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ISBN: 9783750474123

Inhalt

Einführung

Welche Bildungsinhalte, Erziehungsziele und Wertestrukturen Kindern in der Schule vermittelt werden sollten, stellt ein Thema immerwährender Diskussionen dar, die jeweils stark von der gesellschaftlichen, kulturellen und vor allem politischen Situation abhängen. Als ein wesentliches Steuerungselement gilt die Ausbildung von Schullehrern und -lehrerinnen nach staatlich-gesetzlichen Vorgaben. Mit der Etablierung der Schulpflicht im Verlauf des 19. Jahrhunderts gingen regelhafte Lehrpläne einher in Verbindung mit kanonisierten Schulfächern auch bereits im Anfangsunterricht, in der Elementarstufe der allgemeinbildenden Schulen, den späteren Volksschulen und Grundschulen.

Die „ganzheitliche“ Bildung entwickelte sich zum vorherrschenden Erziehungsziel. Eingeschlossen waren als elementar angesehene Vermittlungsziele, die sich auf das Verständnis und die Akzeptanz sowohl der gesellschaftlichen Verhältnisse mitsamt der Berufswelt als auch der natürlichen Umwelt bezogen. Neben Schreiben, Rechnen und Lesen bestand der Lehrstoff aus Religion, Musik und Anschauungslehre. Damit wuchsen alle Kinder, über ihre nicht unbedingt einheitliche häusliche Erziehung hinaus, in einen kulturellen Verbund hinein, der bestimmte Regeln und Normen des Zusammenlebens sowie deren kulturelle Mittel und Ausdrucksformen beinhaltete: Bräuche, Sitten und Gewohnheiten, oft lokal oder regional begrenzt, tradierte Arbeits- und Festformen, aber auch Häuser, Möbel und Kleidung – oder, wenn man so will: Heimat.

Diese im Anschluss an Konzepte von Pestalozzi so genannte „Pädagogik der Nahwelt“, schwerpunktmäßig „Umgebungswissen“ beinhaltend, entwickelte sich (auch) zur Heimatkunde. Aus der Vermittlung von Wissen wurde damit eine Vermittlung von Kultur und der sie prägenden Werte – wobei es sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts (auch) um Inhalte volkskundlichen Erkenntnisinteresses handelte.

Mit der Änderung der staatlich-politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der Ablösung des deutschen Kaiserreiches durch die Weimarer Demokratie und kurz danach durch die Machtübernahme des Nationalsozialismus kam Bewegung auch in den Bereich Schule und Lehrerausbildung. Gleichzeitig entstand das Fach Volkskunde und begann sich zu verstetigen als akademische Disziplin sowie auch als verbreitete fachliche Grundlage des regionalen Museumswesens. Der Untersuchungsgegenstand des neuen Faches war die „Volkskultur“, deren Kenntnis im Sinne von Lehrstoff – auch – dem schulischen Elementarunterricht eingeschrieben war, allerdings ohne so zu heißen. In der Lehrerausbildung, die ab 1925 von neuen „Pädagogischen Akademien“ geprägt war, begann die Volkskunde als hier „zuständige“ Fachdisziplin langsam Eingang zu finden.

Die ideologisch geprägte nationalsozialistische Lehre sah an dieser Stelle eine zentrale Zugriffsmöglichkeit, indem sie „Volkskultur“, fortgeschrieben zu „Volkstum“ und „Volkstumskultur“, zu instrumentalisieren suchte bis hin zum aggressiven „Volkstumskampf“, der sich gegen andere Völker, Staaten und Kulturen richtete. Um diese Lehre mit Ausschließlichkeitsanspruch zu befördern, verband man den Schulunterricht der Elementarstufe nicht mehr nur mit dem Erfahrungswissen des Lehrpersonals und seinem kulturellen Kontext, sondern mit den Inhalten systematischer volkskundlicher Betätigung und verschaffte dem Fach Volkskunde deshalb in strukturierter Form Zugang zur Lehrerbildung.

