Für welche atemberaubende
Hoffnung unser Herz geschaffen ist
Deutsch von Renate Hübsch
Titel der Originalausgabe: All Things New
© 2017 by John Eldredge
Veröffentlicht von Nelson Books, einem Imprint von Thomas Nelson. Nelson Books und Thomas Nelson sind eingetragene Handelsmarken von HarperCollings Christian Publishing, Inc.
© 2018 Brunnen Verlag Gießen
Lektorat: Konstanze von der Pahlen
Umschlagfoto: Shutterstock
Umschlaggestaltung: Jonathan Maul
Satz: DTP Brunnen
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN Buch 978-3-7655-0996-4
ISBN E-Book 978-3-7655-7511-2
www.brunnen-verlag.de
Für Patrick und Craig,
die in die Große Wolke der Zeugen
aufgenommen wurden,
während dieses Buch entstand.
Ich dachte, du bist tot! Aber ich dachte ja auch, ich bin tot.
Ist denn alles Traurige gar nicht gewesen?
SAM GANGEE in Die Wiederkehr des Königs1
Einführung
Ein atemberaubendes Versprechen
Kapitel 1
Gibt es eine Hoffnung, die wirklich all das überwindet?
Kapitel 2
Wenn Gott die Welt neu macht
Kapitel 3
Seien wir ehrlich
Kapitel 4
Die neue Erde
Kapitel 5
Unsere Erneuerung
Kapitel 6
Wenn alle Geschichten richtig erzählt werden
Kapitel 7
Der Sieg über das Böse
Kapitel 8
Was werden wir dann tun?
Kapitel 9
Die Vermählung von Himmel und Erde
Kapitel 10
Mit beiden Händen an der Hoffnung festhalten
Anmerkungen
„Ja, Hoffnung könnten wir gerade wirklich gebrauchen.“
Als ich mich neulich mit einer Freundin darüber unterhielt, was sich momentan in unserem Leben und in der Welt ereignete, äußerte sie diese Worte. Wir sprachen über den Verlust eines Mitarbeiters, aber auch darüber, dass anscheinend jeder, den wir kannten, gerade mit irgendwelchen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Meine Freundin ist normalerweise eine sehr belastbare Frau, egal wie die Umstände sind. Es entstand eine Pause in unserem Gespräch, dann seufzte sie und sagte die oben zitierten Worte.
Ja, Hoffnung käme uns allen gerade jetzt sehr gelegen.
Wir geben uns zwar alle Mühe, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, aber der Menschheit geht es derzeit überhaupt nicht gut. Dafür gibt es einige gravierende Anzeichen: Der Gebrauch von Antidepressiva ist in den letzten zwanzig Jahren rasant angestiegen; heute sind Antidepressiva die Medikamente, die in den USA am dritthäufigsten verschrieben werden.1 Nur um das klarzustellen: Ich halte Medikamente für sehr sinnvoll. Aber ich glaube, es hat etwas zu sagen, wenn Depressionen weltweit die Hauptursache für Arbeitsunfähigkeit sind.2 Auch die Selbstmordrate steigt sprunghaft an; in manchen Ländern ist Selbstmord die häufigste oder zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen. 2012 kamen in Afghanistan mehr Soldaten durch Selbstmord um als durch Kampfhandlungen.3
Es hat den Anschein, als stecken wir in einer massiven Hoffnungskrise. Lautstark äußert sie sich auf der Ebene von Politik und Wirtschaft, leise spielt sie sich in den Herzen von Millionen von Menschen ab.
Was meine ich mit Hoffnung? Jedenfalls kein Wunschdenken. Ich spreche hier nicht davon, dass wir „die Dinge eben positiv sehen“ müssten, wie ein Freund das nennt. Wenn ich von Hoffnung spreche, meine ich, dass wir zuversichtlich damit rechnen, dass das Gute sich durchsetzt. Ich meine eine felsenfeste Erwartung, auf die wir unser Leben gründen können. Nicht die zaghaften, zerbrechlichen Hoffnungen, mit denen die meisten Menschen durchzukommen hoffen.
Was würden Sie sagen – was ist derzeit die große Hoffnung in Ihrem Leben?
Wenn es sich überhaupt lohnt, über den christlichen Glauben zu sprechen, dann deswegen, weil er der triumphale Eintritt einer erstaunlichen Hoffnung in die Geschichte der Menschheit ist. Eine Hoffnung, die alle bisherigen Hoffnungen übersteigt und überbietet. Eine unzerstörbare, unauslöschliche Hoffnung.
Aber ich will offen sein – viel zu oft fühlt sich das, was uns als die „Hoffnung“ des christlichen Glaubens präsentiert wird, eher an wie ein bloßer Köder. Er lautet: „Irgendwann einmal werden wir alles, was wir jetzt lieben, verlieren, so wie wir bereits jetzt viel verloren haben. Alles, was wir lieben, was uns kostbar ist, jede glückliche Erinnerung, jeden Ort, der uns etwas bedeutet – das alles müssen wir hinter uns lassen. Aber danach kommen wir immerhin in diese andere Welt über den Wolken.“ Wie in einer Spielshow, in der man zwar nicht das Auto oder die Fernreise gewinnt, aber immerhin mit einem Köfferchen und einem Satz Küchenmesser rausgeht.
