Inhalt

VORWORT

Willensstarke Kinder

Ella hat ständig Wutausbrüche

Muss ein Baby wirklich so wild sein?

Alle tanzen nach der Pfeife der achtjährigen Smilla

Jennifer will nicht schlafen

Das Projektkind

Die Elternrolle

Eine Mutter mit Schuldgefühlen

Die wütende, traurige Julia ist extrem auf ihre Mutter fixiert

Wenn Papa depressiv ist, leidet die ganze Familie

Jenny fällt es schwer, eine Verbindung zu ihrer Tochter aufzubauen

Vivis Patchwork-Vater hat keine Zeit für sie

Was mache ich mit meiner Unsicherheit?

Alltagschaos

Seit das zweite Kind auf der Welt ist, ist Mama immer müde

Felix ist langsam – und Papa verliert schnell die Geduld

Wilder Junge in der Krippe

In der siebenköpfigen Familie herrscht Anarchie

Erik ist fast fünf und macht sich noch in die Hose

Als die Zwillinge auf die Welt kamen, verstummte der große Bruder

Lasst den Gefühlen der Kinder freien Lauf

Elternbeziehungen

Eine frisch getrennte Mutter macht sich Sorgen um ihre Kinder

Einsam in der Partnerschaft

Katharinas Mann »hilft nicht mit« im Haushalt

Papa ist nur eine Stimme am Telefon

Unserem Kind geht es nicht gut

So reden, dass die Kinder zuhören

Begrabt den Krieg mit eurer kleinen Tochter

Wenn nur die Mutter zählt

Die Kinder sehnen sich nach Geborgenheit

Stiefvater oder Freund der Familie

Unser Junge wird oft ausgeschimpft

Von Respekt, persönlichem Sprechen und der Führungsrolle in der Familie

Bücher und DVDs von Jesper Juul

familylab

VORWORT

Als der dänische Familientherapeut Jesper Juul bei unserer Zeitschrift »Wir Eltern« anfragte, ob wir Interesse an einer Serie über Elterncoaching hätten, hatten wir keine Vorstellung davon, was für ein durchschlagender Erfolg das werden würde. Der Plan war, dass Familien ihre unterschiedlichsten Probleme schildern sollten und ihnen Hilfe angeboten wird.

»Wir Eltern«, Vi föräldrar, ist das größte und älteste Elternmagazin in Schweden und natürlich kannten und schätzten wir Jesper Juuls umfassende Fähigkeiten seit Langem. So beschlossen wir, ohne Zögern loszulegen. Wir lancierten also eine Anfrage in unserer Zeitschrift, in der wir Familien suchten, die Hilfe benötigen.

Natürlich wussten wir, dass es in unserem Land in jeder Stadt, in jedem Stadtteil und in jeder Straße Familien gibt, die jeden Tag mit den unterschiedlichsten Konflikten zu kämpfen haben. Was wir allerdings nicht voraussehen konnten, war die Flut von Mails, die uns verzweifelte, traurige, deprimierte, aber in vielen Fällen auch hoffnungsvolle Eltern schickten. Drei Jahre lang haben wir Hunderte von Familiengeschichten gehört, manchmal handelte es sich um kleine Alltagskonflikte, manchmal um größere und schwerwiegendere Probleme. Am liebsten hätten wir allen Familien die Möglichkeit gegeben, Jesper Juul zu treffen und Hilfe zu bekommen. Aber aus verständlichen Gründen waren wir gezwungen, uns zu beschränken. In Absprache mit Jesper Juul haben wir also versucht, Familien auszuwählen, bei denen wir vermuteten, dass sie von einem Treffen profitieren würden. Außerdem entschieden wir uns für Familien mit Problemen, mit denen in unseren Augen viele zu kämpfen haben.

Vor jedem Coachingtermin habe ich, Anna-Maria Stawreberg, mit den Eltern telefoniert und eine umfassende Mailkorrespondenz geführt. Ich informierte sie darüber, dass wir vorhatten, ihre Geschichte in der Zeitschrift zu veröffentlichen, sie aber anonym bleiben würden. Außerdem erfuhren sie, dass ihre Kinder sehr gerne bei dem Treffen dabei sein dürfen. Und dann kamen die Familien. Einige von ihnen kamen von sehr weit her, andere hatten nur eine kurze Anfahrt. Meistens fanden unsere Treffen im großen Konferenzraum der Redaktion in Stockholm statt, aber einige Coachings wurden auch nach Malmö oder Göteborg verlegt.

Vor den Terminen hatte Jesper Juul bereits den Brief der Eltern gelesen, in dem sie ihr Problem schilderten, bei dem sie Hilfe benötigten. Danach begann das eigentliche Coaching. Einige der Mütter und Väter waren sehr nervös, andere die Ruhe selbst.

Manchmal war der Geräuschpegel im Raum enorm hoch, was meistens daran lag, dass die Kinder fröhlich mit den Sachen spielten, die wir bereitgestellt hatten. Manchmal war es fast gespenstisch still, die Kinder saßen schweigend am Tisch und zeichneten, während die Eltern unter großer Anstrengung versuchten, den Familienkonflikt zu beschreiben. Gelegentlich gab es Streit, häufig Tränen. Manchmal herrschte eine eisige Stimmung, in anderen Fällen brachen sich leidenschaftliche Gefühle Bahn. Bei den meisten Gesprächen hielten sich Tränen und Lachen die Waage.

