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Gustav Freytags kulturhistorisches Hauptwerk Bilder aus der deutschen Vergangenheit erschien zuerst in vier Bänden bei Hirzel 1859–1867 in Leipzig. Der daraus entnommene Textausschnitt »Der Dreißigjährige Krieg« entspricht den ersten sechs Kapiteln des dritten Bandes Aus dem Jahrhundert des großen Krieges (1600–1700). Der Text folgt hier der Ausgabe Leipzig: Fikentscher [o. J.]. Orthografie und Interpunktion wurden auf neue Rechtschreibung umgestellt.
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© 2017 Anaconda Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Umschlagmotiv: Jan Maertszen de Jonghe (1609–1647),
»Gustav Adolf in der Schlacht bei Dirschau, 1627« (Öl auf Kupfer, 1634),
Kungl. Husgeradskammaren, Stockholm / akg-images
Umschlaggestaltung: Harald Braun, Berlin
ISBN 978-3-7306-9167-0
V002
www.anacondaverlag.de
Einleitung
1. Das Heer
2. Soldatenleben und Sitten
3. Die Dörfer und ihre Geistlichen
4. Die Kipper und Wipper und die öffentliche Meinung
5. Die Städte
6. Der Friede
Das Jahr 1600 fand ein Volk, das in den letzten hundert Jahren eine ungeheure Wandlung durchgemacht hatte. Überall ist der Fortschritt zu erkennen. Man vergleiche ein ernstes Buch von 1499 und 1599. Das Erstere in schlechtem Latein geschrieben, dürftig der Wortvorrat, schwerfällig die Darstellung, nicht leicht verständlich der Sinn. Von selbstständigem Geist, von eigener Überzeugung nur wenig Spur. Um alte Schulphrasen, deren Bedeutung erst durch ein Studium ihrer allmählichen Entwicklung klar wird, übt sich der Scharfsinn im unnützen Distinguieren von Nebensachen; es ist ein greisenhaftes Wesen, fast wie in dem absterbenden Altertum. Wohl gibt es Ausnahmen, aber sie sind sehr selten. Selbst das Latein der älteren Humanisten erinnert an die spitzfindige Blödigkeit der Mönchssprache ebenso sehr als an die kunstvollen Phrasen antiker Rhetoren. Von den wenigen, welche für das Volk deutsch schreiben, wird am liebsten die Torheit der Menschen geschildert, die Fehler der Stände, belehrend oder in Beispielen, selbst bei Sebastian Brant langsam, einförmig. Einmal überrascht in der Theologie das Aufleuchten einer tiefsinnigen Spekulation von erhabenster Größe, aber sie ist eine Art Geheimlehre für die resignierten Seelen im Zwange des Klosters. Wohl ist es Philosophie, aber noch getrennt vom Leben.
Ein Jahrhundert später erkennt man auch in dem mittelmäßigen Schriftsteller eine selbstständige Persönlichkeit. Der Verfasser ist gewöhnt, über den Glauben und das Erdenleben nachzudenken, er versteht seine Empfindungen, auch leise Bewegungen der Seele darzustellen, er kämpft für eine eigene Überzeugung, er ist in Glauben und Wissen, in Liebe und Hass eine Individualität geworden. Noch bleibt auch er regelmäßig an das Gemeingültige gebunden. Ängstlich ist der Theologe bemüht sich orthodox zu erweisen, mehr als billig eignet sich der Schriftsteller die Arbeiten seiner Vorgänger zu, noch hat das Urteil, die Gelehrsamkeit und Bildung für unsere Empfindung viel Monotones. Aber daneben erscheint überall Individuelles und Charakteristisches, in der Prosa ein eigener, oft origineller Stil, fast immer ein kräftiger, rühriger Menschenverstand. Drei Generationen haben für den Glauben gekämpft, viele Einzelne sind für ihre Überzeugung in den Tod, Tausende in das Elend gegangen. Der Märtyrer ist nicht mehr ein unerhörtes Ding, ein Monstrum, es gehört zum Wesen des Mannes, in den höchsten Fragen eigenes Urteil zu vertreten. Hundert Jahre früher waren es wenige starke Seelen, welche ihr selbstständiges Leben gegen die gemeingültige Mittelmäßigkeit setzen durften, im Volke lebten die Einzelnen vor sich hin, ohne gemeinsame Ideen, ohne Begeisterung; im fest geschlossenen Kreise der Genossen seinen Vorteil suchen, sich gegen unleidlichen Druck auflehnen, das war der Inhalt ihrer Kämpfe gewesen. Jetzt aber ist in die Nation der Enthusiasmus gekommen, der Einzelne empfindet sich in engem Zusammenhange mit Millionen, er wird getragen durch die Beistimmung aller Gleichgesinnten, er handelt und leidet für eine Idee. – So viel größer waren die Menschen geworden, zunächst in den protestantischen Landschaften; doch auch den katholischen war ein Teil dieses Segens gekommen.
Aber jede höhere Entwicklung erzeugt auch neue Verbildungen; das Kind ist frei von mancher Krankheit, welche den Leib des Jünglings durchschüttelt. Der Protestantismus, der so Großes im Volke getan, war noch lange nicht in seinen letzten Konsequenzen entwickelt. Er forderte unablässige innere Tätigkeit der Individuen, er drängte überall zu freier Selbstbestimmung, und doch konnte er sich noch nicht über das unleidlichste Prinzip der alten Kirche erheben. Auch er wollte noch den Glauben seiner Angehörigen beherrschen und jede abweichende Überzeugung als Ketzerei verfolgen. Luthers Riesennatur hatte die eifrigen Geister zusammengehalten, er selbst hatte vorhergesagt, dass sie nach seinem Tode nicht fest bleiben würden. Er kannte seine treuen Gehilfen genau, ihre Schwächen, den Drang nach eigenen Wegen*. Melanchthon, fest in seiner Wissenschaft und in den Störungen, welche das Tagesleben brachte, aber befangen und unsicher in großen Geschäften, vermochte dem Feuergeist der Entschlossenen nicht zu imponieren. Auf jenem Reichstage, der zu Augsburg 1547 begann, hatte der siegreiche Kaiser in seiner Weise auch den Streit der Kirchen einzufrieden gesucht, er hatte eine vorläufige Feststellung der Glaubensnormen, das Interim, den geschlagenen Protestanten aufgedrängt. Vom Standpunkt der Katholiken mit äußerster Toleranz, die nur erträglich war, weil sie allmählich zur alten Kirche zurückführen sollte, vom Standpunkt der eifrigen Protestanten mit unerträglicher Tyrannei, der auch da zu widerstehen war, wo sie über solche Kirchenfragen entschied, welche selbst Luther für unwesentlich, für Adiaphora gehalten hatte. Gegen diese Tyrannei erhoben sich überall die geistigen Führer der Opposition. Hunderte von Predigern ließen sich aus ihrem Amte treiben und pilgerten am Stecken ins Elend, mehr als einer fiel als Opfer der wütenden Reaktion. Es war die Heldenzeit des protestantischen Glaubens, ein großer Anblick noch für uns; einfache Prediger, Väter mit Weib und Kind, welche für eine männliche Überzeugung leiden; sie haben, so hoffen wir, diese Opferfähigkeit in Deutschland für alle Zeiten in die Seele des Volkes gelegt. Bald sollten ihnen Tausende von Laien nachfolgen.
