Trutz Hardo

Mörder im Taxi

Erlebnisse eines Taxifahrers

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Ein Mörder berichtet mir seinen Mord an einem Polizisten

Hatte ich einen Anschlag auf ein Asylantenwohnheim verhindert?

Fahren Sie auch Ausländer?

RIF, die Seife aus Judenknochen

Als Übersetzer auf dem Polizeirevier

Warum und wie ich Taxifahrer geworden bin

Bei der Notoperation assistiert

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Deutschlands berühmteste Filmdiva als mein Fahrgast

Sogenannte „Zufälle” und „Zugefallenes”

Der Bettler als Glücksbringer

Die einen „Fehlschlag” verkündende Tarotkarte

Schwarze Magie am Nazigrab

Der verstorbene Vater als Heuschrecke

Berlin als El Dorado der Lust

Meine Fahrt zur Premiere in der Staatsoper 76

Der beinah tödliche Zauber

Das Bombenattentat im ‚La Belle‘

Wie man Betrunkene wieder aufweckt

Taxifahrten nach Ostberlin vor dem Fall der Mauer

Als die Mauer fiel

Der Tod im Taxi

Mein Fünfhundert-Mark-Trinkgeld

Zwei Tote verabschieden sich

Irreführende Straßenschilder

Brief eines Taxifahrers an den Bürgermeister Berlins

Saß der Taxifahrermörder in meinem Taxi?

Das Thailändische Horoskop

Silvester, die „Nacht der Nächte“

Eine Traumfahrt wird zur Alptraumfahrt

Auf den Trümmern den Glauben an Gott wiedergefunden

Mit dem Pendel die Wasserkreuzung aufgedeckt

Mit dem weltberühmten Geiger im Gespräch

Ich verfluche dich, Hitler!

Erlebnisse außerhalb des Körpers

Die abenteuerliche Flucht über die Grenze

Ist sie deine Geliebte?

Ihr Taxifahrer seid doch so richtige Versager

Letzte Worte

Die Tragik eines Rollstuhlfahrers

Aus Sibirien zurück

Gespräche mit Musikern

Ein verrückter Zechpreller

Der uneingelöste Schuldschein

Vorahnungen, die sich bestätigten

Die Fahrgäste als Anreger meiner kreativen Einfälle

Dem KZ entkommen

Erscheinungen von Verstorbenen

Das „ärmste Schwein der Welt“, die Beichte eines Massenmörders

Vorwort

In diesem Buch präsentiere ich den LeserInnen eine Auswahl meiner Abenteuer als Taxifahrer in der Weltstadt Berlin. Diese Erlebnisse möchte ich nicht chronologisch oder – von wenigen Ausnahmen abgesehen – rubriziert hier vorstellen, sondern sie als ebenso gemischt und abwechselnd darbieten, wie sie mir begegnet waren. So konnte es passieren, dass ich am gleichen Tag mit einem blinden Pfarrer über letzte Dinge sprach und schon bei dem nächsten Fahrgast dessen Beichte als Mörder zu Ohren bekam. Eben dieses Abenteuerliche am Taxifahren hat mich besonders an diesem Beruf gereizt, denn man wusste nie, wohin welche Touren führten und mit wem man sich unterhielt und somit oft Hochinteressantes oder sogar Brisantes erfuhr.

Da ich nun von Kind auf ein sehr unstetes und abenteuerliches Leben geführt hatte – besuchte ich doch als Halbwaise und Flüchtlingskind 10 verschiedene Schulen und 8 Internate und trampte späterhin zirka zehn Jahre lang um die Welt und in der Welt herum –, bot sich mir der Beruf als Taxifahrer geradezu als ideale Lösung an, denn hier befand ich mich weiterhin in „Bewegung“ und konnte überraschenden Abenteuern begegnen. Und zumal ich als Autor und Verleger oft tagelang am Schreibtisch zu sitzen hatte, wurde die Aussicht, am nächsten Wochenende wieder in der Taxe durch Berlin zu fahren, zur richtigen Vorfreude. Ja, in all den vierzehn Jahren meines Taxifahrens habe ich mich jedesmal auf meinen nächsten Einsatz gefreut.

