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1. Sandale „Akha“, Kopfbedeckung des Akha-Stammes aus dem Goldenen Dreieck, recycelte Coladose und Samen des Dschungels, 6 cm hoher Absatz aus Stahl, Leder. Trikitrixa, Paris.

Text: Marie-Josèphe Bossan

Übersetzung: Andrea Stettler

 

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© Joël Garnier, ill. 11, 35, 36, 39, 45, 49, 50, 51, 52, 58, 59, 60, 61, 63, 64, 66, 71, 72, 74, 75, 83, 84, 89, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98A, 98B, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 111, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 126, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 159, 160, 161, 164, 165, 166, 169, 170, 171, 175, 177, 178, 183, 187, 194, 198, 199, 200, 201, 206, 207, 212, 220, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 238, 244, 247, 248, 249, 250, 251, 252, 253, 264, 266, 272, 274, 300, 301, 302, 303, 304, 307, 310

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© The Metropolitan Museum of Art, ill. 107

© Fondazione Nazionale C. Collodi, ill. 278

 

ISBN: 978-1-78310-629-5

 

Wir danken der Stadt Romans und Joël Garnier.

Weltweit alle Rechte vorbehalten. Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten den jeweiligen Fotografen. Trotz intensiver Nachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen. Gegebenenfalls bitten wir um Benachrichtigung.

Marie-Josèphe Bossan

 

 

 

Die Kunst der Schuhe

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

Vorwort

Von der Antike bis heute

Schuhe der Welt

Berühmte Schuhe

Schuhgeschichten, Lebensgeschichten

Der Schuh in der Literatur

Der Schuh in der Kunst

Anhang

Glossar

Bibliographie

Schlüsselbegriffe

Danksagung

2. Fliegerstiefel, ca. 1914. Frankreich.

 

 

Vorwort
Der Schuh, Kultur- und Kunstobjekt

 

 

Als notwendiger Bestandteil des täglichen Lebens, für den sich Zeitgenossen höchstens aus Bequemlichkeits- und Eleganzgründen interessieren, nimmt der Schuh eine äußerst wichtige Stellung in der Kulturgeschichte und eine nicht weniger wichtige in der Kunstgeschichte ein.

Als wir Menschen den Kontakt mit der Natur verloren, haben wir auch die tiefere Bedeutung des Schuhs aus den Augen verloren; doch wir werden sie bald wieder entdecken, indem wir uns wieder mehr mit dem Schuh befassen, besonders durch den Sport: Ski-, Berg-, Jagd-, Wander- und Fußballschuhe, Leinenschuhe beim Tennis, Reitstiefel, sind zum einen nicht wegzudenkende Teile der Sportausrüstung und man wählt sie mit Sorgfalt aus, und zum anderen geben sie Aufschluss über verschiedene Tätigkeiten, Hobbies und Geschmäcker.

Zu einer Zeit, als der Mensch noch viel mehr von den klimatischen Verhältnissen, der Vegetation und der Bodenbeschaffenheit abhängig war und der Großteil der Berufe Körpereinsatz erforderte, hatte der Schuh für jedermann eine immense Wichtigkeit. Heutzutage nimmt er nur noch für wenige Menschen eine solch wichtige Stellung ein. Das Schuhwerk war nicht überall gleich: Die Menschen in kalten Regionen trugen nicht dieselben Schuhe wie die in den Tropen, die im Wald Lebenden hatten anderes Schuhwerk als die Steppenbewohner und das der Sumpfgänger unterschied sich natürlich von dem der Bergsteiger; es wurden je nach Tätigkeit verschiedene Schuhe getragen, sei es bei der Arbeit, auf der Jagd oder beim Fischfang. Folglich gibt uns der Schuh wertvolle Auskünfte über unterschiedliche Lebensweisen.

In hierarchisch gegliederten Gesellschaften, wo die Menschen in Kasten o. ä. eingeteilt waren, war die Kleidung bestimmend. Prinzen, Bürgerliche, Soldaten, Klerus und Diener unterschieden sich auch durch das, was sie trugen. Der Schuh bringt weniger spektakulär als der Hut, aber doch auf umfassendere Weise den jeweiligen Glanz der Kulturen ans Licht, er enthüllt die soziale Klasse und die Erlesenheiten der Völker: Als Erkennungszeichen, so wie der Ring, den man dem dünnsten Finger überstülpt, wird „der gläserne Pantoffel” nur dem zartesten Fuß passen.

Das Aussehen des Schuhs ist von den unterschiedlichsten Gebräuchen geprägt, was uns Einblick in diese gewährt. Er unterrichtet uns über die Fußdeformationen, die chinesische Frauen zu erleiden hatten; er zeigt uns wie die Reiternomaden aus dem Norden ihre Souveränität auf dem indischen Subkontinent beweisen wollten, indem sie in Indien ungebräuchliche Stiefel aufbewahrten. Filzpantoffeln rufen uns die Hammams in Erinnerung, Babuschen das islamische Verbot, mit Schuhen Kultstätten und Häuser zu betreten.

Manchmal hat der Schuh auch symbolischen oder rituellen Charakter, ist verbunden mit einem einschneidenden Augenblick im Leben. Man erzählt, dass hohe Absätze dazu dienten, die Frau am Tag ihrer Hochzeit größer zu machen, um sie daran zu erinnern, dass dies der einzige Moment sei, in dem sie über ihren Mann dominieren kann.