In den „Hochschulen für Lehrerbildung“, die 1933 und kurz danach flächendeckend gegründet wurden, erlangte die Volkskunde auf diese Weise einen gewissen Stellenwert, indem sie die angehenden Lehrerinnen und Lehrer in die Lage versetzen sollte, den ihnen später anvertrauten Kindern die „richtige“ völkische Gesinnung und die diese unterstützende kulturelle Kompetenz zu vermitteln. Dahinter standen nicht zuletzt Sorgen der „Blut-und-Boden“-Ideologie, angesichts der Verstädterungs-, Industrialisierungs- und Internationalisierungstendenzen würden die „volkstragenden“ kulturellen Werte an Relevanz verlieren.

Indem das Fach Volkskunde in diese Hochschulen aufgenommen wurde, verstärkte sich noch die Problematik seiner Selbstverortung: Hier ging es nicht mehr um eine sich um Objektivität bemühende wissenschaftliche Dokumentation und Erforschung von alltagskulturellen Erscheinungen aller Art (in heutiger Begrifflichkeit), sondern es sollte sich um „angewandte Volkskunde“ handeln und um eine Ausbildung von Lehrpersonal und Schülerschaft in „deutscher Traditionskultur“. Dass gerade die Kleinräumigkeit von Kulturerscheinungen solchen Zielen zumindest teilweise entgegenstand, war den NS-Machthabern und ihren Bürokraten zumeist nicht klar. Die Volkskunde versuchte, nicht ohne Erfolg, dieses durchaus so zu bezeichnende Missverständnis als eine Art Nische auszunutzen, indem sie vielerorts die gewohnte, philologisch geschulte und akribische Erfassungs- und auch Vergleichsarbeit fortsetzte – auch in den Hochschulen für Lehrerbildung selbst, die allerdings generell nur einen kurzen Bestand gehabt haben.

Als eine oder gar die „ostpommersche Hochschule“ für Lehrerbildung wurde im Verlauf der 1930er Jahre die Institution in Lauenburg/Pommern in Betrieb genommen und fand, wenngleich nur für wenige Jahre, in Heinz Diewerge einen volkskundlichen Dozenten, dessen Wirken vor dem Hintergrund der Volkskunde in Pommern, aber auch des NS-„Volkstumskampfes“ an den östlichen Grenzen des Deutschen Reiches, eine Betrachtung wert ist. Diese Betrachtung soll, in knapper Form, nachfolgend in verschiedene Zusammenhänge eingebettet werden.

Volkskundler und Nationalsozialismus

Nachdem die ideologiekritischen Jahrzehnte vorüber gegangen sind und das ehemals geistes- und heute kulturwissenschaftliche Fach Volkskunde sich – unter mehreren anderen Namen – vorerst von seinen eher historisch ausgerichteten Komponenten weitgehend verabschiedet hat, zählt als eine Konsequenz daraus fachhistoriografische Tätigkeit seit längerem zu den selteneren Ausnahmen, wenn man von einigen Auseinandersetzungen mit dem Atlas der Deutschen Volkskunde (ADV) absieht.

Eine kleine Fallstudie, die sich den Erkenntnisrahmen „Volkskunde und Nationalsozialismus“ als Hintergrund und zugleich als Zielfolie vornimmt, muss als „wider den Trend“ und kaum zeitgemäß bezeichnet werden, wird an dieser Stelle jedoch trotzdem als sinnvoll und notwendig erachtet.

Obgleich sich das Fach in den Jahrzehnten vor 2000 in der Tat auf intensive Weise mit seiner Vergangenheit bis in die letzte Nachkriegszeit hinein beschäftigt hat, bilden Mikrostudien zu einzelnen Persönlichkeiten ein Desiderat.

