Inhalt

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Mann im Schatten
  4. Kapitel 1
  5. Kapitel 2
  6. Kapitel 3
  7. Kapitel 4
  8. Kapitel 5
  9. Kapitel 6
  10. Kapitel 7
  11. Kapitel 9
  12. Kapitel 9
  13. Kapitel 10
  14. Kapitel 11
  15. Kapitel 12
  16. Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Mann im Schatten

Lieber Leser!

In dieser Geschichte ist auch von einem Town Marshal die Rede, und ich möchte dazu einiges erklären:

Es entstanden damals immer wieder aus wilden Camps Städte, deren Bürgerschaft Männer unter Vertrag nahm, die sie für geeignet hielt, in der Stadt für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Das war u. a. in Dodge City, Tombstone und vielen anderen Städten so. Ein Town Marshal vertrat die Stadtgesetze und unterstand den Vertretern der Bürgerschaft. Außerhalb der Stadtgrenzen hatte er keinerlei Amtsbefugnis.

Ein Town Marshal war also weder ein Sheriff noch ein US-Marshal, der das Bundesgesetz vertrat.

Nicht wenige der einstigen Town Marshals waren Revolverhelden, und es kam nicht selten vor, dass z. B. eine Stadt in Kansas einen Town Marshal unter Vertrag hatte, der in Arizona oder einem anderen weit entfernten Staat wegen irgendwelcher Verbrechen gesucht wurde.

Hierfür gibt es genügend historische Beispiele.

Ein solcher Mann war James Butler Hickok, geb. 1837 in Illinois, erschossen 1876 in einem Saloon in Deadwood. Wild Bill Hickok war ein Revolverheld und Spieler. Dennoch war er in einigen Städten Marshal, tötete dort viele Revolvermänner, obwohl er selbst einer war. Aber die wilden Städte, wie z. B. Hays City und Abilene, brauchten solche harten, skrupellosen Burschen.

So war das damals.

Man muss sich also unter einem Town Marshal nicht immer einen redlichen, untadeligen Gesetzesvertreter vorstellen. Diese kamen erst später, nachdem die Revolver-Marshals mit dem Gesindel, das oft ihresgleichen war, aufgeräumt hatten. Was damals geschah, kann man nicht mit heutigen Maßstäben messen – und die damaligen Rechtsverhältnisse lassen sich nicht mit unseren heutigen vergleichen.

Es war die wilde Zeit des Umbruchs, in der das heutige Amerika entstand.   G.F. Unger

1

Von Sun Mesa hatte ich schon gehört; es war eine Stadt, in der sich nur harte Burschen behaupten konnten. Allen anderen Leuten wurde dort mehr oder weniger das Fell über die Ohren gezogen.

Die Postlinie endete in Sun Mesa, und der Mann, auf dessen Fährte ich nach Colorado kam, hatte die Post von Denver nach Sun Mesa genommen und war bisher bei keiner Station ausgestiegen.

Ich wusste, dass ich ihn in Sun Mesa treffen würde. Diesmal war ich sicher. Das sagte mir nicht nur mein Verstand – auch mein Instinkt. Es fehlten die merkwürdigen Ahnungen, die mich stets fühlen ließen, wenn etwas schief gehen würde.

Die letzten zwei Meilen stieg die Poststraße ständig an, und ich ließ meinen Archie ruhig gehen. Wir hatten ja Zeit.

Als wir dann auf der Hochebene waren, da sah ich die Stadt Sun Mesa in ihrem Lichterglanz. Aus der Ferne sah alles gut und freundlich aus. Die vielen Lichter wirkten ruhig und warm, wärmer als die kalten Sterne, die so fern und unirdisch waren.

Dort war eine Stadt mit Menschen jeder Art, mit Sünden und Lastern. Und die Freundlichkeit und Wärme, die von den Lichtern ausging, war nur Bluff.

Ich wusste genau, dass ich in eine wilde Stadt ritt.

Es würde Kummer geben, wenn ich auf Rex Massey stieß. Wenn er mich erkannte, würde er die Waffe ziehen und schießen, denn das war seine einzige Chance.