Die Stiefel des Schamanen waren mit Tierhäuten und Knochen verziert, um aus ihm das Abbild eines Hirsches zu machen und ihn zu befähigen, wie ein Hirsch durch die Welt der Sinne zu laufen. Man ist, was man trägt. Und wenn man auch seinen Kopf schmücken muss, um an einem gehobeneren Leben teilzunehmen, so sind es doch die Füße, die es zu verschönern gilt, sobald es darum geht, sich gewandter fortzubewegen. Athene trägt Goldschuhe, Hermes Schuhe mit Absatz. Perseus beschafft sich bei den Nymphen geflügelte Sandalen, um durch die Lüfte fliegen zu können. Neben der hohen Mythologie sind da auch noch die Märchen. So gibt es etwa die Siebenmeilenstiefel, die sich vergrößern oder verkleinern, um entweder dem menschenfressenden Riesen oder dem Däumling zu passen, und mit denen man das Universum durchqueren kann. Und der gestiefelte Kater spricht zu seinem Herrn: „Lassen Sie mir nur ein Paar Stiefel anfertigen und Sie werden sehen, dass Sie gar nicht so schlecht gestellt sind, wie Sie glauben.“

Reicht es also aus Schuhe zu tragen, um den Fuß, der oft als der bescheidenste und benachteiligste menschliche Körperteil bezeichnet wird, zu transzendieren? Wahrscheinlich manchmal, aber auch nicht immer. Denn der Fuß selbst ist nicht immer seines Heiligen beraubt und kann seinerseits davon dem Schuh etwas mitteilen. Die Flehenden und Verehrenden haben sich schon immer den Menschen zu Füßen geworfen; es ist der Fuß der Menschen, der seine Spur auf dem nassen oder staubigen Boden hinterlässt, und oft ist er das einzige Zeugnis ihres Vorbeikommens. Der Schuh ist ein kennzeichnendes Kleidungsstück, weswegen er auch dazu dienen kann, denjenigen genauer darzustellen, der ihn getragen hat, der vielleicht verschwunden ist und dessen Spuren man nicht zu verfolgen wagt: Das wohl charakteristischste Beispiel hierfür liefert uns der primitive Buddhismus, der seinen Gründer durch einen Sessel oder durch dessen Fußabdruck darzustellen pflegt.

Auf Grund der verschiedensten Materialien z. B. Leder, Holz, Stoff, Stroh, stark, wenig oder gar nicht verziert aus denen er hergestellt wird, wird der Schuh zum Kunstobjekt. Mag seine Form auch manchmal mehr zweckmäßig als ästhetisch sein das ist aber nicht immer so und es werden noch sehr viele aberwitzige Formen zu beschreiben sein –, seine Stoffdesigns, Stickereien, Einlegearbeiten und Farben decken dennoch sehr genau die charakteristische Kunstauffassung des Landes auf, wo er gefertigt wurde. Das Interesse für den Schuh ist hauptsächlich deswegen so groß, weil er nicht nur einer einzigen Kaste oder einer bestimmten sozialen Gruppe vorbehalten ist wie Waffen oder Musikinstrumente, weil er nicht das Produkt nur einer oder zwei Kulturen ist wie der Teppich und weil er weder das klassische „Prunkobjekt“ der Reichen noch die „Tracht“ der Armen ist.

Der Schuh wurde innerhalb aller gesellschaftlichen Klassen von jedem einzelnen Individuum getragen und das auf der ganzen Welt.

 

Jean-Paul ROUX,

Direktor des französischen wissenschaftlichen Forschungszentrums (C.N.R.S.)

Emeritierter Professor des Lehrstuhls für islamische Künste

an der Ecole du Louvre

3. Modell eines Halbschuhs aus Lehm mit hochgezogener Spitze aus einem Grab in Aserbeidschan, 13.–12. Jh. v. Chr., Musée Bally, Schönenwerd, Schweiz.

4. Eisenschuh aus Syrien, 800 v. Chr., Musée Bally, Schönenwerd, Schweiz.

 

 

Von der Antike bis heute

 

 

Die Vorgeschichte

In vorgeschichtlicher Zeit scheint man Schuhe nicht gekannt zu haben, denn alle uns bekannten Fußspuren stammen von nackten Füßen. Aber in Spanien entdeckte, vor etwa vierzehntausend Jahren entstandene Höhlenmalereien aus der Altsteinzeit zeigen schon die Menschen der jüngeren Altsteinzeit mit Pelzstiefeln. Nach Aussage des Abbé Breuil (1877 bis 1961), eines französischen Paläontologen und Experten für Vorgeschichte, bedeckte der Mensch des Neolithikums seine Füße mit Fellen, um sich vor den Unbilden der Witterung zu schützen.

Auch wenn wir über keine konkreten Beweise verfügen, scheint es, dass der Mensch immer instinktiv darauf bedacht war, seine Füße zu schützen, um sich fortbewegen zu können. Das Schuhwerk war in seinen Anfängen also zweifellos ausschließlich zweckbestimmt. Einen klaren Beweis hierzu liefert uns der so genannte Ötzi, der mumifizierte Mensch, den man in einer Gletscherspalte in Tirol fand. Er trug „Stiefel“, die noch hervorragend erhalten waren. Aus Leder hergestellt, dienten sie vor allem dem Schutz der Füße und waren dazu gedacht, ihm die Überwindung großer Entfernungen zu ermöglichen, die er als Händler zurücklegen musste. Erst im alten Ägypten entwickelte das Schuhwerk auch einen ästhetischen Reiz, es diente der Prachtentfaltung und ließ den gesellschaftlichen Rang seines Trägers erkennen.

 

Antike
Der Schuh in den großen Kulturen der Antike

Im 4. Jahrtausend vor Christus entwickeln sich in Mesopotamien und Ägypten die ersten großen Kulturen. Dort bilden sich die drei Haupttypen des Schuhs heraus: Schuh, Stiefel und Sandale. Eine archäologische Expedition entdeckte 1938 in einem Tempel der Stadt Tell Brak in Syrien einen Schnabelschuh aus Ton. Er entstand vor mehr als 3000 Jahren vor Christus und belegt Gemeinsamkeiten zwischen dieser Stadt und der Kultur der Sumerer von Ur in Mesopotamien.