Die Welt glaubt uns diese Hoffnung nicht. Und sie hat dafür gute Gründe.
Machen wir uns nur einmal bewusst, wie viel Schmerz, Leid und herzzerreißender Kummer auf einer einzigen Kinderkrankenstation, in einem Flüchtlingslager, einem gewalttätigen Elternhaus oder einem vom Krieg zerrissenen Dorf im Lauf nur eines einzigen Tages anzutreffen sind. Schon das ist nahezu unerträglich. Und dann multiplizieren wir dieses Leid – rund um den Globus, 365 Tage im Jahr und über die gesamte Menschheitsgeschichte. Es müsste schon eine ziemlich kühne, frappierende und atemberaubende Hoffnung sein, die die Agonie und die Traumata dieser Welt überwinden könnte.
Wie will Gott die Welt wieder in Ordnung bringen? Wie will er all das Leid und die Verluste dieser Welt – und auch in unserem eigenen Leben – erlösen und heilen?
Weltflucht wird das nicht schaffen, auch nicht in einer religiösen Variante. Und was ist mit all unseren Hoffnungen und Träumen? Was mit unseren Erinnerungen und Lieblingsorten, mit den Dingen, an denen unser Herz hängt? Gibt es für nichts davon eine Hoffnung? Wir sehnen uns nach Erlösung; unser Herz schreit nach Erneuerung.
Und nun habe ich eine fantastische, atemberaubende Nachricht für Sie: Erneuerung ist genau das, was Jesus verspricht. Egal was man Ihnen erzählt hat: Jesus lenkt unsere Hoffnungen nicht auf eine große Entrückung in himmlische Sphären. Er verspricht, dass „die Welt neu geschaffen wird“ (Matthäus 19,28; EÜ) – einschließlich der Erde, die wir lieben, jeder Einzelheit darin, die uns teuer ist, und unserer eigenen Geschichte. Die ganze Bibel läuft zu auf die Worte: „Ich mache alles neu“ (Offenbarung 21,5). Was auf uns zukommt, ist ein Tag der Erneuerung – nicht der Vernichtung. Das ist die einzige Hoffnung, die stark genug ist, um uns das zu bieten, was Gott den Anker der Seele nennt: „In [dieser Hoffnung] haben wir einen sicheren und festen Anker der Seele“ (Hebräer 6,19; EÜ).
Wie wir uns die Zukunft vorstellen, beeinflusst mehr als alles andere, wie wir unsere Gegenwart erleben. Kinder, für die gerade ein neues Schuljahr begonnen hat, wachen morgens ganz anders auf als Kinder, die wissen, dass die Ferien bald anfangen. Eine Frau, die gerade geschieden wurde, erlebt ihr Leben völlig anders als eine, die kurz vor ihrer Hochzeit steht. Unsere Zukunftserwartungen oder -befürchtungen haben enorme Auswirkungen auf unser Herz heute. Wenn wir wüssten, dass Gott unser Leben und alles, was wir lieben, „neu schaffen“ wird, wenn wir glaubten, dass eine große und strahlende Güte auf uns wartet – nicht in einem nebulösen Himmel, sondern hier auf dieser Erde –, dann hätten wir eine Hoffnung, die uns durch alle denkbaren Umstände dieses Lebens hindurchtragen würde. Wir hätten einen festen Anker für die Seele, „ein undurchtrennbares geistliches Rettungsseil, das weit über jeden Augenschein hinausreicht direkt in die Gegenwart Gottes“ (Hebräer 6,19; MSG).
Ich will offen sein. Wenn Ihr Leben gerade wunderbar läuft und Sie allen Grund haben zu glauben, dass es auch so bleiben wird, dann ist das hier vermutlich kein Buch für Sie. Aber wenn Sie sich manchmal fragen, warum Ihre Seele so unruhig ist und ob es wirklich etwas gibt, auf das Sie sich freuen können, wenn Sie sich eine kühne, frappierende Hoffnung wünschen, in der Sie Ihr Leben verankern könnten, dann sollten Sie weiterlesen. Sie werden es nicht bereuen.
Stellen Sie sich eine Schatztruhe vor.
Kein kleines Schmuckkästchen auf dem Nachttisch – eine große Schatztruhe, größer als all Ihre Koffer und Taschen, größer als jeder Koffer, den Sie je gesehen haben.
Denken Sie an eine massive Truhe aus Eichenholz, wie Piraten sie verwenden würden, mit schweren Eisenbeschlägen und einem massiven Schloss. Größe und Alter und Massivität dieser Truhe zeigen schon, dass sie für etwas sehr Wertvolles gemacht wurde.
In dieser Truhe ist alles, wovon Sie wünschen, es könne irgendwie erneuert oder Ihnen zurückerstattet werden. Alles, was Sie verloren haben. Alles, was Sie noch verlieren werden.
Womit ist Ihre Schatztruhe gefüllt?
Es braucht keinen Mut, um ein Optimist zu sein, aber es braucht sehr viel Mut, Hoffnung zu haben.
Der Sonnenaufgang heute Morgen war voller Verheißung.