Aber diese Erhebung der Seelen brachte auch eine Gefahr. Das Interim wurde der Anfang heftiger theologischer Streitigkeiten unter Luthers Anhängern selbst. Unhold ist der Verlauf dieser Händel, die besten Geister wurden verbittert und rieben ihre Kraft auf in einem Hader, für dessen einzelne Streitsätze wir uns nicht mehr begeistern können. Und doch soll man von diesem Kampfe der Zeitgenossen und Schüler Luthers nicht gering denken. Es sind tüchtige Männer, welche gegeneinander stehen, große Überzeugungen, sittlicher Ernst. Wenn es peinlich ist, den Amsdorf gegen Bugenhagen, und den Flacius, der noch vor Kurzem hebräischer Lektor Wittenbergs gewesen war, gegen Melanchthon selbst im Streit zu sehen, so soll man sich auch sagen, dass das Ausbrechen der Gegensätze gerade die erste Folge des ungeheuren inneren Fortschrittes war. Jeder der feurigen Streiter klagte so schmerzlich, dass die Gegner die Einheit der neuen Kirche zerrissen. Keiner ahnte, dass diese Zerstörung der Einheit zwar ein großer Übelstand für sein Herrschergelüst, aber kein geringer Fortschritt in der Charakterentwicklung der Deutschen war.
Der Kampf der Männer wurde auch ein Kampf der Universitäten: Die Nachkommen Friedrichs des Weisen hatten mit dem Kurhut auch die Universität Wittenberg verloren, Melanchthon und die Wittenberger standen unter dem Einfluss des politischen Moritz und seines Bruders, die eifrigsten Lutheraner sammelten sich auf der neuen Universität Jena.
Aber diesem Geschlecht leidenschaftlicher Männer folgte eine andere Generation von Epigonen. Um das Ende des Jahrhunderts schien der deutsche Protestantismus in den meisten Landschaften sicher vor äußeren Gefahren; da kam den Geistlichen übergroße Selbstgefälligkeit, Herrschsucht, alle Fehler eines privilegierten Standes. Einflussreiche Ratgeber schwacher Fürsten, immer noch Beherrscher der öffentlichen Meinung, verfolgten sie selbst zuweilen den Andersgläubigen mit den Waffen der alten Kirche. Sie riefen einige Male die weltliche Macht gegen die Ketzer auf, der Pöbel stürmte in Leipzig Häuser der Reformierten, in Dresden wurde ein höfischer Geistlicher wegen Ketzerei, freilich auch aus politischen Gründen, sogar hingerichtet. So warf das neue Leben auch tiefe Schatten in die Seelen des Volkes.
Auch in den katholischen Territorien regte sich ein stärkeres, fremdartiges Leben. Die katholische Kirche schuf aus sich heraus eine neue Zucht der Geister, eine Methode menschlicher Bildung, die der protestantischen scharf entgegengesetzt war. Auch in der alten Kirche wurde eine größere Vertiefung des inneren Lebens erreicht, dem gemütlichen Bedürfnis der Gläubigen wurde die uralte Lehre von der Gefolgschaft der Mannen Christi in neuen Formeln, Bildern und Verheißungen geboten, noch einmal wurde die Idee der allein selig machenden Einheit wirksam. In Spanien, in Italien erhob sich die neue Religiosität, auch sie voll Hingabe, Opfermut, voll Talent, Kampfesfreude, voll glühender Begeisterung, reich an starker Männerkraft. Aber es war jetzt ein Glaube für Romanen, nicht für Deutsche. Was er forderte, war Vernichtung der freien Persönlichkeit, Losreißen von allen Banden der Welt, schwärmerische Devotion, willenloses Einordnen des Mannes in die große Gefolgschaft Christi. Das einzelne eigene Leben hatte sich zum Opfer zu bringen für die Herrschaft der allein selig machenden Kirche, ohne Kritik, ohne Skrupel. Während der Protestantismus die Individuen so hoch fasste, dass er jedem die Pflicht auflegte, selbstständig von innen heraus Anschluss an das Göttliche und Verständnis der Welt zu suchen, umschloss der neue Katholizismus das Wesen des Einzelnen mit eherner Hand. Der Protestantismus war, trotz aller Loyalität der Reformatoren, im innersten Wesen demokratisch, der neue Katholizismus konzentrierte alle Menschenkraft, deren rücksichtslose Hingabe er forderte, in einer geistigen Tyrannis, unter der Herrschaft der Obern in der Kirche, bald auch im Staat. So stark war die Spannung der Gegensätze zwischen Deutschen und Welschen.
Der große Vertreter dieser neuen Richtung in Kirche und Staat war der Jesuitenorden. In der leidenschaftlichen Seele eines spanischen Edelmanns brannte das düstere Feuer der neuen katholischen Lehre auf, unter asketischen Bußübungen im engen Verkehr einer kleinen Genossenschaft bildete sich das System. Im Jahre 1540 bestätigte der Papst die Gesellschaft, kurz darauf eilen die ersten Mitglieder des Ordens über die Alpen und den Rhein nach Deutschland, schon herrschen sie auf dem Konzilium zu Trient. Ihre rücksichtslose Entschlossenheit kräftigt die Schwachen, erschreckt die Wankenden. Merkwürdig schnell richtet sich der Orden in Deutschland ein, wo noch alter Glaube unter dem neuen zu finden war, er erlangt Gunst bei den Vornehmen, Zulauf vom Volke. Einige Fürsten übergeben ihm die geistliche Herrschaft ihrer Länder, vor allen die Habsburger, neben ihnen deutsche Kirchenfürsten, welche die schwankende Treue ihres Gebietes nicht durch einheimische Kraft festigen können, endlich die Herzöge von Bayern, welche seit hundert Jahren gewöhnt waren, den Vorteil ihres Hauses im engen Anschluss an Rom zu suchen. Als die Väter zuerst nach Deutschland hinüberfliegen, war die ganze deutsche Nation auf dem Wege protestantisch zu werden; noch beim Beginn des Dreißigjährigen Krieges waren nach Verlusten und Erfolgen auf beiden Seiten drei Vierteile Deutschlands ganz oder in der Majorität protestantisch. Im Jahre 1650 war der ganze neue Kaiserstaat wieder katholisch, und außerdem das größte Drittteil von Deutschland. So gut hatten die fremden Priester ihrer Kirche gedient.