Ungefähr 2600 Jahre vor Christus findet man Darstellungen von Schnabelschuhen auf zylindrischen Siegeln aus der Epoche Akkad. Dieser Schuhtyp unterscheidet sich von dem syrischen Modell durch eine viel höhere Schnabelspitze. Dieser mit einem Pompon verzierte Schuh ist in der Folge ausschließlich für den König bestimmt. Die von den Eroberern aus den Bergen mitgebrachte Schnabelform, die sich dort aus der Bodenbeschaffenheit erklärt, wird später im Königreich Akkad zur gängigen Schuhform, sie breitet sich dann auch in Kleinasien aus und wird Bestandteil der Nationaltracht der Hethiter.

Viele Basreliefs, wie die im Heiligtum von Yazilikaya (Türkei) aus dem Jahre 1275 vor Christus, legen davon Zeugnis ab. Die Phönizier, große Seefahrer, tragen zur Verbreitung des spitzen Schuhs in Zypern, Mykene und auf Kreta bei. Auf den Fresken in den kretischen Palästen, die Spiele und Zeremonien am königlichen Hof zeigen, ist er dargestellt. Die Gemälde, die das Grab von Rekhmire (18. Dynastie in Ägypten, 1580 bis 1588 vor Christus) schmücken, zeigen Kreter mit spitzen Stiefeln, ein Hinweis auf Beziehungen zwischen Kreta und Ägypten in jener Epoche.

5. Abdruck eines zylindrischen Siegels, Akkad-Dynastie,
um 2340–2200 v. Chr., Mesopotamien, Höhe 3,6 cm.

6. Tötung eines Löwens durch den König, Flachrelief im Palast von Assurbanipal, Ninive, 638–630 v. Chr. British Museum, London.

 

 

Assyrien, das mesopotamische Kaiserreich, ist vom 9. bis zum 7. Jahrhundert vor Christus die beherrschende Macht im alten Orient. Auf den Skulpturen der assyrischen Bauten erscheinen die Sandale und der Stiefel. Die Sandale, eine vereinfachte Form des Schuhs, besteht aus einer Sohle und langen, schmalen Riemen. Der Stiefel, ein von Reitern getragener Schuhtyp, hat einen hohen Schaft und umhüllt das Bein. Der persischen Dynastie, um 550 vor Christus von Cyrus II., dem Großen gegründet, gelingt die Einigung des alten Orients für den Zeitraum von der Mitte des 6. Jahrhunderts bis zum Ende des 4. Jahrhunderts. Die Bildhauer haben auf den Basreliefs der achämenidischen Könige eine Prozession von Figuren in Stein gehauen und auf diese Weise Gewänder und Schuhwerk jener Epoche wie auf einer Fotografie dargestellt. Dort finden sich Stiefel, aber auch Schuhe aus weichem Material und aus Leder, die den ganzen Fuß bedecken und am Knöchel mit Bändern geschlossen werden. Will man die Entwicklung des Schuhs bis zum heutigen Tag verstehen, muss man sich dem Geschehen in den großen Kulturen der Antike zuwenden. Darüber hinaus trägt eine Analyse der Bibel dazu bei, die Geschichte des Schuhs auf neue und faszinierende Weise zu erhellen.

7. Sandalenmacher, Reproduktion eines Freskos, 18. Dynastie, 1567–1320 v. Chr., Metropolitan Museum of Art, New York.

 

 

Ägypten

Die ersten Sandalen erscheinen im alten Ägypten. Der flache Schuhtyp mit Riemen erklärt sich aus den klimatischen und geografischen Gegebenheiten Ägyptens. Als Beweis für die Bedeutung, die dem Schuh von jetzt an in der Prachtentfaltung zukommt, zeigt die Schminktafel des Königs Narmer, etwa 3100 vor Christus, einen Diener, „den Sandalenträger“, der hinter dem Herrscher geht und die königlichen Sandalen auf dem Arm trägt.

Frauen und Männer werden zwar häufig barfuß dargestellt, tragen jedoch auch manchmal Sandalen aus Leder, aus geflochtenem Stroh oder aus Riemen, die wiederum aus Palmenblättern oder Papyrus, aus Schilf oder dem Rohr der Sümpfe gearbeitet werden; die Pharaonen und Würdenträger dagegen lassen sie aus Gold herstellen. In allen diesen Fällen bleibt und das bestätigt die gesellschaftliche Bedeutung des Objekts, das zu Anfang nur einen Gebrauchsgegenstand darstellte die Sandale jedoch, und dafür liefern die Gräber zahlreiche Beweise, ein Luxusgegenstand. Diese beiden Formen, Stiefel und Sandale, bleiben während der gesamten Dauer der pharaonischen Kultur bis hin zur koptischen Epoche des christlichen Ägyptens unverändert. Wenn der Pharao den Tempel betrat oder seine Untertanen den Begräbniskult in den Begräbniskapellen zelebrierten, ließen sie ihre Sandalen am Eingang des Heiligtums zurück, ein Brauch, der von den Muslimen beim Betreten der Moschee übernommen wird.

