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Christine Fehér

Eine Eule auf dünnem Eis

Band 2

Mit Bildern

von Lucie Göpfert

cbt Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

1. Auflage 2015

© 2015 by cbt Verlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Susanne Ulhorn, München

Umschlag- und Innenillustrationen: Lucie Göpfert

mi ∙ Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

Reproduktion: Reproline Mediateam, München

ISBN: 978-3-641-14788-4
V002

www.cbt-buecher.de

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1. Emilia, Strixi und das gestohlene Taschengeld

Emilia sitzt in ihrem Zimmer und wühlt in ihrem Kleiderschrank. Vor einer Stunde erst ist sie vom Klassenausflug in den Tierpark zurückgekehrt: Gleich werden ihre beiden neuen Freundinnen Lena und Sophie vor der Tür stehen und klingeln. Mit ihnen hat sie sich für den Nachmittag verabredet. Sie wollen zur Schlittschuhbahn in der Innenstadt gehen. Nun sucht Emilia fieberhaft nach ihrem dicken gestreiften Pullover und ihrem Schal. Die Schlittschuhe muss sie auch noch anprobieren. Emilia hofft, dass ihre Füße seit dem Umzug von Nussdorf in die Stadt noch nicht so sehr gewachsen sind, dass sie nicht mehr hineinpasst.

Endlich hat sie den Pullover ­gefunden und zieht ihn rasch an. Dann nimmt sie den Wohnungsschlüssel vom Haken und geht durchs Treppenhaus in den Keller. Dort ist es ihr immer ein wenig unheimlich, besonders wenn sie allein ist, so wie jetzt. Emilias Vater Robert, bei dem sie seit der Trennung ihrer Eltern lebt, ist noch nicht von der Arbeit zurück. Also bleibt ihr nichts anderes übrig, als allein nach den Schlittschuhen zu suchen. Emilia hält den Atem an und drückt den Lichtschalter. Sobald es hell ist, hat sie keine Angst mehr.

Zum Glück findet Emilia ihre weißen Schlittschuhe schnell, weil sie gleich im vorderen Regal stehen. Sie zieht die Schnürsenkel des rechten Schuhs ganz weit auf, biegt die Lasche zurück und schiebt langsam ihren Fuß hinein. Eng ist es, stellt sie fest. Ganz schön eng sogar. Aber es geht gerade noch. Im nächsten Winter braucht sie garantiert neue Schlittschuhe. So weiß Emilia gleich, was sie sich zum Geburtstag wünschen kann.

Gerade hat sie das Licht gelöscht und ist wieder im Treppenhaus angekommen, da hört sie es auch schon an der Haustür klingeln. Emilia öffnet. Vor der Tür stehen Lena und Sophie und strahlen sie an.

»Bist du so weit?«, fragt Lena und deutet auf die Schlittschuhe, die sich Emilia an den Schnürsenkeln über die Schulter gehängt hat.

»Gleich«, antwortet Emilia. »Ich muss nur noch mein Taschengeld holen und Jakob anrufen. Es macht euch doch nichts aus, wenn er mitkommt?«

»Jakob ist in Ordnung«, antwortet Sophie. »Nicht so albern und blöd wie die anderen Jungs aus unserer ­Klasse. Auch wenn er manchmal ein kleiner Streber ist, besonders in Mathe.«

Also steckt Emilia ihr kleines Portemonnaie in die ­Tasche ihrer Jeans, dann nimmt sie das Telefon vom ­Küchentisch und wählt Jakobs Nummer. Fünfmal muss sie es klingeln lassen, ehe er drangeht. Begeistert sagt er zu, als Emilia ihn fragt, ob er zum Eislaufen mitkäme. Wenige Minuten später steht auch er vor der Tür – allerdings ohne Schlittschuhe.

»Die kann man ja ausleihen«, sagt er etwas kleinlaut.

Zu viert setzen sie sich in Bewegung in Richtung Bus­haltestelle. Bis zur Schlittschuhbahn müssen sie vier Statio­nen fahren. Als der Bus um die Ecke biegt, klopft Jakob mit beiden Händen seine Jacke ab und untersucht seine Hosentaschen.

»So ein Mist«, jammert er. »Mein Portemonnaie ist weg! Dabei hatte ich es vorhin noch!«

Die drei Mädchen bleiben stehen. »Wann, vorhin?«, will Lena wissen.

»Den ganzen Vormittag!«, ruft Jakob verzweifelt. ­Seine Brille beschlägt, so feucht werden seine Augen. »Es hat hier in meiner Jackentasche gesteckt!«

»Dann hast du es zu Hause liegen lassen«, vermutet Emilia. »Also los, gehen wir zurück! Gut, dass du es jetzt bemerkt hast, Jakob, und nicht erst an der Kasse.«

»Nein.« Jakob schüttelt den Kopf. »Zu Hause liegt es nicht, das weiß ich genau. Ich habe die Jacke nur ausgezogen und an die Garderobe gehängt, aber nichts heraus­genommen.«

»Dann war es deine Mutter«, vermutet Sophie. ­»Meine durchwühlt auch immer meine Sachen. Einmal hat sie dabei eine Süßigkeitentüte vom Bäcker gefunden und mächtig geschimpft, weil ich mein ganzes Taschengeld schon am ersten Tag ausgegeben habe.«

»Meine Mama macht das nur, wenn sie die Sachen waschen will«, erwidert Jakob. »Und das hat sie vor­gestern erst getan! Ich sage es euch: Das Portemonnaie ist nicht zu Hause! Wir brauchen gar nicht erst zurückzugehen!«

»Aber ohne dein Geld kannst du nicht mitkommen«, bedauert Lena.