Einem Wunder gleich war ihre Tätigkeit. Vorsichtig, Schritt für Schritt, planvoll, fest entschlossen, nie schwankend, dem Sturme weichend, unermüdlich wiederkehrend, nie das Begonnene aufgebend, nach größtem Plane auch das Kleinste mit Aufopferung betreibend, bot diese Genossenschaft die einzige Erscheinung einer unbedingten, willenlosen Hingabe aller an eine Idee, die nicht in einem Einzelnen sich ausdrückte, sondern in der Genossenschaft. Der Orden herrschte, aber jeder Einzelne war unfrei, auch der Ordensgeneral war verantwortlich.
Der Orden erwarb Ehre und Gunst, wohl verstand er sich beliebt oder unentbehrlich zu machen, wo er hinkam; aber er blieb in Deutschland doch fremd. Das Unheimliche des furchtbaren Prinzips empfanden nicht nur die Protestanten, welche ihn ohne Aufhören mit ihren papiernen Waffen, den Flugschriften, zu bändigen suchten und für jede politische Untat, die aus der Nähe und Ferne berichtet wurde, verantwortlich machten. Auch in den katholischen Ländern blieb er ein Gast, ein einflussreicher, viel gepriesener, aber den Geistlichen und Laien kam von Zeit zu Zeit die Empfindung, dass er nicht zu ihnen gehöre. Alle geistlichen Genossenschaften waren national geworden, Benediktiner, Kreuzherren, Bettelmönche – die Jesuiten nicht. Es ist natürlich, dass in der katholischen Geistlichkeit selbst diese Empfindung am stärksten war, denn auch ihr irdischer Vorteil wurde oft durch die Jesuiten beeinträchtigt.
So stehen seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zwei entgegengesetzte Methoden der Bildung, zwei verschiedene Quellen der Sittlichkeit und Tatkraft gegeneinander im Kampfe: Devotion und unbedingte Unterordnung gegen Pflichtgefühl und prüfende Selbstbestimmung, schneller, rücksichtsloser Entschluss gegen gewissenhaftes Zweifeln, weit überlegte, planvoll nach weiten Zielen hinarbeitende Energie gegen mangelhafte Disziplin, Drang zur Einheit gegen Streben nach Separation.
So erschienen die Gegensätze überall, zumeist in der Politik, an den Höfen der Fürsten. Den deutschen Fürsten war der Protestantismus in seiner unfertigen Gestalt keine Hilfe für Bildung ihres eigenen Charakters. Er hatte das Volk gehoben, er hatte auch die äußere Macht der Fürsten höher gestellt, aber er hatte ihre innere Festigkeit verringert. Schon ihre Jugendbildung wurde in der Regel zu theologisch, um praktisch zu sein. Wie unsittlich manche von ihnen waren, sie alle litten an Gewissenszweifeln; für diese Zweifel aber gab es keine schnelle Antwort, wie der katholische Beichtvater sie bereitet hatte. Wie begehrlich viele von ihnen waren, auch sie hatten bereits mit einem unsicheren Pflichtgefühl zu ringen, und wenn der Hofprediger ihr stiller Ratgeber war, er machte sie nicht fester. Jeder der protestantischen Fürsten stand für sich, zwischen ihren Landeskirchen war kein festes Band, viel kleines Gezänk und bitterer Hass, nicht nur zwischen Lutheranern und Reformierten, sogar zwischen den Bekennern der Augsburgischen Konfession. Auch dies verringerte ihre Kraft. Während die Priester der katholischen Kirche ihre Regenten fest aneinander banden, halfen die protestantischen Geistlichen die Trennung ihrer Fürsten vermehren. So ist kein Zufall, dass die Protestanten lange Zeit, wo sie den Altgläubigen in politischem Kampfe gegenüberstehen, im Nachteil sind. Noch war den Deutschen der neue Staatsbau nicht gefunden und er sollte noch durch Jahrhunderte entbehrt werden, welcher den Schwerpunkt der Regierung aus dem zufälligen Willen des Herrschers heraushebt und in das Gewissen der Nation legt, welcher in geordneter Bahn den talentvollen und tüchtigen Bürger der Krone zum Beirat stellt; noch war die öffentliche Meinung schwach, die Tagespresse nicht geschaffen, das Verhältnis zwischen den politischen Rechten des Fürsten und des Volkes wenig bestimmt.
Und noch in der neuen Zeit, welche den deutschen Staaten diese lang entbehrte Grundlage gegeben hat, vermögen wir zu erkennen, dass der Gegensatz zwischen den beiden Methoden der Bildung nicht ganz geschwunden ist; noch heute steht feste Geschlossenheit der Verwaltung, ein schlagfertiger Mechanismus, in einzelnen Fällen eine schweigsame, konsequente, rücksichtslose Politik gegen das Wesen des protestantischen Staats, welches den Herrscher zwingt zu sprechen und zu hören, seine Entschlüsse nach der Majorität der Bildung zu richten, zuweilen ein großes Wollen zu beschränken, wenn es dem Volk nicht verständlich ist. Dagegen macht dasselbe höhere Prinzip auch die Torheiten der Regierenden weniger schädlich, und wenn es vielleicht ungeschickt ist, ferne Gefahr durch geheime Tat abzuwehren, so macht es dafür die Kraft des Widerstandes größer, den Staat dauerhafter; denn der politische Anteil des Einzelnen vergrößert seine Opferfähigkeit und adelt seine politische Sittlichkeit. Aber so weit war der Protestantismus um das Jahr 1600 noch lange nicht durchgebildet; nur in den Gemütern lag er, und es kam darauf an, wie schnell ihm die allgemeinen Verhältnisse Deutschlands eine kräftige Entwicklung gestatten würden.