Die Verbindung zwischen dem Schuh und dem Sakralen und dies bestätigen auch bestimmte biblische Passagen, von denen später die Rede sein wird wird durch dieses Ritual bezeugt. Das Erscheinen der Sandale in Ägypten in der Mitte des zweiten Jahrtausends vor Christus ist vermutlich auf den Einfluss der Hethiter zurückzuführen. Sie ist der Vorläufer des Schnabelschuhs, einer von den Kreuzfahrern aus dem Orient mitgebrachten exzentrischen Mode des europäischen Mittelalters. Als Teil des Gepäcks, das den Mumien post mortem mit auf den Weg gegeben wird, werden die Sandalen in Truhen gelegt oder auf den dekorativen Registern im Innern der Sarkophage aus bemaltem Holz dargestellt. Man schreibt ihnen wohl eine gewisse prophylaktische Bedeutung zu. Texte aus der Epoche der Pyramiden spielen darauf an und erfüllen die Bitte des Verstorbenen: „… mit weißen Sandalen auf den schönen Wegen des Jenseits einherschreiten, wo die Seligen lustwandeln.“

8. Holzsandalen mit Goldbeschlägen, Schatz des Tutenchamun, 18. Dynastie, Theben, Museum Kairo.

9. Ägyptische Sandalen aus Pflanzenfasern, Musée Bally, Schönenwerd, Schweiz.

 

 

Die Bibel: Der Schuh im Alten Testament

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der Schuh zum ersten Mal in der Bibel erwähnt. Diese Aussage müsste allerdings noch in chinesischen, ägyptischen und mesopotamischen Texten überprüft werden. Die Völker der Bibel, die Israeliten, das von Gott auserwählte Volk, ihre Verbündeten und ihre Feinde tragen Sandalen. Dies ist zwar ein Beleg dafür, dass diese Schuhart schon seit uralten Zeiten im Nahen Osten vorkommt, aber ihre Form oder Machart wird im Alten Testament selten beschrieben. Außer ihrer Funktion als wertvolles Gehwerkzeug kommt der Sandale in der Heiligen Schrift vor allem symbolische Bedeutung zu. Je nach Anlass wird sie unter verschiedenen Aspekten betrachtet: das Ablegen an heiligen Orten, das Tragen in Feldzügen oder bei Rechtshandlungen und, nicht zu vergessen, einfach in den Gepflogenheiten des alltäglichen Lebens.

Als Gott dem Moses im brennenden Dornbusch erscheint, befiehlt er ihm, seine Schuhe auszuziehen: „Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!“ (Pentateuch, Exodus III, 5)

Im Buch Josua finden wir die gleiche Situation, als die Israeliten in das verheißene Land einziehen: „Und es begab sich, als Josua bei Jericho war, dass er seine Augen aufhob und gewahr wurde, dass ein Mann ihm gegenüberstand und ein bloßes Schwert in seiner Hand hatte.

Und Josua ging zu ihm und sprach zu ihm: Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden? Er sprach: Nein, ich bin der Fürst über das Heer des Herrn und bin jetzt gekommen. Da fiel Josua auf sein Angesicht zur Erde nieder, betete an und sprach zu ihm: Was sagt mein Herr seinem Knecht? Und der Fürst über das Heer des Herrn sprach zu Josua: Zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn die Stätte, darauf du stehst, ist heilig.“ (Das Buch Josua V, 13-14-15)

Josua und Moses erhalten den gleichen Befehl. Während sich die Könige jenseits des Jordans verbünden, um einmütig gegen Josua und gegen Israel zu kämpfen, wollen die Gibeoniter um jeden Preis einen Bund mit Israel schließen. Ihre List besteht darin, Israel weiszumachen, sie kämen aus einem fernen Land: „Sie nahmen alte Säcke auf ihre Esel und alte, zerrissene, geflickte Weinschläuche und alte, geflickte Schuhe an ihre Füße und zogen alte Kleider an.“ So gekleidet gingen sie zu Josua, der sie fragte: „Wer seid ihr, und woher kommt ihr? Sie sprachen: Deine Knechte sind aus sehr fernen Landen gekommen …“ „… und diese Weinschläuche waren neu, als wir sie füllten, und siehe, sie sind zerrissen; und diese unsere Kleider und Schuhe sind alt geworden über der sehr langen Reise.“ (Das Buch Josua IX, 5-8-13)

Jene Sandalen zeigen, im Gegensatz zu den von Moses in seiner letzten Rede an sein Volk erwähnten, Spuren der Abnutzung. „Er hat euch vierzig Jahre in der Wüste wandern lassen. Eure Kleider sind euch nicht zerrissen, auch deine Schuhe nicht an deinen Füßen.“ (Deuteronomium XXIX, 4)

In den Büchern Samuel, als die Israeliten Krieg gegen die Philister führen, lesen wir über den Kampf zwischen David und Goliath: „Der hatte einen ehernen Helm auf seinem Haupt und einen Schuppenpanzer an, und das Gewicht seines Panzers war fünftausend Lot Erz, und er hatte eherne Schienen an seinen Beinen …“ (Das erste Buch Samuel XVII, 5 und 6).

Die zahlreichen bildlichen Darstellungen dieser Szene, die erst lange nach der tatsächlichen Begegnung (zwischen 1010 und 970 vor Christi) entstehen, zeigen den Riesen Goliath mit Sandalen und Beinschienen, während der Bibeltext nur die Schienen erwähnt. In Davids Ermahnungen an Salomo erinnert der König seinen Sohn an den Mord, den sein Diener Joab an zwei Feldhauptleuten der Armeen Israels begangen hat: „… wie er sie ermordet hat und so im Krieg vergossenes Blut im Frieden gerächt und unschuldiges Blut an den Gürtel seiner Lenden und an die Schuhe seiner Füße gebracht hat.“

Jesaja, der Prophet der messianischen Erlösung, spricht von der Bedrohung durch ein fernes Volk; die assyrische Armee und ihre Bogenschützen sind allein an ihren Sandalen zu erkennen: „Keiner unter ihnen ist müde oder schwach, keiner schlummert oder schläft; keinem geht der Gürtel auf von seinen Hüften, und keinem zerreißt ein Schuhriemen. Ihre Pfeile sind scharf und alle ihr Bogen gespannt.“ (Jesaja V, 27)

Zu der Zeit, als Assyrien und Ägypten um die Vormachtstellung im Nahen Osten kämpfen, prophezeit Jesaja dem besiegten Ägypten: „Im Jahr, da der Tartan nach Aschdod kam, als ihn gesandt hatte Sargon, der König von Assyrien, und er gegen Aschdod kämpfte und es eroberte, zu der Zeit redete der Herr durch Jesaja, den Sohn des Amoz, und sprach: Geh hin und tu den härenen Schurz von deinen Lenden und zieh die Schuhe von deinen Füßen. Und er tat so und ging nackt und barfuß.