Ich stand am Fenster, betete und beobachtete, wie die Morgendämmerung die Hügel in goldenes Licht tauchte. Kein Geräusch kam aus den Wäldern, sie lagen da wie außerhalb der Zeit. Jedes Blatt war eingehüllt in ein warmes gelbliches Glühen wie von Kerzenlicht; es überzog den ganzen Berghang. Irgendetwas an dieser leuchtenden, sanften Schönheit, die ganze Wälder vor mir aufleuchten ließ, gab mir das Gefühl, dass mit dieser Welt letztlich alles in Ordnung ist.
Es ist Herbst und normalerweise bin ich darüber nicht besonders glücklich. Meist gefällt es mir nicht, wenn der Herbst kommt, weil ich weiß, dass nun bald der lange Winter anbricht, in dem es mehr dunkle Stunden gibt als lichtvolle. Die Welt wird sich viel zu lange in Grautöne hüllen. Aber in diesem Jahr bin ich erleichtert zu sehen, wie die Blätter sich rötlich färben, die Gräser braun werden – wie die Erde ihre Schönheit ablegt, während sie in Winterschlaf versinkt. Denn in diesem Jahr sehne ich mich danach, dass das Jahr endlich vorbei ist.
Der Januar begann mit einem Selbstmord in unserem erweiterten Familienkreis; ich war derjenige, der den Anruf entgegennahm. Danach musste ich meinem mittleren Sohn mitteilen, dass der Bruder seiner Frau seinem unglücklichen Leben ein Ende gemacht hatte. Und dann mussten wir gemeinsam seiner Frau diese herzzerreißende Nachricht überbringen. Es waren schlimme Tage.
Ein Gegengewicht zu der Trauer schien sich ein paar Monate später anzukündigen. Mein ältester Sohn und seine Frau besuchten uns zusammen mit meinem mittleren Sohn und seiner Frau, die noch um Schwager und Bruder trauerten, und Stacy und ich erfuhren, dass wir Großeltern werden würden – und zwar gleich zweifach. Beide Schwiegertöchter waren schwanger. Sie hatten uns T-Shirts bedrucken lassen; wir genossen das gemeinsame Glück und malten uns aus, wie die Kinder zusammen aufwachsen würden, wie sie als Cowboys durch das Haus von Oma und Opa toben und es mit Freude und Unbeschwertheit erfüllen würden. Vielleicht behielt das Glück ja doch das letzte Wort.
Dann erlebten mein ältester Sohn und seine Frau eine schlimme, brutale Fehlgeburt. Ich begrub meinen ersten Enkel auf dem Hang hinter unserem Haus. Die ganze Familie stand an dem kleinen Grab und seine Mutter sagte: „Patrick, der Tag, an dem wir erfuhren, dass ich schwanger bin, war der beste Tag unseres Lebens. Und der Tag, an dem wir dich verloren, war der schrecklichste.“ Meine Kinder in ihrer Trauer zu erleben, ist das Schlimmste, was mir bisher als Vater passiert ist.
Aber dann, wieder einige Monate später, kehrte die Hoffnung zurück – wir konnten unsere Aufmerksamkeit der anstehenden Hochzeit unseres Jüngsten widmen. Ich liebe Hochzeiten; ich liebe die Schönheit, die Romantik, die märchenhafte Symbolik. Und ich liebe Hochzeitsfeiern. Diese Hochzeit fand in einer Sommernacht unter freiem Himmel statt; unter aufgehängten Laternen wurde getanzt und gelacht. Das Fest schien uns zuzuflüstern: Alles wird gut. In einer Hochzeitsfeier liegt etwas, das uns anrührt und verzaubert, etwas, das zur tiefsten Sehnsucht unseres Herzens spricht. Niemand wollte der Erste sein, der ging.
Am nächsten Morgen, als wir noch den Nachklang des Festes genossen, klingelte mein Handy. Unser Freund Craig, den wir fast vierzig Jahre kannten, teilte mir mit, dass seine Krebserkrankung voranschritt. Noch vor einem Monat hatte es so hoffnungsvoll ausgesehen; jetzt hieß es, er habe noch sechs Wochen zu leben. Als ich auflegte, schleuderte ich das Handy so weit weg, wie ich konnte. Zum zweiten Mal in meinem Leben würde ich meinen engsten und wichtigsten Freund verlieren.
Darf ich ehrlich sein? Das Leben ist brutal.
Es gibt gerade genug an Gutem, um Erwartung in unserem Herzen aufkeimen zu lassen, aber dann wieder erleben wir so viel Schlimmes, dass es uns niederdrückt. Wenn das Niederschmetternde die aufkeimende Erwartung übertrifft, fragt man sich, ob man nicht einfach am Boden liegen bleiben sollte. „Als ich zur Welt kam, weinte ich“, schreibt der anglikanische Dichter George Herbert, „und jeder Tag zeigt mir, warum.“1
Ja, das Leben kann auch wunderschön sein. Ich bin ein Mensch, der alles Schöne im Leben liebt. Aber darf ich darauf hinweisen, dass der Film mit diesem Titel – Das Leben ist schön – in einem Konzentrationslager der Nazis spielt? Die Geschichte erzählt auf wunderbare Weise von der Liebe eines Vaters zu seinem kleinen Sohn und davon, wie er ihn vor der makabren Wirklichkeit schützt, die ihn umgibt. Aber am Ende wird der Vater getötet. Viele Menschen sterben am Ende einen schrecklichen Tod.