Er war durch Karl V. in die politische Opposition gedrängt, und er blieb in dieser Stellung. Nicht immer erschien die Politik der Habsburger der alten Kirche günstig. Oft intrigierte der Papst auch gegen sie und ihre italienischen Ansprüche. Ja, in dem zweiten Nachfolger Karls, Maximilian II., lebte eine freie Bildung und ein wahrhaft kaiserlicher Sinn, der Deutschland wohltat und die vorübergehende Hoffnung erregte, dass eine Versöhnung der großen Parteien im deutschen Sinne nicht unmöglich wäre. Aber selbst den freiesten des Geschlechts bezwang zuletzt das Interesse seines Hauses. Italien, Spanien, Ungarn und die Türkei, Freunde und Gegner zogen immer wieder in eine undeutsche Politik hinab. Und was am wichtigsten war, das Hausinteresse drängte gegenüber den eigenen Landschaften in dieselbe Richtung.
Überall hatte der Protestantismus auch politische Erschütterungen hervorgebracht; vom Bauernkriege bis in das nächste Jahrhundert hinein hörten die Zuckungen im Volke nicht auf. Die Reformation hatte die Zungen gelöst, sie hatte den Deutschen auch das Urteil über ihre bürgerliche Stellung freier gemacht, sie hatte dem Einzelnen den Mut gegeben, die eigene Überzeugung durchzufechten. Wie der Bauer jetzt laut über die unerschwinglichen Lasten murrte, so der zünftige Bürger über die eigennützige Herrschaft der Stadtgemeinde, so auch das adlige Mitglied der Landschaft über die ungemessenen Geldforderungen des Kriegsherrn. Schnell war mit Luthers Beistimmung die wilde demokratische Bewegung von 1525 niedergeschlagen worden, aber die demokratischen Tendenzen waren deshalb nicht geschwunden, und neben ihnen schlich das Wesen der Wiedertäufer, der Sozialisten des 16. Jahrhunderts, von Stadt zu Stadt. Ihre Lehre, kaum in ein System zu fassen, in jeder Persönlichkeit anders gefärbt, vom harmlosen Theoretiker, der sich ein Gemeinwesen aus guten Bürgern ohne Eigennutz, voll Selbstverleugnung erdachte, wie schon der talentvolle Eberlin getan, bis zu dem ruchlosen Fanatiker, der zu Münster das neue Zion aufrichten half mit lügenhafter Gemeinschaft der Güter und Vielweiberei: Diese Lehre fand in jeder großen Stadt Demagogen, auf dem Lande war sie unausrottbar. Karl V. hatte sie in den Reichsstädten Süddeutschlands nicht ganz vernichten können, in Lübeck war sie sogar auf eine kurze Zeit zur Herrschaft gekommen. Auch diese Regungen hatten gegen das Ende des Jahrhunderts an Kraft verloren, aber sie arbeiteten noch in der Bevölkerung, zumeist in den Gegenden, wo die protestantische Opposition der Stände gegen den altgläubigen Landesherrn das Volk in Aufregung erhielt. So war es in Böhmen, in Mähren, in Oberösterreich. Je eifriger die Habsburger durch die Jesuiten den alten Glauben wiederherzustellen suchten, ja auch wenn sie wie Kaiser Rudolf in Untätigkeit gewähren ließen, desto mehr wurden sie im eigenen Lande bedrängt durch die Forderungen der ständischen Opposition, wie durch die Aufregung im Volke. Und wohl erkannten sie einen drohenden Zusammenhang dieser Opposition in allen Besitzungen ihres Hauses. So waren ihnen nur zwei Wege geöffnet. Entweder sie mussten selbst Protestanten werden, und das war ihnen längst unmöglich; oder sie mussten die gefährliche Lehre und die Ansprüche, welche sie in die Seelen der Menschen warf, mit Entschlossenheit vernichten, in ihrem eigenen Lande, überall. Der Habsburger kam, welcher das versuchte.
Unterdes war der Mut der alten Kirche durch große Siege, die sie in anderen Ländern erfochten hatte, hoch gestiegen. Das heftige Aufbrennen der ständischen Opposition in kaiserlichen Ländern unter schwachen Regenten drängte die Freunde der Kirche zu gemeinsamem Handeln. Gegen die drohende Offensivbewegung der katholischen Partei vereinigten sich protestantische Fürsten, wie einst zu Schmalkalden, wieder zu einer Union; die katholische Partei antwortete durch die Liga; den Protestanten aber lag die Verteidigung, der Liga ein Angriff am Herzen.
Das war die politische Lage Deutschlands vor dem Dreißigjährigen Kriege; eine trostlose Lage. Das Missbehagen war allgemein, ein Zug von Trauer, die Neigung, Übles zu prophezeien, sind bedeutsame Zeichen dieser Zeit. Jeder tückischen Mordtat, die durch ein Flugblatt dem Volk verkündet wird, ist eine Betrachtung über die schlechte Zeit angehängt; aus zahlreichen Predigten und erbaulichen Schriften schallt schmerzliche Klage über die Verderbtheit der Menschen, die unseligen, argen, letzten Jahre vor dem Weltende. Und doch ist, wie wir deutlich erkennen, die Sittenlosigkeit im Lande nicht auffallend größer geworden. Der Wohlstand ist in den Städten, selbst auf dem Lande im Wachstum, es wird viel regiert, überall bessere Ordnung, größere Sicherheit des Daseins. Allerdings hat sich mit dem Reichtum Genusssucht und Luxus vermehrt, schneller dringen neue Moden ein, auch in den untern Schichten des Volkes erwacht die Begehrlichkeit, mannigfaltiger ist das Leben und teurer, und häufiger zeigt sich Gleichgültigkeit gegen das Gezänk der Geistlichen. Uns gilt dies nicht als ein nationales Unglück, es ist die nicht immer anmutige Folge größerer Ansprüche, ja sogar Bedingung des materiellen Fortschritts. Anders erschien es den Zeitgenossen. Auch die Besseren sind verdüstert, auch so freudige Naturen wie der ehrliche Bartholomäus Ringwaldt werden zu Unglückspropheten und wünschen sich den Tod.