Da sprach der Herr: Gleichwie mein Knecht Jesaja nackt und barfuß geht drei Jahre lang als Zeichen und Weissagung über Ägypten und Kusch, so wird der König von Assyrien wegtreiben die Gefangenen Ägyptens und die Verbannten von Kusch, jung und alt, nackt und barfuß, in schmählicher Blöße, zur Schande Ägyptens. Und sie werden erschrecken in Juda und zuschanden werden wegen der Kuschiter, auf die sie sich verließen, und wegen der Ägypter, deren sie sich rühmten.“ (Jesaja XX, 1 bis 5)

Man konnte von einem Ort Besitz ergreifen, allein indem man seine Schuhe dort ablegte oder hinwarf. Die Psalmen sechzig und hunderteins, die einen bevorstehenden Feldzug zur Eroberung Edams lobpreisen, bestätigen dies: „Moab ist mein Waschbecken, meinen Schuh werfe ich auf Edom, Philisterland, jauchze mir zu!“ „Mit Gott wollen wir Taten tun. Er wird unsre Feinde niedertreten.“ Dies erinnert an die Sandalen des Pharaos Tutenchamon, der seine Feinde niedertritt. Das hebräische Leviratsgesetz, das einen Mann verpflichtet, die Witwe seines Bruders zur Frau zu nehmen, wenn dieser keine männlichen Nachkommen hat, unterstreicht die juristische Bedeutung der Sandale. Im Deuteronomium finden wir eine eindeutige Erklärung: „Gefällt es aber dem Mann nicht, seine Schwägerin zu nehmen, so soll sie, seine Schwägerin, hingehen ins Tor vor die Ältesten und sagen: Mein Schwager weigert sich, seinem Bruder seinen Namen zu erhalten in Israel, und will mich nicht ehelichen. Dann sollen ihn die Ältesten der Stadt zu sich rufen und mit ihm reden. Wenn er aber darauf besteht und spricht: Es gefällt mir nicht, sie zu nehmen, so soll seine Schwägerin vor den Ältesten zu ihm treten und ihm den Schuh vom Fuß ziehen und ihm ins Gesicht speien und soll antworten und sprechen: So soll man tun einem jeden Mann, der seines Bruders Haus nicht bauen will! Und sein Name soll in Israel heißen des Barfüßers Haus.“

Den Trauerriten entsprechend gehen die Verwandten des Toten ohne Kopfbedeckung und barfuß, das Gesicht wird teilweise mit einem Tuch verhüllt und sie essen das von ihren Nachbarn dargebotene Brot. Zur Trauer des Propheten lesen wir bei Hesekiel: „Du Menschenkind, siehe, ich will dir deiner Augen Freude nehmen durch einen plötzlichen Tod. Aber du sollst nicht klagen und nicht weinen und keine Träne vergießen. Heimlich darfst du seufzen, aber keine Totenklage halten, sondern du sollst deinen Kopfbund anlegen und deine Schuhe anziehen; du sollst deinen Bart nicht verhüllen und nicht das Trauerbrot essen.“

Im 8. Jahrhundert vor Christus erinnert Amos an das Gesetz, das die Rechte der Armen und Notleidenden festlegt und empört sich gegen die Bestechlichkeit der Gerichte Israels. Der Prophet prangert das Verhalten der Richter Israels an, die für kleine Geschenke Geringfügigkeiten verurteilen: „… will ich sie nicht schonen, weil sie die Unschuldigen für Geld und die Armen für ein Paar Schuhe verkaufen.“ (Amos II, 6-8)

Wenn man im Reich Israels den Fuß auf ein Feld setzte oder seine Sandale niederlegte, kam dies einer Eigentumsurkunde gleich. Im Buch Rut können wir dazu folgendes lesen: „Es war aber von alters her ein Brauch in Israel: Wenn einer eine Sache bekräftigen wollte, die eine Lösung oder einen Tausch betraf, so zog er seinen Schuh aus und gab ihn dem andern; das diente zur Bezeugung in Israel. Und der Löser sprach zu Boas: Kaufe du es! Und zog seinen Schuh aus. Und Boas sprach zu den Ältesten und zu allem Volk: Ihr seid heute Zeugen, dass ich von Noomi alles gekauft habe, was Elimelech, und alles, was Kiljon und Machlon gehört hat. Dazu habe ich mir auch Rut, die Moabiterin, die Frau Machlons, zum Weibe genommen, dass ich den Namen des Verstorbenen erhalte auf seinem Erbteil und sein Name nicht ausgerottet werde unter seinen Brüdern und aus dem Tor seiner Stadt; dessen seid ihr heute Zeugen.“ (Das Buch Rut IV, 7 bis 10). Im Buch Judith geht es um die Belagerung der kleinen palästinensischen Stadt Betulia durch die Armeen des assyrischen Königs Nabuchodonosor. Die Lage dieser Stadt beherrscht den Zugang zum übrigen Land und zu Jerusalem und Nabuchodonosor spricht: „Die ganze Erde werde ich mit den Füßen meiner Truppen bedecken.“ (Das Buch Judith II, 7)