Oft habe ich mit Fahrgästen derart interessante Gespräche geführt, dass wir, am Fahrziel angekommen, manchmal noch bei abgeschalteter Uhr bis zu zwanzig Minuten lang im Wagen saßen, um uns weiterhin zu unterhalten. Nach „buchenswerten“ Unterhaltungen habe ich mir am nächsten Halteplatz über das geführte Gespräch Notizen gemacht, die als Vorlage für dieses Buch dienten.

Mir geht es nicht darum, über die hier geschilderten Ereignisse oder die betreffenden Personen zu richten. Ich stelle solche Berichte oft kommentarlos so dar, wie sie sich in meiner Erinnerung zugetragen haben. Da ich einen Hang zum Übersinnlichen habe, ergaben sich ganz natürlich oft Gespräche, die sich auf eine solche Thematik bezogen. Ich hoffe aber, dass für jede Leserin und für jeden Leser vieles in diesem Buch zu finden ist, was gerade sie oder ihn im Besonderen anspricht. Denn die Gespräche mit meinen Fahrgästen dürften oft ein Spiegel sein, in welchem man sich selbst oder andere wiedererkennt. Es versteht sich, dass die meisten Namen verändert wiedergegeben werden, um die Anonymität der Personen und ihres Wohnortes zu wahren.

Ein Mörder berichtet mir seinen Mord an einem Polizisten

Es ist nachts, 11.25 Uhr. Soeben hatte ich zwei Türken in die Köpenicker Straße im hintersten Kreuzberg gebracht. Als ich an der Taxihaltestelle „Schlesisches Tor“ vorbeifahre, sehe ich dort fünf leere Taxen stehen. Mich als sechste Taxe dahinterzustellen, ist zu riskant, denn es könnte bedeuten, dass ich eine halbe bis eine Stunde dort warten müsste, bis ich wieder eine „Fuhre“ bekomme. Also entscheide ich mich, zur nächsten nahen „Taxihalte“ am Kottbusser Tor zu fahren. Dort stehen vielleicht „nur“ zehn Taxen hintereinander, doch mussman meist nicht lange warten, da dort durch Funkaufträge durch „Säule“ (Telephonapparat in einer runden graun, etwa 2 m hohen Säule, die bei Anruf oben ein Licht kreisen lässt und zudem einen Piep-Ton in der Taxe auslöst) oder einsteigende Gäste die Taxifahrer schnell wieder beschäftigt werden.

Auf dem Wege dorthin, durch die Skalitzerstraße fahrend, winkt mir ein etwa fünfzigjähriger Mann zu. Als er hinten eingestiegen war, betrachtete ich ihn mir, da ich das hinten befindliche Licht immer für einsteigende Gäste anschalte, um zu sehen, „wer“ einsteigt. Der Mann war offensichtlich angetrunken. Seine Nase war wie die eines Boxers flach und ein Auge war blau angelaufen. Er nannte mir sein Fahrziel in der Innenstadt.

„Sie waren vor kurzem noch in eine Schlägerei verwickelt, nicht wahr?“

„Dem ‚Jugo‘ (Jugoslawen) habe ich die Fresse zerschlagen. Der hat sich doch tatsächlich an meine ‚Puppe‘ (Freundin) rangemacht und sie geknutscht.“

„Und? Ist die Polizei alarmiert worden?“

„Der Drecksack ist gleich abgehauen. War auch besser so. Sonst hätte ich ihn vielleicht ebenfalls umgebracht, diesen ‚Wichser‘.“

„Wie, Sie haben schon jemanden umgebracht? Erzählen Sie?“

„Willst’d wirklich wissen, wen ich umgebracht habe?“

„Ja, erzählen Sie.“

„Ich hab’ einen Polizisten erschlagen.“

„Und wie viele Jahre waren Sie dafür im ‚Bau‘?“

„Ich hab‘ ihn einfach verschwinden lassen. Niemand weiß, was aus ihm geworden ist. Niemand weiß, dass er umgebracht wurde.“

„Wirklich? Wie haben Sie das denn gemacht?“

„Willst’d wirklich die Geschichte wissen?“

„Ja, klar.“

„Ich hab‘ sie noch keinem erzählt. Du bist der erste. In den siebziger Jahren waren in Griechenland die ‚Juntas‘ (Militärjunta) an der Macht. Das Militär und die Polizisten machten, was sie wollten. Ich bin zu meinem Freund nach Kreta gefahren …“