Und doch hatte solche Trauer die höchste Berechtigung. Es war etwas krank im Leben der Deutschen, auf ihnen lastete ein Unverstandenes, das auch die Bildung der Besten verkümmerte. Es ist wahr, die Lehre Luthers war der größte geistige Fortschritt, den Deutschland je durch einen Mann gemacht hat, aber mit jeder Erweiterung der Seele steigern sich auch die Forderungen an das Leben. Der idealen Neubildung musste eine entsprechende Fortbildung der irdischen Verhältnisse folgen, die größere Selbstständigkeit im Glauben forderte gebieterisch eine stärkere politische Kraftentwicklung. Gerade die Lehre aber, welche wie die Morgenröte eines besseren Lebens erschienen war, sollte dazu beitragen, dem Volke das Bewusstsein seiner politischen Ohnmacht zu geben, und sie selbst sollte durch diese Ohnmacht einseitig und engherzig verbildet werden. In zahllose Territorien unter schwache Fürsten geteilt, überall von kleinlichem Gezänk umgeben und angefüllt, fehlte der deutschen Seele, was ihr zum fröhlichen Gedeihen unentbehrlich ist, eine allgemeine Erhebung, ein großes gemeinsames Wollen, das Gebiet von sittlichen Aufgaben, welches den Menschen vorzugsweise freudig und mannhaft macht; die Deutschen hatten ein Vaterland ungefähr von Lothringen bis zur Oder, aber sie lebten in keinem Staate wie die Bürger der Elisabeth oder Heinrichs IV.
So gingen die Deutschen schon innerlich erkrankt in einen Krieg von dreißig Jahren. Als der Krieg endete, war wenig von der großen Nation übrig. Noch hundert Jahre sollten die Nachkommen der Überlebenden die männlichste Empfindung entbehren, politische Begeisterung.
Luther hatte sein Volk aus den epischen Lebensformen des Mittelalters herausgehoben. Der Dreißigjährige Krieg zerstörte die Volkskraft und isolierte die Deutschen zu Einzelleben, deren gemütliche Beschaffenheit man wohl eine lyrische nennen darf. Es ist eine traurige, freudenleere Zeit, welche hier nach Berichten der Zeitgenossen geschildert werden soll.
*Nikolaus von Amsdorf, Antwort auff Doct. Pommer’s scheltwort. 1548. 4.
Der Gegensatz zwischen habsburgischem Hausinteresse und deutschem Volkstum, zwischen dem alten und neuen Glauben musste zu einer blutigen Katastrophe führen. Wer aber fragt, wie doch ein solcher Krieg durch ein ganzes Menschenalter rasen und so furchtbare Erschöpfungen einer starken Nation verursachen konnte, der wird die auffallende Antwort finden, dass der Krieg deshalb so groß, schrecklich und endlos wurde, weil keine von allen hadernden Parteien imstande war, großen und entscheidenden Krieg zu führen.
Die Heere des Dreißigjährigen Krieges hatten im besten Fall die Stärke eines modernen Armeekorpses. Tilly hielt 40 000 Mann für die höchste Truppenzahl, die sich ein Feldherr wünschen könne. Nur in einzelnen Fällen hat ein Heer diese Stärke erreicht, fast alle großen Schlachten wurden durch kleinere Massen entschieden. Zahlreich waren die Detachierungen, sehr groß der Abgang durch Gefechte, Krankheiten, Flucht. Und da kein geordnetes System der Ergänzungen bestand, schwankte der wirkliche Bestand der Armeen in höchst auffälliger Weise. Einmal zwar vereinigte Wallenstein eine größere Truppenmacht – den Angaben nach 100 000 Mann – unter seinem Oberbefehl, aber nicht in einem Heer, ja kaum in militärischem Zusammenhang; denn die zuchtlosen Banden, mit welchen er im Jahre 1629 die deutschen Territorien dem Kaiser unterwerfen wollte, lagen über halb Deutschland zerstreut. Eine solche Soldatenmasse erschien allen Parteien als gräuliches Wagnis. Sie war in der Tat nicht zu bändigen. Seitdem hat kein Feldherr auch nur die Hälfte befehligt*.
Denn noch galt es für bedenklich, mehr als höchstens 40 000 Mann in einer Schlacht zu leiten, auf einem Kriegstheater zu erhalten. Die Schlacht war ein Kampf kunstvoll rangierter Massen, die Aufstellung selbst erforderte viel Zeit, das Heer in Schlachtordnung wurde als eine bewegliche Festung betrachtet, deren Mittelpunkt, der Feldherr selbst, alles Detail beherrschen sollte. Sein Blick musste das Terrain übersehen, sein Wille jede Aufstellung und jeden Angriff leiten. Adjutantur und Generalstabsdienst waren noch wenig ausgebildet. Die Heerhaufen in dichten Massen zusammenhalten, die Schlachtreihe durch Terrainhindernis schützen, nicht Ross, nicht Mann aus Auge und Führung lassen, gehörte zur Methode. So musste auch auf dem Marsche das Heer fest zusammengehalten werden, in engen Quartieren, am liebsten in einem Lagerraum. Dazu kamen Schwierigkeiten der Verpflegung, die Landstraßen schlecht, oft grundlos, die Zufuhr gezwungen, fast immer elend geordnet. Und was in der Praxis entscheidend war, ein Heer von 40 000 Streitern bestand wohl aus 100 000 Menschen. Der ungeheure Tross und das wilde Raubsystem zehrten schnell die fruchtbarste Landschaft aus. So hätte die größte Feldherrnkunst kaum ein größeres Heer führen können.
Aber es war dafür gesorgt, dass man in solche Verlegenheit nicht kam. Weder der Kaiser noch ein Reichsfürst waren imstande, 40 000 Mann auch nur auf ein Vierteljahr aus ihren Einkünften zu unterhalten. Die regelmäßigen Einnahmen der Landesherren waren weit geringer als jetzt, und die Unterhaltung der Heere weit kostspieliger. Die Intraden bestanden zum großen Teil aus Naturallieferungen, die bei Kriegsgefahr unsicher und schwer zu veräußern waren. Die Finanzen der Kriegführenden waren schon beim Beginn des Krieges in der traurigsten Lage.