Da ist Judith, eine fromme Witwe, gerade dabei, die Stadt zu verlassen, um sich ins feindliche Lager zu begeben: „… auch zog sie Sandalen an, legte ihre Fußspangen, Armbänder, Fingerringe, Ohrgehänge und all ihren Schmuck an und machte sich schön, um die Blicke aller Männer, die sie sahen, auf sich zu ziehen.“ (Das Buch Judith X, 4) Die Schönheit der jungen Frau entfacht die Leidenschaft des Generals Holophernes. Nach einem Bankett nützt sie dessen Trunkenheit aus und schlägt ihm den Kopf ab. Die Angreifer hundertzwanzig-tausend Infanteristen und hundertzwanzigtausend Kavalleristen ergreifen die Flucht. Im Lobgesang, den Judith, die Jeanne d’Arc der Bibel, anstimmt, gehört die Siegessandale zum Accessoire weiblicher Verführung: „Ihre Sandalen bezauberten sein Auge. So schlug ihre Schönheit sein Herz in Bann.“ (Das Buch Judith XVI, 9) Die Machart des Schuhs wird in der Bibel so gut wie nicht erwähnt. Hesekiel weist in Jerusalem ein treuloses Weib diskret darauf hin: „… und kleidete dich mit bunten Kleidern und zog dir Schuhe von feinem Leder an.“ Das Wort Stiefel finden wir ein einziges Mal bei Jesaja: „Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn daher geht…“ (Der Friedefürst wird verheißen IX, 4), während der Sandale hauptsächlich symbolische Bedeutung zukommt. Die Moslems haben den Ritus, die Schuhe auszuziehen, übernommen. Noch heute wird die Moschee nur ohne Schuhe betreten.

10. Domenico Feti, Moses vor dem brennenden Dornbusch. Kunsthistorisches Museum, Wien.

11. Sandalen aus der Festung Massada.

12. François Boucher, Sankt Peter versucht auf dem Wasser zu gehen, 1766. Kathedrale St. Louis von Versailles.

 

 

Der Schuh im Neuen Testament – die Sandalen Jesu

Die Evangelien von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes zeugen von der Verkündigung Johannes des Täufers in Betanien jenseits des Jordans, der im Wasser taufte. Sie alle erwähnen mit der Stimme des Propheten die Schuhe Jesu: „… der aber nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin nicht wert, ihm die Schuhe zu tragen.“ (Matthäus III, 11) „… und predigte und sprach: Es kommt einer nach mir, der ist stärker als ich; und ich bin nicht wert, dass ich mich vor ihm bücke und die Riemen seiner Schuhe löse.“ (Markus I, 7) „Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber einer, der ist stärker als ich, und ich bin nicht wert, dass ich ihm die Riemen seiner Schuhe löse.“ (Lukas III, 16) „… aber er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Der wird nach mir kommen, und ich bin nicht wert, dass ich seine Schuhriemen löse“. (Johannes I, 26 und 27). Offenbar handelt es sich hier um Sandalen, die mit Riemen am Fuß befestigt werden; das waren die charakteristischen Schuhe der römischen Besatzungsmacht in Palästina und sie wurden von den Zeitgenossen Jesu getragen. Sie werden im Neuen Testament an mehreren Stellen erwähnt. Bei Matthäus und Lukas lesen wir, dass Jesus den zweiundsiebzig Jüngern, die er aussandte, empfahl, barfuß zu gehen: „Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, auch keine Reisetasche, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken Und wenn euch jemand nicht aufnehmen und eure Rede nicht hören will, so geht heraus aus diesem Hause oder dieser Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen“. (Matthäus X, 9 und 10) „… ich sende euch wie Lämmer mitten unter die Wölfe. Tragt keinen Geldbeutel bei euch, keine Tasche und keine Schuhe …“ (Lukas X, 7)

Bei Markus lesen wir jedoch: „… und gebot ihnen, nichts mitzunehmen auf den Weg als allein einen Stab, kein Brot, keine Tasche, kein Geld im Gürtel, wohl aber Schuhe … “ (Markus VI, 8 bis 11) Obwohl der Evangelist empfiehlt, sich aller materiellen Dinge zu entledigen, symbolisiert der Schuh für ihn die Reise, wie Jean-Paul Roux in einem Artikel der Zeitschrift des Instituts für Calzeologie erklärt: „Die Symbolik des Schuhs in den abrahamischen Religionen: Judaismus Christentum Islam“. In der Parabel vom verlorenen Sohn spricht der Vater des wieder gefundenen Kindes bei Lukas: „Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße“. (Lukas XV, 22)

Die Sandalen gehören zur Kleidung des freien Menschen im Gegensatz zum Sklaven, der nicht das Recht hat, Schuhe zu tragen. In der Apostelgeschichte ist in der Befreiung des Petrus auch von Schuhen die Rede: „Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis. Und siehe, der Engel des Herrn kam herein, und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen. Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir!“ (XII, 6 bis 8) Ein späteres Bild aus dem 17. Jahrhundert, das im Augustinermuseum in Toulouse aufbewahrte Gemälde Le Christ cloué sur la croix (Christus ans Kreuz genagelt) von Philippe de Champaigne zeigt achtlos auf dem Boden liegende Sandalen, die den von Johannes dem Täufer in seiner Verkündigung erwähnten Sandalen mit Riemen entsprechen. Im Matthäusevangelium können wir lesen: „Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See. Und als ihn die Jünger sahen auf dem See gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst! Und schrieen vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht! Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir!“. Dieser Text inspiriert Boucher im 18. Jahrhundert zu seinem Gemälde Saint Pierre tentant de marcher sur les eaux (Petrus versucht, auf dem Wasser zu gehen). Auf diesem Bild trägt der Apostel keine Schuhe, Jesus hingegen wird mit wunderschönen Sandalen, die auf den Einfluss der römischen Patrizier zurückgehen, dargestellt. Abschließend kann man feststellen, dass die einfacheren Schuhe, die in der von Herodes in der Wüste des Toten Meers erbauten Festung Massada entdeckt wurden und die als Gehwerkzeug und nicht zur Prachtentfaltung gedacht waren, eine genaue Vorstellung der Schuhe geben, die Christus und die von den Evangelisten erwähnten Zeitgenossen trugen. Sie entsprechen ganz der Anspruchslosigkeit des Herrn. Zudem sind sie in ihrer Machart so modern, dass wir ihnen in allen Jahrhunderten, vor allem in Afrika und selbst heutzutage noch in den Ländern der Dritten Welt begegnen, wo sie nur aus einem als Sohle ausgeschnittenen Stück alten Reifens mit einem y-förmigen Band bestehen. Dieser Schuhtypus hat auch Designer des 21. Jahrhunderts zu modernen Varianten inspiriert.