„Kreta kenne ich gut, ich habe dort viele Winter verbracht. Wo wohnte denn dein Freund?“

„In X.., an der Südküste.“

„Den Ort kenne ich ebenfalls.“

„Mein Freund ist Grieche. Er hat dort ein Restaurant. Der Polizist stammte vom Festland und langweilte sich dort zu Tode, war ein aufgeblasenes Schwein. Jawohl. Der ging immer in jede Kneipe oder Taverne und verlangte Ouzo, Retsina oder Kaffee, ohne zu bezahlen. Zu meinem Freund kam der Großkotz und bestellte die teuersten Gerichte – und bezahlte nie, dieses Schwein. Jeder im Ort fürchtete sich vor diesem Dreckskerl. Oft war er betrunken. Mein Freund klagte mir oft sein Leid. Er hatte eine Riesenwut im Bauch. Er sagte, er würde ihn am liebsten umbringen. ‚Dann bringe ihn doch um‘, sagte ich. Aber er ist ein Feigling. Jeder im Ort würde sich freuen, wenn dieses Schwein umgebracht würde. Ich sagte zu meinem Freund: ‚Wenn der Saukerl heute wieder kommt und bestellt sein Essen, dann sagst du ihm: ‚Ab heute wird bezahlt!‘ – Du musst mit ihm energisch sein. Wenn ihr euch alle duckt, macht er mit euch, was er will. ‚Versprichst du mir, dass du ihm nachher sagst, dass er bezahlen soll? Ich stehe dir bei, wenn er herumpoltern sollte.‘

Dann kam dieser Protz, dick und fett. Als er sich gesetzt hatte, rief er meinen Freund und bestellte Wein und Essen. Ich schubste meinen Freund an und flüsterte ihm zu: ‚Jetzt sag ihm, dass er aber von jetzt an immer bezahlen muss!‘ Mein Freund hatte Schiss in der Hose. Aber als er ihm das gesagt hatte, schnellte das betrunkene Schwein hoch, zog seine Pistole und schoss fluchend und grölend auf ihn. Aber er schoss daneben und mein Freund konnte sich schnell zurückziehen.

Ich saß am Nebentisch und schwor mir: Dieses Schwein bringe ich um. Der hat nichts Besseres verdient.

In den folgenden Tagen überlegte ich mir, wie ich ihn wohl beseitigen könnte. Wenn man den Ort in östlicher Richtung an der Küste entlang verlässt, kommt man an eine Stelle, wo eine steile Klippe direkt zum Meer hinuntergeht. Die Wellen kommen direkt an diese Klippe, (Ich kannte diesen steilen Abhang ganz genau und wusste, dass er diese Fakten richtig wiedergab). Und ich wusste, dort muss ich ihn hinunter werfen. Die Wellen werden seine Leiche hinausspülen und vielleicht fressen ihn die Fische, sodass er einfach verschwunden sein wird. Ich legte mir oben über der Klippe am Rande des schmalen Pfades einen größeren Stein zurecht, mit dem ich dieses Schwein totschlagen wollte.“

„Und wie hast du den Polizisten dorthin gelockt?“

„Ich habe ihm am Abend gesagt: ‚Dort hinten in einer Bucht liegt eine Leiche. Ich zeige sie Ihnen.‘ Es war schon dunkel. Er ging voraus. Als wir auf dem schmalen Weg oberhalb der Klippe waren, hab‘ ich den Stein aufgehoben und ihn auf seinen Kopf geschlagen. Er ist gleich umgekippt. Ich warf den Fettsack dann in das Meer hinunter.“

„War er denn schon gleich tot?“

„Weiß ich nicht. Aber sein Körper ist zuerst auf einen Fels aufgeschlagen. Das wird er nicht überlebt haben. Dann sackte er in das Wasser.“

„Und niemand hatte erfahren, was geschehen war?“

„Niemand. Ein ganzer Suchtrupp von Polizisten hat nach ihm Ausschau gehalten. Wir wurden alle verhört. Doch hatte auch niemand uns beide zusammen gesehen. Sein Leichnam ist nie gefunden worden. Dieses Schwein hab‘ ich fertig gemacht.“

„Bereust du nicht deine Tat?“

„Ja, es ist nicht so leicht, mit diesem Mord umzugehen. Aber es tröstet mich auch wiederum, dass jener Polizist ein solches Schwein war und dass ihn ein gerechtes Schicksal ereilt hatte.“