Die böhmischen Stände wirtschafteten ohne Geld und Kredit, auch König Friedrich von der Pfalz vermochte mit den Subsidien der protestantischen Bundesgenossen nicht aufzuhelfen. Im Winter von 1619–1620 verhungerte, erfror und verlief die halbe böhmische Armee aus Mangel an Sold und Verpflegung, im September 1620 hatten die Truppen über vier und eine halbe Million Gulden Sold zu fordern, die Meuterei hörte nicht auf. Nicht viel besser stand es damals mit dem Kaiser*, doch kamen ihm bald nachher spanische Subsidien. Und der Kurfürst von Sachsen, dessen Finanzen noch am besten geordnet waren, konnte schon im Dezember 1619, wo er erst 1500 Mann geworben hatte, den Sold nicht mehr regelmäßig zahlen. Was die Landstände an Kriegssteuern bewilligten, was die Wohlhabenden in sogenannten freiwilligen Gaben leisten mussten, reichte nirgends aus; Anleihen waren schon im ersten Jahr sehr schwer zu realisieren: Sie wurden bei den Bankhäusern Süddeutschlands, auch in Hamburg versucht, selten mit Erfolg; Stadtgemeinden galten noch für zuverlässigere Schuldner als die größten Fürsten. Selbst mit Privatpersonen ward um die kleinsten Summen verhandelt. Sachsen hoffte 1621 auf 50–60 000 Gulden von den Fuggern, es versuchte bei den Kapitalisten 30 000, 70 000 Gulden aufzunehmen, vergebens, für ein Darlehn von 12 000 Gulden Münze musste die kursächsische Regierung ebenso viel Kurant verschreiben, im Jahr 1620 fast 50% mehr als sie erhalten. Nur Maximilian von Bayern und die Liga machten für den Krieg eine große Anleihe von 1 200 000 Gulden zu zwölf Prozent bei der Kaufmannschaft in Genua, dafür mussten die Fugger Bürge werden, welche sich wieder für ihre Bürgschaft den Salzhandel von Augsburg versichern ließen. Gerade hundert Jahre vorher hatte dasselbe Bankhaus nicht unbedeutenden Anteil an der Kaiserwahl Karls V. gehabt, auch jetzt half es den Sieg der katholischen Partei sichern, denn der böhmische Krieg wurde noch mehr durch Geldmangel als durch die Schlacht am Weißen Berge entschieden.
Aber noch misslicher war, dass die Unterhaltung eines Heeres damals fast zweimal so viel kostete als jetzt, selbst der billige Fußsoldat war noch einmal so teuer*. So begann der Krieg mit allgemeiner Insolvenz der Regierungen. Auch dadurch wurde die Unterhaltung großer Armeen unmöglich.
Offenbar bestand ein verhängnisvolles Missverhältnis zwischen der militärischen Kraft der Parteien und dem letzten Zweck jedes Krieges. Keiner der Kriegführenden vermochte die Gegner ganz niederzuwerfen. Zu klein und zu wenig dauerhaft waren die
Heere, um die ausgedehnten Landstriche eines zahlreichen und kriegerischen Volkes in regulären strategischen Operationen zu bändigen. Während eine siegreiche Armee am Rhein oder um die Oder herrschte, lief ein neues Feindesheer an der Nord- oder Ostsee zusammen. Auch war das deutsche Kriegstheater nicht so beschaffen, dass dauerhafte Erfolge leicht zu erzielen waren. Fast jede Stadt war befestigt. Noch war das Belagerungsgeschütz schwerfällig und in seinen Leistungen unsicher, noch die Verteidigung fester Plätze verhältnismäßig stärker als der Angriff. So wurde der Krieg zum großen Teil ein Festungskampf; jede eingenommene Stadt schwächte das siegreiche Heer durch den Abgang der Besatzungstruppen. War eine Landschaft erobert, dann war der Sieger leicht nicht imstande, dem Besiegten in offener Feldschlacht zu widerstehen. Durch eine neue Anstrengung warf dieser den Sieger aus dem Felde, dann folgten neue Belagerungen und Eroberungen und wieder eine verhängnisvolle Zersplitterung der Kräfte.
Es war ein Krieg voll blutiger Schlachten, glorreicher Siege, aber auch eines unaufhörlichen Wechsels von Glück und Verlust. Groß ist die Zahl der finsteren Heldengestalten, welche aus dem Dunst von Blut und Brand ragen: der eherne Ernst von Mansfeld, der fantastische Braunschweiger, Bernhard von Weimar, und dagegen Maximilian von Bayern und die Generale der Liga: Tilly, Pappenheim und der tüchtige Mercy; die Führer der kaiserlichen Heere: der ruchlose Wallenstein, Altringer, die großen Franzosen Conde und Turenne, unter den Schweden Horn, Baner, Torstenson, Wrangel und über allen der mächtige Kriegsfürst Gustav Adolf. So starke Männerkräfte in der höchsten Spannung! Und doch wie langsam und schwerfällig werden politische Resultate gewonnen, wie schnell geht wieder verloren, was mit der größten Gewalt erworben schien! Wie oft wechseln die Parteien selbst die Zielpunkte, nach welchen sie stürmen, ja die Fahne, welcher sie Sieg wünschen!
Die politischen Ereignisse des Krieges dürfen hier nur kurz erwähnt werden. Er zerfällt in drei Perioden. Die erste (1618 bis 1630) ist die Zeit der kaiserlichen Siege. Die protestantischen Stände Böhmens verweigern dem Erzherzog Ferdinand die böhmische Königskrone und wählen den reformierten Kurfürsten von der Pfalz zum Landesherrn. Aber durch die Liga und den lutherischen Kurfürsten von Sachsen wird Ferdinand zum Kaiser erhoben, sein Gegenkönig, am Weißen Berge geschlagen, verlässt als Flüchtling das Land. Hier und da flammt die protestantische Opposition auf, geteilt, ohne Plan, mit schwachen Mitteln; Baden-Durlach, der Mansfelder, der Braunschweiger, zuletzt der niedersächsische Kreis mit dem Dänenkönig unterliegen den Truppen der Liga und des Kaisers; Ferdinand II., noch als Kaiser ein Flüchtling in den Stammländern seines Hauses, wirbt durch einen erprobten Söldnerhäuptling, Wallenstein, eine Soldatenmasse, die er durch Kontribution und Raub in den fürstlichen Territorien ernährt. Immer größer schwillt des Kaisers Heer, immer höher steigern sich seine Ansprüche in Deutschland, in Italien; der alte Gedanke Karls V. nach dem Schmalkaldischen Kriege wird in dem Enkel lebendiger, will Deutschland sich unterwerfen, wie er Bauern und Stände in den österreichischen Provinzen unterworfen hat, jede Selbstständigkeit will er brechen, Privilegien der Städte, Rechte der Stände, Stolz und Hausmacht der Fürsten, ganz Deutschland hofft er unterzuzwingen unter seinen Glauben, unter sein Haus. Aber durch ganz Deutschland schallt ein Schrei des Schmerzes und der Wut über den gräulichen Flibustierkrieg, welchen der erbarmungslose Feldherr der Habsburger führt. Alle Bundesgenossen des Kaiserhauses erheben sich drohend. Die Fürsten der Liga, vor allen Maximilian von Bayern, sehen nach dem Ausland um Hilfe, sie selbst brechen den hohen Mut des Kaisers, er muss seinen treuen Feldherrn entlassen, das unmenschliche Heer einschränken. Ja noch mehr. Auch der Heilige Vater beginnt den Kaiser zu fürchten. Der Papst selbst verbindet sich mit Frankreich, um den Protestanten schwedische Hilfe herbeizuführen*. Der »Löwe von Mitternacht« steigt aus der See an die deutschen Küsten.