Hier weniger wichtig ist die Aufarbeitung gleichsam einer unterlassenen Aufarbeitung, nämlich die Offenlegung der Strategien, mit denen Volkskundler, die in den 1930er Jahren aktiv gewesen waren, nach dem Ende des Dritten Reiches ihren Rückzug in den Elfenbeinturm der im Stillen betriebenen – und zu betreibenden – Wissenschaft propagierten, die als unpolitisch dargestellt und zu einer Kuriositätenwissenschaft verniedlicht wurde.

Diese Strategien waren unter anderem Ausdruck einer Hilflosigkeit im Umgang mit der tatsächlich recht großen Bedeutung, welche die Volkskunde im Nationalsozialismus besessen hat. Dies schloss sicherlich vorhandene Nischen ein, in denen eher defensiv geforscht und publiziert wurde, ohne die Instrumentalisierung ethnozentriert angelegter Forschungsergebnisse direkt zu unterstützen. Solche Nischen wurden hernach nicht selten mythologisiert, indem sie zu Orten der Abwehr oder zumindest Eindämmung der Forderungen der NS-Herrschaft erklärt werden konnten, in denen „Resistenz“ geübt worden sein sollte, ohne fundamentalen und damit Konsequenzen nach sich ziehenden Widerstand leisten zu können.

Zu solchen Nischen haben zweifelsohne viele Heimatmuseen gehört, die zu Instrumenten „nationalpolitischer Erziehung“ erklärt wurden, ohne dass sich unbedingt in ihrer Ausrichtung und Präsentation etwas Wesentliches ändern musste. Auf die jeweils beteiligten Personen bezogen, die stets auch als Publizierende präsent waren, blieb die Einschätzung dessen, was als eigene Meinung veröffentlicht und was als Zugeständnis gegenüber den Machthabern einzuordnen war, in allen Fällen schwierig. Nicht wenige dieser – an Museen, Forschungsinstituten und Universitäten tätigen – Volkskundler sind gerade im Hinblick auf solche Fragen späterhin neu beobachtet und auch beurteilt worden – mit oft stark differierenden und im Rückblick vorsichtig-differenzierend zu betrachtenden Ergebnissen.1

„Die Analyse des schillernden Verhaltens der Mehrheit der deutschen und deutschsprachigen Volkskundler unter der NS-Diktatur bleibt schwierig und ist noch für die heutigen Fachvertreter, die Schüler und Nachfolger jener im Dritten Reich, ein emotional heftig umstrittenes Fachpolitikum. Eine ‚individualisierende Betrachtung des Geschehens‘ im Sinne Helge Gerndts ist jedoch unumgänglich, ‚denn nur in Individuen und ihrem individuell gestalteten Werk konkretisiert sich ein Abstraktum, ein wissenschaftliches Fach wie die Volkskunde, und wird so der Analyse zugänglich‘.“2

In Richtung einer solchen individualisierenden Betrachtung ist bis heute vieles unerforscht oder unbekannt geblieben. Das betrifft beispielsweise die Aktivitäten und persönlichen Schicksale, die „im Osten“ angesiedelt waren, in jenen Grenzland-Regionen, für deren politisch-ideologische Vereinnahmung und Instrumentalisierung gerade die Volkskunde in einer massiven Form in Anspruch genommen wurde – und sich zumeist gern in Anspruch nehmen ließ, ohne dass die betroffenen Fachwissenschaftler immer gern ihr Leben „in den Osten“ verlegt hätten.

Die volkskundliche Beschäftigung mit allen historischostdeutschen Reichs- und Siedlungsgebieten, ihren Menschen und Kulturen mündete vor 1945 in Volkstums- und Grenzlandarbeit und letztlich in den mit Waffengewalt ausgetragenen „Volkstumskampf“. Nach 1945 hat die „ostdeutsche Volkskunde“ eine eigene Entwicklung durchgemacht. Die grundlegenden Änderungen der staatlichen Zugehörigkeiten, der Kulturträgerschaften und der Quellenlagen haben die Intensität dieser Beschäftigung auf Dauer noch stärker und nachhaltiger reduziert als dies in anderen Regionen der Fall war, wo die regionale Geschichts- und Kulturforschung kontinuierlich betrieben wurde und erst in letzter Zeit zugunsten neuer Forschungserfordernisse und mit zunehmender Tendenz als nachrangiger angesehen wird.