Allen Familien war gemeinsam, dass sie ihr Problem bewältigen wollten und seit Langem die unterschiedlichsten Lösungsversuche unternommen hatten.

Jedes Coaching nahm etwa 2 Stunden in Anspruch. Nur Jesper unterhielt sich mit den Familien, ich war lediglich Beisitzerin, machte Notizen und nahm das Gespräch auf Band auf. Jedes Mal wieder war ich beeindruckt, wie schnell Jesper auf den Kern des Problems zu sprechen kam. Mithilfe weniger Fragen gelangte er auf die richtige Spur. Natürlich war er dabei auch auf die Eltern angewiesen, die ihm die Richtung weisen mussten. »Stimmt das so, wie ich es formuliere?«, »Könnt ihr euch darin wiedererkennen?«, hakte er nach und meistens nickten die Eltern eifrig.

Eine häufig von den Eltern gestellte Frage lautete: »Soll mein Kind wirklich mit dabei sein und alles mit anhören können?« Und immer antwortete Jesper: »Ja, Kinder nehmen keinen Schaden davon, ihren Eltern dabei zuzusehen, wie sie versuchen, mit einer schwierigen Situation zurechtzukommen.« Manchmal konnte man die Beteiligung der Kinder registrieren, obwohl sie sich ganz still verhielten. Das wilde Spiel wurde auf einmal leiser, je länger das Gespräch andauerte. Die Kinder wurden ruhiger und für Jesper war das ein untrügliches Zeichen dafür, dass ihnen gefiel, was sie hörten. Auf diese Art und Weise zeigten sie ihre Zustimmung. Das konnte man ganz deutlich ablesen, sogar an kleineren Kindern, die noch nicht sprechen konnten und den genauen Wortlaut der Unterhaltung auch gar nicht verstanden. Kinder besitzen Antennen für die Stimmungen im Raum, sie spüren, dass Mama und Papa sich mit einem Mann unterhalten und versuchen, wieder Ordnung ins Leben zu bekommen.

In den Follow-up-Gesprächen zeigte sich häufig, dass die Kinder weit mehr begriffen hatten, als ihre Eltern vermuteten. So sagte ein kleiner Junge, der während der gesamten Coachingsitzung mit dem Rücken zu uns gesessen und gespielt hatte, ganz lakonisch zu seinen Eltern, die sich in aller Ruhe mit ihm unterhalten wollten: »Ihr findet also, dass wir es genauso machen sollen, wie Jesper gesagt hat?«

Auf ähnliche Art und Weise entstanden die sechs neu in diesen erweiterten Band eingefügten Gespräche. Die Familien entstammen einer Gruppe von 100 Familien, die Jesper Juul und Pernille W. Lauritsen, die Mitbegründerin von familylab Dänemark, in insgesamt fünf Jahren getroffen haben und die ihnen erlaubten, Einblick in Teile ihrer innersten Gedanken, Gefühle und Frustrationen im Familienleben zu nehmen. Als Autorin und Coach führte Pernille W. Lauritsen mit den Familien ein einleitendes, danach Jesper Juul ein 1- bis 2-stündiges Gespräch, bei dem Pernille W. Lauritsen anwesend war. Etwas später hat sie ein weiteres Mal mit der Familie gesprochen; diese Gespräche sind in den jeweiligen Rückblicken am Kapitelende zusammengefasst. Auch diese sechs Gespräche wurden gekürzt und leicht bearbeitet; sie wurden in den dänischen Zeitschriften Vores born und Junior abgedruckt.

Wer schon Bücher von Jesper Juul gelesen hat, weiß, wie groß sein Respekt Kindern gegenüber ist. Nie ist bei ihm die Rede von irgendwelchen Bestrafungs- oder Belohnungssystemen wie dem stillen Stuhl oder dem Punktesammeln. Seine Haltung ist vielmehr, dass Kinder es in den allermeisten Fällen ihren Eltern recht machen wollen. Und wenn ein Kind um sich tritt, ist es häufig ein Anzeichen dafür, dass es mit einer bestimmten Situation nicht zurechtkommt, sein Unbehagen aber nicht in Worte fassen kann.

Wer miteinander spricht, kommt weiter, behauptet Jesper. Und dabei ist es gar nicht so entscheidend, dass das Kind jedes einzelne Wort versteht, das seine Eltern sagen. In den meisten Fällen genügt es, dass es erkennt, wie sehr sich Mama und Papa darum bemühen, das Zusammenleben zu erleichtern. »Redet mit eurem Kind, als würdet ihr mit einem Freund sprechen«, mahnt Jesper und meint damit, dass die Eltern den pädagogischen Unterton über Bord werfen und sich stattdessen darauf konzentrieren sollen, ihre wahren und aufrichtigen Gefühle zu zeigen. Auf diese Authentizität kommt er oft zu sprechen. Es gibt keinen Mutter- oder Vatermantel, der jedem passt. Nur weil man Eltern geworden ist, verändert sich nicht die eigene Persönlichkeit, und man muss auch nicht anders sprechen oder gar denken, nur weil die Familie größer geworden ist.

