren Namen gebrummt – Jane – und einen verschlissenen Schlafsack auf ihr Bett fallen lassen. Dann hatte sie einen blauen Seesack in das andere Schließfach gestopft und war wieder verschwunden. Seitdem hatte ich sie nicht mehr gesehen.
Jetzt war ihr ganzes Zeug weg.
»Was zum …?«
Mein Herz begann zu rasen, und ich lief schnurstracks nach unten zum Empfang, der eher einem Kartenschalter in der U-Bahn glich. Mit zitternder Hand klopfte ich gegen die Plexiglasscheibe, um den Manager auf mich aufmerksam zu machen. Es handelte sich um einen gelangweilt wirkenden Typen mit beginnender Glatze und Bierbauch. Er blätterte gerade durch ein Pornomagazin und paffte einen Zigarrenstummel. Der Rauch erfüllte das Häuschen, in dem er saß, und quoll aus dem runden Loch, durch das Geld und Schlüssel gereicht wurden.
»Mein Zimmer«, sagte ich. »Jemand ist in mein Zimmer eingebrochen. Die haben meine Sachen durchwühlt. Die Frau, die auch da geschlafen hat, ist weg, genau wie ihre Sachen. Vielleicht war sie es?«
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte – vielleicht das gleiche Maß an Empörung. Oder zumindest ein wenig Besorgnis. Stattdessen seufzte der Kerl laut auf und legte sein Magazin beiseite. »Meine Güte. Haben Sie daran gedacht, die verdammte Tür Ihres Fachs abzuschließen?«
Ich starrte ihn an. »Was? Ja. Natürlich«, sagte ich und fühlte, wie ein Teil meiner Angst durch Wut ersetzt wurde. »Ja, ich hab die verdammte Tür abgeschlossen, aber jemand hat sie aufgebrochen.«
»Scheiße«, sagte der Kerl. »Wurde was gestohlen?«
»Ich weiß nicht«, gab ich zu. »Ich bin ausgeflippt und direkt hergekommen.«
Seit ich hier angekommen war, hatte ich viele dumme Dinge getan, doch zumindest hatte ich mein Geld nicht in diesem Hostelzimmer gelassen. Das befand sich in einer flachen Gürteltasche, die ich unter meiner schwarzen Hose trug. Meinen Laptop und meine Zeichenmappe trug ich bei mir. Die einzigen anderen Wertgegenstände waren meine Zeichenutensilien …
Oh mein Gott.
Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Kopf wich, als wäre ich eine Skizze, aus der man die Farbe zog. »Oh nein. Oh scheiße, nein.«
Panik trieb mich wieder nach oben. Ich war mir undeutlich der schweren Schritte des Managers hinter mir auf der Treppe bewusst. Ich ging meine Sachen durch, und die Vorstellung, dass irgendein Fremder meine Kleidung – meine Unterwäsche – angefasst hatte, verursachte mir Übelkeit. Aber es war noch alles da. Wertvoll waren nur mein Caban-Mantel und meine Stiefel, die ich natürlich trug. Doch meine Zeichenutensilien waren weg. Mein tragbares Zeichenbrett, meine Stifte, mein Zeichenblock …
Warum? Warum stiehlt jemand Papier und Stifte?
Weil sie teuer waren. Mein wertvollster Besitz. Die Werkzeuge, mit deren Hilfe ich meine Kunst erschuf. Es fühlte sich an, als ob mir plötzlich Finger fehlten.
»Ist was weg?«, fragte der Manager.
»Alles.« Mir drehte sich fast der Magen um, und ich konnte kaum noch atmen. »Sie haben alles gestohlen.«
Der Manager gab ein skeptisches Brummen von sich. »Sieht gar nicht so aus für mich. Da ist doch noch jede Menge Zeug.«
Es ist aus. Es ist alles aus.
Ich schluckte die Tränen herunter und begann meine Kleidung auf einen Haufen zu werfen.
»Rufen Sie jetzt die Polizei?«, fragte ich beiläufig, während ich meine Habseligkeiten zusammensuchte. »Oder hat hier jeder freien Zugang zu den persönlichen Gegenständen Ihrer Gäste?« Ich hielt inne und sah mich um. »Moment. Wo ist mein Koffer? Wo zum Teufel ist mein Koffer?«
Von meinem brandneuen schwarzen Rollkoffer – einem Geschenk von einem meiner Mitbewohner, als ich Vegas verließ – fehlte jede Spur.
»Der wurde auch mitgenommen«, sagte ich. »Irgendjemand hat meinen Koffer und meine Zeichenausrüstung gestohlen.« Ich drehte mich zu dem Manager um. »Nein, nicht irgendjemand. Sie. Die Frau, die Sie zu mir ins Zimmer gesteckt haben. Die muss es gewesen sein, richtig?«
»Wahrscheinlich.« Der Manager seufzte und zog ein Handy aus seiner Tasche.