Wir brauchen mehr als einen Silberstreif am Horizont des Lebens. Viel mehr. Was wir brauchen ist eine unzerstörbare, unauslöschliche Hoffnung.
Als ich heute Morgen am Fenster stand und betete, verlieh das bernsteinfarbene Licht der Morgendämmerung der herbstlichen Färbung draußen einen satteren Ton. Die Landschaft sah aus wie ein Gemälde – transzendent, mythisch. Und einen kurzen Moment lang war die Welt randvoll gefüllt mit Verheißung. Vielleicht haben Sie diese Verheißung auch schon einmal gespürt – an einem Lieblingsplatz, angesichts der Schönheit der Wellen am Strand, in den nächtlichen Straßen von Paris oder auch, wenn Sie mit einer Tasse Kaffee im Garten sitzen. In der Schönheit, die wir lieben, spricht etwas ganz leise zu uns.
„Viele Dinge in unserer Welt beginnen damit, dass wir sehen“, schrieb die britische Künstlerin Lilias Trotter. „Es liegt ein wunderbares, mögliches Leben vor uns.“2
Ich genieße solche Momente; sie gehören zu meinen kostbarsten Erinnerungen. Aber was immer es ist, das uns da eine solche Verheißung zuflüstert, es scheint uns durch die Finger zu gleiten, sobald wir danach greifen. Ich weiß: Der Wunsch, dieses Jahr möge endlich vorbei sein, ist keine Antwort; schließlich weiß ich nicht, was das nächste Jahr bringen wird. „Es genügt, dass jeder Tag seine eigene Last mit sich bringt.“3 Das sagt der teilnahmsvollste Mensch, der je gelebt hat.
Ich bin ständig dabei, E-Mails und Nachrichten auf meinem Handy zu checken.
Den ganzen Tag beschäftigt mich das; jeder Klingelton hat meine sofortige Aufmerksamkeit. Und das geht schon eine ganze Weile so. Erstaunlich ist: Ich bin eigentlich kein Technologie-Freak; ich will überhaupt nicht an mein Handy gefesselt sein wie mit einer emotionalen Nabelschnur. Was steckt dann also hinter diesem Zwang? Was erwarte ich? Es ist, als ob ich nach etwas suche.
Und damit bin ich nicht allein. Wir schauen im Durchschnitt 110-mal am Tag auf unsere Smartphones, Tablets und PCs – und verbringen damit ein Drittel unserer wachen Stunden.4 Woher kommt diese Zwanghaftigkeit? Ich weiß: Jede neue Nachricht löst einen Dopaminschub aus. Aber es muss noch etwas anderes dahinterstecken.5 Nach etlichen Monaten, die ich nun selbst mit dieser Obsession lebe, fange ich an zu verstehen – wonach ich wirklich Ausschau halte, sind gute Nachrichten. Ich hoffe auf gute Nachrichten, suche danach, warte darauf. Wir wollen sichergehen, dass das, was auf uns zukommt, gut ist. Wir müssen das Vertrauen haben, dass uns eine helle Zukunft geschenkt wird – und dass nichts und niemand sie uns wieder nehmen kann.
Ich habe den weltweiten Anstieg von Depressionen und Selbstmordraten erwähnt; etwas Ähnliches lässt sich bei Angsterkrankungen und unterschiedlichsten Formen von Sucht beobachten.6 Unsere Suche nach dem Glück nimmt verzweifelte Züge an. Und Hass und Zorn scheinen allgegenwärtig – wenn Sie in den sozialen Medien unterwegs sind, werden Sie es bemerkt haben.
Vielleicht haben Sie den Sturm der Entrüstung nach dem Vorfall im Zoo von Cincinnati im Mai 2016 verfolgt; es war kaum zu vermeiden. Ein dreijähriger Junge war in das Gehege eines Gorillas gefallen; der Gorilla hatte den Jungen gepackt und lebensbedrohlich herumgeschleudert. Rettungskräfte erschossen das Tier und retteten das Leben des Kindes; aber in den Medien folgte eine Art Tschernobyl – giftige, gehässige Kommentare über den Zoo und die Eltern des Kindes. Hunderttausende verlangten, die Eltern des Jungen vor Gericht zu stellen. Ich habe Verständnis für starke Emotionen; aber das hier war ausgewachsener Hass. Und es braucht anscheinend heute nicht viel dazu, dass er aufbricht.
Kurz nach der Tragödie im Zoo erschien die Neuverfilmung von Ghostbusters, eine Version mit ausschließlich weiblichen Darstellern. Die Schlammschlacht, die daraufhin einsetzte, verstehe ich nicht auch nur annähernd. Leslie Jones, die afroamerikanische Hauptdarstellerin, wurde in den sozialen Netzwerken bombardiert mit „einer Fülle von pornografischer, rassistischer Sprache und hasserfüllten Beiträgen“. Man verglich sie mit dem Gorilla im Zoo; sie erhielt Fotomontagen mit menschlichem Samen in ihrem Gesicht.7 Und das wegen eines Films?