13. Herrenhausschuh, Oberleder mit Blattgoldmotiven verziert, koptische Ära, Ägypten. Internationales Schuhmuseum, Romans.

14. Elfenbeinstatuette eines griechischen Schauspielers, Kothurnen tragend, Musée du Petit-Palais, Paris.

 

 

Die Kopten

Die koptische Kultur stellt eine Art Scharnier zwischen der Welt der Antike und der des Mittelalters dar. Die Kopten, Ägypter christlichen Glaubens, haben uns besonders in Achmin Schuhe hinterlassen. In den ersten vier Jahrhunderten der christlichen Ära weisen die Tücher und Deckel der Sarkophage, in denen ihre Mumien ruhen, Darstellungen von Personen auf, die manchmal barfuß sind, oft aber Sandalen tragen. Im Lauf des vierten Jahrhunderts ändern sich aber die Bestattungsbräuche: Der Verstorbene wird mit seinen kostbarsten Gewändern bekleidet begraben. Seither finden sich nach dem Verschwinden der Tücher nur noch seltene Darstellungen auf Stelen. Auf manchen erscheint ein Schuhtyp mit betonter Spitze. Aber auch wenn die Sandalen aus Papyrusfasern oder Leder noch in Gebrauch sind, bestimmen jetzt geschlossene Schuhe die Mode. Und wie in der gesamten ägyptischen Antike ist auch bei den Kopten der Absatz unbekannt: Schuhe, Stiefel und Sandalen haben immer flache Sohlen. Die Modelle zeigen wenig Variationen; die Techniken der Verzierung, und dazu gehören die Verwendung roten oder braunen Leders oder lederne Litzen in Spiralform sowie geometrische Formen und in vergoldetes Leder geritzte Motive oder Sohlen mit Lochmuster, zeugen dagegen von der Phantasie der koptischen Schuster.

 

Griechenland

Wie in Ägypten ist auch in der griechischen Antike die Sandale der am weitesten verbreitete Schuhtyp. Die Helden Homers in der Ilias und der Odyssee tragen Sandalen mit Sohlen aus Bronze, die der Götter sind aus Gold. Agamemnon, der legendäre König von Mykene, schützt seine Beine mit Hilfe von Knemiden, die mit silbernen Spangen gehalten werden. Der um 450 vor Christus in Agrigent geborene griechische Philosoph Empedokles stürzt sich in den Schlund des Ätna, um seine Entführung in den Himmel vorzutäuschen. Aber der Vulkan verschlingt ihn, speit nur seine unversehrten Sandalen wieder aus, die seinen betrügerischen Selbstmord beweisen. Die reichen Mazedonier in der Zeit Philipps II. (382 bis 336 v. Chr.) tragen Sandalen mit Sohlen unterschiedlicher Dicke aus vergoldetem Silber oder Kork, die rechte und linke Sandale sind verschieden geformt; sie werden mit Riemen am Fuß befestigt. Zunächst von einfacher Machart, entwickeln sich in der Folge zunehmend elegantere und komplexere Formen, die sich an den Skulpturen erkennen lassen, z. B. an den Sandalen der im Louvre zu bewundernden Diana mit dem Reh. Auf den antiken Vasen tragen manche Personen geschnürte Stiefel, Endromiden genannt, geschmückt mit einem Umschlag, den man Embas nennt. Der spitze Schuh des hethitischen Typus, den man seit langem von den Ioniern kennt, findet auf dem griechischen Festland keinen Anklang. Dennoch greifen die Künstler auf ihn zurück, um ihren Gestalten ein orientalisches Flair zu verleihen, wie die Malerei auf bestimmten Vasen bezeugt. Man schreibt Aischylos (525 bis 456 v. Chr.) die Erfindung des Kothurn zu. Er wird von den Schauspielern der Tragödie getragen. Diese Sandale besteht aus einer sehr dicken Korksohle, die zwar die Schauspieler erheblich größer erscheinen lässt, aber ihre Standsicherheit gefährdet. Dieser Theaterschuh passt sich beiden Füßen unterschiedslos an, daher die Redensart „weniger verlässlich als ein Kothurn“. Es ist interessant, festzuhalten, dass der Kothurn wegen seiner Höhe das Anfangsstadium des Absatzes darstellt, der erstmals am Ende des 16. Jahrhunderts in Italien auftaucht. Das Tragen der mit Edelsteinen geschmückten Sandalen ist den Kurtisanen vorbehalten. Man erzählt, dass ihre genagelten Sohlen auf dem Sand eine unzweideutige Botschaft hinterlassen: „Folge mir!“ Diese große Vielfalt von Schuhen widerspricht deutlich der Empfehlung von Platon (428 bis 348 v. Chr.), der das Barfußgehen predigt.

15. Die Jagdgöttin Diana, Kopie aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert, Nachahmung eines griechischen Originals, Léo Charès zugeschrieben, Marmor, Louvre, Paris.