Aber auch ich hatte gegen diesen gefährlichen Burschen nur eine Chance. Ich musste aufpassen, dass er mich nicht zuerst sah. Ich war nicht sicher, ob ich ihn im Ziehen schlagen konnte.

Rex Massey hatte die schnellsten Hände, die ich jemals sah. Er tat nichts anderes, als mit den Karten oder dem Colt zu jonglieren und Kunststücke zu üben. Archie witterte widerwillig zu der Stadt hinüber, schnaubte unruhig und schüttelte seinen Kopf, als wollte er sagen: Cass, bleib weg von Sun Mesa. – Du wirst doch nicht ein so großer Narr sein und mit mir nach Sun Mesa reiten, Cass Morgan?

So heiße ich: Cass Morgan – ein Name wie viele andere. Auch mein Äußeres fiel nicht aus dem Rahmen. Ich war ziemlich lang und von einer trockenen Hagerkeit. Tausend Cowboys sahen nicht viel anders aus als ich. Besonders hübsch war ich ganz und gar nicht, eher hässlich und dunkel wie ein Sioux. Als junger Bursche war ich auf einer Ranch mit einem harten Mann zusammengeraten, dem ich das Pferd satteln und die Stiefel putzen musste; denn er war der Boss unserer Mannschaft – und ich der jüngste Reiter, der sich erst zuletzt das Steak von der Platte nehmen durfte.

Als ich mich erwachsen fühlte, kam es also zum Kampf.

Seitdem trug ich die Narben in meinem Gesicht. Dass ich nicht mehr länger eines anderen Mannes Pferd satteln und seine Stiefel putzen musste, hatte ich teuer bezahlt – auch das Vorrecht, mir zuerst das Fleisch nehmen zu dürfen – das größte und beste Stück. Aber man muss für alles im Leben bezahlen.

Auch Rex Massey, den ich in Sun Mesa zu finden hoffte, würde bezahlen müssen.

Ich sagte Archie, dass er weitertraben solle. Er gab sein unwilliges Schnauben auf und begann zu traben.

So kamen wir der wilden Stadt immer näher, und bald hörten wir ein gewisses Summen und Brausen, das zusammengesetzt war aus tausend Geräuschen. Als wäre Sun Mesa ein riesiges Hornissennest, so klang es. Zu meiner Rechten begann plötzlich ein Zaun. Ich erkannte im Mond- und Sternenlicht im gleichen Moment, was da eingezäunt war.

Gräber! Das da war der Friedhof. Es gab eine Menge Grabsteine, einfache Bretter und Holzkreuze. Dieser Friedhof war so groß, als wäre die Stadt schon einige Dutzend Jahre alt oder als hätten irgendwelche Seuchen gewütet.

Doch Sun Mesa war erst vor zwei Jahren entstanden. Man fand in den Hügeln ringsum Silber, obwohl man nach Gold gesucht hatte. Es war genügend Silber da, so dass man sich damit zufriedengab und auf das Gold verzichtete.

So entstanden einige große Minen und viele kleine, ein Stampfwerk und eine Schmelze. Die Stadt Sun Mesa wuchs aus einem primitiven Camp.

Mit dem Wohlstand und Reichtum kamen die Glücksritter, die Schurken und Schufte, der ganze Abschaum des Westens.

Das ist ja überall so auf der Welt. Dort, wo der Dollar leicht rollt, da sammeln sie sich alle – alle. Sie begehen alle Sünden und verfallen allen Lastern.

Ich kannte solche Städte; denn ich kam ziemlich weit herum. Ich hatte auch schon von Sodom und Gomorrha gelesen, den zwei lasterhaften Städten, die Gott vernichtet hatte.

Es gab also immer solche Orte, würde sie auch immer wieder geben.

Sun Mesa war auch so. Als ich zwischen den ersten Häusern hineinritt, entdeckte ich gleich den Mietstall, bog in die Einfahrt ein und sagte dem Stallmann, der mich im Schein der Laterne scharf und wachsam musterte, dass er meinen Rappwallach gut abreiben und erstklassig füttern solle.

»Für zwei Dollar«, brummte der Mann, »werde ich das tun, Mister.«

Ich gab ihm die zwei Dollar und sagte ihm, dass er noch einen bekäme, wenn ich nichts an Archies Unterbringung auszusetzen hätte.