Im Laufe der Jahre haben wir viele Leserbriefe erhalten. Die meisten waren enorm positiv, viele haben ihre eigenen Probleme in den Beispielen wiedererkannt und wollten ihre persönliche Version erzählen. Andere hatten das Bedürfnis, den Familien Mut zuzusprechen und Jesper Juul für seinen Rat zu danken. Aber es gab auch kritische Stimmen, die Jespers Verhalten den Eltern gegenüber in einigen Fällen zu hart fanden.

In vielen der Coachingsitzungen hatte Jesper Juul einen der Elternteile dazu aufgefordert, Verantwortung für die eigenen Wünsche zu übernehmen. Sich seiner Wünsche klar zu werden und sie in einer Weise zu formulieren, dass der Partner sie verstehen kann. »Aber das habe ich doch schon tausendmal gesagt!«, beschwerte sich zum Beispiel ein Elternteil im Laufe des Gesprächs. »Sag es noch einmal, aber anders! Sag, was du haben willst!«, forderte Jesper Juul dann auf. Und siehe da, beim 1001. Mal ging dem Partner endlich ein Licht auf. »Ich habe nie verstanden, dass du es so gemeint hast!«

Manchmal hätte ich persönlich – und wie sich anhand der Leserbriefe zeigte, die unsere Redaktion überschwemmten, ging es auch anderen Lesern so – mir gewünscht, Jesper Juul hätte sich die eine oder andere Seite mal zur Brust genommen, sie oder ihn richtig durchgeschüttelt und gesagt, sie sollten sich zusammenreißen und endlich erwachsen werden. Als ich ihn darauf ansprach, erklärte er mir, dass es so nicht funktionieren würde. Manchmal sei es einfacher, den Partner so anzunehmen, wie er ist, statt vergebens zu versuchen, ihn oder sie zu ändern. Man kann einen Menschen nicht verändern, und die Wirklichkeit so zu akzeptieren, wie sie nun einmal ist, sei leichter zu ertragen, als ewig in einer Traumwelt zu leben.

In diesem Buch können Sie 24 Familien bei ihren Gesprächen mit Jesper Juul begleiten. Seine Gedanken zum Thema Familie und Zusammenleben bieten aber keine schnellen Lösungen. Wer glaubt, dass ein Coaching aus 20 Punkten besteht, die uns zu einem harmonischen Familienleben verhelfen, oder dass es uns ein tägliches, fünfzehnminütiges Übungsprogramm offeriert, wie wir Geschwisterkämpfe vermeiden, der irrt sich gewaltig. Jesper Juuls Gedanken sind weitaus komplexer. Sie setzen sich in erster Linie aus gesundem Menschenverstand und seinem großen Respekt den Kindern gegenüber zusammen. Aber sie führen auch zu Aha-Erlebnissen (»Ach so, man muss also nicht mit seinem Dreijährigen in Babysprache reden!«). Pernille W. Lauritsen und ich haben Jesper Juul gebeten, seine Gedanken zu den Problemen aufzuschreiben, die immer wieder in den Coachingsitzungen auftauchten. Diese Texte stehen jeweils am Ende eines Kapitels.

Die Tatsache, dass seine Ratschläge eben nicht von der Sorte »Drei Wege, um seinen sechsjährigen Bettnässer zu heilen« oder Ähnliches sind, machen sie umso lesenswerter. Ich kann Ihnen garantieren, dass Sie in jedem der Coachingbeispiele etwas für sich finden, ganz unabhängig davon, ob Sie Eltern eines sechsjährigen Bettnässers, eines den Schlaf verweigernden Säuglings, einer trotzigen Dreijährigen oder eines traurigen Achtjährigen sind.

Anna-Maria Stawreberg, Stockholm

Willensstarke Kinder

Ella hat ständig Wutausbrüche

Annika und Peter sind die Eltern von Ella, 3,5 Jahre, und Julia, 1 Jahr.

Ella ist ein schwieriges Mädchen, das schon sehr früh entwickelt ist. Ihre Launen beherrschen die gesamte Familie. Mama Annika wird von Schuldgefühlen geplagt, weil sie so große Schwierigkeiten mit ihrer Tochter hat. Jesper stellt schnell fest, dass in seinen Augen Ella ein sogenanntes »autonomes Kind« ist.

Als Annika und Peter Jesper Juul um Hilfe und um das Elterncoaching baten, war die Situation in ihrer Familie schon ziemlich verzweifelt. Seit der Geburt ihrer kleinen Schwester Julia regierte Ella die Familie mit eiserner Hand.

Die Familie hat im vergangenen Jahr versucht, sowohl bei Kinderärzten als auch beim Personal in der Kindertagesstätte Hilfe zu bekommen. Psychologen gaben ihnen mehrere Tipps, aber keiner davon hat Wirkung gezeigt. Annika und Peter haben sich immer mehr voneinander entfernt und darum eine Paartherapie begonnen.

Der gesamten Familie geht es schlecht, aber vor allem Annika plagen große Schuldgefühle, weil es ihr immer schwerer fällt, Ella in den Arm zu nehmen. Ihr Verhältnis zu ihrer älteren Tochter ist kompliziert.