Eine halbe Stunde später trafen zwei Polizisten ein. Ich hatte in der Lobby gewartet, meine Kleidung und Toilettensachen in einem schwarzen Müllsack auf meinem Schoß. Die Cops nahmen meine Aussage auf und meinten, sie würden die anderen Zimmer durchsuchen, fanden aber nichts.
»Die andere Frau hat unter Jane Doe eingecheckt«, sagte der Manager. »Geschrieben D-O-U-G-H.«
»Jane Dough?« Ich warf dem Manager einen finsteren Blick zu. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
Der Kerl zuckte mit den Schultern. »Sie hat bar bezahlt. Da hätte sie sich von mir aus auch Mutter Teresa nennen können.«
Mutter Teresa hatte irgendwann heute Morgen ausgecheckt und war bereits über alle Berge.
»Wir lassen Sie es wissen, falls wir etwas herausfinden«, sagte einer der Polizisten. Sein Lächeln war aufrichtig, aber ich konnte den Subtext hören. Machen Sie sich bloß keine Hoffnungen.
Der Manager hob abwehrend die Hände, um zu verdeutlichen, dass er mit der ganzen Angelegenheit nichts zu schaffen hatte. Der Haftungsverzicht, den ich beim Check-in unterschrieben hatte, sicherte ihn rechtlich ab, und das wusste er. Doch nachdem die Cops gegangen waren, sah er mich mit diesem verdammten Müllsack auf dem Schoß allein herumsitzen, und sein Gesichtsausdruck wurde ein bisschen freundlicher.
»Hey, Kleine«, sagte er. »Wie wäre es mit einer kostenlosen Übernachtung? Ist das Mindeste, was ich tun kann.«
Fast hätte ich ihm gesagt, wohin er sich seine kostenlose Übernachtung stecken konnte, doch die Sonne ging bereits unter. Wo hätte ich sonst hingehen sollen?
Philadelphia ist mit dem Zug nur zwei Stunden entfernt.
»Meinetwegen«, blaffte ich den Manager an, um den Gedanken nicht weiterführen zu müssen. »Ich nehme die kostenlose Übernachtung, aber ich will ein Einzelzimmer.«
Er kratzte sich mit seinen dicken, wulstigen Fingern das Kinn, dann nickte er. »Ja, ja, okay.«
In meinem neuen Zimmer warf ich den Müllsack auf das Doppelbett und sah mich um. In einer Ecke standen ein winziger Schreibtisch und ein Stuhl, aber in der Schublade war kein Schreibzeug.
Ich habe weder Stift noch Papier.
Während ich mich bemühte, meine Tränen zurückzuhalten, benutzte ich mein Handy, um meine Optionen durchzurechnen. Ich hatte noch siebenhundert Dollar. Wenn ich nach Vegas zurückfuhr – Bloß nicht heulen, Rossi! –, würden schon mal dreihundert Dollar für das Busticket draufgehen. Noch mal dreihundert für mein Zimmer in der Wohngemeinschaft.
Wenn ich in New York blieb, würden meine siebenhundert Dollar keine vierundzwanzig Stunden reichen. Wohnungskautionen waren hier so teuer, dass ich den restlichen Monat kein Geld mehr hätte. Und hier in diesem Hostel konnte ich auf keinen Fall bleiben und versuchen, meine Graphic Novel zu überarbeiten.
»Womit denn auch?«, fiel mir verbittert ein. Meine Zeichenutensilien waren weg. Jedes Mal, wenn ich daran dachte, versetzte es mir einen Stich ins Herz, gefolgt von der schmerzhaften Erkenntnis, dass es mich mindestens fünfzig Dollar kosten würde, Papier und Stifte zu besorgen, die nicht totaler Mist waren.
Ich ließ mein Handy auf die steife orangefarbene Bettdecke fallen, denn meine Berechnungen waren fertig. Das Fazit: Ich war erledigt. Ich würde nach Las Vegas zurückkehren müssen, in mein altes Zimmer in dem überbelegten Apartment mit den ständig wechselnden Mitbewohnern. Theo würde mich bestimmt wieder im Tattoostudio anstellen, aber ich wollte nicht. Ich hatte die Schnauze voll von Tätowierungen. Ich hasste es, meine Kunst aufstehen und aus der Tür spazieren zu sehen, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Ich wollte etwas, was ich in Händen halten konnte. Etwas, das die ganze Welt sehen konnte …
Deine Blödheit wird nur noch von deinem Stolz übertroffen.
Wieder drohten mir Tränen in die Augen zu steigen, also stand ich vom Bett auf, bevor ich losheulte. Ich stopfte den Müllsack mit meinen Habseligkeiten in das Schließfach und schlug es zu. Zeit fürs Abendessen.
Ich musste mich geschlagen geben, fand aber, dass mir die Stadt zumindest noch eine anständige Mahlzeit schuldete, bevor ich nach Vegas zurückkehrte. Ich schnappte mir meine Zeichenmappe und verließ das Zimmer.