Dann ging ich wieder. Ich wusch mir auf dem Hof flüchtig den Staub aus dem stoppelbärtigen Gesicht und trank einen Schluck Wasser. Das Wasser war gut und kühl. Der Brunnen war tief. Ein Windrad drehte sich ständig im kühlen Nachtwind und pumpte Wasser aus dem Brunnenschacht. Das Gestänge war gut geschmiert. Selbst wenn es gequietscht hätte, die Stadt war sehr viel lauter und übertönte mit ihrem Lärm alles andere.

Sun Mesa brüllte, tobte, grölte.

In fast allen Tingeltangels, die sich rechts und links der Hauptstraße drängten, spielten Kapellen – und wie sie spielten: laut und noch lauter.

Vor all diesen Amüsierhöllen, Tanz- oder Spielhallen, standen die Anreißer und verkündeten lauthals die fragwürdigen Freuden, die drinnen auf jeden Besucher warteten.

Und der Strom der mehr oder weniger angetrunkenen und nach den tausend angepriesenen Freuden lüsternen Minenarbeiter wälzte sich unaufhörlich auf beiden Seiten der Straße, drängte in die Lokale hinein.

Überall waren die schweren Wagen der Minen abgestellt, mit denen zwei oder drei Dutzend Arbeiter in die Stadt gefahren kamen. An den Haltestangen standen aber auch Rinderpferde, und diese erinnerten daran, dass es in der Gegend einige große Rinderranches, Dutzende kleiner Ranches, Farmen und Siedlerstätten gab.

Es waren also auch sporentragenden Reiter auf den Gehsteigen zu sehen.

Sun Mesa lief über wie ein brodelnder Suppentopf.

Ich fragte mich, wo ich Rex Massey finden könnte. Diese Frage war eigentlich leicht. Ich blieb an einer Hausecke neben einem Mann stehen, der wie ein Cowboy aussah, an einem Zündholz kaute und in der Hosentasche mit einigen Dollars klimperte. Er überlegte sichtlich, wohin er gehen sollte. Er stand an einer Ecke, und im Hintergrund der schmalen Gasse leuchtete eine rote Laterne.

Ich fragte: »Bruder, wo ist hier der nobelste Laden, wenn es darum geht, ein Spiel zu machen?«

Er betrachtete mich etwas zweifelnd. Dann grinste er: »In der Royal First Class Hall, da gibt es kein Limit. Doch wer so abgerissen aussieht wie du, Bruder, der muss erst sein Geld vorzeigen, bevor sie ihm die Tür öffnen. – Mit ein paar Knöpfen lassen sie dich erst gar nicht rein. Aber es gibt auch noch anderen Spaß, meine ich. Es muss ja nicht die nobelste Spielhalle sein. – Am Ende der Gasse ist Fair Marys Etablissement. Ich führe dich dort gern ein und …«

»Danke, Bruder«, unterbrach ich ihn. »Ich muss in die Royal First Class Hall. Das lässt sich leider nicht aufschieben. Wie komme ich hin?«

»Hinter der zweiten Gassenmündung auf der anderen Seite, dort, wo die meisten Laternen die Nacht zum Tag machen. – Ach, dann geh ich eben allein zu Fair Marys Mädels.«

Entschlossen stampfte er in die Gasse hinein auf die rote Laterne am anderen Ende zu.

Ich ging weiter, kam aber nicht weit. Aus einem der Saloons drängte sich plötzlich ein ganzer Schwarm von Männern. Es waren fünf oder sechs. Sie hatten sich ineinander verbissen wie Wildkatzen. Es handelte sich offensichtlich um zwei kämpfende Parteien, und ich konnte erkennen, dass es drei Minenarbeiter und zwei Cowboys waren. Sie wälzten, stießen, schlugen und zerrten sich bis in die Mitte der Fahrbahn, wo der Staub und Dreck am tiefsten waren. Dort kämpften sie dann mit wechselndem Erfolg, wobei sie reichlich Zuschauer hatten, die sie anfeuerten.