„Würdest du eine gleiche Tat nochmals begehen?“

„Ja, ich glaube, solch ein Schwein würde ich nochmal umbringen. Er hätte nichts anderes verdient gehabt.“

Hinter mir saß ein wirklicher Mörder, der mir eine Mordtat gebeichtet hatte. Sollte ich, nachdem er ausgestiegen war, die Polizei alarmieren? Taxifahrer sind oft die Beichtväter der Nation. Sie sind für den Beichtenden anonym, und während einer Taxifahrt ergibt sich oft die beste Gelegenheit, sein Herz von einer schweren Last zu erleichtern. Ich habe nicht die Polizei verständigt, weil diese Mordtat lange zurücklag und auch im Ausland geschehen war. Oder hätte ich doch die Polizei verständigen sollen, wie im folgenden Fall?

Hatte ich einen Anschlag auf ein
Asylantenwohnheim verhindert?

Nach dem Fall der Mauer hatten sich in den neuen Bundesgebieten rechtsradikale Gruppen gebildet, die sich oft weniger an der Nazivergangenheit berauschten, als dass sie ihre Aggressionen vernehmlich an Ausländern ausließen. Die Ausschreitungen gegen Ausländer in den alten Bundesländern wie in Mölln und Solingen fanden auch in Brandenburg ihre Gegenstücke, sodass viele in Deutschland befindliche Ausländer, selbst wenn sie hier geboren waren, jene rechtsradikalen Anfeindungen und Angriffe befürchteten. In Berlin gab es auch ausländische Jugendgruppen, die sich gegen solche Angriffe zu wehren suchten, wobei es oftmals zu regelrechten Schlachten kam.

Und oft hatte ich lederjackenbekleidete Skinheads oder Rechtsradikale in der Taxe, die ausländerfeindliche Parolen von sich gaben oder z.B. sagten: „Endlich mal eine Taxe ohne Kanaken am Steuer. Mit solchen fahren wir nämlich nicht. Die sollen dort bleiben, wo sie herkommen. Die nehmen uns die Arbeit weg.“

Und wenn ich mal etwas zugunsten der Ausländer sagte, dann wurde das als Provokation aufgefasst, und einmal – es war am Baumschulenweg in Treptow – wäre eine Gang von drei Rechtsradikalen beinahe auf mich losgegangen. Ich bin immer froh, wenn solche Kerle wieder ausgestiegen sind.

In der Yorckstraße steigt zu später Stunde ein junger und, wie es sich herausstellte, betrunkener Mann ein. Als Ziel gibt er die „Hasenheide“ in Neukölln an. Er macht irgendeine abfällige Bemerkung über Ausländer, und er fügt hinzu: „Morgen kannst du was in der Zeitung lesen. Heute Nacht wird ein Asylantenheim angezündet.“

„Woher weißt du das?“

„Gestern Abend haben wir den Plan ausgeheckt. Heute Nacht um 2 wird das Asylantenheim in Erkner angezündet.“

„Warum bist du jetzt hier und nicht dort dabei?“

„Ich muss in die Stadt. Ich wäre dort sonst der erste Verdächtige. Ich hab‘ schon zuviel gegen Ausländer unternommen. Ich kann leider nicht dabei sein.“

Wie war es möglich, dass er mir diesen Plan verriet? Sicher, er war alkoholisiert. Hatte eine unsichtbare Kraft ihn dazu gezwungen, mir den geplanten Anschlag zu verraten? Wie dem auch sei, nachdem ich ausgestiegen war, parkte ich meinen Wagen am Hermannplatz und verständigte per Telefon die Polizei, indem ich all das, was ich erfahren hatte, weitergab. Noch waren es zwei Stunden vor dem geplanten Anschlag.

Ich könnte mir denken, dass die Polizei mit Blaulicht dort vorgefahren ist, und dadurch die ‚Attentäter‘ von ihrem Vorhaben abgeschreckt haben dürfte. Auf jeden Fall war nächsten bzw. übernächsten Tags nichts über einen geplanten oder vereitelten Asylantenheimvorfall in den Zeitungen zu lesen.

Aber da wir gerade schon beim Thema sind, möchte ich noch zwei diesbezügliche Ereignisse schildern.

Fahren Sie auch Ausländer?