Es passiert etwas mit dem menschlichen Herzen. Und wir müssen verstehen, was da passiert, wenn wir all diese Erscheinungen verstehen wollen.
Der Mensch ist von Natur aus ein gefräßiges Wesen; in jedem von uns wohnt ein Verlangen, das nie gestillt wird. Wir wurden für die reine Freude geschaffen, für das Leben und das Glück. Aber seitdem wir das Paradies verspielt haben, haben wir noch an keinem Tag der Menschheitsgeschichte diese ganze Fülle erlebt; es gibt einfach nichts, was uns auf Dauer ausfüllt. Menschen sind wie Schnittblumen – wir sehen noch gut aus, aber wir sind von den Wurzeln abgetrennt. Wir sind verzweifelte Geschöpfe voller Begierde. Wir verzehren uns nach einer Ehe (oder wenigstens der Hoffnung darauf), einem Kind, einer Arbeit, Essen, Sex, Alkohol, Abenteuer, dem nächsten Abendessen – egal was, Hauptsache, es besänftigt diesen Schmerz in uns.
Wir sind gierige Wesen. Und auf gewisse Weise entfesselt. Institutionen, die früher einmal psychologische oder moralische Stabilität gegeben haben – Familien, Dorfgemeinschaften, Kirchengemeinden – lösen sich auf. Wir trauen nichts und niemandem mehr – nicht den Universitäten und Finanzmärkten, nicht den religiösen Hierarchien und den politisch Verantwortlichen schon gar nicht. Diese Auflösung von Vertrauen fügt unserem Heißhunger eine Art ungehemmter Verzweiflung hinzu.
Dazu kommt, dass die Welt unserem unersättlichen Verlangen nicht entgegenkommt; sie macht uns ständig einen Strich durch die Rechnung. Andere behandeln uns nicht so, wie wir behandelt werden wollen; wir können das Glück, das wir brauchen, nicht finden. Unser Chef ist zu strikt, also sabotieren wir ihn. Unser Ehepartner verweigert den Sex, also bedienen wir uns online. Aber der Heißhunger bleibt. Und wehe dem, der uns in unserem verzweifelten Hunger über den Weg läuft, der bekommt die ganze Wucht unseres Zorns zu spüren. Wir könnten ihn umbringen. Menschen erschießen einander wegen kleiner Verkehrsunfälle. Eltern misshandeln Babys, weil die sie nachts nicht schlafen lassen. Wir sind so rachsüchtig, dass wir einander in den sozialen Medien kreuzigen.
Das also ist unsere derzeitige psychologische Verfassung – gierig, psychisch entfesselt, zunehmend verzweifelt, bereit, alles, was sich uns in die Quere stellt, kurz und klein zu schlagen. Und es scheint nichts zu geben, was dieses allmähliche Abrutschen ins Chaos aufhalten kann. „Der Falke hört nicht mehr des Falkners Ruf“, warnt der Dichter W. B. Yeats in seinem Gedicht „The Second Coming“ (Die Wiederkunft):
Die Welt zerfällt; die Mitte hält nicht stand;
entfesselt wird die reine Anarchie.
Was immer hier auch sonst noch mit im Spiel ist, eines ist deutlich: Wir haben die Hoffnung verloren. Wir haben keine Zuversicht mehr, dass etwas Gutes auf uns zukommt. Als meine Freundin sagte: „Ja. Hoffnung könnten wir gerade wirklich gebrauchen“, hat sie vielleicht ein prophetisches letztes Wort über die Menschheit ausgesprochen.
Die Bibel rechnet die Hoffnung unter die drei großen Triebfedern der menschlichen Existenz:
Was für immer bleibt, sind Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei. (1. Korinther 13,13)
„Was für immer bleibt …“ Damit nennt Gott Glaube, Hoffnung und Liebe unsterbliche Mächte. Ein Leben ohne Glauben ist sinnlos; ein Leben ohne Liebe ist nicht lebenswert; ein Leben ohne Hoffnung ist eine dunkle Höhle, aus der es kein Entkommen gibt. Diese Dinge sind nicht nur „Tugenden“. Glaube, Hoffnung und Liebe sind starke Kräfte, die unser Leben voranbringen, aufwärtstreiben sollen; sie sind unsere Schwingen und zugleich die Kraft, diese Schwingen zu benutzen.
Ich glaube, die Hoffnung ist dabei das Entscheidende. Lieben ist ziemlich schwer, wenn man die Hoffnung verloren hat; Hoffnungslosigkeit lässt die Liebe zu einem resignierten Was soll’s? verkommen. Und was nützt uns der Glaube, wenn wir keine Hoffnung haben? Er wird zu einer starren Doktrin, an der nichts ist, worauf man sich freuen könnte. Aber die Hoffnung ist der Wind in unseren Segeln, die Elastizität in unseren Schritten. Die Hoffnung ist für unser Sein so entscheidend, dass die Bibel sie einen „sicheren und festen Anker für unser Leben“ nennt (Hebräer 6,19).
In einer entfesselten Welt brauchen wir eine Hoffnung, die uns als Anker dienen kann.