Eine ganz spezifische Situation, auch hinsichtlich aller landeskundlichen Aktivitäten, hat sich in der historischen deutschen Reichsprovinz Pommern ergeben, mit vielschichtigen Implikationen. Mit der Aufteilung der Landesteile Vor- und Hinterpommern auf die Staaten Deutsche Demokratische Republik und Volksrepublik Polen sowie mit dem späteren Übergang Vorpommerns in das neue bundesrepublikanische Land Mecklenburg-Vorpommern hat sich der Bewusstseins-Status Gesamt-Pommerns, nämlich die wohl „hinterwäldlerischste“ Großregion Deutschlands überhaupt zu sein, nicht verändert, vielleicht eher noch verstärkt. Das hat sich auch auf die Beachtung und Darstellung volkskundlicher Aktivitäten (im Übrigen, in umgekehrter Blickrichtung, auch auf polnischer Seite) ausgewirkt, die sozusagen am letzten Ende einschlägigen Interesses stehen, obgleich auch und gerade sie in der Zeit des Nationalsozialismus hochinteressante Einblicke in die Funktion und Struktur volkskundlichen Agierens zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit erlauben.

Die Geschichte volkskundlicher Betätigung bis 1945 in Pommern umfasst zwar nur relativ wenige Namen engagierter Persönlichkeiten. Diese haben jedoch zum größeren Teil wirkungsvolle Aktivitäten unternommen – wenngleich diese, eine solche Aussage darf generalisiert werden, in der allgemeinen landeskundlichen Forschung und Vermittlungsarbeit kaum eine Rolle gespielt haben und spielen. Einige wenige Namen bilden zugleich einen Abriss der Geschichte der Volkskunde in Pommern: Alfred Haas und Otto Knoop als frühe Sammler, Robert Holsten als Systematisierer, Lutz Mackensen als Begründer einer akademischen Volkskunde in Greifswald sowie Karl Kaiser und Walter Borchers als erste hauptamtlich arbeitende Volkskundler in Universität und Museum. Weitere Museumsvolkskundler wie Fritz Adler, langjähriger Museumsdirektor in Stralsund, oder Karl Paetow, kurzzeitiger Museumsleiter in Stolp, schlossen sich an.

Ein Volkskundler, der bisher von keiner Seite ins Blickfeld genommen worden ist, war Heinz Diewerge. Sein außerordentlich kurzzeitiges Wirken bildet dafür die Hauptursache in Verbindung mit seinem frühen Tod. Was er in wenigen Jahren, an aus der Sicht des Reiches „entlegener“, aber als ideologisch und machtpolitisch ungemein wichtig definierter Stelle, aufzubauen bemüht war, verdient aber eine Darstellung, die über kurze Nennungen in biografischen Kompendien hinausgehen sollte. In gewisser Weise darf Heinz Diewerge als beispielhaft stehen für die Karriere und das Schicksal, ja für das „Dasein“ eines engagierten Volkskundlers kurz vor dem Kriegs- und Eroberungsgeschehen des Dritten Reiches im östlichen Europa.

Zum Lebenslauf von
Heinz Diewerge:
Herkunft und Familie

Am 14. Januar 1909 ist (Ferdinand Maximilian) Heinz Diewerge in Stettin geboren worden und war damit nur knapp drei Jahre jünger als seine bekannteren volkskundlichen Kollegen Karl Kaiser und Walter Borchers, die beide 1906 zur Welt kamen. Diewerge hatte zwei Brüder, Bernd und Wolfgang, die beide eine gewisse Bekanntheit erlangt haben, der drei Jahre ältere Wolfgang als Journalist und wirkmächtiger ministerialer Propagandist und Bernd Diewerge, ein Bildhauer, als Erfinder einer Variante des Leuchtglobus.