Schließlich bekamen die beiden Cowboys allmählich die Oberhand, weil die Miner schon ziemlich betrunken waren. Das machte sich nun in der frischen Nachtluft bemerkbar.

Plötzlich kam ein Reiter angeritten, ein wuchtiger Mann auf einem großen Braunen. Er ritt einfach in den sich balgenden Männerhaufen. Sein Pferd – offenbar daran gewöhnt – rammte mit Brust und Schultern die Männer zur Seite und stieß sie auseinander. Der Reiter beugte sich blitzschnell nach links und rechts aus dem Sattel und schlug mit dem Revolverlauf auf einige Köpfe. Das ging blitzschnell und wirkte leicht wie eine Spielerei.

Dann war auch schon alles vorüber. Die Prügelei war beendet. Alle fünf Männer lagen im Staub, vom Pferd umgeworfen oder vom Reiter zusammengeschlagen. Als sich der Reiter im Sattel aufrichtete, sah ich den Stern auf seiner Weste blinken.

Es war der Marshal.

Es war Marshal Rufus Whitehead. Von ihm hatte ich schon gehört, denn er war einer der legendärsten Städtezähmer. Die Bürgerschaft von Sun Mesa hatte ihn vor nicht langer Zeit angeworben, damit er diese wilde Stadt unter Kontrolle halten und wenigstens einigermaßen für Sicherheit und Ordnung sorgen sollte.

Nun hatte ich ihn bei der Arbeit gesehen. Ein eisenharter, schneller und gefährlicher Mann, der nicht lange überlegte, sondern rücksichtslos durchgriff, weil dies die einzige Chance war, die Stadt unter Kontrolle zu halten.

Er glich einem Dompteur, der in einem Raubtierkäfig vorwiegend Löwen, Tiger, Panther, Wölfe und Giftschlangen, aber nur wenige friedliche Tiere hat.

Und so hatte er zwei Aufgaben: Er musste verhindern, dass die Raubtiere sich gegenseitig umbrachten und er musste aufpassen, dass sie nicht über die friedfertigen Tiere herfielen.

Er konnte sie nur unter Kontrolle und im Zaum halten, wenn er nicht die geringste Furcht erkennen ließ. So ungefähr war es.

Ich wusste das, denn ich war nicht fremd in dieser Branche.

Der Marshal war ein einsamer Mann, vielleicht sogar ein Narr, der sich für unverletzbar und unüberwindlich hielt, der an sein Glück und seine Stärke glaubte.

Dabei machte er sich jede Nacht Feinde, hatte sicher schon Dutzende.

Mit einer einzigen Kugel aus einer der dunklen Gassen wäre er hin.

Oha, ich hatte schon ein solches Ende einiger harter Gesetzesmänner in wilden Städten gesehen oder davon gehört. Ich wusste, dass auf die Dauer keiner davonkommen konnte.

Wir waren ein ziemlich dichter Kreis von Zuschauern geworden.

Einige kannte der Marshal beim Namen. Er rief sie an und befahl ihnen: »Bringt diese Dummköpfe in die Zellen! Nehmt ihnen die Waffen ab! George Summer! Sie sind mir dafür verantwortlich!«

Dann ritt er weiter.

Und ich blieb, um zu sehen, ob man seine Befehle ausführen würde. Man tat es. Die Männer, die er benannt hatte – und besonders George Summer –, verlangten von anderen Zuschauern Hilfe. So bekam man die fünf betrunkenen oder noch halb bewusstlosen Burschen auf die Beine und brachte sie fort – in das Stadtgefängnis.

Der Marshal auf seinem Pferd war schon nicht mehr zu sehen; er war in eine Gasse eingebogen.

Ich ging weiter, um die Royal First Class Hall zu erreichen, dachte aber noch eine Weile über Marshal Rufus Whitehead nach.

War er ein Narr, der an seine Unverletzlichkeit und Unbesiegbarkeit glaubte? Verachtete er aus Dummheit die Gefahr?

Oder hatte er Vorsorge getroffen und wusste genau, was er tat und wie weit er gehen konnte?

Ich verbannte jeden Gedanken an ihn, denn ich stand vor der Royal-Spielhalle. Ich zögerte keine Sekunde und ging hinein.