Menschen, die an Krebs oder einer anderen schweren Krankheit leiden, können uns sagen, wie entscheidend die Hoffnung ist, wenn man überleben will. Gib die Hoffnung auf und der Körper scheint seinen Kampf aufzugeben. Jeder, der den Schmerz einer Scheidung erlebt hat, weiß, dass die Hoffnung das Rettungsseil für eine Ehe ist; gibt man die auf, dann hat man keinen Grund mehr, die harte Arbeit zu investieren, die es braucht, wenn die Ehe weiterbestehen soll. Menschen, die die Hoffnung verloren haben, überleben Situationen, in denen sie ums Überleben kämpfen müssen – etwa einen Flugzeugabsturz – seltener als solche, die Hoffnung haben. Hoffnung spielt eine entscheidende Rolle bei der Überwindung von Armut. Hoffnung wirkt sich direkt heilsam auf unsere Hirnstrukturen aus.8
Aber um wirklich zu verstehen, welche Macht und welche Schönheit in der Hoffnung liegen, muss man sich nur vorstellen, wie es ist, wenn man auch den letzten Funken Hoffnung verloren hat. Diese Vorstellung lässt mich erschauern; Momente der Hoffnungslosigkeit gehören zu meinen finstersten Erinnerungen. Wenn wir die Hoffnung verlieren, wandern wir zu nah am Schattenreich der Hölle entlang, deren Bewohner „jedes Hoffen lassen“, wie Dante schreibt.9 Hoffnung ist die Sonne der Seele; ohne sie wird unsere innere Welt zu einem Schattenland. Als ginge im Herzen die Sonne auf, wirft die Hoffnung Licht auf alles, was wir sehen, und hüllt alle Dinge in einen neuen Glanz. Was ich heute Morgen wahrnahm, war nicht nur das Sonnenlicht, das den Berghang umflutete – was ich wahrnahm, war Hoffnung.
Der Glaube schaut zurück – wir erinnern uns an alles, was Gott für sein Volk und für uns getan hat, und das stärkt unseren Glauben daran, dass wir sein Handeln auch weiterhin erleben werden. Die Liebe gehört dem Augenblick; wir lieben im „Jetzt“. Die Hoffnung ist einzigartig; sie schaut nach vorn und lebt jetzt schon in der Wirklichkeit des Guten, das auf uns zukommt. Die Hoffnung streckt sich aus in die Zukunft und ergreift etwas, was wir noch nicht haben, vielleicht noch nicht einmal sehen. Starke Hoffnung reißt die Zukunft an sich, die noch nicht da ist; sie ist die zuversichtliche Erwartung, dass Gutes auf uns zukommt.
Vielleicht ist es hilfreich, an dieser Stelle einmal innezuhalten und sich zu fragen: Wie steht es momentan um meine Hoffnung? Worauf richtet sie sich gerade?
Optimismus wird nicht reichen. Das Bemühen, die Dinge positiv zu sehen, wird uns nicht durch solche Zeiten tragen, wie wir sie gerade erleben. Wenn man bedenkt, wie entscheidend die Hoffnung für unser Leben ist, muss die dringendste Frage lauten: „Wo gibt es eine Hoffnung, die alles Leid dieser Welt zu überwinden vermag?“
„Wir alle spüren das Rätsel dieser Erde“, schrieb G. K. Chesterton. „Am deutlichsten tritt es im Mysterium des Lebens zutage. Die Wolken und Schleier der Dunkelheit, die wirren Nebel, sie sind das tägliche Wetter dieser Welt.“10 Danke, Gilbert! Es begeistert mich, wenn jemand perfekt ausdrückt, was wir schon immer als Wahrheit erahnten, aber noch nie selbst in Worte fassen konnten. Ich denke, das Mysterium läuft auf Folgendes hinaus:
In den Stoff des Lebens scheint irgendeine Art von Verheißung eingewoben zu sein. Sie erreicht uns in goldenen Momenten, in der Schönheit, die uns den Atem raubt, in kostbaren Erinnerungen und in der Hoffnung, die schon ein Geburtstag oder ein Urlaub in uns wecken kann. Ganz besonders erreicht sie uns durch die Erde selbst.
Diese Verheißung passt perfekt zur tiefsten Sehnsucht unseres Herzens – der Sehnsucht, dass das Leben sich so gestaltet, wie es eigentlich gemeint war. Denn das ahnen wir ja. Das Flüstern dieser Verheißung rührt an eine kühne Hoffnung tief in unserem Herzen, eine Hoffnung, die wir kaum zu benennen wagen.
Wird sie sich je erfüllen?
Das ist das Mysterium; das ist das Rätsel. Machen wir das zu unserem Ausgangspunkt. Vielleicht können wir von hier aus die Spur aufnehmen.
Das Geständnis, das jetzt kommt, mag Ihnen aus dem Mund eines Mannes ein bisschen verrückt vorkommen: Ich empfinde so etwas wie Mitgefühl für Imeldas Schuhfetischismus.