16. Rotfigurige attische Trinkschale, Epiktetos zugeschrieben, um 500 v. Chr., Agoramuseum, Athen.

17. Schwarzfigurige attische Amphore mit der Darstellung einer Schuhmacherwerkstatt, um 520–510 v. Chr., Museum of Fine Arts, Boston.

 

 

Die Etrusker

Das wahrscheinlich aus Kleinasien stammende etruskische Volk erscheint in Italien in der Gegend der heutigen Toskana gegen Ende des 8. Jahrhunderts vor Christus. Die realistischen Malereien auf den Gräbern und Nekropolen (Triclinium, Tarquinien, Caere) zeigen Götter und Sterbliche mit spitzen Schuhen, die hethitischen Einfluss verraten. Das Auftauchen von Sandalen mit Riemen, durchbrochenen Schuhen, geschnürten Bergstiefeln in Etrurien im 4. Jahrhundert vor Christus erklärt sich aus den Kontakten zu anderen Völkern des Mittelmeerraumes.

 

Rom

Als direkter Erbe der griechischen Kultur war Rom stark von ihr geprägt. Daher unterscheiden sich auch die römischen Schuhe kaum von den griechischen. In Rom ist der Schuh Ausdruck des Ranges und des Reichtums. Manche Patrizier tragen Sohlen aus Silber oder massivem Gold, während die Plebejer sich mit Holzpantinen oder groben Schuhen mit Holzsohlen begnügen müssen. Die Sklaven ihrerseits haben nicht das Recht, Schuhe zu tragen. Sie gehen mit bloßen, mit einer Schicht aus Kreide oder Gips überzogenen Füßen. Wenn die römischen Bürger von hohem Rang zu einem Gelage gebeten werden, lassen sie ihre Sandalen zu dem Gastgeber tragen. Die weniger Begüterten begnügen sich damit, sie selbst dahin zu tragen, denn die Schuhe anzubehalten, ist ein Mangel an Höflichkeit. Schließlich liegt man in Rom zu Tisch, zieht die Schuhe vor dem Essen aus und nimmt sie wieder mit, wenn man den Tisch verlässt. Die beiden Haupttypen des römischen Schuhs sind die Solea, eine Art Sandale, und der Calceus, ein geschlossener Stadtschuh, den man zur Toga trägt. Es gibt weitere Modelle, die aber nur Varianten dieser beiden Typen in Form, Farbe und Ausführung darstellen. Die Beamten tragen seltsame Schuhe aus schwarzem oder weißem Leder mit gebogenen Spitzen und einem Halbmond aus Gold oder Silber an der Seite. Wie in Ägypten und Griechenland sind rechter und linker Schuh deutlich unterschiedlich. Die Sandalen werden auch dazu benutzt, Liebesbotschaften zu übermitteln, wie Ovid (43 bis 17 v. Chr.) in Die Liebeskunst bestätigt.

Die Grabstele eines Schuhmachers aus dem 11. Jahrhundert spricht dafür, dass dieses Handwerk bereits existierte und hohes Ansehen genoss.

18. Flachrelief der Trajanischen Säule, Soldaten der römischen Legion (Militärschuhe), 113 n. Chr., Marmor, Rom.

19. Kolossalstatue des Gottes Mars (Kampagus tragend), 1. Jh. n. Chr., Kapitolinisches Museum, Rom.

20. Grabmal eines Schuhflickers, Reims (Marne), Faubourg Ceres, galloromanisch, 2. Jh. n. Chr., Sammlung des Musée Saint-Rémi, Reims, Aufnahme: Robert Meulle.

21. Sandale aus Silber, byzantinische Periode, Musée Bally, Schönenwerd, Schweiz.

 

 

Die Galloromanen

Die Bewohner Galliens tragen zur Zeit der römischen Herrschaft verschiedene Schuhmodelle, alle ohne Absätze und mit abgerundeter Spitze.

Am häufigsten trifft man auf einfache, römischen Einfluss verratende Sandalen für Männer und Frauen.

Die Gallica, der Vorfahre des Holzschuhs, ist ein geschlossener Schuh mit Holzsohle.

22. Mosaiken der Basiliken San Vitale und San Apollinare in Classe, Ravenna, um 547 n. Chr., Kaiser Justin und seine Diener.

 

 

Das byzantinische Reich

Die byzantinische Kultur währt vom 5. bis zum 15. Jahrhundert. Während dieser gesamten Periode werden in Byzanz eine Vielfalt von Schuhen persischer Machart aus rotem, mit Gold verzierten Leder produziert, daneben aber auch der Soccus und der römische Mulleus. Hausschuh und Pantoffel, Luxusobjekte von großer Raffinesse, sind anfangs dem Kaiser und seinem Hofstaat vorbehalten. Purpurrote, mit Gold verzierte Pantoffeln werden im gesamten östlichen Mittelmeerraum getragen, besonders in der Gegend von Alexandria und im Tal des Nils.

Bei Ausgrabungen in Achmin wurden mehrere für Frauen bestimmte Schuharten gefunden. In dieser Region erlebt das Schuhmacherhandwerk durch die Ansiedlung von Schustern christlicher Konfession einen Aufschwung. Christliche Symbole verbinden sich mit dem traditionellen geometrischen Dekor. Das zur Sammlung des Musée Bally gehörende Exemplar einer silbernen, mit einer Christus symbolisierenden Taube geschmückten Sandale dient als Beweis hierfür. Es wurde in einem Grab in Ägypten gefunden und stammt aus dem 6. Jahrhundert nach Christus.

23. Taufe des Clodwig durch den Heiligen Remigius (496), Kirchenfenster aus dem Heiligtum des Hl. Bonaventura, Lyon, 2. Arrondissement, von L. Charat und Frau Lamy-Paillet, 1964, Foto: J. Bonnet, Druckerei Beaulieu Lyon.