In den Kriegsjahren 1915 bis 1918 ging Diewerge zur „Knaben-Mittelschule“ im pommerschen Stargard, nachdem sein Vater Wilhelm Diewerge (1871-1921) zum Rektor dieser Lehranstalt ernannt worden und von Stettin mit seiner Familie dorthin gezogen war. Auch die Mutter Heinz Diewerges, Hedwig geb. Grell, war als Pädagogin tätig. Zu den Lehrern Diewerges in Stargard zählte Johannes (Hans) Siuts, der mit mehreren kleineren Publikationen zur Volkskunde Pommerns hervorgetretene Vater des späteren Münsteraner Volkskundlers Hinrich Siuts.3

Seit 1918 besuchte Diewerge, den seine Lehrer als hochbegabt bezeichnet haben, das örtliche „Gröningsche Gymnasium zu Stargard in Pommern“, wo er 1927 sein Abitur ablegte. Auf der Fotografie des Abiturienten-Jahrgangs 1927 ist Heinz Diewerge ganz vorn und direkt neben Martin Wehrmann, dem langjährigen Direktor der Anstalt und wohl wichtigsten Landeshistoriker von Pommern, zu sehen.4

Ab dem Sommersemester 1927 studierte Diewerge in Jena, wo er auch der Burschenschaft „Germania“ angehörte, und wechselte danach für jeweils ein Semester nach Tübingen und Dijon. Er belegte die Fächer Germanistik, Anglistik, Romanistik, Volkskunde und Philosophie.

Ab dem Sommersemester 1930 war er an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität seiner Heimatprovinz Pommern immatrikuliert. Dort promovierte er zu Beginn des Jahres 1933 als Germanist, nachdem er in den beiden Jahren zuvor bereits als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Volkskundlichen Archiv am Germanistischen Seminar der Universität Greifswald eingesetzt gewesen war. Dieses Archiv hatte sein Doktorvater Lutz Mackensen 1929 gegründet. 1932/33 wurde es von Karl Kaiser übernommen.

Nach relativ kurzen beruflichen Stationen in Riga und Berlin sowie seiner Verheiratung mit der aus dem Baltikum stammenden Renate Kerkovius (auch: Kerkowius), die siebeneinhalb Jahre jünger war und sich am Beginn einer Ausbildung zur Volksschullehrerin befand, wurde Diewerge Dozent für Volkskunde an der neu gegründeten Hochschule für Lehrerbildung in Lauenburg im östlichen Hinterpommern. Kurz zuvor waren Renate und Heinz Diewerge nach Lauenburg gezogen und bekamen dort ihr erstes und einziges Kind, die Tochter Gerlind, die 1938 geboren wurde.

In dieser Zeit hielt sich Diewerge mehrere Male in militärischen Übungslagern und bei soldatischen Manövern auf. Seit August 1939 gehörte er als Rekrut und Gefreiter in ein neu aufgestelltes Reserve-Infanterie-Regiment mit dem Standort Deutsch-Krone in der „Grenzmark Posen-Westpreußen“. Beim Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen wurde Diewerge im Dienstgrad eines Schützen in der Nähe von Radom am Fuß verletzt. Er erlag am 15. Oktober 1939 unter tragischen Umständen den Folgen dieser Marschverletzung in Gestalt einer Blutvergiftung im Reservelazarett in Magdeburg, nachdem er zuvor in das Feldlazarett Petrikau (Piotrkow) eingeliefert worden war. Sein Grab befindet sich in Stargard.

Seine Ehefrau wurde mehrfach zu Kriegsdiensten einberufen, studierte während des Krieges in Lauenburg und lebte später unter anderem in Westerstede bei Oldenburg.