Das Gespräch

Annika: Ich habe die verschiedensten Ratschläge von den Psychologen bekommen. Einer davon war, dass ich mehr Zeit zu zweit mit ihr verbringen soll. Wir haben das versucht, aber es führte zu nichts. Trotzdem unternehmen wir immer noch Sachen nur mit ihr allein. Ich habe das Gefühl, dass wir wirklich alles ausprobiert haben. Am Ende war der Psychologe kurz davor, aufzugeben, glaube ich. Auch er hatte den Eindruck, alles versucht zu haben. Und dass nichts geholfen hat. Sie sind uns sogar entgegengekommen und haben unseren Betreuungsbedarf im Kindergarten für Ella erhöht. Das nehmen wir nach wie vor in Anspruch.

Hier kommt ein Notruf einer Familie, die dringend Hilfe benötigt, mit unserer Tochter und uns als Eltern. Nachdem wir etwa ein Jahr lang zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin- und hergependelt sind, habe ich jetzt beschlossen, dass ich mich unbedingt an dich und dein Expertenwissen wenden muss.

Ella, dreieinhalb Jahre alt, ist unsere älteste Tochter, sie ist sehr launisch und hat einen ausgeprägten Willen. Sie hört überhaupt nicht auf uns, sondern straft uns mit Nichtachtung und schließt die Augen oder geht einfach weg. Sie sagt auch deutlich, dass sie nicht vorhat, zu gehorchen, und beschimpft vor allem ihre Mutter mit bösen Worten, »doofe, blöde Mama« und anderes. Sie bekommt mehrmals am Tag unfassbare Wutausbrüche, schreit, tritt um sich und schlägt alle Familienmitglieder.

Wir haben unseren Betreuungsbedarf in der Kita erhöht, weil ich, die mit der kleinen Schwester Julia in Elternzeit bin, keine Kraft mehr habe. Ich habe eine Therapie angefangen, um zu lernen, eine bessere Mutter zu werden.

Die Situation ist aber auch für unsere Beziehung, also die der Eltern, kritisch geworden. Seit einem Jahr machen wir eine Paartherapie. Mein Herz zerbricht vor Traurigkeit, denn ich liebe mein Kind, aber ich mag sie nicht so, wie sie geworden ist oder eben wie wir sie haben werden lassen.

Lieber Jesper, wir bitten dich, hilf uns dabei, unserer Tochter Ella zu helfen!

Annika

Jesper: Und was sagen sie im Kindergarten?

Peter: Sie sagen, dass sie für ihr Alter schon sehr weit ist. Dass sie schon sehr gut sprechen kann. Vor Kurzem hat sie zum Beispiel einen Pilz aus Ton geformt, der wirklich toll aussieht. Sie macht Sachen, die kein anderes Kind macht. Sie ist sehr kreativ.

Jesper: Alles in allem ist also nicht so viel passiert?

Annika: Nein, nur dass Ella größer geworden ist und noch besser sprechen kann.

Jesper: Wie war die Schwangerschaft mit ihr?

Annika: Ich war sehr nervös. Bevor ich Ella bekam, hatte ich eine Eileiterschwangerschaft und mit Ella mehrere Blutungen.

Peter: Wir waren oft im Krankenhaus, um alles überprüfen zu lassen.

Jesper: Es ist häufig so, dass Kinder, die eine schwere Schwangerschaft erleben mussten, sich zu starken Persönlichkeiten entwickeln. Sie mussten sich ja durchbeißen, um zu überle-ben.

Annika: Dann kam sie auf die Welt und hatte vier Monate lang Koliken und schrie und schrie. Es war unmöglich, sie zu beruhigen. Da hat es angefangen, meinst du, Peter, oder?

Peter: Das war eine anstrengende Zeit, wir waren kein gut eingespieltes Team. Wir waren müde und hatten keine Reserven. Sie brüllte, überall und immer. Man konnte mit ihr nicht Auto fahren, da gab es am meisten Theater.

Jesper: Könntet ihr mir ein paar Beispiele nennen, so genau wie möglich?

Peter: Wenn ich einkaufen fahre, will Ella unbedingt mit. Wenn ich dann losfahre, will sie doch nicht mehr mit. Dann ist nichts richtig, wir müssen anhalten und aussteigen, damit wir uns in Ruhe unterhalten können. Sie schreit und brüllt wie am Spieß.

Annika: Uns wurde geraten, sie festzuhalten. Aber das geht gar nicht. Dann gerät sie in Panik.

Peter: Das ist so furchtbar. Jetzt muss sie in ihr Zimmer gehen, bis sie sich wieder beruhigt hat. Da herrscht Krieg. Und so ist das mit fast allem: Zähneputzen, Abendessen … Man kann nicht mit ihr reden.

Jesper: Wie war das am Anfang, in ihrem ersten Lebensjahr? Hatte sie das Bedürfnis nach physischem Kontakt?

Annika: Nein, sie ist nie besonders schmusig gewesen. Sie schmust gerne mit ihren Omas, aber nicht mit uns …

Jesper: Ja, das ist auch was anderes. Wie sah ihr Gesicht aus, als sie zur Welt kam? War es schon reif und fertig, also nicht so wie ein Baby, sondern eher wie ein Kind?