Natürlich wusste ich nicht, ob ich Rex Massey dort finden würde. Das war noch fraglich.

Doch wenn Rex Massey heute um diese Zeit und in dieser Stadt ein Spiel machte, dann tat er das bestimmt in der nobelsten Spielhalle und dort, wo die Einsätze ohne Limit waren.

Mit kleinen, zweitrangigen Dingen gab sich der Spieler und Revolverheld Rex Massey niemals ab. Wenn er eine Frau eroberte, dann war es die schönste. Wenn er ein Pferd kaufte, dann war es das Beste. Wenn er ein Spiel machte, dann war es stets ein großes Spiel. Und wenn er sich mit einem Gegner einließ, dann war das kein kleiner Mann. Alles, was Rex Massey tat, war von besonderem Format. Er war ein Edeltiger. Das wusste ich, weil ich ihn gut genug kannte. Wir waren uns in einigen Camps und Städten begegnet – bis dann in einer Stadt etwas geschah, das mich zwang, seiner Fährte zu folgen.

Und nun? Würde diese Fährte hier enden? Und für wen? Für ihn oder für mich?

Das waren die Fragen, die ich mir stellte, als ich in die Royal Hall ging und mich umsah.

Zuerst kam man in die große Spielhalle, in der man auf jede Art sein Spiel riskieren konnte. Sogar Billard konnte man auf guten Tischen spielen – und natürlich Poker, Pharao, Blackjack, Roulette, Würfel – nur nicht Halma.

Es war auch eine Bar da, und alles sah recht nobel aus mit dicken Teppichen, Spiegeln und Ölbildern an den Wänden, vielen Messingspucknäpfen, eleganten Möbeln, Vorhängen, schweren Kronleuchtern und Wandlampen.

Vor einem dicken Samtvorhang standen zwei Kerle, die von unterschiedlicher Sorte waren.

Einer war ein ehemaliger Preiskämpfer. Das konnte man unschwer an seiner Statur und an seinen Blumenkohlohren erkennen. Der andere Bursche war ein Revolvermann. Einer von der Sorte, die sich wie Dandys kleideten, aber keine waren. Diese nachgemachten Gentlemen waren hart geblieben, obwohl sie nicht mehr Flanell-, sondern nur noch Seidenhemden mit Rüschen trugen.

Als ich vor ihnen stand, betrachteten sie mich sorgfältig. Und sie ließen sich nicht von meinem abgerissenen, staubigen Äußern täuschen. Sie hielten mich von Anfang an nicht – was andere Menschen oft taten – für einen Cowboy, der von weither gekommen war, um einmal eine Stadt zu sehen.

Sie hatten mich sofort durchschaut. Wären sie Wölfe gewesen, dann hätten sie warnend geknurrt, und ihre Nackenhaare hätten sich gesträubt. So sahen sie mich nur böse an.

Ich nickte ihnen zu. »Lasst mich nur hinein, Freunde«, sagte ich.

Sie zögerten noch und überlegten, und ich sah sie an. Sie begriffen plötzlich, dass ich mächtigen Verdruss bringen würde, wenn sie mir den Weg versperren würden.

Oh, sie hatten keine Angst. Das war es nicht. Sonst hätten sie diesen Job nicht ausgeübt. Aber sie hatten wohl auch den Befehl, jeden unnötigen Ärger zu vermeiden.

Ich kam ihnen zu Hilfe, machte einen ruhigen Schritt zwischen ihnen hindurch, teilte mit einer Handbewegung den dicken Vorhang und trat in einen der nobelsten Spielräume, die es damals in ganz Colorado gab. Und das wollte etwas heißen, denn man leistete sich in diesen Silber- und Goldstädten eine Menge unvernünftigen Luxus. Es gab sogar Leute, die ließen sich die Dielen ihrer Häuser mit Silberstücken pflastern.

Es war eine Pracht. Man glaubte, in den Spielsaal eines Palastes zu treten. Meine schmutzigen Stiefel versanken in weichen Teppichen.

Die Gesellschaft war bunt und gemischt.