Unmittelbar nach dem Tod Diewerges widmete ihm die Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde einen – ersten, kurzen – Nachruf: „Am 15. Oktober 1939 erlag der Dozent für Volkskunde an der Hochschule für Lehrerbildung in Lauenburg Dr. Heinz Diewerge den Folgen einer Kriegsverletzung. Er stammte aus Stargard/Pom. Sein größtenteils in Greifswald durchgeführtes Studium hatte er 1933 mit der Promotion auf Grund einer Arbeit über „Jacob Grimm und das Fremdwort“ abgeschlossen. Nach mehrjähriger volkskundlicher Tätigkeit am Herderinstitut in Riga und am Zentralarchiv für die deutsche Volkserzählung in Berlin wurde er 1937 nach Lauenburg berufen. Dort richtete er das Seminar für Deutsche Volkskunde ein, dem schon eine größere Anzahl pommerscher Junglehrer Wissen und Können für Unterricht und eigene Forschung verdankt. Auch zum volkskundlichen Schrifttum hatte Heinz Diewerge bereits wertvolle Beiträge geliefert. Sein Tod unter den Waffen hat allzufrüh ein Leben abgeschlossen, an das gerade wir in Pommern noch manche Hoffnung knüpften.“5

Das Leben Heinz Diewerges und seine beruflichfachlichen Tätigkeiten sind untrennbar verknüpft mit seinen Aktivitäten innerhalb und im Sinne der Nationalsozialisten und ihrer Gliederungen. Am 1. April 1934 trat er in die NSDAP, Landesgruppe Lettland, ein und wurde Führer der Hitlerjugend in Riga. Seit 1937 war er stellv. Hochschulgruppenführer des NSD-Dozentenbundes in Lauenburg und dort auch Ortsgruppen-Schulungsleiter der NSDAP. Im Amt Schrifttumspflege wurde er im Rahmen des „Amtes Rosenberg“ (sogenanntes Reichsüberwachungsamt) zum Lektor für Volkskunde ernannt.

Er gehörte damit auch zur Mitarbeiterkartei von Hans Strobel, der alle volkskundlich innerhalb der NSDAP tätigen Personen erfasste, als Leiter des „Referats Schulung“ unter anderem befasst war mit volkskundlichen Filmen und Diaserien für Unterrichtszwecke und zumindest phasenweise als „der Volkskundler im Amt Rosenberg“ galt.6

Weitere Mitgliedschaften und Funktionen von Heinz Diewerge waren: „Mitglied der am 16.4.1934 durch den Stellvertreter des Führers der NSDAP gebildeten Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums unter Reichsleiter Philipp Bouhler. Leiter der Fachschaft Volkskunde im Amt Wissenschaft der Reichsstudentenführung in Berlin und Beauftragter des Reichsstudentenführers in der im Jan. 1937 gegründeten Arbeitsgemeinschaft für deutsche Volkskunde beim Amt Rosenberg. Mitglied des ‚Wissenschaftlichen Arbeitskreises‘ des seit 1938 von der SS beherrschten Bundes Deutscher Osten (BDO), Landesgruppe Mecklenburg-Pommern.“7 Dort waren zeitgleich auch mehrere weitere Volkskundler (wie Karl Kaiser), Lauenburger Hochschulprofessoren (wie Paul Bode oder Diedrich Rodiek) sowie pommersche Heimatforscher aktiv (wie Johannes Diebenow oder Karl Rosenow).

Die Liste der politischen und Partei-Funktionen von Heinz Diewerge ist bemerkenswert, zugleich fällt aber auf, wie zurückhaltend er sich im Hinblick auf politische Sachverhalte geäußert und wie wenig davon in seine fachlichen Schriften Eingang gefunden hat. Angesichts der großen politischen Bedeutung, die sein Bruder Wolfgang innehatte, bleibt ein Stück weit offen, wo Heinz Diewerge sich selbst genau weltanschaulich verortet hat. Exponierte Tätigkeiten politischer Art hat er offenkundig nach Möglichkeit vermieden, dennoch aber in vielfältigen NS-politischen Funktionen mitgearbeitet.

Studium, Aktivitäten und Berufsweg:
Greifswald – Riga – Berlin – Lauenburg