Im Februar 1993 stieg am Hermannplatz eine etwa fünfzigjährige Frau ein, nachdem sie sich vorerst erkundigte, ob ich auch ‚Ausländer‘ mitnehme.

„Ja selbstverständlich!“

Als sie hinten Platz genommen hatte, fragte ich sie, warum sie denn gefragt habe, ob ich Ausländer mitnähme. Worauf sie, die sich mir als Jugoslawin zu erkennen gab, entgegnete: „Ich habe es schon öfter erlebt, dass Taxifahrer sich geweigert haben, mich mitzunehmen. Einer hatte sogar gesagt, warum ich in Deutschland den Deutschen den Arbeitsplatz wegnehme. Ich habe Angst vor Taxifahrern. Doch wenn ein Taxifahrer nett zu mir ist, dann zahle ich für meine Fahrt in den Wedding 50 Mark.“

Ich entgegnete ihr, dass ich mir nur schwer vorstellen könnte, dass ein Taxifahrer sich weigern sollte, eine nicht betrunkene Person besonders für eine solch lange Tour nicht chauffieren zu wollen. Und ich sagte weiterhin, dass ich auf keinen Fall ein extra Trinkgeld annehmen möchte.

Ich bin besonders ausländerfreundlich, habe ich doch 12 Jahre meines Lebens im Ausland verbracht und war überall als „Fremder“ gern gesehen und freundlich behandelt worden. Und da ich von meinen vielen Reisen her weiß, wie es einem in einem fremden Land oft zumute ist, bin ich sogar besonders hilfreich, wovon die übernächste Geschichte ein Beispiel geben wird.

Als wir in Wedding ankamen, betrug der auf der Uhr angezeigte Fahrpreis noch weniger als 30 Mark. Sie, die einen Pelzmantel trug und mir erzählte, dass ihr Mann ein Geschäft in Berlin führe, reichte mir 50 Mark. Als ich herausgeben wollte, wies sie mein Vorhaben zurück. „Nein, nein. Sie behalten den Rest. Sie waren sehr nett. Und wie ich Ihnen sagte, gebe ich für diese Fahrt allen netten Taxifahrern 50 Mark.“

Sollten wirklich viele deutsche Taxifahrer sich Ausländern gegenüber feindlich verhalten? Das war mir unvorstellbar. Wenn jedoch viele AusländerInnen gleiche Erfahrungen mit ausländerfeindlichen Taxifahrern gemacht haben sollten, dann würden viele der AusländerInnen sicherlich lieber die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen als Taxis, und dem Taxigewerbe würden dadurch viele „Fuhren“ entgehen.

Doch nun will ich ein krasses Gegenstück erzählen.

RIF, die Seife aus Judenknochen

Drei Wochen später – ich stehe als erster Wagen vor der „Gutschmidt-Halte“ – wird meine Haltestelle angesprochen mit der Frage „Sind Sie Deutscher?“ Solch eine Frage hört man von der Vermittlung äußerst selten. Öfter wird ein Nichtrauchertaxi oder Rauchertaxi, eine Kombitaxe oder ein Taxi angefordert, dessen Fahrer hundert Mark wechseln kann oder für jemand einen Einkauf tätigen soll. Es ist schon selten, dass jemand eine Taxifahrerin und nicht einen Taxifahrer bestellt oder jemand mit besonderen Sprachkenntnissen anfordert. Aber dass ein „Deutscher“ verlangt wird, ist äußerst selten und lässt die herabsetzenden Kommentare der Taxikollegen per Funk nicht nur von ausländischen Kollegen laut werden. Da ich schon lange gewartet hatte, nahm ich den Auftrag an, wohl wissend, dass ich aus der in der Gropiusstadt befindlichen Kneipe einen „Republikaner“ einladen werde. Ich nehme grundsätzlich alle Leute mit, mit der einzigen Voraussetzung, dass sie nicht volltrunken sind und nicht zur Taxe angetorkelt kommen. Aber darüber später noch mehr.