Die zweite Periode des Krieges beginnt. Die katholische Macht hat in großem Wogenschwall die deutschen Länder bis zu dem nördlichen Meer überflutet. Jetzt (1630–1634) kommt die protestantische Gegenströmung, und unaufhaltsam überfährt auch sie von Norden nach Süden zwei Drittteile von Deutschland. Auch nach dem Tode ihres Königs behalten die schwedischen Kriegsobersten das Übergewicht im Felde, Wallenstein selbst fällt von dem Kaiser ab und muss heimlich getötet werden. Schon kommt der katholischen Partei Mutlosigkeit. Da gewinnt sie mit letzter zusammengefasster Kraft die blutige Schlacht bei Nördlingen.
Es folgt die dritte Periode (1634–1648), vierzehn Jahre, in denen Sieg und Niederlagen auf beiden Seiten sich fast ausgleichen. Die Schweden, an das Nordmeer zurückgedrängt, stürmen, alle Kraft anspannend, noch einmal bis über die Mitte Deutschlands vor, wieder fluten die Glückswellen hin und her, aber kürzer, kraftloser. Die Franzosen breiten sich beutegierig am Rhein aus, das Land verödet, Hunger und Pest wüten. Den Schweden wird ein Feldherr nach dem andern abgenutzt, mit unendlicher Hartnäckigkeit halten sie das Feld und ihre Ansprüche fest. Ihnen gegenüber steht ebenso unerschütterlich der Ligafürst Maximilian, noch in dem letzten Dezennium des Krieges kämpfen die Bayern drei Jahre lang die ruhmvollsten Feldzüge, welche diese Dynastie aufzuweisen hat. Der fanatische Ferdinand ist gestorben, sein Nachfolger, klüger und maßvoller, ein erprobter Kriegsmann, hält aus, weil er muss, auch er zäh und dauerhaft. Keine Partei vermag mehr eine Entscheidung herbeizuführen. Jahrelang wird über den Frieden verhandelt, während die Feldherren schlagen, Dörfer und Städte leer werden, wildes Unkraut auf den Äckern wuchert. Und sieht man näher zu, wie dieser außerordentliche Krieg zu Ende geführt wird, so ist sein Ende nicht minder unerhört als der Verlauf des Kampfes. Durch Waffenstillstände und Neutralitäten der einzelnen Territorialherren wird allmählich das Terrain für den Kriegsschauplatz beschränkt. Dem Umstand, dass das Land zu groß, die Heere zu klein waren, wird dadurch einigermaßen abgeholfen. Die Alliierten in ihrem Bestreben, den Krieg in die kaiserlichen Erblande zu spielen, begünstigen dies Isolieren einzelner Gebiete, die Kaiserlichen müssen es dulden. Beide Parteien verlieren dadurch wenig an Hilfsmitteln und Verpflegung, denn die neutralisierten Länder sind so verwüstet, dass sie kein Heer mehr zu erhalten vermögen. So werden mehrere Fürstentümer Norddeutschlands, die Mark, Sachsen, Thüringen, zuletzt Bayern vor der völligen Vernichtung bewahrt; so wird allmählich das Haus der Habsburger eingehegt und zum Nachgeben gebracht. Unter solchen Verhältnissen kommt dem Vaterlande ein Friede, in dem fast alle ihre Ansprüche beschränken, als ein Kompromiss der streitenden Interessen, welche sich Achtung erkämpft haben; er kommt nicht vorzugsweise durch große Schlachten, nicht durch unwiderstehlich politische Kombinationen, sondern zumeist durch eine Ermattung der Kämpfenden. Nicht im Verhältnis groß sind die Besitzveränderungen; nur die Fremden haben sich eingedrängt, und Land und Volk sind verwüstet. Deutschland, welches den Frieden festlich begeht, hat drei Vierteile seiner Bevölkerung verloren.
Alles dies gibt dem Dreißigjährigen Kriege das Aussehen eines Zerstörungsprozesses, wie er wohl bei furchtbaren Naturereignissen eintritt. Über dem Hader der Parteien regt seine Flügel ein schreckliches Schicksal, es erhebt die Führer und wirft sie in den blutigen Staub, die größte menschliche Kraft wird wirkungslos unter seiner Hand, zuletzt wendet es, von Mord und Leichen gesättigt, sein Antlitz langsam ab von dem Lande, das zu einem großen Leichenfelde geworden ist.
Bei solchem Kampfe ist hier nicht die Aufgabe, die Feldherren und ihre Schlachten zu charakterisieren, wohl aber von den Zuständen des deutschen Volkes zu sprechen, von dem zerstörenden und leidenden Teile der Bevölkerung, dem Heere wie dem Bürger und Bauer.