Peter: Diese Anfangszeit haben wir irgendwie vergessen …

Jesper: Der Grund, warum ich frage, ist der, dass ich über Kinder forsche, über die noch nicht so viel geschrieben worden ist, denen ich aber schon häufig begegnet bin. Ich nenne sie »autonome Kinder«. Wenn sie zur Welt kommen, haben sie oft schon so einen reifen Gesichtsausdruck. Aber auch nicht immer.

Eine Mutter, mit der ich darüber sprach, formulierte einmal ganz explizit, was das Charakteristische an diesen Kindern ist. Sie hat eine neunjährige Tochter, die autonom ist: »Ich habe noch drei weitere Kinder, die ich liebe, aber dieses Kind lässt sich einfach nicht lieben.« Die Mutter versuchte, ihrer Tochter ihre Liebe zu geben, aber erhielt nie etwas zurück. »Ich kann ihr meine Liebe nicht geben.«

Es ist sehr gut, dass ihr vermieden habt, in einen Machtkampf zu geraten. Denn das ist eigentlich unmöglich mit diesen Kindern. Sie lassen sich nicht korrumpieren. Man kann ihnen auch nicht drohen oder sie bestechen. Sie besitzen eine außergewöhnlich stark ausgeprägte Integrität.

Ganz generell lässt sich sagen, um ein Bild zu benutzen, dass Kinder Nahrung brauchen: in Form von Fürsorge, Erziehung, Liebe. Den meisten Kindern kann man das einfach vorsetzen. Autonomen Kindern dagegen muss man diese Nahrung auf dem Buffet präsentieren, damit sie sich davon nehmen können, wann immer sie wollen. Nach meiner Erfahrung bedienen sie sich früher oder später am Buffet. Aber sie müssen die Konditionen bestimmen dürfen. Sie müssen sich davon nehmen dürfen, weil sie es wollen, nicht weil Mama das will oder Papa sonst traurig wird.

(Während sich Jesper, Annika und Peter unterhalten, sitzt Ella bei ihnen und zeichnet, scheinbar vollkommen unbeteiligt am Geschehen. Aber man sieht, dass sie das Gespräch genau verfolgt.)

Jesper: Es ist gut, dass das Mädchen uns genau zuhört. Diese Neunjährige, von der ich eben erzählt habe, sie hörte uns auch genau zu, obwohl sie total unbeteiligt wirkte. Ihrer Mutter sagte ich: »Ich weiß, du hast mit deiner Tochter 10.  000-mal darüber gesprochen. Aber jetzt kannst du dich dazu entschließen, ihr noch ein einziges Mal zu sagen, was du dir wünschst, und danach nie wieder.« Das tat die Mutter. In der Sekunde, in der sie ihrer Tochter ihren Wunsch mitgeteilt hatte, stand das Mädchen auf und schmiegte sich an sie. Dann vergingen drei Tage. Schließlich kam sie zu ihrer Mutter und fragte: »Willst du mir meine Haare bürsten?«, als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Die Mutter hatte noch nie die Haare ihrer Tochter bürsten dürfen. Aber das Mädchen hatte eine Entscheidung getroffen. Diese Kinder wollen selbst bestimmen.

Ich liebe diese Kinder. Sie lassen sich nicht manipulieren. Sie sind vollkommen bei sich, aber dadurch natürlich auch ab und zu sehr einsam. Das ist der Preis dafür, so wie Ella zu sein.

Ich sage keineswegs, dass Ella die Familie in ihrer Hand haben soll. Aber mit diesen Kindern muss man anders sprechen, nicht wie mit einer Dreieinhalbjährigen, sondern wie mit einer Fünfunddreißigjährigen. Zum Beispiel kann man Folgendes sagen: »Ich will, dass du das hier machst. Du darfst es machen, wann du willst, aber ich will, dass du es machst.« Und dann muss man Distanz schaffen, weggehen und den Kontakt unterbrechen. Diese Kinder haben eine schreckliche Allergie gegen Pädagogik. Sie wollen nicht manipuliert werden. Man muss bei ihnen darum sehr klar und deutlich den eigenen Willen formulieren und dann den Kontakt unterbrechen.

Annika: Stimmt, denn wenn wir sie bitten, etwas zu tun, sagt sie sofort Nein. Aber morgens schaffen wir es eben nicht, es anders zu machen.

Jesper: Ich verstehe, das schafft man auch nicht in allen Situationen! Man kann ihr natürlich auch sagen: »Ich weiß, dass du jetzt nicht willst, aber ich will.« Und dann gehen. Wenn du mit deinem Mann so sprechen würdest, wie wir meistens mit unseren Kindern sprechen, dann würde er total durchdrehen! »Hör auf damit, ich mache die Dinge, wann ich will, wann es mir passt!«, oder: »Ich weiß genau, was ich zu tun habe, und ich werde es auch machen, aber nicht, weil du es mir sagst …«

Alle Kinder wollen es ihren Eltern eigentlich recht machen und ihnen geben, was sie haben wollen. Wir setzen zwar immer voraus, dass Kinder das nicht wollen, aber in Wirklichkeit wollen sie es. Dass ihnen immer Intentionen unterstellt werden, ist hart, sie haben ja keine Möglichkeit, ihre wirklichen Absichten zu beweisen. Wir gehen einfach davon aus, dass sie nicht das Richtige tun: »Wenn ich nicht im Raum bleibe, würdest du es niemals richtig machen. Du tust es nur, weil ich hierbleibe und dich kontrolliere.« Man benötigt einen sehr gut entwickelten Wortschatz, um sich dagegen zu wehren. Für ein Kind ist es sehr schwer, sich gegenüber einem Erwachsenen zu erklären.