Falls Sie den Skandal in den 80er-Jahren verpasst haben: Imelda Marcos war die Frau des ehemaligen Präsidenten der Philippinen, Ferdinand Marcos. Als sie 1986 gestürzt wurden und aus dem Land flohen, ließen sie einen faszinierenden Schatz zurück: Designerschuhe. Und zwar Tausende davon. Wie so viele Diktatoren dieser Welt hatten die Marcos’ ein extravagantes Leben geführt – auf Staatskosten, versteht sich –, während das Volk in den Straßen barfuß lief. Das erklärt ihren schließlichen Sturz. Imelda stand schon lange in dem Ruf, einen Schuhtick zu haben, aber die Wahrheit übertraf dann doch jede Fantasie. Angaben über die Größe ihrer persönlichen Kollektion schwanken zwischen 1060 und 7500 Paar Schuhe.11
Man stelle sich das vor – quadratkilometerweise umwerfende, traumhafte Schuhe aus den besten Salons der Welt. Selbst wenn man zehn Jahre lang jeden Tag ein neues Paar trüge und es dann wegwürfe, hätte man noch nicht alle benutzt.
Was bringt einen Menschen dazu, so versessen eine Schönheit zu horten, die er nie gänzlich zu Gesicht bekommen, geschweige denn sinnvoll gebrauchen kann?
Die Medien sind über Imelda hergefallen, aber ich fand diese Entdeckung faszinierend. Fetische sind aufschlussreich; sie sind so etwas wie ein Spalt, durch den wir in das wilde Geheimnis des menschlichen Herzens schauen können. Wir können unsere Macken unter sozialem Verhalten tarnen, wir können eine gute Show abliefern, aber unsere Fetische und unsere Fantasien verraten uns. Der gierige Hunger des Süchtigen liegt offen vor aller Augen. Ganz ehrlich – ich habe damals fast Sympathie für Imelda empfunden, auch wenn ich das bisher nicht öffentlich kundgetan habe. Ich glaube, sie hat nach den roten Schuhen gesucht, die Dorothy in Der Zauberer von Oz trägt; sie suchte nach dem Ort am Ende des Regenbogens. (Und so seltsam ist es nun auch wieder nicht: Ein einziger Schuh hat für Aschenputtel das ganze Leben verändert.)
Imelda Marcos suchte das Reich Gottes.
Ich verrate Ihnen ein kleines Geheimnis: Ihr Herz ist für das Reich Gottes geschaffen. Vielleicht ist das das Wichtigste, was Sie je über sich selbst erfahren werden: Ihr Herz gedeiht nur in einem ganz bestimmten Milieu und diesen sicheren Standort nennt man Reich Gottes. Steigen Sie jetzt nicht aus.
Jesus Christus hat sein Leben eingesetzt, um jedem von uns eine Hoffnung zu geben, die alles übertrifft und in den Schatten stellt, was es je an Hoffnung gegeben hat. Jede seiner Taten, alles, was er sagte, sein ganzes beispielloses Leben zielte sehr bewusst darauf ab, uns diese Hoffnung zu enthüllen. Matthäus beschreibt sie gegen Ende seines Evangeliums mit atemberaubender Klarheit:
Amen, ich sage euch: Wenn die Welt neu geschaffen wird und der Menschensohn sich auf den Thron der Herrlichkeit setzt … [wird] jeder, der um meines Namens willen Häuser oder Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Kinder oder Äcker verlassen hat, […] dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben gewinnen. (Matthäus 19,28-29; EÜ)
Wenn die Welt neu geschaffen wird?! Gottes Absicht für uns ist eine Neu-Erschaffung der Welt? Nun, das jedenfalls sagt der Sohn Gottes; so beschreibt er es sehr deutlich. Es verschlägt mir die Sprache. Wirklich?
Das griechische Wort, das hier für „Neu-Erschaffung“ steht, lautet palingenesia. Es leitet sich aus zwei Wurzeln her: paling – „noch einmal“ und genesia – Anfang, ein Rückbezug auf die Genesis. Die Schöpfung. Der Garten Eden – wiederhergestellt. Kann das wirklich wahr sein? Manchmal erschließt uns ein Vergleich verschiedener Übersetzungen die Bedeutung eines Textes noch besser. Sehen wir uns noch zwei Versionen dieser Verse an.
Jesus antwortete: „Ich versichere euch: Wenn Gott die Welt neu macht und der Menschensohn in all seiner Herrlichkeit auf dem Thron sitzen wird, dann werdet ihr ebenfalls auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten, weil ihr mir nachgefolgt seid. Jeder, der sein Haus, seine Geschwister, seine Eltern, seine Kinder oder seinen Besitz zurücklässt, um mir zu folgen, wird dies alles hundertfach zurückerhalten und das ewige Leben empfangen.“ (Hfa)
Jesus sagte zu ihnen: Amen, ich sage euch: Ihr, die ihr mir gefolgt seid, werdet bei der Neuschöpfung, wenn der Menschensohn sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzt, auch auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten. Und jeder, der um meines Namens willen Häuser, Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird hundertfach empfangen und ewiges Leben erben. (ZB)
Wenn Gott die Welt neu macht. Bei der Neuschöpfung. Eine atemberaubende, schockierende Verheißung. Eine Verheißung, die so herzergreifend schön ist, dass ich staune, warum so viele sie überlesen. Ja, natürlich, vom „Himmel“ haben wir gehört. Aber Jesus redet hier ganz offensichtlich nicht vom Himmel – er redet davon, dass Gott die Welt neu macht. Und das schließt diese Erde ein, die wir so lieben.