Da saßen reiche Minenbesitzer, Geschäftsleute und ein Rindermann, der sicher erst vor wenigen Stunden eine Longhornherde zu einem guten Preis verkauft hatte. Die Minenarbeiter brauchten jeden Tag Tausende von Steaks.

Es waren reiche Geschäftsleute da, Spekulanten, und es gab auch einige Burschen, die so stoppelbärtig und abgerissen waren wie ich – und deren Taschen voll Geld steckten.

Einige Spieler von Format hielten die Bank an den Tischen. An einem Pharao-Tisch teilte eine Frau die Karten aus. Sie war schön und verlockend wie die Sünde. Nicht wenige der Spieler an ihrem Tisch spielten nur deshalb, um sie aus nächster Nähe betrachten zu können. Auch ich hätte das gerne getan, denn sie war ein wunderbares Mädchen mit roten Haaren und grünen Augen. Ihr Kleid hatte genau die Farbe ihrer Augen.

Ihr Gesicht war von einer rassigen Schönheit, und wenn sie lächelte, was sie oft genug tat, blitzten ihre Zähne.

Sie war in dieser wilden Stadt und in diesem frauenarmen Land etwas, das man sich ansehen musste. Dabei spielte es gar keine Rolle, ob sie in ihrem Kern gut oder schlecht war.

Es kam erst einmal auf ihr Äußeres an. Wahrscheinlich war sie eiskalt und berechnend, eine scharf kalkulierende Glücksjägerin, die am Spieltisch mehr verdiente als ein guter Bergwerksingenieur bei der Arbeit in den Minen.

Ihr Blick traf mich kurz, wollte über mich hinweggleiten, kam jedoch sofort wieder zurück. Auch sie hatte schnell erkannt, dass man mich zweimal ansehen musste.

Ich grinste sie an und zog meinen Hut. Ganz so, als sei sie mir von irgendwoher bekannt und müsse auch sie mich kennen. Dann kehrte ich ihr den Rücken zu.

Ich musste zuerst herausfinden, ob Mister Rex Massey im Raum war, und wenn er hier an einem Spieltisch saß, dann musste ich ihn sehen, bevor er mich entdeckte. Ich hoffte nur, dass er mich – so stoppelbärtig und abgerissen – nicht in Sekundenschnelle erkennen konnte. Dann würde er sofort ziehen. Ich brauchte die Zeitspanne, in der zweifelte und zögerte.

Als ich mich also abwandte, sah ich ihn auch schon.

Ja, das war Rex Massey, und er sah wie ein nobler Gentleman aus, steckte in einem erstklassigen Maßanzug und trug ein gefälteltes Hemd, eine seidene Krawatte mit einer Brillantnadel. Auch an seiner Linken blitzte ein großer Brillant. Er war ein dunkler Typ, und seine glattrasierten Wangen schimmerten bläulich.

Um seinen Spieltisch, an dem alle Plätze besetzt waren, standen einige Zuschauer, die ihm bisher die Sicht versperrt hatten.

Doch ich war ein Stück weitergegangen. Außerdem hatte sich einer der Zuschauer zum Imbisstisch an der Wand entfernt.

Und da sah ich ihn also.

Er aber sah auch mich.

Er erkannte mich sofort und begriff im selben Augenblick, dass ich nicht zufällig hier auftauchte, sondern seinetwegen. Er wusste in dem Moment auch, was das bedeutete.

So zögerte er nicht eine Sekunde.

Er warf sich rückwärts mit dem Stuhl zu Boden. Dabei zog er unheimlich schnell seinen kurzläufigen Revolver aus dem Schulterhalfter. Oha, was war er schnell! Und wie entschlossen handelte er! Er war wie eine Katze.

Aber ich war darauf vorbereitet. Ich wusste, was geschehen würde. Und so hatte auch ich im selben Moment nach der Waffe gegriffen. Sie kam glatt aus dem Halfter; ich wusste, dass ich so schnell zog wie vielleicht noch niemals in meinem Leben.

Als ich abdrückte, blitzte sein Mündungsfeuer. Seine Kugel fetzte durch mein über dem Gürtel aufgebauschtes Hemd und streifte leicht die Haut über der Hüfte.

Dann war es vorbei.

Ich lebte und hatte besser getroffen.