Seht euch Ella an, wie zufrieden sie wirkt. Was ihr tun könnt, ist Folgendes: In ein paar Tagen setzt ihr euch mit Ella zusammen und sprecht mit ihr. Erklärt ihr, was ihr entschieden habt. »Erinnerst du dich daran, dass wir diesen dänischen Mann getroffen haben? Wir wollen gerne deine Mama und dein Papa sein. Wir wollen, dass es dir in dieser Familie gut geht, und werden versuchen, unser Verhalten zu ändern. Das wird nicht leicht werden. Aber wir wollen es versuchen, und du darfst gerne protestieren, wenn es uns nicht glückt.«

Warum weinst du, Annika, weißt du, warum du jetzt weinst?

Annika: Wir waren Ella gegenüber bestimmt sehr oft ungerecht, wir haben sie einfach nicht verstanden. Aber ich weiß nicht, warum ich weinen muss.

Jesper: Kann es eventuell sein, dass du als Kind so warst wie
Ella?

Annika: Ich war ein sehr energisches Kind, aber meine Mutter war hart und hat uns physisch bestraft. Ich habe lange daran geknabbert.

Jesper: Dann verstehe ich auch, warum du weinen musst. Es wäre wunderbar gewesen, wenn deine Eltern dasselbe zu dir gesagt hätten, was ihr beide bald zu Ella sagen werdet. Ich glaube, ihr werdet heute schon bemerken, dass Ella sich entspannt. Die meisten autonomen Kinder kommen sehr gut im Kindergarten zurecht oder wenn sie mit anderen Kindern spielen. Aber sie reagieren allergisch auf pädagogisches Süßholzraspeln. Sie ist kein »DIN-Norm-Kind«, wie wir das nennen, kein gut funktionierendes »Ikea-Kind«. Aber sie ist sehr intelligent, darum wird sie vermutlich in der Schule keinen Krieg führen müssen.

Annika: Ja, wir haben uns auch schon Gedanken über die Schulzeit gemacht.

Jesper: Ihr Motiv ist, dass sie will und selber kann. Neun von zehn Pädagogen würden ihr Grenzen setzen. Aber das sollte man bei Kindern in solchen Situationen nicht machen. Das Wichtigste für Ella ist, dass sie klare persönliche Ansagen erhält und ihr danach eine Pause eingeräumt wird. Sonst verliert sie ihre Würde. Dabei geht es aber nicht darum, dass sie die Macht über alles bekommt!

Annika: Bestrafen ist also nicht sinnvoll?

Jesper: Kinder wie Ella benötigen keine Strafen. Es geht vielmehr darum, dass man ihr sagt: »Ich bin dabei, zu lernen, wie ich mich verhalten muss, damit es dir gut geht.« Dann muss sie nicht so viel Energie darauf verwenden, ihren Willen durchzusetzen. »Okay, ich habe verstanden, dass du nicht mit zum Einkaufen kommen willst. Ich hoffe, dass du deine Meinung ändern kannst.« Und dann solltet ihr den Kontakt unterbrechen.

Peter: Wenn Ella ihre kleine Schwester haut, dann gehe ich zu ihr und schimpfe sie aus und Ella erwidert: »Ich mag sie nicht.«

Jesper: Dann antworte doch das nächste Mal: »Ich mag das nicht, wenn du so etwas sagst, aber ich verstehe, was du damit meinst: Deine kleine Schwester nervt dich.« Sag ihr: »Aber sie ist jetzt bei uns und wird viele Jahre lang in unserer Familie leben, darum gehe lieber aus dem Zimmer, wenn es dir so geht.«

Peter: Sie sagt so etwas oft.

Jesper: Na ja, ihr geht es auch nicht gut damit. Das ist kindliche Logik. Frage sie: »Gibt es etwas, das du jetzt haben willst und heute noch nicht bekommen hast?« Kinder müssen auch lernen, ihre Wünsche genau auszudrücken!

Peter: Da würde sie antworten, dass sie Eis will, und das bekommt sie aber nicht.

Jesper: Das ist in Ordnung, dass sie nicht immer das bekommt, was sie haben will! Ihr könntet dann antworten: »Julia ist fantastisch, aber Himmel, kann sie manchmal anstrengend und nervig sein! Man bekommt keinen Schlaf, man hat nie seinen Ruhe …« Es ist wichtig, dass Kinder erfahren, dass auch Erwachsene solche Gefühle haben. Denn so, wie es jetzt ist, glaubt Ella doch, dass mit ihren Gefühlen etwas nicht stimmt.

Peter: Beim Elterngespräch im Kindergarten haben sie uns gesagt, dass wir wohl manchmal vergessen, dass Ella ein Kind ist. Dass wir sie mehr wie ein Kind behandeln sollen.

Jesper: Darüber würde ich mir keine Gedanken machen. Ich würde sogar das genaue Gegenteil sagen.

(Julia fängt an zu weinen, weil Ella ihr ein Spielzeug weggenommen hat.)