Seit den Burgunderkriegen und den italienischen Kämpfen Maximilians und Karls V. hatte das bürgerliche Fußvolk die ritterliche Reiterei des Mittelalters in den Hintergrund gedrängt. Die Stärke der deutschen Heere bestand damals aus Landsknechten, freien Männern des Bürger- und Bauerstandes, unter ihnen nur einzelne Adlige. Sie waren in der großen Mehrzahl geworbene Söldner, welche sich freiwillig durch Vertrag auf Zeit an ihre Fahne banden. Sie betrieben den Krieg wie Handwerker, hart, emsig, dauerhaft, als zünftige Leute, die sich selbst richteten und die Ordnung, welche ihnen der Kaiser gesetzt hatte, mit umständlichem Zeremoniell und sinnigen Gebräuchen umgaben. Aber kurz war die Blütezeit ihrer Kraft. Sie fällt genau zusammen mit der großen Erhebung des deutschen Volkes auf den idealen Gebieten des Lebens. Ihr Verfall beginnt fast zu derselben Zeit, in welcher der Bauernkrieg den Aufschwung der unteren Volksschichten brach, in welcher die widerwärtigen Händel zwischen Lutheranern und Reformierten zu beweisen schienen, dass auch das neue Leben der Geister nicht alle Bedingungen eines siegreichen Fortschrittes enthalte. Er lässt sich datieren von ihrem Aufstand gegen den älteren Fronsperg, jener Stunde, wo sie ihrem Vater, dem greisen Landsknechthelden, das Herz brachen. Vieles wirkte zusammen, die neuen Fußsoldaten zu verderben, sie waren Lohnkrieger auf Zeit und gewöhnten sich bald, die Fahnen zu wechseln und nicht für eine Idee zu kämpfen, sondern für eigenen Vorteil und Beute. Sie waren nicht durch die Anwendung des Pulvers auf den Krieg ins Leben gerufen worden, aber sie vorzugsweise eigneten sich die neue Erfindung an. Und das Eindringen der Handfeuerwaffen in die Heere half allerdings zuerst dazu, die Schwäche ihres Gegners, der alten Ritterkavaliere, zu erweisen, aber dieselbe Feuerwaffe verringerte auch sehr bald ihre eigene Tüchtigkeit. Denn noch waren ihre schweren, langsam feuernden Rohre nicht geeignet, auf dem Schlachtfelde den Sieg zu gewinnen. Der letzte Erfolg hing noch von dem massenhaften Ansturm der scharfen Waffe und dem Einbrechen ihrer Gewalthaufen in den Feind ab; noch kämpften die behänderen Schützen unter dem Schirm der Spießträger, welche sich wieder mit eisernen Schutzwaffen bedeckt hatten, um die Gefahr der Kugel zu verringern. Der Landsknecht aber wollte lieber das Rohr als den schweren Harnisch und Spieß tragen; so kam es, dass die große Masse der Soldaten untüchtig zum entscheidenden Angriff wurde.
Damit vereinigten sich andere Übelstände. Noch gab es keine stehenden Heere; bei drohender Fehde wurden von großen und kleinen Territorialherren und Städten Truppen gesammelt, nach beigelegtem Kriege wieder entlassen. Die Fehden waren in der Regel kurz und lokal, selbst die ungarischen Kriege nur Sommerfeldzüge von wenigen Monaten. Die deutschen Landesherren, in unaufhörlicher Geldnot, suchten sich durch Verschlechterung der Münze – es würde zur Auszahlung der Kriegsleute nicht selten besonders leichtes Geld geschlagen –, durch treulose Verkürzung der ausgemachten Löhnung zu helfen. Solche Ungebühr demoralisierte den Kriegsmann nicht weniger als die kurze Dienstzeit. So wurden die Landsknechte betrogene Betrüger, Abenteurer, Plünderer und Räuber*.
Das Fußvolk trug beim Beginn des Krieges entweder das Feuerrohr oder die Pike, das Rohr zum Auflockern der feindlichen Massen, den Spieß zum Draufgehen und zur Entscheidung im Nahgefecht. Die Mannschaften der scharfen Waffe waren in der großen Mehrzahl Pikeniere, seltener Hellebardiere, zuweilen noch »Schlachtschwerter« als Hüter der Fahne und Rondarschiere mit Kurzspieß und Schild. Beim Beginn des Krieges galt der Pikenier für den schweren Infanteristen, er trug Helm, Brustharnisch, Armschienen, den Degen und eine 18 Fuß lange Pike mit eiserner Spitze, den Schaft am besten von Eschenholz. Die Gefreiten und Subalternoffiziere führten Hellebarden oder Partisanen. Es wurde aber immer schwerer, für diese alten Landsknechtswaffen das Volk in hinreichender Anzahl zusammenzubringen. – Von den Handfeuerwaffen hatten zwei die Herrschaft in den Heeren erlangt, die Gabelmuskete, bei den Kaiserlichen im Anfang des Krieges ein schweres unbehilfliches Gewehr von sechs Fuß Länge mit Luntenschloss und Kugeln, von denen zehn aufs Pfund gingen, und daneben das kürzere Hand- oder Schützenrohr, leichter und von geringerem Kaliber, welches im Anfang des Krieges auch beim Fußvolk zuweilen den veralteten Namen Arkebuse führt*. Der Musketier trug außer einem Seitengewehr mit wenig gekrümmter Spitze über die Schulter ein breites Bandelier mit elf Zylinderkapseln, in denen die Ladung steckte, einen Luntenberger und am Riemen einen Gabelstock, Furket, unten mit metallener Spitze, oben mit zwei metallenen Hörnern, auf den er beim Schießen die Muskete legte. Sein Haupt bedeckte noch Helm oder Sturmhaube, bald warf er auch diese letzte Schutzwaffe weg. Der Arkebusier zu Fuß oder Handschütz führte nicht Gabel und Bandelier, er lud aus Kugeltasche und Pulverhorn. Pikeniere und Musketiere standen in demselben Fähnlein vereinigt, doch gab es schon lange vor dem großen Kriege Fähnlein, welche nur Feuerwaffen enthielten. Aus den Schützenfähnlein mit Handrohr, der leichtesten Infanterie, die man gern als Freikompagnien von den Regimentern forderte, entwickelten sich in der Mitte des Krieges – so viel uns bekannt, zuerst bei den Hessen – Jägerkompagnien, darin wohl nur Einzelne mit gezogenem Rohr. Die Grenadiere, welche Handgranaten werfen, werden hier und da in geringer Anzahl gebildet, z.B. 1634 von den Schweden im belagerten Regensburg.
Beim Beginn des Krieges war der Pikenier als schwerer Infanterist traditionell noch der angesehene Mann, noch wurde er in den Musterregistern als Doppelsöldner aufgeführt, im Lauf des Krieges erwies er sich als schwerfällig für große Märsche, unbehilflich beim Angriff, fast unnütz, seit der Kavallerie das Einhauen und die letzte Entscheidung auf dem Schlachtfelde zugefallen war; so sank er allmählich in Verachtung, und das hübsche Urteil des lustigen Springinsfeld*