Es steigt ein korpulenter Mann ein, der wohl schon die Sechzig überschritten haben mag. „Sie sind doch Deutscher?“ Ich bejahe. „Nun gut, dann fahren Sie mich in die Niemetzstraße nach Neukölln. Ich hatte Ihrer Taxivermittlung gesagt, dass ich nur einen deutschen Fahrer haben will. Das Fräulein wollte erst den Auftrag nicht annehmen. Aber ich sagte, dass ich dem Taxifahrer 50 Mark Trinkgeld geben werde. Dann hat sie den Auftrag an Sie weitervermittelt. Ich gebe Ihnen nachher 50 Mark Trinkgeld – wie versprochen. Vorhin hatte ich ebenfalls ein Taxi bestellt. Als ich aus der Kneipe herauskam, erblickte ich einen schwarzen Mann am Steuer. Ich denke: ‚Ich seh nicht recht.‘ Ich fragte ihn: ‚Woher kommst du?‘ Er antwortet: ‚Aus Ghana.‘ Ich sagte: ‚Geh zurück in dein Land. Hier hast du 5 Mark für die Fahrt. Aber mit dir fahr‘ ich nicht.‘ Dann bestellte ich bei einer Funktaxivermittlung eine Taxe mit einem deutschen Fahrer. Aber das Fräulein legte gleich wieder auf. Na, beim dritten Mal hat‘s endlich geklappt.“

Der leicht angetrunkene Mann erzählte mir, dass er jetzt pensionierter Versicherungsmann sei und heute eine monatliche Rente von über 10.000 Mark beziehe. Er bekannte, dass er spielsüchtig sei und schon eine Entziehungskur hinter sich habe. Wie ich schon vermutete, war er „Republikaner“, der auf keinen Fall gewillt sei, irgendwelche Ausländer zu unterstützen. „Schaun Sie, 100.000 Ärzte sind arbeitslos. Die SPD und CDU lassen viel zu viele Ausländer ins Land. Ich mache mit Ihnen eine Wette, dass bis zu meinem Tod die Republikaner die Regierung in Deutschland bilden.“

Er zündete sich eine Zigarette an. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass er in einer „NICHTRAU-CHERTAXE“ sitze.

„Aber wenn ich Ihnen ein Trinkgeld von 50 Mark gebe, dann kann ich doch sicher in Ihrem Taxi rauchen?“

Was sollte ich dagegen einwenden.

Und schon schien er als Nochimmer-Nazi bei einem seiner Lieblingsthemen angekommen zu sein.

„Hitler wollte ja die Juden nicht vernichten. Er wollte sie ausweisen. Aber die Ausländer wollten sie ja nicht. Die haben sie sogar zurückgeschickt.“

Und ich dachte: Dieses Charakter-Schwein gibt jetzt auch noch den Ausländern die Schuld am Völkermord der Juden.

Er erzählte mir aus seiner Jugend als Hitlerjunge in den letzten Kriegsjahren. Ich fragte ihn: „Haben Sie damals von der Judenvergasung gewusst?“

„Aber natürlich. Wir alle wussten davon. Vielleicht gab es einige, die nichts wissen wollten. Aber wir in der Hitlerjugend wussten alle Bescheid. Das war kein Geheimnis. Wir wuschen uns damals mit einer bräunlichen Kernseife. Die hieß „RIF“. Wir wussten, dass sie aus Judenknochen hergestellt war, und dass RIF bedeutete: ‚Ruhet in Frieden‘. Wir alle haben uns mit dieser Judenkernseife gewaschen. Wir wussten alle Bescheid.“

Nach allem, was ich bei meinen historischen Recherchen für meinen vierbändigen Farbroman herausfinden konnte, wurden Knochen der vergasten Juden nie für die Seifenherstellung verwendet. Jedoch ist hier der Umstand von erschreckender Bedeutung, dass Jugendliche von dieser Möglichkeit überzeugt waren, beziehungsweise also ein mögliches Gerücht als Tatsache wie etwas Selbstverständliches in ihr nationalsozialistisches Denken integriert wurde. Vielleicht meinte RIF etwas ganz anderes, obwohl solch eine Namensgebung ganz der Perfidie vieler SS-ler entsprochen haben könnte.

Am Fahrziel angekommen, zahlte er erst die Fahrgebühr von ca. 20 Mark, und dann drückte er mir tatsächlich 50 Mark in die Hand. „Das ist für Sie. Nein, mit einem Nigger fahre ich in keiner Taxe.“

Ich wünschte so manchem deutschen Schriftstellerkollegen, dem nichts mehr zum Schreiben einfallen sollte, Taxifahrer zu werden. Er hätte mehr als genügend Stoff aus erster Hand.