Annika: Wie soll ich mich deiner Meinung nach in so einer Situation verhalten? Normalerweise würde ich ihr das Spielzeug sofort wegnehmen …

Jesper: Ich würde einen Augenblick warten. Nicht in Ordnung ist es, wenn man sagt: »Dass du aber auch immer …« Auf der anderen Seite muss auch Ella lernen, dass sie nicht jeden Konflikt bis zum Ende austragen muss.

Annika: Ich habe schon im Kreißsaal gewusst, wie es werden würde. Ella ignorierte mich, und ich hatte das Gefühl, sie verloren zu haben. Ich habe mich oft gefragt, ob ich Ella wirklich leiden kann. Ich liebe sie schon, aber das muss ich doch auch.

Jesper: Ella ist nicht verkehrt. Auch an eurer Beziehung zueinander ist nichts verkehrt. Sie ist nur nicht besonders romantisch. Sie ist sehr realistisch, und es ist ganz offensichtlich deine Stärke, Annika, dass du nicht Mutter spielen kannst. Und das ist Ellas Glück, denn wenn du Gefühle hast, dann sind die immer authentisch und warm.

Annika: Ich bin selbst auch nicht dieser Schmusetyp, bin ich nie gewesen.

Jesper: Auf dich und Ella bezogen ist das ein großer Vorteil.

Peter: Du meinst also, wir sollten sagen: »Ella, gleich geht es ans Zähneputzen. Sag Bescheid, wenn du so weit bist«? Gestern Abend zum Beispiel saßen die Mädchen im Wohnzimmer und haben Fernsehen geschaut. Ich habe gesagt: »Du darfst fernsehen, bis das Programm zu Ende ist, und dann gehst du ins Bett.« Das hat funktioniert, das war ein Kompromiss.

Jesper: Ja, das ist eine Möglichkeit, ihr zu zeigen, dass sie einen Platz in der Familie hat, dass es aber auch noch drei andere Personen gibt, die Platz benötigen. Worauf man vorbereitet sein muss, wenn man so ein Mädchen wie Ella hat, ist, dass Kritik von außen kommt. Auf die kann man antworten: »Ja, so ist sie, so ist sie schon immer gewesen, seit ihrer Geburt. Unser Fehler war, dass wir versucht haben, sie zu ändern, wir haben alles versucht, damit sie so wird wie alle anderen.«

Annika: Ja, wir haben schon einige Kommentare zu hören bekommen.

Jesper: Das wird besser werden, wenn ihr Sprachvermögen sich weiterentwickelt.

Annika: Sie liebt Kleider und will immer selbst bestimmen, was sie anzieht.

Jesper: In diesem Punkt, finde ich, könntet ihr Ella vollkommen freie Hand gewähren. »Von morgen an darfst du ganz allein entscheiden, was du anziehst. Ich helfe dir gerne, wenn du das möchtest, oder ich kann sagen, was ich schön finde, aber du darfst selbst bestimmen.« Wenn sie sich dann für etwas total Abwegiges entscheidet, also vielleicht für ein Kleidungsstück, das für Sonne und 30 Grad gedacht ist, aber draußen tobt ein Schneesturm, dann könnt ihr sagen: »Weißt du, ich glaube, es wird doch sehr kalt heute, darum packe ich dir eine Tasche mit warmen Sachen. Die kann dir deine Erzieherin dann anziehen, wenn du frierst.« Eure Tochter will kein Baby sein. Stell dir vor, dir würde jemand sagen, was du anziehen sollst!

Wenn Kinder ins Trotzalter kommen, sollte man das feiern: »Jippije, du willst! Kannst du das selbst, dann kann ich in der Zwischenzeit meine Zeitung lesen!« Oder: »Okay, das wird spannend. Sag Bescheid, wenn du meine Hilfe benötigst.« Und dann zieht ihr euch zurück.

Peter: Ich glaube, wir sind gerade in dieser Phase. Ella will sich unbedingt selbst anziehen, aber sie kann es noch nicht, und das frustriert sie.

Jesper: Ich finde, ihr solltet eine kleine Party veranstalten, wenn ihr mit ihr redet. Eine kleine Zeremonie, um ihr deutlich zu machen, dass ihr euch ab jetzt ändern wollt. Denn Ella hat sich auch schuldig gefühlt. Das wird für sie sehr befreiend sein.

Jesper Juuls Tipps für Annika und Peter:

Rückblick

Annika: Jesper hat uns auf eine ganz andere Seite von Ella hingewiesen, eine, die wir nie gesehen hatten! Es war eine große Erleichterung, mit ihm zu sprechen. Gleichzeitig hat es mich so traurig gemacht, dass wir sie nie richtig verstanden haben, dass wir nicht für sie da waren, als sie uns gebraucht hat.

Vor dem Elterncoaching hatten wir uns bei einem Elterntraining angemeldet. Das erste Treffen fand nur wenige Tage nach unserem Gespräch mit Jesper statt. Hinterher haben wir versucht, Teile dieses Kurses mit den Tipps von Jesper zu verbinden, aber das führte zum totalen Chaos! Dreimal waren wir da, dann haben wir den Kurs abgebrochen und uns nur noch an dem orientiert, was Jesper uns geraten hat.