»Ich weiß.« Jakob schiebt die Unterlippe vor und blickt zu Boden.

»So leicht geben wir nicht auf«, bestimmt Emilia und zieht ihren Geldbeutel aus der Hosentasche. »Wenn wir alle zusammenlegen, reicht es vielleicht, und wir können erst mal für dich mit bezahlen. Du kannst uns das Geld ja später wiedergeben, wenn du es gefunden hast!« Schon zählt sie nach, wie viel sie hat, dann seufzt sie und schüttelt den Kopf.

»Nur dreißig Cent mehr, als ich selber brauche«, stellt sie fest. »Lena und Sophie, wie sieht es bei euch aus?«

Sophie hebt die Hände. »Meine Mama hat mir das Geld genau abgezählt mitgegeben«, antwortet sie. »Zwei Euro achtzig für die Busfahrt hin und zurück, drei Euro für den Eintritt und einen Euro zwanzig für eine Portion Pommes.«

»Ich habe eine Monatskarte für den Bus, weil ich damit auch zur Schule fahre«, erklärt Lena und beginnt, ihr Geld zu zählen. Emilia sieht ihr hoffnungsvoll zu. Schließlich jedoch schüttelt auch ­Lena den Kopf.

»Keine Chance«, sagt sie. »Bei mir bleiben siebzig Cent übrig. Das reicht niemals.«

»Ist doch nicht schlimm«, beteuert Jakob. »Dann gehe ich jetzt eben nach Hause, ich wollte eigentlich sowieso was unter meinem Mikroskop untersuchen. Nächste Woche bekomme ich ja wieder Taschengeld.« Er winkt den Mädchen noch einmal zu und macht sich auf den Rückweg, noch ehe sie protestieren können. Der Bus schließt zischend seine Automatiktüren und fährt ohne sie ab. Nun müssen sie auf den nächsten warten.

»Irgendwas stimmt mit Jakob nicht«, murmelt Emilia vor sich hin. Während Lena und Sophie sich bereits über ein Kinoplakat im Wartehäus­chen unterhalten, sieht sie ihrem besten Freund nach. Dabei streift sie mit ihrem Blick einen Baum, unter dem er gerade entlangläuft, und bemerkt eine Bewegung in den Ästen. Ein Glück, denkt Emilia: Strixi ist da, meine ­Eule! Vielleicht weiß sie, was mit Jakob los ist, oder kann es herausfinden.

Strixi bewegt sachte einen ihrer Flügel. Das ist ihr Zeichen, mit dem sie Emilia zeigt, dass sie miteinander reden können. Auch Lena und Sophie wissen neuerdings von Strixi und bekommen deshalb mit, wie Emilia mit der Eule spricht, die sie vor ein paar Wochen ­gerettet hat. Damals hatte Strixi sich in der ­Wäscheleine auf dem Balkon verfangen und Emilia ­befreite sie.

Nachdenklich erzählt Emilia ihr von Jakob und dem verschwundenen Taschengeld. Die Eule hört zu, bis sie fertig ist. Dann wiegt Strixi den Kopf hin und her und reibt sich den Schnabel.

»Warum glaubst du ihm nicht, dass sein Portemonnaie gestohlen wurde?«, erkundigt sie sich.

»Ich weiß«, sagt Strixi und nickt. »Ich bin die ganze Zeit heimlich über euch von einem Baum zum anderen geflogen. Trotzdem kann es natürlich sein, dass Jakob Geld dabeihatte und es nun nicht mehr hat. Sonst wäre er ja mit zum Eis­laufen gekommen.«

»Dann hat er es vielleicht verloren«, vermutet Emilia. »Einen Dieb in seiner Nähe hätte ich bestimmt bemerkt. Schließlich war ich die ganze Zeit mit ihm zusammen. Aber wenn es ihm aus der Hosentasche gerutscht ist – das habe ich nicht mitbekommen.«

»Ich werde mal nachsehen«, beschließt die Eule. »Eigent­lich wollte ich zwar auch gerne aufs Eis, aber diese Geschichte mit Jakob lässt mir keine Ruhe. Deshalb fliege ich jetzt zurück zum Tierpark und sehe noch mal überall nach. Meinen scharfen Augen entgeht so schnell nichts.«

»Das würdest du wirklich tun? Danke, Strixi!« Emilia würde die Eule am liebsten umarmen, doch Strixi breitet bereits ihre Schwingen aus und steigt in die Luft. Im selben Moment hält der Bus an, der die Mädchen zur Schlittschuhbahn bringen soll.