Wenn wir von diesem Punkt aus zurückschauen, können wir besser verstehen, warum das, was Jesus brachte, eine „Frohe Botschaft“ ist. Zunächst einmal war die Botschaft, die er verkündete, die Ansage eines kommenden Reiches:
Jesus zog durch ganz Galiläa; er lehrte in den Synagogen, verkündete die Botschaft vom Reich Gottes und heilte alle Kranken und Leidenden im Volk. (Matthäus 4,23)
Er sagte: „Die Zeit ist gekommen, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt diese gute Botschaft!“ (Markus 1,14f)
Er lehrte in den Synagogen, verkündete die Botschaft vom Reich Gottes und heilte alle Kranken und Leidenden. (Matthäus 9,35)
„Du brauchst dich nicht zu fürchten, kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch sein Reich zu geben.“ (Lukas 12,32)
Die Botschaft vom Reich Gottes wird in der ganzen Welt verkündet werden, damit alle Völker sie hören. Dann erst kommt das Ende. (Matthäus 24,14)
Jesus hat das Kommen des Reiches Gottes angekündigt. Und dann hat er gezeigt, was das bedeutet – Gelähmte gehen, Blinde sehen, Taube hören, Tote werden zum Leben erweckt. Die Wunder, die er tut, illustrieren seine Botschaft – und zwar auf unvergessliche Weise. Niemand, der sie miterlebt hat, konnte missverstehen, worum es ging: Das Reich Gottes – das bedeutet eine einzige große Wiederherstellung. Unmittelbar, bevor die Gegner ihn verhafteten, hat Jesus davon gesprochen, dass Gott diese Welt neu macht, und dann, als wolle er sichergehen, dass auch jeder die Botschaft verstanden hat, spazierte er drei Tage später unbehelligt aus seinem Grab heraus. Gibt es eine drastischere Demonstration für Wiederherstellung oder – Neuschöpfung?
Unser ganzes Leben lang sehnen wir uns nach einer Erneuerung unseres Lebens. Jede kostbare Erinnerung und jeder Augenblick voller Güte und Schönheit wecken unsere Sehnsucht danach. Erneuerung ist die Verheißung, die jeder Sonnenuntergang uns zuflüstert. Jede Blume. Jeder ungetrübte Ferientag; jede Schwangerschaft, jede Genesung. Selbst durch unsere Fetische und Fantasien ruft diese Sehnsucht nach uns, wie C. S. Lewis bemerkt:
War nicht sogar in deinen Liebhabereien immer eine geheime Anziehungskraft, welche die anderen seltsamerweise nicht wahrnahmen, etwas, das zwar nicht einfach gleichgesetzt werden konnte mit dem Duft von geschnittenem Holz in der Werkstatt oder mit dem gleichmäßigen Klatschen des Wassers gegen die Bootswand – das aber doch – ganz dicht unter der Oberfläche – in diesen Dingen lag, stets im Begriff, hervorzukommen?
Werden nicht alle Freundschaften in dem Augenblick geboren, in welchem man endlich einem anderen menschlichen Wesen begegnet, das eine selbst im besten Fall nur schwache und undeutliche Ahnung von jenem Etwas hat, wonach zu verlangen man selber eigentlich geboren ist und wonach man, tief unter der Flut anderer Begierden und in einem jeden Augenblick des Schweigens zwischen den lärmenderen Leidenschaften, Tag und Nacht, Jahr für Jahr, von der Kindheit bis zum Alter Ausschau hält, worauf man wartet und wonach man lauscht? Niemals haben wir es „gehabt“. Alle Dinge, die je unsere Seele im Tiefsten ergriffen haben, waren nur Anzeichen davon – Blicke von schmerzlicher Flüchtigkeit, nie ganz erfüllte Versprechen, ein Echo, das sogleich dahinstarb, wenn es unser Ohr erreichte. Würde es sich aber wirklich offenbaren, würde je ein Echo kommen, das nicht dahinsterben, sondern anschwellen würde zum vollen Ton – dann würden wir es erkennen. Weit entfernt von aller Möglichkeit eines Zweifels würden wir sagen: „Hier ist endlich das, wofür ich geschaffen bin.“12
Das, wofür wir geschaffen sind, ist die Neuschöpfung der Welt. Gott hat uns ein Herz gegeben, das für sein Reich geschaffen ist – nicht für die flüchtigen Fantasien eines Himmels irgendwo in den Wolken, sondern für die klare Realität einer Welt, die neu geschaffen wurde. Und das ist etwas vom Wichtigsten, was wir über uns selbst erfahren können. Wussten Sie das schon von sich? Wann haben Sie sich das letzte Mal morgens vor dem Spiegel begrüßt: Guten Morgen. Du hast ein Herzfür das Reich Gottes. Das erklärt so viel. Das zu wissen, ist eine enorme Hilfe. Es erklärt unseren Zorn und all unsere Abhängigkeiten. Es erklärt unseren Schrei nach Gerechtigkeit und es erklärt auch die zunehmende Hoffnungslosigkeit, die Resignation, den Zynismus und die Niederlagen.