Was Jesper gesagt hat, ist hart, aber es funktioniert! Wir haben begriffen, dass Ella immer so sein wird, wie sie ist, und wir sie begleiten müssen. Wir haben praktisch sofort ein Ergebnis gesehen. Sie ist viel kontaktfreudiger geworden. Das Leben ist ruhiger geworden und zum Beispiel gibt es den Zahnputzstreit nicht mehr. Ich habe ihr gesagt: »Von heute an darfst du dir die Zähne selbst putzen, wenn du willst. Aber ich kann dir zeigen, wie es geht, wenn du magst.« Darauf gab sie keine Antwort, aber ein paar Tage später kam sie zu mir und fragte mich, ob ich es ihr zeigen könnte.

Natürlich hat sich nicht alles geändert. Wenn wir unter Zeitdruck sind, kommt es immer wieder zu Kämpfen. Und sie streitet auch noch viel mit Julia. Wir wissen, dass die Tipps von Jesper nur funktionieren, wenn wir hundertprozentig daran glauben. Und das tun wir.

Die Begegnung mit Jesper hat auch bei Ella einen großen Eindruck hinterlassen, sie hat ihn oft erwähnt. Eines Tages, wir hatten Gäste zu Besuch, fragte eine Freundin, ob sie nicht ein Küsschen bekommen könnte. Da antwortete Ella: »Nein, danke. Ich bin nicht so schmusig. Aber das ist ganz in Ordnung so.« Mir wurde ganz warm ums Herz und ich sagte zu ihr: »Nein, wir sind beide nicht so Schmusetypen, du und ich, und das ist auch in Ordnung so!« Ella ist unser ganzer Stolz, aber auch unsere große Herausforderung!

Muss ein Baby wirklich so wild sein?

Hanna und Michael sind die Eltern von Nina, 9 Monate.

Nina, 9 Monate alt, ist sehr quirlig, sie ist den ganzen Tag in Bewegung, aber jetzt können die Eltern nicht mehr. Das Zusammenleben ist in einen fortwährenden Kampf und Streit ausgeartet, und Hanna und Michael entfernen sich immer weiter voneinander.

Hanna und Michael sind schon seit 15 Jahren ein Paar. Man spürt sofort, dass die beiden eine liebevolle Beziehung haben, sie sitzen beim Coaching eng aneinandergeschmiegt. Aber sie sagen auch gleich vor Beginn der Sitzung, dass sie in großer Sorge sind, in welchem Ausmaß ihre lebhafte und anstrengende Tochter Nina ihre Partnerschaft beeinflusst.

Sie streiten immer häufiger, und zu Hause dreht sich alles mittlerweile nur noch um Nina, damit sie sich wohlfühlt und ruhiger wird. Als die Familie zum Elterncoaching kommt, hatten sie seit neun Monaten keine Nacht mehr durchgeschlafen. Nina schläft maximal ein paar Stunden am Stück, sowohl tagsüber als auch nachts.

Ein paar Worte zu uns: Wir sind beide Anfang dreißig. Als unsere Tochter endlich geboren wurde, waren wir schon seit 15 Jahren ein Paar. Wir haben lange versucht, ein Kind zu bekommen. Sie war so ein heiß ersehntes Wunschkind! Und wir waren so gut vorbereitet!

Aber dieses kleine Mädchen entpuppte sich als ein eigensinniges kleines Wesen, schon von Geburt an. Sie hat einen unglaublich starken Willen und war überhaupt nicht so, wie wir uns ein Baby so vorgestellt hatten …

Sie will nur gestillt werden, schläft nicht viel und weigert sich, allein in ihrem Bettchen zu schlafen. Sie hat sehr große Probleme mit dem Einschlafen und dem Durchschlafen.

Leider muss man sagen, dass sie an unserer Beziehung zehrt. Als Nina siebeneinhalb Monate alt war, hatte Hanna fast einen Nervenzusammenbruch. Sie hatte keine Kraft mehr, zu stillen und als Nuckelstation zu fungieren, sie wollte nicht mehr mit ihrer Tochter in einem Bett schlafen und hatte genug davon, immer wach zu sein und keinen Schlaf zu bekommen. Nina will, dass die ganze Zeit etwas los ist, sonst ist sie nicht auszuhalten. Sie ist früh dran in ihrer Entwicklung, darum passieren dauernd neue Sachen, in rasender Geschwindigkeit.

Mittlerweile sind neun Monate vergangen und wir beide sind als Paar ziemlich auseinandergedriftet. Wir verbringen keine Zeit zu zweit, wir essen noch nicht einmal zusammen. In unserem Leben muss sich etwas ändern. Wir möchten zusammenbleiben, gute Eltern und Vorbilder sein, liebevoll sein und alles richtig machen.

Wir streiten viel vor unserer Tochter und werden laut, obwohl wir das gar nicht wollen. Wir haben doch so lange darauf gewartet, Eltern zu werden.

Hanna ist ohne Vater und Vaterfigur aufgewachsen, für sie ist der Zusammenhalt der Familie ungeheuer wichtig. Wir wollen das hier unbedingt! Wir hätten es so gut zusammen, wenn wir nur Hilfe bekämen! Aber manchmal wollen wir am liebsten aufgeben, wir haben keine Kraft mehr, zu kämpfen.

Wir hoffen so, dass Jesper Juul uns helfen wird.

Mit freundlichen Grüßen

Hanna und Michael